Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ... - Aussiedler
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<strong>Rede</strong> <strong>von</strong> <strong>Bundeskanzlerin</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Angela</strong> <strong>Merkel</strong> anlässlich des Festakts zum 50-jährigen<br />
Bestehen des Bundes der Vertriebenen am 22. Oktober 2007 in Berlin<br />
Sehr geehrte Präsidentin, liebe Erika Steinbach,<br />
sehr geehrter, lieber Herr Seiters,<br />
Herr Ministerpräsident,<br />
Herr Kollege Schäuble,<br />
lieber Erwin Huber,<br />
Herr Staatsminister Neumann,<br />
liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, stellvertretend für alle Herr<br />
Fraktionsvorsitzender, lieber Volker Kauder!<br />
Fast genau vor 50 Jahren, am 27. Oktober 1957, wurde der Bund der Vertriebenen<br />
gegründet. Zu diesem Jubiläum gratuliere ich Ihnen allen sehr herzlich, so wie Sie als<br />
Festversammlung hier in diesem Raume versammelt sind.<br />
Ich freue mich sehr, heute diesen runden Geburtstag gemeinsam mit Ihnen feierlich zu<br />
begehen, denn dieser Tag bietet natürlich die hervorragende Gelegenheit, die Verdienste<br />
Ihres Verbandes zu würdigen. Diese Verdienste hat sich der BdV bei der Integration der<br />
deutschen Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg erworben. Sie kommen auch<br />
heute in seinem unermüdlichen Engagement zum Ausdruck.<br />
50 Jahre Bund der Vertriebenen, das sind auch 50 Jahre deutsche Geschichte. Der BdV<br />
hat <strong>von</strong> Anfang an den Vertriebenen eine Stimme gegeben. Er hat sich für ihre Anliegen<br />
und für ihre Interessen stark gemacht. Der leidvollen Schicksale der Vertriebenen und<br />
Flüchtlinge zu gedenken, das ist ganz ohne Zweifel Teil unserer deutschen Identität und<br />
Teil unserer Erinnerungskultur.<br />
Das ist und bleibt auch unverzichtbar für die gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft, und<br />
zwar natürlich in dem Bewusstsein der immer währenden Verantwortung Deutschlands für<br />
den im deutschen Namen begangenen Zivilisationsbruch des Holocaust während der Zeit<br />
des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Am Ende schlug dieses nicht zu<br />
beschreibende Unrecht des Nationalsozialismus auf die Deutschen zurück.
2<br />
Wir verwechseln nicht Ursache und Wirkung, wenn wir der Vertreibung gedenken und<br />
daran erinnern, dass es die Vertriebenen in den Folgen des Nationalsozialismus<br />
besonders hart traf. Der frühere Bundespräsident Richard <strong>von</strong> Weizsäcker beschrieb dies<br />
einmal mit den Worten: „Die Willkür der Zerstörung wirkte in der willkürlichen Verteilung<br />
der Lasten nach.“<br />
Schätzungen zufolge überlebten zwei Millionen Menschen die Schrecken und Strapazen<br />
<strong>von</strong> Flucht und Vertreibung nicht. Die, die überlebten und in den vier damaligen<br />
Besatzungszonen ankamen, hatten Schlimmes erlebt. Aber sie hatten auch weiter<br />
doppeltes Leid zu ertragen: Sie litten unter den entbehrungsreichen Lebensbedingungen<br />
der Nachkriegszeit und mussten zugleich den Verlust der Heimat verschmerzen und sich<br />
in völlig neuer Umgebung ein neues Leben aufbauen.<br />
7,9 Millionen Menschen wurden in der damaligen Bundesrepublik aufgenommen. Über<br />
4 Millionen Menschen fanden auf dem Gebiet der späteren DDR eine Bleibe. Wo sie sich<br />
auch ansiedelten, in vielen Fällen wurden die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen als<br />
Fremde wahrgenommen. Angesichts allseitiger materieller Nöte und Sorgen wurde ihr Leid<br />
oft tabuisiert oder fand kaum Beachtung.<br />
Umso stärker war das Bedürfnis, sich mit anderen Vertriebenen auszutauschen und sich<br />
auch organisatorisch zusammenzuschließen. Sicherlich, viele sind auch auf große<br />
Hilfsbereitschaft vor Ort gestoßen. Es gibt auch aus dieser Zeit viele Beispiele <strong>von</strong><br />
selbstlosem Einsatz der Einheimischen. Dennoch, es waren die Vertriebenen selbst, die<br />
sich eingliederten. So hatten sie in beiden deutschen Staaten dann auch einen<br />
maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau unseres Landes.<br />
Wenn wir an all dies im Jahre 2007 denken, so übersteigt es fast unsere – zumindest<br />
meine – Vorstellungskraft, was damals alles <strong>von</strong> den Menschen bewerkstelligt werden<br />
musste. Dass das alles gelang, verdanken wir dem Engagement vieler Mitglieder der<br />
Vertriebenenverbände. Daran möchte ich heute mit Respekt und mit Dankbarkeit erinnern.<br />
Es war aber – Frau Steinbach hat darauf hingewiesen – nicht so ganz einfach, sich<br />
organisatorisch zusammenzuschließen. Das damalige Koalitionsverbot versagte auch den
3<br />
Vertriebenen in den westlichen Gebieten die organisatorische Verbindung und die<br />
gemeinsame Kultur- und Traditionspflege. Als dies dann möglich wurde, gründeten sich in<br />
der Bundesrepublik rasch die Vorgängerorganisationen des BdV, zuletzt mit den Namen<br />
„Bund vertriebener Deutscher“ und „Verband der Landsmannschaften“. Trotz mancher<br />
Differenzen haben sie sich schließlich beim Gründungsakt im Oktober 1957 vereinigt –<br />
daran denken wir heute. Die endgültige Konstituierung des neuen Verbandes erfolgte am<br />
14. Dezember 1958. Seit dieser Zeit nimmt der BdV die Interessen der Vertriebenen<br />
konsequent und selbstbewusst wahr – und das wird auch geschätzt.<br />
Aber schon in den Jahren vor der Gründung des BdV gab es verschiedene für die Belange<br />
der Vertriebenen bedeutsame Gesetzgebungsverfahren – auch daran sei erinnert. Zu<br />
erwähnen sind insbesondere das „Lastenausgleichsgesetz“ und das<br />
„Bundesvertriebenengesetz“. Die Vertriebenen und ihre Organisationen haben sich <strong>von</strong><br />
Anfang an intensiv an den politischen Diskussionen beteiligt. Das ist vielen sicherlich nicht<br />
immer leicht gefallen, denn so manche Diskussion war für sie schmerzvoll, alte Wunden<br />
wurden immer wieder aufgerissen.<br />
Aber die Vertriebenen haben sich nie zurückgezogen. Sie haben immer wieder – Erika<br />
Steinbach hat das eben ganz beeindruckend dargestellt – den Dialog gesucht. Sie<br />
wussten, dass nur dies Voraussetzung für Verständnis und Versöhnung ist. Ich glaube, es<br />
ist genau diese Bereitschaft zu Verständigung und Ausgleich, die den Bund der<br />
Vertriebenen seit seinen Anfängen auszeichnet.<br />
Meine Damen und Herren, ich habe <strong>von</strong> der alten Bundesrepublik gesprochen. Wie aber<br />
sah es damals in der DDR aus? Die Situation stellte sich hier anders dar. Auch hier hat es<br />
an Aufbauleistungen der Heimatvertriebenen nicht gemangelt. Doch die Gründung<br />
landsmannschaftlicher Organisationen blieb ihnen versagt. Flucht und Vertreibung wurden<br />
im öffentlichen Bewusstsein der DDR schlichtweg ignoriert. Schmerzliche Verluste nicht<br />
artikulieren zu dürfen, darüber nicht sprechen zu dürfen, sich nicht mit Leidensgenossen<br />
sozusagen verbinden zu dürfen, das muss für viele sehr, sehr bitter gewesen sein. Erst mit<br />
der Wiedervereinigung wurden die Vertriebenen der ehemaligen DDR vom Bund der<br />
Vertriebenen aufgenommen. Seither können auch sie über ihre Geschichte, über den<br />
Verlust der Heimat offen sprechen.
4<br />
Meine Damen und Herren, Heimat, was bedeutet das eigentlich? Heimat, das ist ein<br />
Gefühl – ein Gefühl der Zugehörigkeit zu anderen Menschen, zu einer Region, zu einer<br />
Landschaft, zu einer Kultur. Heimat ist immer etwas, was auch einen Teil der eigenen<br />
Identität bestimmt. Manchmal aber werden ja Diskussionen geführt, als ob in Zeiten der<br />
Globalisierung der Heimatbegriff etwas Anachronistisches sei. In Zeiten, in denen die Welt<br />
kleiner geworden ist, räumliche Entfernungen nur noch wie ein Katzensprung erscheinen<br />
und berufliche Mobilität und Flexibilität groß geschrieben wird, was bedeutet da Heimat?<br />
Meine Antwort ist, dass Heimat an Bedeutung gewinnt und nicht verliert. Für die meisten<br />
<strong>von</strong> uns hat sich beim Heimatgefühl nicht allzu viel verändert. Wer einmal für längere Zeit<br />
die Orte verlässt, wo er groß geworden ist, der merkt später oft verblüfft, wie viel sie ihm<br />
bedeuten. Heimat ist also etwas Vertrautes. Der Mensch braucht das, um das eigene<br />
„Woher und Wohin“ – um Erika Steinbach zu zitieren – zu bestimmen. Heimat gibt Halt<br />
und Orientierung zugleich.<br />
Auch in der Fremde versuchen Menschen häufig, sich wieder Vertrautes, eine neue<br />
Heimat zu schaffen. Das haben auch die Vertriebenen getan. Doch die frühere Heimat<br />
wird natürlich immer Teil der eigenen Identität bleiben. Sie lässt sich nicht einfach ablegen<br />
wie ein abgetragenes Kleid. Als Vertriebene wissen Sie dies besser als viele andere. Sie<br />
fühlen mit, wenn andernorts Menschen fliehen müssen oder vertrieben werden. Sie<br />
wissen, wie wichtig ein unermüdlicher Kampf für die Einhaltung <strong>von</strong> Menschenrechten und<br />
gegen Unrechtsregime, Krieg, Gewalt und Vertreibung ist. Gerade für dieses Engagement<br />
möchte ich Ihnen ganz ausdrücklich danken.<br />
Wir führen heute manchmal Diskussionen, ob wir uns das eigentlich zutrauen – ich betone<br />
sogar etwas stärker: ob wir uns das leisten können. Ich glaube, aus unserer Geschichte<br />
heraus dürfen wir nie in eine Lage geraten, in der wir wirtschaftlichen Erfolg und<br />
Menschenrechte als etwas nicht Vereinbares hinstellen. Wir als Deutsche müssen gerade<br />
dafür kämpfen, dass beides miteinander vereinbar wird.<br />
Meine Damen und Herren, Ihr stetes Erinnern an die schrecklichen Geschehnisse der<br />
Vertreibung ist immer zugleich Mahnung: So etwas darf nicht mehr geschehen. Das ist<br />
Ihre Botschaft für die Zukunft. Mit dieser Botschaft helfen Sie, aus den dunklen<br />
Erfahrungen der Vergangenheit heraus eine bessere Zukunft zu bauen – auch für andere.
Es ist meine feste Überzeugung: Wer dies tut, der hat den Auftrag der Geschichte<br />
verstanden.<br />
5<br />
Wenn wir uns darauf einlassen, das zu verstehen, dann beginnen wir die tiefe Dimension<br />
der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ zu erahnen. Sie wurde noch unmittelbar<br />
unter dem Eindruck <strong>von</strong> Flucht und Vertreibung 1950 in Stuttgart verabschiedet. Wie so<br />
vieles, was in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg an Visionärem geschah, ist<br />
auch diese Charta etwas Einzigartiges. Mit ihr haben die Vertriebenen Rache und Gewalt<br />
abgeschworen. Mit ihr haben sie erkannt, dass es die europäische Einigung ist, die den<br />
Weg in die Zukunft weist. Heute wissen wir: Was in der Charta 1950 fast visionär<br />
vorausgesehen wurde, das ist jetzt in einem hohen Maße für uns alle Realität.<br />
Die Bedeutung einer gemeinsamen Mitgliedschaft in der Europäischen Union zusammen<br />
mit unseren östlichen Nachbarländern, die Bedeutung eines geeinten Europa kann gar<br />
nicht hoch genug geschätzt werden. Bei aller Mühsal – ich habe nun auch schon einige<br />
Nächte mit Europa verbracht – ist Europa dann doch die Mühe wert, weil es alternativlos<br />
ist und weil es <strong>von</strong> denen, die unser Land aufgebaut haben, schon so als Vision gesehen<br />
wurde.<br />
Meine Damen und Herren, wenn im Dezember die Grenzkontrollen zu unseren östlichen<br />
Nachbarn fallen, dann gehen wir wieder einen großen Schritt aufeinander zu. All das war<br />
noch vor fast 20 Jahren kaum vorstellbar. Für mich grenzt es auch heute immer wieder –<br />
der Bundesinnenminister weiß, wo<strong>von</strong> ich rede – an ein Wunder.<br />
Bei allem vergessen wir nicht: Viele der heutigen Bewohner in den ehemaligen deutschen<br />
Gebieten sind selbst Vertriebene, zum Beispiel aus den früheren polnischen Ostgebieten.<br />
Vertreibung bedeutet für jeden betroffenen Menschen großes persönliches Leid. Auch die<br />
Kinder der Vertriebenen, selbst wenn sie Vertreibung nicht oder nicht bewusst erlitten<br />
haben, haben oftmals das Gefühl, zwischen zwei verschiedenen Welten aufzuwachsen:<br />
der Welt der Eltern, die ihre alte Heimat verloren haben, und der Welt einer neuen<br />
Heimstatt mit zum Teil anderen Lebensweisen und einem anderen Dialekt. Zwischen<br />
beiden Welten gab es einen schmerzhaften, für Kinder oft nur spürbaren, aber nicht<br />
begreifbaren Bruch. Als Erwachsene wollen sie heute begreifen, sie wollen verstehen.
6<br />
Wir alle spüren: Auch Menschen, deren Familie nicht betroffen war, interessieren sich<br />
zunehmend für die Geschehnisse unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges –<br />
nicht zuletzt aus dem Bewusstsein heraus, dass diese Teil der Geschichte unseres ganzen<br />
Landes sind. Es gibt heute ein intensives Bedürfnis, <strong>von</strong> den damaligen Ereignissen zu<br />
erzählen und sie zu dokumentieren. Ich freue mich, dass diesem Bedürfnis in den letzten<br />
Jahren vermehrt Raum gegeben worden ist – durch Spielfilme, durch Literatur, durch<br />
verschiedene Dokumentationen. Die Vertriebenen und der BdV leisten hier wichtige<br />
Beiträge zur Bewahrung der Erinnerung.<br />
Denn es ist leider wahr: Flucht und Vertreibung sind keine überwundenen Ereignisse der<br />
Geschichte. Wir wissen, sie sind heute in unserer Welt immer noch erschreckende<br />
Realität. Gerade deshalb hat die gesellschaftliche und historische Aufarbeitung <strong>von</strong> Flucht<br />
und Vertreibung für die Bundesregierung große Bedeutung. Wir wollen dem breiten<br />
Bedürfnis nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft Rechnung tragen. Unser Ziel ist,<br />
dafür einen angemessenen und würdigen Weg zu finden – auch im Dialog mit unseren<br />
östlichen Nachbarn.<br />
Ich denke, nach unzähligen intensiven Gesprächen sind wir auf einem guten Weg, in<br />
Berlin ein „sichtbares Zeichen“ zu errichten, <strong>von</strong> dem Sie, Frau Steinbach, gesagt haben,<br />
dass es noch nicht so sichtbar ist, wie Sie sich das wünschen. Wir haben uns das aber im<br />
Koalitionsvertrag vorgenommen und wir werden das umsetzen.<br />
Für die Bundesregierung engagiert sich Staatsminister Neumann sehr für dieses Projekt.<br />
Es sind umfangreiche Vorarbeiten erfolgt. Wir haben gemeinsame Gespräche geführt. Ich<br />
habe Gespräche mit dem BdV geführt. Ich darf Ihnen sagen: Ich bin da<strong>von</strong> überzeugt, in<br />
Kürze werden wir ein Konzept vorlegen. Ich habe die Idee immer unterstützt und werde<br />
das auch weiterhin tun. Ich bin mir ganz sicher, wir werden die letzten Schritte auch noch<br />
gemeinsam schaffen.<br />
Meine Damen und Herren, der kulturelle Reichtum der früheren deutschen Ostgebiete ist<br />
ein unauslöschlicher Teil der deutschen Kulturgeschichte. Die deutsche politische<br />
Geschichte, die Wissenschaftsgeschichte und die Literatur sind untrennbar mit den<br />
ehemaligen deutschen Ostgebieten verbunden, auch wenn diese unwiderruflich nicht<br />
mehr Teil Deutschlands sind.
7<br />
Wir wissen: Die gesamte Erinnerungsarbeit der Heimatvertriebenen und des BdV war <strong>von</strong><br />
Anfang an alles andere als eine leichte Aufgabe. Im Nachkriegsdeutschland wurden<br />
Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen, das Sudetenland, Siebenbürgen oder<br />
Donauschwaben für viele allmählich immer mehr zu abstrakten und schemenhaften<br />
Begriffen. Heute aber sehen wir zunehmende Kontakte nach Polen, Tschechien, Ungarn<br />
und ins Baltikum. Das Kulturerbe erfahren wir immer mehr als europäisches Erbe. Dass<br />
das so ist, haben wir auch dem beständigen Engagement und der<br />
Versöhnungsbereitschaft der Vertriebenen zu verdanken. Sie waren und sie sind nicht<br />
selten Schrittmacher für mehr Austausch und für mehr Verständigung.<br />
Heute reisen deutsche, polnische und tschechische Jugendliche geradezu<br />
selbstverständlich durch Europa. Sie lernen, studieren und feiern gemeinsam, sie lernen<br />
sich näher kennen. In Umfragen äußern sie ziemlich ähnliche Wünsche und Ziele für ihre<br />
Zukunft. Für sie ist es heute kaum mehr vorstellbar, dass noch vor etwas mehr als<br />
60 Jahren Krieg, Gewalt und Hass das Verhältnis zwischen ihren Völkern prägten.<br />
Meine Damen und Herren, der Bund der Vertriebenen hat durch sein frühes und<br />
vielfältiges Wirken einen bedeutsamen Beitrag zur Verständigung geleistet. Die<br />
Landsmannschaften als Gliederungen des BdV tragen mit ihrem Erfahrungsschatz<br />
besonders dazu bei, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa zu<br />
bewahren und sie weiter zu verbreiten. Für den vielfach ehrenamtlich und in<br />
tausendfacher Weise geleisteten Einsatz möchte ich Ihnen an dieser Stelle ganz, ganz<br />
herzlich danken.<br />
Sie wissen, die Bundesregierung fördert Ihr Engagement seit vielen Jahren. Unter dieser<br />
Bundesregierung mit Kulturstaatsminister Neumann wurde die Förderung im Jahre 2006<br />
erstmals wieder erhöht. Wir unterstützen gemeinsam mit den Ländern insbesondere die<br />
museale Präsentation <strong>von</strong> Kultur und Geschichte der Deutschen im Osten.<br />
Regionalmuseen über Ost- und Westpreußen, über Siebenbürgen und über die<br />
Geschichte der Donauschwaben befinden sich in Lüneburg, in Münster, in Gundelsheim<br />
und in Ulm. Im Jahr 2005 wurde das Pommersche Landesmuseum in Greifswald eröffnet<br />
und zuletzt 2006 das Schlesische Museum in Görlitz.
8<br />
Der Bund fördert gezielt auch die kulturelle Breitenarbeit, den Erhalt <strong>von</strong> Denkmälern, die<br />
kulturelle Präsentation und die wissenschaftliche Bearbeitung der Thematik. Es ist für uns<br />
ein besonderes Anliegen, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte <strong>von</strong> Regionen<br />
wie Schlesien oder Ostpreußen und deren Erforschung im Dialog mit unseren östlichen<br />
Nachbarn erfolgt. Erst dadurch wird erkennbar, welchen Beitrag gerade diese Regionen<br />
zur Kultur Europas insgesamt geleistet haben. Damit leisten wir einen gemeinsamen<br />
Beitrag dazu, dass das europäische Erbe bewahrt wird.<br />
Die Landsmannschaften ermöglichten <strong>von</strong> Anfang an die Pflege der Kulturen der<br />
unterschiedlichen Herkunftsgebiete. Sie gaben Zusammenhalt und geistige Heimat für ihre<br />
Mitglieder. Das war auch wichtig für die Integration in die neu gefundene Heimstatt, denn<br />
nur wer sich mit seiner Herkunft und Geschichte akzeptiert fühlt, hat auch die Kraft und ist<br />
bereit, sich in eine andere Gesellschaft zu integrieren. Die Vertriebenen haben dies<br />
erfolgreich getan.<br />
Deshalb begrüße ich es auch außerordentlich, dass der Bund der Vertriebenen seit vielen<br />
Jahren auch bei der Umsetzung der Integrationspolitik der Bundesregierung ein<br />
verlässlicher Partner ist. Das gilt insbesondere für die Integration der <strong>Aussiedler</strong> und<br />
Spätaussiedler. Mit langjährigen praktischen Erfahrungen bringen Sie sich bei der<br />
Eingliederung <strong>von</strong> Zuwanderern ein und leisten Vorbildliches. Auch dies wäre ohne das<br />
Ehrenamt überhaupt nicht möglich. Betreuerinnen und Betreuer stehen ständig zur<br />
Verfügung. Sie geben den Neuankömmlingen Rat und zeigen hohes Einfühlungsvermögen<br />
bei den ersten Schritten in der neuen Heimat.<br />
Das heutige Jubiläum möchte ich deshalb auch zum Anlass nehmen, Ihnen für Ihr<br />
Mitwirken, Ihre rege ehrenamtliche Tätigkeit und die ab und zu durchaus auch kritische<br />
Begleitung der Integrationspolitik der Bundesregierung zu danken. Ich baue weiterhin<br />
darauf, dass Sie mit uns eng zusammenarbeiten, denn – das sage ich ganz<br />
unvoreingenommen – wir brauchen Ihren Rat, Ihre Begleitung, Ihr Wissen und auch Ihre<br />
Emotionen.<br />
Ich glaube, Sie alle dürfen heute stolz sein auf 50 Jahre, in denen der BdV und seine<br />
Mitglieder ein Stück Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mitgeschrieben haben.<br />
Lassen Sie uns gemeinsam weiter an der Gestaltung der Zukunft in einem geeinten
Europa in Frieden und Freiheit zusammenwirken. Ich zähle und baue auf Ihre weitere<br />
Unterstützung und sage Ihnen einen fairen, ehrlichen und herzlichen Dialog zu.<br />
Einen schönen Feiertag noch für Sie!<br />
9<br />
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