30.01.2013 Aufrufe

NM 2011/92 - Stellenmarkt von sueddeutsche.de

NM 2011/92 - Stellenmarkt von sueddeutsche.de

NM 2011/92 - Stellenmarkt von sueddeutsche.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

einem ganz an<strong>de</strong>ren Ansatz rangegangen. Je<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> einzeln geför<strong>de</strong>rt.<br />

Ich habe mich in Mathe und auch in allen an<strong>de</strong>ren Fächern verbessert.<br />

(Was natürlich leicht war, ich kannte ja schon alles.) Mein<br />

Abitur habe ich mit 2,1 gemacht, danach bin ich nach Berlin gezogen<br />

und habe angefangen, Soziologie zu studieren. Es musste Berlin sein,<br />

weil ich die Schulzeit und Südbayern ganz weit hinter mir lassen wollte.<br />

Das Durchfallen an sich hatte ich nach meinem Abitur einigermaßen<br />

verarbeitet, aber nicht diese Wut in mir. Die hat mich noch min<strong>de</strong>stens<br />

fünf Jahre verfolgt, vielleicht verfolgt sie mich sogar bis heute.<br />

Es ist eine Wut auf mich selbst, auf meine Eigenschaften. Noch heute<br />

erledige ich viele Sachen erst auf <strong>de</strong>n letzten Drücker o<strong>de</strong>r mache<br />

manchmal nur das gera<strong>de</strong> Nötige. Ich bin mir <strong>de</strong>swegen selbst böse<br />

und mache mir kon stant Selbstvorwürfe: Warum kriegst du das nicht<br />

hin? Hast du nicht aus <strong>de</strong>m Abitur gelernt?<br />

Es gibt aber auch die an<strong>de</strong>ren Gedanken: Manchmal schaue ich mir<br />

die Leute an, die ich in Berlin kennenlernen durfte. Die Liebe, die ich<br />

hier gefun<strong>de</strong>n habe. Ich hätte all diese Menschen nicht kennengelernt,<br />

wenn ich ein Jahr früher hier gewesen wäre. Ich bin hier, abgesehen<br />

<strong>von</strong> meinen Selbstvorwürfen, ein glücklicher und ausgeglichener<br />

Mensch gewor<strong>de</strong>n. (Und auch mit meiner Familie ist wie<strong>de</strong>r alles in<br />

Ordnung.) Manchmal <strong>de</strong>nke ich, dass meine Zurückstufung in <strong>de</strong>r<br />

Schule mit dieser Zufrie<strong>de</strong>nheit zu tun hat. An<strong>de</strong>rerseits: Wären die<br />

Dinge nach <strong>de</strong>m Abitur schiefgelaufen, hätte ich <strong>de</strong>n Grund vielleicht<br />

auch im Sitzenbleiben gesucht. Das Nach<strong>de</strong>nken über die Grenze, die<br />

ich damals nicht überschritten habe, ist also nie aus meinem Leben<br />

verschwun<strong>de</strong>n. Im Gegenteil, heute muss ich im Beruf selbst solche<br />

Grenzen ziehen. Ich bin Sozialwissenschaftlerin und forsche zur Integration<br />

<strong>von</strong> Migranten in Deutschland. In meiner Arbeit geht es häuflg<br />

um Rankings. Es geht um die Frage, ab welcher Grenze jemand<br />

gut integriert ist und wann nicht – eine Frage <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

Methodik. Mir fällt es wahnsinnig schwer, diese Grenzen zu ziehen.<br />

Aber es geht nicht an<strong>de</strong>rs, ich kann sonst nicht arbeiten. Es ist, immer<br />

noch, ein komisches Gefühl.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!