RU-heute 01/2010 - Fundamentaltheologie und ...
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gen: Dass ich jetzt hier sitze, liegt daran, dass mein Leib<br />
aus Knochen <strong>und</strong> Sehnen besteht (...), die Sehnen aber so<br />
eingerichtet sind, dass sie angezogen <strong>und</strong> nachgelassen<br />
werden können. (...) Und deswegen säße ich jetzt hier mit<br />
gebogenen Knien. In ganz ähnlicher Weise könnte er auch<br />
meine Unterredung mit euch erklären, indem er Töne <strong>und</strong><br />
Luftschwingungen <strong>und</strong> Gehöreindrücke <strong>und</strong> tausenderlei<br />
dergleichen anführte, ohne sich um die wahren Gründe<br />
zu kümmern“ (Phaidon 98 b-e). Die wahren Gründe aber,<br />
Platon Sokrates<br />
warum Sokrates im Gefängnis sitzt <strong>und</strong> mit den Fre<strong>und</strong>en<br />
spricht, anstatt sich auf die Flucht zu begeben, liegen in<br />
seinem Geist, mit dem er erkennt, was gut <strong>und</strong> gerecht ist.<br />
Hier ist zum erstenmal der f<strong>und</strong>amentale Unterschied<br />
zwischen Ursachen <strong>und</strong> Gründen ausgesprochen: Reine<br />
Naturdinge folgen Ursachen, der Mensch als Geistwesen<br />
hingegen folgt Gründen. Er wirkt nicht nur naturkausal,<br />
sondern er handelt. 2 Der in der Naturwissenschaft üblichen<br />
materialistischen Welterklärung wird im Blick auf den<br />
Menschen eine andere Art von Kausalität an die Seite<br />
gestellt: Ein Handeln auf Gr<strong>und</strong> von geistiger Einsicht.<br />
Die Orientierung an Gründen bewirkt ein Tun, das sich<br />
prinzipiell nicht mit physikalischen Begriffen einfangen<br />
lässt. Die reduktionistische Erklärungsweise, welche die<br />
besondere Ursächlichkeit geistiger Erkenntnis ausblendet,<br />
wird – so die philosophische Tradition von Platon<br />
bis Kant – das Eigentümliche des Menschseins verfehlen.<br />
Auf die Frage ,Warum hast du das getan?‘ erwarten wir<br />
nicht die Erklärung: ,In meinem Zentralnervensystem<br />
lagen bestimmte Erregungsmuster vor; sie führten dazu,<br />
dass gewisse Muskelgruppen aktiviert wurden. So kam es<br />
zur Ausführung der Tat.‘ Wir fordern vielmehr die Angabe<br />
von Gründen. Zwar mag es innerhalb des cartesischen<br />
Systems der Trennung von Geist <strong>und</strong> Materie schwer<br />
RELIGIONSUNTERRICHT<strong>heute</strong> <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>0<br />
SCHWERPUNKT<br />
zu erklären sein, wie Gründe in der raum zeitlichen Welt<br />
wirksam werden. Dass sie aber unser Handeln beeinflussen,<br />
kann schwerlich abgestritten werden. Denn selbst<br />
wer dies täte, bräuchte dafür gute Gründe, damit wir ihm<br />
glauben – <strong>und</strong> so wären es wiederum Gründe, die unser<br />
Handeln beeinflussen. Wenn aber das cartesische System<br />
eine befriedigende Erklärung des Zusammenwirkens von<br />
Gründen <strong>und</strong> Ursachen nicht erlaubt, wäre es da nicht<br />
besser, das System der Wirklichkeitserfahrung anzupassen<br />
als die Wirklichkeitserfahrung dem System?<br />
Die Freiheit des Willens<br />
Interessanterweise gibt es in der Sprache Platons, dem<br />
Griechischen der klassischen Zeit, kein Wort für Wille, <strong>und</strong><br />
infolgedessen wird auch lange Zeit die Willensfreiheit nicht<br />
Anaxagoras Aristoteles<br />
zum Thema der Philosophie. Seit der Sokratischen Wende<br />
wird der Ursprung menschlicher Handlungen vielmehr im<br />
Zusammenwirken von Erkenntnis <strong>und</strong> Streben gesehen:<br />
Der Geist erkennt etwas als gut <strong>und</strong> erstrebenswert <strong>und</strong><br />
gibt damit dem immanenten Strebenspotential ein Ziel der<br />
Betätigung. Bei Sokrates selbst, wie er uns in den platonischen<br />
Dialogen entgegentritt, führt diese Auffassung zu<br />
der bekannten Überzeugung: ,Niemand tut aus eigenem<br />
Antrieb Unrecht‘ – sondern nur aus Unkenntnis (Protagoras<br />
358 c-d; vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik VII 3,<br />
1145b21-27). Und selbst Aristoteles, der den sokratischen<br />
Intellektualismus kritisiert, kann ein Handeln wider bessere<br />
Einsicht nur als ,mangelnde Vernunftstärke‘ (akrasia) interpretieren,<br />
weil er an den strebenstheoretischen Voraussetzungen<br />
Platons festhält. Erst ab dem 4. Jahrh<strong>und</strong>ert nach<br />
Christus wird die klassische Strebenstheorie zunehmend<br />
in Frage gestellt, <strong>und</strong> zwar bezeichnender Weise durch die<br />
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