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NM 2011/92 - Stellenmarkt von sueddeutsche.de

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Szene einen Monolog aus Max Frischs Andorra spielte, vergaß ich <strong>de</strong>n<br />

Text komplett – und das war es dann. Zwei aus <strong>de</strong>r zwölfköpfigen<br />

Jury, in <strong>de</strong>r unter an<strong>de</strong>ren Klaus Maria Brandauer saß, lachten vernehmlich.<br />

Einer sagte „Danke“, und in <strong>de</strong>m Moment wusste ich, dass<br />

ich nie Schauspieler wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Alles, was ich im Gepäck gehabt<br />

hatte, war die Hoffnung, dass die richtigen Menschen schon das Richtige<br />

in mir sehen wür<strong>de</strong>n. Ich war so vermessen zu glauben, dass allein<br />

mein Mut, mein vermeintliches Einfühlungsvermögen in die Rollen,<br />

meine Entschlossenheit, also eine Ansammlung <strong>von</strong> ein paar zusammengekehrten<br />

Soft Skills, sogenannten Schlüsselkompetenzen, etwas<br />

auslösen können. Es ging nicht.<br />

Viele Jahrzehnte waren Schulen Auswendiglernanstalten. Die Lehrer<br />

achteten darauf, dass die Schüler ganz viel Wissen in ihren Köpfen<br />

stapelten. Nur wer die Dinge auswendig konnte, galt als gut. Deshalb<br />

trifft man auch heute noch oft auf Erwachsene, die ganze Passagen<br />

aus Goethes Faust o<strong>de</strong>r Schillers Glocke auswendig aufsagen können.<br />

Das hat sich geän<strong>de</strong>rt. Die Gesellschaft und die Arbeit sind komplexer<br />

gewor<strong>de</strong>n, sagen die Bildungsforscher, <strong>de</strong>shalb lernt man an <strong>de</strong>n<br />

Schulen jetzt ganz viel Teamarbeit und Präsentation, man lernt die<br />

Soft Skills. Früher mussten nur Unternehmensberater mit Powerpoint<br />

präsentieren, jetzt müssen Fünftklässler beweisen, dass sie das<br />

Präsentationsprogramm beherrschen. Kompetenzen spielen nun eine<br />

sehr große Rolle in <strong>de</strong>r Schule, das schiere Wissen ist nicht mehr ganz<br />

so wichtig. Woher das kommt? Unter an<strong>de</strong>rem <strong>von</strong> <strong>de</strong>r OECD.<br />

Die Bildungsforscher <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung in Paris machen zum Beispiel die<br />

PISA­Lerntests an <strong>de</strong>n Schulen, sie schauen sich aber auch das mo<strong>de</strong>rne<br />

Arbeitsleben an. Das zerfällt immer mehr in einzelne Projekte.<br />

Ständig muss man sich neu orientieren, mit an<strong>de</strong>ren zusammenarbeiten,<br />

muss nachsehen, ob man noch genug kann, ob man nicht <strong>de</strong>n Job<br />

wechseln sollte. Um sich „<strong>de</strong>n anspruchsvollen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r heutigen Welt stellen zu können“, so haben es die Forscher aufgeschrieben,<br />

benötige <strong>de</strong>r Mensch „zahlreiche Kompetenzen“. Eine<br />

Kompetenz ist laut OECD „mehr als nur Wissen“: Wer sich in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Arbeitswelt anständig bewegen will, muss zum Beispiel fähig<br />

sein, mit Computern und mit Sprache umzugehen. Er muss fähig<br />

sein, sich in kunterbunten Gruppen, in internationalen Teams, in ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Kontexten zu bewegen. (Er muss sich <strong>de</strong>shalb gut in an<strong>de</strong>re<br />

Menschen einfühlen können.) Und außer<strong>de</strong>m, das sei eine weitere<br />

wichtige Kompetenz, muss er sein Leben selbstständig gestalten können,<br />

sich Dinge vornehmen und die auch umsetzen.<br />

Die Schulen haben auf diese Ansprüche reagiert, und auch an <strong>de</strong>n<br />

Hochschulen gibt es immer mehr Kurse, in <strong>de</strong>nen zum Beispiel rhetorische<br />

Fähigkeiten vermittelt wer<strong>de</strong>n, die man sich dann in <strong>de</strong>n Lebenslauf<br />

schreiben kann. Das ist ein Wan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>n manche entsetzlich<br />

fin<strong>de</strong>n. Der Lehrer und Didaktiker Hans Peter Klein zum Beispiel hat<br />

Angst, dass bald nur noch lächeln<strong>de</strong>, aber ahnungslose Menschen die<br />

Schule verlassen. Sich auf die Bühne zu trauen ist eben das eine. Die<br />

Frage ist, ob man dort etwas erzählen kann.<br />

Manche Personalchefs sind die Diskussion um <strong>de</strong>n Wert dieser Kompetenzen<br />

bereits leid. Sie sprechen nicht mehr <strong>von</strong> Soft Skills, wenn<br />

man sie fragt, was man sonst noch können soll. Sie sprechen <strong>von</strong> Lebenserfahrung.<br />

Sie wollen Menschen sehen, die auch mal gescheitert<br />

sind, die sich irgendwie <strong>de</strong>r Welt da draußen ausgesetzt haben. Wenn sie<br />

das wirklich suchen, dann suchen sie im Grun<strong>de</strong> Philosophen. Die Philosophie<br />

ist die Suche nach Weisheit. Und was ist Weisheit? Sie hat mit<br />

einer beson<strong>de</strong>ren Form <strong>von</strong> Wissen zu tun. Der französische Philo soph<br />

André Comte­Sponville schreibt im Buch Glück ist das Ziel, Philosophie<br />

<strong>de</strong>r Weg: „Es han<strong>de</strong>lt sich um ein ganz beson<strong>de</strong>res Wissen, das<br />

keine Wissenschaft verfügbar macht, kein Beweis belegt, kein Laboratorium<br />

testet o<strong>de</strong>r attestiert, kein Diplom bescheinigt. Es geht hier<br />

nämlich nicht um Theorie, son<strong>de</strong>rn um Praxis. Nicht um Beweis, son<strong>de</strong>rn<br />

um Bewährung. (…) Nicht um Wissenschaft, son<strong>de</strong>rn um Leben.“<br />

Wer sein ganzes Leben nur brav tut, was man <strong>von</strong> ihm verlangt, <strong>de</strong>r<br />

wird, sagt <strong>de</strong>r französische Philosoph, nicht weise. Fürs Weisewer<strong>de</strong>n<br />

müsse man Dinge ausprobieren, man müsse dafür leben. Weisheit, so<br />

wie Comte­Sponville sie sieht, muss etwas ziemlich Saftiges sein. Wer<br />

sie sucht, sucht nicht nur Wissen, son<strong>de</strong>rn auch die Liebe, das Glück,<br />

die Zufrie<strong>de</strong>nheit. Man kann sie nicht lernen, man muss sie erleben.<br />

Meine Pleite im Theater <strong>von</strong> Schloss Schönbrunn war vorhersehbar.<br />

Aber sie war in Ordnung, weil sie mir klargemacht hat, dass es mit<br />

Kompetenzen allein nicht getan ist. Die Fahrt, <strong>de</strong>nke ich heute, hat<br />

mich bereichert. Vielleicht hat sie mich sogar ein Stück weiser gemacht.<br />

Auch wenn ich sie mir nicht in <strong>de</strong>n Lebenslauf schreiben kann.<br />

jetzt SCHULe & JOB Nr. 04/11 5

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