RZ HOPE Tagungsband.indd - Hope Congress Munich 2010
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7. Europäischer<br />
<strong>HOPE</strong> Kongress <strong>2010</strong><br />
zu Pädagogik bei Krankheit<br />
TAGUNGS-<br />
BAND<br />
„Das kranke Kind - aufgehoben im<br />
Netzwerk von Pädagogik und Medizin“<br />
München<br />
03.– 07.11.<strong>2010</strong><br />
www.hope<strong>2010</strong>munich.eu
Vorwort Schirmherrschaft<br />
2 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
3<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />
Sehr geehrte Damen und Herren!<br />
Wir freuen uns, Ihnen den <strong>Tagungsband</strong> des 7. <strong>HOPE</strong> Kongresses zu Pädagogik<br />
bei Krankheit mit dem Thema „ Das kranke Kind - aufgehoben im<br />
Netzwerk von Pädagogik und Medizin“ hiermit vorlegen zu können.<br />
In dieser Fassung sind die Vorträge, Darstellungen von Workshops und Ergebnisse<br />
von Foren zusammengefasst, die uns bei Drucklegung vorlagen,<br />
bzw. freigegeben oder übersetzt waren. Diese und weitere Beiträge werden<br />
Sie demnächst auf der Website des Kongresses www.hope<strong>2010</strong>munich.eu<br />
finden.<br />
Unser Ziel war es, die Notwendigkeit und Vielgestaltigkeit eines schützenden<br />
Netzwerks aufzuzeigen, das für kranke Kinder, ihre Familien und ihr<br />
schulisches und soziales Umfeld geknüpft werden muss. Krankheiten und<br />
Krisen dürfen den Weg in eine gute Zukunft nicht versperren. Medizin und<br />
Pädagogik sind dabei reale Partner, nicht zu vergessen ist auch die Rolle<br />
der Politik.<br />
Die Tagung wurde mit einem abendlichen Empfang eröffnet, zu dem der<br />
Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Dr. Ludwig Spaenle,<br />
in den Kaisersaal der Residenz geladen hatte.<br />
Die beiden folgenden Tage begannen jeweils mit Vorträgen am Vormittag,<br />
denen nachmittags Workshops, thematische Foren und weitere Fachvorträge<br />
folgten. Entsprechend dem professionellen Netzwerk waren auch<br />
mehrere Standorte zusammengebunden worden. Der Festsaal des Alten<br />
Rathauses der Landeshauptstadt München, die Kinderklinik Schwabing<br />
der Technischen Universität München mit der Bandbreite aller medizinischen<br />
Bereiche und das Heckscher-Klinikum als Fachklinik für Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.<br />
Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion, in der noch einmal verschiedene<br />
Blickwinkel auf ein gemeinsames Ziel deutlich wurden: Die Verbesserung<br />
der Bildungsversorgung für erkrankte Kinder und Jugendliche.<br />
Zusammengefasst sind die sich ergebenden Aufgaben in den Ergebnissen<br />
der Perspektiven Foren und in 12 Münchner Thesen.<br />
Wir freuten uns über zahlreiche positive Rückmeldungen der Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer. Und wir sehen erwartungsvoll dem nächsten <strong>HOPE</strong><br />
Kongress 2012 in Amsterdam entgegen.<br />
Abschließend hoffen wir, dass Sie beim Durchlesen des <strong>Tagungsband</strong>es<br />
Ihr fachliches Interesse vertiefen und die freundschaftliche Atmosphäre<br />
dieser Tage in München wieder aufleben lassen können. Annähernd 400<br />
Teilnehmer aus 33 Ländern trugen zu einem sehr regen internationalen<br />
Austausch bei, der auch uns Gastgebern so viel Freude bereitete.<br />
Elisabeth Meixner-Mücke Maria Schmidt<br />
Dezember <strong>2010</strong><br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
wenn Menschen schwer erkranken, dann reißt es sie oft aus ihrem gewohnten<br />
sozialen Umfeld, aus ihrem Arbeitsleben, häufig auch aus ihrem<br />
Freundes- und Familienkreis heraus. Besonders schlimm ist dies, wenn<br />
Kinder betroffen sind, die noch ganz am Anfang ihres Lebensweges stehen,<br />
die noch so viel vor sich haben, denen noch bis vor kurzem die Welt<br />
offen stand.<br />
In guter Absicht werden diese Kinder zu Hause oder im Krankenhaus nach<br />
bestem Wissen und Gewissen gepflegt und betreut. Die Schule und das<br />
Lernen verschiebt man auf später, der Zugang zu Bildung genießt oft weniger<br />
Priorität.<br />
Zuweilen geraten Kinder jedoch gerade durch solch vermeintliche Erleichterung<br />
in eine psychosoziale Krise, die die Bewältigung der körperlichen<br />
Krankheit nur noch schwerer macht. Ihnen fehlt das gewohnte Umfeld, das<br />
sie fordert und fördert, ihnen Anerkennung und Beteiligung zuteil werden<br />
lässt, indem sie aktiv ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler ausfüllen.<br />
Auch dies trägt zur physischen und psychischen Gesundung bei.<br />
Deshalb brauchen kranke und besonders chronisch, langzeiterkrankte<br />
Kinder eine individuelle pädagogische Unterstützung, um den Kontakt zu<br />
ihrer Heimatklasse zu erhalten und sowohl vom Lerninhalt her als auch in<br />
sozialer Hinsicht mithalten zu können.<br />
Dabei kommt es darauf an, dass sich alle am Lern- und Genesungsprozess<br />
Beteiligten zusammentun und den Kindern diesen Weg ermöglichen.<br />
Im Sinne einer wirklichen freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und einer<br />
gleichberechtigten Teilhabe, ist unsere moderne Gesellschaft dies den<br />
Kindern schuldig.<br />
Eva Luise Köhler
Spender & Sponsoren Organisationsteam<br />
4 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
5<br />
Wir danken folgenden Institutionen und<br />
Firmen für ihre Unterstützung<br />
MEDIA<br />
WEBBIte<br />
Wir programmieren Sie auf Erfolg<br />
STUDIO<br />
PHILIPP RÖCHLING<br />
GRAFIK/CORPORATE/<br />
WEB/DESIGN<br />
Schnorr-von-Carolsfeld-Str. 5a<br />
81927 München<br />
Koordinator zur EU<br />
Alto Merkt<br />
Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission fi -<br />
nanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung (Mitteilung)<br />
trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere<br />
Verwendung der darin enthaltenen Angaben.<br />
Titel:<br />
7. <strong>HOPE</strong> Kongress <strong>2010</strong> in München. Das kranke Kind aufgehoben im<br />
Netzwerk zwischen Pädagogik und Medizin.<br />
Rechtlicher Vertreter:<br />
Förderverein Schule für Kranke München e.V<br />
Dolores Waldschmidt<br />
Kölner Platz 1 - Haus 22<br />
80804 München<br />
Tel: +49 (0) 89 – 3068 3979<br />
www.foerderverein-schule-fuer-kranke.de<br />
Veranstalter:<br />
<strong>HOPE</strong> Sektion Deutschland<br />
c/o Maria Schmidt<br />
Schule für Kranke Ludwigsburg<br />
Kinderklinik - Posilipostr. 4<br />
71640 Ludwigsburg<br />
Tel: +49 (0) 7141– 9966 171<br />
Fax: +49 (0) 7141– 9966 179<br />
postmaster@casa.s.shuttle.de<br />
www.hospitalteachers.eu<br />
Staatliche Schule für Kranke München<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Kölner Platz 1 - Haus 22<br />
80804 München<br />
Tel: +49 (0) 89 – 3068 3978<br />
Fax: +49 (0) 89 – 3068 3977<br />
sekretariat@sfk.musin.de<br />
www.schule-fuer-kranke.de<br />
Schule an der Heckscher-Klinik<br />
Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />
Deisenhofener Str. 28<br />
81539 München<br />
Tel: +49 (0) 89 – 9999 1501<br />
Fax: +49 (0) 89 – 9999 1503<br />
info@schule.heckscher-klinik.de<br />
www.heckscher-klinik.de<br />
Elisabeth Fuchsenberger<br />
Ulrike Kalmes<br />
Erhard Karl<br />
Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />
Gerrit Mazarin<br />
Mona Meister<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Alto Merkt<br />
Ralph Peters<br />
Nina Röchling<br />
Bernhard Ruppert<br />
Maria Schmidt<br />
Rita Wagner<br />
Redaktion:<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Maria Schmidt<br />
Layout und Satz:<br />
Philipp Röchling<br />
info@philipproechling.de<br />
www. philipproechling.de<br />
Druck:<br />
fl yeralarm GmbH<br />
Alfred-Nobel-Str. 18<br />
97080 Würzburg<br />
Impressum<br />
Die Verantwortung für die Inhalte liegt bei dem<br />
jeweiligen Verfasserinnen und Verfassern.
Inhalt 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
Inhalt<br />
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104<br />
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I. Begrüßungen<br />
- Köhler<br />
- Spaenle<br />
- Falk-Schalk<br />
- Waldschmidt<br />
- Schmidt<br />
- Meixner-Mücke/Kohtz-Heldrich<br />
- Zwei Mütter<br />
II. Reden<br />
- Polzer<br />
- Burdach<br />
- Freisleder<br />
- von Hofacker<br />
- Rohde<br />
- Hoanzl<br />
- Führer<br />
- Hillenbrand<br />
- Oelsner<br />
- Ehrich<br />
III. Workshops und Foren<br />
- Wolf<br />
- Sanamyan<br />
- Frommelt/Wagner/Lehnerer<br />
- Huber A.<br />
- Seidel<br />
- Webster<br />
- Häcker<br />
- Gerber<br />
- Diallo<br />
- Teichert von Lüttichau/Kreutzer/Winkler<br />
- Laurinck/Ettenreich-Koschinsky/Rüth<br />
- Rieger<br />
- Huppert<br />
- Glauz/Schneider<br />
- Napp<br />
- Kalmes/Ramsauer<br />
- Weber/Welling/Steins<br />
- Wölfl<br />
- Jones<br />
- Ruppert<br />
- Aulin<br />
- Ramminger<br />
- Noterdaeme<br />
- Huber W./Schmidt<br />
- Tarquini/Passoni/Pertici<br />
- Becan<br />
- Kalmes/Ruppert<br />
- Fuchsenberger<br />
- Sobanski<br />
- Lizasoain<br />
- Sherlock/Marinho/Irigaray<br />
- Walser<br />
- Wittmann<br />
- Walser<br />
- Lantzsch/Ramminger<br />
- Falk-Schalk<br />
- Meister/Voigt<br />
- Brunander/Karelid/Lindberg/Nordenjack<br />
- Beste<br />
106<br />
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112<br />
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131<br />
136<br />
136<br />
138<br />
IV. Zusammenfassung/Ergebnis/Ausblick<br />
- Meixner-Mücke<br />
- Oelsner<br />
- Münchner Thesen<br />
V. Presse/Echo<br />
Presse Inland<br />
- Merkt<br />
- Schor<br />
- Meixner-Mücke<br />
- Schmidt<br />
Presse Ausland<br />
- Schmidt<br />
- Australien „H.E.L.P.“<br />
- Molier<br />
VI. Register<br />
- Titel/Verfasser
I. Begrüssungen I. Begrüssungen<br />
8 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
9<br />
Eva Luise Köhler<br />
Grußwort gelesen in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />
Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />
als Schirmherrin dieser Tagung möchte ich Sie herzlich grüßen, insbesondere<br />
auch den Gastgeber dieses Abends, Herrn Minister Dr. Spaenle, sowie<br />
Herrn Minister Dr. Luksicč aus Slowenien, die zahlreichen Vertreter von Kultusministerien,<br />
Schulbehörden und privaten Initiativen aus dem In- und Ausland,<br />
besonders auch des Fördervereins Schule für Kranke München e.V.,<br />
die beiden Schulleiterinnen und die Vertreter von <strong>HOPE</strong>.<br />
Warum sollte ein krankes Kind Unterricht erhalten? - Stellen wir die Frage<br />
anders: Warum sollte ein Kind Unterricht erhalten? - Die Antwort ist nicht<br />
allein, weil es Vorbereitung ist auf das Leben, sondern vor allem, weil - wie<br />
für jeden Menschen - Lernen das Leben selbst bedeutet.<br />
Aus diesem Grund hat jedes Kind ein natürliches Recht auf Bildung. Das<br />
Motto dieses Kongresses greift diesen Gedanken auf: Das kranke Kind -<br />
aufgehoben in einem Netzwerk von Medizin und Pädagogik.<br />
Zahlreiche öffentliche Resolutionen postulieren das Recht des Kindes auf<br />
Bildung und ermahnen uns, benachteiligte und ausgegrenzte Kinder mit<br />
einzubeziehen. So hat z.B. die Europäische Union das Jahr <strong>2010</strong> zum ‚Europäischen<br />
Jahr der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen‘<br />
und meint damit auch Ausgrenzung von Bildungsmöglichkeiten. Zu<br />
dem Kreis der potenziell Ausgegrenzten gehört auch die zunehmende Zahl<br />
an Kindern und Jugendlichen mit chronischen oder langwierigen Krankheiten,<br />
ebenso diejenigen, die psychotherapeutischer Intervention bedürfen.<br />
Die Lehrerinnen und Lehrer, die heute hier versammelt sind, setzen diese<br />
Idee, durch Bildungsangebote die Ausgrenzung zu vermeiden, in alltäglicher<br />
Praxis um.<br />
Sie - und Vertreter anderer Berufsgruppen - sind heute hier versammelt.<br />
Aus ganz Europa und aus Ländern weit außerhalb Europas sind Sie nach<br />
München gekommen, um in den kommenden Tagen für ihre Arbeit Neues<br />
zu lernen, Erfahrungen auszutauschen und mit neuen Ideen heimzureisen.<br />
Ich wünsche Ihnen allen fruchtbare und bereichernde Tage.<br />
Dr. Ludwig Spaenle<br />
Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus<br />
Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />
Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />
„Hoffnung und Freude sind die besten Ärzte.“<br />
Diese Feststellung von Wilhelm Raabe meint keineswegs, dass die klinische<br />
Behandlung von Krankheiten nachrangig ist. Medizinisches Fachpersonal<br />
ist absolut nötig!<br />
Aber es kommt auf die ganze Persönlichkeit des Erkrankten an – und daher<br />
auch auf die Psyche.<br />
Der siebte <strong>HOPE</strong>-Kongress, der heute beginnt, trägt das Motto: „Das kranke<br />
Kind – aufgehoben im Netzwerk von Medizin und Pädagogik“.<br />
Das Motto greift genau diesen ganzheitlichen Ansatz auf:<br />
• Denn hier wird die medizinische Versorgung der Erkrankung ebenso in<br />
den Blick genommen<br />
• wie die sozialen und intellektuellen Bedürfnisse: Schulunterricht – auch<br />
in schweren gesundheitlichen Krisen – kann dazu einen wichtigen Beitrag<br />
leisten.<br />
Denn der Unterricht hat zwei sehr positive Nebeneffekte:<br />
• Die schulische Situation bringt Freude – da sie ein Stück normalen Alltag<br />
ins Krankenhaus trägt: Diese psychische Komponente darf für den Heilungsprozess<br />
auf keinen Fall unterschätzt werden!<br />
• Und: <strong>HOPE</strong> ist nicht zufällig das Akronym der „Hospital Organisation of<br />
Pedagogues in Europe“, Ausrichter dieses Kongresses und seit mehr als<br />
zwei Jahrzehnten engagiert für die Schulrechte des kranken Kindes.<br />
Mit der schulischen Normalität im Ausnahmezustand Krankheit verknüpft<br />
sich – zusammen mit der medizinischen Behandlung – auch Hoffnung: Sie<br />
eröffnet die Perspektive auf ein Leben außerhalb der Klinik, und dass dieses<br />
für die Kinder und Jugendlichen wieder einmal wirklich normal sein wird.<br />
Schulische Bildung für kranke Kinder und Jugendliche – dieses Thema ist<br />
daher überaus wichtig.<br />
Und es ist so komplex, dass es nur in Zusammenarbeit vieler Beteiligter<br />
angemessen behandelt werden kann.<br />
• Deshalb freue ich mich, dass Vertreterinnen und Vertreter aller beteiligten<br />
Fachrichtungen nach München gekommen sind – aus Pädagogik,<br />
Psychologie und Medizin.<br />
• Referentinnen und Referenten aus ganz Europa – ja sogar darüber hinaus<br />
– beweisen, dass es sich hier um ein grenzübergreifendes Thema<br />
handelt.<br />
Ich bin mir sicher: Der Kongress verleiht durch den Austausch von Erfahrungen,<br />
Best practice und neuer Forschungsergebnisse dem Bestreben<br />
wichtige Impulse, die Verbindung von pädagogischer und medizinischer<br />
Zuwendung für kranke Kinder zu verbessern.<br />
Ich bin mir als Bayerischer Kultusminister der Tatsache bewusst, dass es<br />
dafür auch von politischer Seite passende Rahmenbedingungen braucht.<br />
In Deutschland haben wir die bildungspolitische Bedeutung der Schulen<br />
für das kranke Kind recht früh erkannt und zu einem gemeinsamen Anliegen<br />
der Kultusminister aller 16 Länder gemacht:<br />
• Bereits 1998 hat die Kultusministerkonferenz damals wegweisende<br />
Empfehlungen zum Förderschwerpunkt „Unterricht kranker Schülerinnen<br />
und Schüler“ veröffentlicht.<br />
• Die dadurch entstandene Zusammenarbeit zwischen den Ländern gilt<br />
es im Sinn des Wohls der kranken Kinder, ihrer Geschwister und Eltern<br />
weiter auszubauen.<br />
• Die Zusammenarbeit ist schon deshalb nötig, da die bestmögliche medizinische<br />
Versorgung nicht an Landesgrenzen haltmacht:<br />
In der Regel stammt ein Viertel der Schülerinnen und Schüler an den bayerischen<br />
Schulen für Kranke aus anderen Bundesländern. In Einzelfällen<br />
besuchen sogar Kinder aus dem Ausland diese Einrichtungen.<br />
Es ist daher ein wichtiges Zeichen, dass hier Vertreter aller deutschen Länder<br />
anwesend sind!<br />
Es ist meine feste Überzeugung: Alle Kinder und Jugendlichen haben ein<br />
Recht auf bestmögliche Bildung – das ist eine zentrale Forderung von Bildungsgerechtigkeit<br />
und -teilhabe! Dies gilt gerade im Fall einer schweren<br />
Krankheit – sei diese psychisch oder körperlich, chronisch oder hochakut.<br />
Die Krankheit verändert das Leben grundlegend und bedeutet für die Betroffenen<br />
eine gravierende Einschränkung ihrer Lebensqualität:<br />
• Sie leben oft über lange Zeit in einer Klinik,<br />
• getrennt von Familie und Freunden,<br />
• herausgerissen aus dem Alltag<br />
• und manchmal schwer belastet durch ihre gesundheitlichen Probleme.<br />
In dieser äußerst schwierigen Situation kommt der Schule für Kranke eine<br />
besondere Bedeutung zu:<br />
• Sie kann dabei helfen, einen Funken Normalität in den klinischen Alltag<br />
zu tragen.<br />
• Und sie schafft die Voraussetzung dafür, den schulischen Bildungsweg<br />
fortzusetzen: Orientiert an den individuellen Lernvoraussetzungen und<br />
den medizinischen Gegebenheiten, wird sie dem Bildungsanspruch der<br />
Schülerinnen und Schüler gerecht.<br />
• Ihr Ziel ist es, dass die Kinder – trotz ihrer Krankheit weiter motiviert<br />
lernen,č den schulischen Anschluss behalten, und nach Möglichkeit in<br />
die Heimatschule bzw. in die eigene Klasse zurückkehren.<br />
Auch für die betroffenen Eltern bedeutet die „Schule für Kranke“ eine Erleichterung.<br />
Von den vielen Sorgen, die diese Familien begleiten, ist ihnen<br />
zumindest die um den schulischen Weg ihres Kindes genommen.<br />
Gerade in einer Zeit, die von der Diskussion um Inklusion und die gleichberechtigte<br />
Teilhabe aller Menschen am Bildungsprozess geprägt ist, gewinnt<br />
die „Schule für Kranke“ an Bedeutung.<br />
Eine ganz wichtige Aufgabe ist dabei die Zusammenarbeit mit der Heimatschule:<br />
• Zusammen mit den dortigen Lehrkräften wird das individuelle Bildungsangebot<br />
bestimmt.<br />
• Und auch der wichtige soziale Kontakt zwischen dem erkranken Kind mit<br />
der Heimatklasse soll bestehen bleiben.<br />
Die Schule für Kranke ist zudem in besonderer Weise in beratender Funktion<br />
gefordert:<br />
• Das betrifft die Konzeption der schulischen Rahmenbedingungen – von<br />
der Behandlung im Krankenhaus bis zur Rückkehr an die Heimatschule.<br />
• In manchen Fällen geht es dabei auch um Schullaufbahnberatung.<br />
• Und bei Bedarf erarbeitet sie in Zusammenarbeit mit Ärzten, Stammschulen<br />
und Eltern auch Empfehlungen zum Nachteilsausgleich.<br />
Diese Leistungen werden in den letzten Jahren immer stärker nachgefragt:<br />
Seit dem Jahr 2000 ist die Schülerzahl an Schulen für Kranke in Bayern um<br />
fast 23 % gestiegen. Die Gründe dafür liegen –<br />
• zum einen in den stetig wachsenden Schülerzahlen in den Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrien,<br />
• zum anderen in den verbesserten Therapiemöglichkeiten für schwer erkrankte<br />
Kinder.<br />
Diese jungen Menschen und ihre Familien in ihrer schwierigen Situation<br />
zu unterstützen ist uns eine Verpflichtung vor unserem christlichen Werteverständnis:<br />
„Das kranke Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik und Medizin“<br />
– das ist uns ein großes Anliegen!<br />
Ich danke allen sehr herzlich, die sich täglich für diese anspruchsvolle Aufgabe<br />
engagieren:<br />
• Pädagogen, Ärzten und medizinischem Personal,<br />
• den Eltern und Angehörigen<br />
• den Förderern<br />
• und den Vertretern der Verbände aus Politik, Verbänden und Gesellschaft.<br />
Große Anerkennung gebührt auch dem Team an der „Schule für Kranke<br />
München“ für die Planung und Durchführung des Kongresses.<br />
Knüpfen Sie heute Abend das Netzwerk von Medizin und Pädagogik enger!<br />
Dazu wünsche ich Ihnen anregende und interessante Gespräche.<br />
Gerd Falk-Schalk<br />
Präsidentin von <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation of Pedagogues in Europe)<br />
Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />
Mein Name ist Gerd Falk-Schalk und ich vertrete hier als Präsidentin die Organisation<br />
Hospital Organisation of Pedagogues in Europe. Zuerst möchte<br />
ich Herrn Doktor Spaenle, Staatsminister für Unterricht und Kultus hier in<br />
Bayern, recht herzlich danken für die Einladung zu diesem Festempfang, der<br />
auch den Anfang unseres 7. <strong>HOPE</strong>-Kongresses ausmacht.<br />
Hoffentlich sage ich nicht zu viel, wenn ich Ihre Einladung als eine Anerkennung<br />
unserer Arbeit im Alltag mit unseren kranken oder funktionsbehinderten<br />
Schüler/innen verstehe. Ich bin sicher, dass die Kollegen und<br />
Kolleginnen aus ganz Europa und auch aus anderen Teilen unserer Welt sich<br />
mit mir freuen über diese Aufmerksamkeit.<br />
Einen besonderen Gruß an Herrn Dr. Luksic, dem Sport- und Bildungsminister<br />
aus Slowenien. Wir freuen uns Sie hier wiederzusehen. Wir sehen in Ihrer<br />
Anwesenheit hier eine Bestätigung Ihrer Freundschaft und ein geteiltes<br />
Interesse für unsere Anliegen zum Guten unserer Schüler und Schülerinnen.<br />
Dank auch an die Organisatoren deren Arbeit wir mit Spannung durch die<br />
hervorragende Webseite verfolgt haben und damit auch wissen, welche Kraftprobe<br />
hinter diesem tollen Programm steckt. Wir sind voller Erwartungen.<br />
Für noch ein paar Tage bin ich Präsidentin von <strong>HOPE</strong>. Hier offenbare ich mich<br />
nun also als eine Gerd aus dem Norden und nicht als ein germanischer Gerd.<br />
Ganz kurz zu meinem Namen möchte ich was erzählen. Ich bin ja schließlich<br />
auch Lehrerin und erzähle gerne Geschichten. Mein Name stammt aus der<br />
Nordischen Mythologie. Diese Gerd war die heiß Geliebte vom Gott Frey,<br />
dem Fruchtbarkeitsgott, dessen Namen im Wochentag Freitag noch bleibt.<br />
Ihre Liebesgeschichte dauerte nicht sehr lange. Die Gerd starb kurz nach<br />
der Heirat. Außer dem Namen habe ich keine große Ähnlichkeit mit ihr, denn<br />
sie stammte aus dem Geschlecht der Riesen und war Tochter des Riesens<br />
Gymer. Gern begegne ich aber hier meinen Namensvettern.<br />
Nun zu <strong>HOPE</strong>. Das erste Treffen von Krankenhauslehrern fand in Ljubljana<br />
in 1987 statt. Also wiederum ein Anknüpfungspunkt an das Slowenien<br />
von Herrn Luksic. Seitdem sind sich Krankenhauslehrer nicht nur an Kongressen,<br />
sondern auch an Europatagen, etlichen Seminaren und Workshoptreffen<br />
begegnet. Dabei haben wir wirklich Europa vom Süden bis Norden,<br />
Osten bis Westen durchquert.<br />
Das Resultat von den Workshops hat die Mitarbeit von unseren Schüler/<br />
innen mit einbezogen. Auch bei diesem Kongress wird ihre Arbeit als Ausstellungsmaterial<br />
oder in Workshops vorgestellt.<br />
Ein anderer Hinweis auf unsere Zusammenarbeit ist unsere Charta, die<br />
in zehn Punkten das Recht des kranken Kindes auf Bildung definiert. Die<br />
Charta wurde im Jahre 2000 bei der Generalversammlung in Barcelona angenommen.<br />
Seitdem hängt sie festgenagelt in allen Krankenhausschulen<br />
Europas, wo <strong>HOPE</strong>-Mitglieder arbeiten …oder? Wir feiern das 10- jährige<br />
Jubiläum am besten damit, die zehn Punkte nochmals zu prüfen gegen den<br />
heutigen Stand der Bildungsbedürfnisse unserer Schüler/innen und neue<br />
Regelungen oder Abkommen. An dieser Arbeit sind sie alle herzlichst eingeladen<br />
teilzunehmen. Ich sehe sehr gerne, dass meine Mailbox sich überfüllt<br />
ist mit kritischen Beobachtungen von Ihnen.<br />
Unsere Charta soll auch den Bildungsministerien Europas als Evaluierungsinstrument<br />
für den Unterricht von kranken oder funktionsbehinderten Schülern<br />
in ihren Ländern dienen.<br />
Das Motto von <strong>HOPE</strong> ist „Kontinuität in der Bildung des kranken Kindes“.<br />
Was das heißt, lässt sich auch mit der Charta definieren.<br />
Am Ende des Kongresses wollen unsere beiden Netzwerke Medizin und<br />
Schule ein Dokument zusammenstellen, das als ein Gruß an die Gesundheits-<br />
und Bildungsministerien geschickt werden soll, um sie auf noch bestehende<br />
Schwächen im Bildungsgang für die Schüler, deren Vertreter wir<br />
sind, aufmerksam zu machen. Bitte fangen Sie schon an, über den Inhalt zu<br />
reflektieren. So viel Wissen zum Thema sehen wir ja nur zum Zeitpunkt von<br />
den Kongressen gesammelt.<br />
<strong>HOPE</strong> hat auch eine Stellung als INGO (International Non Governmental<br />
Organization) beim Europarat erworben. Der Europarat wurde schon 1948<br />
gegründet, also vor der EU, und hat heute 47 Mitgliedsstaaten. Die Statuten<br />
sind sogleich auch die allgemeine Deklaration der Menschenrechte. Ihre<br />
„Regierung“ sozusagen sind die Minister des Auswärtigen Amts der Mitgliedsländer.<br />
Im Europarat läuft im Moment eine Kampagne “Raise your Hand against<br />
Smacking”. Einige von Ihnen haben schon ihren Namen online eingetragen<br />
zur Unterstützung der Kampagne gegen das Schlagen von Kindern. <strong>HOPE</strong><br />
hat einen Informationsstand in der Halle der Heckscher-Klinik. Für diejenigen,<br />
die erst jetzt von der Kampagne hören, gibt es wiederum eine Möglichkeit<br />
teilzunehmen. Machen Sie das am besten, wenn Sie sich für die<br />
Generalversammlung registrieren lassen. Die berühmte Münchnerin, Silvia<br />
Sommerlath, heute Königin von Schweden, hat schon unterschrieben. Man<br />
kommt dann mit ihr in die Hall of Fame der Kampagne.<br />
An unserem Informationsstand können Sie auch Karten, Kalender mit Zeichnungen<br />
von unseren Schülern/innen etc . (gegen eine kleine Spende) bekommen.<br />
Sie sind sehr geglückt und schön. Perfekte Weihnachtsgeschenke.
10 I. Begrüssungen 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
I. Begrüssungen<br />
11<br />
Es ist eine große Freude so viele bekannte Gesichter hier im Saal wiederzusehen.<br />
Eine Freude ist es auch, allen neuen Gesichtern zu begegnen. Zu den<br />
Neuen möchte ich sagen: Sie werden schon sehen, dass Sie gut aufgehoben<br />
werden in unserem Netzwerk. Wo sich Krankenhauslehrer treffen, herrscht<br />
eine freundliche Stimmung.<br />
Die Stellung als INGO beim Europarat sollte uns eine Möglichkeit geben,<br />
die Bedürfnisse unserer Schüler deutlich hervorzuheben. Das geht langsam.<br />
Viele Menschen wissen ja nicht mal von der Existenz dieser Schulform. Immer<br />
wieder müssen wir geduldig erklären, was wir als Krankenhaus- oder<br />
Kliniklehrer eigentlich machen. Um schneller erfolgreich arbeiten zu können,<br />
brauchen wir Freunde unter Medizinern und Politikern, die wissen, welche<br />
Bedeutung ein fortgesetzter Schulgang hat, auch für die Genesung der<br />
Patienten, unserer Schüler. Nach dem Kongress, hoffe ich, haben wir viele<br />
solche Freundschaften geknüpft.<br />
Nun lasset uns den Abend genießen. Wir danken Herrn Dr. Spaenle und der<br />
Stadt München nochmals. Morgen fängt unsere gute Zusammenarbeit an.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Dolores Waldschmidt<br />
Vorsitzende Förderverein Schule für Kranke München e. V.<br />
Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />
Guten Abend,<br />
sehr verehrte Gäste des heutigen Abends, zu dem Sie, Herr Kultusminister<br />
Dr. Spaenle, in diesen so prächtigen Teil der Residenz geladen haben.<br />
Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bedanken, dass Sie und Ihre<br />
Mitarbeiter, im besonderen Herr Ministerialrat Weigl, sich so erfreulich am<br />
Gelingen dieses wichtigen <strong>HOPE</strong>-Kongresses <strong>2010</strong> beteiligt haben und diese<br />
Eröffnungsveranstaltung, die ein würdiger Rahmen sowohl für unsere Gäste<br />
als auch für die Wichtigkeit und Brisanz der Themen, die in den nächsten<br />
Tagen besprochen werden sollen, darstellt.<br />
Willkommen heißen darf ich die Vertreterin der Hospital Organisation of<br />
Pedagogues in Europe, Frau Gerd Falk- Schalk und ihre deutsche Repräsentantin<br />
Frau Maria Schmidt, deren großer Arbeitseinsatz maßgeblich zum<br />
Gelingen dieses Kongresses beigetragen hat. Vielen Dank!<br />
Ich darf mich kurz vorstellen:<br />
Ich bin die erste Vorsitzende des Fördervereins Schule für Kranke München<br />
e.V. und verstehe mich in diesem Amt nicht nur als „Finanzierungsermöglicherin“<br />
für den Kongress <strong>2010</strong> und für den Wunschzettel der Schule für<br />
Kranke München, sondern auch als Stimme elterlichen Willens unter gegebenen<br />
Umständen anstelle des Organs „Elternvertretung“, was für andere<br />
Schulen selbstverständlich ist und an den Krankhausschulen nicht existiert.<br />
In dieser Rolle setze ich meine Kraft gerne ein für gleiche Bildungschancen<br />
auch für das kranke Kind. Gerade hier ist die individuelle Förderung mit Zeit<br />
und Raum ohne Leistungsdruck unerlässlich.<br />
Zur Debatte um die Schule von morgen gehört es, dass man der ständig<br />
steigenden Zahl von chronisch oder psychisch erkrankten Kindern und<br />
Jugendlichen durch Nachteilsausgleich und individuelle Unterrichtsversorgung<br />
während und nach der Krankheit gerecht wird.<br />
Die Gesellschaft hat die Verpflichtung und das Kind oder der Jugendliche<br />
das Recht, dass die zum gesunden Kind unterschiedlichen Lernvoraussetzungen<br />
berücksichtigt und aufgefangen werden.<br />
Unser Verein hat in den Jahren seines Bestehens vieles bewirken können.<br />
Meist in großem Einverständnis und mit Unterstützung des Kultusministeriums<br />
und vor allem dank großzügiger Spender. An dieser Stelle von ganzem<br />
Herzen Dank, dass Sie unsere Arbeit als Förderverein so großartig unterstützen.<br />
Durch Sie konnten Videokonferenz-Unterricht, zusätzlich notwendige<br />
Förderunterrichtsstunden und von einer Ärztin begleitete Heimatschulbesuche<br />
finanziert werden.<br />
Als geschäftsführend Verantwortliche dieses Kongresses <strong>HOPE</strong> <strong>2010</strong> richte<br />
ich meinen besonderen Dank an die privaten Spender wie Röchling-Stiftung,<br />
Deutsche Bank, GlaxoSmithKline, Burgmann-Stiftung, Familienstiftung Seidel<br />
, Frau Elisabteh Porzelt u.a.<br />
Stolz dürfen wir sein -und dies mit unermüdlichem Einsatz der Sonderschulrektorin<br />
Lisa Meixner-Mücke und dem Sonderschulkonrektor Alto Merkt -auf<br />
die erfolgreiche Bewerbung bei der EU, die diesen Kongress als besonders<br />
förderungswürdig eingestuft und entsprechend bezuschusst hat.<br />
Euch beiden großer Dank. Ohne Euch wäre es nicht gelungen.<br />
Bedanken darf ich mich außerdem bei Frau Sonderschulrektorin Anne<br />
Kohtz-Heldrich für die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Schulen für<br />
kranke Kinder in München anlässlich dieses Kongresses.<br />
Nun wünsche ich den Teilnehmern dieses Kongresses, Sie mögen um Vieles<br />
an Erfahrungen und Erkenntnissen bereichert in ihre Heimat zurückkehren.<br />
Den Beteiligten, die politisch oder administrativ an den Schaltstellen für<br />
fortschrittliche Entwicklung unseres Bildungssystems sitzen, wünsche ich<br />
leidenschaftlichen Austausch mit Lehrern und Ärzten, die sich tagtäglich<br />
der Aufgabe der individuellen Förderung am Krankenbett stellen.<br />
Ich bin glücklich nach 2 Jahren intensiver Vorbereitungszeit auf heute und<br />
die nächsten Tage in München blicken zu dürfen.<br />
Maria Schmidt<br />
Vorsitzende der <strong>HOPE</strong>-Sektion Deutschland<br />
Begrüssung im Alten Rathaussaal am 4. November <strong>2010</strong><br />
Guten Morgen, verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
liebe Freunde,<br />
für die deutsche Sektion von <strong>HOPE</strong> möchte ich Sie alle, die Sie heute hier<br />
versammelt sind, herzlich willkommen heißen.<br />
Dieser Kongress ist die Krönung einer Idee, die im Jahr 2007 entstand, und<br />
die heute - mit der Hilfe von sehr vielen - ihre Früchte trägt.<br />
Als ich vor vielen Jahren meine Arbeit als Lehrerin im Krankenhaus begann,<br />
war einer meiner ersten Schüler ein 16-Jähriger, der nach einem Unfall vom<br />
Hals an abwärts querschnittsgelähmt war. Dieses Unglück war kurz vor seiner<br />
Abschlussprüfung, der Mittleren Reife, passiert. Er konnte auch seine<br />
Hände nicht mehr bewegen und damit auch nicht mehr schreiben, zu den<br />
Unfallfolgen gehörten noch eine ganze Reihe anderer Behinderungen, darunter<br />
epileptische Anfälle.<br />
Aber er bestand darauf, dass er ‚seine‘ Prüfung machen wollte, um seinen<br />
‚Pass‘ für das Leben als Erwachsener zu erhalten und damit für eine berufliche<br />
Laufbahn. - Aber wie? Computer waren damals noch selten in Schulen,<br />
es gab keine Spracherkennung und Ähnliches. Zusätzlich kam er aus einem<br />
anderen Bundesland, einer anderen Schulhierarchie. Meine ersten Schritte<br />
in das neue Berufsfeld waren also, mit dem Kultusministerium eines anderen<br />
Bundeslandes Kontakt aufzunehmen und zu verhandeln, wie dieser<br />
Jugendliche die Anforderungen einer staatlichen Abschlussprüfung erfüllen<br />
konnte, die seinen Bedürfnissen Rechnung trug. - Das war vor rund 20 Jahren,<br />
und der Schüler kam aus Bayern. (Er bestand die Prüfung übrigens mit<br />
großem Erfolg.)<br />
Ich bin deshalb ganz besonders froh, dass sich hier der Kreis schließt und<br />
wir diese Tagung zu Pädagogik bei Krankheit in München veranstalten können<br />
mit der Unterstützung des bayerischen Ministeriums, der Regierung von<br />
Oberbayern und der Stadt München, sowie mit Hilfe der Europäischen Union.<br />
Ich danke allen, die dies möglich gemacht haben. Besonderen Dank möchte<br />
ich Lisa Meixner-Mücke sagen für die immense Arbeit über eine sehr lange<br />
Zeit der Vorbereitung, ebenso Alto Merkt, Anne Kohtz-Heldrich und vielen<br />
ihrer Kolleginnen, Kollegen und Mitarbeitern, dem ‚Förderverein Schule für<br />
Kranke München‘ mit Dolores Waldschmidt und Herrn Karl, der uns mit Rat<br />
und Zuspruch beistand.<br />
In den kommenden Tagen werden wir die Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
und ihre Schnittpunkte mit individuellen Bedürfnissen beleuchten,<br />
das Thema eines natürlichen Rechts auf Bildung und der konkreten<br />
Realität, der Wechselbeziehung von medizinischer Behandlung und schulischen<br />
Zielen; diese Fragen brauchen noch viel Betrachtung. Und da wir in<br />
Europa leben, einem Kontinent, der zusammenwächst - wie hier und heute<br />
deutlich sichtbar - muss es unser Ziel sein, über Grenzen hinweg zu kooperieren,<br />
um neue Antworten zu finden.<br />
Ich freue mich sehr, so viele Europäer hier in München zu sehen, und zahlreiche<br />
alte und neue Freunde aus anderen Teilen der Welt. Verbringen wir<br />
einige wunderbare Tage, in denen wir uns mitteilen, austauschen, vergleichen<br />
und lernen, und an unseren Netzwerken weiter knüpfen.<br />
Enden möchte ich mit einem Wort Martin Luthers vor rund 500 Jahren:<br />
„Alles, was in der Welt erreicht wurde, wurde aus Hoffnung getan.“ - ‚Everything<br />
that is done in the world is done by <strong>HOPE</strong>‘.<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />
Begrüssung im Alten Rathaussaal am 4. November <strong>2010</strong><br />
Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />
Sonderschulrektorin Schule an der Heckscher-Klinik Münche<br />
Sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen aus vielen Ländern, seien<br />
Sie herzlich willkommen in München!<br />
Liebe Maria Schmidt, Du bist „schuld“ an allem! Die Anfrage von Dir- Vorsitzende<br />
von <strong>HOPE</strong> Deutschland - bei der Schule für Kranke München und die<br />
weitergeleitete Anfrage an die Schule an der Heckscher-Klinik hat die Idee<br />
aufkeimen lassen, von hier aus die Anliegen kranker Kinder und Jugendlicher<br />
europaweit zu diskutieren. Wir als Leiterinnen zweier Klinikschulen,<br />
fanden dies durchaus spannend.<br />
Die Idee, dass die beiden Schulen gemeinsam einen Kongress gestalten,<br />
hat uns fasziniert. Unser Anliegen war, die weit gesteckte, schulische Arbeit<br />
mit somatisch, psychosomatisch und /oder psychiatrisch erkrankten<br />
Schülerinnen und Schülern erstmals auf einem gemeinsamen Kongress zu<br />
beleuchten und eine Weiterentwicklung anzuregen.<br />
Und Seite an Seite mit der Medizin ein Netzwerk von Pädagogik und Medizin<br />
zu knüpfen, in dem sich alle aufgehoben fühlen, darin sehen wir die Zukunft.<br />
Wir bedanken uns bei Professor Dr. Burdach und Prof. Dr. Freisleder für<br />
viele Anregungen und die gute Zusammenarbeit.<br />
Zur Umsetzung brauchten wir Geld! Unser Planungsteam entwickelte Ideen.<br />
Wir konnten unser gemeinsames Konzept bei vielen möglichen Sponsoren<br />
einreichen. Bei mehreren Stiftungen erhielten wir großes Lob, aber leider<br />
kein Geld …! Diese Anträge zu schreiben, unendlich viele Handreichungen<br />
von Stiftungen zu studieren, war eine Herkulesarbeit, die Herr Merkt, Konrektor<br />
der Schule für Kranke München gestemmt hat. Große Anerkennung<br />
von uns allen! An dieser Stelle möchten wir uns auch bei dem Projektteam<br />
der beiden Schulen, Frau Kalmes, Herrn Ruppert, Schule für Kranke München,<br />
Frau Fuchsenberger, Frau Wagner, Schule an der Heckscher-Klinik,<br />
sowie den vielen Helfern in diesen Tagen herzlich bedanken.<br />
Tatsächlich wurde unser Beitrag bei der Europäischen Union unter vielen<br />
ausgewählt und mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung versehen.<br />
Die hohe Bewertung unseres Beitrages macht uns glücklich und gibt uns<br />
Ansporn, wir sind sehr dankbar.<br />
Jetzt erst ging die Arbeit so richtig los. Referenten finden, Geldangelegenheiten<br />
regeln!<br />
Die Auflage der EU war Eigenmittel aufzubringen, was wiederum hieß,<br />
Spenden für diesen Kongress einzuwerben - zu einem Zeitpunkt, als die Finanzkrise<br />
ihren Höhenpunkte erreichte und deshalb alle mit Spenden eher<br />
zurückhaltend waren. Aber, wir hatten Glück, wir fanden doch einige Geldgeber.<br />
Dabei hat uns der Förderverein Schule für Kranke München e.V. sehr<br />
geholfen. Mit dem Geld allein war es noch nicht getan. Wer sollte es ver-<br />
walten, die Ausgaben überprüfen, die Endabwicklung bewerkstelligen? Der<br />
Förderverein der Schule für Kranke München e.V. übernahm letztendlich<br />
mutig auch diese große Verantwortung. An Frau Waldschmidt, Vorsitzende<br />
des Vereins und den gesamten Vorstand geht unser ganz besonderer Dank.<br />
Trotzdem benötigten wir weitere Sponsoren und Unterstützer, denn die<br />
Kosten sollten bei einem hohen Niveau des Programms und diverser Rahmenveranstaltungen<br />
für die Teilnehmer dennoch vergleichsweise niedrig<br />
bleiben. Wir möchten unseren besonderen Dank aussprechen: dem Bayerischen<br />
Staatsministerium für Unterricht und Kultus, dem Bezirk Oberbayern,<br />
der Landeshauptstadt München, dem Heckscher-Klinikum, dem Schwabinger<br />
Krankhaus; sie haben neben der finanziellen Unterstützung auch die<br />
Räume für den Kongress zur Verfügung gestellt.<br />
Sehr dankbar sind wir auch den vielen Referenten, die mit ihren Vorträgen<br />
ein qualitativ hochwertiges Programm ermöglichten.<br />
Die Klinikschulen blicken auf viele Jahre der Erfahrung zurück. Die Schule<br />
für Kranke München, eine sehr junge Einrichtung, besteht seit 26 Jahren,<br />
die gute Zusammenarbeit mit der Medizin war anfangs nicht selbstverständlich,<br />
sie hat sich aber mit der Zeit sehr positiv entwickelt. Die Schule an der<br />
Heckscher-Klinik kann auf 80 Jahre medizinisch-pädagogische Zusammenarbeit<br />
zurückschauen.<br />
Unser Thema „Das kranke Kind - aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik<br />
und Medizin“ bedeutet, das kranke Kind optimal zu fördern, so wie es seine<br />
Lebensumstände verlangen; so, dass es selbstverantwortlich sein Leben,<br />
seine Zukunft mitbestimmen kann. Dazu ist Fachkompetenz, Geduld und<br />
vor allem auch Zeit erforderlich. Eine große Herausforderung, der wir uns<br />
alle stellen müssen, denn die Kinder sind unsere Zukunft.<br />
Bei unserer Arbeit in diesen Tagen sollten wir immer bedenken: Das Wichtigste<br />
in unserer Zusammenarbeit ist immer die Beziehung von Mensch zu<br />
Mensch, von Lehrerin zu Schülerin, von Arzt zu Patient. Für Thomas Bernhard,<br />
war dies während seiner schweren, lange Zeit lebensbedrohlichen Erkrankung<br />
(1949 Salzburg) der Großvater. Er hat ihn täglich im Krankenhaus<br />
besucht, lange Gespräche geführt, ihn ermutigt und mit ihm die Welt betrachtet<br />
(Der Atem, 1981). Er hat mit ihm das Leben gelernt. „Die Großväter<br />
sind die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen immer den<br />
Vorhang auf, den andere fortwährend zuziehen“ schreibt Thomas Bernhard<br />
Jahre später. ( Aus Süddeutsche Zeitung, Willi Winkler, 2001)<br />
Vielen Dank!<br />
Zwei Mütter<br />
Anonym<br />
Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />
Mein Name ist (…): Meine 13-jährige Tochter ist an Magersucht erkrankt<br />
und besucht derzeit im Rahmen der Behandlung bei Frau Dr. Rohde in der<br />
Kinderklinik Schwabing die dortige Schule für Kranke. Ich sehe also die<br />
Schule für Kranke aus der Perspektive der Patientengruppe Magersüchtige<br />
oder psychosomatisch Erkrankte.<br />
Auch ich darf mich kurz vorstellen (…): Mein Sohn Elias erkrankte vor vier<br />
Jahren an Leukämie. Auch er wurde im Kinderkrankenhaus München-<br />
Schwabing behandelt. In einer so lebensbedrohlichen Situation war mir –<br />
ehrlich gesagt – die Schule erst einmal völlig unwichtig. So geht es vermutlich<br />
vielen Familien, deren Kinder unter einer sehr schweren körperlichen<br />
Krankheit leiden. Für diese stehe ich heute hier.<br />
Beide:<br />
Bis vor kurzem wussten wir noch gar nicht, dass es eine Schule für Kranke<br />
gibt. Heute sind wir leidenschaftliche Befürworterinnen dieser Einrichtung.<br />
Von ganzem Herzen danken wir denen, die diese Institution geschaffen<br />
haben, fördern und sich in ihr engagieren. Unsere Bitte an politische Entscheidungsträger<br />
lautet: Geben Sie der Schule für Kranke die notwendigen<br />
Mittel auch in Zeiten des Sparzwangs. Fördern Sie über den Unterricht in
I. Begrüssungen II. Vorträge<br />
12 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
13<br />
den Kinderkliniken hinaus auch Vorbeugungs-, Beratungs- und Nachsorgemöglichkeiten.<br />
Das wollen wir begründen, zunächst für den Kernbereich, den Unterricht an<br />
Kinderkliniken.<br />
Sicherlich: Da gibt es den grundgesetzlichen Auftrag, für alle Kinder, auch<br />
kranke, die Schulpflicht umzusetzen und ihr Recht auf Schulausbildung<br />
einzulösen – so stellt sich das für das Kultusministerium dar. Für mich als<br />
Mutter aber und für mein krankes Kind ist es viel viel mehr. Diese Schule<br />
gibt meinem Kind in der Krankheit ein Stück Normalität zurück. Sie lenkt<br />
von der Krankheit ab. Sie nimmt Ängste, z.B. die Angst, aus der geschätzten<br />
und stabilisierenden früheren Klassengemeinschaft herauszufallen. Es<br />
nimmt die Angst, nach Verlassen des geschützten Behandlungsraumes in<br />
ein tiefes schulisches Loch zu blicken, das unüberwindbar scheint, was natürlich<br />
neue Ängste und Versagensgefühle erzeugt.<br />
Erste Mutter: Damit Sie mich nicht missverstehen. Hier spricht keine ehrgeizige<br />
Mutter, die froh ist, dass ihrem Kind vielleicht das Wiederholen einer<br />
Klasse erspart bleibt. Ich bin – wie wohl alle Eltern in meiner Situation –<br />
ganz bescheiden geworden und betone deshalb: Ich sehe die Schule für<br />
Kranke nicht als Rettung vor dem Sitzenbleiben oder als Sicherung einer<br />
bestimmten Schullaufbahn, sondern als Baustein einer ganzheitlichen Behandlung<br />
und wichtige Hilfe bei der Überwindung der Krankheit.<br />
Zweite Mutter: Hier möchte ich gern einhaken. Selbst in der prekären Situation,<br />
in der sich lebensgefährlich erkrankte Kinder befinden, in einer Situation<br />
also, in der sich alles um die körperliche Stabilisierung und hoffentlich<br />
Genesung dreht, in der Chemotherapie und Bestrahlungstermine den Takt<br />
angeben – selbst und gerade in dieser Situation ist die Schule für Kranke<br />
wichtig. Da gibt es eine Lehrerin, die Tag für Tag wiederkommt – egal wie<br />
schlecht es einem grad geht, wie grantig man vielleicht grad ist. Warum<br />
macht die das? Doch nur, weil sie davon ausgeht, dass dieses schwerkranke<br />
Kind früher oder später wieder ein „normales“ Leben führen wird. Auch in<br />
Zeiten, wo wir – Kind und Eltern – nicht mehr sicher waren, ob es wieder<br />
gesund werden würde, gab diese Lehrerin uns ein Gefühl von Sicherheit und<br />
Normalität zurück. So wurde die Schule für Kranke tatsächlich eine „Schnur<br />
zum Leben“ für meinen Sohn.<br />
Erste Mutter: Nun die Vorsorge: Magersucht oder psychosomatische Erkrankungen<br />
und Verhaltensauffälligkeiten nehmen zu. Frühzeitiges Eingreifen<br />
ist wichtig und kann die späteren Behandlungen abkürzen. Ich habe die<br />
Ratlosigkeit und Hilflosigkeit, den schwierigen Weg der Erkenntnis, dass es<br />
keine Pubertätsspinnerei ist, und die Schuldgefühle selbst erlebt. Im Nachhinein<br />
habe ich erfahren, dass Lehrer entweder genauso ahnungslos waren<br />
wie ich oder dass sie nicht wagten, das Problem anzusprechen, weil die<br />
Reaktionen manchmal heftig sein können. Lehrer aufzuklären und ihnen<br />
ggf. den Rücken zu stärken bei frühzeitigen Interventionen – das wäre m.E.<br />
auch eine wichtige Rolle der Schule für Kranke im Rahmen einer Vorsorge.<br />
Zweite Mutter: Ungemein hilfreich war es, zu erleben, dass die Schule für<br />
Kranke ihre Aufgabe nicht mit dem Tag der Entlassung als beendet sieht.<br />
Die Wiedereingliederung in die Regelschule ist nach derart langen Fehlzeiten<br />
oft nicht einfach. Im Fall meines Sohnes erfuhr und erfahre ich sehr<br />
vielfältige Unterstützung: Heimatschulbesuche, Gespräche mit Schulrat<br />
und Schulpsychologin, Vermittlung von ärztlichen Gutachten und nicht zuletzt<br />
ausführliche Gespräche, in denen wir gemeinsam das Für und Wider<br />
weitreichender Entscheidungen abwogen... Was ich hier erlebt habe, ist viel<br />
mehr, als ich von Lehrern oder Schulleitern erwarten würde. Es ist menschliche<br />
Nähe und ehrliche Anteilnahme, die mir und meiner Familie ganz viel<br />
Kraft gab und gibt.<br />
Erste Mutter: Noch ein Punkt liegt mir am Herzen. Er hat nichts mit Schule<br />
oder mit dem Kultusministerium zu tun, sondern richtet sich an die, die<br />
im Gesundheitssystem Entscheidungen treffen. Es gibt zu wenige Behandlungsplätze<br />
für Magersüchtige, insbesondere wenn die Kinder noch sehr<br />
jung sind, also z.B. 11 oder 12 Jahre alt. In der Kinderklinik Schwabing liegt<br />
die Wartezeit auf einen Platz bei einem halben bis einem Jahr. Die Kinder<br />
werden zwischenzeitlich auf Akut- oder Intensivstationen gepäppelt, damit<br />
sie aus dem lebensbedrohlichen Bereich herauskommen. Oft mehrfach<br />
während der Wartezeit. Welche Dramatik das für die Patienten und deren<br />
Familien schafft, können Sie als Fachleute sich vorstellen. Dass die Krankheit<br />
sich dadurch weiter chronifiziert und die spätere Behandlung länger<br />
und schwieriger wird, haben mir alle Fachleute bestätigt.<br />
Ich bin Betriebswirtin. Nach vielen Berufsjahren hat jeder seine deformation<br />
professionelle. So auch ich. Deshalb will ich diesem Punkt auch aus<br />
betriebswirtschaftlicher Sicht Nachdruck verleihen. Eine Investition in mehr<br />
Behandlungsplätze zum Abbau der langen Wartezeiten kostet Geld – natürlich<br />
– aber es spart auch Geld. Was kostet es, eine junge Patientin während<br />
der Wartezeit mehrfach auf Akut- und Intensivstationen zu päppeln, wo ja<br />
nur Symptome kuriert werden können? Würde dies wegfallen oder verkürzt<br />
werden, hätten sich zusätzliche Investitionen schon zum Teil bezahlt gemacht.<br />
Zurück zur Schule für Kranke: Das Zusammenschließen von Medizin und<br />
Pädagogik hat uns Eltern und unseren Kindern sehr geholfen. Wir wünschen<br />
den Ärzten und den Lehrern viel Erfolg und hoffen, dass viele junge Patienten<br />
diese Unterstützung bekommen, die für uns so wertvoll war. Dem<br />
Kongress wünschen wir einen guten Verlauf.<br />
Pädagogik der Entschleunigung – eine besondere (sonder-) pädagogische<br />
Herausforderung im Normalfall des Lebens<br />
Hans-Jörg Polzer<br />
Leiter des Staatlichen Schulamts Göppingen<br />
Sehr geehrte, liebe und geschätzte Elisabeth Meixner-Mücke,<br />
Sehr geehrte Frau Kohtz-Heldrich,<br />
Sehr geehrte, liebe Frau Schmidt,<br />
Sehr geehrte Frau Waldschmidt,<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
Sie befassen sich 4 Tage lang mit den oft vernachlässigten, ja verdrängten<br />
Fragen, die sich in allen Schulen im Zusammenhang mit den besonderen<br />
Herausforderungen durch wirklich kranke Kinder und Jugendliche oder<br />
durch Kinder und Jugendliche, denen Krankheit zugeschrieben wird, weil<br />
sie unbequem sind oder nicht in die Alltagsklischees von schulischer Bildung<br />
passen, stellen.<br />
Mit Ihrem scheinbar nachrangigen pädagogischen Tagungsthema bewegen<br />
Sie sich im Zentrum sehr realer Herausforderungen, die das ganze<br />
Schulwesen betreffen. Sie bewegen sich in den bleibenden Grundfragen<br />
jeder Pädagogik.<br />
Sie stellen sich den oft verdrängten Fragen, die Kinder und Jugendliche in<br />
besonderen Lebenslagen tagtäglich an uns stellen. Diese Fragen wirken<br />
oft provozierend – und doch sind sie enorm wichtig, weil sie auf unsere<br />
Grundeinstellungen und Werthaltungen als Lehrerinnen und Lehrer und<br />
auch auf die Grundfragen des Systems Schule zielen. Diese Fragen betreffen<br />
unser berufliches Selbstverständnis als professionelle Pädagogen, sie<br />
betreffen aber auch unseren ganz persönlichen Kern.<br />
Aggressive, depressive, drogenabhängige, schulverweigernde oder sich<br />
selbst verletzende Kinder und Jugendliche fragen uns – oft wortlos - mit<br />
einer schonungslosen Radikalität und Direktheit. Sie wollen keine umschreibenden<br />
Antworten. Sie wollen vor allem Wahrhaftigkeit in der für sie alles<br />
bestimmenden und entscheidenden Frage: „Wie stehst Du zu mir?“<br />
Letztlich geht es um die Frage, wieviel personale Verantwortung der<br />
einzelne Lehrer oder die einzelne Lehrerin für eine Lerngruppe oder für<br />
diesen konkreten einzelnen Schüler oder für diese eine konkrete einzelne<br />
Schülerin überhaupt übernehmen kann und auch dazu bereit ist. Für<br />
den betroffenen Lehrer oder die betroffene Lehrerin geht es dabei um die<br />
zentrale Frage nach Distanz und Nähe, symbiotischer Verschmelzung und<br />
pädagogischer Handlungsfähigkeit. Es geht aber auch um die Fragen, die<br />
sich grundsätzlich für unser Verständnis von Lernen, kindlicher Entwicklung<br />
und Schulerfolg stellen.<br />
Letztlich geht es auch um die Fragen, die sich an unsere Einstellungen<br />
hängen, die wir bezüglich der Einlösung von sozialen Statuserwartungen<br />
gegenüber der Schule entwickeln. Der Journalist Jürgen Kaube hat am<br />
05.12.2007 in der FAZ unter der Überschrift, „-Pisa- lenkt ab: Die Schule<br />
ist überfordert“, einen Artikel veröffentlicht und kommt zum Ergebnis, dass<br />
„Pisa“ „auch der Name einer schleichenden Hysterisierung des Umgangs<br />
mit Schulfragen überhaupt“ ist. Kaube bemängelt vor allem, dass „nervöse<br />
Eltern noch bestärkt werden im Blick auf die Schule als sozialen Kampfplatz“.<br />
Er prangert vor allem an, dass sich das Karussell eines ziellosen<br />
bildungspolitischen Aktionismus immer schneller dreht, ohne wirkliche<br />
Antworten auf die zentralen Fragen der Schule oder auf die Lebensfragen<br />
ihrer Schüler zu geben. Die zunehmenden Fliehkräfte drohen, immer mehr<br />
Kinder und Jugendliche in die leeren Räume der Milieus von unver- und<br />
ungebundenen Subkulturen zu schleudern.<br />
Dabei geht es aber auch um Grundentscheidungen über die Freiheiten, mit<br />
denen man im pädagogisch verantworteten Einzelfall mit rechtlichen, curricularen<br />
und verinnerlichten tradierten Vorgaben umgehen kann. Auch für<br />
die in der Administration Verantwortlichen sind hier pädagogische Grundhaltungen<br />
und Wertvorstellungen berührt. Der Umgang mit rechtlichen<br />
Regelungen ist meist ganz wesentlich von den Einstellungen geprägt, mit<br />
denen die jeweils Verantwortlichen sie interpretieren und in Handlungsverständnisse<br />
übersetzen.<br />
Im pädagogischen Raum können das aus meiner Sicht nur die Tugenden<br />
sein, die Otto Friedrich Bollnow in seiner Schrift „Die Pädagogische Atmosphäre“<br />
in den Mittelpunkt stellt. Bollnow versteht unter der „Pädagogischen<br />
Atmosphäre“ das „Ganze der gefühlsmäßigen Bedingungen und<br />
menschlichen Haltungen“, die er als „unerlässliche Voraussetzungen“ bezeichnet,<br />
damit überhaupt so etwas wie Erziehung gelingen kann. Zentrale<br />
Begriffe sind unter anderen Vertrauen, Zutrauen, Geduld, Hoffnung, Fröhlichkeit,<br />
Heiterkeit und Güte.<br />
Entscheidend ist nicht die Quantität des Wissenserwerbs sondern die<br />
Qualität des „seelischen Wachstums“ der Menschen im Erziehungsprozess.<br />
Carl Gustav Jung drückt dies so aus: „Unsere Kultur hängt ab von der<br />
seelischen Entfaltung des Menschen und damit von Gewissensbildung,<br />
Emanzipation, eigenverantwortlicher Ethik, Einstellung zu Lebensmitte<br />
und Tod“.<br />
Lassen Sie mich konkret werden:<br />
Der Deutschlehrerin einer ganz normalen Realschule fallen immer wieder<br />
Äußerungen einer Schülerin auf wie:<br />
„das lerne ich nicht mehr, ich brauche es eh bald nicht mehr…“<br />
Die Schülerin verfasst auch Gedichte mit sehr deutlichen Anspielungen<br />
auf suizidale Handlungen. Sie verhält sich auch selbstverletzend und<br />
bekleidet sich tiefschwarz. Mehrere stationäre und ambulante psychiatrische<br />
Behandlungsphasen begleiten den Lebensweg der Jugendlichen.<br />
Andere Schülerinnen zieht sie mit ihren selbstzerstörerischen Tendenzen<br />
zunehmend in ihren Bann. Lehrerinnen und Lehrer der betroffenen Klasse<br />
zeigen erste Anzeichen von Überforderung. Sie sehen sich nicht mehr in<br />
der Lage, diese Klasse zu unterrichten und erste Reaktionen im Sinne von<br />
Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gemäß § 90 des Schulgesetzes für<br />
Baden-Württemberg stehen im Raum. Dann tritt ein real vollzogener Suizid<br />
ein. Eine Schülerin, von deren Lebenskrise bisher nichts bekannt war, die<br />
auch nicht zum Umfeld der Gedichteschreiberin gehört, nimmt sich das<br />
Leben. An der Schule setzt jetzt ein umfassendes Krisenmanagement ein,<br />
das auch den massiven Einsatz schulpsychologischer Dienste erfordert.<br />
Meine Damen und Herren, ich spreche von einer gut begabten, klugen und<br />
sprachgewandten jungen Frau. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass sie<br />
in kognitiver Hinsicht den Anforderungen einer Realschule gewachsen ist.<br />
Diese junge Frau hat ihre zerstörerischen Worte und Handlungen in den<br />
Alltag einer ganz alltäglichen Schule hinein gesprochen. Ihre Gedichte lagen<br />
so aus, dass alle in der Klasse sie hätten finden können und waren<br />
doch so geschickt platziert, dass sie nur einer ganz bestimmten Lehrerin<br />
in die Hände gefallen sind. Der Schülerin kann eine gewisse Raffinesse<br />
beim Handhaben ihrer Inszenierung also nicht abgesprochen werden.<br />
Es versteht sich von selbst, dass sich für den Schulleiter dieser Schule<br />
rasch grundlegende administrative Fragen ergaben:<br />
• Wie sieht es mit den Fragen der Aufsichtspflicht aus, wenn eine Schülerin<br />
in so direkter Weise suizidale Gedanken äußert?<br />
• Kann man diese junge Frau uneingeschränkt am Bildungsangebot der<br />
Schule teilnehmen lassen, wenn dieses in der entsprechenden Klassenstufe<br />
im Rahmen der Berufsorientierung außerschulische Lernorte wie<br />
Betriebe zum Inhalt hat?<br />
• Wie verhält es sich im Umgang der Schule mit den getrennten Eltern,<br />
wenn die junge Frau von der Mutter aus dem Haus gewiesen wurde<br />
nachdem sie von einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt zurückgekommen<br />
war und nun widerwillig beim Vater wohnen muss?<br />
• Wie stellen sich die Verantwortlichkeiten im Kreisjugendamt und in den<br />
Polizeibehörden dar?<br />
• Was ist im Krisenfall zu tun?
14 II. Vorträge 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
II. Vorträge<br />
15<br />
• Woher bekommt die ratlose Schule überhaupt Rat?<br />
• Bleibt nur der Weg in ausschließende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen?<br />
Wenn ja, wie müssen die dann gestaltet sein?<br />
• Wie bekomme ich die Eltern in ihre Verantwortung, wenn der Vater viel<br />
von der Schule fordert und selbst nichts verbindlich einlösen will?<br />
• Und so weiter…<br />
Nach einer abermaligen direkten Ankündigung eines Suizidversuches hat<br />
die Schule auf Anraten der Jugendbehörde die Polizei informiert. Diese verbrachte<br />
die Jugendliche in die regional zuständige Klinik, in der sie zuvor<br />
schon stationär gewesen war. Am nächsten Tag erschien die Jugendliche<br />
wieder in der Schule. Nachdem die Deutschlehrerin versuchte, sie für die<br />
aktive Teilnahme am Unterricht zu motivieren und zu ermuntern, äußerte<br />
sie erneut, sie brauche das alles nicht mehr!<br />
Zum Schutz Dritter werden letztlich auch alle Fragen, die sich im Zusammenhang<br />
mit möglichen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen der Schule<br />
(§ 90 SchG für BW) möglicherweise ergeben können, besprochen.<br />
Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf die schulrechtlichen Fragestellungen<br />
eingehen, auch wenn diese für die Verantwortlichen in der Schule<br />
sicher zunächst vorrangig bedeutend sind.<br />
Mir ist vielmehr wichtig, dass das Hauptaugenmerk der betroffenen Lehrerinnen<br />
und Lehrer neben dem verständlichen Bedürfnis nach Absicherung<br />
gegen rechtliche Risiken vor allem den Fragen galt, die sich aus der<br />
mittlerweile bedrohten Schullaufbahn der Schülerin ergaben. Niemand<br />
in der Schule zweifelte daran, dass die betroffene Schülerin hinsichtlich<br />
ihrer kognitiven Ressourcen den Anforderungen der Realschule mehr als<br />
gewachsen ist. Ich denke, dass ihre literarischen Werke daran auch keinen<br />
Zweifel lassen. Aber es bestand auch Einmütigkeit darüber, dass man die<br />
junge Frau aus Gründen der Gleichbehandlung – die man mit Gerechtigkeit<br />
gleichsetzt – unter dem Diktat der Verordnungen zur Notengebung<br />
und der Versetzungsordnung als versetzungsbedroht betrachten müsse.<br />
Das Schlimmste, was in den Köpfen von Schulpädagogen gedacht werden<br />
kann!. Man bediente sich dabei auch eines schlagenden Arguments, das<br />
„therapeutisch“ orientierte Rechtfertigungen liefern sollte: Die Schülerin<br />
muss schließlich zur Wahrhaftigkeit im Umgang mit ihrer konkreten schulischen<br />
Leistung erzogen werden!<br />
Die Grundfragen, die sich mir stellen, sind:<br />
• Wo bleiben in solchen Kontexten die eigentlichen Lebensfragen dieser<br />
jungen Frau?<br />
• Können Fragen wie der Satz des „Pythagoras“ für diese junge Frau zum<br />
jetzigen Zeitpunkt eine entwicklungsfördernde Relevanz erlangen?<br />
Im Kern stellt uns die Lebenswirklichkeit dieser jungen Frau vor die Frage,<br />
wie wir mit den „stetigen“ und den „unstetigen“ Formen der Erziehung<br />
umgehen. Wie gehen wir – um Eduard Spranger zu bemühen – mit den<br />
„ungewollten Nebenwirkungen der Erziehung“ um?<br />
Diese junge Frau braucht kein sich immer schneller drehendes Karussell<br />
von fächerübergreifenden Kompetenzprüfungen, sich immer dichter drängenden<br />
unterrichtsfachlichen Themen und Zusatzzertifikaten. Sie braucht<br />
die Erfahrung des „Getrost-Seins“, die Otto Friedrich Bollnow in seinem<br />
Buch „Neue Geborgenheit – das Problem der Überwindung des Existenzialismus“<br />
so beschreibt:<br />
„Getrost ist der Mensch, wenn er überzeugt ist, dass auch die innerweltliche<br />
Bedrohung nicht schlechthin vernichtend an ihn herantritt. Wer getrost<br />
ist, der vertraut darauf, dass auch innerhalb dieser Welt – weil sie eben im<br />
Grund eine ‚heile Welt‘ ist – Kräfte heranwachsen, die ihn auffangen, wenn<br />
er zu sinken droht, und die ihn tragen. Gelassen kann der Mensch eine<br />
Entwicklung abwarten, wenn er bereit ist, in jedem Augenblick der Beanspruchung,<br />
der an ihn herantritt, standzuhalten. Getrost kann er sie abwarten,<br />
oder besser sagt man in einer kleinen sprachlichen Abwandlung:<br />
Getrost kann er ihr entgegensehen, wenn er Vertrauen zu den Kräften hat,<br />
die darin wachsen, wenn er überzeugt ist, dass die Entwicklung des Geschehens<br />
außer ihm im Grunde doch immer zum Guten ausschlagen muss,<br />
und zwar gerade unabhängig von dem, was er selber aus seiner eigenen<br />
Anstrengung heraus dazu tun kann. Getrost ist der Mensch auf dem Boden<br />
einer umfassenden Seinsgläubigkeit, die davon überzeugt ist, dass hinter<br />
allen Bedrohungen doch ein rettendes, ein heiles und in seinem Heil-sein<br />
zugleich heilendes Sein steht. Getrost ist der Mensch dann aber insbesondere<br />
in seinem eigenen Tun. “<br />
Ähnlich verhält es sich für Bollnow mit der „Hoffnung“:<br />
„Echte Hoffnung bedeutet eine ‚offene Zeit‘. Das bedeutet : in<br />
der Art, wie ich mich hoffend zur Zukunft verhalte, bin ich geöffnet für das<br />
grundsätzlich nie Vorhersehbare ihres Geschenks. Die Hoffnung stellt<br />
also den Menschen hinein in einen Raum unabsehbarer Möglichkeiten. Die<br />
allein ist echte, d.h. unabsehbare und offene Zukunft. Sie erscheint<br />
als der tragende Grund, der dem Menschen hilfreich entgegenkommt und<br />
der ihn nicht ins Leere stürzt. Die Hoffnung ist so der Ausdruck eines Vertrauens<br />
zum Dasein und verbindet sich mit einem Gefühl der Dankbarkeit<br />
für dieses Getragen-sein. Hoffnung hört auf, irgendeine spezielle Angelegenheit<br />
der Psychologie oder der Ethik zu sein, sondern sie rückt in<br />
den Mittelpunkt des menschlichen Daseins selbst.“<br />
Verinnerlicht haben wir unter dem Diktat der Entwicklungspsychologie<br />
und der Fachdidaktiken, dass Bildungsprozesse im Wesentlichen stetig<br />
verlaufen:<br />
Darauf setzen wir im Vertrauen auf die statistisch erwartbaren Entwicklungsverläufe<br />
des Kindes, die uns durch die Entwicklungspsychogen als<br />
wissenschaftlich abgesichert vorgestellt werden. Wir vertrauen unter anderem<br />
auf das Konstrukt der Homogenität von Jahrgangsklassen.<br />
Darauf setzen wir – bei aller Offenheit – auch bei der Konstruktion unserer<br />
Curricula.<br />
Das Theorem, dem wir in den Schulen folgen, lautet: Die kognitive Entwicklung<br />
des Menschen folgt stringent fachwissenschaftlich definierten<br />
Arbeitsweisen und Strukturen. Das Gesetz der Fachdidaktiken folgt der<br />
scheinbaren Linearität des stringenten fachwissenschaftlich begründeten<br />
Aufbaus der Stoffe. So als habe der Fortschritt in den einzelnen wissenschaftlichen<br />
Disziplinen sich nicht immer wieder aus Aha-Effekten und<br />
Quantensprüngen gespeist.<br />
Wo es überwiegend darum geht, die Entwicklung der kognitiven Kompetenzen<br />
wegen ihrer hohen Bedeutung für den sozialen Status und ihrer<br />
Verwertbarkeit auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unter dem Aspekt<br />
der Effizienz zu betrachten, gerät der Gleichlauf zwischen der psychischen<br />
und der kognitiven Entwicklung außer Blick. Aus intelligenten jungen Menschen<br />
können auf diese Weise soziale und emotionale Analphabeten werden.<br />
Das ist aus meiner Sicht manchmal der Fluch des Konstrukts der<br />
„Hochbegabung“.<br />
Sicher ist, dass unsere Dichterin in der zermürbenden Suche nach dem,<br />
was Bollnow den „tragenden Grund“ nennt, ihre Kräfte völlig aufreibt. Sie<br />
verfällt in eine innere Rastlosigkeit, weil sie verzweifelt nach etwas ganz<br />
Elementarem sucht, nach einem verlässlichen „Du“. Sie hat es nie erfahren<br />
– und sie macht aktuell wieder die schmerzliche Erfahrung, dass sie nur zu<br />
Hause bleiben kann, wenn sie dort „funktioniert“. Wir neigen rasch dazu,<br />
dieses existenzielle Suchen in die Zuschreibung eines Aufmerksamkeits-<br />
Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms zu schieben, damit es unserem „handwerklich<br />
funktionalen Zugriff“ zugänglicher wird. Unsere pädagogischen<br />
Maßnahmen zielen also vorrangig auf die Stärkung des „Funktionierens“<br />
anstatt in der Trauer dieser jungen Frau auch die Kräfte der Wut und der<br />
Auflehnung anzunehmen, ohne die das „Getrost-sein“ oder die „Hoffnung“<br />
nicht wachsen können.<br />
Störungen im Ablauf der scheinbar naturgesetzlich gegebenen kindlichen<br />
Entwicklungsverläufe identifizieren wir als Defizite, die wir am Individuum<br />
festmachen. Du bist selbst schuld, dass Du scheitern musst. Weil alle so<br />
oder so sind, ist es gerecht, dass auch Du so oder so bist.<br />
Wir erfinden vor diesem Hintergrund gut verkäufliche Programme zur<br />
Behebung der Störungen in den diagnostisch punktgenau identifizierten<br />
Funktionen , so als sei z.B. Sprache nicht ein sinn- und kulturstiftender<br />
Lebens- und Beziehungsraum, sondern ein abstrakt trainierbares Instrument.<br />
Mit einem solchen funktionenorientierten Vorgehen trainieren<br />
wir Kindern und Jugendlichen die Sensibilität für die Zwischentöne ab, die<br />
vor allem in der Vielfalt der außersprachlichen Ausdrucksmittel zum Ausdruck<br />
kommen. Die vielen gewerblichen außerschulischen Institute zur<br />
Nachhilfe bedienen einen gigantischen Markt. Sie unterliegen keiner wirklichen<br />
Evaluation und dennoch glaubt man ihnen mehr als den denen, die<br />
das Kerngeschäft verantworten. Mir scheint, als seien die Heilslehren, die<br />
den künftig zu erwartenden sozialen Status von Kindern und Jugendlichen<br />
am Schulsystem und an seinen messbaren Leistungen und Erfolgen festmachen,<br />
mehr der Ausfluss von Glaubenslehren und Heilserwartungen auf<br />
der Seite von Eltern als die erlebte Wahrheit der unmittelbar betroffenen<br />
Kinder und Jugendlichen.<br />
Meine Damen und Herren,<br />
die Lebens- und Bildungsbiographie der jungen Frau, die in ihrer Schule<br />
zuerst zu einem Problem der Absicherung des Handelns im rechtlichen<br />
Rahmen und dann zu einer Fragestellung im Sinne der schulbezogenen<br />
Leistungsbewertung und der schulartbezogenen Versetzungsordnung<br />
wurde, ist vor allem durch eine endlose Kette von Beziehungsabbrüchen<br />
gekennzeichnet. Ihr aktuelles Leben verläuft krisenhaft, ihr bisheriges<br />
Leben ist vor allem durch Unstetigkeit und mangelndes Vertrauen in das<br />
Wort der Erwachsenen geprägt.<br />
Diese junge Frau wurde durch einen Dschungel von Beziehungskrisen und<br />
widersprüchlichen Erwartungen von Erwachsenen gejagt. Sie hatte keine<br />
Muße um sich ihrer selbst sicher zu werden.<br />
Die wohlgemeinten Impulse ihrer Lehrerinnen und Lehrer, die auf eine Absicherung<br />
ihres schulartbezogenen Bildungsganges zielen, verhallen im<br />
luftleeren Raum. Das erfolgs-und effizienzorientierte Bildungsdenken der<br />
so genannten Fachleute stößt bei ihr ins Leere. Bedeutend ist für sie nur<br />
eine einzige Frage: Wie stehst Du zu mir?<br />
Das Immer-Mehr, immer Weiter, immer Höher der Nach-Pisa-Zeit<br />
ist nicht ihr Problem. Auch die verbittert geführten und meist abgehobentheoretischen<br />
Diskussionen über Schulsysteme, effiziente Lernmethoden<br />
und überprüfbare Steuerungsprozesse für das Schulwesen berühren sie<br />
nicht. Sie will und braucht zunächst nur eines: Verlässliche Beziehung!<br />
Sie will von einer einzigen Lehrerin, nämlich von dieser konkreten Deutschlehrerin,<br />
verlässlich wissen, wie sie zu ihr steht - ohne die Bedingung des<br />
Bestehen-Müssens im funktionalen Raum der Zensuren! Wenn die junge<br />
Frau, die uns wertvolle sprachliche Kunstwerke schenkt, Antworten auf<br />
ihre zentralen Lebensfragen findet – und seien sie auch noch so mehrdeutig<br />
– wird sie sich allmählich wieder auf das Lernen dessen einlassen können,<br />
was letztlich vorläufig, aber leider auch versetzungsrelevant bleibt.<br />
Vergessen wir nicht Goethes Wort: Bildung ist, was bleibt wenn man das<br />
Gelernte vergessen hat.<br />
Bildungsrelevant sind für Goethe ausschließlich die Fragen, die das Leben<br />
stellt. Seine Erfahrung lehrt: „Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst!“<br />
Gerald Hüther lehrt uns als Neurobiologe, dass die vorgeburtlichen und<br />
frühkindlichen Beziehungserfahrungen, das Bindungsgeschehen zwischen<br />
Mutter und Kind, Lehrer und Schüler und die darin erfahrene Gestimmtheit<br />
die entscheidende Basis für die Entwicklung differenzierter Hirnstrukturen<br />
und vernetzter Lernprozesse bilden. Misslungene Bindungserfahrungen<br />
sind in der Regel die Ursache von Lernstörungen, gelebtem Chaos und<br />
gestörter Aufmerksamkeit. Für die Ausbildung eines „tragenden Grundes“,<br />
der sich im eigenen Tun bewähren kann, sind sie unerlässlich.<br />
Will unsere junge Dichterin den Sinn des Lebens erfahren, muss sie zunächst<br />
einmal leben können. Wir müssen ihre literarische Botschaft zunächst<br />
einmal als existenziell und kulturell-künstlerisch wertvoll anerkennen.<br />
Erst dann kommt das schulische Lernen mit seinen vielen fremd- und<br />
zweckbestimmten Faktoren ins Spiel. Diese junge Frau gehört zunächst<br />
einmal sich selbst. Erst dann – viel, viel später – ist sie auch Objekt im<br />
Spiel des drohenden Fachkräftemangels und der statistisch abgesicherten<br />
ökonomischen Zukunftsszenarien.<br />
Ich bin im Fall dieser jungen Frau zutiefst überzeugt, dass Schule inhuman<br />
handelt, wenn sie die tiefer liegenden Möglichkeiten und Fragen dieses<br />
Menschen den curricular vorgegebenen Zielen opfert.<br />
Diesbezüglich halte ich es mit Albert Schweitzer, der in seiner Kulturphilosophie<br />
den Satz geprägt hat:<br />
„Humanität ereignet sich dort, wo niemals ein Mensch einem Zweck geopfert<br />
wird“.<br />
Es ist unsere erste und zuvorderst bestehende Aufgabe, diese junge Frau<br />
in ihrer Lebenswirklichkeit zu verstehen und sie unabhängig von festgelegten<br />
Zielbeschreibungen in ihren Möglichkeiten zu erkennen.<br />
Max Scheler hat unser pädagogisches Anliegen für die Soziologie so formuliert:<br />
„Keine Zeit hat so viel über den Menschen gewusst wie die heutige<br />
– keine Zeit hat weniger gewusst, was der Mensch eigentlich sei“.<br />
Wir müssen uns also dessen bewusst werden, dass keine auch noch so<br />
wissenschaftlich begründete Ansammlung von diagnostischem Datenmüll<br />
uns hilft, wo es auf das Verstehen der existenziellen Lebensvoraussetzungen<br />
der uns begegnenden Kinder und Jugendlichen ankommt. Das Verstehen<br />
kommt vor dem „Wissen über“.<br />
Wenn wir beispielsweise ein aggressiv agierendes Kind mit Zynismus oder<br />
feinen Nadelstichen bekämpfen, sehen wir im Schlagenden nicht mehr<br />
den Ge-Schlagenen. Wir „kreuzigen“ dieses Kind mit unseren für das Kind<br />
unverständlichen Sanktionen erneut, um es in den Worten der Theologin<br />
Dorothee Sölle zu sagen.<br />
Das Kind, das wir als „dumm“ erleben, ist vielleicht gar nicht dumm! Vielleicht<br />
kann es nicht liefern, was wir an intelligenter Antwort erwarten, weil<br />
es das Vertrauen in sein „eigenes Denken“ verloren hat.<br />
Unsere Schülerin bleibt hinter ihren schulischen Möglichkeiten zurück,<br />
weil sie in den permanenten Diskontinuitäten ihres jungen Lebens niemals<br />
erfahren hat, dass jemand bedingungslos „Ja“ zu ihr gesagt hat. Sie kann<br />
sich im rasch wechselnden Beziehungschaos ihres Lebens nicht auf ihre<br />
eigenen Kräfte verlassen, weil sie sich - stark außenorientiert - ständig<br />
darum bemühen muss, das fragile „Ja“ ihrer Bezugsbezugspersonen durch<br />
Selbstverleugnung zu erhalten. Für sie gilt, was Friedrich Nietzsche für die<br />
Bildung so ausdrückt:<br />
„Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast immer größer wird“.<br />
Der Parforceritt durch die curricular bestimmten Zeit- und Zielhorizonte<br />
der Schule wird für sie zur lebensfernen Fremdbestimmung. Er bestätigt<br />
ihre Lebenserfahrung, die von den Beziehungskrisen und den kurzatmig<br />
formulierten Beziehungsbedingungen ihrer stets im Konflikt liegenden Eltern<br />
geprägt ist.<br />
Diese junge Frau erlebt persönlich, was Albert Schweitzer schon 1923<br />
allgemein so formuliert hat:<br />
„Sein ganzes Leben hindurch ist der heutige Mensch der Einwirkung<br />
von Einflüssen ausgesetzt, die ihm das Vertrauen in das eigene Denken<br />
nehmen wollen. Der Geist der geistigen Unselbstständigkeit, dem er sich<br />
ergeben soll, ist in allem, was er hört und liest; er ist in den Menschen, mit<br />
denen er zusammenkommt; er ist in den Parteien und Vereinen, die ihn mit<br />
Beschlag belegt haben: er ist in den Verhältnissen, in denen er lebt. Von<br />
allen Seiten und auf die mannigfachste Weise wird auf ihn eingewirkt, dass<br />
er die Wahrheiten und Überzeugungen, deren er zum Leben bedarf, von<br />
den Genossenschaften, die Rechte auf ihn haben, entgegennehme. Der<br />
Geist der Zeit lässt ihn nicht zu sich selbst kommen. Durch den Geist<br />
der Zeit wird der heutige Mensch also zum Skeptizismus in Bezug auf das<br />
eigene Denken angehalten, damit er für autoritative Wahrheit empfänglich<br />
werde. Dieser stetigen Beeinflussung kann er nicht den erforderlichen Widerstand<br />
leisten, weil er ein überbeschäftigtes, ungesammeltes, zerstreutes<br />
Wesen ist. Herabgesetzt wird sein geistiges Selbstvertrauen auch<br />
durch den Druck, den das ungeheure, täglich sich mehrende Wissen auf
II. Vorträge II. Vorträge<br />
16 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
17<br />
ihn ausübt. Die Saat des Skeptizismus ist aufgegangen. Tatsächlich<br />
besitzt der moderne Mensch kein geistiges Selbstvertrauen mehr. Hinter<br />
seinem selbstsicheren Auftreten verbirgt er eine große geistige Unsicherheit.<br />
Trotz seiner großen materiellen Leistungsfähigkeit ist er ein in Verkümmerung<br />
begriffener Mensch, weil er von seiner Fähigkeit zu denken<br />
keinen Gebrauch macht.“<br />
Die Lehrerin unserer jungen Frau ist hin– und hergerissen zwischen den<br />
Standards, die im Bildungsplan für die Realschulen ausgewiesen sind und<br />
im Kontext der innerschulischen Diskussion wirksam werden. Sie steht<br />
ratlos vor dem Phänomen der konsequenten Einforderung des „Pädagogischen<br />
Verhältnisses“ (Wilhelm Flitner) oder des „Pädagogischen Bezuges“<br />
(Herman Nohl) durch eine in ihren existenziellen Wurzeln getroffene<br />
Schülerin. Gleichzeitig ist sie getrieben von den schulischen Zielen, die<br />
abstrakt gelten und momentan nichts mit den Lebensbedürfnissen dieser<br />
Schülerin zu tun haben.<br />
In dieser Situation kommt es ausschließlich auf Entschleunigung an. Der<br />
Fortschritt des schulischen Lernens muss für diese Schülerin von den<br />
Vorgaben eines linear gedachten Bildungsverlaufs entkoppelt und auf ein<br />
personal zugeschnittenes individuelles Curriculum bezogen werden. Dabei<br />
steht die Klärung von Beziehungen im Vordergrund. Die Orientierung an<br />
Möglichkeiten zur Eingliederung in berufl iche Kontexte ist demgegenüber<br />
zunächst ebenfalls nachrangig. Die Gewinnung von Lebenssinn geht der<br />
Verwendbarkeit in gesellschaftlichen Nützlichkeitskontexten vor!<br />
Das Vertrauen in das eigene Denken ist eine notwenige Voraussetzung für<br />
die dauerhafte Beteiligung einer mündigen Bürgerin am Wertschöpfungsprozess<br />
einer demokratischen Gesellschaft.<br />
Versetzungsordnungen und ihr formales Umfeld sind in dieser Situation<br />
irrelevant, denn alle wissen: Wenn sie (diese Schülerin) diese Krise durch<br />
eine verlässliche Beziehungserfahrung durchsteht, wird sie ihre persönlichen<br />
Ressourcen am Ende entfalten können.<br />
Anstatt diese junge Frau in einen zwar wohlgemeinten Kreislauf aber sich<br />
ständig beschleunigender, funktionenorientierter Förderaktivitäten zu jagen,<br />
braucht sie Entschleunigung. Sie braucht schlicht Zeit, in der sie uns,<br />
den Erwachsenen, begegnen kann, ohne dass Bedingungen formuliert<br />
werden. Diese junge Frau will uns schlicht beim Wort nehmen können!<br />
Bevor diese junge Frau ihre tief greifenden Lebensfragen nicht halbwegs<br />
klärend beantwortet fi nden kann, wird sie zum Scheitern in den vorgegebenen<br />
Bildungsstandards und Kompetenzniveaus verurteilt sein. Für diese<br />
junge Frau zählt aktuell nur, was in ihren konkreten Beziehungswünschen<br />
weiter hilft und ihnen Dauer verleiht. Ihr hilft kein Fachlehrersystem und<br />
kein noch so ausgefeiltes Förderprogramm, das sich vor allem an ihren<br />
Lernrückständen orientiert, die in erster Linie an den Vorgaben zu den<br />
angestrebten Kompetenzen ausgerichtet sind.<br />
Was wir für diese junge Frau brauchen ist zwar einerseits die Wahrheit der<br />
gesteckten curricularen Ziele, aber andererseits wird pädagogisch nichts<br />
gelingen, wenn sie keine Antworten auf ihre existenziellen Fragen fi ndet.<br />
Die Schule darf diese Fragen nicht mit psychoanalytischem Anspruch klären.<br />
Das darf gar nicht ihre Aufgabe sein und muss zwingend den diesbezüglichen<br />
Fachleuten vorbehalten bleiben. Die Schule muss existenziell<br />
betroffenen Schülerinnen und Schülern aber glaubwürdig begegnen. Das<br />
Credo muss lauten: Du bist mir wichtig –ich vertrauen Dir, ich habe Zutrauen<br />
in Dein Können – ich schaue nicht auf das, was Dich behindert,<br />
sondern auf das, was Dir Raum für neue positive Erfahrungen gibt.<br />
Wie kann man Lehrerinnen und Lehrer ermutigen, sich in der Konfrontation<br />
mit Kindern und Jugendlichen in krisenhaften Lebenslagen von der<br />
Vorstellung linear verlaufender Bildungsverläufe und von der scheinbaren<br />
Stringenz der Curricula zu lösen?<br />
Für Dorothee Sölle, die sich wie keine andere Theologin mit dem Phänomen<br />
des „Leidens“ auseinander gesetzt hat, geht es in der Pädagogik darum,<br />
das „Paradox zwischen Bedrohung und Heilung“ auszuhalten und es<br />
im pädagogischen Raum wirksam werden zu lassen. Sonderpädagogisch<br />
orientierte Förderung muss sich vor dem Hintergrund existenzieller Bedrohtheit<br />
auch die Freiheit zu zweckfreiem Handeln nehmen. Sie muss<br />
sozusagen auch im „nihilistischen Schock“ sinnstiftend wirksam bleiben,<br />
ohne die Faktizität der Bedrohung zu leugnen. Es gibt – unabhängig von<br />
Schularten und Bildungsstandards – pädagogische Situationen, in denen<br />
alleine zählt, ob ein beziehungstiftendes „DU“ entstehen kann. In<br />
bestimmten Situationen der totalen Zweckfreiheit kann Pädagogik unter<br />
Umständen höchsten Zwecken dienen – nämlich dem Leben!<br />
Die leider am 01.09.2009 verstorbene Erziehungswissenschaftlerin aus<br />
Hamburg, Renate Harter-Meyer, ist eine der wenigen aus ihrer Fachschaft,<br />
die sich neben anderen Fragen intensiv mit den Fragen der „Pädagogik bei<br />
Krankheit“ befasst hat. Eine ihrer gründlichen Untersuchungen trägt den<br />
Titel, „wer hier (in der Schule für Kranke an einer Klinik für Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie) nur Wissen vermitteln will, geht baden“…<br />
Renate Harter-Meyer orientiert sich in ihren Untersuchungen am klassischen<br />
Bildungsbegriff. Eine andere Stütze fi ndet sie im kritischen Bildungsbegriff<br />
Klaus Mollenhauers. Sie bemängelt unter anderem die mangelnde<br />
Wertschätzung der Schulen für Kranke durch die Schulverwaltung,<br />
kommt aber auch zum Ergebnis, dass sich die Pädagogen im klinischen<br />
Kontext selbst durch die Unterwerfung unter das Primat der Medizin entwerten.<br />
Ein weiteres Feld des mangelhaft ausgebildeten Selbstverständnisses<br />
der Krankenpädagogen ist die Unterordnung unter die Vorgaben<br />
der Versetzungs- und Prüfungsordnungen der Regelschulen. Sie folgen<br />
in ihrer pädagogischen Konzeptbildung weitgehend dem Diktat eines auf<br />
Kompensation angelegten Unterrichts.<br />
Renate Harter-Meyer führt weiter aus, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer<br />
im Kontext der klinischen Einrichtungen eher an therapeutisch orientierten<br />
Haltungen ausrichten, als an pädagogischen. Vor allem, so Renate<br />
Harter-Meyer, ist ein pädagogisch defi nierter Bildungsbegriff im Umfeld<br />
der Pädagogik bei Krankheit nur ansatzweise erkennbar. Schulkonzepte<br />
fehlen weitgehend.<br />
Das schwächt das Selbstvertrauen der Pädagogen. Sie orientieren ihre Arbeit<br />
vor allem an der Erhaltung der Anschlussfähigkeit ihrer Schülerinnen<br />
und Schüler zu den Herkunftsschulen und ihren Bildungsgängen. Dabei<br />
scheint ein Hang zur Überkompensation zu entstehen. Lehrerinnen und<br />
Lehrer an Schulen für Kranke stehen in der Gefahr, den allgemeinen Schulen<br />
rigidere Bildungskonzepte zu unterstellen, als diese sie in der Wirklichkeit<br />
und vor dem Hintergrund offen und kompetenzorientiert formulierter<br />
curricularer Bedingungen praktizieren.<br />
Renate Harter-Meyer bemängelt vor diesem Hintergrund einen verkürzten<br />
Bildungsbegriff, der in der Pädagogik bei Krankheit vorherrscht. Ihre<br />
Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass in den Schulen für Kranke<br />
das hektische Nachhecheln hinter den stoffl ichen Fortschritten in den Herkunftsschulen<br />
ein deutlich bestimmender Faktor ist. Deshalb unterliegen<br />
die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen für Kranke manchmal deutlicher<br />
als ihre Kolleginnen und Kollegen in den Regelschulen auch dem Diktat<br />
fachdidaktisch ausgerichteter Annahmen, obwohl diese in den geltenden<br />
kompetenzorientierten Curricula keine Entsprechung mehr fi nden. Meist<br />
sind sie auch durch fächerübergreifende Zuordnungen abgelöst worden.<br />
Viele Schulen für Kranke defi nieren sich demnach fast ausschließlich über<br />
ihre „Überbrückungsfunktion“ zwischen Klinik und Herkunftsschule. Systematisch<br />
angelegte Konzepte zur Gestaltung von Übergängen sind laut<br />
Renate Harter-Meyer eher selten. Vor allem fehlt in der Pädagogik bei<br />
Krankheit ein eigenständiges Bildungsverständnis.<br />
Renate Harter-Meyer fordert für die Pädagogik bei Krankheit die Erarbeitung<br />
eines Bildungsbegriffs, der Bildung als einen Prozess versteht, „bei<br />
dem es um Aneignung von Welt und zugleich um kritische Distanz zu ihr<br />
geht. Persönlichkeitsbildung und Wissensvermittlung sind aufeinander zu<br />
beziehen“.<br />
Für Renate Harter-Meyer zielt Bildung auf „Selbstvergewisserung, Sinnkonstitution<br />
und zeitgeschichtliche Ortsbestimmung“.<br />
Die Lehrerinnen und Lehrer an Schulen für Kranke setzen neben der Wissensvermittlung<br />
im Sinne des Erhalts der Anschlussfähigkeit ihrer Schüler<br />
vor allem auf Beziehungspädagogik. Sie werden in dieser Erwartung aber<br />
oft enttäuscht, weil kurze stationäre Verweildauern zu einer starken Fluk-<br />
tuation der Schülerinnen und Schüler führen und häufi ge Beziehungsabbrüche<br />
mit sich bringen. Schulkonzepte, die die Koordinations- und Beratungsfunktion<br />
der Schule für Kranke in den Bereichen der Prävention und<br />
der nachgehenden Betreuung neben dem klassischen Krankenunterricht<br />
in den Mittelpunkt stellen, können stabilisierend wirken. Außerdem plädiere<br />
ich auch dafür, dass Schulen für Kranke Maßnahmen des Hausunterrichts<br />
nicht nur anregen und koordinieren, sondern sie auch eigenverantwortlich<br />
durchführen können sollten, wo dies im Sinne der Stabilisierung<br />
von fragilen Lehrer-Kind-.Beziehungen angezeigt ist.<br />
Meine Damen und Herren,<br />
aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass die Pädagogen, die sich mit<br />
Menschen in besonderen Lebenslagen konfrontiert sehen, Sicherheit<br />
im Hinblick auf den Bildungsbegriff gewinnen, der ihrem Handeln zugrunde<br />
liegt.<br />
Sie müssen sich sicher sein, dass das Sich-Einlassen auf besondere Lebens-<br />
und Lernerfordernisse und auf existenziell geprägte Fragestellungen<br />
unter weitgehender Hintanstellung allgemein formulierter Bildungsstandards,<br />
den Grundanliegen des klassischen Bildungsbegriffs voll und<br />
ganz entspricht.<br />
Nach Hartmut von Hentig gilt:<br />
„Bildung soll junge Menschen in der Entfaltung und Stärkung der gesamten<br />
Person fördern – so, dass sie am Ende dieses Prozesses das Subjekt<br />
dieses Vorganges sind“ (Bildungspläne Baden-Württemberg, 2004)<br />
Für die Sonderpädagogik hat eine Gruppe um den Reutlinger Sonderpädagogen<br />
Hans-Jörg Kautter ein Förderkonzept für behinderte Kinder entwickelt,<br />
in dem diese sich als „Akteure ihrer eigenen Entwicklung“ entfalten<br />
können sollen.<br />
Von Hentig formuliert nichts anderes, als es auch Wilhelm von Humboldt<br />
getan hat:<br />
„Der wahre Zweck des Menschen ist die höchste und proportionierlichste<br />
Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen Bildung muss die natürliche<br />
Einseitigkeit einer jeden Kraft mit der anderer Kräfte vermitteln,<br />
ohne sie dadurch zu schwächen!“<br />
Was täte die Deutschlehrerin unserer Dichterin anderes, wenn sie unserer<br />
jungen Dichterin Raum und Zeit für Beziehungserfahrung und Selbstfi ndung<br />
geben könnte, anstatt sie in die Jagd nach fremdbestimmten Zielen<br />
zu hetzen?<br />
Meine Damen und Herren,<br />
ich bleibe dabei, dass Bildung am ehesten geschieht, wo sie den Lebensbedürfnissen<br />
des einzelnen Menschen folgt. Wo sie sich in die Hetzjagd<br />
eines vordergründigen Effi zienz-oder Erfolgsstrebens begibt, verkommt<br />
sie zu kurzatmigem Aktionismus. Schließlich gilt Goethes Wort gerade in<br />
grenzwertigen Situationen:<br />
„Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst!“<br />
Wo wir das Leben – auch in seinen schwierigsten Situationen – zulassen,<br />
öffnen wir der Menschenbildung den ihr zukommenden Raum!<br />
Mit Friedrich Fröbel gesprochen weist diese Botschaft über sich hinaus:<br />
„Die Bestimmung jedes Dings und die besondere Bestimmung und der Beruf<br />
des Menschen ist: Sein Wesen, das Göttliche in ihm, zu entwickeln und<br />
darzustellen; die Behandlung des Menschen zu diesem Ziel ist Erziehung<br />
Die Erziehung bewirkt die Darstellung des Göttlichen im Menschen<br />
und die Erkenntnis desselben in der Natur durch den Menschen. Sie führt<br />
den Menschen zum Frieden mit Gott, mit sich und den Menschen und mit<br />
der Natur…“<br />
Unsere junge Dichterin ist für ihre Bildung (also Gestaltwerdung) auf die<br />
Freiheit dieses Friedens wahrlich angewiesen.<br />
Unsere Dichterin wurde in eine Parallelklasse versetzt um die „Störungen<br />
und Ablenkungen“ abzubauen, die für ihren schulischen Lernfortschritt<br />
vom Zusammensein mit ihrer einzig verbliebenen Freundin in der bisher<br />
gemeinsamen Klasse ausgegangen waren.<br />
Krebs bei Kindern – Was kommt nach der Heilung?<br />
Therapiefortschritte und Partizipation der Schule<br />
Prof. Dr. med. Stefan Burdach<br />
Direktor der Klinik und Chefarzt, Kinderklinik München Schwabing<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
„Every society honors its living conformists<br />
and its dead troublemakers“<br />
Mignon McLaughlin (1913-1983)<br />
Apropos troublemaker:<br />
Die gute Nachricht lautet: wir können Kinder mit tödlichen Krankheiten heilen<br />
Die schlechte Nachricht lautet: weil sie gesund werden, müssen wir uns<br />
um sie kümmern.<br />
Das ist das Motto unserer Klinik.<br />
Ich möchte zur Verdeutlichung zunächst einen Kontrapunkt setzen: Eine<br />
Gesellschaft, die sich von ihren Kindern verabschiedet, verabschiedet sich<br />
von ihrer Zukunft.<br />
Heute geht es mir um drei Herausforderungen für die Schule für Kranke:<br />
1. Medizinische<br />
2. Psychologische<br />
3. Soziale<br />
Ich möchte beginnen mit zwei Thesen zum Unterschied zwischen Pädiatrie<br />
und Erwachsenenmedizin, um die medizinischen Rahmenbedingungen der<br />
Schule für Kranke abzustecken:<br />
1. Die Pädiatrie ist ein kuratives Fach und<br />
2. Im Unterschied zur Erwachsenenmedizin, die sich überwiegend mit der<br />
symptomatischen Behandlung von Alters- und Verschleißerkrankungen<br />
befassen muss -ein sehr wichtiges Thema in unserer Altersgesellschaftgeht<br />
es in der Kinder- und Jugendmedizin überwiegend um Heilung oder<br />
zumindest um langfristiges Überleben mit chronischer Erkrankung.<br />
Bei Krebs bei Kindern, geht es um Heilung. Es ist ja oft gefragt worden,<br />
was hat die Medizin eigentlich für Fortschritte gemacht? Sind es technische<br />
Fortschritte oder sind es Fortschritte, die wirklich zur Heilung von<br />
Krankheiten führen? Da lohnt sich ein Blick auf die Kinder- und Jugendmedizin.<br />
„Wird Krebs selten geheilt?“ Ein immer noch verbreitetes Vorurteil,<br />
eine verbreitete Auffassung: Es sei eine tödliche Diagnose. Hier<br />
die Ergebnisse der letzten 20 Jahre anhand von ca. 26.000 behandelten<br />
Kindern in Deutschland, die an Krebs erkrankt waren. Sie sehen, dass sie<br />
insgesamt vier von fünf Kindern mit Krebs heilen können. Am besten sind<br />
die Ergebnisse bei Leukämie und Lymphomen. Bei anderen Heilungsraten<br />
etwas niedriger. „Krebs bei Kindern wird meist geheilt!“ Die Antwort
II. Vorträge II. Vorträge<br />
18 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
19<br />
„selten geheilt“ wäre falsch. Für einzelne Erkrankungen sind die Behandlungserfolge<br />
besonders beeindruckend. Ich möchte hier eine Erkrankung<br />
herausgreifen, mit der wir uns besonders befassen, das Ewing Sarkom. Ein<br />
besonders bösartiger Knochentumor, 1940 die Heilungsrate noch unter 10<br />
%, ist sie heute deutlich über 60 %.<br />
Krebs bei Kindern: Zunahme der Behandlungserfolge<br />
Eine andere wichtige Erkrankung im Zusammenhang mit den Herausforderungen,<br />
die sich in der Schule stellen, sind die Hirntumore. Auch hier sind<br />
die Heilungsraten deutlich gestiegen. Krebs bei Kindern wird also meist<br />
geheilt. In diesem Jahr wird in Deutschland einer von 250 Erwachsenen<br />
zwischen 15 und 45 Jahren Überlebender einer Krebserkrankung im Kindesalter<br />
sein.<br />
Nun gibt es Politiker -natürlich außerhalb von Bayern-, die sagen: „Darin<br />
könnte doch ein Beitrag zur Lösung des demographischen Problems liegen.“<br />
Das ist keine neue Erfahrung, die wir als Kinderärzte machen, dass<br />
man sich besonders um unser Fach kümmert, wenn der Politik auffällt,<br />
dass uns zum Beispiel die Rentenzahler ausgehen oder andere Leistungsträger,<br />
die die Gesellschaft für unverzichtbar hält. Ich denke, diese Sicht<br />
der Zukunft löst nicht die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.<br />
Nur, wenn wir uns um die Kinder um der Kinder willen kümmern,<br />
dann stellen wir die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft unter Beweis.<br />
Ich möchte Ihnen kurz von Peter (Name geändert) erzählen. Peter war<br />
knapp 18 Jahre, als er im Februar 2009 zu uns kam. Er litt an einem Ewing<br />
Sarkom und hatte ca. 50 Knochenmetastasen. Vielleicht wissen Sie<br />
aus ihrer eigenen Erfahrung in Ihrer Familie von Brustkrebs oder von knochenmetastasierendem<br />
Prostatakrebs, dass Knochenmetastasen im Allgemeinen<br />
ein Todesurteil bedeuten. Metastasen (Streukrebs ) sind schon<br />
schlimm, wenn ein Krebs in den Knochen metastasiert, dann ist das allgemein<br />
das Todesurteil.<br />
Multifocal Ewing Tumors (ET): Leukemia and Solid Tumor at once<br />
Primary multifocal bone metastatic disease in ET has two features:<br />
(1) Local (multifocal) disease; (2) Systemic disease<br />
Die Ärzte in der Kinderklinik München Schwabing, die auf diese Krankheit<br />
spezialisiert sind, haben versucht das Todesurteil zu revidieren, indem sie<br />
mit Peter eine sehr eingreifende Therapie durchgeführt haben, die auch<br />
fünf Stammzelltransplantationen einschloss. Peter hatte im Jahr vor der<br />
Diagnose seine Mutter verloren.<br />
Bei der Geburt seiner kleinen Schwester starb seine Mutter. Einige Monate<br />
nach der Diagnose starb seine geliebte Oma, der wichtigste Bezugspunkt<br />
in der Familie. Peter ist danach bei seinen Tanten aufgewachsen,<br />
weil sowohl er als auch sein Vater, es für besser hielten, wenn Peter bei<br />
den Tanten aufwächst. Er hat in dieser Familie ein beeindruckendes und<br />
liebevolles Netzwerk gefunden. Davon konnten wir uns im Laufe der anstrengenden<br />
Behandlung sehr eindrücklich überzeugen. Er hat in diesem<br />
Jahr, in dem wir ihn behandelt haben, keinen einzigen Behandlungstermin<br />
versäumt, obwohl er aus Niederbayern kommt und jeden Tag über 100<br />
km zur Klinik fahren musste. Man könnte meinen, bei solchen Schicksalsschlägen,<br />
hat man nun etwas anderes im Kopf als die Schule. Doch es war<br />
so, dass schon unmittelbar nach der Diagnose seine Lehrerin, Beate Winkler,<br />
Kontakt aufnahm zur Heimatschule, sich nach seinen Berufswünschen<br />
erkundigte. Er wollte Heizungsbauer werden. Sie hat dann mit der Schule<br />
gemeinsam einen Lernplan aufgestellt und mit ihm gearbeitet. Heute hat<br />
Peter diese Erkrankung überlebt und er will Elektronikkaufmann werden.<br />
Er holt jetzt gerade seinen qualifi zierenden Hauptschulabschluss nach. Ich<br />
denke, das ist eine beeindruckende Geschichte, die viele Punkte illustriert,<br />
die ich nachfolgend mit Ihnen besprechen möchte.<br />
Ein kleinerer Patient von uns hat aber diesen Zusammenhang einmal anders<br />
dargestellt. Und da ein Bild mehr sagen kann als 1000 Worte, möchte<br />
ich Ihnen dieses Bild, das Lisa Meixner-Mücke überlassen hat, zeigen. Es<br />
zeigt eine Brücke zwischen dem Krankenhaus und der Schule und das ist<br />
die Brücke zum Leben. So empfi nden es die Kinder, ob sie klein oder groß<br />
sind, so wie dieser Künstler hier oder Peter.<br />
Warum also Schule für Kranke? Kranke Kinder haben einen intellektuellen<br />
Anspruch, sie wollen ernst genommen werden und dies gilt vielleicht für<br />
kranke Kinder noch in stärkerem Maße als für gesunde Kinder. Die Schule<br />
für Kranke gibt Perspektive und Selbstvertrauen. Denn, wenn die Kinder<br />
auch mit einer Krebserkrankung hier im Krankenhaus zur Schule gehen,<br />
wird der Anschluss an das Leben nicht verloren. Die Schüler, Kinder, Patienten<br />
spüren sehr genau, dass sie auch als Patienten und als Kinder aufgegeben<br />
werden, wenn sie als Schüler aufgegeben werden.<br />
Die Schule für Kranke hat aber eine besondere pädagogische Herausforderung.<br />
Auf diese pädagogische Herausforderung möchte ich eingehen.<br />
Es ist nicht einfach so, dass wir alle Kinder heilen und sie gehen dann<br />
wieder als gesunde Kinder bei Ihnen in die Schule. Es ist vielmehr so, dass<br />
die unerwünschten Langzeitfolgen der Krebstherapie ganz erheblich sind.<br />
Es gibt hier eine Arbeit von Oeffi nger und Kollegen, die 2006 erschienen<br />
ist, über mehr als 10.000 erwachsene Überlebende von Krebserkrankungen<br />
im Kindesalter. Diese Arbeit zeigt, dass sogenannte „chronic health<br />
conditions“ (das ist ein amerikanischer Euphemismus, wir sagen eher<br />
„Spätfolgen“) späte Toxizität des Überlebens von Krebserkrankung erheblich<br />
sind; bis zu 40 % der Patienten haben nach 30 Jahren schwerwiegende<br />
Nebenwirkungen. Für Leukämien, die rote Kurve hier, das sind<br />
die schwerwiegenderen, das sind die allgemeinen Beeinträchtigungen. Sie<br />
sehen, dass die Mehrheit der Patienten Beeinträchtigungen leichterer Art<br />
hat, aber ein erheblicher Prozentsatz schwere Beeinträchtigungen, die die<br />
Lebensqualität im Alltag beeinfl ussen. Das ist etwas niedriger bei den Leukämien<br />
und wie schon für die Heilungsraten zutreffend, etwas höher bei<br />
den soliden Tumoren, z. B. den Sarkomen und den Hirntumoren.<br />
Natürlich arbeiten wir als Ärzte und Wissenschaftler daran, diese Giftigkeit<br />
der Therapie zu reduzieren. Wir arbeiten zum Beispiel daran, dass Eltern<br />
spezielle Zellen spenden, die die Krebserkrankung bei Kindern heilen. Wir<br />
können tatsächlich eine Perspektive eröffnen, wie wir Tumorstammzellen<br />
dazu bringen können, dass sie sich gutartig verhalten, dass sie ihre Bösartigkeit<br />
verlieren.<br />
Das hat zwei interessante Implikationen, auch für Sie. Wir können es<br />
diesen Zellen beibringen, ohne dass wir ihre genetischen Eigenschaften<br />
verändern. Wir können die Tumorzellen, die Tumorstammzellen zu Gutartigkeit<br />
erziehen, indem wir ihre Umgebungsbedingungen entsprechend<br />
verändern.<br />
Eine zweite wichtige Implikation, die wir aus dieser Forschung gelernt haben,<br />
ist dass dieses Streben nach ewiger Jugend, dieses „forever young“<br />
seinen Preis hat, sein pay off und das kann die Bösartigkeit sein.<br />
Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass wir heuer die ersten Patienten<br />
tatsächlich mit Zellen ihrer Eltern behandeln können. Dabei können<br />
väterliche Zellen mütterliche Eigenschaften auf den Tumorzellen der Kinder<br />
erkennen und wir hoffen dadurch, einige der Langzeittoxizitäten zu<br />
reduzieren, aber das ist Zukunft.<br />
In der Gegenwart allerdings müssen Sie sich noch immer in ihrer pädagogischen<br />
Arbeit auch mit Langzeitfolgen der Behandlung bei Heilung auseinandersetzen.<br />
Und das sind erhebliche, es können durch die Behandlung<br />
selbst Krebserkrankungen entstehen, es fi nden sich Spätfolgen am zentralen<br />
Nervensystem und es fi nden sich Hormonstörungen mit Beeinträch-<br />
Technische Universität München<br />
tigung der Pubertät. Dies alles wirkt sich auf die Lebensqualität der Schüler<br />
Schwere aus, aber, Spätfolgen stellt auch nach an Sie Leukämie- als Pädagogen und erhöhte Lymphomerkrankung<br />
Anforderungen.<br />
• Zweitmalignome<br />
• Kardiomyopathien -<br />
Herzinsuffizienz<br />
• Spätfolgen am<br />
Zentralnervensystem<br />
• Hormonstörung -<br />
Pubertät, Fertilität<br />
• Nierenschädigungen<br />
• Skelett- /<br />
Weichteilschäden<br />
Erhöhter<br />
Pädagogischer<br />
Aufwand<br />
Das waren die somatischen Probleme, mit denen Sie sich auseinandersetzen<br />
müssen. Hinzu kommen seelische Spätfolgen: Es gibt eine sehr<br />
gute Untersuchung von Lonnie Seltzer, letztes Jahr publiziert, über den<br />
psychologischen Zustand von Überlebenden einer Krebserkrankung im<br />
Kindesalter. In dieser Untersuchung wurde gefunden, dass –erwartungsgemäß-<br />
Überlebende von mehr Symptomen und Disstress und schlechterem<br />
somatischen Befi nden berichten, aber dass die emotionale Qualität<br />
des Lebens, also HRQUOL – steht für Health related quality of life, – ist<br />
die Lebensqualität. Emotional ist die Lebensqualität der Überlebenden von<br />
Krebserkrankten sehr gut. Sie haben sowohl eine hohe Zufriedenheit mit<br />
ihrem jetzigen Leben, als auch große Erwartungen an die Zukunft. Risikofaktoren<br />
für psychologischen Disstress und schlechtere Lebensqualität<br />
sind, und da möchte ich jetzt einige herausgreifen, schlechte Schulbildung,<br />
lower educational attainment, niedriges Einkommen, also schlechte<br />
Erfolge im Beruf. Natürlich stellen Kinder mit Hirntumoren eine besondere<br />
Herausforderung dar, und diese psychologischen Disstressfaktoren haben<br />
auch einen wichtigen Impact auf die weitere somatische Prognose. Sie<br />
führen dazu, dass es ungesunde Lebensweisen häufi ger gibt. Psychologischer<br />
Disstress führt auch dazu, dass die Compliance mit der Medizin<br />
geringer wird. Aber die bottom line ist, dass die meisten Überlebenden<br />
psychologisch gesund sind und über Zufriedenheit mit ihrem Leben be-<br />
richten und es deshalb auch für die Pädagogik eine Herausforderung ist,<br />
diese Risikofaktoren anzugehen für psychologischen Disstress und für<br />
diese Risikofaktoren Interventionen zu fi nden. Das bedeutet, vom ersten<br />
Tag an eine Schule und an den Abschluss zu denken. Die Konsequenzen<br />
sind, dass die Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindesalter eine<br />
besondere pädagogische Förderung brauchen und diese pädagogische<br />
Förderung ist etwas ganz anderes als die psychosoziale Betreuung. Diese<br />
pädagogische Förderung kann präventiv wirken im Bezug auf die Risikofaktoren<br />
für psychischen Disstress und schlechte gesundheitsbezogene<br />
Lebensqualität. Und Kinder mit Hirntumoren stellen natürlich eine besondere<br />
Herausforderung an die Schule dar.<br />
Konsequenzen für die Schule für Kranke:<br />
• Die Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindesalter brauchen besondere<br />
pädagogische Förderung<br />
• Pädagogische Förderung ist zu unterscheiden von psychosozialer Betreuung<br />
• Pädagogische Förderung kann präventiv in Bezug auf Risikofaktoren für<br />
psychischen Distress und schlechte gesundheitsbezogene Lebensqualität<br />
wirken<br />
• Kinder mit Hirntumoren brauchen besondere Zuwendung<br />
Ich möchte zum Schluss noch auf den sozialen Aspekt eingehen. Sie sehen<br />
hier vor unserer Klinik die Teilnehmer der „Tour der Hoffnung“. Die „Tour<br />
der Hoffnung“ ist eine Fahrradtour, die Überlebende einer Krebserkrankung<br />
im Kindesalter machen, bei der sie 600 km durch Deutschland fahren.<br />
Ich, der immer von mir gedacht habe, ich wäre sportlich interessiert,<br />
hatte sehr große Hochachtung vor diesen Kindern, als sie unsere Klinik<br />
besucht haben. Und sie besuchen die Kinderkrebsklinik, um den Patienten,<br />
die dort mit der Diagnose Krebs konfrontiert sind, Mut zu machen.<br />
Mut zu machen für das Leben, was nach der Diagnose kommt und Mut zu<br />
machen für die Schule, damit sie dieses Leben bestehen. Denn es ist umso<br />
wichtiger, dass vom ersten Tag an die Schule gedacht wird. Nur der Erfolg<br />
in der Schule ist eine geeignete Voraussetzung, um den Kampf gegen diese<br />
Vorurteile zu überwinden.<br />
Ich möchte zu den Schlussfolgerungen kommen:<br />
• Das Überleben von Kindern mit chronischen Krankheiten nimmt zu<br />
• Die Überlebenden benötigen längerfristig voll- und teilstationäre<br />
Behandlung<br />
• Damit steigt der Bedarf an Beschulung in der Klinik<br />
• Ohne Schulen für Kranke verlieren Kinder den Kampf um ihr Leben<br />
trotz Heilung<br />
Ich möchte Sie aus meinem Vortrag entlassen mit drei Thesen:<br />
• Die Identität einer Gesellschaft wird bestimmt vom Glauben an ihre<br />
Zukunft; diese Zukunft sind ihre Kinder.<br />
• Wenn wir heute Kinder von vielen Erkrankungen heilen können, die<br />
gestern noch tödlich waren, dann können wir nicht wollen, dass diese<br />
Kinder zwar gesund werden, aber nach der Heilung im Leben scheitern<br />
und als soziale Versager der Gesellschaft zur Last fallen müssen.<br />
• Wir müssen dafür sorgen, dass sie gesund werden und dabei den Anschluss<br />
in der Schule und an das Leben nicht verlieren.<br />
Kinder – Gesundheit – Zukunft.<br />
Unsere Zeit gehört den Kindern und Kinder, die dem Tod abgerungen wurden,<br />
können in der Schule nicht vernachlässigt werden, in einer Gesellschaft<br />
die an ihre Zukunft glaubt.<br />
Die Schule kommt nicht erst nach der Heilung. Es wäre dann zu spät.<br />
Ich möchte allen, meinen Kollegen unter den Pädagogen, unter dem psychosozialen<br />
Team und auch unter den Ärzten danken für die Hilfe bei der<br />
Vorbereitung dieses Vortrages. Ihnen möchte ich danken für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
Dank an …<br />
Lisa Meixner-Mücke<br />
Beate Winkler<br />
Irmela Girster<br />
PD Dr. Dr. Irene Teichert - von Lüttichau<br />
Dr. Angela Wawer
II. Vorträge II. Vorträge<br />
20 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
21<br />
Psychisch kranke Schüler – Was ist zu tun?<br />
Prof. Dr. med. Franz Joseph Freisleder<br />
Ärztlicher Direktor des Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />
Psychotherapie und Psychosomatik<br />
Noch niemals in der deutschen Nachkriegsgeschichte stand die Institution<br />
Schule so häufig im grellen gesellschaftlichen Rampenlicht wie in diesen<br />
Tagen. Auffallend ist dabei, dass die kritischen Töne über die Schule offenbar<br />
deutlich überwiegen. Jedes Jahr beenden in Deutschland etwa 80.000<br />
Jugendliche ihre Schule, ohne ein Zeugnis in Händen zu haben. Das Institut<br />
der Deutschen Wirtschaft bezifferte vor einiger Zeit die Folgekosten einer<br />
mangelhaften Effizienz des Schulsystems, bedingt vor allem durch die<br />
hohen Zahlen von Sitzenbleibern und Abbrechern, auf jährlich 3,7 Mrd..<br />
„Hauptschule in der Sackgasse“, „Die Schule – Brutstätte der Gewalt“<br />
oder „Schüler <strong>2010</strong> – zwischen Leistungswillen und Zukunftsangst“ lauten<br />
etwa die Zeitungsschlagzeilen, die uns nahezu tagtäglich das Bild einer<br />
krisengeschüttelten deutschen Schullandschaft suggerieren. Der Auftakt<br />
zu unserer Fachtagung <strong>HOPE</strong> mit dem hoffnungsvollen Titel „Das kranke<br />
Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik und Medizin“ ist ein guter<br />
Anlass dafür, einmal aus psychiatrischer Sicht die Rolle der Schule an sich<br />
einerseits bei der Entstehung, andererseits aber auch bei der Erkennung<br />
und günstigen Beeinflussung von seelischen Störungen im Kindes- und<br />
Jugendalter etwas genauer zu beleuchten.<br />
Ein Blick in die Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt uns<br />
jedoch, dass Kritik an der Schule eigentlich nichts Neues ist und einzelne<br />
Kinder auch damals unter der Schule psychisch mindestens ebenso heftig<br />
litten wie in der Gegenwart: Ein Beispiel dafür sind etwa die deprimierenden<br />
Erlebnisse und Verwirrungen des Zöglings Törleß in einem Schulinternat,<br />
die Robert MUSIL 1906 in seinem Roman schildert. Im selben Jahr erscheint<br />
Hermann HESSEs Roman „Unterm Rad“, 25 Jahre später Friedrich<br />
TORBERGs „Schüler Gerber“. In beiden Werken wird die im Suizid endende<br />
Depression zweier Jugendlicher skizziert. HESSEs Protagonist, der junge<br />
Hans Giebenrath, ist den übertriebenen väterlichen Erwartungen auf Dauer<br />
nicht gewachsen, scheitert überfordert am Leistungsdruck in Schule<br />
und Ausbildung und zerbricht schließlich endgültig an einer unglücklich<br />
verlaufenden ersten Liebesbeziehung. Ganz ähnlich ist auch die Problematik<br />
von TORBERGS an sich intelligentem Schüler Kurt Gerber, der mit<br />
seiner Schwäche in Mathematik und einem einengend-sadistischen Klassenlehrer<br />
nicht zurecht kommt, deshalb immer depressiver wird und am<br />
Schluss verzweifelt aus dem Fenster springt.<br />
Überforderte, gefrustete Schüler und erschöpfte, ausgebrannte Lehrer<br />
– deutet dieses Phäno-men denn nicht eindeutig darauf hin, dass schulische<br />
Faktoren ganz wesentliche Verursacher für die Zunahme z. B. von<br />
affektiven Störungen im Kindes- und Jugendalter und für Depressionen<br />
speziell bei Lehrerinnen und Lehrern sind? Ist es also angesichts des zuerst<br />
beschriebenen Sze-narios wirklich in erster Linie das System Schule<br />
per se, das bei seinen zweierlei Akteuren am Pult und hinter den Bänken<br />
die Lebensqualität verschlechtert und sie schließlich immer häufiger krank<br />
macht? Oder kommen dafür auch andere Ursachen in Frage?<br />
Der Kinder- und Jugendpsychiater als einer der Spezialisten für psychisch<br />
auffällige oder kranke Heranwachsende kann, wenn er die letzten 25 Jahre<br />
Revue passieren lässt, vor allem eines feststellen: Gleichgültig, in welcher<br />
deutschen Region er arbeitet, ob in der Praxis oder in einer Kli-nik, er ist<br />
gefragter denn je. Zuwachsraten bei der Inanspruchnahme von jährlich<br />
10–20 % vor allem im ambulanten Bereich und oft überbelegte Stationen<br />
könnten als Beleg für eine drastische Zunahme psychischer Störungen im<br />
Entwicklungsalter interpretiert werden, vor allem wenn man gleichzeitig<br />
bedenkt, dass die geburtenstärkeren Jahrgänge bereits aus den Kinderschuhen<br />
sind. Analysieren wir die allgemeinen Krankheitsmuster der gegenwärtigen<br />
Kinder- und Jugendgeneration etwas genauer, so ist ein Trend<br />
weg von den überwiegend körperlichen hin zu den im weitesten Sinn psychosozialen<br />
Störungen unübersehbar. Während auf der einen Seite die<br />
kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken aus den Nähten platzen und in<br />
den Praxen und Ambulanzen unseres Faches für psychisch auffällige Kinder<br />
mehrmonatige Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen, gibt<br />
es auf der anderen Seite in den klassischen somatischen Kinderkrankenhäusern<br />
oft freie Kapazitäten – gelegentlich mit der Folge, dass man dort<br />
mit manchmal unzureichenden Mitteln unter dem Etikett „Psychosomatik“<br />
auch mildere psychiatrische Störungsbilder versorgen will.<br />
Zunehmende Nachfrage und Inanspruchnahme eines fundierten kinder-<br />
und jugendpsychiatrischen Angebots hängen aber mit mehreren Faktoren<br />
zusammen. Ein wesentlicher Aspekt ist sicherlich, dass sich im Verlauf der<br />
zurückliegenden Jahre die Qualität der Versorgungsleistung in Erkennung,<br />
Diagnostik, Therapie und Rehabilitation durch die Einrichtungen der Kinder–<br />
und Jugendpsychiatrie und - psychotherapie ständig verbessert hat.<br />
Während z. B. in Bayern vor 20 Jahren nur einige wenige Kliniken und eine<br />
Handvoll niedergelassener Fachärzte existiert haben, gibt es inzwischen<br />
in jedem Regierungsbezirk wenigstens ein kinder- und jugendpsychiatrisches<br />
Krankenhaus, das wegen der hohen Nachfrage in seiner Peripherie<br />
ergänzende Abteilungen und Ambulanzen eröffnen muss. Eine wachsende<br />
Zahl von Facharztpraxen – leider bevorzugt in den städtischen Ballungsräumen<br />
– und moderne, ansprechende Kliniken verkürzen oft die gewohnten<br />
langen Wege für betroffene Familien.<br />
Zusätzlich führt die starke Medienpräsenz der Thematik der gefährdeten<br />
seelischen Gesundheit von Kindern zu einem steigenden Bekanntheitsgrad<br />
unseres Fachgebietes und damit auch zu Enttabuisierung und Abnahme<br />
der Schwellenangst vor einem Besuch beim Kinder- und Jugendpsychiater.<br />
Viele Eltern und professionell mit verhaltensauffälligen Kindern und<br />
Jugendlichen Befasste fragen heute häufiger und schneller um Rat und<br />
Unterstützung nach. Dies führt dazu, dass den Institutionen der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie – auch nach dem Motto „Angebot<br />
schafft Nachfrage“ - immer zahlreicher Patienten mit psychischen<br />
Störungsbildern bzw. entsprechenden Verdachtsmomenten zugewiesen<br />
werden. Viele von ihnen wären in der Vergangenheit überhaupt nicht erkannt<br />
oder fachlich nur inadäquat versorgt worden.<br />
In diesem Kontext stellt sich natürlich auch die Frage, ob heute tatsächlich<br />
mehr Kinder und Ju-gendliche seelisch krank sind als früher. Während Epidemiologen<br />
zahlenmäßig insgesamt keinen dramatischen Anstieg des gesamten<br />
Störungsspektrums vermelden, registrieren sie folgenden Trend:<br />
Entsprechend der aktuellen BELLA-Studie zur seelischen Gesundheit von<br />
Kindern und Jugendlichen in Deutschland finden sich zwar, ähnlich wie<br />
in epidemiologischen Untersuchungen bereits vor 25/30 Jahren, bei 18-<br />
20 Prozent dieser Altersgruppe psychische und psychosomatische Auffälligkeiten<br />
mit Abklärungsbedarf. Die Notwendigkeit einer nachhaltigen<br />
therapeutischen Intervention wird heute allerdings nicht mehr wie früher<br />
nur bei einem Viertel, sondern bereits bei der Hälfte der als auffällig identifizierten<br />
Kinder gesehen.<br />
Im klinischen Alltag entsteht der Eindruck, dass man einigen Störungsmustern<br />
öfter als noch vor einiger Zeit begegnet. Dazu zählen Kinder mit<br />
umschriebenen, oft kombinierten Entwicklungsstörungen, z. B. im Bereich<br />
Lesen und Rechtschreiben bzw. Rechnen, die deshalb in schulische Nöte<br />
und eine soziale Außenseiterposition geraten; außerdem Kinder und Jugendliche<br />
mit immer häufiger schon in den ersten Grundschuljahren beginnenden<br />
Störungen des Sozialverhaltens vor allem aggressiv-expansiver<br />
Tönung; weiter Vorschul- und Schulkinder mit einem hyperkinetischen<br />
Syndrom bzw. einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung<br />
(ADHS), die eine erhebliche Gefährdung in ihrer familiären, schulischen<br />
und sozialen Integration in sich birgt; dann solche mit einer bereits länger<br />
andauernden Schulverweigerung; oder schließlich eine steigende Anzahl<br />
von Jugendlichen und sogar Kindern mit einem sehr früh einsetzenden<br />
Alkohol- und Drogenmissbrauch. Vom Pubertätsalter an werden darüber<br />
hinaus öfter als bisher in Praxis und Klinik vor allem Mädchen mit anorektisch-bulimischen<br />
Syndromen und Jugendliche nach auto- oder fremdaggressiven<br />
Erregungsdurchbrüchen bzw. depressiv-suizidalen Krisen vorgestellt.<br />
Signifikant mehr geworden sind überhaupt Angst- und depressive<br />
Erkrankungen des Entwicklungsalters. Und nicht zu vergessen ist die zahlenmäßig<br />
angestiegene Gruppe derjenigen jungen Patienten, die dank des<br />
Fortschritts in der Pädiatrie Komplikationen als Frühgeborene, ein Trauma,<br />
eine maligne oder eine Stoffwechsel-Erkrankung überlebt haben, aber vor<br />
diesem Hintergrund ein erhöhtes Risiko für spätere psychische Störungen<br />
in sich tragen. Alle hier aufgeführten, sehr unterschiedlichen und vielgestaltigen<br />
Störungsbilder, die wir im Lauf des Entwicklungsalter sehen, können<br />
eines gemeinsam haben: Sie fallen zum ersten Mal in der Schule auf.<br />
So ist der Eintritt ins Schulleben für einen 6-Jährigen oft das einschneiden-<br />
de Life-Event in seiner bisherigen Entwicklung. Schließlich verlässt er bei<br />
dieser Gelegenheit einen bis dato eng umschriebenen Lebensraum, der<br />
für ihn – natürlich abhängig vom individuellen familiären Kontext – relativ<br />
überschaubar, dabei mehr oder weniger strukturiert, aber in aller Regel<br />
ohne strenge, allgemeingültige Leistungsanforderungen im intellektuellkognitiven<br />
Bereich war. Aus kinderpsychiatrischer Perspektive bringt es<br />
die neue Lebenssituation eines entsprechend prädisponierten Kindes oft<br />
mit sich, dass unter den reglementierenden und leistungsorientierten Rahmenbedingungen<br />
der Schule sehr bald kognitive Defizite und Verhaltensauffälligkeiten<br />
evident werden, die im Schonraum Familie oder Kindergarten<br />
noch kaschiert waren oder bisher übersehen bzw. ignoriert wurden.<br />
Kasuistisch sei hier von zwei 7-jährigen Kindern berichtet: Bei dem einen<br />
entpuppte sich eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erst<br />
eindeutig, als von ihm im Unterricht eine längere Zeitspanne von angemessener<br />
Konzentration und Impulskontrolle verlangt wurde. Im zweiten Fall<br />
präsentierte ein auch sprachlich sehr gut begabtes Mädchen, das im Vorschulalter<br />
dafür offenbar keinerlei Hinweise gegeben hatte, gegen Ende<br />
des ersten Schuljahres immer deutlicher eine Lese-/Rechtschreibstörung.<br />
In beiden Fällen kann hier die Schule geradezu zwangsläufig zum Schauplatz<br />
von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten werden, für deren Verursachung<br />
sie unbegründet von irritierten und enttäuschten Eltern zunächst<br />
einmal verantwortlich gemacht wird – zumindest so lange, bis eine richtige<br />
Diagnosestellung und eine entsprechende Aufklärung über neurobiologische<br />
Grundlagen beider Störungen erfolgt sind.<br />
Apropos ADHS und ihre Entstehungsbedingungen. Lassen Sie mich kurz<br />
von einem Erlebnis aus der Sprechstunde berichten: Zwei Mütter von zwei<br />
Viertklässlern, die beide wegen ihrer hyperkinetischen Störung auf Ritalin<br />
eingestellt waren, baten mich unabhängig voneinander um Rat. Nur durch<br />
Zufall stellte sich heraus, dass beide Buben ein und dieselbe Klasse besuchten,<br />
in der – wie Recherchen ergaben – vier weitere Kinder wegen<br />
Hyperaktivität und Konzentrationsproblemen ein Medikament erhielten.<br />
In besagter Klasse irgendwo in Oberbayern saßen 34 Kinder, die im laufenden<br />
Schuljahr bereits den zweiten Lehrerwechsel tolerieren mussten;<br />
dazwischen gab es wiederholt Unterrichtsausfälle und häufig wechselnde<br />
Aushilfslehrer.<br />
Vielleicht war hier ja wirklich alles nur Zufall. Ohne jetzt weiter auf meine<br />
beiden Patienten einzugehen – einer von beiden hat das bei gegebener Indikation<br />
übrigens sehr wirksame und gut verträgliche Methylphenidat von<br />
mir persönlich verschrieben bekommen – und in Unkenntnis der vier weiteren<br />
pharmakologisch behandelten Kinder: Diese Geschichte ist bestimmt<br />
nicht repräsentativ, sollte uns Eltern, Lehrer und Ärzte aber etwas nachdenklich<br />
stimmen. Sicherlich, bei 3 bis 4 % aller Schulkinder kann ADHS<br />
diagnostiziert und mit einer individuell maßgeschnei-derten Therapie aus<br />
psychoedukativer Beratung, verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und<br />
oft auch medikamentös erfolgreich behandelt werden. Aber greifen wir<br />
Ärzte hier vielleicht nicht manchmal doch zu rasch zum Rezeptblock, ohne<br />
uns vorher in jedem Einzelfall über alle pathogene Umweltfaktoren – sei es<br />
im Elternhaus oder in der Schule – ausreichend Gedanken zu machen? Gesagt<br />
werden soll damit übrigens nicht, dass z. B. überfüllte Schulklassen<br />
mit inkonsistenter pädagogischer Betreuung oder täglicher mehrstündiger<br />
Fernsehkonsum für sich allein genommen ADHS verursachen. Aber wenn<br />
sich diese Einflüsse bei einem Kind auf eine neurobiologische Vulnerabilität<br />
aufpfropfen, können wir fraglos von einem erhöhten Störungsrisiko<br />
ausgehen. Muss es deshalb hier nicht selbstverständlich zu einer sinnvollen<br />
Therapie gehören, diese Begleitumstände - wenn irgend möglich – im<br />
wahrsten Sinn des Wortes auszuschalten?<br />
Noch komplexer als bei ADHS kann das Zusammentreffen einer individuellen<br />
Krankheitsveranlagung mit symtomverstärkenden Umgebungsfaktoren<br />
gerade im Schulunterricht sein. Dies gilt für besonders ernste<br />
psychiatrische Erkrankungen wie z. B. Psychosen oder etwa eine schwere<br />
Tic-Störung wie das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, die sich beide oft nur<br />
schleichend manifestieren. So kann ein von einer kombinierten Tic-Störung<br />
betroffener Schüler über eine längere Vorlaufzeit zunächst durch unwillkürliche,<br />
ruckartige Bewegungen einzelner Muskelgruppen und später<br />
zusätzlich durch explosionsartig hervorgebrachte Laut- und Wortbildungen,<br />
oft mit obszönem Inhalt, auffallen. Bei fehlenden Kenntnissen nehmen<br />
Lehrer im Unterricht diese Symptomatik lange Zeit oft so wahr, als ob<br />
sie der Jugendliche eigentlich unterdrücken könnte, sie unterstellen ihm<br />
möglicherweise sogar Absicht und reagieren mit Sanktionen. Mitschüler<br />
machen sich darüber lustig, isolieren ihren Kameraden und verstärken damit<br />
seine Tics nur weiter.<br />
Es müssen aber keineswegs derart schwerwiegende, manchmal noch<br />
nicht richtig diagnostizierte neuropsychiatrische Erkrankungen im engeren<br />
Sinn sein, die Kinder speziell im Schulalltag in einen Teufelskreis<br />
manövrieren können, vor allem dann, wenn sie nicht erkannt werden.<br />
Denn von Mobbing scheint derzeit eine nicht unbeträchtliche Zahl von<br />
Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen und Schultypen betroffen zu<br />
sein. Laut den Ergebnissen der Mobbingstudien der Münchner Entwicklungspsychologin<br />
Mechthild SCHÄFER hat heute angeblich bereits jedes<br />
dritte Grundschulkind derartige Erfahrungen gemacht und sich zumindest<br />
phasenweise als Opfer von psychischem Druck oder gar von körperlicher<br />
Gewalt aus seinem Mitschülerkreis erlebt. Mitverantwortlich für dieses<br />
Phänomen machen besagte Untersuchungen in den meisten Fällen auch<br />
die Lehrer, die angeblich auf solche gruppendynamischen Prozesse mit<br />
der Abwertung eines Einzelnen zu wenig sensibel und konsequent reagierten.<br />
Von den Lehrern sollte also erwartet werden, dass im Klassenzimmer<br />
eine rücksichtsvolle und tolerante Atmosphäre entsteht, in der Mobbing<br />
von vorneherein tabu ist und auf das sofort mit geeigneten pädagogischen<br />
Interventionen reagiert wird.<br />
Derartige Vorwürfe mögen in einer Reihe von Mobbingfällen durchaus ihre<br />
Berechtigung haben. Emotional auffällige Jugendliche, die dem Kinder-<br />
und Jugendpsychiater von ihren Eltern als Schulmobbing-Opfer vorgestellt<br />
werden, lassen bei genaueren Analyse ihrer Vorgeschichte manchmal aber<br />
durchaus auch individuelle außerschulische Wurzeln für ihre Problematik<br />
erkennen: Etwa eine überfürsorgliche Verwöhnung durch die Eltern, eine<br />
hohe Anspruchshaltung gegenüber anderen Jugendlichen bei gleichzeitig<br />
nur gering ausgeprägten, zwischenmenschlichen und sozialen Kompetenzen.<br />
Wir müssen uns meines Erachtens davor hüten, unsere Schulen und<br />
unsere Lehrer mit allzu großen Forderungen und Wünschen zu überfrachten.<br />
Zu Recht wird nicht nur von Vertretern der Schule darauf hingewiesen,<br />
dass die Konflikte im Klassenzim-mer und auf dem Pausenhof nur ein Abbild<br />
unserer Gesellschaft sind, die häufig durch instabile familiäre Beziehungen<br />
und Strukturen, einen egozentrischen Lebensstil und mangelnde<br />
Werte-orientierung geprägt ist.<br />
Ein weiteres interessantes jugendtypisches Störverhaltensmuster, das<br />
sich auf den ersten Blick kausal scheinbar leicht der Schule zuschreiben<br />
lässt, ist die am Anfang schon erwähnte Schulverweigerung. In Deutschland<br />
zeigen ca. 5–10 Prozent aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen<br />
schulvermeidendes Verhalten, manche für wenige Tage, andere<br />
monatelang und länger. In einigen Großstädten ist das Phänomen Schulabsentismus<br />
besonders ausgeprägt.<br />
Auch wenn es bei den Schulverweigerern natürlich fließende Übergänge<br />
gibt, unterscheidet die Kinder- und Jugendpsychiatrie hier drei Prägnanztypen:<br />
Nur am Rande erwähnt werden soll hier die Gruppe der Schulschwänzer,<br />
also die Jugendlichen, die im Rahmen einer dissozialen Entwicklung<br />
gerne um die Schule einen großen Bogen machen. Nur bei dem zweiten<br />
Subtyp ist tatsächlich Angst vor der Schule das treibende Motiv. Überforderung,<br />
Mobbing durch Mitschüler, Furcht von einem zynischen Lehrer<br />
oder übertriebene Leistungserwartungen von ehrgeizigen Eltern wirken<br />
hier als Auslöser für körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen<br />
und für ein Ausweichen vor dem Schulbesuch. Nicht selten<br />
stellen wir Kinder- und Jugendpsychiater in diesem Kontext bei chronischer<br />
Schulangst fest, dass Kinder in einer für sie ungeeigneten Schulform<br />
platziert sind. Das gilt z. B. für solche Grundschüler, die aufgrund ihrer<br />
intellektuellen Ausstattung eher in eine Schule zur Lernförderung gehören,<br />
oder für überforderte Gymnasiasten, für die eigentlich die Realschule<br />
angemessen wäre. Wir sehen das Phänomen Schulangst übrigens immer<br />
wieder auch bei der derzeit so großen Zahl der als „hochbegabt“ identifizierten<br />
Kinder, die, in ihrem Potential überschätzt, sich nach Überspringen<br />
einer Klasse in der neuen Gemeinschaft nicht integrieren können.<br />
Die dritte Unterform der Schulverweigerung, die ätiologisch sicherlich<br />
komplizierteste, ist die sog. Schulphobie. Der hartnäckigen Schulvermeidung<br />
eines Kindes liegt hier psychodynamisch eine selbst kaum realisierte<br />
Trennungsangst zugrunde, für die die Schule nur als Projektionsfläche
II. Vorträge II. Vorträge<br />
22 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
23<br />
dient. Zum einen kann es sich dabei um überbehütete, verwöhnte oder<br />
spät geborene Kinder handeln, die das Verlassen des sicheren häuslichen<br />
Milieus, in dem sie selbst stark den Ton angeben, quasi als Kontrollverlust<br />
erleben. Zum anderen sind von der Schulphobie speziell Jugendliche aus<br />
„Broken-Home“-Situationen betroffen, die, etwa mit einem allein erziehenden<br />
Elternteil, in enger, manchmal symbiotischer Verbindung stehen.<br />
In solchen parentifzierten Beziehungen nehmen sie gelegentlich die Rolle<br />
eines Ersatzpartners ein. Sie agieren „auf gleicher Augenhöhe“ etwa mit<br />
der Mutter und befürchten oft unbewusst, dass während ihrer Abwesenheit<br />
in der Schule zu Hause irgendetwas passiert oder sich verändert, das sie<br />
selbst nicht steuern können. Auf diese Weise bleiben Schulphobiker oft wochen-<br />
bis monatelang, in Einzelfällen auch jahrelang der Schule fern, wenn<br />
keine effektive Behandlung erfolgt.<br />
Psychisch kranke Schüler, was ist zu tun? - Anhand einiger prägnanter<br />
Beispiele von schulassoziierten Störungsbildern habe ich versucht, Ihnen<br />
zu demonstrieren, dass gerade in einer sozial prekären Epoche wie der<br />
jetzigen die Schule zur Bühne für diverse Verhaltensauffälligkeiten und<br />
psychiatrische Erkrankungen werden kann. Dafür jedoch immer a priori<br />
die Institution Schule verantwortlich zu machen, ist meiner Meinung nach<br />
aber völlig unangemessen. Denn meistens führt erst das Zusammenspiel<br />
von mehreren krankmachenden Faktoren zur Pathologie eines Kindes.<br />
Unsere Schulen dürfen nicht vorschnell zum Sündenbock abgestempelt<br />
werden, wenn bestimmte kindliche Störungen tatsächlich in erste Linie<br />
auf biologischen Ursachen, familiären Defiziten und gesellschaftlichen<br />
Fehlentwicklungen beruhen. Einseitige Vorwürfe würden nur viele engagierte<br />
Lehrer weiter entmutigen und einen qualifzierten Lehrernachwuchs<br />
einschränken.<br />
Wenn jedoch erkennbar wird, dass einzelne Kinder und Jugendliche oder<br />
bestimmte Gruppierungen im schulischen Kontext auffällig oder psychisch<br />
krank werden, müssen Schule und Lehrer gemeinsam mit den Eltern hellhörig<br />
und aufmerksam sein und auch schulbedingte Ursachen erkennen.<br />
Und natürlich muss dann, wenn nötig, rechtzeitig interveniert werden.<br />
Erforderlich sind dafür aufseiten der Schule eine entsprechende pädagogische<br />
Aus- und Fortbildung der Lehrer, eine ausreichende Zahl von sensiblen<br />
Beratungslehren und Schulpsychologen, funktionie-rende Leitungsstrukturen<br />
und gut organisierte Kommunikationsabläufe zwischen Schule<br />
und Elternhaus. Der Kinder- und Jugendpsychiater, der weiß, wie wichtig<br />
ein adäquates Schulangebot auch als ganz wesentliches Behandlungselement<br />
im Rahmen der stationären und auch am-bulanten Therapie in der<br />
Klinik ist, hat hier im Einzelfall eine wichtige diagnostische und therapeutische<br />
Aufgabe zu erfüllen.<br />
Die traditionsreiche Schule am Heckscher-Klinikum, das mit seinen 200<br />
stationären Behandlungsplätzen und seinen Institutsambulanzen an mittlerweile<br />
sieben Standorten zu den größten klinischen Einrichtungen für<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie in deutschsprachigen Raum zählt, ist ein<br />
Paradebeispiel für eine sehr gelungene Kooperation zwischen Pädagogik<br />
und Medizin. Gemeinsam mit 73 Ärzten, 42 Psychologen, weiteren 33<br />
diversen Therapeuten sowie Krankenpflegern und Stationserzieherinnen<br />
sind dort insgesamt auch 53 unterschiedliche spezialisierte Lehrkräfte<br />
aktiv. Sie unterrichten in 23 Klassen pro Jahr ca. 650 Patientenschüler.<br />
Neben einigen Ambulanzpatienten erhalten somit etwa zwei Drittel aller<br />
unserer stationär behandelten Patienten, bevorzugt die mit etwas längerer<br />
Verweildauer, in kleinen Gruppen einen für ihre erfolgrei-che Behandlung<br />
unabdingbaren individuell geplanten und hoch differenzierten Schulunterricht.<br />
Welchen zentralen Stellenwert eine personell und fachlich gut<br />
ausgestattete Klinikschule im Rahmen des Therapiekonzeptes einer kinder-<br />
und jugendpsychiatrischen Klinik besitzt, wird be-sonders im Fokus<br />
unserer mehrtägigen Veranstaltung stehen.<br />
Bei der Analyse der Ursachen von psychischen Störungen bei Schülern<br />
sollten wir schließlich auch systemimmanente Schwächen unseres Bildungswesens<br />
erkennen und möglichst beheben. Nur stichpunktartig seien<br />
hier die Notwendigkeit der Früherkennung von Risikofaktoren und Defiziten<br />
noch vor Schulbeginn im Kindergartenalter oder der konsequenten frühen<br />
Förderung der Sprachentwicklung, vor allem bei Kindern aus Migrantenfamilien<br />
erwähnt. Später sollte jedes Kind in der Schulform unterrichtet<br />
werden, die seinen entwicklungsmäßigen und intellektuellen Voraussetzungen<br />
entspricht. Und wenn z. B. signifikante Teilleistungsschwächen<br />
vorliegen, muss dies im Unterricht bei der speziellen Förderung und auch<br />
bei der Benotung berücksichtigt werden. Geringere Klassenstärken, eine<br />
noch flexiblere Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Schularten<br />
und mehr Möglichkeiten einer Ganztagsbeschulung würden bestimmt<br />
auch zum Ausgleich mancher sozialer Schieflagen und Ungerechtigkeiten<br />
beitragen. Sie könnten somit auch als protektive Faktoren für die seelische<br />
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wirken.<br />
Schaden würden wir unseren Schulkindern und Schullehrern aber obendrein,<br />
wenn wir vor lauter Schultristesse und angesichts vieler unerfüllter<br />
Reformhoffnungen in eine pessimistische Grundhaltung verfielen und<br />
damit auch ein wichtiges Element für eine gute Unterrichtsatmo-sphäre<br />
vertrieben: den Humor! Vielleicht sollten wir uns da ein bisschen von Wilhelm<br />
BUSCH inspirieren lassen. Bekanntermaßen haben in seiner berühmten<br />
Bubengeschichte die berüchtigten Schüler Max und Moritz einmal mit<br />
Hilfe von Flintenpulver die Pfeife ihres Lehrers Lämpel in die Luft gehen<br />
lassen – heute würde man natürlich von einem Sprengstoffanschlag sprechen.<br />
Der pflichtbewusste, aber wohl verhasste Schulmeister ging daraufhin<br />
rußverschmiert samt zerbrochener Pfeife zu Boden, überlebte aber<br />
Gott sei Dank diese Attacke ansonsten unversehrt. Wilhelm Busch leitete<br />
diesen vierten Streich seiner Bösewichte damals, 1865, mit folgendem<br />
Vers ein:<br />
Nicht allein am Schreiben, Lesen,<br />
übt sich ein vernünftig Wesen;<br />
nicht allein in Rechnungssachen<br />
soll der Mensch sich Mühe machen;<br />
sondern auch der Weisheit Lehren<br />
muss man mit Vergnügen hören.<br />
Wie psychiatrisch ist die Kinder- und Jugendpsychosomatik?<br />
Aktuelle Entwicklungen und ihre Folgen für die Schule für Kranke<br />
Dr. med. Nikolaus von Hofacker<br />
Chefarzt Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik<br />
Klinikum Harlaching<br />
Abstract:<br />
Schulbezogene psychische Probleme, insbesondere Schulängste, Schulverweigerung<br />
und schulische soziale Probleme gehören zu den häufigsten<br />
Gründen einer stationären oder teilstationären Behandlung in der Kinder-<br />
und Jugendpsychosomatik. Die Hintergründe solcher Probleme sind<br />
vielfältig, häufig gehen sie aber mit weiteren kinder- und jugendpsychiatrischen<br />
komorbiden Störungen einher. Ihre Behandlung ist aufwändig und<br />
basiert auf einer engen Verzahnung der pädagogischen Arbeit in der klinikinternen<br />
Schule für Kranke mit der pädagogisch-therapeutischen Arbeit<br />
auf Station. In dem Vortrag wird auf die Hintergründe schulbezogener psychischer<br />
Probleme sowie die Schnittstellen zwischen Schule für Kranke<br />
und Station eingegangen und die Bedeutung einer adäquaten schulischen<br />
Versorgung für die Heilungs- und Reintegrationschancen der betroffenen<br />
Kinder und Jugendlichen aufgezeigt.<br />
Schulbezogene psychische Probleme – wie psychiatrisch ist die Kinder-<br />
und Jugendpsychosomatik?<br />
Schulrelevante psychische Probleme<br />
• Schulverweigerung (Schulabsentismus)<br />
• Chronische Kopf- und Bauchschmerzen<br />
• Depressionen<br />
• Essstörungen<br />
• Aufmerksameits- und Hyperaktivitätsstörungen<br />
• Störungen des Sozialverhaltens<br />
• Mobbing/Bullying/Cyberbullying<br />
Epidemiologie<br />
• Jeder 5.- 6. Schüler hat relevante psychische Probleme, mehr als jeder<br />
2. Jugendliche erlebt Schule als „häufigen Stressor“, die subjektive Belastung<br />
ist bei klinisch auffälligen Jugendlichen deutlich höher als bei<br />
unauffälligen Jugendlichen<br />
• 10% leiden unter einer Angststörung, 20% haben Angst vor Lehrern oder<br />
Mitschülern<br />
• Etwa 9% einer Alterskohorte verlassen die Hauptschule ohne Abschluss<br />
• Ca. 10-12% der Hauptschüler fehlen pro Jahr mehr als 20 Tage, 5-6%<br />
mehr als 40 Tage, 5% fehlen regelmäßig<br />
• Zahl der Schulverweigerer steigt parallel zur Einwohnerzahl<br />
• 2/3 aller Kinder und Jugendlichen mit einer psychiatrisch-psychosomatischen<br />
Diagnose haben schulrelevante psychische Probleme (eigene<br />
Daten 2009)<br />
Schulrelevante psychische Probleme: Entwicklungen & Trends<br />
• Druck in der Schule steigt<br />
• zunehmende Dominanz gesellschaftlich eingeforderter Leistungsorientierung<br />
• Hoher Stellenwert von Leistungsbewertung in Prüfungssituationen<br />
• Erfolg und Misserfolg haben hohen Einfluss auf späteres Berufsleben<br />
Zunahme von<br />
• familiär-psychosozialen Belastungen<br />
• Eltern mit psychischen Störungen<br />
• Medienkonsum<br />
• Schulstress mit psychosomatischen Belastungszeichen i. F. v. Kopf-/<br />
Bauchschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Schlafproblemen<br />
• Jeder 4. Grundschüler klagt in der 4. Klasse über häufige Kopfschmerzen<br />
vs. 8% der Erstklässler! (Resch 2002)<br />
• psychischen Belastungen auch bei Lehrern!<br />
Schulverweigerung<br />
• Schulangst (Angst vor der Schule)<br />
• Prüfungsangst, Leistungsangst, Versagensangst<br />
• soziale Angst in der Schule<br />
• Fernbleiben mit Wissen der Eltern<br />
• Schulphobie (Angst vor Trennung)<br />
• Trennungsangst, meist schon im KiGa<br />
• sozialer Rückzug auch zu Hause<br />
• Fernbleiben mit Wissen der Eltern<br />
• Schuleschwänzen (Schulunlust)<br />
• soziale Verwahrlosung<br />
• meist ohne Wissen der Eltern Fernbleiben vom Unterricht<br />
Starke Assoziation mit kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen (Knollmann<br />
et al. 2009, <strong>2010</strong>, Petermann & Petermann <strong>2010</strong>, Lehmkuhl & Lehmkuhl 2004)<br />
• Schulverweigerung (54%)<br />
• Emotionale Störungen des Kindesalters<br />
• Trennungsängste, soziale Ängste, sonstige Angststörungen<br />
• Depressionen, affektive Störungen, Anpassungsstörungen<br />
• Vor allem internalisierende Störungen<br />
• Schuleschwänzen (29%)<br />
• Störungen des Sozialverhaltens<br />
• Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens<br />
• Vor allem externalisierende Störung<br />
• Gemischte Störungen mit Schulabsentismus (17%)<br />
• Gemischte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen u. a.<br />
• Internalisierende und externalisierende Störungen<br />
Merkmale von Kindern und Jugendlichen, die nicht in die Schule gehen<br />
(Knollmann et al., <strong>2010</strong>)<br />
• Erhöhte elterliche Trennungsrate (60% vs. 19%)<br />
• Gehäuft schwere elterliche körperliche (29%) und seelische Erkrankungen<br />
(15%)<br />
• Gehäuft familiäre Risikofaktoren wie Arbeitslosigkeit, geringe elterliche<br />
Kontrolle, soziale Isolation der Familie, familiäre Konflikte u. a.<br />
• Unterdurchschnittlicher IQ in 39% vs. 14% in der Normalbevölkerung<br />
• 52% wiederholen mindestens 1 mal eine Klasse (vs. 31%)<br />
• Kinder mit schulvermeidendem Verhalten und ihre Familien haben häufig<br />
multiple psychosoziale Belastungen!<br />
Schulvermeidendes Verhalten gefährdet die langfristige Entwicklung von<br />
Kinder und Jugendlichen<br />
• Häufiger psychiatrische Behandlungen im weiteren Entwicklungsverlauf<br />
notwendig<br />
• Jugendliche leben länger in Herkunftsfamilie, lösen sich deutlich später ab<br />
• Erhöhte Selbstunsicherheit und mangelnde Autonomie<br />
• Deutlich erhöhte Somatisierungsneigung auch in der weiteren Entwicklung<br />
• Erhöhte Rate an Schulabbrüchen<br />
Schulrelevante psychische Probleme<br />
Die klinikinterne Beschulung und die Zusammenarbeit mit den Heimatschulen<br />
spielt eine zentrale Rolle, da<br />
• sich die psychischen Probleme vor allem im Schulalltag manifestieren<br />
• die Gestaltung des Schulalltags, der Umgang der Lehrer und Mitschüler<br />
mit den Problemen sowie die Zusammenarbeit zwischen Schule, Klinik,<br />
Jugendhilfe, Eltern und weiterbehandelnden Therapeuten einen entscheidenden<br />
Einfluss auf den Verlauf haben<br />
• PROJEKT 2. CHANCE!<br />
Umgang mit psychischen Problemen im Schulalltag<br />
Angstreduzierung und Angstbewältigung im Unterricht mit pädagogischen<br />
Mitteln<br />
• Erkennen und Berücksichtigung der Emotionen, emotionaler Gestimmtheit<br />
und der Anzeichen von Angst und Stress einzeln und in der Gruppe<br />
als Ganzes<br />
• Reform der Leistungsbewertung<br />
• Strukturierung der Unterrichtsorganisation<br />
• Individualisierung des Unterrichts mittels innerer Differenzierung in leistungsheterogene<br />
Lerngruppen<br />
• Kompetenzerweiterung als Mittel, Angst zu reduzieren<br />
• Prüfungsvorbereitung<br />
• effiziente Lern- und Arbeitsverhaltensstrategien<br />
• Förderung von Angst- und Stressbewältigungstechniken<br />
• U-förmige Beziehung zwischen physiologischem Erregungsniveau und<br />
erzielter Leistung<br />
• Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle bei den Schülern unterstützen<br />
und fördern<br />
• Vertrauen und Wertschätzung in der Lehrer-Schüler-Beziehung statt<br />
Angst als motivierendem und disziplinierendem Instrument<br />
Grundprinzipen der (schulpsychologischen) Beratungsarbeit<br />
• Elternberatung<br />
• Aufklärung über Hintergründe<br />
• Notwendigkeit raschen Handelns und Behandlungsbedarf klar formulieren<br />
• ambulante Psychotherapie nur sinnvoll, wenn diese innerhalb absehbarer<br />
Zeit zum regelmäßigen Schulbesuch führt<br />
• Null-Toleranz bei Fehlen des Schülers<br />
• Anruf zu Hause<br />
• Kein Fehlen ohne ärztliches Attest<br />
• Elterliche Modelle: unterstützen die Eltern Selbständigkeit, vermitteln<br />
sie Sicherheit, Kompetenzen im Umgang mit Angst und Stress?<br />
• Verantwortungsübernahme der Eltern für sich selbst motivieren<br />
• Minimierung des sekundären Gewinns<br />
• Keine Bühne für das Symptom, kein wiederholter Rettungswagen (z. B.<br />
bei Hyperventilation und Kollaps)!<br />
Schuleschwänzen<br />
• Umgehend und regelmäßig Eltern informieren<br />
• Aufklärung der Eltern, beide Eltern einbestellen!<br />
• Aufklärung über Notwendigkeit familiärer Strukturen, Grenzen, Aufsicht<br />
und Steuerung<br />
• Familiäre Beziehungsangebote statt Medien<br />
• frühzeitig Jugendhilfemaßnahmen einleiten<br />
Schulrelevante psychische Probleme<br />
Fazit<br />
• Immer mehr Schüler haben bedeutsame, schulrelevante psychisch-psychosomatische<br />
Probleme<br />
• Bei diesen handelt es sich häufig um kinder- und jugendpsychiatrische<br />
Störungsbilder
24 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
25<br />
• Diese gehen meist mit komplexen psychosozialen familiären Risikokonstellationen<br />
einher<br />
• Nur eine enge Vernetzung von Klinik, klinikinterner Schule, Heimatschule,<br />
Eltern/Familie, Jugendhilfe und weiterbehandelnden Therapeuten<br />
bietet die Chance für einen nachhaltigen Erfolg<br />
• Die Symptome sind psychosomatisch, der Hintergrund psychiatrisch!<br />
Kinderpsychosomatik ist keine „Kinderpsychiatrie light“!<br />
• Die langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten zu spät behandelter psychosomatischer<br />
Probleme im Schulalltag betragen ein vielfaches der<br />
Kosten einer rechtzeitigen und effizienten Behandlung.<br />
• Eine effiziente Behandlung setzt eine ausreichende schulische Versorgung<br />
i. R. teil- oder vollstationärer Therapieprogramme voraus.<br />
„Ohne Worte“ – Diagnostik, Therapie und Behandlungsverlauf bei<br />
sexuellem Missbrauch<br />
Dr. med. Sabine Rohde<br />
Leiterin der psychosomatischen Abteilung Kinderklinik<br />
München Schwabing<br />
Definition<br />
• Willentliche sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern Kinder < 14<br />
Jahre (deutsches Strafrecht) EU Gerichtsthof 2003, sex. Bestimmungsrecht<br />
ab 14 kulturabhängig<br />
• Disparität der Wünsche, auch „freiwillige“ (simple vs. informed consent)<br />
sex. Handlungen zwischen Kindern & Erwachsenen strafbar - “Ungleichzeitigkeit“<br />
• §176 StGB strafbar, Freiheitsstrafe: von 6 Monate - 10 Jahre (5 Jahre<br />
oder Geldstrafe)<br />
Zahlen<br />
• PKS des Bundes 2007: 12772 Fälle sex. Missbrauch von Kindern angezeigt,<br />
106 schwere Fälle<br />
• Schätzungen bis 18. LJ 1X oder über Jahre jedes 3. bis 4. Mädchen jeder<br />
7. bis 10. Junge, sex. missbraucht<br />
• „The Lancett“ in London veröffentlichte Studie: Industrieländer jedes 10.<br />
Kind Opfer von Misshandlungen<br />
• Tägl. 30 – 40 Suizidversuche bei Kindern.150 Suizide von Kindern/Jahr<br />
• www: weltweit > als 500 Milliarden Euro (D >1Mrd) durch kinderpornographische<br />
Videos und Drucke von Kindern/Jahr Kindesmissbrauch<br />
nach Anweisung vor laufender Kamera<br />
Arten<br />
• Ohne körperlichen Kontakt, z.B. Ansehen von Pornofilmen.<br />
• Mit körperlichem Kontakt, z.B. gegenseitiges Berühren.<br />
• Nicht penetrativ, z.B. gegenseitiges Berühren der Geschlechtsteile.<br />
• Mit penetrativem Kontakt.<br />
• Mit Paraphilen, z.B. Sadismus.<br />
• Ritualisierter Missbrauch<br />
Typische Orte<br />
• Schule<br />
• Kindergarten<br />
• Sportverein<br />
• Eigene Familie<br />
Tätertypologie<br />
• In den meisten Fällen ein Mann 85 – 90%<br />
• Große Dunkelziffer bei Täterinnen, zunehmend berichten Jungen davon<br />
• Alle sozialen Schichten, jedes Alter z.B. gegenseitiges Berühren der Geschlechtsteile<br />
• Täter meist aus dem sozialen Nahraum der Kinder (Stiefvater, Freund,<br />
Mutter, Onkel, Großvater, Vater, Nachbar, Lehrer oder Erzieher )<br />
• 90% Ersatzobjekttäter; 2 – 10% Pädophile, fixierter Typ; vereinzelt sadistischer<br />
Typ (Unterdrückung)<br />
• Täter-Opfer-Täter-Kreisläufe über mehrere Generationen<br />
Warnsignale<br />
II. Vorträge II. Vorträge<br />
• Plötzliche Verhaltensänderung<br />
• Plötzliche Angst vor Erwachsenen oder Badezimmern<br />
• Kontaktlosigkeit & keine Freundschaften mehr<br />
• Erkennbare Angstzustände<br />
• Plötzliche Schulschwierigkeiten/Konzentrationsschwierigkeiten<br />
• Schlafstörungen (Alpträume, Tagträume, Abgleiten in Fantasiewelt)<br />
• Bettnässen<br />
• Sprachlosigkeit<br />
• Bauchschmerzen, etc.<br />
• Weigerung, sich auszuziehen<br />
• Nicht altersgemäße sexuelle Spiele/sexualisiertes Verhalten<br />
• Typ. Zeichnungen bei Kleinkindern Käfig mit toten Vögeln, die in ihrem<br />
eigenen Blut liegen<br />
Hinweise ab Vorschulalter<br />
• Auswirkungen von den Begleitumständen und anderen Risikofaktoren<br />
der Entwicklung abhängig (Vernachlässigung, körperliche Misshandlung )<br />
• Enthemmtes, triebhaftes Verhalten bei Kleinkindern ungew. aktives Interesse<br />
an eigenen und anderen Genitalien<br />
• Soziale und intime Distanzlosigkeit bei Fremden<br />
• Nicht altersgemäße sexuelle Aktivität mit Gleichaltrigen<br />
• Exzessive Masturbation<br />
• Spielerische Imitation & Nachvollziehen der Tat<br />
• Exhibieren und sexuell provozierendes Auftreten Risiko > , erneut Opfer<br />
zu werden<br />
Zusätzliche Hinweise ab Schulalter<br />
• Blockierung & Angst in der Sexualentwicklung<br />
• Funktionelle Sexualstörungen<br />
• Promiskuität<br />
• Sexuell aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern<br />
• Vernachlässigung der Körperhygiene<br />
• Gestörte Geschlechtsrollenidentität<br />
• ausgeprägte Angst homosexuell zu sein<br />
Zusätzliche Hinweise Teenager<br />
• Sexualisiertes Verhalten bis hin zur Prostitution<br />
• Laute Musik<br />
• Fettleibigkeit<br />
• Selbstverstümmelungen<br />
• Perverse Ängste<br />
• OH & Drogenabhängigkeit<br />
• Dissoziative Phänomene<br />
Häufige Folgeerkrankungen<br />
• Posttraumatische Belastungsstörung<br />
• Dissoziative Identitätsstörungen<br />
• Essstörungen<br />
• Borderline Persönlichkeitsstörungen<br />
• Partielles Vergessen - Amnesien<br />
Therapie<br />
• Eine Behandlung kann erst erfolgen, wenn das Kind nicht mehr in Gefahr<br />
ist missbraucht zu werden.<br />
• Obligat: Täter und Opfer voneinander trennen.<br />
• Täter bekommt Zugriff auf das Kind verweigert.<br />
• Psychotherapie: Traumatherapie & intensive Psychotherapie unter Einbeziehung<br />
der Bezugspersonen<br />
• Dissoziative Identitätsstörungen<br />
• Essstörungen<br />
• Borderline Persönlichkeitsstörungen<br />
• Partielles Vergessen - Amnesien<br />
Vorgehen bei Verdacht<br />
• Lehrer entdeckt im Schwimmunterricht blaue Flecken.<br />
• Was tun? Schweigen aus Angst, zu Unrecht zu beschuldigen oder Verdacht<br />
aussprechen, auf die Gefahr, dass er falsch ist?<br />
• Umfrage unter 2000 Jungen: jeder 4. gab an, er sei schon einmal in sexueller<br />
Absicht angesprochen worden.<br />
• Auf keinen Fall Kind sofort mit Verdacht konfrontieren.<br />
• Beraten wird zuerst mit der Schulleitung und Fachleuten: Ärzte, Anwälte,<br />
Wildwasser, Weißer Ring, Mädchenberatung, Jugendamt, München: Haunersches<br />
Kinderspital.<br />
• Opfer sind in der Beweispflicht, Polizei wichtig für Beweisführung & qualitativ<br />
hochwertige Sicherung von Tat- und Situationsspuren.<br />
Verdachtsverhalten Lehrer & Eltern I<br />
• Nehmen Sie die Äußerungen des Kindes ernst (7 Anläufe).<br />
• Glauben Sie nie, sexueller Missbrauch macht einem Kind Spaß.<br />
• Versichern Sie dem Kind, dass es keine Schuld hat & niemand so etwas<br />
mit ihm tun darf. Keine Vorwürfe.<br />
• Vermitteln Sie dem Kind, es darf über das Erlebte sprechen, nicht drängen.<br />
(„gute & böse Berührungen“)<br />
• Erste Schutzschritte überlegen: Schulabholung, Sportverein wechseln.<br />
• Schutz = Aufklärung, offen mit Kindern sprechen.<br />
• Bestärken Sie die Kinder der eigenen Wahrnehmung zu trauen.<br />
Verdachtsverhalten Lehrer & Eltern II<br />
• „Nein“ sagen dürfen. Kind vor Grenzverletzungen schützen (Verwandtenkuss)<br />
• Bei Verdacht – Hilfe bei einer Beratungsstelle in der Nähe suchen.<br />
• Übereilen Sie nichts, z.B. mit einer Anzeige.<br />
• Antworten & Adressen von Beratungsstellen:<br />
„www.hinsehen-handeln-helfen.de“<br />
• Wird einem Kind geglaubt, wird es geschützt.<br />
• Erfährt es Hilfe bei der Verarbeitung, Chance, Erfahrungen zu verarbeiten.<br />
• Kind gegenüber eindeutige Aussagen machen: Es war mutig von Dir, der<br />
Täter hat einen großen Fehler gemacht.<br />
Prävention in der Schule<br />
• Anlaufstellen für Opfer einrichten.<br />
• Benennung konkreter Ansprechpartner für Betroffenen.<br />
• Jederzeit verfügbare Ansprechpartner für Betroffene, sowohl für schulischen,<br />
als auch für familiären Missbrauch.<br />
• Vertrauenspersonen – geschulte Lehrkräfte, Schulpsychologen, Therapeuten<br />
sollen präventiv, aufklärend und helfend wirken.<br />
www.lehrerakademie.de<br />
• Jedem einzelnen Verdacht (auch aus der Vergangenheit) durch ein unabhängiges<br />
Gremium nachgehen.<br />
Präventionsthemen in der Schule<br />
• Bescheid geben.<br />
• Die Kumpelregel anwenden.<br />
• Nein sagen, weglaufen und berichten.<br />
• Meinen Gefühlen vertrauen.<br />
• Mit Erwachsnen über meine Probleme und Ängste sprechen.<br />
• Notfallsituationen üben (lautes Schreien)<br />
• Spiele und Übungen („Rettungsinseln auf dem Schulweg“, „Erzählkugel“,<br />
„Dampf ablassen“, „Ich rufe laut NEIN“, „Das leise und das laute<br />
NEIN“,...) www.lehrerakademie.de<br />
Fallbeispiel 1: Missbrauch<br />
• Aufnahmesymptomatik: Weibliche Geschwister (7 & 10 Jahre), Mutismus<br />
(ICD-10 F94.0), Behandlungsmotivation Einschulung/Schulwechsel<br />
• Therapiesetting in der KJP, Jana (6J.) Tagesklinik, Tina (9 J.) Vollstationär<br />
Kinderstation Familientherapie, Hausbesuch der Therapeuten<br />
• Ergebnisse und Maßnahmen: Inobhutnahme, Einschaltung Jugendamt,<br />
Meldung an Polizei<br />
Fallbeispiel 2: Missbrauch/Misshandlung<br />
• Aufnahmesymptomatik: 5-jähriges Mädchen blau geschwollenes Auge<br />
streifenförmige Hämatome<br />
• Therapiesetting in der Kinderklinik: Stationäre Aufnahme, Teambildung<br />
und Aufgabenverteilung (Befunddokumentation)<br />
• Untersuchungsergebnisse und Maßnahmen: Inobhutnahme, Meldung an<br />
die Polizei, Helferkonferenz mit Jugendamt.<br />
• Weiterer Verlauf und angepasste Maßnahmen: Familienhelferin, Spieltherapie,<br />
neue Sorgerechtregelung<br />
Website: www.hinsehen-handeln-helfen.de<br />
Johann-Wolfgang von Goethe<br />
Zwei Dinge<br />
Sollen Kinder von ihren Eltern bekommen:<br />
Wurzeln und Flügel<br />
Kontakt<br />
Psychosomatischer Schwerpunkt<br />
Poliklinik und Kinderklinik Schwabing der Technischen Universität München,<br />
Kölner Platz 1, 80804 München<br />
Leitung: Dr. med. Sabine Rohde<br />
Telefon: 089/3068-3413 (Anrufbeantworter)<br />
E-Mail: sabine.rohde@lrz.tu-muenchen.de<br />
Kinderschutz<br />
• Deutscher Kinderschutzbund (DKSB) Landesverband Bayern e.V.: www.<br />
kinderschutzbund-bayern.de “Hilfe statt Strafe“, favorisiert familienorientierte<br />
Ansätze, alle Beteiligten in der Familie sollen ein therapeutisches<br />
Hilfsangebot bekommen. „Starke Eltern – starke Kinder“.<br />
• Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutzzentren (BAG):<br />
www.kinderschutz-zentren.org<br />
Ausschreitungen der Eltern gegen ihre Kinder als Zeichen der Überforderung,<br />
Kernangebote sind Familienberatung & -therapie, Einzel-, Paar-,<br />
und Gruppenberatung, Kindertherapie, Kinderwohngruppen in verbindlichem<br />
Einvernehmen mit den Eltern.<br />
• Bayerisches Landesjugendamt (BLJA): www.blja.bayern.de: Kindzentrierter<br />
Hilfeplanansatz, Grundlage KJHG & SGB VIII<br />
Kinderschutz<br />
• Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauen- und Kinderschutzhäuser: Notrufzentren,<br />
Frauenhäuser, Selbsthilfegruppe „Wildwasser“, keine Zusammenarbeit<br />
mit dem Täter<br />
• Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.<br />
• Bundesverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Jungen &<br />
Mädchen e.V.<br />
• Bayerische Polizei: Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder<br />
Kliniklehrer und ihre Schüler – Verquickungen und Verstrickungen<br />
im Netz von Pädagogik und Medizin<br />
Dr. Martina Hoanzl<br />
Falkultät Sonderpädagogik, PH Ludwigsburg – Universität Tübingen<br />
0. Geleit<br />
Klinikaufenthalte können Leben retten – nicht immer medizinisch, aber<br />
schulisch! Klinikschulen sind jene Orte, an denen diese Entwicklungs- und<br />
Lernwunder geschehen können. Denn für viele Schüler beginnt mit dem<br />
Klinikaufenthalt - und der damit einhergehenden Beschulung in der Klinikschule<br />
- erstmals eine Aussöhnung mit der eigenen kränkenden, oftmals<br />
krankmachenden und zuweilen auch gescheiterten Schulbiographie. Für<br />
wieder andere Schüler ist die Klinikschule der Ort, an dem sie Gelingendes<br />
trotz unterschiedlichster Krankheiten fortführen können. In den allermeisten<br />
Fällen ist die Klinikschule aber ein Ort bedeutsamer schulischer<br />
Gegenerfahrungen (vgl. Hüther 2009), zum Unbehagen in einem hoch selektiven<br />
Schulsystem, unter der besonders der eigene Selbstwert leidet<br />
- bei Lehrern wie bei Schülern -, wenn Lernprozesse nicht hinreichend gut<br />
gelingen. Zwei Dimensionen scheinen auf dem Weg der Gesundung von<br />
zentraler Bedeutung zu sein: Veränderte Beziehungserfahrungen, die zu<br />
veränderten Lernerfahrungen führen, und Könnenserfahrungen, die das<br />
eigene Selbstwerterleben stärken. Beides erhält in den Klinikschulen eine<br />
gesteigerte Bedeutung, die im Nachfolgenden dargestellt werden soll.<br />
Klinikschulen sind zum Entwicklungsmotor in der deutschen Schullandschaft<br />
geworden. Sie zeigen uns in Zeiten, in denen intensiv über Inklusion<br />
diskutiert wird, wie Inklusion und individualisiertes Lernen längst gelingt<br />
und wie Netzwerke ausgebaut und im Zweifel auch umgebaut werden.<br />
Der Kongresstitel „Das kranke Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik<br />
und Medizin“ hat meinen Blick zunächst auf die krankmachen-
II. Vorträge II. Vorträge<br />
26 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
27<br />
den Verstrickungen und erst in einem zweiten Schritt auf die gelingenden<br />
Verquickungen gelenkt. Vorweggenommen sei, dass im Focus der Betrachtungen<br />
das Zusammenspiel von Allgemeiner Schule und Klinikschule<br />
steht, und die Medizin – auch in Anbetracht der knappen Zeit – nicht den<br />
Platz finden kann, der ihr eigentlich zusteht.<br />
1. Kranke Schüler, kranke Lehrer, kranke Schule?<br />
Kritische Betrachtungen der Allgemeinen Schule<br />
Kinder sind in aller Regel, bevor sie als kranke Kinder an die Klinikschule<br />
kommen, zuerst einmal Schüler der Allgemeinen Schule. Erst durch die<br />
Erkrankung verändert sich ihr Schulweg und - besonders bei psychischen<br />
Erkrankungen - häufig auch ihre Schullaufbahn (Hoanzl, Baur, Bleher,<br />
Thümmler & Käppler. 2009). Doch bevor wir uns auf diese Veränderung<br />
einlassen, möchte ich erstens den Blick auf die allgemeine Schule und das<br />
schulische Wohlbefinden von Lehrern und Schülern richten, um in einem<br />
zweiten Schritt das Besondere der Kliniklehrer-Schüler-Beziehung besser<br />
verstehen zu können.<br />
Beginnen wir mit einem Blick auf die Lehrer der allgemeinen Schule. Joachim<br />
Bauer fand in seiner repräsentativen Studie zur Lehrergesundheit<br />
– die in Kooperation mit dem Freiburger Oberschulamt 2004 durchgeführt<br />
wurde - heraus, dass sich ein alarmierend großer Teil der Lehrer an Freiburger<br />
Gymnasien – konkret 35 % - in einer Burnout-Konstellation befinden.<br />
Als höchster Belastungsfaktor rangiert destruktives Schülerverhalten<br />
– neben zu großen Schulklassen – an erster Stelle (vgl. Bauer 2004,<br />
6). Bauer verdeutlicht jedoch, dass schwieriges Schülerverhalten kein<br />
moralisches Problem ist, „sondern Ausdruck einer besorgniserregenden<br />
Situation bei der Schülergesundheit. Nach Angaben der von Stuttgarter<br />
Kinderärzten – unter Koordination des Stuttgarter Gesundheitsamtes<br />
– durchgeführten „Jugendgesundheitsstudie Stuttgart“ leiden 51% der<br />
dort untersuchten 2000 Kinder unter anhaltenden psychosomatischen<br />
Gesundheitsbeschwerden (vgl. Schmidt-Lachenmann et al 2000, nach<br />
Bauer 2004, 7). Bauer endet jedoch nicht mit dieser Bestandsaufnahme,<br />
sondern kommt zu dem Schluss, dass nicht neue „Standards“ die Lage<br />
in den Schulen verbessern können, sondern „ein Wandel der Einstellungen“<br />
notwendig wird - hin zur professionellen Beziehungsgestaltung mit<br />
herausfordernden Kindern und innerhalb eines Kollegiums. Ganz im Sinne<br />
Albert Schweitzers, der einmal sagte: „Das Heil der Welt liegt nicht in neuen<br />
Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung (zitiert nach Hüther<br />
2006, 2).“<br />
Versucht man der Spur zu folgen und untersucht nicht direkt den Gesundheitsszustand<br />
von Schulkindern, sondern erfragt, wie viele Lehrer von der<br />
Erkrankung ihrer Schüler wissen, kommt man zu folgendem Ergebnis: In<br />
einer Lehrerbefragung an etwa 200 Schulen in Baden-Württemberg ermittelte<br />
Astrid Kimmig, zusammen mit der Gruppe „Pädagogik bei Krankheit“,<br />
dass 15 - 20 % aller Schüler – nach Angabe ihrer Lehrer - an einer chronischen<br />
Erkrankung leiden (vgl Kimmig o.a.J. ).<br />
Dieser bundeslandspezifische Befund wird durch eine großangelegte Studie<br />
im gesamten Bundesgebiet erweitert. Das Robert Koch Institut hat von<br />
Mai 2003 bis Mai 2006 – unterstützt vom Bundesministerium für Gesundheit<br />
und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung - im Rahmen<br />
der Studie „Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)“ bundesweit<br />
knapp 18.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 – 17 Jahren sowie<br />
deren Eltern untersucht. Auch hier lassen die Ergebnisse aufhorchen. Die<br />
KiGGs [Untersuchungsbereich: „Erkennen – Bewerten – Handeln: Zur Gesundheit<br />
von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“] belegt nämlich,<br />
dass „das körperliche und psychische Wohlbefinden sowie die generell<br />
wahrgenommene gesundheitsbezogene Lebensqualität im Jugendalter –<br />
insbesondere bei Mädchen – abnimmt. Ein niedriger sozialer Status, Migrationshintergrund<br />
sowie körperliche Krankheiten und psychische Belastungen<br />
gehen mit einer verschlechterten subjektiven Gesundheit einher“<br />
(Robert Koch Institut 2008, 11).<br />
Wenn wir an dieser Stelle eine erste Zwischenbilanz wagen, so zeigt sich,<br />
dass sowohl die Gesundheit von Lehrern wie auch die Gesundheit von<br />
Schülern in der allgemeinen Schule enormen Belastungen ausgesetzt ist.<br />
Mit zunehmendem Alter und geringem sozialen Status steigt die Zahl der<br />
Erkrankungen – besonders der psychischen Erkrankungen - weiter an.<br />
Dabei ist es wichtig, die Komplexität des Phänomens nicht außer Acht zu<br />
lassen. „Zahlreiche gesundheitliche Probleme lassen sich nicht auf einen<br />
Faktor oder eine Einflussgröße allein zurückführen, sondern entstehen in<br />
einem nicht unmittelbar durchschaubaren Netz von Kausalitäten“ (Robert<br />
Koch Institut 2008, 10). Deshalb differenziert das Untersuchungsinstrument<br />
der KiGGs sechs unterschiedliche Dimensionen: Das körperliche<br />
Wohlbefinden, das psychische Wohlbefinden, das Selbstwerterleben, das<br />
Wohlbefinden in der Familie, das Wohlbefinden in Bezug auf Freunde und<br />
Gleichaltrige sowie das schulische Wohlbefinden (vgl. Robert Koch Institut<br />
2008, 12). Im Rahmen meines Vortrages möchte ich nun das „schulische<br />
Wohlbefinden“ verstärkt in den Blick nehmen und gemeinsam mit dem<br />
„Selbstwerterleben“ verknüpfen, weil beide Dimensionen auf das Engste<br />
miteinander verbunden sind.<br />
Zum schulischen Wohlbefinden gibt es eine Reihe von Untersuchungen,<br />
die allesamt zu ähnlichen Ergebnissen kommen.<br />
„Es gibt einen spezifischen Effekt, der sich als weitgehend unabhängig<br />
von anderen Faktoren (z.B. Schultyp, kulturelle Zugehörigkeit, Geschlecht)<br />
erweist: Wiederholt berichten Studien von einer Abnahme des Wohlbefindens<br />
im Laufe der Schuljahre. Dies zeigte sich in der Abnahme der generellen<br />
Zufriedenheit in der Schule (Eder 1995c), in einer Reduktion des<br />
Wohlbefindens (Fend 1997) und der Lernfreude (Jerusalem & Mittag 1999),<br />
und war bereits im Verlauf der ersten Schuljahre zu verzeichnen (Helmke<br />
1993). Außerdem sagten Kinder mit zunehmender Schulerfahrung immer<br />
seltener, dass sie gerne zur Schule gingen (Werres 1996b). Ebenso war zu<br />
beobachten, dass nicht nur die positiven Gefühle, sondern auch die positiven<br />
Aussagen gegenüber der Schule im Laufe der Schuljahre abnahmen<br />
(Czerwenka, Nölle, Pause, Schlotthaus, Schmidt & Tessloff 1990). (...) Ungeklärt<br />
ist, was zu dieser Reduktion des Wohlbefindens führt (...)“ (Hascher<br />
2004, 155).<br />
Neben empirischen Untersuchungen zum schulischen Ursachengefüge<br />
(vgl. Walke 2007, vgl. Gerber 2007), lassen sich auch strukturelle Überlegungen<br />
anstellen, die diesen Effekt beleuchten helfen. Wenn sich Kinder<br />
gerade zu Beginn ihrer Schulzeit in der Schule wohl fühlen, treffen<br />
sie in der Grundschule auf einen Klassenlehrer – in aller Regel auf eine<br />
Klassenlehrerin –, besonders Glück haben jene Grundschüler, die auf<br />
ein Lehrerteam aus Grundschullehrerin und Grundschullehrer treffen. Es<br />
gibt also eine stabile (!), bedeutsame Bezugsgröße und nicht, wie in den<br />
weiterführenden Schulen, das Fachlehrerprinzip und damit einhergehend<br />
ständig wechselnde Bezugsgrößen. Die Chance, wie es Reinhard Kahl ausdrückt,<br />
dass zu Beginn der Schulzeit „Kinder und nicht Fächer unterrichtet<br />
werden“, wird durch das Klassenlehrerprinzip begünstigt, wenn auch nicht<br />
garantiert. Die stabile Beziehung zum Lehrer bzw. zur Lehrerin könnte demnach<br />
ein wesentlicher Wohlfühlfaktor in der Schule sein.<br />
Zudem kommt mit zunehmenden Schuljahren ein weiterer struktureller<br />
Faktor ins Spiel, der - im österreichischen und deutschen Schulsystem<br />
- bereits am Ende der 4. Klasse seine volle Wucht entfaltet – die Selektion.<br />
Wer ins Gymnasium darf, zählt – aus Sicht der Eltern und der Gesellschaft<br />
– zu den Gewinnern. Die unteren Bildungsgänge – ob diese<br />
nun Hauptschule, Realschule oder Werkrealschule heißen oder gar zu<br />
den Sonderschulen zählen – nehmen die Schüler auf, die es nicht auf das<br />
Gymnasium geschafft haben. Damit verbunden sind nicht nur gravierende<br />
Schullaufbahnentscheidungen, sondern auch persönliche Kränkungen<br />
und Beschämungen. Kurt Singer verdeutlich in seinem Buch „Kränkung<br />
und Kranksein“ anschaulich, dass ein verletzter Selbstwert zu vielfältigen<br />
Erkrankungen führen kann (vgl. Singer 1997).<br />
Ergänzt wird das Zusammenspiel von Kränkung und Kranksein durch Aussagen<br />
über die Qualität des Unterrichts. Also nicht nur die Weichenstellungen<br />
durch das System selbst, sondern auch die Art und Weise, wie im<br />
System gearbeitet wird, entscheidet über den Gesundheitszustand von<br />
Lehrern und Schülern gleichermaßen.<br />
„Zwar sind Beschämung und Selektion noch immer zentrale Probleme in<br />
der Schule – aber um das Problem der realen Langeweile ergänzt. (...) In<br />
den fünften, siebten und neunten Klassen finden sogar zwei Drittel der<br />
Kinder und Jugendlichen den Unterricht langweilig (Bilz/Hähne/Melzer<br />
2003 S. 252 zitiert nach Bosenius & Hellbrügge 2008, 61).“<br />
Bosenius und Hellbrügge problematisieren auf diesen Befunden aufbauend<br />
die Not jener Schulkinder, welche Handymitschnitte über langweiligen<br />
Unterricht vermehrt ins Internet einspeisen und damit Lehrer zugleich<br />
öffentlich anprangern. „Kinder und Jugendliche reagieren damit auf ihr<br />
Empfinden, dass ihnen Lebenszeit gestohlen wird (Bosenius & Hellbrügge<br />
2008, 61).“ Dieses Grunderleben drückt sich oft auch in einem Leistungs-<br />
abfall aus, der dazu führt, dass die Schüler im Schulsystem „nach unten“<br />
durchgereicht werden (vgl. Beekmann-Knörr). Aber auch die Zunahme von<br />
massiv gesteigerten Schulängsten ist belegt (vgl. Ölsner 2005, 1). Nicht<br />
zuletzt ist die Zahl der Kinder, die den Schulbesuch verweigern und ohne<br />
Schulabschluss die Schule verlassen, bedenklich gestiegen (vgl. Meschkuta<br />
et al 2002, vgl. Oehme 2007).<br />
Wichtig ist nun, dass der Verlust des schulischen Wohlbefindens nicht<br />
nur das persönliche Problem einzelner Schüler oder einzelner Lehrer ist,<br />
sondern schulinterne und schulstrukturelle Ursachen haben kann. Selbst<br />
wenn ein Gymnasiallehrer seine Beziehung zu den Schülern als bedeutsam<br />
erachtet und professionelle Beziehungsarbeit als Basis für gelingende<br />
Lernprozesse erkennt, hat er immer noch mit der strukturellen Tatsache<br />
zu kämpfen, dass er über viele Klassen und Unterrichtsstufen hinweg als<br />
„Vertreter eines Faches“ fungiert und im Wechsel mehrere hundert Schüler<br />
in einem Schuljahr unterrichtet. Selbst wenn Lehrer und Schüler nicht<br />
in kränkender und krankmachender Weise aufeinander reagieren wollen<br />
(vgl. Spirale von langweiligem Unterricht und potentiellem Cybermobbing),<br />
spricht die frühe Selektion der Schüler eine völlig andere Sprache.<br />
Wie kann der entscheidende Schutzfaktor für die Gesundheitsförderung<br />
– nämlich das „Selbstwerterleben“ - gestärkt werden, wenn das System<br />
Schule durch Selektion gerade diesen Selbstwert schädigt? Fürstenau beschreibt<br />
dieses Dilemma präzise in seinem Beitrag „Zur Psychoanalyse der<br />
Schule als Institution“ (1964): „Die Rolle des Lehrers hat ja nicht nur eine<br />
den Schülern zugekehrte Vorderseite, sondern auch eine dem Schulleiter,<br />
vor allem aber (...) der staatlichen Schulaufsicht zugekehrte Rückseite<br />
(a.a.O. 270).“<br />
Schulen, die dieses Problembewusstsein entwickelt haben und sich auf die<br />
Suche nach den stärkenden Seiten im Schulsystem machen, gibt es zum<br />
Glück auch. Der Deutsche Schulpreis (http://schulpreis.bosch-stiftung.<br />
de) nominiert und zeichnet immer wieder gelingende Schulen aus, die ihre<br />
Kinder – um es wieder mit Reinhard Kahl zu sagen – nicht nur unterrichten,<br />
sondern aufrichten. Auch das Archiv der Zukunft (www.archiv-der-zukunft.<br />
de) leistet an dieser Stelle Pionierarbeit und vernetzt gelingende Schulen<br />
miteinander. Eine umfassende Aufgabe aller Schulen, sich auf kranke<br />
Kinder und ihre Problemlagen zu sensibilisieren, bleibt als Auftrag jedoch<br />
weiter bestehen (vgl. Ertle 2008).<br />
Ein erster Blick auf das Netz von Pädagogik und Medizin schärft also den<br />
Blick auf die eigenen Verstrickungen im System. Es wird deutlich, dass<br />
Lehrer und Schüler häufig – auch institutionell und strukturell bedingt - in<br />
den allgemeinen Schulen in kränkender und krankmachender Weise aufeinander<br />
treffen.<br />
2. Kinder fallen durch schulische Netze: Schule und Selbstwert<br />
Während das Selbstkonzept auf der Wahrnehmung und dem Wissen um<br />
die eigene Person beruht, wird der Selbstwert durch eine sehr bedeutsame<br />
Dimension erweitert – nämlich die Beurteilung der eigenen Person.<br />
Selbstvertrauen und Selbstachtung werden oft synonym zum Selbstwertbegriff<br />
verwendet. Immer geht es jedoch darum, wie wertvoll sich ein<br />
Mensch selbst erleben kann. Könnenserfahrungen – also das Erleben „ich<br />
kann etwas schaffen!“ – sind auf das Engste mit dem Selbstwerterleben<br />
verknüpft und werden auch durch die Schule entscheidend beeinflusst<br />
Schule hat äußerst machtvolle Instrumente zur Hand, wenn es darum<br />
geht, Kinder zu beurteilen: Die Vergabe von Noten, die immer auch auf die<br />
zentrale Frage zusteuert – „bist Du ein passender Schüler für diese Schule?“<br />
–, stehen im Zentrum der alltäglichen Praxis. Hier kommt wieder die<br />
„Rückseite“ des Lehrers zum Tragen, wie Fürstenau das problematisiert.<br />
Ob der Lehrer es als sinnvoll erachtet oder die skizzierten Problemlagen<br />
erkennt, er wird zum Vollstrecker eines Systems, ungeachtet dessen, was<br />
der Schüler für seine Entwicklung gerade braucht. Die Fremdbewertung<br />
durch den Lehrer ist jedoch folgenschwer, weil sie oftmals fraglos als Basis<br />
für die eigene Selbstbewertung übernommen wird. Wenn Schule den<br />
Selbstwert junger Menschen – auch im Sinne einer Gesundheitsförderung<br />
– stärken will, wird sie ihre legitimierten Praktiken kritisch hinterfragen<br />
und prüfen müssen. In Skandinavien steht z.B. längst die Schulung der<br />
eigenen Selbstbewertung im Zentrum von Lern- und Entwicklungsprozessen,<br />
die bereits im Kindergartenalter beginnt. Die Fremdbeurteilung dient<br />
lediglich als Regulativ und wird immer im persönlichen Gespräch entwickelt<br />
und verglichen.<br />
Der Selbstwert erkrankter und verunfallter Kinder, ist nun in doppelter<br />
Weise gefährdet! Durch die schulische Praxis einerseits und durch die Einschränkungen,<br />
die durch psychische oder somatische Erkrankungen bzw.<br />
durch Unfälle andererseits entstehen. Jedes Erscheinungsbild hat seine<br />
eigene Problemlage. Ein Kind, das nach einem Unfall beide Beine verliert<br />
und nicht mehr gehen kann, hat nicht nur eine „Körperfunktion“ weniger,<br />
sondern ringt um seine Identität und um sein Selbstwerterleben. Ein<br />
anorektisches Mädchen, das gute Schulnoten hat und wieder ein Pfund<br />
„schlanker“ geworden ist, wird zunächst nicht einsehen können, warum<br />
es nun in psychiatrische Behandlung soll. Ein „Klapsenkind“ zu sein, passt<br />
nicht zum Ehrgeiz und stellt das Selbstwerterleben auf eine harte Probe.<br />
„Kinder, denen man die Einschränkung nicht ansieht, haben es am<br />
schwersten [betont Ertle – A. d. Verfasserin]. Wer nach einer Chemotherapie<br />
ohne Haare zur Schule kommt, findet schnell Verständnis. Schwerer<br />
hat es dagegen ein Junge, dessen Gelenke wegen einer rheumatologischen<br />
Erkrankung morgens steif sind. Er kommt oft zu spät zur Schule und wird<br />
beim Lehrer sein Image des faulen Morgenmuffels nicht los – trotz mehrfacher<br />
Erklärungen der Eltern (Wüsthof 2006, 4).“<br />
Auch wenn der gesetzlich geregelte Nachteilsausgleich die oftmals massiven<br />
Einschränkungen, denen erkrankte und verunfalle Kinder unterliegen,<br />
ausgleichen helfen soll, schneiden Schüler, die an einer Krankheit leiden,<br />
auch in der Schule schlechter ab (vgl. ebd). Viele Lehrer an den allgemeinen<br />
Schulen ignorieren immer noch die Krankheiten und die damit einhergehenden<br />
Problemlagen ihrer Schüler, aus Unwissenheit und Überforderung.<br />
Entscheidend ist: Erkrankte und verunfallte Kinder brauchen Lehrer, die<br />
aufrichtig an ihnen interessiert sind, und Lehrer brauchen professionelle<br />
Unterstützung, wenn sie die erschwerten Entwicklungs-bedingungen ihrer<br />
Schützlinge erkennen und ausgleichen wollen. Beides ist sprichwörtlich<br />
„Not-wendig“, wenn die Stärkung des Selbstwertgefühls als zentrale pädagogische<br />
Aufgabe erkannt werden soll.<br />
3. Netze können auch tragen: Schule und Leistungsglück<br />
Derart verstrickte, und manches Mal auch aus den Maschen des Schulsystems<br />
gefallene Kinder kommen nun zur Behandlung an somatische<br />
bzw. psychiatrische Kliniken, aber auch an Unfallkliniken und treffen dort<br />
wiederum auf Klinikschulen und ihre Kliniklehrer. Angesichts der zuvor beschriebenen<br />
belastenden Verstrickungen im Netz der allgemeinen Schulen<br />
drängt sich die Frage auf, ob kranken Kindern ein Schulbesuch überhaupt<br />
zumutbar ist.<br />
Es wird also Zeit, neben den schulischen Grenzen auch die schulischen<br />
Chancen zu beleuchten. „Schule kann aber auch gesund machen, wenn sie<br />
jene Merkmale stärkt, die gesund erhalten: eine haltgebende Lehrer-Schüler-Beziehung,<br />
Selbstvertrauen und Mut, wenn die Individualität der Kinder<br />
berücksichtigt wird, der Unterricht Eigenaktivität ermöglicht, wenn Schüler<br />
Freude an der Arbeit erleben, in einer heiteren Stimmung lernen dürfen,<br />
wenn ihr Selbstwert gestärkt wird. Der Unterricht fördert das Gesundsein,<br />
indem es Leistungsglück erfahren lässt (Singer 2000 b, 1).“<br />
Knüpfen wir an den Überlegungen von Albert Einstein an. Er sagt: „Lernen<br />
ist Erfahren, alles andere ist Information.“ Wenn wir mit kranken Kindern<br />
also die Erfahrung teilen wollen, dass ein Netz auch tragen kann, wie<br />
müsste dieses Netz geknüpft sein und immer weiter geknüpft werden?<br />
4. Ausgangspunkt: Die Lehrer-Schüler-Beziehung in der Klinikschule<br />
Lernprozesse sind Beziehungsprozesse. Diese Erkenntnis ist zwischenzeitlich<br />
sehr differenziert erforscht (vgl, Schäfer 2003, Greenspan & Benderly<br />
2001, Müller 2007) und gewinnt in der Arbeit mit Kindern zunehmend an<br />
Bedeutung. Im Zentrum von Lernprozessen stehen Emotionen. Sie sind die<br />
eigentlichen Architekten des Geistes (vgl. Greenspan & Benderly 2001).<br />
Emotionen lenken unsere Gedanken und unsere Entscheidungen. Gerhard<br />
Roth (<strong>2010</strong>, 8) sagt dies ganz pointiert: „Entscheidungen sind zwar ohne<br />
Vernunft möglich, aber nicht ohne Emotionen.“ Wenn Kinder also vor der<br />
Entscheidung stehen, ob sie sich in Anbetracht ihrer lebensgeschichtlichen<br />
und aktuell durch die Krankheit geprägten Lebenssituation (wieder)<br />
auf Lernprozesse einlassen, dann geht das nur, wenn der Lehrer ihnen<br />
als Mensch begegnet, der aufrichtiges Interesse am Kind mitbringt. Seine<br />
Grundhaltung ist entscheidend wichtig, ob sich der erkrankte bzw. verunfallte<br />
Schüler auf ihn - und damit auch auf Lernprozesse - einlassen kann<br />
oder nicht.<br />
Eleanor J. Gibson und Richard Walk haben 1960 in den USA eine Versuchsanordnung<br />
aufgebaut – „the visual cliff“ – mit der sie die Tiefenwahrnehmung<br />
bei Tieren und bei Kleinkindern erforscht haben (vgl. Gibson und<br />
Walk 1960). Dazu haben sie unter einem völlig entspiegelten Plexiglastisch<br />
einen tiefen (visuellen) Abgrund errichtet, der durch ein rot-weiß-karriertes<br />
Schachbrettmuster optisch noch verstärkt wurde. Gibson beobachte-
II. Vorträge II. Vorträge<br />
28 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
29<br />
te nun das Verhalten ihrer Probanden, wenn sich diese auf den Abgrund<br />
zubewegten. Ein „Stopp“ am visuellen Abgrund war der Beleg dafür, dass<br />
dieser wahrgenommen und erkannt wurde.<br />
Eine äußerst bedeutsame Entdeckung dabei war und ist, dass Menschen,<br />
die am anderen Ende der Plexiglasplatte standen, einen ungeahnten Einfluss<br />
auf das Geschehen bei kleinen Kindern (zwischen 9 und 12 Monaten)<br />
hatten. Wenn der Erwachsene ängstlich auf den Abgrund blickte, stoppte<br />
das Baby sofort seine Erkundungen. Wenn die Bezugsperson hingegen<br />
dem kleinen Kind zulächelte, es mimisch und gestisch ermutigte, trotz des<br />
wahrgenommenen Abgrundes weiter zu krabbeln, passierte das Unfassbare.<br />
Das kleine Kind vertraute der Reaktion seines Gegenübers mehr,<br />
als der eigenen Wahrnehmung. Dieses Phänomen wurde Mitte der Achziger<br />
Jahre als „Social Referencing“ bekannt gemacht (Klinnert, Campos,<br />
Sorce, Emde, & Svejda 1983) und wurde intensiv an der University of California,<br />
Berkeley, weiter erforscht. [Film]<br />
Die aktuellen Forschungen im Feld der Neurobiologie vertiefen diese Einsicht<br />
noch. Sie belegen, dass Einstellungen und Haltungen auch über sogenannte<br />
Spiegelneurone „lesbar“ werden. Joachim Bauer (2009) hat in<br />
seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ die intuitive Kommunikation<br />
erforscht, die weit über die nonverbale Kommunikation hinausgeht. Dabei<br />
geht es um Resonanzphänomene. Lehrer werden zum Spiegel ihrer<br />
Schüler. So wie ich als Lehrer auf den Schüler blicke, so wird sich auch<br />
der Schüler selbst sehen lernen. Die Macht des Blickes, der gesagten und<br />
unausgesprochenen Worte bildet die Beziehungsbasis zwischen Lehrer<br />
und Schüler und bestimmt wesentlich, ob Lernen möglich wird, oder nicht.<br />
Gerald Hüther spricht in diesem Kontext auch von einem „Lernklima“ (vgl.<br />
2009). „Alles schulische Lehren und Lernen ist eingebettet in ein interaktives<br />
und dialogisches Beziehungsgeschehen (Bauer 2007, 14).“<br />
Dieses Beziehungsgeschehen entscheidet wesentlich darüber, ob ein<br />
Schüler seine Potentiale entfalten kann oder nicht. Das Klima, in dem sich<br />
Lehrer und Schüler begegnen, kann gedeihlich sein oder Entwicklungen<br />
hemmen. Royston Maldoom, der über ein großes Theaterprojekt an der<br />
Berliner Staatsoper mit benachteiligten und traumatisierten Kindern auch<br />
im deutschsprachigen Raum große Bekanntheit erlangt hat, betont diesen<br />
Effekt nachdrücklich:<br />
„Man muss einfach diesen unerschütterlichen Glauben an das große Potential<br />
jedes Menschen haben. Wenn man das Klassenzimmer betritt und<br />
diesen Glauben nicht hat, dann klappt es nicht, dann kommt man nicht<br />
durch. Zweifeln Sie an der Besonderheit eines Menschen, mit dem Sie<br />
arbeiten, dann spürt er das und Sie schränken ihn ein. Wenn ein Kind sein<br />
Potential nicht voll ausschöpfen kann, dann ist das mein Fehler, nicht der<br />
des Kindes (Maldoom 2006, 57).“ Dokumentiert wurde das Projekt in dem<br />
bekannten Kinofilm „Rhythm is it“.<br />
Kliniklehrer, die bewusst oder unbewußt ihren Schülern auf diese Weise<br />
begegnen, können oftmals trotz Erkrankung - und den damit einhergehenden<br />
Krisen - Lernprozesse anstoßen, die Kinder erleben lassen – „ich<br />
kann was!“<br />
5. Einzelne Fäden bilden am Ende ein starkes Seil:<br />
5a) Könnenserfahrungen - innere Themen und Sachthemen verknüpfen<br />
Kurt Singer spricht vom „Leistungsglück“, der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi<br />
hat den Begriff „Flow“ geprägt und versteht darunter das<br />
völlige Aufgehen in einer Tätigkeit. Die Psychoanalyse spricht von „Funktionslust“<br />
und die Pädagogik von „Könnenserfahrungen“. Das Phänomen<br />
hinter den unterschiedlichen Begriffen spricht eine gemeinsame Sprache<br />
– nämlich die Sprache der Erfahrung, die uns sagt: „Ich kann das!“ Zentral<br />
dabei ist das Erleben, sind die Emotionen. Damit Kinder Herausforderungen<br />
annehmen können, brauchen sie ein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.<br />
Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst in jedem Moment, in<br />
dem die Herausforderungen gelingen. So wird eine Erfahrungsspirale in<br />
Bewegung gesetzt, die Kinder stärkt. Entscheidend dabei ist, dass Kinder<br />
nicht überfordert und nicht unterfordert werden.<br />
Während die allgemeine Schule immer noch den „Weg des Gleichschritts“<br />
geht und jeden, der zu schnell oder zu langsam ist, aussortiert, geht die<br />
Klinikschule im Angesicht von Erkrankung und existentieller Bedrohung<br />
einen völlig anderen Weg. Krankenpädagogik geht nicht nur auf das Kind<br />
zu, sondern lässt sich vom Kind den Weg weisen (vgl. Pfeiffer <strong>2010</strong>, 162).<br />
Auf diese Weise wird der Lehrer zum Lernbegleiter. Doch was sollen kranke<br />
Kinder schon groß leisten können, wenn sie gerädert von der Chemotherapie<br />
im Bett liegen, oder ein anorektisches Mädchen nach der Zwangsernährung<br />
trotzig den Schulraum der Klinik betritt?<br />
Auffallend ist zunächst, dass kranke Kinder lernen wollen. Natürlich ist<br />
dies abhängig von ihrer Verfasstheit und ihrer je besonderen Situation.<br />
Aber ein sensibles Zugehen auf das Kind und seine Lernbedürfnisse bringt<br />
oftmals Erstaunliches zu Tage. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen<br />
scheint die Bedrohung des eigenen Lebens so groß zu sein, dass Kinder<br />
resignieren. Auch das verdient Respekt. Doch ist diese Lernresignation<br />
eher ein Seismograph für die übermächtigen Lebensprobleme und nicht<br />
für eine generelle Lernunlust bei kranken Kindern.<br />
Francois Dolto prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „progressiven<br />
Entwicklungsdranges“. Jedes Kind hat einen Drang in sich, größer<br />
zu werden und zu wachsen. Entwicklung ist immer „vorwärts“ und damit<br />
auf die Zukunft gerichtet! Lernen bzw. Lernzuwachs ist die Grundlage aller<br />
Entwicklung und untrennbar mit Schule verbunden! Konkret „schwingt im<br />
Lernen immer der Gedanke an die Zukunft, die Zeit nach der Krankheit<br />
mit“ (Volk-Moser 1997, 75). Wenn Kliniklehrer und -schüler wieder Zugang<br />
zu diesem - oftmals verschütteten - Quell finden, gelingen Lernprozesse in<br />
eindrücklicher Weise. Dann werden an der Klinikschule aus massiven „Störern“<br />
und „Schulverweigerern“ plötzlich „fleißige Schüler“. Der Schlüssel<br />
dazu liegt mitunter in der eigenständigen Wahl der Aufgaben. Ein Beispiel<br />
soll dies verdeutlichen.<br />
Eine Studentin, Frau Loebell, die ein Praktikum als Lehrerin an einer<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie absolviert hat, berichtet in der Reflexion<br />
darüber von zwei Kindern – Elke und Simon. Das Mädchen und der Junge<br />
hatten ähnliche Schulerfahrungen. Beide 12 Jahre alt, beide ehemals<br />
Hauptschüler der 6. Klasse. Meist kam nach dem „Ausrasten“ die totale<br />
Verweigerung. Sowohl Elke als auch Simon kamen aufgrund der massiven<br />
Schulprobleme an die Klinik. Trotz dieser Parallelen in der schulischen<br />
Vorgeschichte waren die Schülerin und der Schüler völlig unterschiedlich.<br />
„Elke ist sehr groß. Sie überragt nicht nur mich, sondern auch ihre Mitpatientinnen<br />
um viele Zentimeter. Auch ihr Körpergewicht überschreitet das<br />
der anderen Kinder ihres Alters (Loebell <strong>2010</strong>, 9).“ Mächtig in ihrer körperlichen<br />
Erscheinung, und unbeholfen in ihren Sozialkontakten, so charakterisiert<br />
Frau Loebell ihren ersten Eindruck von Elke. Simon hingegen<br />
ist, rein äußerlich betrachtet, das totale Gegenteil. „Simons Füße stecken<br />
in schwarzen Skaterschuhen, die im Vergleich zu seinen Beinen, die unten<br />
aus seiner weißen Hose ragen, riesig wirken. Meistens trägt er eine<br />
rote Sweatshirtjacke mit einem Reißverschluss. Auch der Pullover wirkt<br />
in Anbetracht der schmalen Gestalt des Jungen übergroß. (...) Häufig bewegt<br />
er sich mit schlurfenden Schritten, die Hände in den Taschen seiner<br />
Sweaterjacke vergraben , die Schultern nach unten und etwas nach vorne<br />
hängend, vorwärts (Loebell <strong>2010</strong>,6).“ Wenn Simon seine Hände aus der<br />
Tasche nimmt, rutschen die Ärmel ewig weit über seine Fingerspitzen hinaus,<br />
berichtet die Studentin weiter. Wenn er so dasteht erinnert er an einen<br />
Clown. Frau Loebell entscheidet sich für ein gemeinsames Lernthema<br />
im Fach „Mensch, Natur Kultur“ (MNK): „Meeresbewohner“. Jeder Schüler,<br />
jede Schülerin darf sich eigenständig Meereslebewesen aussuchen und<br />
darüber arbeiten. Elke wählt den Giganten der Meere aus - konkret den<br />
Blauwal - und Simon entscheidet sich schließlich für den Clownfisch, der<br />
zur Gruppe der Anemonenfische gehört und eine Besonderheit aufweist.<br />
Alle Clownfische kommen als Männchen zur Welt. Nur die größten und<br />
stärksten Clownfische des Schwarms verwandeln sich dann zu Weibchen.<br />
Ist es ein Zufall, dass die in ihrer Erscheinung mächtige Elke sich für einen<br />
Meeressäuger - den Blauwal entscheidet und der schmächtige, dürre Junge<br />
Simon in seinen übergroßen Schuhen, für den Clownfisch? Was beide<br />
aber im Klinikunterricht verbindet ist, dass beide, je für sich unglaublich<br />
intensiv ihr Themenfeld der Meeresbiologie erforschen, Modelle basteln<br />
und konzentriert Präsentationen zum Thema vorbereiten. Werden auf<br />
schulischen Nebenwegen mögliche innere Themen bearbeitet, die in therapeutischen<br />
Settings ihre Vertiefung finden können (vgl. Hoanzl 2000,<br />
Hoanzl 2005)? Welchen Beitrag können Beobachtungen in der Schulsituation<br />
für eine differenzierte Diagnostik leisten?<br />
Festzuhalten bleibt: Schule kann Kinder mit Hilfe des Unterrichts aufrichten!<br />
Das gibt neuen Lebensmut und Entwicklungs- bzw. Gesundungspotentiale.<br />
5b) Spurensucher und Fährtenleser – individualisierte, gemeinsame Wege<br />
Klinikschulen scheinen dem Motto zu folgen: „Nicht das System weist uns<br />
den Weg, sondern der Schüler!“ Diese Idee ist nicht neu - sie wurzelt auch<br />
in der Reformpädagogik -, aber angesichts der existentiellen Bedrohungen<br />
von erkrankten und verunfallten Kindern duldet diese Idee keinen Aufschub<br />
mehr!<br />
Das vorangestellte Beispiel von Frau Loebell verdeutlicht eindrücklich,<br />
dass Lernblockaden sich lösen, wenn Kinder nicht nur zu Empfängern von<br />
Aufgaben werden, sondern aktiv und im Rahmen des Möglichen selbstbestimmt<br />
ihre Themen wählen und eigenständig bearbeiten können. Lehrer<br />
gehen mit ihren Schülern individualisierte Weg und begleiten sie dabei.<br />
Auf diesem Wegestellen sich Könnenserfahrungen oftmals wie von selbst<br />
ein. Die Kliniklehrer fordern ihre Kinder, sie machen Angebote und beobachten,<br />
wie diese darauf reagieren. Kliniklehrer wollen etwas von ihren<br />
Schülern, sie fordern sie heraus, aber überfordern oder unterfordern diese<br />
nach allen Regeln der Kunst möglichst nicht.<br />
Beispielsweise entscheiden onkologische Schüler immer eigenständig, ob<br />
und wann sie Klausuren schreiben möchten. Zur Leistung kann kein Kind<br />
gezwungen werden, aber Kinder können zum Leistungsglück verführt werden.<br />
Der Gewinner des Deutschen Schulpreises <strong>2010</strong> ist die Klinikschule<br />
in Oberjoch – Geschwister-Scholl-Schule. Begründet wurde die Preisverleihung<br />
damit, dass die Schule, die ihre Schützlinge in der Regel nur<br />
acht Wochen aufnehmen kann, zum „Gasthaus des Lernens“ wurde und<br />
„ihre Schüler zum Aufblühen bringt“. Mit aufrichtigem Interesse werden<br />
die Klinikschüler aufgenommen und begrüßt. Deshalb überrascht es die<br />
„Sophie-Scholl-Lehrer immer wieder, wie wenig die Kollegen der Heimatschulen<br />
ihre Schüler kennen, obwohl sie diese häufig seit Jahren unterrichteten.<br />
Manche Spalte auf dem von der Schule verschickten Fragebogen<br />
bleibt leer. So gibt es selten Auskunft über das Hörvermögen und dessen<br />
mögliche Beeinträchtigungen. Stattdessen steht da: »Bin ich vielleicht der<br />
Arzt?« Doch mit solchen Kleinigkeiten beginnt die viel beschworene »Individualisierung<br />
des Lernens«: Die Schüler wahrnehmen, sie kennenlernen,<br />
sich für sie interessieren (Kahl <strong>2010</strong>, 1).“<br />
5c) Flexibilität und Sinnhaftigkeit: Lernen im Kontext ungewisser Veränderungen<br />
In der Klinikschule kann es keine Lösungs- und Handlungsstrategien geben,<br />
die auf alle Kinder zutreffen. Die einzelnen Problemlagen sind immer<br />
abängig von der je eigenen Biographie, der kulturellen Zugehörigkeit, den<br />
vorangegangenen Lern- bzw. Schulerfahrungen und der aktuellen Krankheitsgeschichte<br />
der einzelnen Schüler.<br />
Ein kleiner Junge in der psychiatrischen Tagesklinik, der nicht einmal den<br />
Namen seines Vaters kennt, der drei Halbgeschwister von wieder anderen<br />
Vätern hat, und der von seiner Mutter an seine Tante weitergereicht wird,<br />
weil es der alleinerziehenden Frau einfach zu viel mit ihm wird, bringt andere<br />
Problemlagen mit, als das kleine Mädchen, das onkologisch erkrankt<br />
ist und zum zweiten Mal wegen eines Rezidives stationär aufgenommen<br />
wurde, versorgt und begleitet von beiden Elternteilen. Beide Kinder stehen<br />
vor einer völlig neuen Weichenstellung ihres jungen Lebens.<br />
Der kleine Junge, der mit 8 Jahren schon dreimal die Grundschule gewechselt<br />
hat, weil er immer wieder ausgerastet ist und nun endlich in der Klinikschule<br />
ein neues Zuhause findet, will bloß nicht mehr zurück an die alte<br />
Schule.<br />
Das kleine Mädchen, das nach der x-ten Chemotherapie völlig gerädert im<br />
Krankenbett liegt, hat nur einen Wunsch: Es will trotz des ewigen langen<br />
Klinikaufenthaltes die Freundinnen in der Stammschule nicht verlieren. Es<br />
will trotz ständiger Übelkeit lernen, um gemeinsam mit den Klassenkammeraden<br />
in die dritte Klasse kommen zu können.<br />
In beiden Fällen werden die Kliniklehrer gemeinsam mit den Kindern nach<br />
Wegen suchen, die auch für das Kind selbst Sinn machen und zugleich<br />
maßgeschneidert sind.<br />
Der Einzelunterricht am Krankenbett des kleinen Mädchens, der enge<br />
Kontakt zu ihrer Stammschule, der Brief an die Schulklasse und der nagende<br />
Druck, den Anschluss gegen Ende des Schuljahres nicht zu verlieren,<br />
stellt die Kliniklehrer vor große Herausforderungen. Was ist sinnvoller für<br />
das Kind, das Erkennen, dass es nicht mit den Freundinnen gemeinsam<br />
in die dritte Klasse weiterziehen kann oder das Festhalten am potentiell<br />
überfordernden Vorhaben, weil es eben der sehnlichste Wunsch ist?<br />
Der kleine Junge in der psychiatrischen Tagesklinik schafft es wohl immer<br />
besser, seine Ausbrüche vorherzusehen und mit Hilfe der Kliniklehrer zu<br />
stoppen, bevor diese beginnen. Und dennoch kann er nur in geringer Stundendosis<br />
die anderen Kinder der Lerngruppe ertragen, muss immer wieder<br />
aus dem Klassenraum. Wie kann es mit dem kleinen Mann weitergehen?<br />
Wie kann er seine Gruppenfähigkeit ausbauen und welche Schule käme für<br />
ihn in Frage, wenn sein Klinikaufenthalt zu Ende geht?<br />
So wie die Kinder ständigen Wandlungsprozessen unterliegen, so unterliegen<br />
auch die Aufgaben des Kliniklehrers ständigen Wandlungen. Die Beweglichkeit<br />
– d.h. die Flexibilität – des Kliniklehrers ist so wichtig wie seine<br />
Verlässlichkeit. Das Leben der Kinder muss neu ausgerichtet werden. Das<br />
erfordert kleine, aber zukunftsfähige, professionelle und zugleich gemeinsame<br />
Entwicklungsschritte. Gute Lehrer sind immer auch gute Lerner.<br />
Dennoch bleiben sie – um es mit Fürstenau zu sagen - auch Vertreter einer<br />
Institution. Gerade in derartigen Umbruchsituationen ist die Schule d i e<br />
Konstante, und – wie Ertle (vgl. 1997) es sagt - „die Brücke zur Normalität“<br />
und zu den Gesunden.<br />
Unterricht in der Klinikschule ist damit weit mehr als pure Stoffvermittlung<br />
und Nachhilfe. Der Klinikunterricht ist immer auch eine Spurensuche zu<br />
Themen und Inhalten, die für den kranken Schüler subjektiv bedeutsam<br />
sind - auf direkten Wegen, aber auch auf Nebenwegen.<br />
6. Kliniklehrer sind Vorbildnetzwerker<br />
Die „interdisziplinäre Verflechtung“ der Kliniklehrer ist gewiss wichtig,<br />
spiegelt sich doch in der Situation der Lehrer auch die Situation der Kinder,<br />
die ihnen anvertraut sind. Ein Leben im „Netz“, das einmal trägt und in<br />
dem man sich auch leicht verstricken kann.<br />
Betrachten wir kurz aus der Distanz, wer sich in diesem Netzwerk befindet.<br />
Da ist zunächst das kranke Kind und sein Kliniklehrer. Doch beide<br />
sind weiter eingebunden in ihre nahe Schulumgebung. Beim Kliniklehrer<br />
ist es das Kollegium und die Schulleitung, beim kranken Kind sind es die<br />
anderen Schüler der neuen Lernumgebung. Dazu kommt wichtiger Weise<br />
noch der familiäre Kreis des kranken Kindes: Die Eltern, Geschwister,<br />
Großeltern und wer sonst noch dazu gehört. Doch die Schule für Kranke<br />
genügt sich nicht selbst. Sie ist – wie es Volk-Moser (vgl. 1997) trefflich<br />
beschreibt – „der pädagogische Ort im Klinischen Feld“. Ärzte, Therapeuten,<br />
Erzieher und Pflegepersonal sind je nach Krankheitsphase des Schülers<br />
unterschiedlich präsent – manches Mal latent, dann wieder dominant!<br />
Dazu kommt der Kontakt zur Heimatschule. Zu nennen sind: Die bisherige<br />
Klassengemeinschaft des erkrankten Kindes, seine bisherigen Klassenlehrern<br />
und die Schulleitung der Heimatschule. Schulämter, Jugendhilfe, Jugendamt,<br />
Gerichte und Familienhilfe sind auch vielerorts vertreten. Hinzu<br />
kommt oft noch die Suche nach neuen Schulen und Netzwerkpartnern. Einige<br />
Klinikschulen haben darüber hinaus den Kontakt zu den Hochschulen<br />
und Universitäten gesucht, und wirken aktiv in der Lehrerausbildung mit.<br />
Auch das ist eine Besonderheit der Klinikschule. Kliniklehrer arbeiten<br />
nicht nur im bestehenden System, sondern am System! Sie schaffen im<br />
Bedarfsfall neue Netzwerke, wenn es das einzelne Kind oder die Situation<br />
erfordert. Das Projekt „Warteschleife“ – das in einem Workshop von Frau<br />
Ramminger - auch auf diesem Kongress vertreten ist, belegt das eindrücklich.<br />
Dabei werden in konstruktiver Weise „Systemlücken“ überbrückt.<br />
Zurzeit ist es oftmals so, dass ein psychisch krankes Kind mit festgestelltem<br />
psychiatrischem Behandlungsbedarf nicht sofort in der Klinik untergebracht<br />
werden kann. Wartezeiten bis zu einem halben Jahr sind nicht selten.<br />
Dabei tut sich oft ein besonderes Dilemma auf. Das psychisch kranke<br />
Kind kann in seiner alten Heimatschule ohne professionelle Begleitung<br />
nicht mehr gehalten werden und die Klinikschule kann das Kind noch nicht<br />
aufnehmen und auffangen. Das einzelne Kind in dieser Situation nicht allein<br />
zu lassen und es weiteren De-stabilisierungskrisen auszusetzen, ist<br />
das Ziel dieser neuen Netzwerkverbindung.<br />
Hier wird das Netz also enger geknüpft, bevor (!) das Kind hindurch fällt.<br />
Auch darin spiegelt sich der Vorbildcharakter der Kliniklehrer. Nicht das<br />
bestehende System diktiert die Gangart, sondern die Bedürfnisse der Kinder<br />
stehen immer noch im Mittelpunkt.<br />
7. Fazit<br />
Joachim Bauer hat in seiner eingangs vorgestellten Studie empirisch belegt,<br />
dass es einen Wandel der Einstellungen braucht, um die Gesundheit<br />
der Lehrer und Schüler zu verbessern Dieser Wandel hat sich an den Klinikschulen<br />
längst vollzogen. Wer in einem derart komplexen Netzwerk<br />
arbeitet und es zugleich ständig weiter verbessert, kann nicht darin bestehen,<br />
wenn er die interdisziplinären und vielfältigen Beziehungen nicht professionell<br />
reflektiert und pflegt. Dass es hoch engagierte Klinklehrerinnen<br />
und -lehrer gibt, die das bereits unablässig tun, kann nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass derartige Leistungen nicht ohne weitere Ressourcen<br />
aufrecht erhalten werden können. Möge dieser Vortrag also nicht nur eine<br />
theoretisch fundierte Würdigung der Klinkschularbeit sein, sondern auch<br />
ein Appell an die bildungspolitisch Verantwortlichen, gelingende Systeme<br />
weiter zu stärken – auch finanziell!
30 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
31<br />
8. Dank<br />
An dieser Stelle möchte ich Herrn Ertle danken, der mit seinen zurückliegenden<br />
Forschungsprojekten das Thema „kranke Kinder“ überhaupt<br />
erst in unser Bewusstsein und an unsere Fakultät gebracht hat. Mein besonderer<br />
Dank gilt auch – stellvertretend für das gesamte Kollegium der<br />
Schule für Kranke in Tübingen – Herrn Leutner und Frau Dany. Die enge<br />
Verzahnung von Praxis, Theorie, Forschung und (Hoch)Schulentwicklung<br />
eröffnet neue Wege. Auch Frau Loebell danke ich sehr für ihren „feinen<br />
Blick“ und die vielen Anregungen.<br />
9. Quellenverzeichnis<br />
9.1. Literatur:<br />
II. Vorträge<br />
Jährlich sterben in Deutschland ca. 3000<br />
II. Vorträge<br />
Kinder an lebensverkürzenden Krankheiten<br />
Bauer Joachim (2007): Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg. Verlag<br />
Hoffmann und Campe<br />
Bauer Joachim (2009): Warum ich fühle was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone.<br />
München. Heyne Verlag. 14. Auflage<br />
Bosenius Jürgen & Hellbrügge Lukas (2008): „Du fehlst uns noch!“. Partizipation und Zeitsouveränität. Die<br />
Sicht der Schülerinnen und Schüler. Seite 60-67. In: Anja Durdel, Annemarie von der Groeben, Thomas<br />
Trautmann (2008) (Hrsg.) : Schule als Lebenszeit. Lern- und Lebensrhythmen von Kindern, Lehrkräften und<br />
Schulen. Beltz Verlag.<br />
Ertle Christoph (1997): Die Schule für Kranke – „eine Brücke zum ganz normalen Leben“. Seite 11-25 In: Ertle<br />
Christoph (1997) (Hrsg.): Schule bei kranken Kindern und Jugendlichen. Wege zu Unterricht und Schulorganisation<br />
in Kliniken und Spezialklassen. Bad Heilbrunn. Verlag Klinkhardt<br />
Fürstenau Peter (1964): Zur Psychoanalyse der Schule als Institution. Seite 264 – 283. In: Fürstenau Peter<br />
(1974) (Hrsg.): Der psychoanalytische Beitrag zur Erziehungswissenschaft. Darmstadt. Verlag: Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft<br />
Gerber Eva (2007): Schulzufriedenheit und Schulleistungen : Motive als Moderatorvariablen der Wirkrichtung<br />
des Zusammenhangs. Universität Tübingen, Psychologisches Institut<br />
Gibson Eleanor J., Walk Richard (1960): The “visual cliff” Seite 64-71. In: Scientific American Band 202, 1960<br />
Greenspan Stanley I., Benderly Beryl L. (2001): Die bedrohte Intelligenz : die Bedeutung der Emotionen für<br />
unsere geistige Entwicklung. München. Verlag Goldmann<br />
Hascher Tina (2004): Wohlbefinden in der Schule. Münster. Waxmann Verlag<br />
Hoanzl Martina (2002): Ambivalenz als Herausforderung in der schulischen Arbeit mit schwierigen Kindern<br />
und Jugendlichen – Paradigmenwechsel im pädagogischen Denken: Vom “entweder-oder” zum „und“. Seite<br />
25-49. In: Ertle Christoph, Hoanzl Martina (Hrsg.): Entdeckende Schulpraxis mit Problemkindern. Die Außenwelt<br />
der Innenwelt in Unterricht und Berufsvorbereitung mit schwierigen Schülern und jungen Erwachsenen.<br />
Klinkhardt Verlag. Bad Heilbrunn<br />
Hoanzl Martina (2005): „Ich seh’, ich seh’, was Du nicht siehst ...“- Lernschwierigkeiten vor dem Hintergrund<br />
des subjektiven Erlebens und Verhaltens. S. 46-49 In: Praxis Schule 5-10. Themenheft 4/2005 „Lernschwierigkeiten<br />
begegnen“. Westermann-Verlag. Braunschweig<br />
Hoanzl Martina, Baur Werner, Bleher Werner, Thümmler Ramona & Käppler Christoph (2009): Unterricht in<br />
psychiatrischen Klinikschulen. Seite 404 – 411. In: Opp Günther, Theunissen Georg (Hrsg.) unter Mitarbeit<br />
von Jana Teichmann: Handbuch schulische Sonderpädagik, Bad Heilbrunn, Verlag Klinkhardt<br />
Hüther Gerald (2009): Entwicklungsneurobiologische Ansätze und Perspektiven. Seite 106 – 112. In: Ahrbeck<br />
Bernd, Willmann Marc (Hrsg.) (2009): Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Ein Handbuch. Stuttgart. Verlag<br />
Kohlhammer<br />
Hüther Gerald & Michels Inge (2009): Gehirnforschung für Kinder – Felix und Feline entdecken das Gehirn.<br />
München. Verlag Kösel<br />
Klinnert Mary D.., Campos Joseph., Sorce James F.., Emde Robert N., & Svejda Marylin (1983): Emotions as<br />
behavior regulators in infancy: Social referencing in infancy. Seite 57 – 86. In Plutchik Robert & Kellerman<br />
Henry (Hrsg.): Emotion: Theory, research and experience. New York: Academic Press<br />
Müller Andreas (2007): Wenn nicht ich, ...? Und weitere unbequeme Fragen zum Lernen in Schule und Beruf.<br />
Bern. h.e.p. Verlag AG<br />
Oehme Anja (2007): Schulverweigerung : subjektive Theorien von Jugendlichen zu den Bedingungen ihres<br />
Schulabsentismus. Hamburg. Verlag Kovac<br />
Roth Gerhard (<strong>2010</strong>): Verstand oder Gefühl – wem sollen wir folgen. Seite 15-27 In: Roth Gerhard, Grün<br />
Klaus-Jürgen, Friedman Michel (<strong>2010</strong>) (Hrsg): Kopf oder Bauch? Zur Biologie der Entcheidung. Göttingen.<br />
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht<br />
Schäfer E. Gerd (Hrsg.) (2003): Bildung beginnt mit der Geburt. Ein offener Bildungsplan für Kindertageseinrichtingen<br />
in Nordrhein-Westfalen. Weinheim, Basel, Berlin. Beltz Verlag<br />
Schiffer Eckhard & Schiffer Heidrun (2003): Lerngesundheit - Lebensfreude und Lernfreude in der Schule<br />
und anderswo. Weinheim und Basel. Beltz Verlag<br />
Singer Kurt (1997): Kränkung und Kranksein. Psychosomatik als Weg zur Selbstwahrnehmung. München.<br />
Verlag Piper. 5. Auflage<br />
Singer Kurt (2000 a): Wenn Schule krank macht. Weinheim. Beltz Verlag<br />
Volk-Moser Andrea (1997): Zwischen Zukunftshoffnung und Resignation –zur Brückenfunktion des Unterrichts<br />
am Krankenbett. Seite 57-76 In: Ertle Christoph (1997) (Hrsg.): Schule bei kranken Kindern und Jugendlichen.<br />
Wege zu Unterricht und Schulorganisation in Kliniken und Spezialklassen. Bad Heilbrunn. Verlag<br />
Klinkhardt<br />
Walke Sophie (2007): Ambivalenz und Schulzufriedenheit : Der Einfluss von schulbezogener Ambivalenz auf<br />
den Zusammenhang von Schulzufriedenheit und Schulleistungen. Universität Tübingen, Psychologisches<br />
Institut<br />
9.2. Internetrecherchen und andere Datenquellen:<br />
Bauer Joachim (2004): Die Freiburger Schulstudie. Pilotstudie. [verfügbar unter: http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/schulstudiedeutsch.pdf<br />
Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />
Beekmann-Knörr Brigitte.: Klinikschule – allgemeine Schule. Erfinderisches Miteinander in gemeinsamer<br />
Praxis für psychisch kranke Schüler. In: Ertle, C.: Abschlußbericht zum interdisziplinären Forschungsprojekt<br />
„Chronisch kranke Kinder und Jugendliche in den allgemeinen Schulen“ – gefördert aus den Mitteln der<br />
Robert-Bosch-Stiftung. [verfügbar unter: www.interklinikschule.de, 12.02.2008]<br />
Kahl Reinhard (<strong>2010</strong>): Ganz oben. In: DIE ZEIT 10.06.<strong>2010</strong>. Deutscher Schulpreis: Ganz oben. ZEIT ONLINE<br />
[verfügbar unter: http://www.zeit.de/<strong>2010</strong>/24/C-alternativ-Schulpreis?page=1 Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />
Ertle Cristoph.: Abschlußbericht zum interdisziplinären Forschungsprojekt „Chronisch kranke Kinder und<br />
Jugendliche in den allgemeinen Schulen“ – gefördert aus den Mitteln der Robert-Bosch-Stiftung. [verfügbar<br />
unter: www.interklinikschule.de, Stand 12.02.2008]<br />
Hüther Gerald (2006): Eine neue Kulutur der Anerkennung – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der<br />
Schule. Südwestrundfunk SWR2 Aula – Manuskriptdienst. Sendung vom 26. November 2006 [verfügbar<br />
unter: http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/-/id=1804984/property=download/<br />
nid=660374/1egdfh9/au20061124_3993.rtf Stand: 02.11.<strong>2010</strong>]<br />
Kimmig Astrid: Chronisch kranke Kinder und Jugendliche an den allgemein bildenden Schulen. Ein Forschungsprojekt<br />
an der PH Ludwigsburg, Fakultät für Sonderpädagogik Reutlingen Prof. Dr. Christoph Ertle<br />
in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Uniklinik Tübingen<br />
Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Dietrich Niethammner und Dr. Astrid Kimmig – gefördert von der Robert Bosch<br />
Stiftung [verfügbar unter: http://www.interklinikschule.de/de/docs/ab/vortrag1.pdf Stand 01.11.<strong>2010</strong>]<br />
Loebell Johanna (<strong>2010</strong>): Praktikumsbericht zu einem Blockpraktikum an der Schule für Kranke des Olgahospitals<br />
Stuttgart. Unveröffentlichte Arbeit an der Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogische Hochschule<br />
Ludwigsburg in Verbindung mit der Universität Tübingen mit Sitz in Reutlingen. Oktober <strong>2010</strong><br />
Lohrmann Katrin (2008): Langeweile im Unterricht. Ergänzende Darstellung des Forschungsstands: Zusammenfassung<br />
von Einzelstudien. [verfügbar unter: http://www.waxmann.com/fileadmin/media/<br />
zusatztexte/1896erg.pdf Stand 02.11.<strong>2010</strong>].<br />
Maldoom Royston (2006): Vortrag auf DVD In: Kahl Reihard (Hrsg.) (2006): Die Entdeckung der frühen Jahre.<br />
Booklet und DVD. Archiv der Zukunft<br />
Meschkuta Bärbel, Stackelbeck Martina & Langenhoff Georg (2002): Der Mobbing-Report. Eine Repräsentativstudie<br />
für die Bundesrepublik Deutschland. Dortmund, Berlin. [verfügbar unter: http://www.baua.de/de/<br />
Publikationen/Forschungsberichte/2002/Fb951.pdf?__blob=publicationFile Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />
Pfeiffer Simone (<strong>2010</strong>): Annäherungen an die Bedeutsamkeit von Schule und Lernen für Kinder mit onkologischen<br />
Erkrankungen. Unveröffentlichte wissenschaftliche Hausarbeit an der Fakultät für Sonderpädagogik<br />
der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg in Verbindung mit der Universität Tübingen mit Sitz in Reutlingen.<br />
August <strong>2010</strong><br />
Robert Koch Institut (2008): Erkennen – Bewerten – Handeln. Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen<br />
in Deutschland. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Berlin und Köln. [ verfügbar unter: http://<br />
www.kiggs.de/experten/downloads/dokumente/KiGGS_GPA[1].pdf Stand 01.11.<strong>2010</strong>]<br />
Singer Kurt (2000 b): Wenn Schule krank macht. Wie macht sie gesund und lernbereit?. [ verfügbar unter:<br />
http://www.prof-kurt-singer.de/buecher4.htm Stand: 02.11.<strong>2010</strong>]<br />
Ölsner Wolfgang (2005): Wenn Schule krank macht. Artikel im Stern, Erscheinugsdatum: 26. April 2005,<br />
15:29; [ verfügbar unter http://www.stern.de/wissen/mensch/studie-wenn-schule-krank-macht-539622.<br />
html Stand: 01.11.<strong>2010</strong> ]<br />
Wüsthof Achim (2006): Krankheit macht Schule. Artikel aus ZEIT ONLINE, Erscheinungsdatum: 29.06.2006 –<br />
01:37 Uhr [verfügbar unter http://www.zeit.de/2006/26/M-Klinikschule Stand: 01.11.2011]<br />
„Die Zeit, die bleibt“ – Palliativ-Medizin und Schule<br />
Prof. Dr. med. Monika Führer<br />
Kinderpalliativmedizin Klinikum LMU München<br />
Definition der WHO: Palliativbetreuung bei Kindern (1)<br />
„Die Palliativversorgung von Kindern umfasst die aktive Betreuung der<br />
physischen, psychischen und spirituellen Bedürfnisse des Kindes und seiner<br />
Familie vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an....<br />
Definition der WHO 1998<br />
Palliativbetreuung bei Kindern (2)<br />
…Eine effektive Palliativversorgung benötigt einen multidisziplinären Ansatz,<br />
der die Familie einbezieht und regionale Unterstützungsangebote<br />
nutzbar macht.“<br />
Jährlich sterben in Deutschland ca. 3000 Kinder an lebensverkürzenden<br />
Krankheiten<br />
27%<br />
9%<br />
3% 3%<br />
11%<br />
3%<br />
9%<br />
4%<br />
3%<br />
Infektionen<br />
Neubildungen<br />
Stoffwechsel<br />
Nervensystem<br />
Kreislaufsystem<br />
Atmungssystem<br />
Perinatalperiode<br />
angeb. Fehlbildungen<br />
Nicht klassifizierbar<br />
Sonstige<br />
Kausale Therapie Palliative Therapie<br />
„We need a system a system that integrates that integrates palliative g care palliative with curative care treatment“<br />
Dabbs D, Butterworth L; MCN 2007 with curative treatment“<br />
Dabbs D, Butterworth L; MCN 2007<br />
Preschool as Palliative Care<br />
M.E. Ross, J. Hicks, W.L. Furman J of Clinical Oncology 26(22), 2008<br />
One privilege of caring for children with cancer is witnessing the courage<br />
with which families face life despite the disease.<br />
Therapieziele<br />
• Heilung<br />
• Lebensverlängerung<br />
• Rehabilitation<br />
• Funktionsverbesserung<br />
• Linderung von Leiden<br />
• Verbesserung von Lebensqualität<br />
• Ermöglichung eines „guten Sterbens“<br />
Palliativmedizin an der LMU<br />
Palliativmedizin an der LMU<br />
Lehrstuhl für<br />
Palliativ-<br />
Medi Medizin in<br />
Professur für<br />
Kinderpalliativ-<br />
medizin di i<br />
physisches<br />
LEIDEN<br />
spirituelles<br />
Professur für<br />
Spiritual Care<br />
psychosoziales<br />
Professur für<br />
Soziale Arbeit<br />
in Palliative<br />
CCare<br />
Zitat<br />
„Wir möchten so gerne zu Hause mit unserem Kind und der ganzen<br />
Familie zusammen sein. Aber wir haben solche Angst, etwas falsch zu<br />
machen.“ Mutter eines 3-jährigen Sterbenden<br />
Was sind die größten Hürden für die Eltern?<br />
• Last der Verantwortung<br />
• Erschöpfung<br />
• Angst vor schweren Symptomen und Leiden<br />
• Angst davor, in einer Krise allein zu sein<br />
• Angst, ihrem Kind zu schaden und sein Leben zu verkürzen<br />
• Unsicherheit darüber, wann sie mit dem Tod ihres Kindes rechnen<br />
müssen<br />
• Beunruhigende Vorstellungen vom Sterben<br />
„Wie wird unser Kind sterben?“<br />
Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien<br />
28%<br />
• Sicherheit in der Symptomkontrolle<br />
• Rund-um-die Uhr Erreichbarkeit des Unterstützungsteams<br />
Todesursachen Wann beginnt Kinder Kinder unter 20 unter die Jahre (Bayern 20 Palliativphase?<br />
Jahre 2005, (Bayern n = 602) 2005, n = 602) • Linderung von Leiden bei Patient und Familie<br />
Quelle: Statistisches Landesamt<br />
• möglichst viel gemeinsame Zeit in der Familie<br />
Wann beginnt die Palliativphase?<br />
• Privatsphäre, wenn möglich durch Pflege zu Hause<br />
• tragfähiges Netz für häusliche Betreuung<br />
• Vermeidung sozialer Isolation, Teilhabe am Leben<br />
Spezielle Anforderungen bei Kindern Bei der Palliativbetreuung von<br />
Kindern:<br />
• bestimmen Alter und Entwicklungsstand die Kommunikation und<br />
Interaktion<br />
• sind Eltern, Geschwister und das gewohnte soziale Umfeld wichtig<br />
• ist die Vorstellung von Krankheit und Tod abhängig von Alter und<br />
Entwicklung<br />
• hat die Teilhabe an normalen kindlichen Aktivitäten (Kindergarten,<br />
Schule) therapeutische Bedeutung<br />
Was sind die größten Hürden für die Helfer?<br />
• Mangel an Zeit<br />
• Mangel an Wissen und Erfahrung<br />
• Fehlende Kooperation<br />
• Fehlen klarer Strukturen und Zuständigkeiten<br />
• insuffiziente Information and Kommunikation<br />
• Fehlende Unterstützung (Finanzierung, Beratung)<br />
• Unsicherheit über die gesetzlichen Grundlagen<br />
Bedürfnisse der Helfer<br />
• gesicherter Informationsfluss beim Übergang zwischen den Versorgungsstrukturen<br />
(stationär/ambulant)<br />
• Koordination der verordneten Leistungen und der verschiedenen Helfer<br />
• Beratung des Betreuungsteams in Fragen der Symptomkontrolle<br />
• Organisation von Debriefing-Konferenzen nach dem Tod des Kindes<br />
DDas Projekt P j kt HOM HOMe<br />
Das Projekt HOMe<br />
Zwischen März 04 und Oktober 09 wurden über 220 Kinder und Jugendliche<br />
mit ZZwischen ischen lebensbegrenzenden Mä März 04 und nd Oktobe Oktober Erkrankungen 09 wurden durch dendie über übeKoordinationsstelle 220 Kinder Kinde<br />
Kinderpalliativmedizin und Jugendliche am mit Klinikum lebensbegrenzenden der Universität München Erkrankungen betreut<br />
durch die Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin p<br />
am<br />
Klinikum der Universität München betreut<br />
28%<br />
Diagnosenspektrum Patientencharakteristika<br />
1%<br />
1%<br />
6%<br />
11%<br />
2%<br />
2%<br />
Infektionen<br />
21%<br />
Neubildungen<br />
Stoffwechsel<br />
Nervensystem<br />
Kreislaufsystem<br />
Atmungssystem<br />
12% Perinatalperiode<br />
angeb. Fehlbildungen<br />
Nicht klassifizierbar<br />
Sonstige<br />
15%<br />
Geschlecht 47% Knaben<br />
Migrationshinter-<br />
25%<br />
ggrund nd<br />
Alter (Median) 5 Jahre<br />
(7d – 43 J.)<br />
< 1J. 1J n=31<br />
> 18J. n=12<br />
Perinatale<br />
Betreuungen g 10<br />
verstorben 118
II. Vorträge II. Vorträge<br />
32 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
33<br />
HOMe - Hospiz ohne Mauern<br />
HOMe - Hospiz ohne Mauern<br />
Lebensqualität q<br />
Vernetzungg Fortbildungg<br />
Koordination<br />
und fachliche<br />
Beratung<br />
Multiprofessionelles Team der KKiP<br />
Kinderärzte, ä Sozialpädagoge, S ä Pflegende, f Seelsorger S<br />
Vernetzung in der Palliativversorgung von Kindern in Bayern<br />
AK Pädiatrische Palliativmedizin<br />
• erste Sitzung April 2003<br />
• interdisziplinär und multiprofessionell<br />
• bisher 40 Sitzungen in 2-monatigem Rhythmus<br />
AG Kinderpalliativmedizin in Bayern<br />
• gegründet 2006<br />
• alle Initiativen in der Palliativversorgung in Bayern<br />
• bisher 10 Sitzungen in halbjährlichem Rhythmus<br />
house-Schulung: Teilnehmer<br />
Inhouse-Schulung: Teilnehmer<br />
n<br />
Berufserfahrung in<br />
Jahren<br />
MW ( range) )<br />
Teilnehmende 134 10,6<br />
gesamt<br />
(0,5-37)<br />
Pflegende 95 10 (0,5-37)<br />
Ärzte 21 11 (1,5-30)<br />
Physiotherapeuten 8 11 (0,5-22)<br />
Sozialpädagogen 7 14 (1-30)<br />
Lehrer 2 9 (5 – 12)<br />
Seelsorger 1 9 (3-15)<br />
Aufgaben der Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin (KKiP)<br />
• Vorbereitung der Entlassung nach Hause<br />
• Koordination der häuslichen Palliativversorgung<br />
• Beratung der Eltern und der Helfer<br />
• Sicherung der Kommunikation zwischen den Helfern<br />
• 24/7 tel. Rufbereitschaft spezialisierter Kinderärzte<br />
• Begleitung nach dem Tod des Kindes<br />
• Debriefing-Konferenzen für die lokalen Betreuungsteams<br />
Zuhören, Zuhören, Zuhören, Zuhören<br />
Präventive Funktion<br />
Unterstützung der Familie in der Sterbe- und Trauerphase hilft:<br />
• den Familienverband zu erhalten<br />
• seelische Erkrankungen der Eltern zu vermeiden<br />
• Geschwistern in der Verarbeitung des Verlustes und ...<br />
• ... unterstützt ihre gesunde seelische und körperliche Entwicklung<br />
Evaluation: Geschwisterbetreuung<br />
Patienten mit Geschwistern 63%<br />
verstorbene Geschwister 16%<br />
erkrankte Geschwister 8%<br />
Beratung der Eltern 42%<br />
Therapeutische Intervention 18%<br />
> “Team ist mit den Bedürfnissen des kranken Kindes ausgelastet!”<br />
Multiprofessionelles Betreuungsnetz Betreuungsnetz<br />
Betroffenengruppen<br />
Therapeuten<br />
Sozial-<br />
pädagogen<br />
Spezialambulanz<br />
Familie<br />
Schule Seelsorge<br />
Pflege<br />
Klinikärzte<br />
ambulante<br />
Pflege<br />
Hausarzt<br />
Pilotstudie zur Versorgungsqualität in der pädiatrischen Palliativmedizin<br />
Rene Vollenbroich, Ayda Duroux, Monika Brandstätter, Gian Domenico<br />
Borasio, Monika Führer<br />
Belastung der Eltern<br />
durch die Symptome des Kindes<br />
Belastung der Eltern durch die Symptome des Kindes<br />
p
II. Vorträge II. Vorträge<br />
34 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
35<br />
Als Grundlage aktueller Forschungen dient das Transaktionale Modell der<br />
Entwicklung (Beelmann, 2000), das drei zentrale Dimensionen postuliert,<br />
nämlich<br />
• biologische Ausstattungsmerkmale,<br />
• Faktoren des sozialen Milieus und<br />
• psychische Faktoren.<br />
Diese Dimensionen stehen in Interaktion und beeinflussen sich gegenseitig.<br />
Die wirkenden Faktoren können positive Folgen für die Entwicklung<br />
haben, sie können aber auch das Risiko eines problematischen Entwicklungsverlaufs<br />
erhöhen (Risikofaktoren). Zwar postulieren die Forschungsergebnisse<br />
modellhafte Entwicklungsverläufe (Entwicklungspfade),<br />
zugleich aber wird die Individualität jeder Entwicklung anerkannt. Die Resilienzforschung<br />
(Werner, 1997; Opp & Fingerle, 2007) identifiziert zudem<br />
Schutzfaktoren, die die Wirkung eines Risikos mildern können (Laucht,<br />
Esser& Schmidt, 1999). Die Zusammenhänge lassen sich in der folgenden<br />
Grafik zusammenfassend darstellen (Scheithauer, Niebank & Petermann,<br />
2000, 67).<br />
Abb. 1<br />
Abb. 1: Entwicklungsverständnis<br />
Dieses Erklärungsmodell erweist sich insbesondere bei Entwicklungen<br />
unter Risiko als erklärungsmächtig, es ist zugleich hilfreich für die Begründung<br />
von Maßnahmen zur Prävention und Intervention (Beelmann<br />
& Rabe, 2007). Insbesondere die Forschungen zur Resilienz inspirieren<br />
die Forschung zu einer Neuorientierung in der Entwicklung anwendungsbezogener<br />
Hilfen, die inzwischen auch in der Praxis schulischer und<br />
außerschulischer Erziehungshilfe ankommen (Greenberg et al., 2003).<br />
Wissenschaftlich fundierte Präventionsprogramme nutzen daher die detaillierten<br />
Erkenntnisse neuerer Forschungsergebnisse auf der Basis des<br />
Risiko-Resilienz-Modells zur Konstruktion und Durchführung spezifischer<br />
Fördermaßnahmen. Aktuell fokussiert die Forschung insbesondere die<br />
Förderung der sozialkognitiven Informationsverarbeitung (Crick & Dodge,<br />
1994; Lemerise & Arsenio, 2000).<br />
Prävention – die Chance der Schule<br />
Welchen Bedeutung hat dabei die Schule? Die Schule stellt in den modernen<br />
Industriegesellschaften einen wichtigen sozialen Ort der Entwicklung<br />
dar. Biopsychosoziale Problemkonstellationen schlagen sich gerade in den<br />
stark normativen Kontexten der Schule nieder. Durch Risiken belastete<br />
Schüler treffen hier nicht selten auf eine gesellschaftliche Institution, die<br />
ihre Probleme ignoriert, z.T. zur Verschärfung der Probleme beiträgt (mangelndes<br />
Monitoring) und i.d.R. keine Ressourcen oder Kompetenzen zu deren<br />
Bewältigung (fehlende diagnostische Kompetenzen, keine wirksamen<br />
Präventionsmaßnahmen, Delegierung von Problemlagen) bereit stellt. Andererseits<br />
weist Emmy Werner (1997) in ihrer Liste der protektiven Faktoren<br />
auf der Basis jahrzehntelanger Resilienzforschung auf die Chancen der<br />
Schule und die Bedeutung der Lehrkräfte hin.<br />
Unter welchen Bedingungen arbeitet die Schule in Deutschland? Die Prävalenz<br />
auftretender psychischer Störungen, die nach neuesten Studien in<br />
Deutschland bei ca. 14,7 % liegt (Hölling et al., 2007), korreliert stark mit<br />
der Schulform. Die höchsten Belastungen finden sich nach Remschmidt<br />
und Walter (1990) in der Grundschule, in der Hauptschule und in der Förderschule.<br />
Eine eigene, aktuelle Untersuchung an 514 Fünftklässern in<br />
Kölner Hauptschulen kommt zum Ergebnis, dass 25 % der weiblichen und<br />
sogar 51 % der männlichen Hauptschüler, beurteilt durch die Lehrkräfte<br />
mittels des international standardisierten Messinstruments „Strengths<br />
and Difficulties Questionnaire“ (SDQ; Goodman, 1997), als psychisch auffällig<br />
zu beurteilen sind (Hennemann et al., <strong>2010</strong>). Die Prävalenz in den<br />
verschiedenen Formen der Förderschule liegt ebenfalls sehr hoch (Hillenbrand,<br />
2009a), ganz besonders in Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt<br />
Emotionale und Soziale Entwicklung (Schmid et al., 2007).<br />
Angesichts dieser Ausgangslage gilt für alle Schulformen der Auftrag,<br />
wirksame Handlungsmöglichkeiten möglichst intensiv zu nutzen. Denn<br />
eine zentrale Erkenntnis ergibt sich aus der Entwicklung der Kontrollgruppen<br />
der verschiedenen Studien: Ohne Maßnahmen der Prävention oder<br />
Intervention bleibt grundsätzlich das Ausmaß der Störungen stabil oder<br />
steigt sogar deutlich an (Wilson, Lipzey & Derzon, 2003). Nichts zu tun ist<br />
also ethisch nicht zu verantworten!<br />
Welche Maßnahmen sind dann aber wirksam? Während in Deutschland die<br />
Forschung zur Prävention in der Schule ein Schattendasein fristet, stellt<br />
die Untersuchung von „schoolbased prevention/ intervention“ ein breites<br />
Forschungsfeld im angelsächsischen Raum dar. Umfangreiche Meta-Analysen<br />
(DuPaul & Eckert, 1997, Wilson, Gottfredson & Najaka, 2001; Wilson,<br />
Lipsey & Derzon, 2003) stimmen in der Beschreibung erfolgversprechender<br />
schulbasierter Maßnahmen weitestgehend überein. Präventionsmaßnahmen<br />
in der Schule erreichen generell zwar nur moderate Effektstärken,<br />
aber können dennoch einen signifikanten Beitrag zur Entwicklungsförderung<br />
der Schüler und zur Verbesserung der Schulsituation leisten. Erfolgreiche<br />
schulische Interventionen - gerade bei externalisierenden Störungen<br />
- sind demnach:<br />
• Behaviorale und Classroom Management Programme<br />
• Counseling bzw. Case Management,<br />
• kognitiv-behaviorale Programme und<br />
• akademische Lernprogramme.<br />
Diese Befunde sprechen dafür, dass Kinder und Jugendlichen mit einem<br />
erhöhten Risiko von Gefühls- und Verhaltensstörungen am ehesten von<br />
einer guten Klassenführung (Helmke 2009, Hennemann & Hillenbrand,<br />
<strong>2010</strong>) mit individuell ausgerichteten therapeutischen Maßnahmen, kognitiv-behavioralen<br />
Förderprogrammen und akademischer Lernförderung<br />
profitieren.<br />
Zur Durchführung effektiver Präventionsmaßnahmen lassen sich auf der<br />
Basis verschiedener Metaanalysen Qualitätskriterien wirksamer Prävention<br />
identifizieren (Petermann 2003).<br />
• Früher Beginn der Förderung: Präventionsarbeit sollte möglichst schon<br />
im Kindergarten, Vorschulalter oder Grundschulalter beginnen.<br />
• Längere Dauer der Förderung: Erst ab 3 Monaten Dauer sind Präventionsmaßnahmen<br />
sinnvoll.<br />
• Direkte Förderung der Kinder: Nicht nur die Eltern oder Erzieher, sondern<br />
auch die Kinder selbst sind in die Maßnahme einzubinden.<br />
• Intensive Maßnahmen: Eine Erhöhung der Intensität (höhere Frequenz<br />
der Maßnahme, intensivere Übungen) führt zu besseren Erfolgen.<br />
• Aktive Eltern: Eine kontinuierliche und engagierte Mitarbeit der Eltern ist<br />
sehr hilfreich.<br />
• Multimodale Förderung: Die verschiedenen Ebenen der kindlichen Entwicklung<br />
zu berücksichtigen, also Verhalten, Emotionen und Sprache zu<br />
nutzen, führt zu besseren Erfolgen.<br />
• Nutzung sozialer Ressourcen: Die Unterstützungsmöglichkeiten durch<br />
das soziale Umfeld sollten ermittelt und genutzt werden.<br />
Inzwischen liegen einige deutschsprachige Präventionsprogramme vor,<br />
die gezielt zur Prävention von Gefühls- und Verhaltensstörungen entwickelt<br />
wurden. Sie sind bisher durchgängig als universellpräventive, multimodale<br />
Interventionen konzipiert. Die Tabelle (nächste Seite) gibt einen<br />
Überblick über die wissenschaftlich fundierten Präventionsprogramme<br />
und deren wichtige Strukturmerkmale (Hillenbrand 2009b, 144f).<br />
Einige Anmerkungen können der Orientierung dienen. Das Programm<br />
Faustlos ist weit verbreitet und liegt sowohl für den Kindergarten als auch<br />
für die Schuleingangsphase vor. Es ist relativ kostenintensiv und methodisch<br />
wenig variabel. Zudem konnte die Evaluation bisher nur Effekte bei<br />
ängstlichen Kindern belegen, keine Wirkung hingegen ist bei externalisierenden<br />
Problemen nachweisbar. Das Verhaltenstraining für Schulanfänger,<br />
Sozialtraining in der Schule und das Lebenskompetenztraining sind leicht<br />
zu erhalten und belegen in wenigen und schmalen Evaluationen durchaus<br />
ihre Wirksamkeit.<br />
Das Olweus-Programm und das Good Behavior Game/KlasseKinderSpiel<br />
unterscheiden sich von den zuvor genannten Programmen. Das KlasseKinderSpiel<br />
stellt ein einfaches Verfahren dar, das durch die gruppenweise<br />
Intervention Ebene & Zielgruppe Ziele & Inhalte<br />
Faustlos<br />
(Cierpka & Schick 2001)<br />
Verhaltenstraining für<br />
Schulanfänger (Gerken et al. 2002)<br />
Sozialtraining in der Schule<br />
(Petermann et al. 1999)<br />
Lebenskompetenz-training<br />
(Aßhauer & Hanewinkel 2000)<br />
„Lubo aus dem All!“ – Vorschule<br />
(Hillenbrand, Hennemann &<br />
Heckler-Schell 2009a)<br />
„Lubo aus dem All!“ –<br />
Schuleingangsphase (Hillenbrand,<br />
Hennemann & Hens 2009b)<br />
KlasseKinderSpiel/ Good Behavior<br />
Game (Barrish et al. 1969,<br />
Hillenbrand & Pütz 2008)<br />
Olweus- Schulprogramm (Olweus<br />
2002)<br />
Kindergarten/ Klassenebene<br />
1.-3. Klassen (51 Sitzungen)<br />
2-3 Sitzungen pro Woche (20-30min)<br />
Klassenebene<br />
1. oder 2. Klassen<br />
26 Sitzungen (à 45min)<br />
inzwischen auch erste Evaluationen in<br />
der induzierten Prävention<br />
Klassenebene<br />
3. – 6. Klassen<br />
9 Sitzungen (à 90 min)<br />
Klassenebene<br />
1. & 2. Klassen<br />
Weiterführungen für höhere Klassen<br />
vorhanden<br />
20 Sitzungen à 90 min<br />
Gruppenebene<br />
Kindergarten<br />
34 Sitzungen à 40 – 60 Minuten<br />
Klassenebene<br />
1. und 2. Jahrgang<br />
30 Sitzungen à 40 – 50 Minuten<br />
Klassenebene<br />
Kindergarten bis Sek. 1<br />
alle Schüler<br />
unterrichtsimmanentes Spiel mit<br />
Wettbewerbscharakter<br />
1 mal täglich (auch seltener oder häufiger<br />
möglich)<br />
Dauer der Intervention beliebig, ab 6<br />
Monaten sinnvoll<br />
Sehr gute Evaluationsergebnisse<br />
Schulebene: Fragebogenerhebung, päd.<br />
Tag, Schulkonferenz, Schulhofgestaltung<br />
etc.<br />
Klassenebene: Klassenregeln gegen<br />
Gewalt, Rollenspiele, kooperatives<br />
Lernen<br />
persönliche Ebene: Gespräche mit<br />
Tätern/Opfern, Hilfe von neutralen<br />
Schülern<br />
Dauer unterschiedlich<br />
Verstärkung von prosozialen Verhaltensweisen im Unterricht (Gruppenkontingenzverfahren)<br />
sehr effektiv eine Reduzierung von Störungen und<br />
den langfristigen Schutz vor Aggressivität bis hin zum Drogenkonsum leistet<br />
(Kellam et al., 1998; Hillenbrand & Pütz 2008). Diese Effekte konnten<br />
in internationalen Studien mehrfach repliziert werden (Tingstrom et al.,<br />
2006). Das Olweus-Schulprogramm, ebenfalls häufig und erfolgreich evaluiert,<br />
zielt auf die Veränderung der gesamten Schule und arbeitet dafür<br />
auf verschiedenen Ebenen, nämlich mit dem Kollegium, mit den Eltern,<br />
den Tätern und den Opfern (Olweus 2002). Diese beiden Maßnahmen sind<br />
mehrfach erfolgreich evaluiert worden und gelten als hoch wirksam, insbesondere<br />
bei externalisierenden Störungen.<br />
Und die Intervention?<br />
Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen oftmals die externalisierenden<br />
Störungen. Allerdings liegen nur sehr wenige erfolgreich<br />
evaluierte Ansätze vor. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Ansätze wie<br />
Boot Camps, konfrontative Verfahren und der Jugendstrafvollzug zeigen in<br />
wissenschaftlichen Studien hoch problematische Wirkungen. Der Jugendstrafvollzug<br />
führt zu einer Rückfallquote von ca. 75 %. Boot Camps reduzieren<br />
dieses Rückfallrisiko langfristig nicht und erfordern zugleich einen<br />
enormen finanziellen Aufwand. Zudem sind in verschiedenen Boot Camps<br />
der USA bereits mehrere Jugendliche zu Tode gekommen. Auch konfrontative<br />
Verfahren, sofern sie evaluiert wurden, führen im Vergleich zu einer<br />
beliebigen Intervention nicht zu einer besseren Bilanz (Hillenbrand 2009a).<br />
Angesichts der Risiko-Belastung und des dargestellten Theorie-Modells<br />
Empathie<br />
Impulskontrolle<br />
Umgang mit Emotionen wie Ärger und Wut<br />
Problemlösefertigkeiten<br />
Motorische Ruhe/ Entspannung<br />
Steigerung der auditiven & visuellen Aufmerksamkeit<br />
Selbst-/ Fremdwahrnehmung<br />
Aufbau von social skills<br />
Angemessenes Problemlöseverhalten<br />
Differenzierte soziale Wahrnehmung<br />
Angemessene Selbstbehauptung<br />
Kooperatives Verhalten<br />
Empathie<br />
Förderung des Selbstwertgefühls, des Körperbewusstseins<br />
Förderung sozialer Fertigkeiten (Kommunikation, Stress-/<br />
Angstbewältigung,<br />
Problemlösen)<br />
Umgang mit negativen Emotionen<br />
Förderung des Emotionswissens, der Emotionsregulation, der<br />
sozialkognitiven Informationsverarbeitung. Betonung liegt auf<br />
pädagogischer Gestaltung<br />
Förderung des Emotionswissens, der Emotionsregulation, der<br />
sozialkognitiven Informationsverarbeitung. Betonung liegt auf<br />
pädagogischer Gestaltung<br />
Abbau von Unterrichtsstörungen („Fouls“)<br />
Gestaltung einer friedlichen Klassenatmosphäre<br />
mehr Lernzeit<br />
wirkt sehr gut, auch zur Prävention von Aggression,<br />
Drogenmissbrauch, Kriminalität<br />
ebenso als Intervention bewährt<br />
unmittelbare Gewalt (d.h. körperliche und verbale Gewalt)<br />
vermindern<br />
Beziehungen unter Gleichaltrigen verbessern<br />
Bedingungen schaffen, die Opfer und Täter den Umgang<br />
miteinander innerhalb und außerhalb der Schule erleichtern<br />
(Transaktionales Entwicklungsmodell) ist leicht nachvollziehbar, dass erfolgversprechende<br />
Interventionen die Mehrdimensionalität der Belastungen<br />
aus verschiedenen Feldern berücksichtigen müssen. Ein international<br />
gut etabliertes und bestens evaluiertes Verfahren stellt die Multisystemic<br />
Therapy dar, die in den verschiedenen Systemen der Lebensrealität des<br />
Jugendlichen, also auch in der Schule, arbeitet. Die Multisystemic Therapy<br />
ist ein zwar aufwändiges, aber langfristig effektives und soziale Kosten<br />
reduzierendes Verfahren, das nach wissenschaftlichen Anforderungen<br />
mehrfach erfolgreich überprüft wurde (Heekerens, 2006). Allerdings wird<br />
es im deutschsprachigen Raum bisher nur im Kinder- und Jugendpsychiatrischen<br />
Dienst im schweizerischen Thurgau eingesetzt.<br />
Die Multisystemische Therapie wurde insbesondere für straffällige Jugendliche<br />
entwickelt (Vierbuchen, Albers & Hillenbrand, <strong>2010</strong>). Sie geht<br />
nach einer sehr klaren Strategie vor, die zu einer hohen Intensität der<br />
Förderung führt. Sie arbeitet in den verschiedenen Lebenssystemen des<br />
Jugendlichen, also neben der Familie beispielsweise mit den Freunden<br />
(Peers), mit der Schule und der Gemeinde.<br />
Die konkrete Arbeit der Multisystemic Therapy besteht vorrangig in einer<br />
intensiven Betreuung des Jugendlichen und seiner Familie. Ein Therapeut,<br />
der sehr unterschiedliche Qualifikationen haben kann, ist für ein<br />
bis höchstens fünf Jugendliche und ihre Familien zuständig. Die Therapie<br />
verknüpft die Lebenssysteme, indem neben der primären Arbeit mit der<br />
Familie auch die Schule und die Peers sowie weitere Bezugspersonen eingebunden<br />
werden. Der Therapeut ist zugleich fest in einer kleinen Arbeits-
II. Vorträge II. Vorträge<br />
36 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
37<br />
gruppe von Therapeuten der Multisystemic Therapy verankert, die sich zu<br />
wöchentlichen Supervisionssitzungen trifft.<br />
Täglich findet eine therapeutische Sitzung mit dem Jugendlichen und der<br />
Familie statt. Hier arbeitet die Familie unter Anleitung des Therapeuten<br />
jeden Tag an konkreten Zielen. Der Therapeut führt Interviews mit den Beteiligten<br />
zur Identifikation der Probleme durch, sucht jedoch mit Hilfe der<br />
diagnostischen Verfahren gleichermaßen nach Stärken und Ressourcen<br />
in der Familie. Die Arbeit mit den Eltern verfolgt auf dieser Basis das Ziel<br />
der Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz. Zum Einsatz kommen<br />
ebenfalls wirksame Sozialtrainings, die mit dem Jugendlichen selbst und<br />
seiner Familie durchgeführt werden. Dabei spielt die Dimension des elterlichen<br />
Monitoring eine zentrale Rolle: Die Therapeuten stärken und unterstützen<br />
die Eltern darin, bessere und vermehrte Kontrolle auszuüben.<br />
Ein zentrales Merkmal der Multisystemic Therapy ist die ständige Erreichbarkeit<br />
von Hilfe: Der zuständige Therapeut oder einer seiner Kollegen, die<br />
über den Prozess gut informiert sind, ist 24 Stunden am Tage und sieben<br />
Tage in der Woche erreichbar. Die therapeutische Einrichtung sitzt zudem<br />
in räumlicher Nähe, so dass eine schnelle Hilfe und ein kurzfristiger Kontakt<br />
gewährleistet ist.<br />
Die Therapie dauert vier bis fünf Monate, was einen erstaunlich kurzen<br />
Interventionszeitraum darstellt. Die hohe Intensität der Maßnahme führt<br />
jedoch in den fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen zu einer<br />
sehr hohen Effektstärke (d = 3.88), die die beste Wirksamkeit für diese<br />
Zielgruppe überhaupt darstellt. Es entstehen dabei durchschnittliche Kosten<br />
von ca. 5.700 US-$ pro Klient (Stand 1999). Aufgrund der Wirksamkeit<br />
der Maßnahme, die zu einer Halbierung der Rückfallquote auf 38 % führt<br />
(!), amortisiert sich der finanzielle Aufwand jedoch bereits nach zwei Jahren<br />
(Vierbuchen et al., <strong>2010</strong>).<br />
Die Multisystemic Therapy wird inzwischen als Dienstleistung angeboten<br />
und gilt als eine der wenigen wirksamen Verfahren für die Zielgruppe hoch<br />
belasteter, delinquenter Jugendlicher. Sie ist jedoch im deutschsprachigen<br />
Raum (noch) weitgehend unbekannt.<br />
Fazit<br />
Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen erfordern effektive<br />
Maßnahmen der Prävention und Intervention im Netz der Kooperation von<br />
Medizin und Pädagogik. Die Schule besitzt dabei Chancen, die sie häufig<br />
nicht kennt und daher auch nicht nutzt. Qualifizierte Fortbildungen für<br />
die Fachkräfte sind gerade angesichts der Forderung nach Inklusion und<br />
mehr Gemeinsamkeit im Bildungssystem ein notwendiger Schritt, um für<br />
alle Beteiligten bessere Entwicklungs- und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.<br />
Die Schule kann dann für Kinder und Jugendliche unter riskanten<br />
Entwicklungsbedingungen zu einem chancenreichen Lebensraum werden.<br />
Aßhauer, M. & Hanewinkel, R. (2000). Lebenskompetenztraining für Erst- und Zweitklässler: Ergebnisse einer<br />
Interventionsstudie. Kindheit und Entwicklung, 9, S.251-263.<br />
Barrish, H.; Saunders, M. & Wolfe, M. (1969). Good behavior game: effects of individual contingencies for<br />
group consequences on disruptive behavior in a classroom. Journal of Applied Behavior Analysis, 2, S.119-124<br />
Beelmann, A. (2000). Prävention dissozialer Entwicklungen: Psychologische Grundlagen und Evaluation früher<br />
kind- und familienbezogener Interventionsmaßnahmen. Unveröffentlichte Habilitationsschrift, Universität<br />
Erlangen-Nürnberg<br />
Beelmann, A. & Raabe, T. (2007). Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Göttingen: HOgrefe<br />
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Krankenpädagogik als Pädagogik in Extremlagen<br />
Wolfgang Oelsner<br />
Sonderschulrektor Johann-Christoph-Winters-Schule<br />
Schule für Kranke der Stadt Köln<br />
Wer krank ist, hofft gesund zu werden. Krankheit ist etwas Vorübergehendes.<br />
Sie ist keine Behinderung. Sie mag heftig und schmerzhaft sein,<br />
letztlich bleibt sie aber episodenhaft. Ihre Beeinträchtigungen sind nur<br />
Ausnahmen von der Regel „Gesundheit“.<br />
Begriffe und Erlasse<br />
Diese Bemerkung zum umgangssprachlichen Verständnis sei meinen Ausführungen<br />
vorangestellt, weil sie die Dynamik der Arbeit in einer „Schule<br />
für Kranke“ betrifft. Der Begriff Krankheit präjudiziert eine kurzzeitige<br />
Verlaufserwartung. Die ist in einer Schule für Kranke aber nicht Realität.<br />
Unser Berufsstand hat mit Schülern, die im Rahmen der durchschnittlichen<br />
stationären Verweildauern von weit unter einer Woche bleiben,<br />
beispielsweise nach einem chirurgischen Eingriff, i. d. R. nichts zu tun.<br />
Denn trotz unterschiedlicher Vorgaben in unserem Bildungsföderalismus<br />
quantifizieren alle Bundesländer die staatlich vorgeschriebene Zugangsberechtigung<br />
mit einer „voraussichtlich mindestens vierwöchigen Liegezeit“.<br />
Selbst in der einstigen Keimzelle der Krankenpädagogik, der Orthopädie,<br />
erfüllt diese Bedingung kaum noch jemand.<br />
Heute konzentriert sich unser Einsatz auf wenige somatische Spezialstationen<br />
wie Onkologie, Hämatologie, Nephrologie (Dialyse) oder auch Reha-<br />
Abteilungen. Auf den neuen Schwerpunkt Jugendpsychiatrie komme ich<br />
gleich gesondert zu sprechen.<br />
Unterrichtet werden dürfen allerdings Kinder und Jugendliche, die „in regelmäßigen<br />
Abständen stationär behandelt werden“ (KMK, 1998). Deren<br />
stationäre Behandlungstage können zu Jahressummen addiert werden.<br />
Betroffen sind davon vor allem Kinder mit Diabetes, Rheuma, Allergien,<br />
Mukoviszidose (CF = cystische Fibrose), Niereninsuffizienzen. In letzter<br />
Zeit fokussieren sich vermehrt einzelne Stationen der Kinderkrankenhäuser<br />
–auch in tagesklinischen Settings- auf solche immer wiederkehrenden<br />
Patienten mit chronischen Krankheitsverläufen. (Über die statistische Zunahme<br />
dieser Patientengruppe vgl. Michels, 1996)<br />
Damit sei ein zweiter Begriff vorangestellt: chronisch krank. Ihm fehlt das<br />
Vorübergehende und Episodenhafte des Krankheitsbegriffs. Das Gegenteil<br />
ist der Fall. Dauerhaft erkrankte Patienten werden sich auf einen langfristig<br />
irreversiblen Status ihres Leidens einstellen müssen. Droht dadurch eine<br />
Lebensverkürzung, ist umgangssprachlich auch von „unheilbar krank“ die<br />
Rede. Chronisch krank zu sein, jedoch nicht akut lebensbedroht, ist eine<br />
Diktion in der Schnittmenge von krank und behindert.<br />
Chronische Krankheiten sind Einschnitte ins Lebenskonzept<br />
Mit einer Behinderung zu leben, ist ein hoch belastendes Schicksal für<br />
Betroffene wie Angehörige. Deren Lebensumstände sind erschwert. Allerdings<br />
sind sie auch geklärt. Nach anfänglichem Aufbegehren, Leugnen<br />
oder auch eurphorischem Aktionismus lässt die Gegenwehr allmählich<br />
nach. Die Beeinträchtigung wird dann nicht geringer, doch die Betroffenen<br />
und ihr Umfeld beginnen sie zu akzeptieren, mit ihr zu leben, sich zu arrangieren.<br />
Im Idealfalle söhnen sie sich mit ihr aus.<br />
Anders ist die Situation bei Krankheit. Da will nichts zur Ruhe kommen, da<br />
will sich keiner arrangieren, aussöhnen oder hingegeben. Da wird gehofft<br />
und aufbegehrt. Die Krankheit soll schnell verschwinden. Sie soll nichts<br />
weiter sein als eine unliebsame Episode, die möglichst bald zu vergessen<br />
ist. Am besten durch Demonstration der alten Leistungsfähigkeit.<br />
Doch die jungen Patienten leiden an schweren, oft sehr schmerzhaften,<br />
länger anhaltenden Krankheiten. Chronische Krankheiten schneiden tiefer<br />
ins Lebenskonzept ein als Skalpelle bei Bl<strong>indd</strong>armentzündungen, tiefer als<br />
in der Orthopädie behandelte Brüche, nach denen man absehbar wieder<br />
laufen kann.<br />
Patienten, die für eine SfK noch zugangsberechtigt bleiben, sind überwiegend<br />
sehr lang anhaltend oder chronisch krank. „Chronische und<br />
psychosomatische Erkrankungen dominieren heute im Wesentlichen das<br />
Krankheitsgeschehen von Kindern und Jugendlichen in industrialisierten<br />
Ländern“ (Schindler-Marlow im Rheinischen Ärzteblatt, 2007, Heft 4, S.11).<br />
Wir Klinikpädagogen sehen deshalb auf den Stationen hohe Belastungen<br />
und Schlappheit der Patienten. Doch wir sollten nicht übersehen, dass<br />
dahinter Kämpfe toben können. Kämpfe des Aufbegehrens.<br />
Gesellschaftliches Klima<br />
Chronisch kranke Kinder und ihre Eltern begehren nicht nur gegen lebensverkürzende<br />
Prognosen auf. Sie kämpfen auch gegen drohenden Verlust<br />
von gesellschaftlicher Inklusion und Partizipation. Obwohl die Tücke in der<br />
Krankheit liegt, macht sie sich bei den Betroffenen oft personalisierend<br />
fest. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Ohnmacht. Vor der Folie solcher<br />
intra- und interpsychischen Prozesse geschieht Unterricht im Krankenhaus.<br />
Ich will die noch um einen Blick auf den gesellschaftspsychologischen<br />
Kontext erweitern.<br />
Das gesellschaftliche Klima zu Beginn des neuen Jahrtausends erwartet<br />
in den Industriestaaten den erfolgreichen Menschen. Es fordert den<br />
geförderten Schüler (vgl. „Generationenbarometer“ 2009, Institut für<br />
Demoskopie Allensbach). Scheitern und Krankheit sind nicht vorgesehen.<br />
In der Arbeitswelt drückt sich das beispielsweise in statistischen<br />
Feststellungen eines niedrigen Krankheitsstands aus. Krankheit gefährdet<br />
die gesellschaftliche Teilhabe. In der Bildungswelt dokumentiert ein<br />
Gründungsboom an Privatschulen und Nachhilfezentren das Streben um<br />
bestmögliche Abschlüsse. Sie zu verfehlen, kommt einem gesellschaftlichen<br />
Todesurteil gleich. Leistungsmindernde Krankheitseinbrüche werden<br />
dann dramatisierend wahrgenommen - oder bagatellisierend abgewehrt.<br />
Die Zeitschrift „Eltern“ machte zum Schulanfang 2005, als in vielen Bundesländern<br />
auf die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf insgesamt<br />
12 Jahre umgestellt wurde, mit einem Titelbild auf, bei dem aus dem<br />
Ranzen des Erstklässlers ein Wimpel mit der Kennung herausragte „Abi<br />
017“. Auszeiten oder Wiederholungsschleifen durch Krankheiten sind bei<br />
solchen Rechnungen nicht einkalkuliert. Die werden ignoriert oder sollen<br />
mittels Spezialisten und Medikamenten ungeschehen gemacht werden.<br />
In diesem Erwartungsklima müssen Krankenpädagogen damit rechnen, als<br />
Zulieferer eines perfekten Reparatursystems gesehen zu werden. Nach einer<br />
Klinikentlassung soll alles möglichst ungebrochen weiter gehen. Dafür<br />
gibt es „Nachhilfe auf Krankenschein“, wie die Arbeit von Kliniklehrern<br />
zuweilen missverstanden wird. Solche Wünsche sind legitim. Das Bereitstellen<br />
von Lehrkräften durch den Staat geschieht zum großen Teil auch<br />
aus diesem Denken heraus. Ich zitiere aus den KMK-Empfehlungen, 1998:<br />
„Der Unterricht (gemeint ist der im Krankenhaus) bietet den Schülerinnen<br />
und Schülern die Möglichkeit, trotz ihrer Krankheit mit Erfolg zu lernen;<br />
Befürchtungen, in den schulischen Leistungen in Rückstand zu geraten,<br />
werden vermindert.“ Probleme gibt es jedoch, wenn die Wirklichkeit vielschichtiger<br />
ist, als Konzepte es sein können.<br />
Unterrichten unter Berücksichtigung der Beziehungsebene<br />
Wer unterrichtet wird, dem traut man eine Zukunft zu. Diese banale Aussage<br />
hat für lebensbedrohlich erkrankte Kinder und deren Eltern eine Bedeutung.<br />
Halb scherzhaft und zugleich voll von ernster Lebenshoffnung fallen<br />
auf der Kinderkrebsstation Sätze wie dieser: „Die Lehrerin nervt dich auch<br />
am Krankenbett noch mit dem Einmaleins. Doch wer das tut, glaubt, dass<br />
du bald in deine alte Klasse zurück kommst.“ Auch wenn die Berufserfahrung<br />
uns einen sehr kritischen Krankheitsverlauf erwarten lässt, werden<br />
wir Krankenpädagogen solche Prognoseinterpretationen unkommentiert<br />
lassen. Wir werden aushalten müssen, dass die Akzeptanz eines schmerzhaft<br />
erlebten Leistungsverlust bei Kind und Eltern Zeit braucht und Phasen<br />
des Widerstands vorausgehen können.<br />
So werden wir auch das umfangreiche Unterrichtsmaterial, das Heimatschulen<br />
als Zeichen der Verbundenheit und Hoffnung auf Wiederkehr besonders<br />
in der ersten Phase eines längeren Klinikaufenthalts in die Klinik<br />
schicken, zunächst einmal annehmen. Hilfreicher als es sofort als Überforderung<br />
zurückzuweisen, ist eine Annahme etwa mit den Worten: „Schön,<br />
dass deine Klasse an dich denkt und dein Klassenlehrer sich so viel Mühe<br />
macht. Wenn du nicht alles schaffst, wird er bestimmt Verständnis dafür<br />
haben. Ich werde ihm sagen, wie eifrig du hier lernst. Ich mache ihm aber<br />
auch klar, dass du hier auf Station unter so ganz anderen Bedingungen<br />
arbeitest und dass es Tage geben kann, an denen einem nicht so viel Kraft<br />
fürs Arbeiten zur Verfügung steht. Von früheren Schülern weiß ich, dass<br />
die Heimatschulen es akzeptieren, wenn wegen der Krankheit phasenweise<br />
auch mal gar nichts geht.“<br />
Erfolgreich können wir nur unterrichten, wenn wir den psychosozialen Lebenskontext<br />
unserer Schüler im Blick haben. Das bedeutet, dass gleichbedeutend<br />
zur curricularen Professionalität unsere Präsenz auf der Beziehungsebene<br />
gefordert ist. Ich formuliere mein erstes Statement deshalb so:<br />
Statement I<br />
Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer Bestandteil des<br />
Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen Professionen.<br />
Sie sollte allerdings auch kein Monopol der Krankenpädagogik sein.<br />
Lehrkräfte als Projektionsflächen des Widerstands
38 II. Vorträge 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
II. Vorträge<br />
39<br />
Die meisten Kinder und Eltern sind froh über eine schulische Entlastung.<br />
Der Beginn einer Krankheit lässt ohnehin alle anderen Lebensbereiche in<br />
den Hintergrund treten. Es ist aber auch mit kurzen, verschärften Phasen<br />
des Widerstands zu rechnen, in denen die nicht mehr zu leugnenden körperlichen<br />
Funktionsverluste mit intellektuellen Ansprüchen kompensiert<br />
werden wollen. Der behutsame Lehrer wird das nicht mit Sonderlob noch<br />
verstärken. Er nimmt es zunächst einfach an, um es bei fortschreitendem<br />
intellektuellen Kompetenzverlust zu betrauern. Dann gilt es, der drohenden<br />
Resignation entgegen zu arbeiten.<br />
Bei Kindern, die eine Krankheit überleben, fortan aber nur eingeschränkt<br />
leistungsfähig sein werden, sehen Kliniklehrer sich manchmal phasenweise<br />
einer negativen Projektion seitens Eltern und Patient gegenüber.<br />
Während dem medizinischen System Dankbarkeit für den Lebenserhalt<br />
entgegengebracht wird, kann sich an der Lehrperson die Enttäuschung<br />
über die Kompetenzeinbuße fest machen, etwa wenn sich die Notwendigkeit<br />
zum Wechsel der Schullaufbahn in ein „niedrigeres System“ herausstellt.<br />
Kinder, und mehr noch ihre Eltern, benötigen Zeit, bis sie Ziele neu,<br />
bescheidener formulieren können. Denn Funktionsverluste beim eigenen<br />
Kind sehen zu müssen, stimmt Eltern nicht nur traurig. Sie können von<br />
ihnen auch als eigene narzisstische Kränkung erlebt werden.<br />
Degenerative Prozesse des Kindes bedeuten eine unermessliche Enttäuschung.<br />
Die kann abgewehrt werden, indem man die Gründe im unqualifizierten<br />
oder zu geringen Fördereinsatz der Helfer ausmacht. Bei intellektuellem<br />
Funktionsverlust bei den Lehrkräften. Das entlastet Eltern und<br />
schützt sie vor möglichen negativen Affektentladungen beim Kind.<br />
Klinikpädagogen sollten ein Mindestmaß an psychologischen Kenntnissen<br />
über unbewusste Wirkmechanismen haben, etwa den Phänomenen Identifikation,<br />
Projektion, Übertragung und Gegenübertragung.<br />
Mein zweites Statement lautet deshalb:<br />
Statement II<br />
Klinikpädagogen kalkulieren das Phänomen der Übertragung im Unterricht<br />
ein und wissen, dass Schüler die Defizite und Ängste ihrer Lebenswirklichkeit<br />
auch an unterrichtenden Bezugspersonen stellvertretend abarbeiten.<br />
Eine kontrollierte Gegenübertragung schützt vor Beziehungsirritationen<br />
und hilft Schülern, nachreifende Schritte zu gehen.<br />
Wenn wir Lehrkräfte zur Projektionsfläche des Widerstand werden, müssen<br />
wir uns sehr disziplinieren und sollten auf keinen Fall affektiv reagieren.<br />
Wenn wir den drohenden Verlust empathisch mitbetrauern und gleichzeitig<br />
eine professionelle Zentrierung auf schulische Themen beibehalten,<br />
können wir den Eltern Impulse für alternative Beschulungsmöglichkeiten,<br />
unorthodoxe Bildungswege, auch „Nischen“ und „Tricks“, geben. Langfristig<br />
öffnen sich dadurch neue Sichtweisen für neue Lebenskonzepte.<br />
Wirksam können wir den psychischen Irritationen vor allem dann begegnen,<br />
das mag paradox klingen, wenn wir den Kindern ganz Lehrer, ganz Didaktiker<br />
bleiben. Ich will das in einem dritten Statement so formulieren:<br />
Statement III<br />
Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />
können. Handeln werden sie jedoch stets als Schulpädagogen. Ihr Instrument<br />
bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />
Die Auswahl bestimmter Unterrichtsinhalte kann Impulse setzen, wie sie<br />
in Therapien auch angestrebt werden. Unterrichtsstoffe können einen<br />
Transfer auf andere Lebensbereiche zulassen. Fächer wie Deutsch, Religion,<br />
Gesellschaftswissenschaften bieten unter dem Schutz eines anerkannten<br />
Kulturguts prinzipiell die Möglichkeit, auch extreme Lebenslagen<br />
und ihre Bewältigungsmöglichkeiten als allgemeine Menschheitserfahrung<br />
darzustellen.<br />
Unterricht als Chance zur Mentalisierung der Affekte<br />
Unterricht, der die Lebenswirklichkeit von Schülern einbezieht und sie mit Kulturgut<br />
beantwortet, kann zur „Mentalisierung der Affekte“ (Fonagy u.a., 2004)<br />
beitragen. Jugendliche können einen Affektzustand in einem Werk der Literatur<br />
oder Musik gespiegelt sieht. Das muss nicht immer unseren Geschmack<br />
finden. Aber ein seelisches Aufbegehren, das sich beispielsweise in aggressi-<br />
ver Rockmusik entäußert, kanalisiert sich mit Stilmitteln der Kultur.<br />
Auf diesem, auch in späteren Entwicklungsjahren noch möglichen Phänomen<br />
einer Affektspiegelung durch Kultur beruhen womöglich die oft<br />
verblüffenden (selbst-)erzieherischen Effekte von schulischen Kulturprojekten<br />
mit hoch belasteten, schwierigen Jugendlichen, beispielsweise im<br />
Tanzprojekt „Rhythm is it“ von Roger Maldoom, Sir Simon Rattle, den Berliner<br />
Philharmonikern u. a. (2004).<br />
Jugendliche suchen Affektspiegelungen auch in eigenen Gestaltungsübungen<br />
mit Sprache, Musik, Malerei oder Musik und kommen damit oft nahe<br />
an Aussagen der Hochkultur heran. Dazu ein Beispiel aus meiner Schulpraxis:<br />
Herrmann Hesse verdichtete Gefühle zum Thema „Abschied“ in seinem<br />
Gedicht „Stufen“. Auf vielen Abschiedsfeiern wird es vorgetragen, mit<br />
dem bekannten Schlussappell: „Wohlan denn Herz, nimm Abschied und<br />
gesunde!“ Der siebzehnjährige Nils, der nach vielen Beziehungsabbrüchen<br />
und Schulverweisen in unserer Klinikschule der Jugendpsychiatrie seinen<br />
Hauptschulabschluss nachholte, kommt zu folgender Aussage, als er auf<br />
das Erinnerungsbild seiner Schule schrieb: „Abschied ist ein Thema, über<br />
das keiner gerne spricht. Es ist ein Gefühl von Trauer und Einsamkeit. Es<br />
vermittelt aber auch ein Gefühl von Aufbruch und Neuem.“ Für Nils war es<br />
der erste reguläre Schulabgang seines Jugendalters. Alle früheren Schulen<br />
musste er nach Übergriffen und Impulsdurchbrüchen zwangsweise verlassen.<br />
Der Abschied aus der Klinikschule fiel ihm schwer, und in früheren Jahren<br />
hätte er die negative Spannung mit Handgreiflichkeiten oder anderen<br />
destruktiven Aktionen begleitet. Doch er hatte -wenn auch spät- gelernt,<br />
Sprache zu nutzen, wo einst nur Affekt war.<br />
Statement IV<br />
Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />
Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />
Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie fördern die<br />
Sprachnutzung, wo einst nur Affekt war.<br />
Unterrichtsinhalte vermögen auch Verlust- und Abschiedserlebnisse in<br />
einen tröstlichen kulturellen Kontext zu stellen. An den Erfahrungen anderer<br />
teilzuhaben und sich diese mittels der eigenen Fähigkeiten zu erschließen,<br />
bewahrt Schüler vor einer Fixierung in der eigenen Ohnmacht. Über<br />
den Satz von Ernst Bloch „Ich bin – aber ich habe mich noch nicht“ konnte<br />
in einer oberen Klasse der Jugendpsychiatrie ein Wochenprojekt in den<br />
Fächern Deutsch, Religion, Kunst und Gesellschaftslehre gestaltet werden.<br />
Das Entzünden eines identifikatorischen Funkens kann nicht erzwungen<br />
werden. Aber er kann durch die Bereitstellung des Materials in einer<br />
warmherzigen Atmosphäre als Möglichkeit erhofft werden. Stets vermag<br />
die Arbeit am Kulturmaterial die Aktivierung und Ausdifferenzierung noch<br />
erhaltener Ich-Funktionen zu fördern.<br />
Begleiteter Abschied von Lebenskonzepten auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
Die letzten Beispiele führten uns zu einem Arbeitsfeld der Krankenpädagogik,<br />
das der SfK während der letzten 20 Jahre ihre Existenz sicherte:<br />
die Etablierung von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes-<br />
und Jugendalters. Schulen für Kranke sind heute zu größten Anteilen<br />
Schulen in den KJPs. Zunehmend erhalten sie eine Infrastruktur wie Förderschulen,<br />
mit Gruppenräumen für Kleinklassen, Fachräumen und eigenem<br />
Schulgebäude.<br />
Der Wechsel von den primär somatisch kranken zu psychisch kranken<br />
Schülern erschien zunächst als völliger Bruch im Berufsbild der Krankenpädagogik.<br />
Zwar waren in beiden Klinikfeldern extreme Lebenssituationen,<br />
auch der Tod, anzutreffen, doch entsprangen sie völlig verschiedenen<br />
Lebenskontexten: hier die schicksalhaft herein brechende lebensverkürzende<br />
Krankheit, dort die selbst zugefügten Verletzungen bis hin zum versuchten<br />
Suizid.<br />
An drei Beispielen aus der KJP will ich deutlich machen, dass in den so<br />
unterschiedlich erscheinenden Bereichen die Anforderungen an unsere<br />
Lehrerhaltung und didaktische Reflexion so abweichend nicht sein müssen.<br />
Wechslerstudie<br />
Auch in der KJP werden Lebenskonzepte enttäuscht und müssen krank-<br />
heitsbedingt umgeschrieben werden. Auch psychische Erkrankungen<br />
erzwingen Abschied von Hoffnungen, Illusionen, Wünschen. Auch hier<br />
werden wir Lehrkräfte die Erwartung mancher Eltern von einer kompensierenden<br />
„Nachhilfe auf Krankenschein“ enttäuschen. Und weil Lebensziele<br />
bei jungen Menschen vornehmlich Bildungsziele sind, werden wir Lehrkräfte<br />
gebraucht, wenn sie behutsam zu neuen Ziele gelenkt werden müssen.<br />
Beispielsweise wird für viele KJP-Patienten mit der Klinikentlassung<br />
ein Schulwechsel nötig.<br />
Ein Drittel aller unterrichteten Schüler in NRW wechselt nach der KJP-Entlassung<br />
die Schule, die meisten auch die Schulform. (vgl. Oelsner/ Reichle<br />
2008) Die hohe Schulwechslerquote lässt vermuten, dass psychische Erkrankungen<br />
im Jugendalter vielfach durch „falsche Beschulung“ verschärft,<br />
mitunter verursacht werden. Die Krankenpädagogik wird dann im Verbund<br />
mit dem System Medizin zum „korrigierenden Weichensteller der Schullaufbahn“<br />
(dies. 2009). Wir Kliniklehrkräfte wirken dann auf den Stationen bei<br />
diagnostischen Aufgaben mit, die sonst bei schulpsychologischen Diensten<br />
angesiedelt sind. Die Schulwechsler erfordern nicht nur unsere Empathie<br />
sondern auch technisches und schulorganisatorisches Wissen, etwa über<br />
die schulrechtliche Erlasslage, über probatorische Optionen, Nachversetzungen<br />
und Schulbegleitungen. (Vgl. Harter-Meyer 2000).<br />
Statement V lautet daher:<br />
Statement V<br />
Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und –bewältigung ist immanentes Förderziel<br />
von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur Realitätsakzeptanz<br />
gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />
Trauerarbeit als integriertes didaktisches Ziel<br />
Der gemeinsame Nenner, auf dem wir uns in der Tradition unseres Berufsbilds<br />
wiederfinden, sind die extremen Lebenslagen. Es sind die auf<br />
Bettenstationen wie in KJPs gleichermaßen enttäuschten, verletzten oder<br />
zerstörten Lebenskonzepte junger Menschen und ihrer Angehörigen. Denn<br />
die Schulwechsel bei psychischen Erkrankungen erfolgen fast ausschließlich<br />
in „rangniedrigere“ Systeme.<br />
Schüler wie auch ihre Angehörigen müssen in einem langwierigen, meist<br />
sehr schmerzhaften Prozess erkennen, dass sie die gesteckten Ziele nicht<br />
erreichen können. Ihre Lebensperspektiven müssen vorerst, manchmal<br />
auch für immer korrigiert werden. Auch auf psychiatrischen Stationen ist<br />
vom Klinikpädagogen eine Trauerarbeit als integriertes didaktisches Ziel<br />
gefragt. Es geht um die Akzeptanz, dass nach Feststehen der Diagnose,<br />
bzw. nach dem traumatischen Ereignis, die Welt anders angegangen werden<br />
muss als zuvor. Ohne Akzeptanz der Begrenzung und des Abschieds<br />
haben Ermutigung und Neuformulierung von Zukunft keine Basis.<br />
Daher in Erweiterung des letzten Aspekts nun Statement VI<br />
Statement VI<br />
Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes Ziel im Unterricht<br />
und bei Schullaufbahnberatungen vor allem chronisch kranker Schüler.<br />
Die SfK pflegt eine Kultur sowohl des Abschiednehmens als auch der Ermutigung<br />
und Zukunftsfindung.<br />
Gespräche mit Eltern, deren Kind durch Unfall oder Tumor Körperfunktionen<br />
irreparabel verlor, sind wechselnd von Wut und Trauer, Aufbäumen<br />
und Resignieren begleitet. Auch in der Jugendpsychiatrie, dies mein zweiter<br />
Aspekt, finden sich diese Reaktionen wieder. Hier erfolgt die Lebensbegrenzung<br />
nicht durch eine Körperschädigung. Es ist eine jugendpsychiatrische<br />
Diagnose, die jäh die Sicht von der Lebensperspektive eines<br />
Kindes ändert. Das betrifft natürlich nicht die zahlreichen ADS-Diagnosen,<br />
die im Primarstufenalter durch eine KJP-Intervention gut korrigiert werden<br />
können. Doch eine Psychose oder Borderlinestörung im Jugendalter wird<br />
sich nicht als kurzzeitige oder mittelfristige Episode abhandeln lassen.<br />
Beispiel Asperger Autismus<br />
Es gibt Kinder, die kommen mit dem Verdacht auf ADS, Zwänge, Hochbegabung<br />
oder Essstörung zu einem klärenden Klinikaufenthalt. Bei manchen<br />
werden die Störungen als Komorbidität eines Asperger Autismus diagnostiziert.<br />
Bei den Betroffenen kann das Reaktionen wie bei der Feststellung<br />
einer irreparablen Stoffwechselerkrankung auslösen. Eltern wie Schülern<br />
wird behutsam erklärt werden müssen, dass Autismus nicht „wegthera-<br />
piert“ werden kann, dass man die Empathiestörung behalten wird, mit ihr<br />
aber leben lernen kann.<br />
Schulisch gilt es in solchen Fällen, Nischen abseits des ursprünglich geplanten<br />
Bildungsweges zu finden. Diese Aufklärung wird im Verbund mit<br />
Medizinern oder Psychologen geleistet. Die Einbeziehung der Lehrkraft ist<br />
immer unerlässlich, da die Konsequenzen einen individuellen Paradigmenwechsel<br />
in Unterricht und Schulleben bedeuten. Das System Schule wird<br />
schließlich die didaktische und soziale Neuausrichtung vorbereiten und<br />
ermutigend erfahrbar machen.<br />
Sollten – was gelegentlich vorkommt – andere Berufsgruppen die Einbeziehung<br />
der Eltern durch Klinkpädagogen als ihr Monopol beanspruchen,<br />
können wir Lehrkräfte auf unseren staatlichen Auftrag verweisen. Die<br />
Rahmenempfehlungen der KMK (1998) legitimieren die über Wissensvermittlung<br />
hinaus gehenden Interventionen nicht nur, sie formulieren den<br />
Kontakt zu den Eltern gar als ein pädagogisches Obligo: „Erziehungsberechtigte<br />
sowie Schülerinnen und Schüler müssen beraten und meist über<br />
längere Zeit begleitet werden.“ (§1.2) . Im Anforderungsprofil an Lehrkräfte<br />
werden somit konsequenterweise eingefordert Fortbildungen in „Gesprächsführung“,<br />
„Befähigung zur Beratung und Zusammenarbeit“ sowie<br />
„Informationen über Krankheitsbilder und deren mögliche Auswirkungen<br />
auf physisch-psychische Entwicklung“ (§ 8.4). Ich fasse somit in Statement<br />
VII zusammen:<br />
Statement VII<br />
Elternarbeit ist obligatorischer Bestandteil des Unterrichts mit kranken<br />
Schülern. Sie gehört mit zum staatlich erwarteten Erziehungs- und Beratungsauftrag<br />
von Kliniklehrkräften.<br />
Aushalten von Amokproblematik<br />
Mein drittes Beispiel extremer Lebenssituationen im Unterricht einer<br />
KJP-Schule drängt sich nur phasenweise brisant ins Bewusstsein unserer<br />
Kollegien. Als Phänomen ist es in einer KJP-Schule aber permanent<br />
zu berücksichtigen. Es geht um Jugendliche, von denen eine potenzielle<br />
Amokläufergefahr ausgeht. Nach Schockmeldungen wie aus Erfurt 2002,<br />
Emsdetten 2006, Winnenden 2009 werden wir Schulkollegien in den KJPs<br />
uns unseres besonderen Spannungsfelds stets neu bewusst.<br />
Die SfK in der KJP unterrichtet genau an jenem Ort, an dem man jugendliche<br />
Amokläufer präventiv untergebracht und behandelt sehen möchte.<br />
Von ihnen werden Profile einer fehl entwickelter Persönlichkeit gezeichnet,<br />
wie sie uns KJP-Lehrkräften vertraut sind: mangelndes Selbstwertgefühl,<br />
soziale Isolation, Einnisten in Scheinwelten, Erfolglosigkeit, Gewaltphantasien,<br />
hoher Konsum aggressiver Medienspiele gehören dazu. Deshalb<br />
unterstützt eine Klinikschule mit ihren Angeboten das, was hinsichtlich<br />
Prävention und Therapie für solche Jugendlichen propagiert wird: Aufbau<br />
und Intensivierung von Beziehungen, soziale Integration, Vermittlung von<br />
Erfolgserlebnissen, Vermeidung und Aufarbeiten von Kränkungen, Vermittlung<br />
von Ausbildungs- und Lebensperspektiven, Austausch destruktiver<br />
Lösungsstrategien gegen konstruktive, Auflösung wahnhafter Verarbeitungsformen<br />
durch soziokulturell anerkannte Realitätsfelder.<br />
So zutreffend Täterprofile inzwischen gezeichnet werden können, so diffus<br />
sind sie, um daraus im Vorfeld klare Prognosen zu treffen. Schon in<br />
Grundschulen wird täglich geballert, wird anderen der Hals umgedreht, die<br />
Welt in Flammen gelegt, sich zum Herrscher aufgeschwungen – im Spiel.<br />
Kinder, die so spielen, können doch nicht vom Unterricht ausgeschlossen<br />
werden. Es gehört ja gerade zum Erziehungsauftrag, Kinder zu befähigen,<br />
Affekte nicht auszuagieren, sondern zu lernen, sie mittels Wort und Kultur<br />
zu symbolisieren.<br />
Es gibt kein objektivierendes Skalenwerk, das uns Pädagogen immer und<br />
eindeutig sagt, bei welchem Grad von Unentwickeltheit in der Symbolisierungsfähigkeit<br />
jemand aus dem Verkehr gezogen gehört. Hier Entwicklungsprozesse<br />
nachholen zu lassen, ist ja auch ein Auftrag unserer Spezialschulen.<br />
Und je fortschrittlicher eine SfK ausgebaut ist, desto tückischer<br />
holen wir uns das Spannungsfeld ins eigene Haus hinein. Etwa, wenn es<br />
ein separates Gebäude mit eigenen Zugangswegen gibt, und wenn sich<br />
diese aus Gründen der Enthospitalisierung und Realitätserprobung zur<br />
Nachbarschaft hin öffnen.
II. Vorträge II. Vorträge<br />
40 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
41<br />
Will eine SfK Jugendlichen zur Neupositionierung Raum und Gelegenheit<br />
geben, wird sie auch ein Schulleben pflegen und Aktionen machen. Dies<br />
bedingt auch Freizügigkeit. Freizügigkeit beinhaltet jedoch Risiken, erst<br />
recht, wenn eine SfK im Anschluss an die stationäre Behandlung noch<br />
Lernort für die ambulante Übergangszeit bleibt, die Jugendlichen also<br />
als „externe Schüler“ kommen. Es ist ja keineswegs so, dass alle „weggesperrt“<br />
müssen, die nach der stationären Behandlung noch zu labil für<br />
eine Regelschul-Belastung sind.<br />
Natürlich zeigen Jugendliche in den Phasen großer Belastungen und Irritiertheit<br />
Verhaltensweisen, aus denen sich im Nachhinein, nach einer<br />
Katastrophe, potentielle Tätermerkmale ablesen lassen. Daraus aber von<br />
vorn herein Ausschlusskriterium des SfK-Schullebens zu machen, hieße,<br />
sich einem breiten Indikationsfeld der Jugendpsychiatrie zu verweigern.<br />
Denn als komorbide Auffälligkeiten gehören manche Persönlichkeitsdefizite<br />
von Amokläufern auch zu anderen, ungefährlicheren Symptomkomplexen.<br />
Mehr noch: sie sind geradezu Charakteristika für Durchgangsphasen<br />
jugendlicher Entwicklungen. Deshalb finden wir sie auch in allen Lehranstalten<br />
vor. Doch in den Störungsbildern an unserer Schulform spitzt sich<br />
das Spannungsfeld zu.<br />
In unserer Kölner Schule haben wir immer wieder Schüler, die zu heftigen<br />
Diskussionen im Lehrerzimmer führen, ob wir sie ambulant noch halten<br />
sollen. Solche Fälle polarisieren und können spalten. Denn Hilfe für Gefährdete<br />
und Gefährdung der Helfer liegen mitunter nahe beieinander.<br />
Jugendliche pauschal der Einrichtung zu verweisen, löst nichts. Damit<br />
entfiele nicht nur die Hilfe. Die Kränkung durch den Verweis erhöhte zugleich<br />
ihre Gefährlichkeit. Denn zur Schule haben sie selten nur eindeutig<br />
ablehnende Gefühle, eher empfinden sie eine Hass-Liebe. Enttäuschte<br />
Liebe ruft nach Rache und narzisstischer Rehabilitierung. Auch das sind<br />
Tatmotive eines Amoklaufs. Käme es tatsächlich zu einer Gewalttat lauteten<br />
mögliche Vorwürfe: „Wie konnte die Schule gerade diesen Schüler<br />
ausschließen?“ Und die Medien fänden Schlagzeilen wie: „Perspektivlosigkeit<br />
trieb zur Verzweiflungstat!“ Hätte man ihn in der Schule gehalten,<br />
formulierten sie genau anders: „Warum hat man diese tickende Zeitbombe<br />
nicht vorher aussortiert?“<br />
Wenn eine Entscheidung nach einer Seite hin immer ein Risiko bedeutet,<br />
steckt man in einem Dilemma. Ein solches kann durch fachprofessionelle<br />
Vernetzung abgefedert werden. Auflösen lässt es sich nicht. Nur aushalten.<br />
Mit hoher Sensibilität, Umsicht und Verantwortung. Das Dilemma will<br />
erkannt und formuliert sein, um nach einer Güterabwägung eine Teamentscheidung<br />
herbeizuführen.<br />
Dass Amokläufe bislang an Regelschulen stattfanden, ist keine Garantie,<br />
dass Klinikschulen davon ausgenommen bleiben. Diese gute Erfahrung<br />
kann uns aber ermutigen, den täglichen Entscheidungsdruck zuversichtlich<br />
auszuhalten. Solche Täterprofile gibt es in allen Schulen. Doch in unseren<br />
Einrichtungen ist die Wahrscheinlichkeitsdichte höher. Allerdings<br />
sind die Jugendlichen eingebunden in ein Behandlungssystem. Und während<br />
ich hier in München gelassen darüber referiere, kann mir keiner garantieren,<br />
dass es im heimischen Köln nicht brenzlig wird. Noch lässt mich<br />
die über zwanzigjährige Berufserfahrung mit dieser Klientel vertrauen,<br />
dass Orte der Beziehungsarbeit und Vertrauensbildung – und das sind wir<br />
SfKs - nicht das vorrangige Ziel von Zerstörung sein werden. Schule wird<br />
gerade von diesen Schülern als „haltender Rahmen“ erlebt.<br />
Statement VIII<br />
Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule<br />
einen „haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte<br />
des „Containment“ beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />
Die Schule für Kranke als „Schule eigener Art“<br />
Die schulpolitischen Folgerungen aus dem Gesagten will ich in zwei<br />
SchlussStatements zusammenfassen.<br />
In NRW haben wir vor sechs Jahren heftig protestiert, als wir im neuen<br />
Schulgesetz nicht den Status einer „Förderschule“ bekommen sollten,<br />
nachdem wir über Jahrzehnte zum Kranz der zehn Sonderschultypen im<br />
Land gehört hatten. Es half nichts. Wir erhielten den seltsamen Sonderstatus<br />
„Schule eigener Art“. Mehr als diesen Begriff schätzen wir heute die<br />
Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Was und wer sind wir eigentlich?<br />
Statement IX<br />
„Die Schule in der Psychiatrie ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />
Sie ist nicht nur eine Schule eigener, sondern auch einzigartiger, notwendiger<br />
Art!<br />
Diese Antwort bleibt unkonkret, doch ich finde sie so treffend, dass ich<br />
bedaure, dass sie nicht von mir stammt. Der erste Teil ist meine Abwandlung<br />
einer Formulierung von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung<br />
im Mai diesen Jahres, der auf die Frage „Was ist Kirche?“ schrieb: „Kirche<br />
ist das, was es ohne sie nicht gäbe.“<br />
Kultur der Offenheit<br />
Erfolg oder Misserfolg unserer Arbeit in der SfK hängt zu einem großen<br />
Teil davon ab, wieweit die in den Statements genannten Aspekte berücksichtigt<br />
werden können. Zwei Voraussetzungen lassen sich jedoch kaum<br />
operationalisieren und als Verpflichtung einfordern. Sie setzten eine bestimmte<br />
Haltung aller Beteiligten voraus. Die lässt sich nur sehr unspezifisch<br />
benennen, sie ist jedoch definitiv gemeint:<br />
Statement X<br />
Konstruktive Kooperation mit allen am kranken Schüler beteiligten Berufsgruppen<br />
sowie dessen Eltern gelingt nur, wenn eine Kultur der Offenheit<br />
gepflegt wird. Dazu gehört die Akzeptanz der Fachautoritäten durch Eltern<br />
und Schüler sowie umgekehrt deren Bereitschaft, dem kranken Schüler<br />
und seinen Eltern als „Experten in eigener Sache“ zu vertrauen.<br />
Von einem Effekt bin ich nach 40 Jahren Berufserfahrung mit Lerngruppen<br />
von Behinderten und chronisch Kranken ganz fest überzeugt: Gewinner eines<br />
offenen Umgangs mit Krankheit werden alle Mitglieder einer Lern- und<br />
Sozialgemeinschaft sein. Dieser Effekt strahlt bis in die zukünftige Klasse<br />
hinein, die unsere Schüler nach der SfK besuchen werden. Ein chronisch<br />
krankes Kind in der Klasse ist nicht nur Belastung, es ist stets auch Chance<br />
für das Klassenklima. Sie können im Umgang mit Abweichungen von<br />
unseren Medien-, Model- und Werbehochglanzbotschaften und dem von<br />
Models vorgegebenem Menschenbild andere Lebenspositionen kennen<br />
lernen. Verändertes Aussehen oder abweichende Lebensgewohnheiten,<br />
beispielsweise durch Injektionen, frühes Ermüden, Sportliche Schlappheit,<br />
Überempfindlichkeit im Koch- oder Chemieunterricht, verlieren den<br />
Anruch des Peinlichen, Abnormen, Unheimlichem, wenn Schüler ihren<br />
Klassenkameraden damit umgehen sehen. Krankheit als Zustand muss<br />
dann nicht aus dem Leben junger Menschen weggelogen werden, sondern<br />
darf als Lebenskrise, unter Umständen lebenslange Beeinträchtigung akzeptiert<br />
werden, die jeden treffen kann. (Christoph Ertle, 2002)<br />
Pädagogik und Humor<br />
Ein Allerletztes: Natürlich brauchen wir Krankenpädagogen eine wissenschaftliche<br />
Ausbildung. Wir benötigen medizinisch-psychologische Basiskenntnisse<br />
über Diagnosen, Symptome und Prognosen. Nützen wird der<br />
anspruchsvolle Überbau unserer Arbeit jedoch nur, wenn aus einer ganz<br />
anderen Dimension etwas Elementares hinzukommt: Humor. Der ist das<br />
zweite Merkmal, das nicht eingefordert, aber erhofft werden kann.<br />
Statement XI<br />
Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu zu unterrichten.<br />
Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />
Als wir vor Jahren einen Namenspatron für unsere Schule suchten, waren<br />
zunächst verschiedene Wissenschaftler im Gespräch. Durchsetzen konnten<br />
wir beim Stadtrat einen Namen, der im Rheinland für eine ganz andere<br />
Sparte als für Wissenschaft steht: Johann-Christoph-Winters.<br />
Dieser Johann-Christoph-Winters begründete das hierzulande überaus beliebte<br />
Kölsche Hänneschen Theater, inzwischen fast 200 Jahre alt. Winters<br />
ist der geistige Vater jener Gestalten, von denen man zwei sicherlich auch<br />
in München kennen wird. Tünnes und Schäl, Hänneschen und Bärbelchen.<br />
Aus dem Bauch heraus, man möchte sagen „aus Volkes Bauch heraus“, traf<br />
er menschliche Typisierungen, mit denen wir überall als Rheinländer identifiziert<br />
werden. Die Psychologie sollte erst später Begriffe dafür finden. In<br />
der Tat könnte man die Figuren des Stockpuppentheaters heute mit psychiatrischen<br />
Diagnosen nach der ICD 10 belegen.<br />
Die Figuren des Puppentheaters, die eine ganze Region typisieren, zeigen,<br />
dass es zwei Möglichkeiten gibt, menschliches Verhalten begrifflich zu fassen:<br />
die akademische und die volkstümliche. Letztgenannte kommt mit<br />
Humor rüber.<br />
Humor nimmt nicht nur „auf den Arm“ sondern auch „in den Arm“. Ich<br />
werde Sie nun weder auf noch in den Arm nehmen. Ich danke schlichtweg<br />
für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
I<br />
Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer Bestandteil des<br />
Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen Professionen.<br />
Sie sollte allerdings auch kein Monopol der Krankenpädagogik sein.<br />
II<br />
Klinikpädagogen kalkulieren das Phänomen der Übertragung im Unterricht<br />
ein und wissen, dass Schüler die Defizite und Ängste ihrer Lebenswirklichkeit<br />
auch an unterrichtenden Bezugspersonen stellvertretend abarbeiten.<br />
Eine kontrollierte Gegenübertragung schützt vor Bezieh ungsirritationen<br />
und hilft Schülern, nachreifende Schritte zu gehen.<br />
III<br />
Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />
können. Handeln werden sie jedoch stets als Schulpädagogen. Ihr Instrument<br />
bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />
IV<br />
Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />
Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />
Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie fördern die<br />
Sprachnutzung, wo einst nur Affekt war.<br />
V<br />
Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und -bewältigung ist immanentes Förderziel<br />
von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur<br />
Realitätsakzeptanz gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />
VI<br />
Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes Ziel im Unterricht<br />
und bei Schullaufbahnberatungen vor allem chronisch kranker Schüler.<br />
Die SfK pflegt eine Kultur sowohl des Abschiednehmens als auch der Ermutigung<br />
und Zukunftsfindung.<br />
VII<br />
Elternarbeit ist obligatorischer Bestandteil des Unterrichts mit kranken<br />
Schülern. Sie gehört mit zum staatlich erwarteten Erziehungs- und Beratungsauftrag<br />
von Kliniklehrkräften.<br />
VIII<br />
Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule<br />
einen „haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte<br />
des „Containment“ beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />
IX<br />
„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />
Sie ist nicht nur eine Schule eigener, sondern auch einzigartiger, notwendiger<br />
Art!<br />
X<br />
Konstruktive Kooperation mit allen am kranken Schüler beteiligten Berufsgruppen<br />
sowie dessen Eltern gelingt nur, wenn eine Kultur der Offenheit<br />
gepflegt wird. Dazu gehört die Akzeptanz der Fachautoritäten durch Eltern<br />
und Schüler sowie umgekehrt deren Bereitschaft, dem kranken Schüler<br />
und seinen Eltern als „Experten in eigener Sache“ zu vertrauen.<br />
XI<br />
Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu unterrichten.<br />
Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />
1„Schule für Kranke“ ist die von der KMK-Konferenz 1998 verwendete Bezeichnung einer eigenständigen<br />
Schulform im „Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler“. Sie löst frühere und umgangssprachlich<br />
immer noch gebräuchliche Bezeichnungen wie „Krankenhausschule“ ab. In diesem Beitrag<br />
umfasst sie auch alternative Organisationsformen wie „Krankenhausunterricht“, teilweise auch „Hausunterricht“.<br />
2 Lt. einer am 13.7.2009 veröffentlichten Meldung des Bundesgesundheitsministeriums erreichte der Krankenstand<br />
in den Betrieben mit statistischen 3,5 Ausfalltagen im ersten Halbjahr 2009 den niedrigsten Wert<br />
der Nachkriegszeit. Als Begründung wird eine hohe Hemmschwelle aus Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes<br />
angegeben.<br />
3 Lt. einer dpa-Meldung vom 15.9.2009 verdoppelte sich die Zahl der Privatschüler in Deutschland zwischen<br />
1987 und 2007.<br />
4 Abschlussfeier der Städt. Schule für Kranke in den Universitätskliniken Köln, Sommer 2009<br />
5 Später bereiten die jugendlichen Patientenschüler eine Ausstellung in einem Kölner Museum zum Thema<br />
„Hiob – warum gerade ich?“ vor. In einem fächerübergreifenden Schulprojekt arbeiteten sie hier mit Lehrkräften<br />
für Deutsch, Geschichte, Kunst sowie mit Klinikseelsorge und Klinikleitung zusammen.<br />
6 In Großstädten mit Universitätskliniken wie Köln, Essen, Aachen, Bonn, Münster lagen die Schulwechsler-<br />
Anteile noch höher, bei rd. 40%. Das heißt, dort, wo eine dichtere und differenzierte schulische Infrastruktur<br />
die Angebote für Wechsel erhöhen, da werden sie auch genutzt.<br />
7 Hänneschen als „Hansdampf in allen Gassen“ ist ein Hyperkinetiker (ICD 10 F 90.1); seine herumstreunende<br />
Dauerfreundin Bärbelchen zeigt ausgeprägten Schulabsentismus (F 91.2);Tünnes sieht man schon an der<br />
roten Knollnase die latente Suchtstruktur (F 10.7) an; und sein Kompagnon Schäl ist der Mann, der mehr zu<br />
sein vorgibt, als er ist, dabei keine Intrige scheut, also Symptome einer paranoiden Persönlichkeitsstruktur<br />
zeigt (F 60.0).<br />
The Child-Friendly Paediatric Health Care Model<br />
Prof. Dr. med. Jochen H. H. Ehrich, D.C.M.T. (London)<br />
Department of Paediatric Kidney, Liver and Metabolic Diseases<br />
of Hannover Medical School, Germany.<br />
This article focuses on vulnerable children with chronic diseases and on<br />
the role of paediatricians, teachers and other stakeholders in todays complex<br />
health systems.<br />
Paediatricians are not aiming at creating a monopoly; instead they favour<br />
the team approach of all caregivers.<br />
Paediatrics is characterised by the diversity, variety and heterogeneity<br />
of health care offered in the 51 European countries with more than 200<br />
million children aged less than 18years and with more than 200.000 paediatricians.<br />
Paediatrics respects the rules on child development which<br />
state that an adolescent is not a young adult, a school child is not a small<br />
adolescent, an infant is not a small child, an neonate is not a small infant<br />
and a premature newborn is not a small neonate. Paediatricians care for<br />
both healthy and sick children. Health care management differs according<br />
to where: inpatient care in hospitals, outpatient care in hospitals or in private<br />
practices, homecare and rehabilitative care in special rehabilitation<br />
units. Paediatric health care focuses on the patient and not on diseases;<br />
however children with acute diseases need a completely different case<br />
management than children with chronic diseases. Special care is given<br />
to underprivileged and marginalised children such as children with chronic<br />
diseases and disabilities, children with a migrant background and poor<br />
children. Approximately 20% of the child population suffers from a chronic<br />
disease and with a few exceptions, almost all these chronic diseases are<br />
rare diseases with more than 1.000 different disease entities. Rare diseases<br />
mean affecting less than 1 patient per 5.000 people. Children have<br />
by far a longer period to cope with their chronic disease or disability than<br />
adults. The transition from paediatric to adult medical care is a multi-factorial<br />
challenge. Children have no voice in society and their caregivers do not<br />
speak with one voice, which has led to considerable inequity of health care<br />
in many European countries.<br />
The Council of Europe has recently developed “the Child-Friendly Health<br />
Care Model” which will be presented to 47 Ministers of Health on the occasion<br />
of the Ministerial Conference to be held in September 2011 in Lisbon.<br />
The preamble of this health-care model reads: Sustainable development<br />
fulfils the needs of the present generation without endangering the needs<br />
of future generations. The aim is to create a virtuous cycle to improve
II. Vorträge III. Workshops und Foren<br />
42 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
43<br />
children’s health in Europe with the dictate of the “4 Musts”: Protection,<br />
Prevention, Provision and Participation.<br />
As the child-friendly health care model should be applicable to all age<br />
groups of children and to all disease groups affecting children, this manuscript<br />
selected children with chronic kidney diseases and transplantation<br />
to show how this design in terms of references may be applied to<br />
help stakeholders in improving paediatric health in different European<br />
countries.<br />
Protecting children with kidney diseases means eliminating nephrotoxic<br />
substances from the environment of children, for instance, heavy metals<br />
and nephrotoxic drugs thus fulfilling the criteria of primary prevention.<br />
There is also a need for the avoidance of over and under diagnosis of urinary<br />
tract diseases which may harm children, and the same holds true for<br />
over and under treatment of urinary tract diseases. Last but not least, a<br />
lack of education must be avoided.<br />
Prevention of kidney diseases includes genetic counselling of at risk families.<br />
Secondary prevention will include cost-free mass screening of all<br />
children to identify urinary tract diseases using urinary dip sticks and ultrasonography<br />
or, if the cost-benefit ratio is negative then secondary prevention<br />
should be offered to risk groups only, i.e., prematures and small<br />
for gestational age newborns. Most chronic kidney diseases start early<br />
in life and many of them remain undetected because of a lack of clinical<br />
symptoms and signs. Early diagnosis of kidney diseases is required and,<br />
once diagnosed, treatment should aim at halting the progression of chronic<br />
kidney disease and reducing extra-renal comorbidity by adequate therapy<br />
thus fulfilling the criteria of tertiary prevention. Pedagogic counselling<br />
must be offered to risk families and to teachers as well as all persons<br />
involved in vocational training of transplanted patients.<br />
Adequate nephrological care includes the provision of adequate, affordable,<br />
accessible, available diagnostic and therapeutic renal care as well as<br />
equity, efficacy and efficiency of renal care including modern supportive<br />
technology. National health care systems must provide adequately trained<br />
teams of caregivers including specialised paediatric nephrologists, nurses,<br />
dialysis teams, pharmacists, psychologists, teachers, dieticians, career<br />
advisors, physiotherapists and others. These human resources need<br />
training, accreditation, continuous medical education and supervision to<br />
guarantee high standards of medical care. Health ministries must provide<br />
a sufficient number of child-adequate children’s hospitals with a renal<br />
unit, dialysis unit and kidney transplant unit which fullfils the criteria of<br />
paediatric centres of excellence. Child-friendly renal replacement therapy<br />
means that transplantation is more adequate than peritoneal dialysis and<br />
peritoneal dialysis is more child-friendly than haemodialysis. One of the<br />
most recent challenges has turned out to be the provision of a basis for<br />
rational use of essential drugs, their safety and distribution. The off-label<br />
use of drugs which are not tested in a paediatric population exposes children<br />
to additional risks. Paediatric nephrologists must provide evidencebased<br />
practice guidelines which are based on pure scientific findings,<br />
however their national application may depend on country-specific priorities<br />
influencing appropriate use and updating. Paediatric nephrologists<br />
represent around 1% of all paediatricians and they should provide interaction,<br />
communication and referral with primary paediatric health caregivers.<br />
This could be a paediatrician or a general practitioner depending on<br />
the different primary paediatric health care systems in Europe. Paediatric<br />
nephrologists must provide a guided transfer of adolescents into adult<br />
renal care. All caregivers must respect the children’s rights and children<br />
must be asked, children must be heard, children must have a voice before<br />
taking a final decision on further diagnostics or therapeutic intervention.<br />
All stakeholders should aim at increasing children’s families’ trust in caregivers<br />
and institutions. Improvement of the health education of patients<br />
and their families and offering culturally appropriate counselling will lead<br />
to an improved participation of patients. Accept non-adherence as a fact<br />
which cannot be attributed solely to patients and their families but also to<br />
all caregivers. Therefore unavoidable non-adherence has to be taken as an<br />
imminent behavioural challenge requiring special attention, prophylaxis<br />
and treatment. Provision of adequate, affordable, accessible, available<br />
educational care as well as equity, efficacy and efficiency of educational<br />
care has to be guaranteed. Adequately trained teams of teachers must<br />
cooperate with all other care givers. Teachers need training, accreditation,<br />
continuous medical education and supervision.<br />
The right to health does not mean the right to be healthy, nor does it mean<br />
that poor governments must put in expensive treatment, but it does require<br />
fair-play in offering care when concerning age, gender, ethnicity,<br />
culture, socioeconomic status, religious beliefs, political beliefs, or other<br />
ideologies of patients. The priorities of medical care given to children may<br />
differ from country to country, however, equal health opportunities should<br />
be given to all age groups in a given country. Cross border care should be<br />
improved and organisational pathways must be developed if there is no<br />
adequate treatment available in a given country.<br />
The following federal and regional policy makers should be represented in<br />
national health care programmes:<br />
I. Ministries of 1. Health, of 2. Labour and Social Affairs, 3. for Family<br />
Affairs, 4. of Transportation, Building and Urban Affairs, 5. of Education<br />
and Science, 6. of Food, Agriculture and Consumer Protection, 7. for the<br />
Environment;<br />
II. Health insurance companies;<br />
III. Non-governmental (NGO) health care providers such as <strong>HOPE</strong>;<br />
IV. Parents’ organisations;<br />
V. other.<br />
The CFHC model is universally applicable, however, the emphasis is different<br />
and its application differs according to age groups (fetus, newborns,<br />
infants, preschool children, schoolchildren, adolescents, young adults) as<br />
well as to healthy children and to children with different disease groups.<br />
The challenge in international social responsibility with respect to children<br />
with chronic diseases includes the following:<br />
1. The child-friendly health care model should be applicable to all paediatric<br />
subspecialties in all European countries.<br />
2. The lack of demographic data on the diversity of paediatric health care<br />
in Europe including the differences in health education needs to be<br />
compensated by following the path: 1. Research, 2. Evaluation of quality<br />
and of priorities, 3. Recommendations.<br />
3. Initiate a strategy for further communication in the “triangle” of patients<br />
and patients’ organisations, medical care givers and teachers to stimulate<br />
cooperation and consensus of all opinion-makers when improving<br />
well child care.<br />
4. There may be a need for a specialised European agency for chronically<br />
sick children offering both a scientific and social network for all stakeholders.<br />
Zur Beratung und Begleitung von suizidalen Kindern, Jugendlichen<br />
und ihren Eltern<br />
Dr. med. Sebastian Wolf<br />
Die Arche Suizidpräventation und Hilfe in Lebenskrisen. V., München<br />
32.3 Suizidalität<br />
32.3.1 Häufigkeit von Suizidversuchen<br />
32.3.2 Häufigkeit von vollzogenen Suiziden<br />
32.3.3 Hinterbliebene nach Suiziden im Umfeld<br />
32.3.4 Vorgehen bei Suizidalität<br />
32.3.5 Die 5 wesentlichen Lebensbereiche<br />
32.3.6 Risikoeinschätzung<br />
1. Beziehung aufbauen, Akzeptanz erreichen<br />
2. Anlässe für Suizidalität erfahren<br />
3. Berücksichtigen belastender Familiendynamiken<br />
4. Die Motive für den Suizidversuch verstehen<br />
5. Signale für schwere Krisen und Suizidgefahr erkennen<br />
6. Gefühle beim Jugendlichen erfassen<br />
7. Gefühle bei sich als Helfer bemerken und nutzen<br />
8. Diagnosen stellen, Differentialdiagnosen ausschließen<br />
32.3.7 Vorgehen in der Praxis – Intervention<br />
32.3.8 Fragen zum besseren Verständnis<br />
32.3.9 Umgang mit dem Tabu-Thema “Selbstmord“<br />
32.3.10 Umgang mit häufigen Suiziddrohungen<br />
32.3.11 Grenzen der ambulanten Suizidprävention<br />
32.3.12 Krisenintervention – Zusammenfassung<br />
Zur Beratung und Begleitung von suizidalen<br />
Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern<br />
DR. MED. SEBASTIAN WOLF<br />
Die Arche Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen e.V., München<br />
Im Kindesalter sind vollzogene Suizide extrem seltene Ereignisse, wenngleich<br />
Äußerungen wie „ich möchte tot sein“, „ich werde tot sein“, “ich<br />
möchte nicht mehr leben“ bei Kindern bis 10 Jahre häufig vorkommen und<br />
entsprechend oft Anlass für eine Anfrage beim Kinderarzt geben. Offenbar<br />
haben die meisten Kinder in ihren Familien jedoch eine noch ausreichend<br />
antisuizidal wirkende Beziehung zu Eltern, Geschwistern oder anderen<br />
Verwandten, die sie vor einem Suizidversuch bewahren. Trotzdem<br />
gilt auch hier, die innere Not der Kinder zu verstehen, die hinter solchen<br />
Äußerungen liegt.<br />
In der Jugendzeit werden Suizidäußerungen, Suizidversuche und Suizide<br />
mit zunehmendem Alter deutlich häufiger.<br />
Unterschieden wird zwischen vollzogenen Suiziden, die zum Tode führen<br />
und Suizidgedanken, Suizidäußerungen, Suiziddrohungen und Suizidversuchen.<br />
Die Suizidversuche werden zum einen bezüglich der Lebensgefahr<br />
unterteilt in leicht bis schwerwiegend zum anderen bezüglich der Absicht,<br />
sterben zu wollen, in appellativ bis ernsthaft.<br />
Im Sinne der Sekundärprävention sind die guten Behandlungserfahrungen<br />
in der Adoleszenz mitentscheidend für die Verhinderung später letal endender<br />
Suizidversuche. Viele Erwachsene kommen häufig Jahre später wieder<br />
in eine Beratung oder beginnen eine Therapie, wenn sie als Kinder und Jugendliche<br />
gute Erfahrungen mit professioneller Hilfe gemacht haben.<br />
In der kinder- und jugendmedizinischen Praxis hat die Abwendung einer<br />
suizidalen Handlung oberste Priorität. Entscheidend dabei ist die tragfähige<br />
Beziehung des Kindes zum Praxispersonal und dem Arzt/der Ärztin ab<br />
dem ersten Kontakt.<br />
32.3.1 Häufigkeit von Suizidversuchen<br />
Über Suizidversuche werden keine amtlichen Statistiken geführt. Eine Erfassung<br />
aller Suizidversuchshandlungen ist zudem sehr schwierig, weil nur<br />
ein Teil der suizidalen Handlungen, z.B. diejenigen, die in Krankenhäusern<br />
behandelt werden müssen, bekannt wird. Viele Suizidversuche werden nur<br />
Beratungsstellen oder Hausärzten mitgeteilt oder bleiben völlig unbehandelt<br />
und damit ungezählt.<br />
Man kann davon ausgehen, dass in der Altersgruppe bis 25 Jahre ca. 20<br />
– 30 mal mehr Suizidversuche begangen werden als vollzogene Suizide.<br />
Das wären in Deutschland ca. 25.000 Suizidversuche bei den unter 25<br />
Jährigen pro Jahr.<br />
Suizidversuche sind immer Hinweise für Belastungen und müssen deshalb<br />
unabhängig von der Schwere des Versuches ernstgenommen werden.<br />
Maßnahmen zur Veränderung der Belastung sollen folgen. Generell wird<br />
angenommen, dass die Zahl der Versuche in der Gruppe junger Menschen<br />
am höchsten ist, Frauen dabei dreimal häufiger als Männer was die Versuche<br />
betrifft.<br />
32.3.2 Häufigkeit von vollzogenen Suiziden<br />
Jede Statistik über Suizide ist mit Vorsicht zu betrachten. Es ist davon<br />
auszugehen, dass eine große Zahl von Suiziden nicht als solche erkannt<br />
und erfasst werden. So ist anzunehmen, dass sich unter der Rubrik KFZ-<br />
Unfälle und Drogentote ebenso wie bei den “ungeklärten Todesfällen“ viele<br />
Suizide verbergen. Generell sterben Männer durch Suizid doppelt so<br />
häufig wie Frauen.<br />
In der Bundesrepublik Deutschland (alte und neue Bundesländer) haben<br />
sich im Jahr 2002 insgesamt 11.163 Menschen (14,5 /100.000Einwohner)<br />
das Leben genommen ( Quelle: Statistisches Bundesamt). Davon waren<br />
unter 10 Jahren: 0 Personen<br />
zwischen 10-15 Jahren: 25 Personen<br />
zwischen 15-20 Jahren: 314 Personen<br />
zwischen 20-25 Jahren: 436 Personen<br />
Bei jährlich 11.163 Suiziden in Deutschland wird deutlich, dass im Gegensatz<br />
zu den Versuchen (32.3.1) der Großteil der tatsächlich vollendeten<br />
Suizide im Erwachsenenalter stattfindet. Die Auseinandersetzung mit Suizidgedanken<br />
beginnt jedoch häufig bereits in der Kindheit und Adoleszenz.<br />
Suizidprävention heißt, gute Erfahrungen bei früheren Krisen gemacht zu<br />
haben.<br />
32.3.3 Hinterbliebene nach Suiziden im Umfeld<br />
Bei niedrig geschätzten 10 betroffenen Personen im direkten Umfeld eines<br />
Suizids rechnen wir mit jährlich über 100.000 Hinterbliebenen von<br />
Suiziden. Bei einer Erfassungsspanne von 50 Jahren sind dies zur Zeit mindestens<br />
5 Millionen Menschen in Deutschland, die in vielfältiger Weise an<br />
den Folgen von Suiziden in ihrem Umfeld leiden können.<br />
Hinterbliebenen suchen Ärzte häufig wegen körperlicher Beschwerden<br />
auf. Ein Besprechen der Belastungen nach einem Suizid in der Familie<br />
bringt Entlastung und trägt zur Prävention weiterer Suizide bei. Hinterbliebene<br />
Geschwister sollten unbedingt begleitet werden. Häufig leiden Geschwister<br />
besonders lange unter eigenen Schuldvorwürfen oder erleben<br />
den Suizid als nachvollziehbare und auch für sie in Frage kommende Konfliktlösung.<br />
Durch die Trauerreaktion der Eltern können sich die lebenden<br />
Geschwister als weniger geliebt bis ausgestoßen erleben.<br />
32.3.4 Vorgehen bei Suizidalität<br />
„Die Situation eines erst mal fremden Menschen zu erfassen ist meistens<br />
schwierig. Es hat sich dabei bewährt etwas mehr über 5 wesentliche Lebensbereiche<br />
zu erfahren, um Dich und Deine Situation besser verstehen zu können.<br />
Diese Lebensbereiche sind für die Zufriedenheit von Menschen wichtig<br />
beziehungsweise tragen zur Stimmung bei. Ist es in Ordnung für Dich, wenn<br />
ich Dir kurz die 5 Bereiche aufzähle und wir dann schauen, wie Du Deine<br />
Situation in den einzelnen Bereichen siehst? Letztlich geht es um...“<br />
Krisenberatungen kommen mitunter sehr chaotisch zustande und die Beteiligten<br />
sind selten ruhig und strukturiert. Es kommt auch vor, dass die<br />
Jugendlichen unverständlich ruhig erscheinen und stumm sind. Ziel ist es,<br />
dem Jugendlichen Ruhe und Zuversicht zu vermitteln. Dabei empfiehlt sich<br />
ein geordnetes, schematisches Vorgehen. Oberstes Ziel sollte sein, dass<br />
der Jugendliche ein zweites Mal in die Praxis kommt und sich in der Zwischenzeit<br />
eine gewisse innere Distanz zum Sterbenwollen einstellen kann.<br />
Alternativen zum Suizid können mit der Zeit zugelassen werden.<br />
Im Wesentlichen interessiert sich der Untersucher wie bei der körperlichen<br />
Untersuchung für definierbare Teilbereiche, die er nebeneinander<br />
oder nacheinander abfragt. So kann man sich in ca. 15-30 Minuten ein<br />
erstes Bild machen und dem Jugendlichen dabei Kompetenz und Interesse<br />
an seiner Situation vermitteln. Wichtig ist, dass der Jugendliche das Motiv<br />
hinter den Fragen versteht.<br />
32.3.5 Die 5 wesentlichen Lebensbereiche<br />
1. Beziehungen: Partnerschaft, Vater, Mutter, Geschwister, andere Verwandte,<br />
Freunde<br />
2. Schule/Ausbildung/Beruf/Karriere<br />
3. Wohnverhältnisse: Schlaf- und Wohnräume, Störungen, Fahrwege<br />
4. Finanzen: Taschengeld, Einkünfte, Schulden<br />
5. Gesundheit, Schmerzen, körperliches Erleben, Wohlbefinden „ Ziel<br />
dabei ist, besondere Ereignisse und mögliche Belastungen, aber auch
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
44 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
45<br />
Bereiche, die o.k. oder gut laufen, zu erfahren. Möglichkeiten, die einem<br />
oft selber nicht mehr bewusst sind, können so vielleicht gefunden<br />
werden“.<br />
Bei Fragen nach Straftaten, Schulden, Drogenkonsum oder sexuellen Neigungen<br />
(homosexuelle Jugendliche haben ein erhöhtes Suizidrisiko) wie<br />
auch bei Gewalterfahrung und Missbrauch hilft es, wenn man vorausschickt,<br />
dass man diese Fragen allen Jugendlichen in diesem Alter stellt<br />
und auch darüber die Schweigepflicht gilt.<br />
32.3.6 Risikoeinschätzung<br />
Im Zusammenhang mit Suizidalität hat die Diagnostik immer auch therapeutische<br />
Auswirkungen. Vergleichbar mit einer multimodalen, mehrgleisigen<br />
Diagnostik und Therapie kann man bei der Risikoeinschätzung und<br />
Maßnahmenplanung einen Befund erheben, indem man gleichzeitig auf 8<br />
Aspekte achtet.<br />
1. Beziehung aufbauen, Akzeptanz erreichen Bereits bei der Anmeldung<br />
sollte versucht werden, Hemmschwellen zu senken, um möglichst viele<br />
Jugendliche in einer Lebenskrise zu erreichen. Ein erstes Gespräch ohne<br />
aufwendige Anmeldeformulare, Einverständniserklärungen der Eltern,<br />
Meldung an die Krankenkasse oder Angaben von persönlichen Daten wie<br />
Name, Adresse und Telefonnummer der Eltern wäre ideal. Der Jugendliche<br />
sollte am Telefon oder an der Rezeption auch nur sagen dürfen, er wolle<br />
den Arzt sprechen. Daten lassen sich meist noch im Laufe der Gespräche<br />
erheben. Viele Jugendliche befürchten zu Recht, dass über die Inhalte mit<br />
den Eltern oder anderen ( z.B. Lehrern, Polizisten, Jugendämtern) gesprochen<br />
wird. Jugendliche geben lieber ihre eigene Mobiltelefonnummer an<br />
als die Haustelefonnummer der Eltern.<br />
Längeres Warten im Wartezimmer sollte vermieden werden, da Geduld<br />
und Gelassenheit beim suizidalen Jugendlichen meist sehr reduziert oder<br />
nicht existent sind. Längeres Wartenlassen wird möglicherweise als mangelndes<br />
Interesse oder fehlende Zeit des Arztes interpretiert. Zudem schämen<br />
sich viele Jugendliche in Wartezimmern und gehen vielleicht wieder.<br />
Wichtig ist es, dem Jugendlichen den Sinn und Zweck von Beratung in einer<br />
Krise zu erklären. Das ärztliche Angebot (Dauer, Häufigkeit, Hilfsmöglichkeiten)<br />
muss dargestellt werden.<br />
Die Schweigeverpflichtung sollte umfassend erläutert werden:<br />
„Wenn man hier über problematische oder schwierige Situationen redet,<br />
gibt es eine Schweigeverpflichtung. Menschen (z. B. Eltern, Lehrer), die<br />
sich informieren möchten, müssen verstehen, dass man hier nicht mehr<br />
offen sprechen kann, wenn die ärztliche Schweigepflicht gebrochen wird.<br />
Wir versuchen, dass Jugendliche wie Du ihre Belange selber in die Hand<br />
nehmen können und nicht der Arzt versucht zu helfen, indem er Informationen<br />
an Dritte weitergibt. Etwas anderes ist es, wenn Du selbst uns bittest,<br />
mit jemand zu sprechen.“<br />
Während der Gespräche sollten Unterbrechungen wie Rezepte unterschreiben,<br />
Zwischenfragen des Personals, telefonieren, “kurz mal rausgehen“<br />
etc. unterbleiben. Jugendliche in suizidalen Krisen sind häufig extrem<br />
leicht zu kränken und fühlen sich schnell abgewertet Die ärztliche Grundhaltung<br />
sollte anteilnehmend neugierig sein. Nach der Frage,<br />
weshalb er/sie kommt, sollte dem/der Jugendlichen erklärt werden, auf<br />
welche Weise (s.o. Vorgehen bei Suizidalität, 5 Lebensbereiche) man versuchen<br />
wird, ihm/ihr zu helfen und ob das für ihn/sie so o.k. ist.<br />
Man sollte nicht zuerst schnell konfrontieren und auf Fehlverhalten des<br />
Jugendlichen oder anderer hinweisen. Moralisieren und Bloßstellen sind<br />
ebenso wenig hilfreich wie schnelles Hinwegtrösten, schnelle Suggestionen<br />
oder Ratschläge. Der Jugendliche könnte dies als Besserwisserei und<br />
“rasch weiterkommen wollen“ interpretieren oder sich selber als minderwertig<br />
empfinden, was bei Suizidgefahr unbedingt zu vermeiden ist. Verstehen<br />
bedeutet Verständnis zeigen können. Der Jugendliche sollte selber<br />
zur Einsicht kommen und nicht durch den Helfer darauf gestoßen werden.<br />
„Ich würde gerne nachvollziehen und verstehen in welcher Situation sich<br />
wer wie verhalten hat und was dann passierte oder geschah.“<br />
2. Anlässe für Suizidalität erfahren „Du hast gesagt, dass Du keine Ahnung<br />
hast, weshalb du den Suizidversuch gemacht hast. Könnte denn eines oder<br />
mehrere der (u.g.) Gründe dafür in Frage kommen? Ich würde gerne verstehen,<br />
wie es Dir in der Situation gegangen ist, was Du dabei erlebt oder<br />
gedacht hast.“ Für die Umwelt werden Suizidhandlungen oft “ohne wirklichen<br />
Grund“ begangen. Die Auslöser erscheinen insbesondere Erwachsenen<br />
häufig banal. Für das Verständnis der Suizidalität eines Jugendlichen<br />
hilft es zwischen Auslösern und dahinterliegenden oder tiefergehenden<br />
Ursachen zu unterscheiden. Auslöser sind die Ereignisse, die kurz vor<br />
einer Suizidhandlung stehen, die “das Fass zum Überlaufen bringen“. Im<br />
Volksmund gibt es viele Metaphern für solche Situationen.<br />
„Viele Menschen erleben eine Krise so, als würde ein Fass überlaufen,<br />
ein Vulkan ausbrechen, es einen Knall geben oder ein schwer bepackter<br />
Rucksack nicht mehr alleine zu tragen oder zu ertragen sein. Könnte eines<br />
der Beispiele für dich zutreffen?“ Warum ein Ereignis, wie z.B. ein Verbot,<br />
das die einen verkraften, für einen anderen nicht aushaltbar ist, bleibt oft<br />
zunächst unklar bis man die tiefergehenden Ursachen bzw. zusätzlich belastenden<br />
Faktoren ergründen kann. Es gilt die subjektive Betroffenheit<br />
des Jugendlichen zu erfassen auch oder gerade wenn sie<br />
diskrepant zu einem “objektiven, vernünftigen“ Erleben steht.<br />
Mögliche Anlässe im Sinne von Risikofaktoren für Suizidalität sind:<br />
1. Trennungen<br />
2. Kränkungen<br />
3. schulisches/berufliches Versagen<br />
4. Zugehörigkeit zu einer Randgruppe (Homosexuelle, Ausländer etc.)<br />
5. Umzüge, Schulwechsel, Verlust von Gewohntem<br />
6. Mobbing<br />
7. Straffälligkeit<br />
8. Traumatische Erlebnisse: Todesfälle, Unfälle, Gewalterfahrungen wie<br />
Misshandlung, Missbrauch, schwerste Vernachlässigung<br />
9. Psychiatrische Erkrankungen (Schizophrenie, Essstörung, Persönlichkeitsstörung,<br />
Depression siehe Kapitel 32.2 )<br />
10. Suizidversuche und vollzogene Suizide im Umfeld der Jugendlichen und<br />
11. Mediendarstellungen von Suiziden, die immer ein großes Risiko zur<br />
Nachahmung beinhalten (Werther-Effekt).<br />
3. Berücksichtigen belastender Familiendynamiken<br />
Folgende Familienthemen können die Suizidgefahr deutlich erhöhen und<br />
sollten bei der Beurteilung der Gesamtsituation berücksichtigt werden.<br />
Das entbehrliche Kind/der entbehrliche Jugendliche Viele, kurz aufeinanderfolgende<br />
Kinder begünstigen suizidale Gedanken, da beim einzelnen<br />
Jugendlichen der (falsche) Eindruck entstehen kann, dass es selber nicht<br />
wirklich benötigt und erwünscht sein könnte. Bei Eltern, die in Sorge um<br />
ein krankes oder behindertes Kind so absorbiert sind oder die Enttäuschung<br />
über den Verlust eines Kindes nicht verkraften, begünstigen beim<br />
gesunden Geschwister Phantasien, dass es den Eltern lieber gewesen<br />
wäre, es selbst wäre gestorben.<br />
Starke Schuldzuweisungen an das Kind<br />
Häufig fühlen sich auch Jugendliche mitschuldig an der Erkrankung eines<br />
Geschwisters, am Tod von Familienangehörigen oder an der Krankheit eines<br />
Elternteils. Auch die unglücklich verlaufende Ehe der Eltern wird oft<br />
den Kindern/Jugendlichen angelastet bzw. Sie fühlen sich mitschuldig.<br />
Abgebrochene Karrieren eines Elternteils aufgrund des Kindes, unerfüllte<br />
Hoffnungen in das eigene Leben oder das der Kinder können zu großer<br />
Vorwurfshaltung gegenüber den Kindern führen.<br />
Vorbild, Familientradition einer pessimistischen Lebenshaltung<br />
Ein Familienmitglied ist depressiv und/oder suizidal, droht immer wieder,<br />
oft über Jahre, mit Suizid oder erweitertem Suizid (d.h. Mitnahme von anderen<br />
in den Tod). Suizidalität ist ständig Thema in der Familie und wird<br />
als Konfliktlösungsmuster erlebt. Nicht selten gibt es in Familien Mythenbildungen<br />
um tragisch gescheiterte Vorfahren (“er ist wie der Onkel X,<br />
der auch nie glücklich wurde und sich umbrachte“) Loyalitätskonflikte bei<br />
Streit der Eltern, bei Trennungen und Scheidungen denken Kinder und Jugendliche<br />
an den eigenen Suizid, um den Streitigkeiten zu entfliehen oder<br />
um sich nicht für einen und damit gegen den anderen Elternteil entscheiden<br />
zu müssen.<br />
Symbiotische Bindung Adoleszenz bedeutet immer, dass eine Ablösung<br />
von den Eltern ansteht.<br />
Vorherrschend ist eine ambivalente Haltung aller Beteiligten. Der Jugendliche<br />
hat entweder Angst, die Eltern oder einen Elternteil alleine zu lassen<br />
oder fühlt sich von einem vorher sehr eng verbundenen Elternteil plötzlich<br />
verlassen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die nach langer<br />
Zeit des Alleinlebens mit dem Sohn einen neue Partnerschaft eingeht<br />
oder beschließt, dass der Sohn jetzt selbstständiger werden müsse. Der<br />
jugendliche Sohn fühlt sich verraten oder verlassen und wird suizidal. Der<br />
Konflikt könnte durch einseitige radikale Beziehungstrennung durch Suizid<br />
entschieden werden.<br />
„Jugendlich sein heißt immer auch, dass ein “alter Schuh“ zu klein wird, er an<br />
allen Ecken drückt, ein neuer Schuh jedoch noch nicht gefunden ist. Eltern<br />
wie Kinder pendeln dann zwischen einem zunehmend unbefriedigendem<br />
alten Verhalten und einem neuen noch unbekanntem, ungeübten und oft<br />
unzufriedenstellendem Neuem hin und her. Beide Seiten werfen sich dabei<br />
oft Undankbarkeit, Respektlosigkeit und Inkonsequenz im Verhalten vor.“<br />
Gewaltatmosphäre, Misshandlungen, Missbrauch, Vernachlässigung In<br />
Familien mit Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung gibt es<br />
multiple Belastungen, die suizidale Entwicklungen bei den Betroffenen in<br />
jedem Lebensalter erklären. Die Opfer fühlen sich z.B. oft selber schuldig<br />
an den ihnen widerfahrenen Dingen, schämen sich dafür, sind traurig über<br />
die negativen Umstände, empfinden Neid darüber, dass es die anderen<br />
besser haben, sind wütend auf die Täter oder erleben Ohnmachtgefühle<br />
über die scheinbare Ausweglosigkeit. Nicht selten erleben Jugendliche, die<br />
in der kinder- und jugendmedizinischen Praxis auftauchen können, noch<br />
aktuell Misshandlung oder Missbrauch, was ein offenes Reden darüber<br />
fast unmöglich macht. Hierbei ist es besonders wichtig, behutsam und<br />
sensibel vorzugehen, aber auch nicht den Eindruck zu erwecken, dass<br />
über diese Themen nicht gesprochen werden dürfte.<br />
„Jetzt würde ich noch ein paar Fragen stellen zu Themen, die für Menschen<br />
in Deinem Alter eine Bedeutung haben können und die ich deshalb<br />
immer erfrage. Es sind Dinge, über die es besonders schwer fallen kann zu<br />
sprechen, die aber wenn sie bestehen würden, eine Veränderung notwendig<br />
machen könnten. Besonders auch über diese Dinge gilt die Schweigepflicht.<br />
Ist das o.k.?“<br />
Wenn vom Jugendlichen Zustimmung kommt, kann man z. B. nach Drogenerfahrungen<br />
und aktuellem Drogen- und Alkoholkonsum fragen. Danach<br />
nach Straftaten wie zum Beispiel ein Ladendiebstahl oder Schulden, die<br />
durch Handyrechnungen, Internetgebühren und Rateneinkäufe entstanden<br />
sind. Gelingt dies in einem offenen Verhältnis, können sexuelle Erfahrungen<br />
und Kontakte, freiwillige und auch unfreiwillige erfragt werden.<br />
4. Die Motive für den Suizidversuch verstehen<br />
Häufig werden Suizidhandlungen von einer Mischung aus verschiedenen<br />
Motiven begleitet. Diese können entweder aus den Lebensumständen<br />
und aktuellen Belastungen heraus vermutet oder von den Jugendlichen<br />
angegeben werden. Oft werden akute Anlässe schneller benannt als dahinterliegende<br />
Motive, die man auch nicht immer als erstes direkt erfragen<br />
sollte. Häufige Motive, die das Risiko für Suizidalität erhöhen sind:<br />
1. andere ins Unrecht setzen, sie traurig stimmen, ihnen Schuld zuweisen<br />
2. die eigene Ratlosigkeit und Verzweiflung darstellen. Dies kann auch als<br />
Appell gerichtet sein, um Hilfe oder irgendeine Art von Veränderung zu<br />
bekommen<br />
3. Aufmerksamkeit und Zuwendung auf sich lenken<br />
4. Hilfe und Unterstützung abrufen<br />
5. Loyalität überprüfen („halten sie noch zu mir?“)<br />
6. die Bedeutung des anderen darstellen („ohne dich kann ich nicht leben!“)<br />
7. aus einem Konflikt gehen, Ruhe haben, befreit sein von allen Belastungen<br />
8. sich drohendem Unheil oder Zurückweisung erst gar nicht stellen müssen<br />
9. quälenden Gedanken wie z.B. eigenen Schuldvorwürfen entgehen<br />
10. Tot zu sein und auf ein „besseres Jenseits“ zu hoffen oder mit anderen<br />
Verstorbenen verbunden zu sein. Suizidversuche und vollzogne Suizide<br />
im Umfeld stellen immer ein hohes Risiko für Nachahmer dar.<br />
5. Signale für schwere Krisen und Suizidgefahr erkennen<br />
Für die Umwelt kommen Suizidhandlungen oft “aus heiterem Himmel“. Bei<br />
genauerer Betrachtung werden aber fast immer Signale ausgesandt, die als<br />
Symptome verstanden werden können und diagnostisch wegweisend sind.<br />
auffälliges Verhalten<br />
- weglaufen, Schule/Ausbildung schwänzen, Leistungsabfall<br />
- sozialer Rückzug mit Vereinsamung, Lust- und Interesselosigkeit<br />
- auffällige Verhaltensänderung (auch unerklärliche Gelassenheit)<br />
- körperliche Verwahrlosung oder das Gegenteil<br />
- Veränderung der Essgewohnheiten, psychosomatische Beschwerden Äußerungen<br />
- vage oder konkrete Suizidäußerungen<br />
- versteckte, indirekte, verschlüsselte Hinweise auf ein Lebensende z.B.<br />
dass man an Ostern/Weihnachten nicht mehr da sein wird, oder dass<br />
man eine Klassenfahrt eh nicht mitmachen wird.<br />
- Fragen, bzw. „neutrale“ Diskussion über tödliche Mittel<br />
- verwenden von Zeichen, Symbolen, Farben, die auf Suizid hinweisen,<br />
z B. schwarze Kreuze, Gräber, Galgen, illustrierte Tötungsszenen<br />
- Worte, Sätze, Gedichte, die auf Suizidalität hinweisen<br />
- Abschiedsbriefe<br />
- Äußerungen wie „Recht auf Freitod“, „jeder sollte sterben wann er will“<br />
praktische Vorbereitungen zum Suizid<br />
- z.B. Tabletten sammeln, Testbesuch einer Brücke, besorgen eines Staubsaugerschlauchs<br />
zum Einleiten von Autoabgasen in das Wageninnere<br />
- persönliche Dinge verschenken im Sinne einer Testamentsvollstreckung<br />
6. Gefühle beim Jugendlichen erfassen<br />
Folgende Gefühle und Reaktionen sind bei Suizidgefährdeten typisch und können<br />
im Gespräch erfasst werden. Falls der Jugendliche Gefühle nicht oder nur<br />
sehr ungenau benennt, kann man ihm auch typische Gefühle anderer anbieten.<br />
Der Jugendliche soll entlastet werden und sich verstanden fühlen.<br />
„Wenn du Dich an diese Situation erinnerst, was ging oder geht Dir da<br />
durch den Kopf, was hast du da erlebt oder empfunden?“...“ Könnte so<br />
etwas wie...dabei gewesen sein?“.<br />
- Ohnmacht, Ausweglosigkeit,<br />
- Scham, Schuld<br />
- Kränkung, Zurücksetzung<br />
- Enttäuschung, Ärger, Wut<br />
- Argwohn, Neid<br />
- Angst, Zweifel, Misstrauen<br />
- Trauer, Resignation<br />
- Leere<br />
- Fatalismus<br />
- unbegründete Hoffnung<br />
- Demütigung, Bloßstellung<br />
- Idealisierung, Abwertung<br />
7. Gefühle bei sich als Helfer bemerken und nutzen<br />
Oft entsprechen die aufkommenden Gefühle beim Untersucher denen des<br />
Jugendlichen oder den Gefühlen von anderen Beteiligten eines Konflikt,<br />
zum Beispiel Wut oder Ohnmacht. Die Liste der möglichen Gefühle entspricht<br />
obiger Liste für die Jugendlichen. Besonders gefährlich sind Ungeduld,<br />
Verärgerung und Tendenzen zum Bagatellisieren beim Behandler.<br />
Leicht kränkbare Jugendliche können sich abgelehnt oder nicht ernstgenommen<br />
fühlen. Viele Jugendliche neigen selber zum Bagatellisieren, um<br />
keine Umstände zu machen oder weil sie dadurch hoffen, schneller aus<br />
der Beratungssituation zu kommen, da sie sich auch vom Arzt unverstanden<br />
fühlen. Auch wenn man sich sehr gut mit dem Jugendlichen versteht<br />
besteht die Gefahr, dass man die Not des Jugendlichen bagatellisiert.<br />
8. Diagnosen stellen, Differentialdiagnosen ausschließen<br />
Auch wenn eine genaue Diagnose oft schwierig zu stellen ist, sollte eine<br />
diagnostische Eingrenzung nicht fehlen. Oft ergibt sich aus den differentialdiagnostischen<br />
Überlegungen ein Verständnis für die Situation und<br />
Suizidalität. Therapeutische Maßnahmen lassen sich daraus oft besser<br />
ableiten. Mögliche Diagnosen neben einer oft attestierten Adoleszentenkrise<br />
sind:<br />
Akute Belastungsreaktion (ICD 10: F43.0), Posttraumatische<br />
Belastungsstörung(ICD 10: F43.1), schulische Überforderung,<br />
Teilleistungsstörung (z.B. Legasthenie(ICD 10: F81.0), Essstörungen(ICD<br />
10:F50), Persönlichkeitsstörungen(ICD 10: F60), Depression(ICD 10: F32)<br />
(siehe auch Kapitel 32.2), Schizophrenie(ICD 10: F20).<br />
32.3.7 Vorgehen in der Praxis – Intervention<br />
Ein Kernproblem im Umgang mit suizidalen Jugendlichen besteht darin,<br />
mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wenn ein Jugendlicher von sich aus<br />
Eltern oder andere Erwachsene wie Verwandte, Lehrer, Ärzte, Trainer, etc.<br />
anspricht ist es deutlich einfacher. Der Jugendliche sucht Hilfe und Rat.<br />
Weitaus häufiger allerdings signalisieren Jugendliche eher durch ihr Verhalten<br />
oder psychosomatische Erkrankungen, dass sie Hilfe brauchen. Sie<br />
lassen vielmehr “die Puppen tanzen“. In der Pubertät, einer Zeit geprägt<br />
vom Ringen um die eigene Identität, Ablösung und Unabhängigkeit gelten<br />
Erwachsene oft als ewig besser wissende und Vorschriften machende Instanzen,<br />
die einen nicht verstehen.<br />
Auch deswegen werden Eltern oft am wenigsten ins Vertrauen gezogen.<br />
Auch alle anderen von den Eltern eingesetzte Erwachsenen werden<br />
schnell abgelehnt, wenn Jugendliche nicht den Eindruck haben, dass man<br />
es gut mit ihnen meint.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
46 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
47<br />
Wenn Jugendliche durch negatives Verhalten auf sich aufmerksam machen,<br />
ist es wichtig, dies ohne Vorwurf anzusprechen.<br />
Zum Beispiel: „Ich habe gehört, dass sich Deine Schulnoten in den letzten<br />
Wochen verschlechtert haben, stimmt das denn, siehst du das auch so?“<br />
“Ich wundere mich darüber und mache mir Sorgen und frage mich, woran<br />
das liegen könnte. Hast Du eine Idee?“<br />
Wichtig ist, dass man sich durch eine bagatellisierende Antwort oder eine<br />
coole Fassade nicht entmutigen oder verärgern lässt.<br />
Viele Menschen in akuten Krisen verstecken Verzweiflung, Wut und Trauer<br />
hinter einer arrogant anmutenden, aggressiven oder coolen Fassade. Auch<br />
betont selbstsicheres oder fröhliches Verhalten kann irritieren. Auch hier<br />
kann es sinnvoll sein, einen erkennbaren Widerspruch zum Verhalten oder<br />
der Sorge anderer deutlich zu machen.<br />
„wie würde es denn auf dich wirken, was würdest du denn denken und tun,<br />
wenn Du an meiner Stelle wärst?“<br />
32.3.8 Fragen zum besseren Verständnis<br />
- Wo sind Belastungen, in welchen Lebensbereichen: Beziehungen, Schule,<br />
Wohnen, Finanzen, Körperlichem/Gesundheit? (s. Kapitel 32.3.5.)<br />
- Wer leidet: Nur der Jugendliche oder auch die Geschwister, die Freundin,<br />
die halbe Klasse?<br />
- Unter was oder wem leidet man?<br />
- Wie lange schon: Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre und<br />
- Wie oft pro Tag, Woche, Monat, Jahr?<br />
- Wie stark:„bisschen, erträglich, abnehmend, zunehmend, sehr, unerträglich,<br />
so nicht mehr auszuhalten“<br />
Häufig sagen Jugendliche eher zu wenig als zuviel. Sinnvoll sind Fragen zur<br />
Situation, dem Verhalten und den Folgen/Ergebnissen.<br />
Jugendlicher: „Mir geht es schlecht!“ (Ergebnis)<br />
Arzt: „In welcher Situation“ (Situation).Was tust Du dann? Was machen<br />
die anderen? Was hast du früher getan?“(Verhalten) „Was ist dann<br />
passiert?“(neues Ergebnis) „Wie hat sich die Situation verändert?“ (neue<br />
Situation) „Was könntest Du anderes tun?<br />
(neues Verhalten) „Was könnte sich dadurch ergeben?“ (neues Ergebnis)<br />
32.3.9 Umgang mit dem Tabu-Thema “Selbstmord“<br />
Wichtig ist es, die Probleme des Jugendlichen ernst zu nehmen auch wenn<br />
man selber mit deutlich besserer Frustrationstoleranz ausgestattet ist.<br />
Schlechte Noten erscheinen nicht so tragisch oder eben selbst verschuldet,<br />
eine unglückliche Liebe wird leicht mal belächelt, wohingegen sie<br />
für den Jugendlichen eine existentielle Angelegenheit sein kann. Wichtig<br />
ist es, Mitgefühl auszudrücken ohne zu sehr zu bemitleiden, Zuversicht<br />
auszustrahlen ohne zu schnell über etwas hinwegtrösten zu wollen. Auch<br />
kann man nie wissen, ob hinter den zunächst angegeben Gründen nicht<br />
auch schwerwiegende Belastungen und Traumata wie häusliche Gewalt,<br />
Vernachlässigung und Missbrauch liegen können. Wenn Sorgen, Ängste<br />
oder Belastungen einmal thematisiert sind, sollte man mögliche Suizidgedanken<br />
ansprechen:<br />
z. B. „...bei all dem was Du jetzt geschildert hast, hast Du da schon mal<br />
daran gedacht, so wie bisher nicht mehr weiter leben zu wollen oder zu<br />
können?“ Falls die Antwort „ja“ ist sollte man nicht erschrecken sondern<br />
ruhig weiterfragen, wie konkret etwaige Suizidpläne bereits verfolgt wurden.<br />
Es besteht eine deutlich größere Suizidgefahr, wenn der Jugendliche<br />
sich schon einen bestimmten Platz zum Sterben ausgesucht hat oder Suizidmittel<br />
wie Tabletten oder einen Staubsaugerschlauch zum Autoabgase<br />
einleiten besorgt hat. Es ist falsch, dass durch das Ansprechen möglicher<br />
Suizidgedanken der Jugendliche erst auf die Idee gebracht wird. Suizidgedanken<br />
bestehen bei sehr vielen Jugendlichen, sie<br />
anzusprechen ermöglicht oft erst, darüber zu reden und Alternativen zum<br />
Suizid zu finden. Im offenen Gespräch wird der Jugendliche bereits aus seiner<br />
Isolation herausgeführt. Wichtig dabei ist, dass Suizidalität als etwas<br />
allgemein Bekanntes, Häufiges und Veränderbares erkannt werden kann.<br />
Es gibt immer einen Teil in jedem Menschen, der Leben möchte und einen<br />
Teil, der so nicht mehr leben will oder kann. Suizidale Jugendlich wollen<br />
selten tot sein sondern vielmehr nicht mehr so weiterleben wie bisher (s.<br />
Motive).<br />
Negativen Pausenwünschen im Sinne von Sterben wollen, um endlich<br />
Ruhe zu haben sollten lebensbejahende Argumente gegenüber gestellt<br />
werden. Positive Veränderungswünsche sollten bestärkt werden., zum<br />
Beispiel, dass man in der Zukunft auch anders leben könnte. Wie könnte<br />
ein Leben in 6 Monaten, einem Jahr, 5 Jahren, 10 Jahren aussehen. Gibt es<br />
positive Momente im Leben.<br />
32.3.10 Umgang mit häufigen Suiziddrohungen Häufig wiederkehrende Suizidäußerungen<br />
werden nicht selten auch zur Durchsetzung von Wünschen<br />
und/oder zur Vermeidung von negativen Konsequenzen eingesetzt. Dies<br />
setzt die Umgebung unter großen Druck und löst Sorge wie Ärger gleichermaßen<br />
aus. Leider kann man nicht annehmen, dass wer oft Suizidankündigungen<br />
macht, sich nicht das Leben nehmen wird. Dies wird immer<br />
wieder fälschlicherweise behauptet und leider oft durch spätere Suizide<br />
widerlegt. Wenn Suizidäußerungen oder -drohungen ignoriert werden löst<br />
dies mitunter einen Teufelskreis aus, der im Suizid enden kann. Meint man<br />
hingegen alle Wünsche des Jugendlichen erfüllen zu müssen, kann dies<br />
ebenfalls zum Suizidversuch führen.<br />
Am Besten benennt man auch gegenüber dem Jugendlichen dieses Dilemma.<br />
Dabei ist es wichtig, nicht verärgert und aggressiv zu sein. Das Wissen,<br />
dass auch oder gerade hinter dem jugendlichen Agieren eine tiefe innere<br />
Not, zum Beispiel ein Selbstwertproblem oder Ängste liegen können, ermöglicht<br />
es besser, seinen Ärger in Grenzen zu halten.<br />
32.3.11 Grenzen der ambulanten Suizidprävention<br />
Ein Krisengespräch über Suizidalität kann den Arzt in einige Schwierigkeiten<br />
bringen, weshalb viele Hausärzte bei Jugendlichen wie bei Erwachsenen<br />
die entscheidende Frage nach Suizidgedanken nicht stellen, obwohl<br />
ein dramatisch hoher Anteil von Suizidenten kurz vor dem tödlichen Suizid<br />
noch einen Arzt aufsucht.<br />
Bei folgenden Umständen sollte an eine Klinikeinweisung gedacht werden:<br />
1. erhebliche Selbstgefährdung (durch ambulante Krisenintervention nicht<br />
verändert)<br />
2. erhebliche Fremdgefährdung (z.B. Aggression, gefährdendes Verhalten)<br />
3. nach Suizidversuch (medizinische Abklärung, weiterbestehende Suizidalität)<br />
4. psychopathologischer Befund mit schwerer Depressivität, wahnhaft,<br />
agitiert, desorientiert und unzureichendem Gesprächskontakt<br />
5. schwierige soziale Situation mit ungenügenden Hilfsressourcen und<br />
überfordertem und erschöpftem sozialen Umfeld. Herausnahme aus<br />
dem sozialen Krisenfeld scheint als Zäsur notwendig.<br />
Vorgehen:<br />
1. sich nicht provozieren oder hilflos machen lassen<br />
2. Rücksprache und Beratung z.B. mit Erziehungs-/Familienberatungsstellen,<br />
Drogen- oder Schulberatung, Kinder- und Jugendpsychiatern,<br />
Kliniken<br />
3. versuchen, den Patienten zu motivieren, freiwillig in die Klinik zu gehen<br />
4. wenn keine sinnvolle Verständigung möglich ist, Einweisung ohne Hast<br />
5. zum Schutze des Lebens nicht vor Notarzt oder Polizei zurückschrecken.<br />
6. Sorgeberechtigte informieren. Klarheit über die Priorität: Leben sichern<br />
32.3.12 Krisenintervention – Zusammenfassung:<br />
1. Aufbau einer Beziehung: Gesprächsfokus auf die aktuelle Lebenssituation<br />
2. Situation abklären: Themen offen ansprechen, Verzweiflung als eine<br />
denkbare Möglichkeit akzeptieren und nicht dagegen anreden wollen<br />
3. Aushalten der eigenen Ratlosigkeit oder Hilflosigkeit<br />
4. schwierige Situation zum Thema machen: Zusammenfassen der Belastung<br />
5. mögliche Suizidgedanken ansprechen: z. B. „...bei all dem was Du jetzt<br />
geschildert hast, hast Du da schon mal daran gedacht, so wie bisher<br />
nicht mehr weiter leben zu wollen oder zu können?“<br />
6. wenn Suizidgedanken bestätigt werden, nachfragen nach konkreten Plänen<br />
7. stellvertretend eigene Hoffnung ausdrücken, dabei nicht bagatellisieren<br />
8. Konfrontation mit der eigenen Sicht der Dinge, Diskrepanzen benennen<br />
9. motivieren zum Einbeziehen von weiteren Vertrauenspersonen<br />
10. weitere Gespräche vereinbaren und/oder Weitervermittlung klären<br />
Literatur:<br />
Crepet P (1996) Das tödliche Gefühle der Leere. Suizid bei Jugendlichen.<br />
Reinbeck Verlag<br />
Dickhaut HH (1995) Selbstmord bei Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch für<br />
helfende Berufe und Eltern. Beltz Verlag<br />
Giernalczyk T (2003) Lebensmüde. Hilfe bei Selbstmordgefährdung. dgvt Verlag,<br />
Serviceteil: Homepage der<br />
Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de<br />
Beratungsstelle NEUhland in Berlin: www.neuhland.de<br />
Beratungsstelle Die Arche in München: www.die-arche.de<br />
Cooperation between Hospital/Special<br />
Educators and Home School Teachers<br />
Liana Sanamyan<br />
Direct Aid Association (DAA) executive director<br />
Head of hospital educational services Yerevan, ARMENIA<br />
Introduction<br />
Direct Aid Association (DAA) is a public organization, registered in Armenia<br />
in 1997. DAA provides educational services for sick children through<br />
supporting the functioning of Hospital School in Arabkir Joint Medical Center<br />
& Institute of Child and Adolescent Health (JMC&ICAH) and pediatric<br />
department of Hematology Hospital. DAA supports the psycho-social services<br />
in Arabkir working in the frame of the holistic approach of pediatric<br />
care and runs the Patient Family House (PFH) providing accommodation<br />
and care for sick children and their families from far regions of Armenia.<br />
It’s worth mentioning that DAA is the only organization that runs hospital<br />
school in Armenia, so this hospital school is unique for the country.<br />
Arabkir JMC&ICAH is the Republican reference centre for children and<br />
adolescents with various diseases. Through numerous projects run by<br />
DAA and Arabkir in cooperation, today, a child admitted to the hospital<br />
finds himself in the hands of the medical staff, psychosocial team and<br />
hospital school teachers the cooperative work of which provides positive<br />
results both in medical care and general development of the child.<br />
Lack of National Association<br />
When we speak about hospital education in Armenia we always have to<br />
look back into the educational heritage of the previous regime. Armenia<br />
was a part of the USSR for a long period and during that time the paediatric<br />
hospitals or pediatric departments lacked schooling services. Some hospitals<br />
offered play rooms. With the reference to short history of 20 years<br />
of hospital education we also have to mention that special education is as<br />
well recent in Armenia. In the past we had boarding school for children<br />
with “problems”, which was not exactly what special education services<br />
should provide to the children with disabilities. With all this in mind we<br />
have to add the lack of any association, national or local for the teachers<br />
working is special education, hospital education being part of it as well.<br />
“Special Educator’s Club”<br />
I think it is needless to mention that it is difficult to try to develop an area<br />
of education where there is no cooperation, information flow and experience<br />
exchange. After the organization of several training courses and<br />
workshops for the teachers and other staff working with children with special<br />
educational needs and seeing a need for experience exchange, a place<br />
where people could talk over and discuss professional issues, DAA initiated<br />
the Club. Since 2006 DAA has been running a Special Educator’s Club,<br />
a project that strengthens the hospital and special education in Armenia<br />
and helps professionals to network for the benefit of the child with special<br />
needs. As there is no special education/hospital teachers’ association in<br />
Armenia, this is a professional space for networking of the professionals<br />
working both in state schools and local NGO centers providing services to<br />
the children with needs. It’s a professional.<br />
The Club is run by DAA staff in cooperation with other needed professionals.<br />
We invite pediatricians, neurologists, psychologists, etc. for discussing<br />
different issues, clearing out difficult cases we come across during<br />
our work.<br />
The regular meetings are scheduled once a month and additional meetings<br />
take place when there is a need: for preparing extra activities, creating<br />
material, discussing and planning work.<br />
The purpose of the project is:<br />
• to create a network where the child benefits both medically and educationally<br />
• to strengthen and expand the network involving teachers from other<br />
schools and centers<br />
• to further train and exchange experience with both international experts<br />
and local professionals<br />
The club serves for:<br />
• further in-service training, including visits to the working sites, observations,<br />
practical work, discussions with other professionals working with<br />
children with disabilities, e.g. psychologists, social workers, therapists,<br />
medical personal etc.<br />
• special educators’ further training in coaching and cooperating with general<br />
education teachers within integration program<br />
• preparation and adaptation of teaching material and alternative means<br />
• hospital teachers training in coaching<br />
• as a link for cooperation between professionals working in state schools<br />
(special and integration) and local NGOs<br />
• for the organization and implementation of professional conferences,<br />
e.g. cooperation with Kinderspital Zurich Hospital School<br />
When a child from the hospital school in Yerevan returns to his home<br />
school (in the capital or some regions) he is met by a teacher who is aware<br />
of his condition, needs and educational progress while on treatment, since<br />
there is a constant contact among the teachers by the means of regular<br />
monthly meetings and connections through regional branches of the medical<br />
center. Being able to serve the child in his region, close to his home<br />
and family is much better psychologically and what is not less important<br />
financially.<br />
During the existence of Club we had organized several common projects<br />
for the children with disabilities in special and integration and hospital<br />
schools. In 2007 we had a spring project with children from different<br />
schools and NGOs. During the festival the children performed, recited and<br />
finally planted flowers.<br />
For the past two summers the some children with disabilities form schools<br />
in Yerevan and regions had opportunity to join the hospital summer camp.<br />
For many of the children such activities are unique: an opportunity to be<br />
with peers, to have a rest during the summer. And for teachers it is a great<br />
opportunity to participate and learn how to organize leisure activities for<br />
their students.<br />
As part of cooperative activity we can mention preparation and adaptation<br />
of teaching material and alternative means.<br />
Result<br />
As a result of this four-year project we have established a growing network<br />
not only among the professionals working in the capital but also with those<br />
working in some regions of Armenia. The activities of the club have also<br />
been very important and fruitful in creating educational material, discussing<br />
difficult cases, organizing recreational activities for the children in need.<br />
Conclusion<br />
As the experience shows the Club has an essential role for the professionals<br />
in the field of hospital/special education. It is the utmost possibility<br />
for the teachers to exchange ideas, create and compile useful didactical<br />
material, discuss cases and issues and in cooperation try to better serve<br />
the needs of the children.<br />
Mobiler sonderpädagogischer Dienst und die Ambulanzklasse<br />
Ein Modell mit Zukunft für die Kinder- und Jugendpsychiatrie und<br />
Sonderpädagogik<br />
Annette Werner-Frommelt<br />
Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />
Heckscher-Klinik, München<br />
Rita Wagner<br />
Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />
Heckscher-Klinik, München<br />
Dr. med. Sibylle Lehnerer<br />
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Heckscher Klinikum GmbH, München<br />
Einführung<br />
In unserem Workshop berichten wir über Modelle der Zusammenarbeit einer<br />
großen kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz mit der<br />
angegliederten Klinikschule, welche wir in den letzten fünf Jahren entwickelt<br />
und ausgebaut haben.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
48 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
49<br />
Diese Vernetzung Ambulanz - Schule ist gewachsen auf dem Hintergrund<br />
der zunehmenden Inanspruchnahme von Patienten mit assoziierten Schulproblemen.<br />
Bei vielen unserer Patienten ist die Schule mittelbar oder unmittelbar<br />
mit betroffen.<br />
Man geht davon aus, dass bei ca. 60% der Patienten einer kinder- und<br />
jugendpsychiatrischen Ambulanz auch gravierende schulische Probleme<br />
vorliegen. Nicht selten stellen Schulprobleme den eigentlichen Vorstellungsanlass<br />
dar.<br />
Im ersten Abschnitt werden aus ärztlicher Sicht die Aufgabenbereiche der<br />
Institutsambulanz der Heckscher-Klinik vorgestellt, im Anschluss daran wird<br />
die Tätigkeit des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes beschrieben und<br />
schließlich das Projekt der „Ambulanzklasse“ in der Heckscher-Klinik, welches<br />
nun im 4. Jahr erfolgreich durchgeführt wird.<br />
Beide Kolleginnen sind erfahrene Lehrkräfte aus unserer Klinikschule, d.h.<br />
sie haben lange Jahre unsere teil- oder vollstationären Patienten unterrichtet.<br />
Dieser Erfahrungsschatz ist für die ambulante Beratung sehr wertvoll.<br />
Das Heckscher-Klinikum konnte im letzten Jahr sein 80-jähriges Bestehen<br />
feiern, hier in diesen lichten und modernen Neubau ist unser Stammhaus<br />
2003 eingezogen. (Wir hatten uns mit dem Neubau räumlich und personell<br />
deutlich vergrößert, waren aber bald nach dem Umzug bereits wieder<br />
an unsere räumlichen Grenzen gestoßen.)<br />
Die Inanspruchnahme des Heckscher-Klinikums im ambulanten Bereich<br />
stieg im Zeitraum von 1997 bis 2008 von ca. 1500 auf 8000 jährlich betreute<br />
Patienten, die Zahl der stationär versorgten Patienten im gleichen<br />
Zeitraum von ca. 300 auf 1000 pro Jahr.<br />
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt in den letzten Jahren einen bemerkenswerten<br />
Aufschwung.<br />
Als Gründe vermutet man:<br />
• Vermehrte Erkennung und Beachtung psychischer Störungen z.T. Zunahme<br />
der Häufi gkeit von Störungen (z.B. Depressionen, Essstörungen)<br />
• Zunahme psychosozialer Belastungsfaktoren<br />
• Geringere Tragfähigkeit familiärer oder anderer sozialer Bezugssysteme<br />
• Trend zur Früherkennung kinder- und jugendpsychiatrischer Krankheitsbilder,<br />
möglicherweise sind auch die Schwellenängste vor der Psychiatrie<br />
gesunken.<br />
Das Heckscher-Klinikum mit seinen Außenabteilungen Rottmannshöhe<br />
und Rosenheim bietet ca. 140 stationäre und 60 teilstationäre Behandlungsplätze<br />
für Kinder und Jugendliche sowie eine große Institutsambulanz<br />
und Außenambulanzen in Rosenheim, Wolfratshausen, Waldkraiburg und<br />
Ingolstadt.<br />
Stationäre und teilstationäre Behandlungen stellen die „Spitze des Eisberges“<br />
der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung dar. Die meisten<br />
Störungsbilder können mittlerweile im ambulanten Setting diagnostiziert<br />
und auch behandelt werden.<br />
Dies ist sicherlich ein Grund dafür, dass die Ambulanzen in den letzten<br />
Jahren überproportional gewachsen sind.<br />
Unsere hiesige (Münchner) Institutsambulanz ist funktionell in mehrere<br />
Bereiche unterteilt:<br />
Notfallambulanz (tags und nachts),<br />
Spezialambulanz für Entwicklungsstörungen (Autismus und Sprache),<br />
Mobiler Dienst für Heimeinrichtungen (aufsuchender Dienst für GB-Heime<br />
u.a. Einrichtungen der Jugendhilfe),<br />
Suchtambulanz,<br />
Familienambulanz für Kinder psychisch Kranker<br />
und eine große Allgemeinambulanz.<br />
Welche Kinder werden in der Allgemeinambulanz vorgestellt?<br />
Das Altersspektrum beläuft sich auf 4 bis 18 Jahren, d.h. ca. 80 bis 90% der<br />
vorgestellten Kinder sind schulpfl ichtig. Es ist daher nahe liegend, dass viele<br />
Verhaltensstörungen auch zu Auffälligkeiten in der Schule führen.<br />
Welche Probleme führen zur Vorstellung in der Ambulanz?<br />
(Zitate aus den Anmeldebögen:)<br />
Die Eltern berichten, mein Kind...<br />
„kann sich nicht konzentrieren“,<br />
„wird schnell aggressiv“,<br />
„ist lustlos, unmotiviert“,<br />
„spielt den ganzen Tag PC, macht keine Hausaufgaben“,<br />
„schreibt in der Schule schlechte Noten, obwohl es zu Hause die Sachen kann“,<br />
„zeigt Auffälligkeiten im Kindergarten, ist es schulreif?“,<br />
„will oder kann sich nicht einordnen“,<br />
„spricht vor Fremden nicht“,<br />
„hat Trennungsangst“,<br />
„hat Ängste, Bauchweh, möchte nicht zur Schule“,<br />
„wird gemobbt“,<br />
„zieht sich zurück“,<br />
„wirkt traurig“,<br />
„verletzt sich selbst, äußert Suizidgedanken“,<br />
„nimmt vielleicht Drogen“...<br />
Wie sieht nun unsere Arbeit aus?<br />
Wir versuchen uns ein Bild von dem Kind/Jugendlichen zu machen, die<br />
verschiedenen Bedingungsfaktoren der psychischen Auffälligkeiten zu beleuchten<br />
und durch eingehende Untersuchungen im multiprofessionellen<br />
Team eine Diagnose zu erstellen.<br />
Die diagnostische Phase umfasst psychiatrische, pädiatrisch-neurologische<br />
Aspekte, psychologische Diagnostik, sowie psychosoziale Diagnostik,<br />
Umfeldanalyse, d. h. Einholen von fremdanamnestischen Angaben aus<br />
Schule, von Erziehern, von Betreuern oder dem Jugendamt.<br />
Sie richtet sich im Umfang nach den Erfordernissen des individuellen Falles.<br />
Die multiprofessionelle Tätigkeit erfordert einen hohen Zeit- und Koordinationsaufwand.<br />
In der Allgemeinambulanz des Heckscher-Klinikums arbeiten derzeit 7<br />
Ärzte, 7 Psychologen, 3 Sozialpädagogen, 2 Sprachtherapeuten. Zugeordnet<br />
sind der Ambulanz eine Beratungslehrerin sowie therapeutische Mitarbeiter<br />
aus dem klinischen Bereich (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
– tiefenpsychologisch orientiert, Verhaltenstherapeuten, Spiel-,<br />
Gesprächstherapeuten, systemische bzw. Familientherapie, Traumatherapeuten,<br />
auch nonverbale Therapiemethoden wie Musik-, Tanz-, Kunst-,<br />
Ergotherapie etc.)<br />
Ohne auf die verschiedenen Störungsbilder im Einzelnen eingehen zu können,<br />
möchte ich einige häufi ge bei uns in der Ambulanz gestellten Diagnosen<br />
aufl isten.<br />
ADHS,<br />
Essstörungen (Bulimie, Anorexie),<br />
Psychosen,<br />
Angststörungen,<br />
Depressionen,<br />
Suchterkrankungen (stoffl ich gebunden und Mediensucht),<br />
Teilleistungsstörungen (LRS, Dyskalkulie),<br />
Sprachentwicklungsstörungen,<br />
Störungen des Sozialverhaltens,<br />
Posttraumatische Belastungsreaktionen,<br />
Anpassungsstörungen,<br />
Bindungsstörungen,<br />
Kinder nach Vernachlässigung, Misshandlung, sex. Missbrauch,<br />
Autismus,<br />
Intelligenzminderung und Verhaltensstörungen,<br />
Ticstörungen, Zwänge,<br />
Somatoforme Störungen,<br />
Einnässen, Einkoten,<br />
Schlafstörungen,<br />
Persönlichkeitsstörungen,<br />
Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität.<br />
Nach der multiprofessionellen Diagnostik werden mit den Sorgeberechtigten<br />
und dem Kind unsere Untersuchungsergebnisse besprochen, eingehend<br />
über Wesen, Verlauf und Prognose der jeweiligen Störungsbilder<br />
informiert und über therapeutische Möglichkeiten beraten sowie konkrete<br />
Maßnahmen gemeinsam geplant.<br />
Diese können im Sinne eines multimodalen Vorgehens (grob gegliedert)<br />
beinhalten:<br />
kindbezogene psychotherapeutische Maßnahmen, Pharmakotherapie<br />
oder andere Therapien, familienorientierte Maßnahmen wie Elterntraining<br />
oder auch psychotherapeutische Behandlungen mit den Eltern, Familientherapie,<br />
aber auch umfeldbezogene sozialpädagogische oder sozialpsychiatrische<br />
Maßnahmen, meist unter Einschaltung der ASD oder Jugendamtes,<br />
Einleitung von Jugendhilfemaßnahmen.<br />
Durch Hinzuziehung unseres Sonderpädagogischen Beratungslehrers kann<br />
die schulische Perspektive intensiv in diese Beratung und Weichenstellung mit<br />
einbezogen werden bzw. über den Kontakt zur Heimatschule konkrete Informationen<br />
weitergegeben und Veränderungen eingeleitet werden.<br />
Zusammenarbeit mit der Schule<br />
Wie sieht die Vernetzung konkret aus?<br />
Seit 2006 nimmt die Beratungslehrkraft an der wöchentlichen Ambulanzbesprechung<br />
teil, in welcher diejenigen Kinder besprochen werden, bei<br />
welchen eine schulische „Beratung“ indiziert ist und von der Familie gewünscht<br />
wird.<br />
Bereits in der Diagnosephase kann eine Kontaktaufnahme unseres Beratungslehrers<br />
mit den aktuellen Lehrern der Heimatschule des Kindes wichtig<br />
sein, um das klinische Bild zu vervollständigen und die Gesamtsituation<br />
des Kindes besser einschätzen zu können.<br />
Zur Abklärung der weiteren schulischen Perspektive ist die Zusammenarbeit<br />
mit unserem Beratungslehrer wichtig. Folgende Fragestellungen können<br />
bedeutsam sein:<br />
Wo ist der geeignete Förderort? Welche besonderen Bedürfnisse hat der<br />
Schüler im Hinblick auf Klassenstärke und Arbeitsformen? Ist eine Umschulung<br />
sinnvoll? Wird ein Integrationshelfer benötigt? Was gibt es für<br />
lokale Ressourcen im schulischen Bereich?<br />
In Hinblick auf die Koordination kurz- und längerfristiger Interventionen,<br />
sowie zur Aufklärung des Klassenlehrers über das jeweilige Störungsbild<br />
und die Auswirkung auf die Unterrichtssituation ist die Tätigkeit unseres<br />
Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes sehr hilfreich. Durch die Vermittlung<br />
des Beratungslehrers können diagnostische Ergebnisse und sich<br />
daraus ergebende Fördermöglichkeiten effektiver in die schulische Arbeit<br />
einfl ießen.<br />
Der MSD wird somit zu einer Schnittstelle zur Heimatschule und der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie und erfüllt eine „Scharnierfunktion“. Diese Vernetzung<br />
zwischen Klinik und Schule ist gerade auch in Krisensituationen<br />
notwendig, da wir immer häufi ger auf Schüler treffen, die schulisch über<br />
Wochen nicht versorgt sind, und für die ihre Lehrer und Eltern allein keinen<br />
Weg fi nden, um die Probleme zu bewältigen.<br />
Es gibt auch defi nitiv zahlreiche Krisenvorstellungen in unserer Ambulanz,<br />
die unmittelbar in der Schule ihren Ausgang nehmen (Schulverweigerung,<br />
Selbst- oder Fremdgefährdung, Amokdrohung).<br />
Viele Patienten benötigen neben medizinisch-therapeutischen natürlich<br />
auch pädagogische Hilfen.<br />
Nach unserer bisherigen Erfahrung nehmen die Sorgeberechtigten in der<br />
Regel diese Vermittlungstätigkeit sehr dankbar entgegen.<br />
Natürlich gibt es auch Probleme und Grenzen in dieser „Schnittstellenarbeit“:<br />
So sind wir von ärztlicher Seite streng an die Vorgaben der ärztlichen Schweigepfl<br />
icht gebunden und setzen uns über diese nur hinweg, wenn die Sorgeberechtigten<br />
dies wünschen und uns ausdrücklich davon entbinden.<br />
Auch wenn wir von der Schweigepfl icht entbunden sind, gehen wir grundsätzlich<br />
mit der Informationsweitergabe behutsam um:<br />
Nach dem Motto „So wenig, wie möglich, so viel, wie nötig“ werden an die<br />
Heimatschule nur die Informationen weitergegeben, welche im Interesse<br />
des Kindes bzw. seiner schulischen Förderung stehen.<br />
Die bisherige, von Jahr zu Jahr intensivierte Zusammenarbeit der Ambulanz<br />
des Heckscher-Klinikums mit dem Mobilen Sonderpädagogischen<br />
Dienst zeigt bereits deutlich, dass hier sehr erfolgreich auch präventiv gearbeitet<br />
werden kann. Die positiven Rückmeldungen von Eltern und Lehrern<br />
unterstreichen den Bedarf.<br />
Zweifelsohne trägt der intensive fachliche Austausch zwischen Klinik und<br />
Schule auch für uns zur kontinuierlichen Fortbildung bei: Aus erster Hand<br />
erfahren wir „Kliniker“ über Veränderungen der Schullandschaft, neue kultusministerielle<br />
Beschlüsse etc. und umgekehrt werden die Lehrer über<br />
neue klinische Erkenntnisse oder Behandlungsmethoden auf dem Laufenden<br />
gehalten und tragen dieses Wissen in die „Heimatschulen“ unserer<br />
Patienten weiter.<br />
Die Entwicklung eines medizinisch-therapeutischen und sonderpädagogischen<br />
Gesamtkonzepts für die gemeinsame ambulante Tätigkeit erscheint<br />
auf der Basis der bisherigen Erfahrungen nicht nur lohnend, sondern auch<br />
notwendig.<br />
Das Modell der Ambulanzklasse an der Schule an der Heckscher-<br />
Klinik in München<br />
Ein Kooperationsmodell zwischen Klinik und Schule<br />
Aktuelle Entwicklung<br />
• Steigende Zahlen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
• 60 % der vorgestellten Fälle in der Ambulanz haben große Probleme in<br />
der Schule<br />
• Ambulante Versorgung vor stationärer Versorgung als Ziel<br />
Warum eine Ambulanzklasse ?<br />
• Reaktion auf Bedarf der Ambulanzen<br />
• Niederschwelliges Angebot mit zeitnaher Versorgung mit Blick auf Lebensrealität<br />
Schule<br />
• Bessere Vernetzung von Schule und Psychiatrie<br />
Was ist neu?<br />
Station<br />
Tagesklinik<br />
Ambulanzklasse<br />
Ambulanzen<br />
Konzept der Ambulanzklasse an der Heckscher-Klinik<br />
Ambulanz<br />
E<br />
Fragestellung/Auftrag ?<br />
Arzt und / oder Schule meldet<br />
Bedarf an<br />
MSD Arbeit<br />
Ambulanzklasse<br />
Ambulanz<br />
A
50 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
51<br />
Das multiprofessionelle Team der Ambulanzklasse<br />
Sprachtherapeutin<br />
8 Stunden<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Kinder- und Jugendpsychiater<br />
der<br />
Ambulanzen<br />
Ambulanzklasse mit ca. 6 Kinder<br />
mit<br />
Sonderpädagogin und Heilpädagogin<br />
Psychologin<br />
8 Stunden<br />
Sozialdienst<br />
2 Stunden<br />
Erzieherin<br />
10 Stunden<br />
Was kann die Ambulanzklasse leisten?<br />
• Umfassende diagnostische Abklärung (im Team)<br />
• Lern- und Verhaltensbeobachtung im Gruppenkontext<br />
• Feststellung des Förderbedarfs und der therapeutischen Hilfen<br />
• Elternarbeit<br />
• Medikationseinstellung<br />
• Einleitung/Durchführung von Fördermaßnahmen und Therapieanbahnung<br />
(Sprachtherapie, Psychotherapie, Legasthenie- und Dyskalkulietherapie)<br />
• Verhaltenstraining (z.B. Aufbau schuladäquaten Verhaltens, Verhaltenssteuerung)<br />
• Korrektur der Schullaufbahn, Schulwechsel<br />
• Koordination der Maßnahmen<br />
• Nachsorge im pädagogischen Rahmen<br />
Organisation der Ambulanzklasse<br />
• Alterspektrum der Kinder zwischen 5,5 und 9,9 Jahre ( Vorschulalter bis<br />
3./4.Klasse)<br />
• Schüler bleiben an den Herkunftsschulen angemeldet<br />
• Unterricht/Therapie/Diagnostik in der Zeit von 8.00 bis 12.00<br />
• Nachmittagsbetreuungen bleiben erhalten<br />
• Die Kinder werden mit dem Taxi oder von den Eltern gebracht<br />
• Verweildauer 2 bis 10 Wochen<br />
• Wartezeit ca. 3 Wochen<br />
Diagnosespektrum<br />
• Störungen des Sozialverhaltens: 31%<br />
• Emotionale Störung: 35%<br />
• ADHS: 35%<br />
• Ausgeprägte Teilleistungsstörungen: 26%<br />
• Sprachstörungen : 31%<br />
• Autismus: 26%<br />
• Sonstiges (Mot.Stö./Tourette/Ticstö.): 5%<br />
Zahlen<br />
• 30 bis 35 Kinder pro Schuljahr in der Ambulanzklasse aufgenommen<br />
(2007–2011)<br />
• Durchschnittlich 3,5 Wochen Wartezeit<br />
• Verweildauer durchschnittlich 6 Wochen<br />
• Bei 45 % der Schüler/Patienten wird ein Schulwechsel notwendig<br />
Folgemaßnahmen<br />
• Fortführung und Vermittlung therapeutischer Hilfen<br />
• Weiterführung von Medikation<br />
• Beratung der Schulen/Päd.Nachsorge<br />
• Anbindung an spezifi sche Elterngruppen<br />
• Installation eines Integrationshelfers<br />
• Anbindung an Ambulanz (regelmäßige WV Angebot/kurzfristige Terminfenster)<br />
Erfahrungen<br />
• Ausgewogene Mischung der Diagnosen für Gruppenbildung am sinnvollsten<br />
• Schulrelevanz des beschriebenen Diagnosespektrums am höchsten<br />
• Nachsorgemaßnahmen im Verlauf sehr sinnvoll und nachhaltig<br />
Ausblick<br />
• Sehr gute Akzeptanz durch Klinik, Eltern und Schulen<br />
• Qualitative Verbesserung der ambulanten Versorgung<br />
• Vernetzung/Nachsorge Psychiatrie und Schule deutlich verdichtet<br />
• Steigende Nachfrage<br />
Grenzen und Gefahren<br />
• Klares Profi l schaffen und erhalten<br />
• Keine „offene Nebentür“ für alle problematischen Schüler schaffen<br />
• Keine „Warteschleife“ bei bereits bekanntem höherem Behandlungsbedarf<br />
Wie reagieren die Kinder?<br />
• Können sich gut auf neue Situation einlassen<br />
• Oft aus Krisensituation „erlöst“<br />
• Integration für Kinder mit Schulausschluss/„krank“ geschriebene Kinder<br />
• Schnelle Hilfe entlastet das gesamte System<br />
Grenzen kranker Kinder – Starke Eltern – Starke Kinder<br />
Andrea Huber<br />
Trainerin für Starke Eltern-Starke Kinder®, Moosburg<br />
Einleitung:<br />
Die positive Bedeutung von Grenzen für das menschliche Leben, insbesondere<br />
für die Entwicklung von Kindern, ist unbestritten. Grenzen geben<br />
Sicherheit und Orientierung, sie vermitteln das Gefühl von Zugehörigkeit<br />
und Verlässlichkeit, lassen die eigene Stärke spüren und die eigene Einzigartigkeit.<br />
Aus diesen Gefühlen heraus fühlen sich Menschen ermutigt,<br />
neue Ziele anzugehen und in die Zukunft zu planen. Hingegen sind ohne<br />
Grenzen weder Individualität noch Identität möglich, die Ausbildung von<br />
Autonomie und Eigenständigkeit wird behindert.<br />
Im Krankenhaus werden die Grenzen der Patienten (gleich ob klein oder<br />
groß) immer wieder überschritten. Ich nehme sogar an, dass dies vielen<br />
Ärzten und Pfl egekräften gar nicht bewusst ist: jede erzwungene Tabletteneinnahme,<br />
jedes Blutabnehmen, jede Spritze ist ein Eingriff in die<br />
Selbstbestimmung und ein Überschreiten der körperlichen Grenzen des<br />
Patienten. Ganz klar: all diese Dinge müssen sein – dennoch plädiere ich<br />
dafür, sich die Grenzen kranker Kinder bewusst zu machen und, wo möglich,<br />
noch stärker darauf Rücksicht zu nehmen.<br />
Gleichzeitig tun sich fast alle Eltern von (lebensbedrohlich) erkrankten Kindern<br />
schwer damit, klare Grenzen zu setzen. Sowohl die eigenen Grenzen<br />
verschwimmen als auch die der Kinder – sie werden in Themenkomplexe<br />
involviert, die sie eigentlich nichts angehen; sie werden mit Entscheidungen<br />
konfrontiert, die sie überfordern. Immer wieder lässt sich beobachten,<br />
dass die Grenzen, die bislang ganz selbstverständlich in der Erziehung<br />
des Kindes galten, ihre Bedeutung verlieren: plötzlich ist alles erlaubt, jeder<br />
Wunsch des Kinder soll erfüllt werden – als Kompensation für all das<br />
Schlimme, das es erleiden muss und wohl auch aus der Angst heraus, das<br />
Kind könne sterben.<br />
Die Folgen sind oft erst viel später ersichtlich, weit nach der Gesundung<br />
des Kindes: Anpassungsschwierigkeiten in Schule und Familie, der Verlust<br />
des Gefühls für angemessene eigene Grenzen, extreme Grenzsetzungen,<br />
extrem grenzüberschreitendes Verhalten aber auch Ängste und Depressionen<br />
zeigen sich bei vielen Kindern, die eine schwere, lebensbedrohliche<br />
Krankheit überstanden haben.<br />
Einzel-, nachfolgend Gruppenarbeit zu folgenden Fragen:<br />
1. Wie markieren kranke Kinder ihre Grenzen?<br />
2. Kenne ich Kinder, die dies nicht tun? Wie verhalten sie sich?<br />
3. Was sind meine eigenen Grenzen im Umgang mit dem kranken Kind?<br />
4. Wie vertrete ich diese Grenzen? Wie mache ich sie deutlich?<br />
5. Wo fällt es (mir) schwer, Grenzen zu setzen?<br />
Zu 1. Kranke Kinder zeigen ihre Grenzen nonverbal, indem sie Blickkontakt<br />
vermeiden, sich abwenden, sich „verstecken“ (hinter Haaren, verschränkten<br />
Armen, unter der Bettdecke), in Schweigen versinken und keine Reaktion<br />
zeigen, sich schlafend stellen, aus der Situation gehen, wegrennen<br />
oder ablenken. Manche Kinder zeigen sie auch verbal, indem sie sich deutlich<br />
äußern („Lassen Sie mich in Ruhe!“ - „Kann nicht Mathe denken!“)<br />
oder indem sie Beschwerden benennen und damit ihren Rückzug erklären.<br />
Manche fi xieren sich total auf ihre Bezugsperson und lehnen den Kontakt<br />
zu anderen Personen ab.<br />
Zu 2. Kranke Kinder „ohne Grenzen“ wirken oft gleichgültig oder angepasst.<br />
Sie verstecken ihre Gefühle. Manche überschreiten selbst Grenzen<br />
(köperlich oder verbal) indem sie den Körperkontakt zur Lehrerin suchen<br />
oder kumpelhaftes Verhalten an den Tag legen. Ihnen fehlt die gesunde<br />
Distanz. Sie manipulieren, verhalten sich albern oder überdreht, akzeptieren<br />
keine Grenzen, verletzen sich selbst, um überhaupt Grenzen zu spüren<br />
oder verhalten sich passiv und lethargisch. Letztlich suchen auch diese<br />
Kinder Grenzen, provozieren sie sogar.<br />
Zu 3. Die persönlichen Grenzen von Lehrkräften sind sehr unterschiedlich,<br />
zumeist gibt es keinen Unterschied, ob sie mit kranken oder gesunden<br />
Kindern zu tun haben. Eine Besonderheit im Krankenhaus gibt es allerdings:<br />
Immer wieder werden die LehrerInnen der Schulen für Kranke<br />
instrumentalisiert, müssen sie Aufgaben übernehmen, die nicht in ihren<br />
Bereich gehören. Wenn sie etwa gebeten werden, die Tabletteneinnahme<br />
zu überwachen, kann dies das Vertrauensverhältnis zw. LehrerIn und Kind<br />
beschädigen.<br />
I.d.Regel vermeiden Lehrkräfte es, bei med. Untersuchungen anwesend zu<br />
sein aus Respekt vor der Würde des Kindes.<br />
Zu 4. und 5. Meist ist es den Lehrkräften möglich, diese Grenzüberschreitungen<br />
anzusprechen bzw. sich zu wehren. Es gibt auch Situation, in denen<br />
dies schwierig ist (etwa bei einem unangenehm riechenden Kind.) Wenn<br />
es dem Kind sehr schlecht geht, ist es besonders schwierig, Distanz und<br />
eigene Grenzen zu wahren.<br />
Gespräche mit Eltern sind ebenfalls potentiell schwierig: als Vertrauensperson<br />
und „Nicht-Kittel-Träger“ werden Lehrkräfte gern zu Gesprächspartnern,<br />
bei denen Eltern verschiedenste Probleme „abladen“. Der<br />
Verweis auf Sozialpädagogen oder Psychologen im Krankenhaus ist nur<br />
bedingt möglich: noch immer gibt es diese Dienste nicht in allen Kliniken.<br />
Leitlinien zur Interpretation der Kinderzeichnung<br />
Die Anwendung von Kinderzeichnungen in Diagnostik, Beratung,<br />
Förderung unt Therapie<br />
Dr. Christa Seidel<br />
Diplom-Psychologin, Klinische Psychologin BDP<br />
Ein hervorragendes Medium für Diagnostik, Beratung, Förderung und Therapie<br />
sind Zeichnungen. Bildgestützte Kommunikation bietet Lehrkräften<br />
im Krankenhaus die Möglichkeit, insbesondere chronisch oder lebensbedrohlich<br />
erkrankte Schüler besser verstehen zu lernen und einen Zugang<br />
zu ihrem persönlichen Umfeld, zu ihren individuellen Fähigkeiten und Potenzialen<br />
(Ressourcen) aber auch ihren Defi ziten, Bedürfnissen, Wünschen<br />
und Ängsten zu gewinnen. Über die fachkompetent durchgeführte strukturierte<br />
Beobachtung und Interpretation von Zeichnungen lassen sich Entwicklungs-<br />
und Verhaltensprobleme im Ansatz erkennen. Weiterbildung<br />
auf diesem wichtigen Gebiet der qualitativen Entwicklungspsychologie ist<br />
allerdings erforderlich. Projektive Deutungen dürfen nur auf der Grundlage<br />
biographischer und autobiographischer Daten und mit psychotherapeutischer<br />
Fachkompetenz erfolgen! Anhand digitaler Bildreproduktionen und<br />
Poster werden Fallbeispiele erläutert und Schülerzeichnungen der Teilnehmer<br />
des Forums im Hinblick auf erkennbare Entwicklungsmerkmale, Probleme<br />
im Umgang mit der Krankheit (emotionale Traumatisierungen) und<br />
auf Möglichkeiten der pädagogischen Hilfestellung besprochen.<br />
(siehe Website: www.hope<strong>2010</strong>munich.eu)<br />
Saving Minds and Bodies. Health and Education Working Together<br />
Tracy Webster<br />
National Learning Program Manager<br />
Ronald McDonald House Charities - Thornleigh, NSW, AUSTRALIA<br />
Introduction<br />
Improvements in medical science mean more and more children are now<br />
long term survivors of serious illnesses such as cancer, cystic fi brosis and<br />
heart disease. Treatments however, often come at the expense of lengthy<br />
convalescence and missed schooling. Additionally, treatments such as chemotherapy<br />
and cranial radiation can have damaging effects on the brain.<br />
Research indicates approximately 43.8 % of children who have survived a<br />
serious illness and return to school will not cope with the workload.<br />
Methodology<br />
The Ronald McDonald Learning Program (RMLP) minimises the negative<br />
effects of illness and treatment by providing a multidisciplinary approach.<br />
Comprehensive psychometric, academic, speech pathology and occupational<br />
therapy assessment is offered to determine the learning strengths<br />
and needs of each child. From the results of assessment an individual education<br />
plan is developed and implemented by a highly qualifi ed teacher.<br />
Each student is provided with weekly one-on-one sessions. In addition,<br />
speech pathology and occupational therapy sessions are also provided<br />
if required. The RMLP team liaise with the student, their family, the home<br />
school and medical team to ensure the best possible outcomes for each<br />
individual.<br />
The RMLP is provided free to families and funded by Ronald McDonald<br />
House Charities. The RMLP was created in 1998 to address the needs<br />
of many families who were reporting their child’s missed schooling was<br />
having a far greater long term impact than their illness.<br />
The RMLP is available to any student who has had lengthy school absences<br />
due to serious illness.<br />
In order to support home school teachers in meeting the needs of children<br />
with illness in their classroom or returning to their class the RMLP also<br />
provides accredited professional development to schools. The professional<br />
development module named EDMed® provides information about a<br />
range of illnesses such as Cancer, Cystic Fibrosis, Asthma, Burns etc and<br />
includes strategies for parents, teachers and the school community to<br />
better support the student. An EDMed book is available for parents and<br />
teachers. Both the EDMed professional development and EDMed book are<br />
provided free to schools and families.<br />
Results<br />
Research reveals academic gains are not the only benefi t of the Ronald<br />
McDonald Learning Program. Children feel more confi dent and have an<br />
improved self concept. This greater confi dence improves his/her overall<br />
capacity for learning.<br />
Our fi ndings reveal the long term impact of missed schooling and some<br />
treatments manifests learning diffi culties in the area of memory, attention<br />
span, problem solving ability and information processing for these children.<br />
More than 3000 children have been supported by the program since<br />
its inception. Referrals from medical and education professionals mean<br />
the RMLP often has diffi culty keeping up with demand.<br />
Conclusion<br />
The Ronald McDonald Learning Program is providing vital educational support<br />
to children recovering from acute and chronic illness. Without this support<br />
many of these children would fail at school and never reach their full<br />
potential. Providing targeted educational support for a child with serious<br />
illness is vital for improving his/her long term outcomes. Above all it demonstrates<br />
the belief that we are confi dent of his/her future.<br />
1Shui, S. Dr (2005). Healthy Solutions For Children – Making the right choice. Paper presented at the 10th<br />
National Conference Association for the Welfare of Child Health. Sydney Australia.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
52 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
53<br />
2Jenkins. H. Assoc Prof. (2009). An evaluation of the Ronald McDonald Learning Program (RMLP) to determi-<br />
ne its impact on improving the achievement and self-concept of West Australian children who have missed<br />
significant amounts of schooling due to prolonged hospitalisation. School of Education Curtin University of<br />
Technology Perth, Western Australia.<br />
Begleitung von trauernden Klassen<br />
Werner Häcker<br />
Sonderschulkonrektor, a.D., Tübingen<br />
Meine wohl schwierigste Aufgabe als Lehrer in einer Klinikschule war die<br />
Begleitung eines Schülers, für dessen Krankheit es keine Erfolg versprechende<br />
Therapie mehr gibt und der nach menschlichem Ermessen in absehbarer<br />
Zeit sterben wird.<br />
Wenn ich am Anfang einer Erkrankung zu einem Schüler komme, bin ich<br />
Lehrer und damit auch gleichzeitig Hoffnungsträger für die Genesung. Es<br />
entwickelt sich eine Beziehung zu dem Patienten, die durch meine Begleitangebote<br />
verstärkt wird. Und wenn ich dann noch besonderen Wert<br />
auf die Kontakte zur Schulklasse lege, beinhaltet dies für den Patienten:<br />
Der Kliniklehrer will, dass der Kontakt erhalten bleibt und glaubt daran,<br />
dass ich wieder in diese Klasse zurückkehren werde.<br />
In diesem Prozess der Begleitung gibt es Phasen, in denen ich die Hoffnung<br />
auf Heilung mit dem Patienten und der Klasse vorbehaltlos teilen<br />
kann. Der offene und ehrliche Umgang mit der Erkrankung in der Klinik<br />
bewirkt bei vielen Patienten, dass sie diese Offenheit und Ehrlichkeit in<br />
die Klasse hineintragen; so kann auch bei den Heimatschulbesuchen die<br />
Klasse damit konfrontiert werden, dass die Chance für den erkrankten<br />
Mitschüler, wieder gesund zu werden, eher gering ist.<br />
Wenn die Ärzte zu der Überzeugung gelangen, dass alle Behand lungsmöglichkeiten<br />
ausgeschöpft sind, wird dem Patienten und seinen Eltern<br />
dies in einem ausführlichen Gespräch von dem Arzt, der das Vertrauen des<br />
Patienten genießt, mitgeteilt. Dem Patienten wird zugesichert, dass er für<br />
die folgende Zeit sowohl psychosoziale als auch medizinische Unterstützung<br />
erhält. Es wird dafür gesorgt, dass er in der letzten Zeit seines Lebens<br />
wenig Schmerzen hat und auch die Eltern bei den nun anstehenden Fragen<br />
vertraute Gesprächspartner haben.<br />
Es kann auch der Zeitpunkt kommen, an dem ich die Wahrheit über die<br />
geschwundenen Heilungschancen akzeptieren muss. Ich achte dann darauf,<br />
dass ich mein Wissen um das bevorstehende Sterben dem erkrankten<br />
Schüler und der Klasse nicht überstülpe, sondern ich beobachte und tausche<br />
mit den anderen Klinikmitarbeitern aus, wo der Patient gerade steht,<br />
ob er Ängste zulässt oder überspielt, ob er darüber reden will oder nicht,<br />
was er seiner Klasse mitteilen will oder nicht.<br />
Was geschieht nun mit der Klasse und den Lehrern? Immer wieder kommt<br />
der erkrankte Schüler in Nöte, wie er sich seiner Klasse gegenüber verhalten<br />
soll. Bei ambulanten Besuchen in der Klinik bespreche ich mit dem<br />
Patienten, wie der Kontakt zu der Klasse weitergehen kann. Einerseits will<br />
er nicht bemitleidet werden, andererseits spürt er meistens, dass er gerade<br />
jetzt einen guten Kontakt zu seinen besten Freunden braucht. Ich<br />
ermutige die Klassenlehrerin, mit der Klasse ein Gespräch zu führen, damit<br />
die Mitschüler eigene Handlungsmöglichkeiten entwickeln können, um<br />
sich zu verabschieden. Wenn wir uns von den Wünschen und Bedürfnissen<br />
unserer Schüler leiten lassen, dann kann das auch heißen, dass einige<br />
auch keinen Kontakt mehr zur Klasse haben möchten. Viele ziehen sich<br />
zurück, wollen nur noch ihre Familie und die engsten Freunde um sich<br />
haben. Dann ist es wichtig, dies den Mitschülern verständlich zu machen<br />
und mit ihnen dennoch eine Form zu finden, wie sie ausdrücken können,<br />
dass sie in Gedanken bei ihrem Mitschüler sind - und einen Raum für ihre<br />
Trauer zu schaffen.<br />
Das Wesentliche ist dabei, dass wir den Weg des Kindes, des Jugendlichen<br />
mitgehen, herausfinden, was es selbst möchte und es dabei unterstützen,<br />
das zu realisieren. Ebenso wichtig ist es, zu verstehen, dass das Wissen<br />
um das baldige Sterben nicht notwendiger Weise zu Verzweiflung führen<br />
muss. Dass vielmehr andere Hoffnungen die Hoffnung auf Heilung ersetzen<br />
oder zu dieser hinzukommen können: die Hoffnung auf einen schönen<br />
heutigen Tag, auf gute Gespräche, Erlebnisse und Begegnungen, auf eine<br />
Zeit mit möglichst wenig Schmerzen, darauf, nicht vergessen zu sein, sondern<br />
im Herzen der Menschen weiter zu leben - und auf ein besseres,<br />
leidfreies Dasein nach dem Tod. Eine solche Anerkennung der „neuen Realität“<br />
schließt nicht aus, dass die Kinder und Jugendlichen dennoch in<br />
einem Teil ihres Wesens irreale Hoffnungen auf ein Weiterleben in sich<br />
tragen und äußern können, und manchmal können wir den Symbolgehalt<br />
solcher Äußerungen erkennen ...<br />
Auch die Frage, was man einem Mitschüler schenken kann, der voraussichtlich<br />
nicht sehr lange leben wird, bewegt die Klasse oder manchmal<br />
auch nur die engsten Freunde:<br />
Fünf Mädchen schenkten einem erkrankten Mitschüler ein gelbes Kopfkissen,<br />
auf das sie ihre Namen schrieben.<br />
Zwei Tage nach dem Tod ihres Freundes setzten sich die gleichen Mädchen<br />
mit ihrer ehemaligen Klassenlehrerin zusammen und redeten über<br />
die lange Zeit der Erkrankung und was sie dabei Schönes gemeinsam gemacht<br />
und erlebt hatten. Dabei entstand die Idee, diese gemeinsamen<br />
Erlebnisse stichwortartig aufzuschreiben. Es wurde eine große Sonne aus<br />
gelbem Karton mit dem Namen darauf hergestellt und auf die Strahlen die<br />
Erlebnisse geschrieben. Mit den Eltern des Verstorbenen wurde dann abgesprochen,<br />
dass diese Erlebnisse bei der Beerdigungsfeier in der Kirche<br />
vorgelesen und auf die Sonne geklebt werden sollten.<br />
Bei der Begleitung eines Schülers, bei dem ein Heilungserfolg immer<br />
unwahrscheinlicher wird, durchlaufe ich selbst eine innere Entwicklung:<br />
Phasen des Nichtwahrhabenwollens, des Hoffens auf ein Wunder, aber<br />
schließlich auch eine Akzeptanz des Unvermeidlichen und damit ein Besinnen<br />
darauf, was in der letzten Phase dem Patienten und auch seiner<br />
Klasse angemessen ist.<br />
Eine lange Zeit der Erfahrung als Kliniklehrer war für mich notwendig, bis<br />
ich mir zutraute, mich auf das Sterben eines Kindes oder Jugendlichen einzulassen.<br />
Ich lasse mich von den Bedürfnissen des Schülers leiten, ohne<br />
dabei meine eigene Befindlichkeit außer acht zu lassen. Dabei kommt immer<br />
wieder die eigene Angst vor dem Tod und dem Sterben, und es half<br />
mir, mit meinen Kollegen und Freunden darüber zu reden oder diese Angst<br />
in der Supervision zum Thema zu machen.<br />
Es ist ja eigentlich genug, wenn man eine emotionale Beziehung zu einem<br />
Schüler aufgebaut hat, ihn in seiner letzten Phase seines Lebens zu begleiten<br />
und dann soll ich auch noch für die trauernde Klasse und die Lehrer<br />
sorgen, damit diese sich auch von ihrem Mitschüler gut verabschieden<br />
können. Ich will ehrlich sein, diese Aufgabe war mir manchmal zu viel und<br />
ich hatte gehofft, dass die Lehrer in den Heimatschulen diese Aufgabe<br />
dann übernehmen. Aber leider sind die Lehrer mit einer solchen Begleitung<br />
noch mehr überfordert als ich und häufig passiert kein gelungener<br />
Abschied. Es werden Blumen am Grab abgelegt, es wird geweint, aber es<br />
findet selten ein hilfreiches Gespräch mit den Mitschülern statt.<br />
Im Laufe meiner Arbeit als Kliniklehrer konnte ich aber doch einige Male<br />
die verwaisten Klassen und Lehrer so begleiten, dass ich anschließend<br />
das Gefühl hatte: Das war Hilfe für die Mitschüler und Lehrer, ich konnte<br />
ihnen helfen, ihre Trauer zu zeigen und konnte sie dabei unterstützen, den<br />
Verlust ihres Mitschülers anzunehmen.<br />
Wie kann eine solche Begleitung nun gestaltet werden:<br />
Ein Beispiel:<br />
Emin, ein 10jähriger, an Neuroblastom erkrankter Junge, wusste seit kurzem,<br />
dass er nicht mehr geheilt werden konnte. Er rief mich von zu Hause<br />
an und sagte, dass er unbedingt noch mit seiner Klasse einen Besuch in<br />
der Klinik machen wolle. »Ich möchte ihnen die Station H zeigen, das Häma-Labor,<br />
die Werkstatt, das Nähzimmer, das Schulzimmer, halt alles!« Es<br />
war Mittwoch, und am Freitag, dem letzten Schultag vor den Herbstferien,<br />
wollte er den Besuch machen. Ob es nicht auch nach den Herbstferien<br />
möglich sei. »Nein, das geht nicht!« war seine lapidare Antwort. Mit Telefonaten,<br />
Fax und außerordentlich engagierten Kollegen der Heimatschule<br />
wurde der Besuch dann doch am letzten Schultag ermöglicht. Die Ärzte<br />
in der Klinik untersuchten die 24 Zehnjährigen auf mögliche Infekte im<br />
Klinikgarten.<br />
Klinikmitarbeiterinnen begleiteten die Schüler in drei Gruppen durch die<br />
Klinik. Im Untersuchungszimmer machte Emin vor, wie sterile Handschuhe<br />
angelegt werden und wie die Katheterpflege durchgeführt wird. Den Abschluss<br />
des Besuchs bildete ein Sitzkreis im Schulzimmer, wir sprachen<br />
miteinander und ich las die Geschichte eines 10-jährigen Mädchens vor,<br />
das einige Jahre vor Emin gestorben war: Es ist die Fantasiegeschichte<br />
eines Engels, den sie von einer Freundin geschenkt bekommen und an die<br />
Wand ihrer „Life Island“ gehängt hatte. Mit ihm fliegt sie in den Himmel hinauf,<br />
badet dort, befreit von Katheter und Magensonde, in einem „himmlischen“<br />
Schwimmbad, spielt mit den Engeln im Wasser und rutscht schließlich<br />
direkt zurück in ihr Bett auf der Knochenmarktransplantationsstation.<br />
Ich sicherte der Klasse zu, dass wir uns wieder sehen würden und wir<br />
dann auch miteinander reden würden. Von zwei vorausgehenden Heimatschulbesuchen<br />
wussten die Schüler von der Schwere der Erkrankung und<br />
ahnten, dass Emin bald sterben würde. Alle spürten, dass jetzt das Erlebnis<br />
mit Emin in der Klinik und nicht ihre Fragen nach Sterben und Tod im<br />
Vordergrund standen.<br />
Als ich abends bei Emin zu Hause anrief und fragte, wie ihm denn der Vormittag<br />
mit der Klasse in der Klinik gefallen hatte, antwortete er: »Super!«<br />
Ich lobte ihn, dass er die sterilen Handschuhe so perfekt angezogen hätte.<br />
»Ja«, meinte er, »vielleicht werde ich später Arzt!« Ich spürte bei Emin eine<br />
unerklärbare Hoffnung, ein Traumbild mit sehr realen Zügen, so dass ich<br />
ihm seine Hoffnung lassen konnte. Seine Klasse hat später von ähnlichen<br />
Träumen Emins erzählt.<br />
Eine Woche später starb Emin in Kroatien, wohin er noch unbedingt fahren<br />
wollte. Mit der Klasse gestaltete ich nach den Ferien einen Vormittag in der<br />
Schule. Ich zeigte Dias vom Klinikbesuch, wir erzählten von unseren gemeinsamen<br />
Erlebnissen und jedes Kind schrieb einen Brief an Emin.<br />
Zwei Ausschnitte aus diesen Briefen:<br />
Lieber Emin!<br />
Ich vermisse Dich sehr. Ich habe Dir gesagt, dass ich und Timo mit Dir ein<br />
Picknick machen. Aber es geht ja nicht. Du warst mein bester Freund und<br />
das bleibst Du auch in meinem Herzen, obwohl ich Dich nicht sehen kann.<br />
Ich hoffe, es geht Dir gut. Ich hoffe, Du liest den Brief. So, jetzt male ich<br />
Dir ein Bild, ich hoffe, es gefällt Dir:<br />
Emin als Torwart<br />
Georg<br />
Lieber Emin!<br />
War das schlimm, als Du sterben musstest? Wie war das, als Du Deinem<br />
Papa angerufen hast? Hast Du da gewußt, dass Du sterben musst. Wie ist<br />
das gewesen, als Du in Jugoslawien warst? Wie ist das im Himmel bei Gott<br />
(Allah)? Wie war das für Dich, als die Klasse zu Dir nach Tübingen kam? …<br />
Herr Häcker war so lieb und hat jedem ein Foto von Dir geschenkt. Das<br />
bewahre ich jetzt für immer und ewig auf. Ich hoffe, wenn ich einmal auch<br />
sterben muss, begegnen wir uns im Himmel.<br />
Viele Grüße von Maria<br />
Ich spürte bei mir deutlich Erleichterung, und ich war froh, dass diese Begleitung<br />
so gut gegangen war, dass ich sowohl Emin in der letzten Zeit<br />
seines Lebens als auch seinen Mitschülern in ihrem Abschied von ihm<br />
hilfreich zur Seite stehen konnte. Dies ermutigt mich auch, mich wieder<br />
auf eine solch intensive Begleitung einzulassen. Nach der Trauer und dem<br />
Schmerz um Emin gelang es mir, mir wieder bewusst zu machen: Es ist<br />
nicht mein Tod und es ist auch nicht mein Kind. ja, ich bin dankbar, dass<br />
durch die Nähe ein großes gegenseitiges Vertrauen entstanden ist. Eine<br />
solche Begleitung ist auch ein Geschenk, weil ich lernen kann, mit meinem<br />
eigenen Leben und Sterben und mit dem meiner Freunde bewusster<br />
umzugehen.<br />
Was bei einer Begleitung einer trauernden Klasse wichtig ist:<br />
Die trauernde Klasse und ihre Lehrer sollten entweder alleine oder mit Unterstützung<br />
einer erfahrenen Person miteinander ins Gespräch über den<br />
verstorbenen Mitschüler kommen.<br />
Weil aber Sterben und Tod nicht zum „Normalen“ im Leben gehören, sind<br />
einige Dinge zu beachten:<br />
Es gibt im alltäglichen Leben Anknüpfungspunkte, wie mit „Verlust“ umgegangen<br />
wird:<br />
Man erfährt, dass man eine schlechte Klassenarbeit geschrieben hat oder<br />
gar, dass man nicht versetzt wird.<br />
Dass man den Geldbeutel verloren hat.<br />
Dass man aus einem Freundeskreis ausgeschlossen wird.<br />
Dass man eine Absage erhält<br />
Dass der beste Freund in eine andere Schule geht oder gar in eine andere<br />
Stadt zieht.<br />
Dass man krank wird.<br />
Die erfolgreiche Bewältigung solcher „Verluste“ entweder alleine oder mit<br />
Hilfe von Eltern und Freunden macht Mut und steigert die Widerstandsfähigkeit.<br />
Der Tod eines nahen Angehörigen oder eines Freundes gehört nicht zum<br />
„Normalen“.<br />
Alleine kommen Sie damit nicht zurecht. Sie brauchen Signale, dass ihre<br />
Trauer gesehen wird. Sie brauchen Unterstützung und Anteilnahme.<br />
In der Schule besteht die Gefahr, dass man „drüber geht“, dass man etwas<br />
„vorspielt“, dass nicht darüber geredet wird, dass man zum „Normalen“<br />
übergeht.<br />
Die Schüler und Lehrer brauchen die Chance, dass sie drüber reden können.<br />
Schon allein, wenn man sagt, dass einem die Worte fehlen, dass man<br />
nicht weiß, wie man z.B. den Angehörigen begegnen soll, dass man Angst<br />
hat, etwas Falsches zu sagen.<br />
Der Tod eines Familienangehörigen oder eines guten Freundes ist ein<br />
schweres Trauma. Ein Trauma kann den Menschen in eine tiefe Krise stürzen<br />
und geht einher mit einem Verlust an Urvertrauen. Eigene Ängste kommen<br />
hoch: Würden meine Eltern bei meinem Tod um mich trauern?<br />
Also geht es darum, die Sorgen ernst zu nehmen, der Trauer aktiv zu begegnen.<br />
Gemeinsames Trauern und das gemeinsame Initiieren von Trauerritualen<br />
in der Schule unterstützt die Mitschüler und Lehrer positiv bei ihrer zu<br />
leistenden Trauerarbeit.<br />
Man darf auch nicht vergessen, dass z.B. das „Ärztebild“ ins Wanken gerät:<br />
Man geht bei Krankheit zum Arzt und der macht einen gesund, stimmt<br />
offensichtlich nicht mehr.<br />
Kinder trauern auf jeden Fall, egal ob wir es ihnen anmerken oder nicht.<br />
Sie können heftig reagieren oder so tun, als ob nichts gewesen wäre.<br />
Als Klassenlehrer verliert man einen Teil der professionellen Rolle: wirft<br />
Fragen auf und schürt eigene Ängste. Ich bin verunsichert und hilflos wie<br />
die Schüler.<br />
Es gibt zwei gängige Möglichkeiten mit Trauer umzugehen:<br />
1. Trauernde besser nicht ansprechen, weil dadurch alles noch schlimmer<br />
wird.<br />
2. durch meine Impulse kann ich die Betroffenen positiv beeinflussen.<br />
Zusammenfassung<br />
1. Verlässliche Beziehungen:<br />
Trauernde Schüler brauchen verlässliche und tragfähige Beziehungen zu<br />
Erwachsenen. Ein Lehrer der Schule muss bereit und fähig sein in Kontakt<br />
zu bleiben.<br />
2. Informationen sind wichtig.<br />
Sonst entstehen Gerüchte und allzu phantastische Geschichten.<br />
3. Gemeinsame Rituale entwickeln, evtl. mit Medien
54 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
55<br />
Ideen der Schüler im Umgang mit der Trauer aufgreifen, nichts überstülpen.<br />
Fotos mitbringen, Plakat gestalten und aufhängen, Lieblingsgegenstände<br />
oder Lieblingsmusik des Verstorbenen besorgen, Lied von Eric<br />
Clapton: „Tears in heaven“, Kerze und Blumen, gemeinsame Erlebnisse<br />
erzählen oder aufschreiben, Brief schreiben oder Bild malen (entweder ins<br />
Grab geben oder den Eltern als kleines Buch geben). Der Verstorbene kann<br />
auf diese Art „lebendig“ bleiben.<br />
4. Nicht zurückschrecken<br />
Belastendes zulassen, evtl. eigene Schuldgefühle oder andere Meinungen<br />
und Ergebnisse mitteilen. Eigene Gefühle zeigen.<br />
5. Den Schülern etwas zumuten heißt, ihnen etwas zutrauen<br />
das Vertrauen der Erwachsenen stärkt die Schüler. Der belastenden Situation<br />
aus dem Weg gehen, würde heißen, nur Erwachsene wissen, wie man<br />
mit so etwas umgeht.<br />
6. Den verstorbenen Schüler „in der Klasse lassen“<br />
der Stuhl muss noch leer am Platz bleiben, ein Bild von ihm aufhängen,<br />
evtl. ein Kondolenzbuch im Schulhaus an einer zentralen Stelle auflegen,<br />
wo sich auch Mitschüler aus anderen Klassen und Lehrer eintragen können<br />
und dieses dann später den Eltern geben.<br />
7. Eine Sache von Monaten oder Jahren<br />
die Schüler in periodischen Abständen auf das Geschehen ansprechen.<br />
Gelegenheiten sehen und aufgreifen und zum Klassenthema machen. So<br />
ist es leichter als in einer vorher festgelegten Stunde darauf zu sprechen<br />
zu kommen.<br />
8. Die Familie in die Vorgehensweise innerhalb der Schule mit einbeziehen<br />
9. Die ganze Schule ist betroffen<br />
10. Von außen den Lehrern Unterstützung geben<br />
Fazit:<br />
Trauernde Schüler brauchen die Erwachsenen aus ihrer Umgebung.<br />
Unsere eigene Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Tod verleitet<br />
uns, gegenüber den betroffenen Schülern zu schweigen und ihre Situation<br />
nicht anzusprechen.<br />
Der Mut zur Auseinandersetzung mit dem Thema wird belohnt:<br />
Die gemeinschaftlich erlebte Trauer fördert die Auseinandersetzung und<br />
das Entwickeln von neuen Perspektiven, sowohl bei den betroffenen Schülern<br />
als auch bei den Lehrern.<br />
„Der erste Trost, den wir Erwachsenen einem Kind geben können ist: traurig<br />
sein zu dürfen.“<br />
Dieser Workshop basiert auf meiner 25-jährigen Tätigkeit als Kliniklehrer<br />
an der Klinikschule Tübingen, meinen eigenen Erfahrungen im Umgang mit<br />
Verlust und Tod, den Erfahrungen und Manuskripten von Thomas Bäumer<br />
(Förderverein für krebs-kranke Kinder, Tübingen und einer Handreichung<br />
des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport in Baden Württemberg:<br />
Vom Umgang mit Trauer in der Schule. www.ateg-bw.de<br />
Literatur:<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Pfeiffer, Knab, Häcker, Klemm, Böpple:<br />
„Klinik macht Schule“ Attempto -Verlag,<br />
Schroeder, Hiller-Ketterer, Häcker, Klemm, Böpple:<br />
„Liebe Klasse, ich habe Krebs“, Attempto-Verlag<br />
Ralf Schnabel: DVD: „Schulbesuche - Brücken ins Leben“<br />
Klemm, Hebeler, Häcker:<br />
„Tränen im Regenbogen“, Attempto-Verlag<br />
Heidi Häußer-Kost:<br />
Eines Tages… Gedichte und Texte von Simone Häußer<br />
Werner Häcker, Tübingen und München, 04. November <strong>2010</strong><br />
werner.haecker@gmx.de<br />
„Faires Raufen“ – Möglichkeiten der Aggressionsbewältigung<br />
Dörthe Gerber<br />
Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />
Heckscher-Klinik, München<br />
Konflikte und aggressives Verhalten wird es besonders im (Sport-)unterricht<br />
immer wieder geben. Kinder und Jugendliche haben häufig mit ihren<br />
Emotionen und ihrem Krankheitsbild während ihres Klinikaufenthaltes, besonders<br />
im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, innerlich zu kämpfen,<br />
so dass sie durch „Faires Raufen“ Entlastung erfahren können.<br />
So wurde ein Programm entwickelt, das sowohl zur Aggressionsbewältigung<br />
als auch zur Prävention von Aggressionen genutzt werden kann: „In<br />
sechs Schritten zum Fairen Raufen“.<br />
1. Theoretische Grundlagen zur Aggressionsbewältigung<br />
Ursachen für Konflikte können u. a. Langeweile, unkontrollierter Medieneinfluss,<br />
aber auch sozialkulturell bedingte Konflikte sein. Es treten an<br />
allen Schulformen vermehrt Aggressionen, Konflikte und Gewalt auf. Erzieherische<br />
Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang auf Schule und<br />
Schulsport zu, zumal hier Aggressionen noch verstärkt werden können.<br />
Diese können aber auch gezielt abgebaut und bereits in der Entstehung<br />
verhindert werden. Der Bereich der Kooperationsspiele, Bewegungsaufgaben<br />
mit Zweikampfcharakter oder sinnvoll inszenierte Ballspiele im Team<br />
zählen zu diesen präventiven Maßnahmen.<br />
Spielerisches Kämpfen, das „Faire Raufen“, unterscheidet sich maßgeblich<br />
von dem, was Kinder und Jugendliche außerhalb des Unterrichts an gewalttätigen,<br />
aggressiven Auseinandersetzungen zeigen oder erleben. Kinder<br />
und Jugendliche zu einem friedvollen und verantwortungsbewussten Miteinander<br />
zu erziehen, stellt uns häufig vor eine schwierige Aufgabe.<br />
Das regelgeleitete Anbahnen und Ausführen des „Fairen Raufens“ soll Kinder<br />
zu einem lustvollen Bewegen animieren, ihre sozialen Kompetenzen<br />
fördern und gesteuert Aggressionen abbauen. Die unterschiedlichen Erfahrungen<br />
in der körperlichen Begegnung und Auseinandersetzung werden<br />
in spielerischer Form durch Körperkontaktspiele und Kampfformen<br />
erlebt. Faires Raufen kann Aggressionen kompensieren und kanalisieren.<br />
Im Folgenden wird auf drei wichtige Elemente der Aggressionsbewältigung<br />
eingegangen:<br />
Aggressionen abbauen<br />
Angestaute Energie kann gezielt in Bewegung umgeleitet und Wut somit<br />
abgebaut werden. Besonders Spiele auf der Weichbodenmatte dienen zum<br />
gesteuerten Abbau negativer Gefühle. Sicherheitsvorkehrungen sowie<br />
entsprechende pädagogische Vor- und Nachbereitung gehören unabdingbar<br />
zum Aufbau und Ablauf des Trainings dazu.<br />
In sechs Schritten zum Fairen Raufen – <strong>HOPE</strong>-Kongress <strong>Munich</strong> <strong>2010</strong> - doerthe.gerber@schule.heckscher-klinik.de<br />
Aggressionen kanalisieren<br />
Kinder und Jugendliche aller Altersstufen wollen ihre Kräfte messen, dies<br />
gehört zu ihren Grundbedürfnissen und ist auch entwicklungspsychologisch<br />
wichtig. Diesem Bedürfnis kontrolliert Raum zu geben, hat sich durch Spiele<br />
mit Zweikampfcharakter bewährt. „Faires Raufen“ muss jedoch immer unter<br />
strengen Regeln und kleinschrittig angebahnt und ausgeführt werden.<br />
Werte wie Fairness im Zweikampf sowie Respekt und Verantwortung dem<br />
Anderen gegenüber können so vermittelt werden.<br />
Kooperation fördern<br />
Hier finden Spiele Platz, die zur Lösung einer Zielaufgabe das Kooperieren<br />
der beteiligten Schüler nötig macht. Ziel ist hier kooperatives Handeln durch<br />
die Aufgabenstellung zu „provozieren“. Durch die dringend notwendige Kommunikation<br />
zur erfolgreichen Lösung einer Gemeinschaftsaufgabe lernen<br />
die Kinder und Jugendlichen das „Miteinander“ besser zu verstehen.<br />
2. Wichtige Vorüberlegungen<br />
Prinzipiell gilt, dass „Spiele gegeneinander“ und auch Kämpfe eher Kon-<br />
flikte fördern können. Klassen und Lerngruppen weisen auch unterschiedliche<br />
soziale Strukturen auf. Schon in der Vorbereitung muss die Lehrkraft<br />
das soziale Gefüge der Klasse/Lerngruppe im Auge behalten und die Inhalte<br />
und Organisationsformen darauf abstimmen.<br />
Regeln sollten mit den Kindern und Jugendlichen zusammen erarbeitet<br />
werden, damit sie diese als die ihrigen ansehen. Genauso klar muss das<br />
Procedere bei Regelverstößen festgelegt werden.<br />
3. Das Programm: „In sechs Schritten zum Fairen Raufen“<br />
Das Programm wurde kleinschrittig aufgebaut, so dass Kinder und Jugendliche<br />
langsam an die Thematik herangeführt werden und sie so soziale<br />
Kompetenzen aufbauen können.<br />
Folgende sechs Schritte finden Anwendung:<br />
1. Bewegungsfreude entwickeln<br />
Eine lustvolle Animation zur Bewegung ist Ziel dieses ersten Schrittes.<br />
2. Körperkontakt aufnehmen und akzeptieren<br />
Körperkontaktspiele sind Fang- und Geschicklichkeitsspiele, bei denen die<br />
Kinder und Jugendlichen einen ersten Kontakt zum Körper des anderen<br />
aufnehmen. Hier ist Kooperation gefragt, es besteht noch kein Wettkampfcharakter.<br />
3. Faires Raufen anbahnen<br />
Einfache Zieh- und Schiebekämpfe, bei denen die Kinder und Jugendlichen<br />
ihre Kräfte erstmals spüren, diese lernen zu „dosieren“ und geschickt einzusetzen.<br />
4. Faires Raufen erproben<br />
Ein erstes Erproben der Kraftdosierung erfolgt. Hiermit verbunden sind<br />
erste Erfahrungen von Sieg und Niederlage durch Krafteinsatz in einem<br />
„Schonraum“.<br />
4.1 Faires Raufen im Stand<br />
Als Vorstufe wird das Faire Raufen im Stand erprobt. Der Wettkampfcharakter<br />
ist hierbei noch nicht gegeben, da das Ziel des Kampfes ist, den<br />
Gegner zu Boden zu bringen.<br />
4.2 Faires Raufen um Gegenstände<br />
Als Übergang zur direkten Auseinandersetzung mit einem Partner sind<br />
Kämpfe mit Gegenständen anzusehen.<br />
5. Faires Raufen<br />
Der zentrale Inhalt der Unterrichtsreihe ist der eigentliche Kampf.<br />
5.1 Grußformel<br />
Respekt und Wertschätzung sind von zentraler Bedeutung, die durch gemeinsam<br />
erlerntes Begrüßen und Verabschieden erfahren werden.<br />
5.2 Fallschule<br />
Gelerntes Fallen beugt Verletzungen vor.<br />
5.3 Der Kampf<br />
Hier steht die körperliche Auseinandersetzung nach Regeln mit einem<br />
Partner im Mittelpunkt.<br />
6. Ausklang und Entspannung<br />
Spiele zum Ausklang dienen dem Spannungsabbau. Eine abschließende<br />
Entspannungsphase lässt die Kinder und Jugendlichen zur Ruhe kommen.<br />
Im Rahmen des Projektes „Faires Raufen“ wurde ein dokumentarischer<br />
Film erstellt. Kinder der Jahrgangsstufen 1-4, die während ihres Klinikaufenthaltes<br />
im Heckscher-Klinikum München, Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />
beschult wurden, nahmen hieran von Mai bis Juli <strong>2010</strong> teil. Ziel es Projektes<br />
war es, Grundlagen für die Entwicklung sozialer Kompetenz im (Sport-)<br />
unterricht zu schaffen. Der hier entstandene Film in Zusammenarbeit mit<br />
meiner Kollegin Annette Göbel und dem Medienberater Klaus Hagenberger<br />
diente der Einführung in das Thema unseres Workshops.<br />
Um dem internationalen Teilnehmerkreis das sechs-schrittige Programme<br />
näher zu bringen, wurden vereinzelt Übungen aus den oben genannten<br />
Bereichen durchgeführt. Sehr erfreulich war die aktive Teilnahme und das<br />
sofortige Sich auf das Thema einlassen der Workshopbesucher. Der tatsächliche<br />
„Kampf“ wurde nicht durchgeführt. Zur Demonstration wurde<br />
dieser jedoch ausführlich im oben beschriebenen Film gezeigt.<br />
Das erhaltene Feedback war sehr erfreulich. Der kleinschrittige und praxisnahe<br />
Aufbau wurde interessiert und begeistert aufgenommen. Resonanz<br />
der Workshopteilnehmer zum Workshop „Faires Raufen – Möglichkeiten<br />
des Aggressionsabbaus“ war, dass sie dieses in ihrem Schulalltag<br />
ausprobieren und etablieren möchten.<br />
Musikalische Interaktionsspiele im Gruppenunterricht<br />
Gudrun Diallo<br />
Gymnasiallehrerin Schule für Kranke, München<br />
Als Lehrerin der Schule für Kranke bin ich auch als Stationslehrerin im<br />
Krankenhaus Rechts der Isar, München, tätig und an dem Projekt ‚Schulverweigerung<br />
–Schulabsentismus‘ der Abteilung Kinder- und Jugendpsychotherapie<br />
beteiligt. In der dazugehörigen Tagesklinik, d.h. die Jugendlichen<br />
leben zuhause, kommen morgens und gehen um 16. 30 Uhr, werden<br />
Jugendliche aufgenommen, die nicht mehr zur Schule gehen. Sie sind psychisch<br />
belastet, aber nicht so stark, dass sie einen stationären Aufenthalt<br />
benötigen, wobei da die Grenzen auch manchmal fließend sind. Wir haben<br />
zum einen Jugendliche mit somatoformen Störungen, d.h. z.B. Kopfweh,<br />
Bauchweh, Schwindel, etc. , Symptome, die nicht organisch begründet<br />
sind. Manche sind durch Erlebnisse traumatisiert, bei anderen zeigt sich<br />
eine neurotische Entwicklung, z.B. weil sie überbehütet sind oder zu wenig<br />
Aufmerksamkeit bekommen.<br />
Unser Rhythmusspiel zu Beginn des Workshops ist ein Negativbeispiel<br />
für meine Arbeit mit diesen Jugendlichen, die aus den unterschiedlichsten<br />
Gründen nicht mehr in die Schule gehen. Allen gemeinsam ist, dass<br />
sie in der Regel nicht die Motivation und die notwendigen Kompetenzen<br />
(Konzentration, Geduld, Frustrationstoleranz, etc.) besitzen, um Freude an<br />
etwas komplexeren Rhythmusspielen zu entwickeln, wie das, was wir hier<br />
gemeinsam durchgeführt haben.<br />
Ein Konzept für eine musikalische Förderung muss daher den Prinzipien<br />
der Krankhauspädagogik (Störungen haben Vorrang, Cohn 1989) und einer<br />
Beziehungsaufnahme getragen von Empathie und Akzeptanz entsprechen<br />
und evtl. Beeinträchtigungen im motorischen, sensorischen, emotionalen<br />
und sozialen Bereich berücksichtigen.<br />
Die Zielsetzung der musikalischen Interaktionsspiele umfasst die Förderung<br />
von<br />
• Wahrnehmungs- und Hörfähigkeit<br />
• Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit (emotionale Entwicklung)<br />
• Fähigkeit zum gemeinsamen Musizieren (soziale Entwicklung)<br />
• Fantasie und Ausdrucksfähigkeit (Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit)<br />
• Konzentration, Geduld, Ausdauer<br />
• des Erlebens von Anspannung und Entspannung<br />
• Selbstwertgefühl und Ich-Stärke<br />
• lustvollem Spiel<br />
Das gemeinsame Musizieren ist erlebnisorientiert und kein Musikunterricht!<br />
Organisatorische Rahmen:<br />
Stühle ohne Armlehnen (am besten Hocker), Stuhlkreis, Instrumente, die<br />
keine Vorkenntnisse erfordern, u.U. Haushaltsgegenstände als Instrumente<br />
verwenden<br />
Chaos Struktur<br />
• möglichst viel Freiheit lassen, mit den Instrumenten kreativ umzugehen<br />
-> Spielideen spontan aufgreifen und strukturieren<br />
• mit dem Angebot einer Struktur Schutz vor dem Chaos geben<br />
-> direktiver Eingriff, wenn Schüler nicht selbst strukturieren können<br />
• Freiheit lassen, Spielregeln immer wieder neu zu erfinden und zu verändern,<br />
auszuprobieren<br />
Kreativität entsteht nur im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Begrenzung<br />
(Friedmann)
56 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
57<br />
3 Phasen des gemeinsamen musikalischen Spiels:<br />
1. Kontaktaufnahme zu seinem Instrument<br />
2. Kontaktaufnahme über das Instrument zu den anderen Spielern<br />
3. Gemeinsames Spiel<br />
Regeln:<br />
• Solange gesprochen wird, darf nicht musiziert werden.<br />
• Es wird erst wieder gesprochen, wenn die Musik verklungen ist.<br />
• Jeder bestimmt Spielbeginn und Spielende selbst.<br />
• Es gibt keine Musik ohne Pausen!<br />
• Jeder spielt nur so laut, dass er das leiseste Instrument noch hören kann.<br />
Musikalische Rituale:<br />
Beginn, Einstieg in die Arbeit, Abschluss des Vormittags, Begrüßung von<br />
neuen Jugendlichen, Abschied<br />
Musikalische Auszeit:<br />
wenn der Kopf raucht, nach frustrierenden Erlebnissen, zur Belohnung<br />
Literatur:<br />
Musik und Pädagogik:<br />
• Amrhein, Franz (Hg.): Handreichungen Sonderschule. Musik: Lernfeld Singen, Fuldatal/Kassel 1980.<br />
• Amrhein, Franz: Die musikalische Realität des Sonderschülers. Situation und Perspektiven des Musikunterrichts<br />
an der Schule für Lernbehinderte. Regensburg (1983).<br />
• Amrhein, Franz: Bewegungs-, Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsförderung mit Musik. In:<br />
Zeitschrift für Heilpädagogik (9) 1993, S. 571–589.<br />
• Amrhein, Franz/Bieker, Margret: Lernen mit den Sinnen. Aspekte von Theorie und Praxis ästhetischer<br />
Erziehung im Sonderpädagogikstudium am Beispiel Musik. In: Probst, Holger (Hg.): Mit Behinderungen<br />
muss gerechnet werden – Der Marburger Beitrag zur lernprozessorientierten Diagnostik, Beratung und<br />
Förderung, Oberbiel (1999).<br />
• Amrhein, Franz: Musik und Bewegung. In: Hartogh, Theo/Wickel, Hans Hermann (Hg.): Handbuch Musik in<br />
der Sozialen Arbeit, Weinheim (2004).<br />
• Friedemann, L.: Kreativität zwischen Freiheit und Begrenzung. In: Musik und Medizin (1980), Heft 7 (31-32).<br />
• Krebber-Steinberger, Eva: „Mit meinen Ohren“. Musikhören im Gemeinsamen Unterricht unter dem Aspekt<br />
heterogener Zugangsweisen zu Musik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik (2) (2003), S. 76-83.<br />
• Tischler, Björn: Musik aktiv gestalten. Ideen für die pädagogische, sonderpädagogische und therapeutisch<br />
orientierte Praxis. Frankfurt (1994).<br />
Krankenpädagogik und Interaktion:<br />
• Cohn, R.C.: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Klett-Cotta, Stuttgart (19804).<br />
• Leber, A.: Heilpädagogik. In: Eyfarth, H., Otto, H.-U., Thiersch, H. (Hrsg.), Handbuch zur Sozialarbeit, Sozialpädgogik<br />
(475—486). Luchterhand, Neuwied, Darmstadt (1984).<br />
Musikalische Interaktionsspiele:<br />
• Friedemann, L.: Trommeln –Tanzen – Tönen, Wien (1983).<br />
Für Nicht-Kranke Kinder und Jugendliche:<br />
• T. Klee: Rhythmus kreativ, Mühlheim an der Ruhr (2008).<br />
• J. Terhag: Warmups, Berlin (2009)<br />
Schulische Reintegration onkologisch erkrankter Kinder<br />
Heimatschulbesuche mit Ärztin<br />
PD Dr. Dr. Irene Teichert von Lüttichau<br />
Oberärztin der Kinderonkologie, Klinikum Schwabing, München<br />
Dr. Barbara Kreutzer<br />
Kinderärztin<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Beate Winkler<br />
Lehrerin Schule für Kranke, München<br />
Seit Oktober 2007 besteht das Projekt „Schulische Reintegration von<br />
krebskranken Kindern“ in der Kinderonkologie des Klinikums München<br />
Schwabing mit dem Ziel die Eingliederung der betroffenen kindlichen und<br />
jugendlichen Patienten in ihrem schulischen Umfeld zu erleichtern. Eine<br />
Lehrerin der Staatlichen Schule für Kranke und eine Kinderärztin besuchen<br />
die Heimatklassen der Patienten, um die Mitschüler und Lehrer über<br />
die Erkrankung aufzuklären, Vorurteile auszuräumen, Ängste aufzugreifen<br />
und zu helfen, den Kontakt zum erkrankten Mitschüler zu halten. Die ge-<br />
lungene Integration in das schulische und soziale Umfeld ist entscheidend<br />
für die weitere berufl iche und psychosoziale Entwicklung der Patienten.<br />
Die Besonderheit dieses Projekts liegt in der Begleitung durch eine Ärztin,<br />
die das medizinische Umfeld aus eigener Tätigkeit in der Kinderonkologie<br />
gut kennt, dadurch Authentizität, fachliche Kompetenz und auch die<br />
Autorität des weißen Kittels mitbringt. Gerade im Zeitalter der modernen<br />
Medien werden wir häufi g mit sehr detaillierten medizinischen Fragen,<br />
Zahlen und Fakten<br />
aber auch gravierenden Fehleinschätzungen und Irrtümern konfrontiert.<br />
Erst die Kombination aus Pädagogik und Medizin ermöglicht eine fundierte<br />
altersgemäße Aufklärung und kompetente Information über die jeweilige<br />
Erkrankung.<br />
5 Jahres Überlebensraten von ca. 30%<br />
Anfang der 60er Jahre auf >81% in 2004<br />
gestiegen<br />
Zahlen und Fakten<br />
5 Jahres Überlebensraten von ca. 30%<br />
Anfang der 60er Jahre auf >81% in 2004<br />
gestiegen<br />
Sterben<br />
Überleben<br />
2009<br />
Bis 60er Jahre<br />
Wir müssen erreichen,<br />
dass die Lebensqualität<br />
der Überlebenden<br />
optimiert wird<br />
• 1.800 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland<br />
• Bei Jedem 500. Kind wird bis zum 15. Geburtstag eine Krebserkrank ung<br />
diagnostiziert<br />
• In Schwabing ca. 60-80 Neuerkrankungen aller Alterstufen<br />
• In den USA ca. 250.000 Überlebende einer onkologischen Erkrankung<br />
im Kindesalter in Deutschland 30.000<br />
• Nach Projektionsrechnungen wird in <strong>2010</strong> jeder 250. junge Erwachsene<br />
zw. 15 und 45 J ein Überlebender einer onkologischen Erkrankung im<br />
Kindesalter sein<br />
Psychosoziale Situation des Kindes<br />
• Kind oder Jugendlicher wird abrupt herausgerissen aus seinem sozialen<br />
Umfeld—Familie--Schule<br />
• Sensibelste Lebensphase-Ablösung vom Elternhaus-Pubertät-peer<br />
pressure-Defi nition der eigenen Persöhnlichkeit durch Abgrenzung<br />
• Plötzliche Konfrontation mit:<br />
• Krankheit, Schmerzen, Angst<br />
• Tod<br />
• Entstellung und Verstümmelung<br />
• sozialer Isolation<br />
• Angst vor schulischem und berufl ichen Versagen<br />
• ANGST WUT HASS VE<strong>RZ</strong>WEIFLUNG OHNMACHT RESIGNATION<br />
• Verlust der Zukunftsperspektive<br />
Patient und Umfeld<br />
Patient und Umfeld<br />
Freunde<br />
Heimat-<br />
schule<br />
Schule für Kranke<br />
Heimatschulbesuche<br />
Arzt<br />
Familie<br />
Patient<br />
Pflege<br />
Ärzte<br />
Psych-<br />
sozteam<br />
• Schule als Bindeglied zwischen<br />
Krankenhaus und normalem Leben<br />
Diagnose Krebs<br />
Schnur zum normalen Leben<br />
• Schule als Bindeglied zwischen Krankenhaus und normalem Leben<br />
Projekt Heimatschulbesuche<br />
• 1 Lehrerin und 1 Ärztin, damit sowohl der medizinische Teil als auch der<br />
4<br />
pädagogische Teil abgedeckt sind<br />
• Unser Behandlungsauftrag endet nicht mit der Applikation der letzten<br />
Chemotherapie<br />
• Außer Tübingen einziges Konzept dieser Art mit Kombination Arzt/Lehrkraft<br />
in Deutschland<br />
1<br />
• Besuche zu Beginn der Erkrankung und am Ende der Therapie (Ziel, aber<br />
noch nicht genügend Ressourcen)<br />
• Finanzierung der Ärztin nur durch Spendengelder<br />
Ziel<br />
• Kontakt zwischen Patient Krankenhaus und Heimatschule<br />
• Information über Krebserkrankungen durch altersentsprechende Aufklärung<br />
• Abbau von Ängsten und Vorurteilen bei Schülern, Eltern und Lehrern<br />
• Abbau von Berührungsängsten im Umgang mit Krankheit und Patient<br />
• Vermeidung von Isolation des Patienten durch Unsicherheit, Ignoranz<br />
und Entfremdung „Öffnung des Krankenhauses“<br />
• Reibungslose Rückkehr in die alte Klassengemeinschaft<br />
• Erziehungsauftrag zur Integration von Krankheit und Sterben in den Alltag<br />
der Gesellschaft<br />
Non scholae sed vitae discimus.<br />
Wir glauben an das Leben der Kinder!<br />
Patient<br />
Heimatschulbesuch<br />
Mitschüler<br />
Lehrer<br />
Warum HSB mit Arzt?<br />
• Authentizität<br />
• Praktische Erfahrung durch klinische Tätigkeit in der Kinderonkologie<br />
• Fachliche Kompetenz<br />
• Autorität des weißen Kittels<br />
Zentrale Fragen der Mitschüler<br />
• Was ist das für eine Krankheit? Welche Art von Krebs?<br />
• Woher kommt die Krankheit?<br />
• Ist die Krankheit ansteckend?<br />
• Wird xxx wieder gesund? Muß xxx sterben?<br />
• Kann ich selber krank werden?<br />
Zentrale Aussagen<br />
• Krebs bei Kindern ist sehr selten.<br />
• Krebs bei Kinder ist besser zu behandeln als bei Erwachsenen. Die Überlebenschancen<br />
sind viel besser als bei Erwachsenen.<br />
• Krebs ist nicht ansteckend<br />
• Keiner hat Schuld an der Erkrankung, niemand hat etwas falsch gemacht.<br />
Wann ist ein Heimatschulbesuch notwendig?<br />
1. Heimatschulbesuch am Anfang in der akuten Phase<br />
2. Heimatschulbesuch am ersten Schultag des Patienten nach Ende der<br />
Therapie<br />
3. Heimatschulbesuch Evtl. bei Palliativbehandlung oder nach dem Tod<br />
Praktische Ausführung<br />
• Aufbau einer Struktur, die die Reintegration Patienten in ihrem schulischen<br />
Umfeld erleichtert.<br />
• Aufklärung und Information von Mitschülern und Lehrern, Abbau von<br />
7<br />
Ängsten, Kontakt zum Patienten halten<br />
• Begleitung der Kinder in die Schule<br />
Heimatschulbesuche - Mitschüler<br />
• Erziehung zu sozialer Kompetenz<br />
• Abbau von Ängsten und Vorurteilen<br />
- Reduktion von Stigma und Ausgrenzung<br />
• Offenheit und Verständnis im zwischenmenschlichen Umgang erwerben<br />
durch<br />
• sachliche Information über Körperfunktionen und Krankheit<br />
• Sensibilisierung für somatische und psychische Auswirkungen von<br />
Krankheit<br />
Durchführung – die Krankheit des Mitschülers<br />
• Anamnese<br />
• Diagnostik<br />
• Diagnose<br />
• Therapie<br />
• Nebenwirkungen<br />
• Nachuntersuchungen<br />
• ???Prognose<br />
Durchführung – die Fragen der Klasse<br />
• zur Krankheit<br />
• zur Ursache<br />
• zu Therapie/Krankenhaus<br />
• zur Prognose<br />
• zur MitschülerIn<br />
• zur eigenen Gesundheit<br />
• zur Schule im Krankenhaus<br />
Altersspezifi sche Module 1<br />
Grundschule:<br />
• Alltag im Krankenhaus<br />
• krank sein/handicap verstehen<br />
• Körperwahrnehmung, -verständnis<br />
• Kontakt halten<br />
Altersspezifi sche Module 2<br />
Mittelstufe: mind maps
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
58 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
59<br />
• Freundschaft, peer group<br />
• was macht die Person/den Menschen aus<br />
• Selbstbestimmung/auf Hilfe angeweisen sein<br />
• neue Medien: öffentlich machen vs. Intimsphäre<br />
Altersspezifi sche Module 3<br />
Oberstufe: abstrakte Themen<br />
• medizinisch wissenschaftlich: neue Therapien<br />
• Prävention und Vorsorge<br />
• Schulabschluss - Wert in der Gesellschaft, Zukunftsperspektiven<br />
Elektronenmikroskopie von Immunzellen<br />
Beratung der Lehrer<br />
• Erstellen eines individuellen Hilfeplans über situationsspezifi sche Anpassung<br />
der schulischen Anforderungen<br />
• Nachteilsausgleich, Benotung, Zeugniserstellung, Schullaufbahnwechsel<br />
Ermittlung der Auswirkungen des HSB<br />
Rückmeldung der Mitschüler, der Lehrer, der Patienten und der Eltern<br />
„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“<br />
Birgit Laurinck<br />
Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der Heckscher-Klinik<br />
Angela Ettenreich-Koschinsky<br />
2. Sonderschulkonrektorin, Bayerische Landesschule für<br />
Körperbehinderte, München<br />
Dr. Ulrich Rüth<br />
Oberarzt, Kinder- und Jugendpsychatrie Heckscher-Klinikum München<br />
Anhand praktischer Fallbeispiele aus dem schulischen Alltag wurde die<br />
Notwendigkeit der Vernetzung zwischen Schule, Psychiatrie/Kinder-<br />
Jugend-Psychiatrie und Fachdiensten aufgezeigt, um Kindern psychisch<br />
kranker Eltern maßgebliche Hilfestellung leisten zu können.<br />
Bereits in der Vorbereitungsphase des <strong>HOPE</strong>-Kongresses zeigte sich anhand<br />
der Anzahl der Anmeldungen ein großes Interesse an der Thematik<br />
„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“. Die Teilnehmerzahl wur-<br />
de jedoch auf maximal 40 Personen begrenzt, damit der Charakter eines<br />
Workshops gewahrt werden konnte.<br />
Nach den Begrüßungsworten von Herrn Dr. Ulrich Rüth, Oberarzt in der<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie Heckscher-Klinik München, folgte eine kurze<br />
Vorstellung der Referenten und ihrer Tätigkeits- und Einsatzbereiche.<br />
Um eine optimale Passung der Workshopinhalte an die Erwartungen der<br />
Teilnehmer zu ermöglichen, erfolgte eine Kurzabfrage der Vorkenntnisse<br />
sowie persönlicher Erfahrungen zum angebotenen Thema.<br />
Der Workshop gliederte sich in drei Hauptteile:<br />
Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse (ca.15 Minuten)<br />
Arbeitsteilige Gruppenaktivität zu den Kerninhalten (ca. 60 Minuten)<br />
Diskussion, Ergebnisse, Ausblick (ca. 15 Minuten)<br />
Zu 1) Zu Beginn des Workshops lag der Fokus auf der Darstellung wichtiger<br />
Forschungsergebnisse. Im Rahmen einer Power Point Präsentation<br />
wurden die häufi gsten psychischen Erkrankungen der Eltern, die Epidemiologie<br />
sowie bedeutende Risiko- bzw. protektive Faktoren beim Kind<br />
präsentiert. Die Lebenswirklichkeit von Kindern psychisch kranker Eltern<br />
wurde in ihrer Vielfältigkeit skizziert: Anhand eines Videos, in dem eine<br />
depressive Mutter über die Realität ihrer minderjährigen Tochter refl ektiert,<br />
sowie anhand eines Rundfunkbeitrags, in dem eine Mutter mit einer<br />
Borderline-Störung sowie eine Tochter mit depressiver Mutter und Alkoholabhängigem<br />
Vater ihre Familienrealität sachlich beschreiben, wurden die<br />
Lebensumstände der betroffenen Kinder und Jugendlichen eindrücklich<br />
dargestellt:<br />
Kinder und Jugendliche, deren Eltern psychische Erkrankungen aufweisen,<br />
sind einer übermäßigen Belastung ausgesetzt. Bis in die 90er-Jahre beschäftigte<br />
sich die Psychiatrie ausschließlich mit den betroffenen Erwachsenen,<br />
deren Kinder blieben weitgehend unbeachtet. Mittlerweile ist sich<br />
die Fachwelt der Notwendigkeit bewusst, dass die betroffenen Kinder und<br />
Jugendlichen ebenso im Fokus der Aufmerksamkeit stehen müssen. Die<br />
elterliche Erkrankung stört das gesamte System Familie und die daraus<br />
resultierenden Belastungs- und Stressfaktoren können die kindliche Entwicklung<br />
erheblich erschweren. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen,<br />
dass allein in Deutschland ca. eine halbe Million Kinder einen oder<br />
zwei psychisch erkrankte Elternteile haben (Beeck, Katja, Netz und Boden<br />
- Unterstützung für Kinder psychisch kranker Eltern, 2004, zit. nach:<br />
v. Holst/Kaulke-Niermann, S.3). Auf die Schule übertragen bedeutet das:<br />
Jedes dreißigste Kind hat einen psychisch kranken Elternteil, dementsprechend<br />
sitzt beinahe in jeder Schulklasse ein betroffenes Kind - Tendenz<br />
steigend. Die Relevanz des Themas ist demnach enorm.<br />
Aufgrund der herausgearbeiteten Bedeutsamkeit des Themas für die Schule<br />
und des pädagogischen Anspruchs, den Kindern und Jugendlichen in ihrer<br />
besonderen Lebenswirklichkeit gerecht zu werden, wurden wesentliche Aspekte<br />
der kindlichen Realität erörtert. Diese ist geprägt durch:<br />
• Desorientierung, Unverständnis, Angst<br />
• Schuldgefühle<br />
• Schamgefühle gegenüber der Peer Group Kommunikationsverbot durch<br />
Tabuisierung<br />
• Soziale Isolation<br />
• Parentifi zierung<br />
• Ablöseproblematik in der Adoleszenz<br />
• Störung des Aufbaus eines verbindlichen Wirklichkeitsbildes<br />
• Verlust der Beziehungssicherheit<br />
• Aufbau eines negativen oder instabilen Selbstkonzeptes Verlust des<br />
Selbstwirksamkeitsvertrauens<br />
• Verlust der Fähigkeit zur Unbeschwertheit und Entspannung<br />
• Störung der Selbstwahrnehmung<br />
Betroffene Kinder und Jugendliche weisen v.a. Schwierigkeiten im emotionalen,<br />
sozialen und kognitiven Bereich auf:<br />
emotionale Schwierigkeiten: z.B. Angst, Schuldgefühle, Depression, Loyalitätskonfl<br />
ikte, Wut, Ärger, Enttäuschung<br />
soziale Schwierigkeiten: z.B. Verhaltensauffälligkeiten, Isolation, geminderte<br />
soziale Kompetenz …<br />
kognitive Schwierigkeiten: Schulschwierigkeiten, Lernprobleme, Konzentrationsprobleme.<br />
Daneben sind protektive Faktoren, welche ein Kind vor negativen Folgewirkungen<br />
einer psychiatrischen Erkrankung der Eltern schützen können,<br />
zu beachten. Wesentliche Schutzfaktoren für das Kind sind:<br />
• Überdurchschnittliche Fähigkeiten zum Krisenmanagement<br />
• Hohes Maß an Selbstständigkeit<br />
• Großes Verantwortungsbewusstsein<br />
• Ausgeprägtes Einfühlungsvermögen in andere Menschen<br />
• Widerstandsfähiges Temperament<br />
• positives Selbstkonzept<br />
• Intelligenz<br />
• Finanzielle Ressourcen<br />
• Psychoedukation<br />
• Mädchen<br />
Das Risiko von Kindern oder Jugendlichen, die ein oder zwei psychisch<br />
kranke Elternteile haben, selbst psychisch zu erkranken (z.B. Schizophrenie,<br />
Neurose, Depression, Persönlichkeitsstörung), ist signifi kant erhöht:<br />
Dieses Risiko des Kindes oder Jugendlichen liegt bei einem erkrankten<br />
Elternteil bei 10-15 %, sind beide Elternteile psychisch krank, so steigt<br />
das Risiko auf 35-50 % (v. Holst/Kaulke-Niermann, S.3). Abgesehen von<br />
genetischen Bedingungsfaktoren spielen jedoch psycho-soziale Belastungen,<br />
z.B. Arbeitslosigkeit, Isolation, Armut, Ehe-/Partnerschaftskonfl ikte,<br />
gestörte Eltern-Kind-Interaktion, fehlende soziale Unterstützung usw. eine<br />
essentielle Rolle dabei, ob ein Kind eine psychische Erkrankung entwickelt<br />
oder nicht. Der Zusammenhang zwischen „nature“ und „nurture“ wurde im<br />
Rahmen der „Vulnerabilitäts-Stress-Hypothese“ erörtert, um der Ätiologie<br />
von psychischen Erkrankungen auf den Grund zu gehen.<br />
Zu 2) In acht arbeitsteiligen Gruppen erarbeiteten die Teilnehmer im zweiten<br />
Teil des Workshops anhand von konkreten Fallbeispielen aktiv spezifi<br />
sche psychiatrische Krankheitsbilder, ihre Symptome und mögliche<br />
Auswirkungen auf das Kind hinsichtlich der Entwicklung und Erziehung.<br />
Ein Arbeitsblatt, auf dem die Kernsymptome eines der unten genannten<br />
Krankheitsbilder (vgl. Anhang) aufgelistet waren, diente hierbei als Struktur<br />
des Arbeitsauftrages.<br />
Exemplarisch wurden folgende psychiatrische Erkrankungen der Eltern<br />
ausgewählt:<br />
a) Depression<br />
b) schizophrene Psychose<br />
c) bipolare Störung<br />
d) Persönlichkeitsstörung (Borderline-Typ)<br />
Im Laufe dieser Gruppenarbeit kristallisierte sich ein intensives Verständnis<br />
für die jeweilige Lebenssituation der betroffenen Kinder, ihrer<br />
Schwierigkeiten und möglichen Verhaltensauffälligkeiten in der Schule<br />
heraus sowie die Erkenntnis der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen<br />
von Seiten der pädagogischen Fachkräfte für das Kind. Durch die<br />
konkrete Auseinandersetzung mit den Symptomen der Krankheitsbilder<br />
konnten gewünschte/wichtige Hilfestellungen für Kinder und Jugendliche<br />
psychisch kranker Eltern fokussiert werden.<br />
Grundsätzlich gilt: Sowohl Eltern- als auch Kind-zentrierte Maßnahmen<br />
stellen einen wichtigen Baustein im Umgang mit Kindern psychisch kranker<br />
Eltern dar.<br />
Wesentliche Aspekte der kindzentrierten Unterstützungsmaßnahmen<br />
sind: die altersadäquaten Informationen der Kinder über die jeweiligen<br />
Krankheitsbilder der Eltern, spezielle Angebote für die betroffenen Familien<br />
in Form von Eltern-/Familientraining und –beratung, die Einbeziehung<br />
der Kinder in die elterliche Behandlung sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit<br />
über psychische Erkrankungen.<br />
Daneben sind Eltern-zentrierte Unterstützungsmaßnahmen zu berücksichtigen:<br />
Es gilt, die stabilen, gesunden, guten Phasen während der Erkrankung<br />
der Elternteile zu Gunsten der Kinder konstruktiv zu nutzen,<br />
denn grundsätzlich ist von der Prämisse auszugehen, dass auch kranke<br />
Eltern „gute“ Eltern sein wollen und ein großes Verantwortungsbewusstsein<br />
für ihre Kinder besitzen. In einer Studie wurde festgestellt, dass 55%<br />
der befragten Eltern bereits notwendige stationäre Behandlungen in der<br />
Erwachsenenpsychiatrie aus Sorge um die (unversorgten) minderjährigen<br />
Kinder nicht begonnen oder abgebrochen hatten (vgl. Studie von Kölch<br />
et al. (2008)). Die Erarbeitung eines so genannten Notfallplans, in dem<br />
psychisch kranke Eltern in gesunden Phasen exakt festhalten, was im Falle<br />
einer akuten Krankheitsphase für ihre minderjährigen Kinder zu organisieren<br />
ist, erweist sich als unabdingbare Unterstützungsmaßnahme. Optimal<br />
ist es, ein Netzwerk zu installieren, z.B. in Form von Patenschaften, um die<br />
Kinder und Jugendlichen im Ernstfall bestmöglich zu entlasten und ihnen<br />
ein Höchstmaß an Normalität zukommen zu lassen.<br />
Zu 3) Im Plenum erfolgte das Zusammentragen der referierten und erarbeiteten<br />
Ergebnisse. Wesentliche Aspekte des Themas wurden diskutiert,<br />
offene Fragen erörtert. Jeder Teilnehmer erhielt am Ende des Workshops<br />
eine Zusammenfassung des Vortrags, die verwendeten Arbeitsmaterialien<br />
der Gruppenarbeit sowie eine Liste mit hilfreicher Fachliteratur sowie Kinder-<br />
und Jugendbüchern, die für die pädagogische Arbeit mit betroffenen<br />
Kindern geeignet sind.<br />
Fazit und Ausblick<br />
Abschließend wurde die unabdingbare Notwendigkeit der Zusammenarbeit<br />
und Vernetzung zwischen Elternhaus, Schule, Jugendhilfe und Klinik<br />
sowie anderen am System beteiligten Institutionen als Richtschnur aller<br />
mit dem psychisch erkrankten Elternteil sowie den Kindern und Jugendlichen<br />
arbeitenden Personen herausgearbeitet.<br />
Anhang : Arbeitsblatt „Schizophrene Psychose“<br />
SCHIZOPHRENE PSYCHOSEN – Erkrankung des Elternteils<br />
Symptomatik<br />
Anspannung und Erregung<br />
Denkstörungen<br />
Wahnvorstellungen, Halluzinationen<br />
Ich-Störungen, Fremdbeeinfl ussungserlebnisse<br />
Emotionale Verarmung<br />
Hoffnungs-, Mutlosigkeit<br />
Innere Leere<br />
Depression, Niedergeschlagenheit<br />
Antriebslosigkeit<br />
Sozialer Rückzug<br />
Literatur:<br />
Mattejat, F.; Lisofsky, B. (Hrsg.) (2000): Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker. Bonn: Psychiatrie-Verlag<br />
Kinder- und Jugendbücher:<br />
Bock, Thomas (2003): Pias lebt gefährlich, für Jugendliche, Psychatrie-Verlag, Bonn<br />
Boie, Kirsten (2005): Mit Kindern redet ja keiner, Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M., ab 11 J.<br />
Cave, Kathryn; Riddell, Chris (1994): Irgendwie anders, Oettinger, Hamburg, Kindergartenalter<br />
Haugen, Tormod (2003): Die Nachtvögel, dtv Junior, München, ab 10 J.<br />
Homeier, Schirin (2006): Sonnige Traurigtage, incl. Info-Materialien, Mabuse-Verlag, für Grundschulkinder<br />
Homeier, Schirin; Schrappe, Andreas (2009): Flaschenpost nach irgendwo, Mabuse-Verlag, für Grundschulkinder<br />
Mannsdorf, Peter (2005): Fliegen ohne Flügel + (Forts.) Robbi und sein ungezähmter Vater, Shift (Selbst-)<br />
Verlag, Berlin, ab 10 J.<br />
Minne, Brigitte (2004): Eichhörnchenzeit oder der Zoo in Mamas Kopf, Sauerländer, Düsseldorf, ab 8 J.<br />
Mosch, Erdmute von (2008): Mamas Monster, Balance, buch + medien verlag, Bonn<br />
Lund Eriksen, Endre (2007): Beste Freunde oder der ganz normale Wahnsinn. Dressler, Hamburg, ab 10 J.<br />
Rees, Gwyneth (2005): Erde an Pluto oder als Mum abhob, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg<br />
Stratenwerth, Irene; Bock, Thomas (2003) Die Bettelkönigin, Balance buch + medien verlag, Bonn, ab 9 J.<br />
Wilson, Jacqueline (2005): Ausgefl ippt hoch drei, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg, ab 10 J.<br />
Wunderer, Susanne (<strong>2010</strong>): Warum ist Mama traurig? Ein Vorlesebuch für Kinder. Mit einem Ratgeberteil,<br />
Mabuse-Verlag.<br />
außerdem empfehlenswert:<br />
www.lzg-rlp.de/lzg-shop/Teske, C; Knichel K. (2007): Leon fi ndet seinen Weg, Bilderbuch<br />
www.psychosis.ch: FuFu und der grüne Mantel, Bilderbuch<br />
Material für Unterricht, Kinderbücher, Erwachsene:<br />
www.irremenschlich.de: Unterrichtsmaterial<br />
www.openthedoors.de: zusammengestelltes Lernpaket zum Thema „ Psychische Kranke“ für Schulen<br />
www.psychatrie.de/familienselbsthilfe: Informationen und Kontaktadressen des Bundesverbands der Angehörigen<br />
psychisch Kranker; Materialien für Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern<br />
www.kinderschutzbund-bayern.de/Veröffentlichungen<br />
www.lzg-rlp.de/lzg-shop: u. a. Bilderbuch zur Suchtprävention<br />
www.bzga.de: Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit oft kostenlos erhältlichem Info-<br />
Material<br />
www.bag.kipe.de: Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch kranker Eltern, Zusammenschluss<br />
von Fachleuten verschiedener Projekte<br />
www.netz-und-boden.de: Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern; c/o Katja Beeck<br />
Kontakt:<br />
Birgit Laurinck, Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der Heckscher-Klinik: Birgit.Laurinck@Schule.<br />
Heckscher-Klinik.de<br />
Angela Ettenreich-Koschinsky, Sonderschulkonrektorin, Bayerische Landesschule für Körperbehinderte:<br />
A.Ettenreich@BayLfK.de
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
60 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
61<br />
Kriminalität und Gewaltdelinquenz im Jugendalter<br />
Dr. Martin Rieger<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
Oberarzt Heckscher-Klinikum, München<br />
Die Einschätzung des Gewaltrisikos ist ein kritischer und notwendiger Teil<br />
der Praxis sowohl in der forensischen Begutachtung als auch in kinder-<br />
und jugendpsychiatrischen Kliniken und Ambulanzen [15]. Auch bei Jugendlichen<br />
nehmen Fragestellungen nach der Gewaltprognose und deren<br />
Beeinflussbarkeit zu.<br />
Die von Jugendlichen ausgehende Gewalt trifft in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
und Reaktion auf verstärkte Beachtung. Seitens der kriminologischen<br />
Forschung wird angenommen, dass nicht nur generell die Prävalenz<br />
von Jugendgewalt in den letzten Jahrzehnten anstieg, sondern auch das<br />
Anzeigeverhalten sich dahingehend änderte, dass Gewalttaten niederschwelliger<br />
öffentlich gemacht wurden [2], auch durch schulische Institutionen.<br />
In Begutachtungen jugendlicher Straftäter ist häufig eine früh auffällige<br />
Schullaufbahn zu sehen. Zum Zeitpunkt der Intensivierung der antisozialen<br />
Entwicklung sind, wie die beiden typischen Kasuistiken zeigen, die Bindungen<br />
an die schulische Institution in vielen Fällen bereits instabil oder<br />
aufgelöst.<br />
Risikofaktoren, die eine antisoziale und gewalttätige Entwicklung von Jugendlichen<br />
befördern und wahrscheinlicher machen, sind in zahlreichen<br />
empirischen Studien erhoben worden [Übersicht: 3; 10; 18]. Prägnante<br />
Risikofaktoren wurden im familiären und sozialen Umfeld [6], aber auch im<br />
Bereich der Temperaments- und Persönlichkeitsentwicklung [13] und der<br />
neurobiologischen Merkmale [4; 18] gefunden. Nach Stouthamer-Loeber<br />
et al. [16] kumuliert die Zahl maßgeblicher Risikofaktoren von der Kindheit<br />
bis in die Adoleszenz. Ihre Auswertungen deuten auf ein multifaktorielles<br />
Gefüge hin, das eine wachsende Konsistenz mit dem Alter aufweist. Zudem<br />
war nachweisbar, dass risikofördernde und protektive Faktoren sich<br />
kompensieren können.<br />
Das Jugend- und Heranwachsendenalter ist der Altersabschnitt mit der<br />
höchsten Belastung an registrierter Kriminalität. Diese Feststellung gilt im<br />
Längsschnitt, seit statistisch dokumentiert wird, auch im internationalen<br />
Vergleich. Ein weiteres konstantes Ergebnis der kriminologischen Forschung<br />
ist, dass kriminelle Handlungen bei jungen Männern ubiquitär vorkommen<br />
[11]. Im Vergleich zum Erwachsenenalter überproportional hoch<br />
ist der Anteil an leichten und minderschweren Straftaten, insbesondere<br />
Diebstahlsdelikten. Allerdings gibt die Statistik registrierter Kriminalität<br />
auch wieder, dass Jugendliche und junge Männer gleichfalls überproportional<br />
beteiligt sind an Gewaltkriminalität, vor allem Raub- und Körperverletzungsdelikten.<br />
Während Diebstahlsdelikte an Häufigkeit im Jugendalter<br />
dominieren und im Übergang zum Heranwachsendenalter abnehmen, tritt<br />
Gewaltkriminalität im Heranwachsendenalter noch ähnlich häufig auf wie<br />
im Jugendlichenalter. Die Prävalenz für Gewaltkriminalität klingt erst ab<br />
dem 21. Lebensjahr sukzessive ab [9]. Die Kriminalitätsbelastung der Jugendlichen,<br />
die in der polizeilichen Statistik als TVBZ (Tatverdächtigenbelastungsziffer:<br />
Registrierte pro 100 000 Einwohner) erfasst wird, nahm in<br />
den letzten 20 Jahren deutlich zu, zumindest bis Ende der Neunzigerjahre.<br />
Seitdem hält sie sich auf hohem Niveau. Neben einer realen Zunahme der<br />
Kriminalitätsbelastung werden als Erklärung Verschiebungen der Grenze<br />
zwischen Hell- und Dunkelfeld und ein geändertes Anzeigeverhalten angeführt.<br />
Indiz dafür ist, dass die Verurteiltenziffern nachgewiesenermaßen<br />
bei weitem nicht in gleicher Weise anstiegen [2; 9].<br />
Für den überwiegenden Teil der Jugendlichen ist sowohl nach Hellfeld-<br />
wie Dunkelfelddaten delinquentes Verhalten ein episodisches Ereignis.<br />
In Abgrenzung zu diesem jugendtypischen Verlauf fällt eine Gruppe von<br />
Mehrfach- oder Intensivtätern auf, die wesentlich häufiger und andauernder<br />
Straftaten begehen. Je nach Studienansatz macht diese Gruppe 3-10%<br />
der registrierten Straftäter aus [5; 9; 12]. Die Beschreibung der Subgruppe<br />
der chronic offenders geht auf die Studie von Wolfgang, Figlio & Sellin<br />
[19] zurück, die anhand der Philadelphia Kohortenstudie (N=9945) das<br />
registrierte Legalverhalten im Verlauf vom 8. bis zum 18. Lebensjahr aus-<br />
werteten. Chronische Täter, die mindestens fünfmal registriert wurden,<br />
repräsentierten 6% der Geburtskohorte, waren aber für ca. die Hälfte der<br />
Delikte verantwortlich.<br />
In eine differenzierte Betrachtung der Entwicklungen im Bereich der Kriminalitätsbelastung<br />
von Jugendlichen in Deutschland sind sowohl Hell- als<br />
auch Dunkelfeldstudien einzubeziehen. Sie weisen auch darauf hin, dass<br />
Häufigkeit delinquenten Handelns auch bei weiblichen Jugendlichen nicht<br />
zu unterschätzen ist.<br />
Hellfeldstudien<br />
Grundies et al. [7; 8] untersuchten im Rahmen der longitudinal angelegten<br />
Freiburger Kohortenstudie, wie häufig 7- bis 23-Jährige aus vier Geburtsjahrgängen<br />
(1970, 1973, 1975, 1978) in Baden-Württemberg polizeilich<br />
registriert wurden:<br />
• Kumulative Prävalenz: In der Gruppe der 14 – 17-Jährigen wurden im<br />
Schnitt 13,1% der männlichen deutschen Jugendlichen wegen Straftaten<br />
registriert. Bei den weiblichen deutschen Jugendlichen waren es 4,8%.<br />
• Intensivtäter: 1,1% (bzw. 8,4% bezogen auf die Registrierten) der männlichen<br />
deutschen Jugendlichen fielen als Intensivtäter mit fünf und mehr<br />
Delikten auf. Bei den weiblichen deutschen Jugendlichen betrug die<br />
Rate 0,1% (bzw. 2% bezogen auf die Registrierten).<br />
• Altersverlauf: Die Registrierungen stiegen bei den männlichen Jugendlichen<br />
ab dem 13. Lebensjahr deutlich an und erreichten den Gipfel mit<br />
dem 19. Lebensjahr, um anschließend stetig abzufallen. Ebenso stieg<br />
der Anteil an registrierten Straftaten, für den die Intensivtäter verantwortlich<br />
sind, bis zum 19. Lebensjahr deutlich an, um sodann nur noch<br />
geringfügig zuzunehmen. Bei den 19-Jährigen waren die Intensivtäter für<br />
ca. 52% der registrierten Taten verantwortlich, bei den 23-Jährigen für<br />
ca. 58%. Deutlich zeigte sich, dass das einmalig abweichende Verhalten<br />
überwiegend ein Phänomen von der Pubertät bis zum 16. Lebensjahr<br />
darstellte. Eine relativ konstante Gruppe häufig rückfälliger Intensivtäter<br />
hatte sich ab dem 19. Lebensjahr etabliert.<br />
• Gewaltdelikte: Die diesbezügliche kumulative Prävalenz (14.-17. Lj.) betrug<br />
für männliche deutsche Jugendliche 1,1%. Über 82% der Jugendlichen,<br />
die ein Gewaltdelikt begingen, waren nur einmal strafrechtlich<br />
auffällig. Die höchsten Inzidenzraten für Gewaltdelikte zeigten sich im<br />
Altersbereich der 17 bis 19-Jährigen. Die durchschnittliche Zahl an Tätern<br />
pro Delikt lag für Gewaltdelikte bei 2,5 und damit höher als bei<br />
anderen Delikten.<br />
• Ausländische Straftäter: Für ausländische männliche Jugendliche lag die<br />
kumulative Prävalenz (14.-17. Lj.) bei 27% für alle Delikte und bei 5% für<br />
Gewaltdelikte und damit deutlich höher als für deutsche Jugendliche.<br />
Als Intensivtäter traten 3,4% (bzw. 12,6% bezogen auf die Registrierten)<br />
der Jugendlichen auf.<br />
• Delinquenzmuster: Tetal [17] führte mit den Daten der Freiburger Kohorte<br />
Clusteranalysen durch, um die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte<br />
Delikte bei den Tätern in einem Altersabschnitt gemeinsam auftreten,<br />
einzuschätzen. Es konnte ein Cluster von Tätern gefunden werden, die<br />
überwiegend mit Gewaltdelikten inclusive sexueller Gewalttaten registriert<br />
waren. Andererseits ergab sich auch ein versatiles Cluster, in dem<br />
alle Delikte hochfrequent vertreten waren. In diesem Cluster waren<br />
hauptsächlich chronische Täter erfasst. Eine Spezialisierung der Delinquenzverläufe<br />
mit zunehmendem Alter konnte nachgewiesen werden.<br />
Dunkelfeldstudien<br />
Oberwittler et al. [14] führten 1999 eine Dunkelfeldbefragung zur Delinquenzbelastung<br />
an Schülern der 8.-10. Klasse (N = 5300) in Köln und Freiburg<br />
durch. An Querschnittsbefunden ergab sich im Einzelnen:<br />
• Kumulative Prävalenz: 70% der Jungen und 50% der Mädchen gaben an,<br />
mindestens einmal ein strafbares Delikt begangen zu haben.<br />
• Jahresprävalenz: 60% der Jungen und 40% der Mädchen berichteten<br />
über ein Delikt in den letzten zwölf Monaten.<br />
• Intensivtäter: Ca. 9% der Jungen und 5% der Mädchen waren für die Hälfte<br />
aller von ihren jeweiligen Geschlechtsgenossen begangenen Delikten<br />
verantwortlich. Ungefähr 5% der befragten Jugendlichen erfüllten die<br />
Kriterien als Intensivtäter (mindestens sieben schwerwiegende Delikte<br />
in den letzten zwölf Monaten: Einbruch, KFZ-Diebstahl, Drogenhandel,<br />
Gewaltkriminalität).<br />
• Überdurchschnittlich häufig waren Intensivtäter Schüler der Haupt-<br />
bzw. Förderschule.<br />
• Versatilität: Es bestand ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der<br />
Delikte eines Jugendlichen und der Anzahl unterschiedlicher Delikte,<br />
Inzidenz und Versatilität korrelierten 0.69 (p < .001). Die Versatilität erfasst,<br />
wie viele unterschiedliche Arten von Delikten ein einzelner Täter<br />
begangen hat. Polytrop kriminelle Täter weisen zahlreiche unterschiedliche<br />
Delikte bzw. ein hohes Maß an Versatilität auf.<br />
• Gewaltdelikte: Knapp 30% der Jungen berichteten über mindestens ein<br />
Gewaltdelikt im letzten Jahr, bei den Mädchen betrug die Jahresprävalenz<br />
knapp 12%. Wenn nach Häufigkeit der Gewaltdelikte differenziert<br />
wurde, so gaben von den gewalttätigen Jugendlichen 77% ein bis fünf<br />
Delikte an, knapp ein Viertel berichtete von sechs und mehr Delikten.<br />
Baier [1] wertete anhand zweier Dunkelfeldbefragungen des KFN (Kriminologisches<br />
Forschungsinstitut Niedersachsen), die in vier westdeutschen<br />
Städten 1998 (N=7205) und 2005 (N=8490) mit Schülern der 9. Klassenstufe<br />
durchgeführt wurden, das Gewaltverhalten Jugendlicher aus und untersuchte<br />
den Einfluss von Bedingungsfaktoren im Zeitverlauf:<br />
• Jahresprävalenz: Männliche Jugendliche der Stichprobe von 2005 begingen<br />
im letzten Jahr zu 25% eine oder mehrere Gewalttaten. 7,2% waren<br />
Mehrfachtäter, die in diesem Zeitraum fünf und mehr Gewaltdelikte<br />
begingen. Bei den weiblichen Jugendlichen betrugen die Raten 9% bzw.<br />
1,8%.<br />
• Inzidenz nach Deliktart: Unter den Gewaltdelikten waren Körperverletzungsdelikte<br />
(53,7% ohne Waffe; 15,2% mit Waffe) am häufigsten, gefolgt<br />
von sexueller Gewalt (15,6%) und Raub (10,6%).<br />
• Jahresprävalenz 1998 vs. 2005: Die Gewalttäterraten nahmen leichtgradig<br />
ab (männlich: 29,1% vs. 25,0%; weiblich: 10,9% vs. 9,0%). Der Anteil<br />
an Körperverletzungsdelikten nahm relativ zu, Raub und Erpressungsdelikte<br />
verringerten sich.<br />
• Bedingungsfaktoren: Nach Regressionsmodellen korrelierte der Rückgang<br />
der Gewaltprävalenz (1998 vs. 2005) mit der Abnahme der Gewaltakzeptanz<br />
seitens der Jugendlichen sowie der Stärke der sozialen<br />
Kontrolle durch gewaltmissbilligende Peers und durch die Interventionsbereitschaft<br />
der Umgebung, v.a. der Lehrkräfte. Inkomplette Familienzusammensetzung,<br />
inkonsistente Erziehung und innerfamiliäre<br />
Gewalterfahrung begünstigten das Gewaltverhalten der Jugendlichen,<br />
hingegen war der Grad an emotionaler Zuwendung durch die Eltern nicht<br />
von Einfluss.<br />
Zusammengefasst bestätigte sich in kriminologischen Untersuchungen<br />
eine hohe allgemein- und gewaltdeliktische Belastung des Jugendalters.<br />
Überwiegend handelt es sich um episodisches, sich selbst limitierendes<br />
antisoziales Verhalten. In den letzten Jahrzehnten stieg die registrierte<br />
Kriminalitätsbelastung Jugendlicher deutlich an. Neben einer realen Zunahme<br />
der Delinquenz hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Anzeigebereitschaft<br />
und somit die formale soziale Kontrolle zugenommen. Ein<br />
sich fortsetzender Anstieg der Gewaltkriminalität ließ sich im Dunkelfeld<br />
für rezente Zeiträume nicht mehr belegen. Allerdings ergaben sich Hinweise<br />
für einen höheren relativen Anteil von Körperverletzungsdelikten.<br />
Die Existenz einer Subgruppe intensiv delinquenter Jugendlicher konnte in<br />
Hell- und Dunkelfeldstudien nachgewiesen werden. Diese Subgruppe ist<br />
durch eine höhere Deliktfrequenz, einen höheren Anteil an Gewalttaten<br />
und eine längeranhaltende delinquente Aktivität gekennzeichnet. Für das<br />
Jugendalter typisch ist ein hohes Maß an Versatilität, mit einschliessend<br />
ein häufig gemeinsames Auftreten von Gewalt- und Nichtgewaltdelikten.<br />
Spezifische Delinquenzmuster - auch für Gewalttaten - bilden sich jedoch<br />
verstärkt mit Übergang ins Erwachsenenalter aus. Einflussfaktoren auf<br />
die Prävalenzentwicklung des Gewaltverhaltens im Dunkelfeld liegen vor<br />
allem in den Stärken bzw. Defiziten der familiären Strukturen und der Ausprägung<br />
der informellen sozialen Kontrolle. An letzterem Punkt können<br />
präventive Maßnahmen einsetzen, indem im schulischen Umfeld und in<br />
den Beziehungen der jugendlichen Peers untereinander die Wertigkeit gewaltfreier<br />
Kommunikation und die Missbilligung gewaltsamen Vorgehens<br />
möglichst frühzeitig verstärkt werden.<br />
Literatur<br />
1. Baier D (2008) Entwicklung der Jugenddelinquenz und ausgewählter Bedingungsfaktoren seit 1998 in den<br />
Städten Hannover, München, Stuttgart und Schwäbisch Gmünd. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen,<br />
Forschungsbericht Nr. 104, Hannover<br />
2. Bundesministerien des Innern und der Justiz (2006) Zweiter periodischer Sicherheitsbericht. www.bmi.<br />
bund.de<br />
3. Cottle CC, Lee RJ, Heilbrun K (2001) The prediction of criminal recidivism in juveniles: a meta-analysis.<br />
Crim Justice Behav 28:367-394<br />
4. Dolan M (2004) Neurobiological factors in aggressive children and adults. In: Bailey S, Dolan M (Hrsg)<br />
Adolescent forensic psychiatry. Arnold, London, S 61-86<br />
5. Elsner E, Steffen W, Stern G (1998) Kinder- und Jugendkriminalität in München. Bayerisches Landeskriminalamt,<br />
München<br />
6. Farrington DP (1998) Predictors, causes and correlates of male youth violence. Crime Justice 24:421-475<br />
7. Grundies V (1999) Polizeiliche Registrierungen von 7- bis 23-Jährigen: Befunde der Freiburger Kohortenstudie.<br />
In: Albrecht HJ (Hrsg) Forschungen zu Kriminalität und Kriminalitätskontrolle. Edition iuscrim, Freiburg,<br />
S 371-401<br />
8. Grundies V, Höfer S, Tetal C (2002) Basisdaten der Freiburger Kohortenstudie: Prävalenz und Inzidenz<br />
polizeilicher Registrierung. Edition iuscrim, Freiburg<br />
9. Heinz W (2003) Jugendkriminalität in Deutschland: Kriminalstatistische und kriminologische Befunde. Kon-<br />
stanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung, Konstanz. www.uni-konstanz.de/rtf/kik<br />
10. Herrenkohl TI, Maguin E, Hill KG, Hawkins JD, Abbot RD, Catalano RF (2000) Developmental risk factors<br />
for youth violence. J Adolesc Health 26:176-186<br />
11. Kerner HJ (1993) Jugendkriminlität zwischen Massenerscheinung und krimineller Karriere. In: Nickolai W,<br />
Reindl R (Hrsg) Sozialarbeit und Kriminalpolitik. Lambertus, Freiburg, S 28-62<br />
12. Loeber R, Farrington DP, Waschbusch DA (1998) Serious and violent offenders. In: Loeber R, Farrington<br />
DP (Hrsg) Serious and violent offenders: risk factors and successful interventions. Sage, Thousand Oaks<br />
London New Delhi, S 13-29<br />
13. Nigg JT (2006) Temperament and developmental psychopathology. J Child Psychol Psychiatry 47:395-422<br />
14. Oberwittler D, Blank T, Köllisch T, Naplava T (2001) Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen.<br />
Edition Iuscrim, Freiburg<br />
15. Rieger M, Stadtland C, Freisleder FJ, Nedopil N (2009) Psychiatrische Beurteilung des Gewaltrisikos im<br />
Jugendalter. Nervenarzt 80:295-304<br />
16. Stouthamer-Loeber M, Loeber R, Wei E, Farrington DP, Wikström POH (2002) Risk and promotive effects<br />
in the explanation of serious delinquency in boys. J Consult Clin Psychol 70:111-123<br />
17. Tetal C (2008) Analyse von Deliktähnlichkeiten auf der Basis von Inividualdaten der Freiburger Kohortenstudie.<br />
Dunker& Humblot, Berlin<br />
18. Vloet TD, Herpertz S, Herpertz-Dahlmann B (2006) Ätiologie und Verlauf kindlichen dissozialen Verhaltens<br />
- Risikofaktoren für die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Z Kinder-Jugendpsychiatr<br />
34:101-115<br />
19. Wolfgang ME, Figlio RM, Sellin T (1972) Delinquency in a birth cohort. Univ Chicago Pr, Chicago London<br />
Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter<br />
Dr. med. Rainer Huppert<br />
Facharzt für Nervenheilkunde und Psychiatrie, Psychotherapie<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –Psychotherapie<br />
Oberarzt Heckscher-Klinikum, München Abt. Rottmannshöhe<br />
Zusammenfassung<br />
Jugendliche, die manifest psychisch erkrankt sind oder Verhaltensauffälligkeiten<br />
zeigen, die den Verdacht auf eine psychische Erkrankung aufwerfen,<br />
oder als Vorläufer einer manifesten psychischen Erkrankung zu<br />
werten sind, Jugendliche, die prädelinquente Auffälligkeiten des Sozialverhaltens<br />
zeigen oder bereits eine Straftat begangen haben, stellen aus<br />
verschiedenen Blickwinkeln und Aufgabenbereichen eine interdisziplinäre<br />
Herausforderung für Medizin, vorrangig Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />
Pädagogik, Jugendhilfe und Justiz dar. Außerhalb der meist zerrütteten Familie<br />
begegnen wir diesen Jugendlichen institutionell in der Schule sowie<br />
Einrichtungen bzw. Betreuungsumgebungen der Jugendhilfe, in der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie – unter Umständen mit dem Auftrag einer differentialdiagnostischen<br />
Abklärung bei dem Verdacht auf eine psychische<br />
Erkrankung, im Rahmen einer forensischen Begutachtung – sowie bei<br />
Strafmündigkeit unter Umständen im Strafvollzug. Der Beitrag gibt einen<br />
gerafften Überblick über die Problematik dieser interdisziplinären Herausforderung<br />
aus klinischer Perspektive und fokussiert auf die Schnittstellen<br />
der genannten Disziplinen.<br />
Einleitung<br />
Große epidemiologische Untersuchungen zur psychischen Gesundheit<br />
von Kinder und Jugendlichen in Deutschland wie die BELLA-Studie in<br />
Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) (Ravens-Sieberer et al.,<br />
2007) erbrachten Hinweise für psychische Auffälligkeiten bei über 20
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
62 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
63<br />
Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 7 bis 17 Jahren. Unter<br />
den Auffälligkeiten dominierten Störungen wie Ängste (10 Prozent),<br />
Störungen des Sozialverhaltens (7,6 Prozent) sowie Depressionen. Der<br />
hohe Anteil an Sozialverhaltensstörungen als signifikante Vorläufersymptomatik<br />
oder Hintergrund manifester Delinquenz weist auf die zentralen<br />
Fragestellungen des Themas hin. Wie sind schwere Störungen des Sozialverhaltens<br />
und Dissozialität im Hinblick auf den Störungscharakter und<br />
Krankheitswertigkeit zuzuordnen? Welche Vorläufer im Entwicklungs- und<br />
Verhaltensbereich sind identifizierbar? Welche Behandlungs- und Interventionsmöglichkeiten<br />
gibt es, ebenso welche Wege der Prävention? Eine<br />
weitere Fragestellung ergibt sich daraus, dass umschriebene psychiatrische<br />
Erkrankungen, z.B. Angststörungen, Depressionen, schizophrene<br />
Psychosen oder Zwangserkrankungen unmittelbarer Hintergrund einer<br />
rechtlich sanktionierten oder das soziale Gefüge in erheblicher Weise<br />
tangierenden Handlung sein können. Beide Blickwinkel machen deutlich,<br />
dass dem in diesem Sinne auffälligen Jugendlichen nur eine enge interdisziplinäre<br />
Verzahnung, die gegenseitige Abgleichung und Überprüfung von<br />
Medizin (Kinder- und Jugendpsychiatrie), Pädagogik und Jugendhilfe sowie<br />
im deliktisch relevanten Bereich des strafmündigen Jugendlichen auch<br />
die Justiz adäquat begegnen können. Die institutionellen Orte, an denen<br />
diese Verzahnung stattfindet, sind bei einem meist fehlenden familiären<br />
adäquaten Erziehungsrahmen dieser Jugendlichen die Schule, Jugendhilfe<br />
in Form ambulanter Maßnahmen (z. B. Familienhilfe) und stationäre Einrichtungen<br />
(Heim- und Wohngruppenunterbringung), kinder- und jugendpsychiatrische<br />
Kliniken und Ambulanzen zur Diagnostik bzw. forensischen<br />
Begutachtung und die Einrichtungen des Jugendstrafvollzug bis hin zum<br />
Maßregelvollzug. Beispielhaft zeigen Untersuchungen signifikant häufiger<br />
psychische Störungen unter jugendlichen Gefängnisinsassen, namentlich<br />
Substanzmissbrauch, Impulskontrollstörungen, affektive Störungen und<br />
Entwicklungsverzögerungen (Laucht, 2001)<br />
Adoleszenz- Dissozialität- Psychische Erkrankung<br />
Die Rechtsstellung des Kindes, Jugendlichen und Heranwachsenden in Abhängigkeit<br />
vom Lebensalter zeigt folgende Abschnitte und Stufen:<br />
6 Jahre Schulpflicht<br />
7 Jahre Beschränkte Geschäftsfähigkeit und zivilrechtliche Deliktfähigkeit<br />
14 Jahre Bedingte Strafmündigkeit, Ende des strafrechtlichen Kinderschutzes<br />
15 Jahre Ende der Schulpflicht/Berufsschulpflicht<br />
18 Jahre Volljährigkeit<br />
21 Jahre Ende der Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts, Ende der Jugendamtshilfe<br />
für junge Volljährige<br />
Fallvignette 1<br />
Hans wurde erstmals mit 12 Jahren von seinen Eltern bei einer Erziehungsberatung<br />
vorgestellt, nachdem er sich im schulischen Umfeld einer Hauptschule<br />
als pädagogisch kaum noch führbar erwiesen hatte. Die Integration unter<br />
Gleichaltrigen gelang nicht, es kam permanent zu Impulsdurchbrüchen, zu<br />
aggressiven Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen, Isolation, Stören des<br />
Unterrichts. Eine auf den Erstkontakt hin installierte ambulante Jugendhilfemaßnahme<br />
konnte die weitere Eskalation im Alter von etwa 15 Jahren mit<br />
nun deliktisch relevan-ten Diebstählen, kleineren Einbrüchen ebenso wenig<br />
verhindern wie Alkoholmissbrauch, Schuleschwänzen, Herumstreunen. Im<br />
Weiteren zeigte Hans eine ausgeprägte Stimmungslabilität, er erschien einerseits<br />
ängstlich-anhänglich, dann hochfahrend- abweisend und aggressiv<br />
gegenüber Erziehungspersonen und Altersgleichen. Diese Phasen wechselten<br />
mit Zeiten völliger Indifferenz, ebenso refraktär gegen jegliche pädagogische<br />
Reglementierung wie die expansiven Verhaltensweisen. Subakut<br />
entwickelten sich Unruhezustände und Größenideen, Hans äußerte, mit Politikern<br />
sprechen zu müssen, neues Geld einführen zu wollen und Ähnliches.<br />
Am sporadisch besuchten Unterricht beteiligte er sich nicht mehr, saß rückwärts<br />
in der Klasse, war aber auch nicht mehr aggressiv, wirkte gleichgültig,<br />
bis sich ein zunehmend verwirrt- desorganisiertes Verhalten einstellte, die<br />
als akute psychotische (schizophrene) Dekompensation zu werten war und<br />
zu einer klinisch- stationären Aufnahme führte.<br />
Fallvignette 2<br />
Matthias zeigte von klein auf viele Entwicklungsauffälligkeiten in sprachlicher,<br />
motorischer und psychosozialer Hinsicht. Früh wurde eine hyperkinetische<br />
Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert, Interventionen von<br />
Seiten pädagogischer Einrichtungen, des Jugendamts sowie der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie einschließlich eines längeren tagesklinischen Aufenthaltes<br />
sowie eine langstreckige pharmakotherapeutische Behandlung<br />
mit Stimulanzien reihten sich aneinander. Der familiäre Hintergrund war<br />
betrüblich, Mutter mit wechselnden Lebensabschnittspartnern, viel Alkohol<br />
und Gewalt in der primären Umgebung. Matthias beendete die Schule<br />
nach acht Schulbesuchsjahren in der 6. Klasse Hauptschule, langstreckige<br />
heilpädagogische Betreuungen einschließlich der Betreuung in einer Schule<br />
zur Erziehungshilfe und einer Platzierung in einer heilpädagogischen Einrichtung<br />
konnten die lange Deliktanamnese seit dem Kindesalter mit Diebstählen,<br />
Sachbeschädigung, Zündeln und deren Eskalation im Alter von 16<br />
Jahren mit Körperverletzung, schwerem Raub und sexueller Nötigung, die<br />
zur Inhaftierung führte, nicht modifizieren.<br />
Fallvignette 3<br />
Der 17-jährige Patrick absolvierte die Hauptschule ohne Qualifizierung sowie<br />
das Berufsvorbereitungsjahr, ohne dass ihm der Einstieg in Lehre und<br />
Beruf gelang. Der familiäre Hintergrund zeigte viele Beziehungswechsel<br />
mit getrennten Eltern und häufig wechselnden Bezugspersonen. Patrick<br />
wuchs bei Großeltern auf, fühlte sich durch die Eltern abgelehnt. Aus der<br />
eigenen Entwicklung ergaben sich keine gravierenden Auffälligkeiten des<br />
stillen und angepassten Kindes, der mit Eintritt in die Pubertät im Gleichaltrigenkreis<br />
einige Kontakte zu delinquenter Umgebung (vor allem Drogen)<br />
hatte und selbst psychotrope Substanzen zur Stimmungsverbesserung<br />
einsetzte. Deliktisch bzw. im Sozialverhalten wurde er nie auffällig bis<br />
zum Vorwurf des versuchten Totschlags im Rahmen einer Auseinandersetzung<br />
um eine junge Frau. Bei der gutachterlichen jugendpsychiatrischen<br />
Untersuchung ergaben sich keine Hinweise für eine forensisch relevante<br />
Beeinflussung der Steuerungsfähigkeit durch eine psychiatrische Erkrankung.<br />
Der gut begabte Jugendliche nutzte die Haftzeit zur schulischen<br />
Qualifizierung und zur Berufsausbildung.<br />
Die skizzierten Verläufe zeigen bereits einige Facetten des Komplexes<br />
Jugend – psychische Erkrankung und Straffälligkeit. Muss bei dem ersten<br />
Jugendlichen letztlich davon ausgegangen werden, dass die schweren<br />
Auffälligkeiten des Sozialverhaltens zumindest in ihrem letzten Abschnitt<br />
die lange Vorfeldsymptomatik der psychotischen Erkrankung abgaben,<br />
zeigen sich bei dem zweiten Jugendlichen Delinquenz und dauerhafte<br />
Abweichungen des Sozialverhaltens vor einem äußerst problematischen<br />
Entwicklungshintergrund von Kindesbeinen an und durch verschiedene<br />
interdisziplinäre Interventionen als nicht beeinflussbar. Der dritte Jugendliche<br />
wurde erst in einer Krisensituation der Adoleszenz straffällig, in der<br />
Entwicklungsbelastungen, Reifungsdefizite in der Straftat psychodynamisch<br />
entgleisen.<br />
Das Spektrum der skizzierten Verläufe machen Kriminalstatistiken nachvollziehbar,<br />
nachdem mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen in Deutschland<br />
jünger als 25 Jahre sind und bei der Delinquenzverteilung ein steiler<br />
Anstieg in der Pubertät und ein steiler Abfall im jungen Er-wachsenenalter<br />
zu beobachten ist (Statistische Erhebung des BKA bei Kölch, 2009). Trotz<br />
der verstärkten medialen Wahrnehmung dieser Problematik ist sie in allen<br />
Ländern und Kulturen keineswegs neu (Kölch, 2009).<br />
Psychische Störung und Delinquenz<br />
Noch vor jeder Konkretisierung sind folgende Beziehungen möglich:<br />
- Die psychische Störung verursacht bzw. verstärkt eine delinquente Neigung.<br />
- Die psychische Störung vermindert bzw. beseitigt eine delinquente Neigung.<br />
- Es besteht kein Zusammenhang zwischen Delinquenz und psychischer<br />
Störung.<br />
- Die psychische Störung vermindert bei einigen Jugendlichen, verstärkt<br />
bei anderen – je nach situativer Verfassung – die Neigung zu rechtswidrigen<br />
Taten.<br />
Zwischen den Polen manifeste psychiatrische Erkrankung und Straffälligkeit<br />
sind Verhaltensauffälligkeiten aus dem dissozialen bzw. delinquenten<br />
Spektrum denkbar, die den Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung<br />
aufkommen lassen bzw. unterstützen, z. B., wenn die Straftat aus einer<br />
erkennbaren biographischen bzw. Entwicklungskontinuität völlig heraus<br />
fällt, andererseits kann eine Straftat Handlungskompetenz und situative<br />
Orientierung zeigen, die anderweitig aufgetretene bzw. vermutete Beein-<br />
trächtigungen von Ich-Funktionen durch eine mögliche psychische Störung<br />
relativieren. Daneben können Verhaltensauffälligkeiten aus dem<br />
dissozialen Spektrum auch Vorläufer einer psychiatrischen Erkrankung<br />
sein, wie dies nicht selten gerade bei Jugendlichen im Vorfeld psychotischer,<br />
namentlich schizophrener Erkrankungen gesehen wird (Fallvignette<br />
1). Weiterhin sind entwicklungs- und altersabhängige Auffälligkeiten des<br />
Sozialverhaltens zu erwähnen, die, sei es mangels Strafmündigkeit, sei es<br />
durch Art und Gestaltung der Abweichung von sozialen Erwartungen nicht<br />
justiziabel sind.<br />
Wenn auch im Gesamt der straffälligen Jugendlichen eine eher kleine Gruppe<br />
ist die, bei der eine manifeste psychiatrische Erkrankung Hintergrund<br />
einer Straftat ist. Hier reicht die Spannbreite von klaren, aber auch gutachterlich<br />
zu bewertenden Motivationszusammenhängen (z. B. ein an einer<br />
Zwangserkrankung leidender Jugendlicher bricht störungsmotiviert eine<br />
Unzahl von Mercedes-Sternen ab und sammelt diese, ein psychotischer<br />
Jugendlicher verübt unter dem Mandat imperativer Stimmen und/ oder<br />
wahnhaften Erlebens ein Körperverletzungsdelikt) zu mitunter schwierig<br />
und nur im Kontext gründlicher forensisch- psychia-trischer Untersuchungen<br />
zu klärende Bedingungskonstellationen, motivationalen Ableitungen<br />
und deren etwaige Beeinflussung der situativen Verfügbarkeit individueller<br />
Handlungskompetenzen und intrinsischen Steuerungsmechanismen.<br />
Neben der Feststellung des Vorliegens oder Fehlens der medizinischen<br />
Voraussetzungen eingeschränkter oder gar aufgehobener Schuldfähigkeit<br />
kommt auch der Reifebeurteilung des Jugendlichen bzw. jungen Heranwachsenden<br />
mitunter weitreichende Bedeutung in einem juristischen Verfahren<br />
zu.<br />
Weitaus vager und auch strittiger nicht nur in der kinder- und jugendpsychiatrischen<br />
Diskus-sion ist die Bewertung der vorwiegend oder ausschließlich<br />
durch Verstöße gegen soziale und juristische Normen auffälligen Kinder<br />
und Jugendlichen. Per se sind derartige Auffälligkeiten zunächst nicht<br />
eine psychische Störung. In den Klassifikationssystemen für psychische<br />
Störungen des Kindes- und Jugendalters (ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation,<br />
DSM-IV-R der American Psychiatric Association) gibt es keine<br />
speziellen Kategorien für Straffälligkeit (Remschmidt & Walter, <strong>2010</strong>). Diese<br />
Auffälligkeiten werden im Kindes- und Jugendalter den Störungen des<br />
Sozialverhaltens zugeordnet. Ist bei diesen Störungen das Überschneidungsfeld<br />
zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe, Schule<br />
und Pädagogik besonders groß, reklamiert die Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass diese Störungen Merkmale<br />
selbstständiger Krankheitsklassen und kategorien erfüllen (Schmidt,<br />
2008) bezüglich der Diagnostik, der Feststellung von Begleiterkrankungen<br />
und der Verlaufsmerkmale Priorität ihrer Disziplin. Nach diesem Verständnis<br />
weisen Sozialverhaltensstörungen eine einheitliche Symptomatik auf,<br />
zeigen eine einheitliche Ätiologie oder zumindest Pathogenese, nehmen<br />
einen einheitlichen Verlauf und reagieren auf einheitliche Interventionen.<br />
Unter Störungen des Sozialverhaltens werden andauernde Muster dissozialen,<br />
aggressiven und aufsässigen Verhaltens verstanden, die aufs Gröbste<br />
altersentsprechende soziale Erwartungen verletzen. Sie übersteigen deutlich<br />
das Maß gewöhnlichen kindlichen Unfugs und jugendlicher Aufmüpfigkeit<br />
und bestehen nicht nur in einzelnen dissozialen oder kriminellen<br />
Handlungen. Andere psychische Störungen sollen nicht Hintergrund für<br />
diese Auffälligkeiten sein, die mindestens über ein halbes Jahr beobachtet<br />
werden sollen. Die Merkmalsliste der Internationalen Klassifikation psychischer<br />
Störungen (ICD-10) umfasst ungewöhnlich häufige und heftige<br />
Wutausbrüche, oppositionelle Verhaltensweisen, Streiten, Ärgern, Schuldabwälzung,<br />
Empfindlichkeit, Groll, Gehässigkeit, Lügen und Unzuverlässigkeit.<br />
Missachtung der körperlichen Integrität anderer, den Gebrauch<br />
gefährlicher Waffen, abendliches Wegbleiben, körperliche Grausamkeit,<br />
Tierquälerei, Sachbeschädigung, Feuerlegen, Stehlen, Schuleschwänzen,<br />
Weglaufen, häufiges Tyrannisieren anderer sowie Erpressung, Raub, sexuelle<br />
Nötigung, Einbrüche. Eckpunkte über das geforderte Ausmaß und<br />
die Dauer einzelner Symptome werden vorgegeben. Nach Kölch (2009) leiden<br />
sieben Prozent aller männlichen Kinder und Jugendlichen sowie drei<br />
Prozent der Mädchen unter Störungen des Sozialverhaltens. In speziellen<br />
Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen zur Erziehungshilfe sind dieses bis<br />
zu 48 Prozent, wobei hier als Komorbidität bei 22 Prozent zusätzlich eine<br />
hyperkinetische Störung vorliegt.<br />
Im Rahmen der Dominanz des biologischen Ätiologieparadigmas in der<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie wurden als Risikofaktoren dissozialer Entwicklungen<br />
(Vloet 2006), morphologische Auffälligkeiten (Läsionen im<br />
Zentralnervensystem, vorwiegend Hypothalamus, Amygdala und präfron-<br />
taler Kortex), eine Reihe weiterer somatischer Auffälligkeiten (verminderte<br />
vegetative Reagibilität, Auffälligkeiten endokriner Regulationsmechanismen<br />
zwischen Hypophyse und Nebennierenrinde) sowie aus neurochemischer<br />
Perspektive eine serotonerge Dysfunktion postuliert, sämtlich<br />
Befunde, die diskutiert werden und deren spezifisch ätiologische Dignität<br />
für das primär deskriptive Störungsbild Störung des Sozialverhaltens resp.<br />
dissoziale Entwicklung aussteht. Weniger spekulativ und den in institutioneller<br />
Umgebung beobachtbaren Verhaltensformen näher sind Temperaments-<br />
und Persönlichkeitsfaktoren dieser Kinder und Jugendlichen:<br />
Abundant exploratives und impulsives Verhalten, ein durch wenige interne<br />
oder soziale Hemmungen gekennzeichneter Interaktionsstil, auffällige affektive<br />
Indifferenz, Empathiemangel sowie eine alterskorreliert defizitäre<br />
emotionale Regulation. Die Schwelle, die die Auffälligkeiten insbesondere<br />
die in jeglicher sozialen Umgebung schnell äußerst problematisch werdende<br />
Impulsivität situativ induziert, ist bei diesen Kindern und Jugendlichen<br />
meist erniedrigt. Mit einem solchen Persönlichkeits- bzw. Verhaltens-stil<br />
wurden insbesondere posttraumatische Entwicklungen in Zusammenhang<br />
gebracht, die aus den gleichfalls gefundenen psychosozialen Risikofaktoren<br />
(Vloet 2006) gut nachvollziehbar sind. Risiken von Herkunftsfamilie<br />
bzw. -umgebung wie niedriger sozioökonomischer Status, Zugehörigkeit<br />
zu einer ethnischen Minderheit, häufiger Wechsel von Bezugspersonen<br />
mit konsekutiven Bindungsstörungen, delinquente und/oder psychisch<br />
kranke Eltern, physi-sche und psychische Misshandlungen, ein inkonsequenter<br />
Erziehungsstil mit zu vielen oder zu wenigen Regeln führen zur<br />
Entwicklung defizienter Strategien sozialer Informationsverarbeitung, der<br />
eine wesentliche pathogenetische Funktion im skizzierten Verhaltensgefüge<br />
beigemessen wird. Insbesondere bei männlichen Jugendlichen sind<br />
überdies aggressive Rollenmodelle ein wesentlicher Faktor.<br />
Für diese Sozialverhaltensstörungen bzw. dissozialen Entwicklungen hat<br />
Moffit (1993) zwei Verlaufstypen beschrieben: Einen episodischen (auf das<br />
Jugendalter begrenzten) Verlaufstyp sowie eine persistierende (über den<br />
Lebenslauf hin stabile) Verlaufsform.<br />
Merkmale der episodischen Verlaufsform sind: Erstmals in der Pubertät<br />
treten oppositionelle und delinquente Verhaltensweisen auf, die sich insgesamt<br />
als nicht verhaltensstabil zeigen und bei Erreichen des Erwachsenenalters<br />
zurückbilden. Jugendliche mit diesem Verlaufstyp zeigen eine<br />
weitgehend unauffällige Persönlichkeitsstruktur, sind sozial meist gut integriert,<br />
weisen wenig weitere psychiatrische Auffälligkeiten auf, die Sozialverhaltensstörung<br />
zeigt wenig aggressive Delinquenzformen. Werden<br />
psychiatrische Symptome (z. B. Depressivität) beobachtet, sind diese eher<br />
als Folge dissozialen Verhaltens und der gesellschaftlichen Reaktionen zu<br />
werten. Substanzmissbrauch, also Alkohol und Drogen, erhöhen das Risiko<br />
für den Übergang in den persistierenden Verlaufstyp. Die dissozialen<br />
Auffälligkeiten haben in aller Regel zumindest vorübergehend Konsequenzen<br />
für die schulische, berufliche, soziale und familiäre Integration. Dieser<br />
Verlaufstyp wurde hauptsächlich als übersteigerte Bewältigungsform<br />
phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben gesehen und als Auflehnung<br />
gegen die Reifungslücke vor allem in westlichen Kulturen (Kluft zwischen<br />
psychischer Reifung und sozioökonomischer Selbstständigkeit) interpretiert.<br />
Epidemiologische Zahlen beschreiben diesen Verlaufstyp bei bis zu<br />
25 Prozent der Jugendlichen (Vloet, 2006).<br />
Als erheblich gravierender ist die persistierende Verlaufsform zu werten.<br />
Dieses sind Jugendliche, die schon ab dem Kindesalter durch aggressive,<br />
oppositionelle und delinquente Verhaltensweisen auffallen, die meist über<br />
das Jugendalter hinweg bis in das Erwachsenenalter weiter eskalieren.<br />
Neuropsychologische Defizite, namentlich Aufmerksamkeitsstörung, psychopathische<br />
Persönlichkeitszüge kennzeichnen diese Jugendlichen, die<br />
körperlich häufig aggressiv auftreten, sozial wenig bis gar nicht integriert<br />
sind (allenfalls in dissozialen Peergroups) und häufig körperlich aggressiv<br />
auftreten. In signifikant höherem Maße werden hier psychiatrisch relevante<br />
Auffälligkeiten wie ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Elemente einer<br />
posttraumatischen Belastungsstörung, frühen Sozialverhaltensstörungen,<br />
Depressivität bis hin zu suizidalen Syndromen, aber auch Substanzmissbrauch,<br />
Angststörungen sowie psychotische Syndrome gesehen. Neben<br />
den mitgebrachten auffälligen Temperamentsmerkmalen des Kindes, die<br />
die frühe Interaktion mitprägen, spielen häufig ein sehr ungünstiges familiäres<br />
Umfeld, kognitive Defizite des Kindes und Jugendlichen, frühe Traumatisierung<br />
und Misshandlung mit einer veränderten Angstschwelle sowie<br />
die Ausbildung einer Persönlichkeitsstörung eine Rolle. Dieser ungünstige<br />
Verlaufstyp wird in bei fünf bis zehn Prozent vor allem unter männlichen<br />
Jugendlichen gesehen.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
64 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
65<br />
Geht aus dem Gesagten über die persistierende Verlaufsform bereits<br />
früh die Orientierung an einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung hervor,<br />
stützt der episodische Verlaufstyp eine Entwicklungstheorie juveniler<br />
Delinquenz. Aufgrund der neurobiologisch im Zeitfenster der Adoleszenz<br />
stattfindenden zerebralen Umbauprozesse zeigt sich entwicklungsbedingt<br />
eine besondere Suszeptibilität gegenüber Umgebungseinflüssen, die wiederum<br />
zu jugendtypischen Verhaltenscharakteristika wie erhöhter Impulsivität,<br />
intensiverer Affektivität und Risikoverhalten beitragen. Reifungsungleichzeitigkeiten<br />
wurden bereits erwähnt, Dissozialität wird hier von<br />
allem in dem entwicklungskritischen Zeitfenster als Ausdruck von Anpassungsschwierigkeiten,<br />
Bewältigungsproblemen von Entwicklungsanforderungen<br />
gesehen. Derartige Jugendliche verfügen allerdings im Vergleich zu<br />
denen des persistierenden Verlaufstyps über erheblich mehr sogenannte<br />
protektive Faktoren wie bessere soziale Fertigkeiten, sie zeigen sich zumindest<br />
zu Beginn der Auffälligkeiten schulisch als erfolgreicher, fallen<br />
durch weniger begleitende psychische Störungen auf, zeigen sich als beziehungs-<br />
und bindungsfähig und von ihrer kognitiven Ausstattung als leistungsfähiger<br />
(Vloet, 2006; Laucht, 2001).<br />
Risikoevaluation und möglichst frühe Erfassung sind auch ein wesentliches<br />
Anliegen im Bereich psychischer Störungen. Generell haben epidemiologische<br />
Erhebungen erbracht, dass auch für psychische Störungen<br />
soziale Faktoren wie Armut, zerbrochene Familien, Migration, Bildungslaufbahn,<br />
Schichtstatus risikoerhöhende biographische Merkmale darstellen.<br />
Aspekte der als modern apostrophierten Lebenswelt wie ein exzessiver<br />
Medienkonsum, eine im-mer wieder beschworene hohe Mobilität<br />
und Flexibilität sowie das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in<br />
Teil- oder neu sortierten Familien tragen hier zu einem Strukturverlust im<br />
Kernbetreuungsgefüge der Familie bei, der institutionell bei Weitem nicht<br />
ausgeglichen werden kann. Für die hier infrage stehende spezielle Altersgruppe<br />
der Jugendlichen gilt cum grano salis, dass Entwicklungsschwellen<br />
generell als risikoerhöhend gelten, auch wenn das lange übliche Konzept<br />
von der Adoleszenz als Krise per se nicht ausreichend validiert werden<br />
konnte (u. a. Kapfhammer, 1995).<br />
Diagnostik und Intervention<br />
Angesichts der vielen Überschneidungen, differenter Verlaufsformen der generell<br />
häufig „vageren“ Störungsbilder im Jugendalter und auch bestimmter,<br />
teils trivialer, teils klischeehafter Grundannahmen („Pubertät!“) erscheint es<br />
aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht in jedem Falle dringlich, mittels<br />
einer adäquaten Diagnostik, in der Risikofaktoren für dissoziale delinquente<br />
Entwicklungen sowie Vorläufer und Begleitsymptomatik identifiziert werden,<br />
Voraussetzungen für frühzeitige Interventionen bei auffälligen Jugendlichen<br />
zu schaffen. Eine adäquate Diagnostik hilft bei der Differenzierung<br />
entwicklungsbedingter, dis-sozialer und dezidiert psychopathologisch relevanter<br />
Phänomene und ist der erste wesentliche Beitrag der Jugendpsychiatrie<br />
in der skizzierten interdisziplinären Herausforderung. Die hohe Dunkelziffer<br />
psychischer Störung bei Straftätern, die mangelnde Identifikation<br />
von Risikofaktoren und bei bereits stattgehabter Straffälligkeit die geringe<br />
Gutachtensquote zeigen Verdichtungs- und Verbesserungsmöglichkeiten in<br />
diesem Bereich an (Brünger & Weissbeck, 2008).<br />
Interventionen jeglicher Art hängen immer vom institutionellen Rahmen,<br />
der Ausgangsstörung und anderen individuellen Bedingungen wie Alter,<br />
Entwicklungsstand, kognitive Voraussetzungen ab. Dennoch lassen sich<br />
Schwerpunkte therapeutischer Arbeit mit Jugendlichen mit psychischen<br />
Auffälligkeiten und Dissozialität/Delinquenz benennen (Weissbeck &<br />
Brünger, 2008). Behandlungsziele, in denen sich heilpädagogische, sozialtherapeutische<br />
und kinder- und jugendpsychiatrische Kompetenz ergänzen<br />
müssen, bestehen immer in der Verbesserung der Realitätsprüfung mit<br />
dem Antizipieren von Handlungskonsequenzen, der Verbesserung kommunikativer<br />
Fertigkeiten mit der Entwicklung sozial adäquater Konfliktlösungsstrategien,<br />
der Verbesserung der Beziehungsfähigkeit mit Offenheit<br />
und Vertrauensbildung, ein sozial adäquaterer Umgang mit Verbesserung<br />
von Frustrationstoleranz, emotionaler Stabilität und Impulskontrolle, einer<br />
Verbesserung der Normenorientierung und Förderung alternativer<br />
Befriedigungsstrategien sowie auch in einer Verbesserung familiärer Beziehungen.<br />
Hinzu treten nach Art der Grundstörung weitere spezifische<br />
Behandlungsziele. Je nach institutioneller bzw. therapeutischer Umgebung<br />
und Grundstörung kommen psy-chopharmakotherapeutische Strategien,<br />
soziales Kompetenztraining, Entspannungsverfahren, Kreativtherapien,<br />
Arbeits- und Verselbstständigungstraining, verhaltenstherapeutische<br />
Strategien zur Verhaltensmodifikation, psychoedukative Maßnahmen in<br />
einzel- und gruppentherapeutischem Rahmen, mitunter auch im Rahmen<br />
einer Stufenbehandlung zum Einsatz (Weissbeck & Brünger, 2008). Schule,<br />
Ausbildung, berufsvorbereitende Maßnahmen, also eine praktische<br />
Unterstützung bei der Wahrnehmung individueller Entwicklungsoptionen<br />
zeigen sich ganz unabhängig von der institutionellen Umgebung generell<br />
als stabilisierender und prognostisch positiv Einfluss nehmender Faktor.<br />
Prävention<br />
Die Bedeutsamkeit straffälligen Verhaltens gleich welcher Genese, sowohl<br />
für den jugendlichen Straftäter selbst als auch für die soziale Gemeinschaft,<br />
legen nahe, präventive Strategien zu entwickeln und konsequent<br />
einzusetzen. Angesichts der epidemiologischen Relevanz wäre die<br />
Integration von Familien verhaltensproblematischer Kinder in Screeningprogramme<br />
als Primärprävention wünschenswert. Es zeigt sich jedoch<br />
immer wieder, dass gerade bei diesen Familien die Akzeptanz derartiger<br />
Unterstützungen äußerst gering ist und diese auch insgesamt auf einer<br />
freiwilligen Basis wenig erreichbar sind (Brünger & Weissbeck, 2008). Die<br />
Ambivalenz des öffentlichen Bewusstseins für ein vernetztes und elaboriertes<br />
Meldewesen derart auffälliger Kinder ist nachvollziehbar. Dennoch<br />
erscheint es auf welchem Wege auch immer prinzipiell wünschenswert,<br />
Prädiktorvariablen für dissoziale Störungen und de-linquente Auffälligkeiten<br />
wie Entwicklungsstörungen, hyperkinetische Störungen, Entwicklungsverzögerungen,<br />
widrige familiäre Verhältnisse und kindliche dissozialen<br />
Störungen zu identifizieren.<br />
Auf der Ebene der Sekundärprävention wäre exemplarisch vor allem die<br />
Diagnostik und adäquate Behandlung eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms<br />
(ADHS) zu nennen, das nach Längsschnittuntersuchungen mit einem<br />
besonders hohen Entwicklungsrisiko einhergeht. 30 bis 80 Prozent<br />
aller Kinder mit einem diagnostizierten ADHS erreichen keinen Schulabschluss,<br />
60 Prozent keine adäquate soziale Integration, wobei 45 Prozent<br />
ein antisoziales Verhalten zeigen. 25 Prozent entwickeln Depressionen,<br />
20 Prozent Persönlichkeitsstörungen (Kölch 2009). Auch die Rate derer,<br />
die eine stoffgebundene Abhängigkeitsentwicklung neh-men, ist hoch.<br />
Neben der nach einer sorgfältigen Diagnostik unter Würdigung anderer<br />
pathogenetischer Elemente (und zwar nur dann!) empfohlenen Medikation<br />
mit Stimulanzien (u.a. Methylphenidat, Atomoxetin) sind weitere adjuvante<br />
Maßnahmen in schulischem Rahmen, verhaltenstherapeutische Strategien<br />
sowie ambulante oder stationäre Maßnah-men nach dem Kinder- und<br />
Jugendhilfegesetz auf ihre Indikation hin zu prüfen. Einschränkend muss<br />
allerdings gesagt werden, dass auch bei Intervention die Prognose einer<br />
Hochrisikokerngruppe mit derartigen Auffälligkeiten schlecht bleibt.<br />
Der Tertiärprävention bleibt es dann vorbehalten, psychisch kranke Straftäter<br />
im Gefängnis oder- sollte eine De- bzw. Exkulpierung im Rahmen<br />
einer forensischen Begutachtung erfolgt sein-, im Maßregelvollzug angemessen<br />
zu behandeln und zu betreuen, um zumindest per-spektivisch Voraussetzungen<br />
einer günstigen prognostischen Beeinflussung zu schaffen.<br />
Zusammenfassende Konsequenzen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe,<br />
Schule und Justiz<br />
In jedem Fall erscheint es trotz mitunter zweifelhafter Prognose bei einer<br />
Hochrisikogruppe von überragender Bedeutung, eine rechtzeitige Weichenstellung<br />
durch eine adäquate Diagnostik vorzunehmen. Im Hinblick auf die<br />
skizzierten Risikoentwicklungen müssen psychiatrische Störungen und<br />
auch komorbide Störungen dissozialer Verlaufsformen rechtzeitig identifiziert<br />
werden, um im Rahmen evaluierter Vorgehensweiser, ggfs. eine adjuvante<br />
Pharmakotherapie einsetzen zu können. Früh beginnende Störungen<br />
des Sozialverhaltens gleich welcher Genese erreichen oft den Charakter<br />
seelischer Behinderung, weil sie die Teilhabe am sozialen Leben langfristig<br />
bedrohen oder beeinträchtigen. Hier kommt der Jugendhilfe und dem<br />
familiären Anspruch auf Unterstützung entscheidende und durch niederschwellige<br />
Vorfeldangebote wie Clearingmaßnahmen eine bedeutungsvolle<br />
Weichenstellungs- und Zu-weisungsfunktion zu. Gerade für Jugendliche mit<br />
einem hohen Risikohintergrund erscheint die Begleitung der „Sollbruchstelle“<br />
Schule und nachschulische berufliche Anbahnung sinnvoll, um gefährdeten<br />
Jugendlichen den Einstieg in eine risikomindernde sozialintegrative<br />
Ausbildungsumgebung zu ermöglichen. Mit der Volljährigkeitsschwelle<br />
wiederum entfallen für Jugendliche viele öffentliche Unterstützungsmöglichkeiten,<br />
auch die rechtliche Situation junger Heranwachsender muss<br />
mitunter ausdrücklich neu bewertet werden, so dass die Zeit drängt.<br />
Abschließende Bemerkung<br />
Abhängig vom ätiologischen bzw. motivationalen Hintergrund sowie Entwicklungsverlauf<br />
zeigen sich in dem Gefüge der Aufgaben von Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe, Schule und Justiz erhebliche Unterschiede<br />
in Gewichtung und Akzentsetzung, nicht zuletzt, was den Betreuungs- und<br />
Behandlungsstrang bei den mitunter sehr differierenden Anforderungen<br />
betrifft, die die Problematik dieser Jugendlichen für sie aufwirft. Stellt die<br />
Justiz meist die vorerst letzte Station des in vielen Belangen belasteten<br />
und häufig misslingenden Entwicklungsweges eines dergestalt auffälligen<br />
Jugendlichen dar, kommen trotz aller relativierenden Längsschnittuntersuchungen<br />
den genannten Disziplinen wichtige, trotz allem mitunter<br />
prognostisch entscheidende präventive, therapeutische, betreuend begleitende<br />
Aufgaben zu, denen sie nur in der interdisziplinärer Kooperation<br />
annähernd gerecht werden können.<br />
Literatur<br />
Brünger, M. & Weissbeck, W. (2008). Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter – eine interdisziplinäre<br />
Herausforderung. In M. Brünger, W. Weissbeck (Hrsg.), Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter (S. 3-14).<br />
Berlin: Medizinisch-wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.<br />
Kapfhammer, H. P. (1995). Psychosoziale Entwicklung im jungen Erwachsenenalter. Berlin: Springer.<br />
Kölch, M. (2009). Psychische Erkrankungen im Jugendalter. Symposium Jugendliche und jun-ge Erwachsene<br />
mit psychischen Störungen im Schulalltag. Ulm 22.04.2009.<br />
Laucht, M. (2001). Antisoziales Verhalten im Jugendalter: Entstehungsbedingungen und Ver-laufsformen.<br />
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 29 (4), 297-311.<br />
Moffitt, T. E. (1993). Adolescent-limited and life-course persistent antisocial behavior: A de-velopmental<br />
taxonomy. Psychological Review, 100 (4), 674-701.<br />
Ravens-Sieberer, U., Wille, N., Bethke, S. & Erhart, M. (2007). Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen<br />
in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-schung – Gesundheitsschutz, 50,<br />
871-878.<br />
Remschmidt, H. & Walter, R. (<strong>2010</strong>). Was wird aus delinquenten Kindern? Ergebnisse der Marburger Kinderdelinquenzstudie.<br />
Deutsches Ärzteblatt int., 107 (27), 477-483.<br />
Schmidt, M. H. (2008) Dissozialität – Ein Überblick. In M. Brünger, W. Weissbeck (Hrsg.), In Weissbeck, W. &<br />
Brünger, M. (Hrsg.) Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter, a. a. O., S. 15-30.<br />
Vloet, T. D., Herpertz, S. & Herpertz-Dahlmann, B. (2006). Ätiologie und Verlauf kindlichen dissozialen Verhaltens<br />
– Risikofaktoren für die Entwicklung einer antisozialen Persönlich-keitsstörung. Zeitschrift für Kinderund<br />
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 34 (2), 101-115.<br />
Weissbeck, W. & Brünger, M. (2008). Konzeption der sozialtherapeutischen Abteilung im Pfalzinstitut Klingenmünster<br />
– Ein Organisationsmodell des Maßregelvollzugs und der so-zialtherapeutischen Behandlung innerhalb<br />
der Kinder- und Jugendpsychiatrie. In M. Brün-ger, W. Weissbeck (Hrsg.), Psychisch kranke Straftäter<br />
im Jugendalter, a. a. O., S. 145-174.<br />
Die Videokonferenz an der Staatlichen Schule für<br />
Kranke München – ein Schülerprojekt<br />
Ingrid Glauz<br />
Studienrätin im Realschuldienst, Schule für Kranke, München<br />
Inge Schneider<br />
Gymnasiallehrerin, Schule für Kranke, München<br />
Pädagogisches Konzept:<br />
Zwischen der Schule für Kranke (SfK) in der Schwabinger Kinderklinik, einem<br />
Münchener Gymnasium und einer Münchener Realschule ist mit finanzieller<br />
Unterstützung der Stadt München und verschiedener Stiftungen<br />
eine Videokonferenzschaltung mit der Bezeichnung „digitales Klassenzimmer“<br />
eingerichtet worden. Über die Videokonferenzschaltung können die<br />
Jugendlichen an dem Unterricht der Partnerschulen in den Fächern, die<br />
von den Lehrern der SfK nicht unterrichtet werden können, teilnehmen.<br />
• Die SfK verfügt nicht über Fachlehrer und Fachräume in Physik und<br />
Chemie. Mit der VK können die Schülerinnen den Lernstoff in Physik<br />
und Chemie bearbeiten und erhalten zudem die Chance, spannende<br />
Einführungsstunden mit Versuchen zu erleben.<br />
• Das Ziel der neuen Unterrichtsform besteht vor allem darin, die schulischen<br />
Versäumnisse der kranken Schüler/innen möglichst gering zu<br />
halten, um den Schüler/innen die Angst zu nehmen, den stofflichen Anschluss<br />
an die Heimatschule nicht zu schaffen.<br />
• Es soll vermieden werden, dass sich die ehrgeizigen Mädchen nach ihrer<br />
Entlassung beim Nacharbeiten des versäumten Lernstoffs überfordern<br />
und durch diese psychische Belastung ihre Genesung und Therapieerfolge<br />
gefährden.<br />
• Die Reintegration in das normale schulische Dasein nach der Entlassung<br />
aus dem Krankenhaus soll ihnen erleichtert werden.<br />
Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schüler/innen:<br />
• Die Schüler/innen in der Klinik erwerben viele Fachkenntnisse und können<br />
ihrerseits aber auch dazu beitragen, dass sie ihr Wissen in den Unterricht<br />
mit einbringen.<br />
• Soziale und persönliche Kompetenzen wie dem kranken Schüler helfen,<br />
ihn unterstützen, sich trauen sich vor eine fremde Klasse zu stellen, sich<br />
trauen, sich in den Unterricht einzubringen … werden gefordert und gefördert.<br />
• Die Schüler/innen der Partnerschule haben die Aufgabe, die kranken<br />
Schüler/innen in ihre Klasse zu integrieren und gleichzeitig ist es eine<br />
Herausforderung für die kranken Schüler/innen sich in die unbekannte<br />
Klasse zu integrieren.<br />
• Die Schüler/innen müssen in Bezug auf Disziplin, Aufmerksamkeit und<br />
aktive Beteiligung zusammenarbeiten.<br />
• Das Thema „krank sein“ könnte im Unterricht behandelt werden.<br />
Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schulen:<br />
• Schulentwicklung (neue Unterrichtsform, Öffnung der Schule nach außen,<br />
Aufnahme eines Gastschülers)<br />
• Verbesserung der EDV-Ausstattung<br />
• Kontakt und Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen<br />
• Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung des Unterrichts<br />
Praxis einer Videokonferenzschaltung: ein Filmprojekt<br />
Für die Darstellung der Praxis lassen wir nun die sprechen, die daran beteiligt<br />
sind:<br />
• die Schüler/innen in der Klinik<br />
• die Schüler/innen in der Partnerschule<br />
• Lehrer/innen der Partnerschule<br />
So entstand ein Filmprojekt, dessen Drehbuch, Texte, Szenen und Ausführung<br />
aus den Ideen der Schülerinnen in der Klinik hervorgingen.<br />
Erarbeitung des Drehbuchs<br />
Fragen an die Schüler/innen in der Klinik<br />
• Was war euer erster Gedanke, als ihr erfahren habt, dass es zu unserem<br />
schulischen Konzept gehört, in den Fächern Physik und Chemie an einer<br />
Videokonferenzschaltung zu einer fremden Schule teilzunehmen?<br />
• Freut es euch, dass ihr am Unterricht der Partnerschule teilnehmen könnt?<br />
• Habt ihr von dieser neuen Unterrichtsform vielleicht sogar einen persönlichen<br />
Gewinn?<br />
• Habt ihr das Gefühl, dass ihr von den Videokonferenzschaltungen profitiert?<br />
Fragen an die Schüler/innen der Partnerschule<br />
• Was war euer erster Gedanke, als ihr erfahren habt, dass ihr mit uns eine<br />
Videokonferenz durchführen werdet?<br />
• Findet ihr es von den kranken Schülern mutig, dass sie an einer Videokonferenz<br />
teilnehmen?<br />
• Beeinflusst eine Videokonferenz den Unterricht? Wenn ja, wie?<br />
• Habt ihr einen Gewinn, wenn ihr an der Videokonferenz teilnehmt?<br />
• Freut es euch, dass ihr mithelfen könnt, dass wir Unterricht kriegen? Wie<br />
könnt ihr euch verhalten, dass der Unterricht gelingt?<br />
Fragen an die Lehrer der Partnerschule<br />
• Herr Schaper, Sie sind der Leiter der Projektes “das digitale Klassenzimmer“<br />
am Thomas-Mann-Gymnasium.<br />
Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass sich Ihre Schule für<br />
dieses Projekt interessiert hat?<br />
• Welche Erfahrungen haben Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen im<br />
Unterricht mit den kranken Kindern gemacht?<br />
• Sehen Sie in dem Projekt einen Gewinn für Ihre Schüler und Schülerinnen?<br />
• Gibt es aus Ihrer Sicht noch Verbesserungsvorschläge
66 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
67<br />
Beginn der Dreharbeiten<br />
Die Fragen und Antworten sollten nun in Diskussionsrunden erörtert werden.<br />
Dazu wurden die Rollen an die einzelnen Schüler verteilt und die<br />
Sprechweise und Reihenfolge eingeübt. Ohne filmische Vorkenntnisse<br />
seitens der Lehrer und Schülerinnen wurden die Diskussionsrunden gefilmt.<br />
Wir hatten zwar viel Spaß dabei, aber das Ergebnis waren nur statische<br />
Szenen mit viel, viel Text. Ein Großteil der beteiligten Schülerinnen<br />
wurde entlassen und wir hatten nur halbfertiges Filmmaterial und neue<br />
Schülerinnen, die unsere Begeisterung für das Filmprojekt in keinster<br />
Weise teilten. In diese Lücke stieß nun Herr Fütterer, ein Kameramann<br />
und Drehbuchautor vom Fernsehsender PRO 7, der mit den Schülerinnen<br />
ein Filmprojekt, finanziert von unserem Förderverein, durchführen sollte.<br />
Er gab uns eine Einführungsstunde zur Kameraführung und zur Arbeit mit<br />
einem Drehbuch. Bei einigen Schülerinnen wurde das Interesse geweckt,<br />
sie arbeiteten sofort am Drehbuch weiter und dachten sich wirklich nette<br />
Szenen aus. Als es nun darum ging, die Szenen zu filmen, fand sich spontan<br />
nur eine Schülerin, die die Kamera führen wollte und eine zweite, die<br />
sich als Darstellerin zur Verfügung stellte. Die anderen Schülerinnen ließen<br />
sich nicht gewinnen. Ich hatte schon Sorge, dass wir das Projekt nicht<br />
zu Ende bringen könnten. Am Montag nach dem Wochenende wendete<br />
sich das Blatt, eine zweite Schülerin stellte sich als Darstellerin zur Verfügung.<br />
Nun begannen die drei Mädchen völlig eigenständig ihre Szenen<br />
zu drehen. Das Ergebnis sahen wir uns am nächsten Tag an, es war so<br />
überraschend gut und wir waren so begeistert, dass sich diese Stimmung<br />
nach und nach auf alle Schülerinnen übertrug und schließlich alle am Film<br />
auch als Darsteller mit machen wollten.<br />
Insgesamt hatten wir für die Dreharbeiten einen Zeitraum von 2 Wochen<br />
mit täglich 2 Stunden Arbeitszeit zur Verfügung. Daher mussten wir Lehrer<br />
in der Endphase beim Schneiden tatkräftig mit unterstützen.<br />
Film<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Die Videokonferenz, Aussagen der Schülerinnen und Schüler<br />
Die neueste Methode für Kinder im Krankenhaus, Unterricht aktiv mitzuverfolgen!<br />
Stammt aus dem Lateinischen: videre, sehen und Konferenz, im Sinne von<br />
Zusammenkommen<br />
„während unserer ersten Schaltung konzentrierten wir uns mehr auf die<br />
neue Umgebung und die Reaktionen der Klasse als auf den wirklichen Unterricht…“<br />
Viele Jugendliche sind schüchtern, besonders chronisch kranke, die auch<br />
durch die Krankheit wenig Kontakt haben, sie haben oft nicht den Mut zu<br />
sprechen und leiden unter Einsamkeit bezogen auf Gleichaltrige. Durch<br />
die Webcam sehen und hören sie die anderen Schüler, ohne dass sie sich<br />
direkt gegenüberstehen, das hilft leichter sprechen zu können.<br />
Dadurch, dass wir in der Videokonferenz wieder Zugang zum Unterricht<br />
in der Außenwelt bekommen, gerät ein Stück Normalität in unser Leben,<br />
wir haben die Chance trotz momentaner Schwierigkeiten nicht in totalen<br />
Rückzug zu treten, sondern den Blick für das Leben nicht zu verlieren und<br />
ein Verhältnis zu Menschen außerhalb des Krankenhauses aufzubauen.<br />
Auch die gesunden Jugendlichen erfahren mehr über ihre neuen Mitschüler<br />
und entwickeln Sensibilität für die Krankheit der anderen und bestimmte<br />
Reaktionen.<br />
Vor allem die Weiterentwicklung der Persönlichkeit spricht für eine Teilnahme<br />
an der Videokonferenz. So stärkt diese Art von Unterricht das<br />
Selbstbewusstsein der Heranwachsenden deutlich. Denn zuerst einmal<br />
heißt es, sich der neuen Klasse vorzustellen und sich dabei gekonnt, überzeugend<br />
und selbstsicher zu präsentieren und mit dem Gefühl konfrontiert<br />
zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Bei Fragen zum Schulstoff kostet es<br />
Mut, Nerven und Überwindung, eigene Anliegen und Ideen in den Unterricht<br />
einzubringen.<br />
Mit der Zeit wurde ich immer sicherer und bin mit Selbstvertrauen und<br />
sogar Vorfreude in die Videokonferenzstunden gegangen.<br />
Wir lernten neue Arbeitsmethoden, Lehr- und Lernmethoden kennen, was<br />
zu einer toleranteren Haltung gegenüber Veränderungen führt. Wir konnten<br />
uns unsere eigene Meinung zum Nutzen dieser neuen Lerntechnik bilden,<br />
unabhängig und völlig unvoreingenommen. Zuerst hatten wir große<br />
Vorurteile gegenüber einer Schaltung, doch unsere Einstellung änderte<br />
sich, so dass wir für neue Lebensbereiche offener wurden und Angst vor<br />
Neuem verloren. Das ist besonders bei psychosomatisch Erkrankten von<br />
Bedeutung.<br />
Wer glaubt, es sei bei der Videokonferenz mit passivem Zuhören und Abschreiben<br />
getan, irrt sich, es kommt auf die aktive und engagierte Mitarbeit<br />
an, man zeigt sich, wird gesehen und gehört. Auch zum Thema gehörige<br />
Arbeitsblätter wollen mit Hilfe eigener Recherchen ausgefüllt werden.<br />
Die zugeschalteten Lehrer nehmen speziell Rücksicht auf die Schüler im<br />
Krankenhaus und bemühen sich alles so deutlich und genau zu erklären,<br />
damit das Mitkommen leichter wird.<br />
Durch das kontinuierliche Erleben des „echten“ Unterrichts fällt es leichter<br />
sich wieder in die Heimatschule einzufinden, Klassengröße und – klima,<br />
viel Still- und Selbstarbeit spielen hierbei eine Rolle und auch in Physik<br />
die Versuche.<br />
Vor Beginn einer Therapie mit einem längeren stationären Klinikaufenthalt<br />
spielen die Schule und die schulischen Leistungen im Gespräch zwischen<br />
Eltern und Schülern eine große Rolle. Es beruhigt sehr, wenn man weiß,<br />
dass man die Gelegenheit hat, am normalen Unterricht an einer Außenschule<br />
teilnehmen zu können, denn oft haben die Schülerinnen die Befürchtung<br />
wichtigen Grundlagen für die weitere schulische Ausbildung zu<br />
versäumen.<br />
Von Lorena, Leonie und Nadine<br />
Resümee (Entwicklung der Entstehung des Films)<br />
Abschließend möchten wir noch mal verdeutlichen, dass das wesentliche<br />
Ergebnis dieses Films neben den fachlichen vor allem die Erweiterung<br />
der persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen darstellt. Magersüchtige<br />
Mädchen und Jungen, die sich oft scheuen, vor einer kleinen Gruppe zu<br />
sprechen und erst allmählich ihre Kreativität und Phantasie wieder finden,<br />
entdecken an sich völlig neue Seiten.<br />
Nicole, die den gesamten Film drehte, erbrachte enorme Leistungen, wenn<br />
man nur mal das Gewicht der Kamera bedenkt. Für sich selbst hat sie eine<br />
neue Berufsidee gewonnen.<br />
Die beiden Hauptdarstellerinnen Nina und Leonie sind sensationell über<br />
sich hinausgewachsen.<br />
Andere Schüler/innen haben sich anfangs sehr lange gegen ein Mitmachen<br />
gewehrt, dann doch ihre Schüchternheit abgelegt und wollten sich<br />
schließlich sogar als Schauspieler probieren.<br />
Für uns Lehrer bestand die Haupterkenntnis aus der Filmprojektarbeit<br />
vor allem darin, zu sehen wie differenziert die Schülerinnen diese neue<br />
Unterrichtmethode betrachten und welch großen Einfluss sie auf die Entwicklung<br />
und Erweiterung der sozialen und persönlichen Kompetenzen in<br />
Richtung Selbstbewusstsein hat.<br />
Wenn wir noch mal die Ziele der VK, die wir in unserem pädagogischen<br />
Konzept formuliert haben, betrachten, dann sehen wir jetzt, dass wir die<br />
Reihenfolge verändern müssen.<br />
Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schüler/innen:<br />
• Der Erwerb von Fachkenntnissen, der anfänglich an der erster Stelle<br />
stand, ist nun gleichwertig mit den sozialen und persönlichen Kompetenzen.<br />
• Erweiterung der sozialen und persönlichen Kompetenzen<br />
• Integration der kranken Schüler/innen in eine Klasse<br />
• Kooperation zwischen den Schülern der beiden Schulen<br />
• Das Thema „krank sein“ als Unterrichtseinheit<br />
Jedes gute Projekt muss auch gebührend beendet werden. Wir haben mit<br />
unseren Schülern eine Oskar-Verleihung gefeiert.<br />
Nachtrag:<br />
Einige Teilnehmer an unserem Workshop gaben uns sehr positive Rückmeldungen,<br />
insbesondere darüber, dass 3 Schülerinnen, die an dem Filmprojekt<br />
mitgemacht haben, eingeladen waren und sehr authentisch und<br />
praxisbezogen über die Videokonferenz berichteten und Fragen der Teilnehmer<br />
gut beantworteten.<br />
Fortbildung für Klinik- und Hauslehrer/innen<br />
Christoph Napp<br />
stellvertretender Leiter an der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht<br />
in Hamburg<br />
In Hamburg werden kranke Schüler von den Lehrerinnen und Lehrern der<br />
„Schule für Haus- und Krankenhausunterricht“ (HuK) zu Hause, in Krankenhäusern<br />
oder auch in den Unterrichtsräumen der HuK-Zentrale betreut.<br />
Die einzelnen Bereiche des HuK sind der Hausunterricht, der Krankenhausunterricht<br />
in der Pädiatrie und der Krankenhausunterricht in der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrie.<br />
Das Kollegium wuchs in den letzten Jahren stark an und besteht mittlerweile<br />
aus 62 Kolleginnen und Kollegen, die sich 45,5 Stellen teilen. Zu den<br />
oben genannten Bereichen kommt jetzt neu der Bereich Autismusberatung<br />
hinzu.<br />
Die verschiedenen Aufgabenbereiche haben sehr unterschiedliche Arbeitsbedingungen:<br />
• Krankenhauslehrer (Kinder- und Jugendpsychiatrie), die in den vier Klinikschulen<br />
von Kinder- und Jugendpsychiatrien und in einem sozialpädiatrischen<br />
Zentrum arbeiten. In diesen Settings wird zum Teil bzw. zeitweise<br />
im Einzelunterricht gearbeitet, im Wesentlichen aber in Gruppen<br />
unterrichtet, wobei die Gruppenzusammensetzung höchst unterschiedlich<br />
sein kann. So kann eine Gruppe beispielsweise aus Vorschülern,<br />
Grundschülern und Schülern der 5. – 7. Klasse bestehen, die dann<br />
auch noch aus unterschiedlichen Schulformen kommen (Förderschule,<br />
Grundschule, Haupt- und Realschule, Gesamtschule, Gymnasium).<br />
• Krankenhauslehrer (Pädiatrie) unterrichten an verschiedenen Standorten<br />
in fünf Hamburger Kinderkrankenhäusern und an einem Unfallkrankenhaus<br />
mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Erkrankungen des Bewegungsapparates,<br />
Querschnittsgelähmte, Brandverletzte, Dialyse- und<br />
Krebspatienten etc.). Hier werden die Schüler meist im Einzelunterricht<br />
betreut. Die Krankenhauslehrer müssen sich ständig neu einstellen auf<br />
verschiedene fachliche Ansprüche ihrer Schüler, aber auch auf stark<br />
wechselnde Belastbarkeiten ihrer Schüler. Viele Kollegen aus den pädiatrischen<br />
Klinikschulen unterrichten nachmittags auch noch Hausschüler.<br />
• Hauslehrer, die im gesamten Hamburger Stadtgebiet kranke Kinder zu<br />
Hause oder an einem nahe gelegenen Standort unterrichten und somit<br />
einen engen Kontakt zum Elternhaus haben. Die Schüler werden größtenteils<br />
einzeln unterrichtet. Hauslehrer decken oft einen ganzen Fächerkanon<br />
ab, Alter, Klassenstufe und Schulform der zu betreuenden<br />
Schüler wechseln innerhalb eines Arbeitstages stark. Im Hausunterricht<br />
werden mittlerweile ca. 2/3 psychisch erkrankte Schüler betreut. Diese<br />
werden in der Regel nicht zu Hause unterrichtet, sondern in unseren eigenen<br />
Unterrichtsräumen betreut. Über den eigentlichen Unterricht ist<br />
hier auch viel sogenannte „Fallarbeit“ zu leisten, um eine Reintegration<br />
in die Schule zu ermöglichen.<br />
Allen Lehrern gemeinsam ist, dass sie einen intensiven Kontakt zur<br />
Stammschule der Schüler pflegen. Zudem wird mit den zuständigen Ärzten,<br />
Therapeuten, Betreuern, mit dem Elternhaus, mit den regionalen<br />
Beratungs- und Unterstützungsstellen (ReBUS), mit anderen Hamburger<br />
Behörden (Jugendamt, Arbeitsamt) und Einrichtungen der Jugendhilfe zusammengearbeitet.<br />
Der Unterricht von Schülern mit schweren, lang andauernden oder chronischen<br />
Erkrankungen unterscheidet sich sehr von Unterrichtssituationen<br />
an Regelschulen. Lehrer von kranken Schülern sind ständig mit vielfältigen<br />
Anforderungen und Fragen konfrontiert, die weit über die „normalen“ Aspekte<br />
von Unterricht hinausgehen, zum Beispiel:<br />
• Wie unterrichte ich am Krankenbett, wenn ein Kind über längere Zeit mit<br />
orthopädischen Erkrankungen ans Bett gefesselt ist?<br />
• Wie kann ich Rücksicht nehmen auf die Schwäche eines Kindes, welches an<br />
Krebs erkrankt ist? Wie gehe ich mit dem Tod eines Schülers um?<br />
• Wie werde ich Schülern gerecht, die zum Beispiel unter Rheuma, Asthma,<br />
Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen leiden?<br />
• Wie motiviere ich Schüler, die depressiv sind oder seit Monaten die<br />
Schule nicht mehr besucht haben?<br />
• Wie gehe ich mit Schülern um, die emotionale Störungen mit aggressiven<br />
Impulsdurchbrüchen zeigen? Wie kann ich ihnen helfen, sich wieder<br />
angemessen in einer Schülergruppe zu verhalten?<br />
• Wie bereite ich den Unterrichtsstoff für Schüler einer Gruppe auf, die<br />
heterogen in Bezug auf Alter, Klassenstufe und Schulform ist? Wie kann<br />
ich Schüler in gemischten Gruppen individuell fördern?<br />
Die oben genannten Fragestellungen machen deutlich, dass Lehrer von<br />
besonderen Schülern auch besondere Voraussetzungen erfüllen müssen.<br />
Neben der selbstverständlichen Aneignung von Fachwissen müssen sich<br />
Klinik- und Hauslehrer ein Wissen über die Krankheiten sowie deren Auswirkungen<br />
auf die Lernfähigkeit der betreuten Schüler aneignen. Nur wenn<br />
man ein genaues Bild vom Gesundheits- und Leistungsstand der betreuten<br />
Schüler hat, kann man einen angemessenen Umgang mit dem kranken<br />
Schüler haben.<br />
Bedeutsam ist auch die Bereitschaft, in Teams und im Austausch mit anderen<br />
Bezugspersonen eines Schülers zusammenzuarbeiten. Das bedeutet<br />
eine hohe Flexibilität, die insbesondere bei den Hauslehrern auch ganz<br />
selbstverständlich ständig wechselnde Lernorte bedeutet. Zusammenfassend<br />
gibt es also viele Gründe dafür, dass Lehrer kranker Schüler sich<br />
in besonderem Maße auf die individuelle Beziehungsarbeit mit Schülern<br />
in zum Teil extremen Unterrichtssituationen und außergewöhnlichen<br />
„Klassenzimmern“ einstellen müssen. Eine der Vorbereitungen für gelingenden<br />
Unterricht ist eine kontinuierliche, auf die Arbeitsanforderungen<br />
ausgerichtet Fortbildung, denn Besondere Lehrer brauchen besondere<br />
Fortbildungsangebote Kurzgefasst ergeben sich aus den vorstehenden<br />
Ausführungen insbesondere folgende Gründe für besondere Fortbildungsangebote:<br />
• Die Besonderheit der Schüler bzw. die besondere Situation der Schüler<br />
• Unterricht in sehr heterogen zusammengesetzten Gruppen<br />
• Die Vielfalt der Unterrichtsfächer, Schulformen und Klassenstufen<br />
• Besondere Formen des Unterrichts (Teamteaching, vernetztes Arbeiten)<br />
• Sehr unterschiedliche Unterrichtsorte<br />
• Flexible Unterrichts- und Arbeitszeiten<br />
• Enge Zusammenarbeit mit zahlreichen unterschiedlichen Berufsgruppen<br />
In der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht wurde immer stärker<br />
deutlich, dass zur Erfüllung eines derartigen Lehrauftrages nicht nur<br />
fachlich-didaktische Anregungen notwendig sind, sondern auch Hilfen<br />
vermittelt werden müssen, die Lehrer im Umgang mit besonderen Schülern<br />
stärken, einfühlsam und einfallsreich machen, aber auch flexibel sein<br />
lassen. Die üblichen Angebote des Landesinstitutes für Lehrerbildung und<br />
Schulentwicklung in Hamburg erfüllten dabei nur ansatzweise die speziellen<br />
Kriterien, die sich die Lehrer kranker Schüler wünschten.<br />
Dieser Umstand führte dazu, dass die Leiterin des HuK, Frau Mona Meister ein<br />
spezielles Fortbildungsangebot für Lehrer kranker Schüler entwickeln wollte.<br />
Dazu wurde im Jahr 2006 eine Arbeitsgruppe „Fortbildung““ gebildet, die<br />
seitdem ein abwechslungsreiches Fortbildungsangebot für die Kollegen<br />
plant und gestaltet. Es ist abgestimmt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />
und Arbeitsweisen der Hamburger Klinik- und Hauslehrer.<br />
Diese zusätzlichen Angebote sollten wegen der ohnehin schon hohen zeitlichen<br />
Belastung der Kollegen in die bestehenden Verpflichtungen (regelmäßige<br />
Konferenzen, Teamtreffen, Konzepttage) integriert werden. Hierzu<br />
bot sich die Konferenzstruktur der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht<br />
an, die wie folgt aussieht:<br />
Regelmäßig kommt das gesamte Kollegium zusammen (6 Gesamtkonferenzen<br />
pro Jahr), weiterhin gibt es Teilbereichskonferenzen der Hauslehrer<br />
(ca. 9), der Lehrer in den Kinder- und Jugendpsychiatrien (ca. 5) und der<br />
Krankenhauslehrer (ca. 5). Außerdem treffen sich die Kollegen der Klinikschulen<br />
zu regelmäßigen Sitzungen an ihren Standorten. Einmal jährlich<br />
treffen sich alle Kollegen zu einer zweitägigen Konzept-Tagung außerhalb<br />
von Hamburg. Dieser enge Austausch gibt immer wieder die Möglichkeit,<br />
Fortbildungselemente einzufügen.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
68 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
69<br />
Folgende Kriterien sollten bei der Auswahl und Planung der Fortbildungsangebote<br />
berücksichtigt werden:<br />
• Geeigneter Ort und passende Zeiten. Für die Kollegen sollen Fortbildungen<br />
möglichst wenig zusätzliche Belastungen bedeuten. Es ist von daher<br />
sinnvoll, Konferenzzeiten, sei es zentral für alle Kollegen oder vor Ort für<br />
Teilteams, für Fortbildungen zu nutzen.<br />
• Besonderheiten unserer Schüler. Fortbildungen müssen sich sowohl<br />
auf die Krankheitsbilder wie auch auf fachliche und förderpädagogische<br />
Aspekte beziehen. Beispiele: Auswirkungen von Krebstherapie auf das<br />
Lernverhalten, ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten.<br />
• Besondere Formen des Unterrichts, z.B. Teamteaching oder vernetztes<br />
Arbeiten auch mit anderen Berufsgruppen. Dazu sind besondere Formen<br />
der engen Absprache und des fachlichen Austausches unerlässlich.<br />
• Fachliche Anforderungen. Viele Kollegen unterrichten fachfremd, dazu<br />
auf verschiedenen Niveaus und für unterschiedliche Schulformen.<br />
• Pädagogische bzw. sonderpädagogische Anforderungen, z.B. Kenntnisse<br />
über Gruppendynamikprozesse, Lernbehinderungen etc..<br />
Wie sieht die Fortbildung in der „Schule für Haus- und Krankenhausunterricht“<br />
nun konkret aus? Welche Veranstaltungen und Angebote wurden in<br />
den letzten Jahren für die Lehrer entwickelt?<br />
1. Die Fortbildungsgruppe informiert zunächst einmal über Fortbildungsangebote,<br />
die für alle Hamburger Lehrer oder auf Kongressen bundesweit<br />
angeboten werden. Wichtig ist dabei, dass nicht jeder einzelne mit hohem<br />
Zeitaufwand sich im Dschungel der vielfältigen Seminare zurechtfinden<br />
muss, sondern dass eine gezielte Vorauswahl stattfindet. Dazu zählen<br />
Angebote des „Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung“<br />
(LI, Seminare zu gängigen Schulfächern, aber auch fächerübergreifende<br />
Angebote und spezielle Themen wie ADHS etc.).<br />
Das Hamburger Beratungszentrum Integration (BZI) bietet geeignete Fortbildungen<br />
für den sonderpädagogischen Bereich an (Förderdiagnostik und<br />
–pläne, besondere Formen des Team-Teaching).<br />
Das Sucht-Präventions-Zentrum (SPZ) ist ein weiterer Pfeiler in der Hamburger<br />
Fortbildungslandschaft. Hier werden Fortbildungen zu Medienkonsum,<br />
Rauchen etc., aber auch zum Thema Selbstwertstärkung („Fit und<br />
stark“) angeboten.<br />
Häufig brauchen Kollegen auch Beratung in Bezug auf Schüler, die aus den<br />
normalen Bildungssystemen herauszufallen drohen oder bereits herausgefallen<br />
sind. Diese Aufgabe übernimmt das Schul-Informations-Zentrum<br />
(SIZ).<br />
Ganz wichtige Fortbildungsveranstaltungen sind Tagungen zu unterschiedlichen<br />
Themen, wie zum Beispiel ADHS oder Schulabsentismus, die von<br />
SchuPs-Nord (Schule- und Psychiatrie) im norddeutschen Raum für Lehrer<br />
in den Kinder- und Jugendpsychiatrien angeboten werden.<br />
Zuletzt seien noch Tagungen genannt, die der Verband Sonderpädagogik<br />
(vds), der Kinderschutzbund und die Organisation <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation<br />
of Pedagogues in Europe) in Deutschland oder auch Europa anbieten.<br />
2. Die Gruppe organisiert Fortbildungen, die im Rahmen von Lehrerkonferenzen<br />
des gesamten Kollegiums stattfinden. Beispiele dafür waren:<br />
Einsatz von Computern im Unterricht am Krankenbett. Das Schulinformationszentrum<br />
(SIZ) wurde eingeladen, um Anregungen zu Beratungen zur<br />
Schullaufbahn von Schülern zu geben.<br />
3. Wichtige Angebote sind Veranstaltungen zu speziellen Themen, die im Rahmen<br />
der sogenannten Teilkonferenzen stattfinden. So haben Haus- und Krankenhauslehrer<br />
das Kinderhospiz „Sternenbrücke“ besucht und sich intensiv<br />
mit dem Thema „Wenn ein Schüler stirbt“ auseinandergesetzt.<br />
Oft ist es auch wichtig, dass Fachärzte zu einem Vortrag über bestimmte<br />
Krankheiten eingeladen werden: Ein Gastroenterologe referierte über das<br />
Thema „Chronische Bauchschmerzen“, ein Kinder- und Jugendpsychiater<br />
behandelte das Thema „Angsterkrankungen“, eine Onkologin sprach über<br />
die körperlichen Auswirkungen von Chemotherapien.<br />
Die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist für Lehrer von kranken<br />
Schülern immer wieder von großer Bedeutung. In den Klinikschulen<br />
wird daher auch an Fortbildungen des klinischen Personals teilgenommen,<br />
zum Beispiel zum Thema „Selbstverletzendes Verhalten“. Der Chefarzt<br />
einer Kinder- und Jugendpsychiatrie erläuterte, welche Kriterien darüber<br />
entscheiden, ob ein Schüler stationär oder tagesklinisch behandelt wird<br />
und wovon die Behandlungsdauer abhängt.<br />
4. In den Teams der Klinikschulen gibt es wöchentlich mindestens eine<br />
Teamstunde. Dort berichten die Kollegen sich gegenseitig, welche Schüler,<br />
Unterrichtssituationen oder Aufgaben sie besonders beschäftigen. Der regelmäßige<br />
Austausch trägt wesentlich zur Entlastung bei und die Anregungen<br />
der Kollegen helfen bei der Bewältigung von Problemen.<br />
5. Es gibt ein regelmäßiges Angebot an Supervision: Um die vielfältigen<br />
Anforderungen (Umgang mit schwerstkranken oder auch sterbenden<br />
Schülern, Umgang mit schwierigen Schülern und ihren Familien etc.) gut<br />
zu meistern, ist es oft notwendig, einen Blick von außen zu erlangen. Lehrer<br />
mit solch ungewöhnlichen Belastungen haben ein Anrecht auf Supervision<br />
und so können alle Lehrer bzw. Klinikschulteams Supervision durch<br />
Mitarbeiter des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung<br />
(LI) beantragen.<br />
In Kliniken nehmen Lehrer auch gemeinsam mit den Mitarbeitern der Kinder-<br />
und Jugendpsychiatrien an Fallsupervisionen teil, wodurch sie einen<br />
vertieften Einblick in die psychische Entwicklung und soziale Hintergründe<br />
ihres Schülers erhalten.<br />
6. Ein weiterer Schwerpunkt der Fortbildung in Hamburg bildet die „Kollegiale<br />
Fortbildung“. Damit ist gemeint, dass sehr viele Klinik- und Hauslehrer<br />
über Spezialkenntnisse verfügen, die für das Kollegium von großer Bedeutung<br />
sind. Daraus wurden Kompetenzlisten erstellt mit folgendem Inhalt:<br />
Welcher Kollege kennt sich auf welchem Gebiet besonders gut aus und<br />
kann dieses an andere Lehrer weitergeben. So konnten Themen aus den<br />
Bereichen Mathematik, Kunst, Englisch, Musik, Fachwissen über einzelne<br />
Krankheitsbilder (Morbus Crohn, Autismus, ADHS, Krebs etc.) angeboten<br />
werden. Kollegen berichteten über sehr persönliche Erfahrungen aus ihrer<br />
Arbeit (Erfahrungen mit krebskranken Schülern, mit sterbenden Schülern),<br />
vermittelten ihre Kompetenzen bei Beratung und Gesprächsführung, aber<br />
auch ganz konkrete Unterrichtsvorschläge wie Phantasiereisen, Massagen<br />
bei Kindern, Zeitung machen mit Schülern etc. sind mögliche Angebote.<br />
Diese Vorträge und Informationen werden manchmal als kurze Einheiten<br />
an eine Konferenz angehängt oder auf unserer jährlichen Konzept-Tagung<br />
in Ratzeburg ins Programm genommen.<br />
7. Einmal jährlich treffen sich alle Kollegen des HuK zu einer zweitägigen<br />
Konzept-Tagung außerhalb Hamburgs. Gerade wegen unserer dezentralen<br />
Struktur haben sich diese Tagungen als unverzichtbarer Bestandteil sowohl<br />
für kollegialen Austausch als auch für Fortbildung und konzeptionelle<br />
Weiterentwicklung des HuK erwiesen. Diese Tagungen werden jeweils von<br />
einer Gruppe von Kollegen und der Leitung vorbereitet und durch einen<br />
externen Moderator geleitet.<br />
8. Zu den Fortbildungskonferenzen werden auch interessierte Lehrer der<br />
Stammschulen eingeladen, um die Transparenz und Zusammenarbeit zu<br />
stärken. Lehrer können eine Krankheit – zum Beispiel Autismus – besser<br />
verstehen und Informationen für ihren pädagogischen Alltag in der Schule<br />
mitnehmen. Wenn dann ein Schüler nach Aufenthalt in der Klinik oder<br />
längerem Hausunterricht wieder zurück in seine alte Klasse geht, gelingt<br />
der Übergang besser, wenn er auf informierte und verständnisvolle Lehrer<br />
trifft.<br />
9. Die Fortbildungs-AG sucht auch stetig nach neuen Informationsquellen,<br />
die Lehrern bei ihrer täglichen Arbeit helfen können. Dabei ist der<br />
Gebrauch des Internets nicht zu vergessen: Dort gibt es sehr viele nützliche<br />
Informationen über Krankheitsbilder. Auch gezielte Informationen für<br />
Lehrer findet man über das Internet. Ein Beispiel sind die sehr hilfreichen<br />
Handreichungen zu Themen wie „Asperger Autismus“, „ADHS“ etc.. Auch<br />
Unterrichtsmaterialien mit Arbeitsblättern findet man bei vielen Internetadressen:<br />
Beispiele dafür sind die die Bildungsserver der Bundesländer,<br />
Suchmaschinen für Kinder wie www.blinde-kuh.de, www.hamsterkiste.de<br />
und spezielle Lehrerseiten wie www.schule.at, www.educa.ch, www.vsmaterial.wegerer.at<br />
und viele andere mehr.<br />
Als Anregungen für die Organisation von Fortbildung von Haus- und Kliniklehrern<br />
möchten wir folgendes benennen:<br />
• Die Möglichkeit, sich mindestens einmal jährlich zu einem intensiven<br />
Austausch zu treffen (Konzept-Tage).<br />
• Die Gründung einer Arbeitsgruppe, die herausfindet, welche besonderen<br />
Fortbildungswünsche die Kollegen haben, die dem Kollegium Informationen<br />
über Fortbildungsmöglichkeiten zugänglich macht und die in<br />
Absprache mit der Leitung Fortbildungsangebote plant und koordiniert.<br />
• Die Fortbildungsangebote müssen sich an den konkreten Themen orientieren,<br />
die den Kollegen besonders auf den Nägeln brennen. Dabei muss<br />
Fortbildung möglichst so in den Arbeitsalltag integriert werden, dass<br />
wenig zusätzliche Belastungen für die Kollegen entstehen.<br />
• Ein großer Teil der Fortbildungen sollte möglichst vor Ort an den Klinikschulen<br />
stattfinden, zum Beispiel im Rahmen von Supervision und<br />
wöchentlichen Team-Runden<br />
Resümee:<br />
Unsere Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass viele Kollegen von dieser<br />
Art der Fortbildung sehr profitieren. Konferenzen gehören zu einem<br />
wesentlichen Bestandteil der Arbeitszeit und des kollegialen Austausches.<br />
Das inhaltliche Füllen mit spezifisch zugeschnittenen Angeboten<br />
bereichert die Konferenzen in hohem Maße. Einige Konferenzen werden<br />
ausschließlich als Fortbildungskonferenzen konzipiert. Bei anderen Konferenzen<br />
und Tagungen sind es nur kleinere Fortbildungselemente, die<br />
aber immer in sehr engem Zusammenhang mit den täglichen Fragen und<br />
Themen des eigenen Unterrichts stehen. In den meisten Fällen waren die<br />
Kollegen sehr zufrieden mit den Themen und Inhalten dieser speziellen<br />
Fortbildungsform.<br />
Lebendige Diskussionen und Beispiele aus der eigenen Praxis sowie Anregungen<br />
sind häufig von großem Interesse. Auch gegenseitiger Informationsaustausch<br />
und kollegiale Hilfen ersparen zeitaufwendiges Suchen des<br />
Einzelnen wie es so häufig im Lehreralltag vorkommt.<br />
Zusammenfassend wirkt diese Form der Lehrerfortbildung sehr befriedigend<br />
und Kraft spendend für die teilweise sehr anspruchsvolle Arbeit mit<br />
kranken Schülern.<br />
Mit Kindern philosophieren- auch in der Klinik!<br />
„Wer früher philosophiert, ist länger weise.“<br />
Ulrike Kalmes<br />
Lehrerin, qual. Beratungslehrerin, Schule für Kranke, München<br />
Johannes Ramsauer<br />
Rektor im Kirchendienst, Erzbischöfliches Ordinariat,<br />
Schulreferat, München<br />
„Was ist ein Freund?“, „Was braucht man, um glücklich zu sein?“, „Wo<br />
wohnt die Zeit?“<br />
Auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Philosophieren<br />
bedeutet, solche Fragen und Gedanken ernst zu nehmen und es den Kindern<br />
und Jugendlichen zu ermöglichen, sich gemeinsam mit anderen auf<br />
die Suche nach Antworten zu machen. Besonders während einer Krankheit<br />
stellen unsere Schüler oft existentielle (Sinn-)Fragen und suchen nach<br />
Orientierung.<br />
Das Philosophieren gibt ihnen die Möglichkeit zu staunen, zu zweifeln<br />
und alles zu hinterfragen. Sie reflektieren eigene Gefühle, Gedanken und<br />
Werte, trauen sich ihre Meinung zu äußern und öffnen sich für die Sichtweisen<br />
anderer. Das Philosophieren unterstützt bei der Bewältigung ihrer<br />
Entwicklungsaufgaben, stärkt soziale Kompetenzen und schult kreatives<br />
und logisches Denken. Es wird als Bildungsprinzip verstanden, für das<br />
kein philosophisches Fachwissen vonnöten ist.<br />
Ziel des Workshops war es, die Teilnehmer für das Philosophieren mit<br />
ihren Schülern zu begeistern. Im Mittelpunkt standen die gemeinsame<br />
Durchführung einer philosophischen Einheit und die Präsentation von<br />
praktischen Beispielen aus dem Schulalltag. Ein Film ermöglichte den Einblick<br />
in das Philosophieren mit sehr jungen Kindern. Die Lehrkräfte erhielten<br />
aber auch theoretische Grundlagen und Materialien, um eine Einheit<br />
später selbst gestalten zu können. Möglichkeiten und Grenzen des Philosophierens<br />
im Klinik-Setting wurden diskutiert.<br />
1. Ablauf einer philosophischen Einheit<br />
1.1 Vorbereitung<br />
Auswahl der Kinderfrage<br />
Am besten knüpft man an die Lebenswelt der Kinder an und nimmt ihre<br />
Fragen auf. Alles, was das eigene Ich, das Miteinander und die Welt angeht<br />
sowie die Dinge, die über unsere Erfahrungen hinausgehen (z.B. Tod, Gott,<br />
Seele) eignen sich zum Philosophieren.<br />
Beispiele von Fragen von Kindern und Jugendlichen:<br />
• Warum bin ich so wie ich bin?<br />
• Muss man immer die Wahrheit sagen?<br />
• Was wäre, wenn nichts wäre?<br />
• Haben Tiere eine Seele?<br />
• Was ist normal?<br />
• Was ist der Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe?<br />
Für die Klinik bietet sich eine Auswahl von Fragen in einer „Schatzkiste“<br />
an, wenn die Schüler keine eigenen Ideen einbringen.<br />
Bei der Auswahl der Kinderfrage muss die Lehrkraft gut unterscheiden<br />
zwischen Wissensfragen, theologischen und philosophischen Fragen.<br />
Eine philosophische Frage<br />
• ist offen und allgemein formuliert<br />
(„Haben Tiere eine Seele?),<br />
• ist auf das Ganze ausgerichtet, sucht nach Bedeutung, Sinn eines Phänomens<br />
oder Begriffs<br />
(„Was ist eine Lüge?“, „Was ist Glück?“) und<br />
• hat Lebensweltbezug, fordert persönliche Auseinandersetzung („Ist der<br />
Mensch wirklich frei?“, „Ist der Mensch gut?“).<br />
Sie verlangt nicht nach einer Antwort, aber immer nach einem Gespräch.<br />
Erstellen einer Gedankenkarte (Mindmap)<br />
Eine philosophische Einheit kann nicht in dem Sinn vorbereitet werden,<br />
dass ein inhaltliches Lernziel verfolgt wird. Um ein philosophisches Gespräch<br />
zu moderieren, bedarf es aber einer gewissen Sicherheit, was das<br />
Thema angeht. Dazu hat es sich als nützlich erwiesen, eine Mindmap zu<br />
der philosophischen Frage anzufertigen, die im Zentrum stehen soll. Damit<br />
lassen sich eigene Reflexionen zum Thema übersichtlich entwickeln<br />
und darstellen und mit Leitfragen verknüpfen. So kann die Lehrkraft dem<br />
Gespräch auch Impulse geben.<br />
Mindmap zum Thema Zeit (aus Zeitler: „Siehst du die Welt auch so wie<br />
ich?“, S.50)<br />
Wiederholung der Gesprächsregeln<br />
Die Gesprächsleitung erteilt das Wort durch Zuwerfen des „Wuschels“,<br />
eines leicht zu werfenden und zu fangenden Balles. Sprechen darf nur,<br />
wer ihn in Händen hält und nach Beendigung des Beitrags wird er zur<br />
Gesprächsleitung zurückgeworfen. Dies ist die einzige Regel, die der<br />
Gruppe vorgegeben wird. Alle weiteren Regeln zur Gesprächsführung<br />
erarbeitet bzw. wiederholt die Gruppe gemeinsam.<br />
Raum/Bett gestalten, Rituale anwenden Rituale geben den Kindern einen<br />
Rahmen und Sicherheit und vermitteln das Gefühl, an etwas Besonderem<br />
teilzuhaben.<br />
Im Klinikalltag ist die Festlegung des zeitlichen Rahmens und die<br />
Abstimmung mit Visiten-, Behandlungs- und Besuchszeiten besonders<br />
wichtig, damit Störungen weitestgehend vermieden werden können.<br />
Wenn ein eigener Klassenraum vorhanden sind, kann ein Sitzkreis, eventuell<br />
mit Sitzkissen gebildet werden, in dessen Zentrum ein Bodenbild passend
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
70 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
71<br />
zum Thema gestaltet wird. Darf der Schüler das Bett nicht verlassen, so<br />
kann es mit einem Tuch und für das Kind bedeutsamen Gegenständen, wie<br />
einer Feder, einem Stein oder einem Bild geschmückt werden.<br />
Als Anfangs- und Schlussritual eignen sich z.B. eine bestimmte Musik,<br />
Klangschalen, Düfte, Kränze oder Phantasiereisen.<br />
1.2 Einstieg<br />
Er soll zum Thema hinführen, persönliche Betroffenheit oder Irritation<br />
erzeugen und muss<br />
offen sein und Fragen zulassen.<br />
Im Workshop diente ein Wecker in der Kreismitte als Hinführung zum Thema<br />
„Zeit“. Anschließend sollten die Gruppenmitglieder mit geschlossenen<br />
Augen schätzen, wie lange eine Minute dauerte.<br />
Weitere Möglichkeiten sind<br />
• Gedankenexperimente<br />
• Bilder, Cartoons<br />
• Aphorismen, Gedichte<br />
• Phantasiereisen<br />
• Umfragen<br />
• Interviews<br />
• Rollenspiele<br />
• Bilderbücher<br />
• Geschichten<br />
• Rätsel/Spiele<br />
• Filme usw. …<br />
1.3 Philosophisches Gespräch<br />
In einem philosophischen Gespräch wollen die Teilnehmer nicht nach der<br />
richtigen Antwort suchen, sondern vermeintliches Wissen hinterfragen,<br />
neue Erkenntnisse gewinnen und Orientierung finden.<br />
Lehrerrolle<br />
Die Lehrkraft ist ebenfalls Suchende, Fragende, nicht Wissensvermittler<br />
und beteiligt sich nicht mit inhaltlichen Beiträgen am Gespräch. Sie<br />
beurteilt und bewertet Ideen der Kinder nicht, sondern moderiert den<br />
Gesprächsverlauf und achtet auf die Einhaltung der Regeln. Manchmal vertieft<br />
sie das Gespräch durch Nachfragen, fasst mit eigenen Worten zusammen, gibt<br />
Impulse und regt durch Rückfragen zu Differenzierungen an:<br />
• Sehen das die anderen auch so?<br />
• Was bedeutet das?<br />
• Wie begründest du das?<br />
• Wie können wir herausfinden, ob das wahr ist?<br />
• Habe ich dich richtig verstanden?<br />
• Kannst du ein Beispiel dafür nennen?<br />
Die Lehrkraft bringt stets eine wertschätzende Haltung zum Ausdruck.<br />
1.4 Gesprächsauswertung<br />
Die Reflexion verdeutlicht die eigene Verantwortung am Verlauf des<br />
Gesprächs. Dabei soll nicht die Leistung des Einzelnen beurteilt, son dern eine<br />
konkrete Auffassung darüber entwickelt werden, was ein philosophisches<br />
Gespräch sowie eine philosophische Gesprächskultur ausmacht.<br />
Blitzlichtrunde<br />
Dabei fasst jeder Teilnehmer den für ihn wichtigsten Aspekt des Gesprächs<br />
zusammen. Die Ergebnisse können auf einem Plakat festgehalten werden.<br />
Daumensprache<br />
Die Gruppenmitglieder zeigen durch einfache Daumensprache (Hochhal<br />
ten, Senken, Waagrechthalten des Daumens) ihre persönliche<br />
Einschätzung z.B. zu folgenden Kriterien:<br />
• Hast du den anderen zugehört?<br />
• Warst du auf deine Art an dem Gespräch beteiligt?<br />
• Waren wir eine Gruppe, in der man sich wohlfühlen konnte?<br />
• Ist das Gespräch in die Tiefe gegangen?<br />
• Habe ich etwas Neues gelernt?<br />
• War es interessant?<br />
Eventuell können auch Fragebögen mit Ratingskalen ausgeteilt werden.<br />
1.5 kreative Weiterarbeit<br />
Beim Thema „Zeit“ können die Schüler anschließend Zeitfresser und<br />
Zeitspender malen oder Zeitgutscheine ausfüllen, die sie verschenken.<br />
Weitere Möglichkeiten sind<br />
• kreatives Schreiben<br />
• Malen/Zeichnen/Basteln<br />
1.6 Rahmenbedingungen<br />
Philosophische Gespräche eignen sich für alle Menschen ab 4 Jahren.<br />
Als gute Gruppengröße haben sich 3-12 Schüler bewährt. Ausreichend ist<br />
ein Sitzkreis in einem ruhigen Raum. In der Regel sollte man 45 bis 90<br />
Minuten (samt begleitender Aktivitäten) einplanen.<br />
Die Teilnahme soll unbedingt auf freiwilliger Basis erfolgen.<br />
2. Grenzen des Philosophierens im Kliniksetting<br />
2.1 Einzelunterricht<br />
Ein philosophisches Gespräch lebt von den verschiedenen Erfahrungen<br />
und Gedanken seiner Teilnehmer. Wenn der Lehrer im Einzelunterricht<br />
als gleichwertiger Gesprächspartner fungiert, um die Diskussion zu<br />
bereichern, gerät er schnell in einen Rollenkonflikt, da er ja eigentlich die<br />
Aufgabe des Moderators inne hat.<br />
2.2 Gruppenunterricht<br />
Durch den ständigen Wechsel der Gruppenzusammensetzung ist eine<br />
kontinuierliche Aufbau- und Weiterarbeit nicht möglich. Zum Philosophieren<br />
ist oft eine gewisse Vertrautheit Voraussetzung, die bei den<br />
Patienten nicht immer so schnell wachsen kann.<br />
2.3 Psychische und physische Verfassung der Schüler<br />
An manchen Tagen sind die Patienten aufgrund starker Schmerzen, Übelkeit<br />
oder großer Müdigkeit nicht in der Lage, sich auf ein philosophisches<br />
Thema einzulassen. Auch psychische Probleme können eine konzentrierte<br />
Auseinandersetzung mit einer philosophischen Frage verhindern.<br />
2.4 Zusammenarbeit mit dem medizinischen und psychosozialen Team<br />
Manchmal berühren die Schüler in den philosophischen Gesprächen<br />
Themen, die sie auch mit Psychologen und Ärzten thematisieren. Inhalte,<br />
die auch in der Therapie behandelt werden, sollten unbedingt mit dem<br />
medizinischen und psychosozialen Team abgesprochen werden.<br />
2.5 Organisatorisches<br />
Wenn im Krankenzimmer unterrichtet werden muss, kann das Gespräch<br />
durch Unterbrechungen gestört werden. Die Lehrkraft sollte sich deshalb<br />
unbedingt nach Visiten, Hauptbesuchs- und Essenszeiten richten.<br />
3. Fortbildungsmöglichkeiten<br />
3.1 Die Fortbildungsreihe „Kinder philosophieren“<br />
Die Akademie „Kinder philosophieren“ in München bietet praktische<br />
Übung, hilfreiche Werkzeuge und alles, was sonst noch notwendig ist,<br />
um mit Kindern und Jugendlichen zu philosophieren. Die Fortbildung<br />
umfasst vier zweitägige Module, die als freie Fortbildungen und als In-<br />
Haus-Schulungen angeboten werden. Die Teilnehmer erhalten mit<br />
Abschluss der Fortbildungsreihe ein Zertifikat, das sie in philosophischer<br />
Gesprächsführung auszeichnet.<br />
Akademie Kinder philosophieren<br />
Infanteriestraße 8<br />
80797 München<br />
Email: akademie@kinder-philosophieren.de<br />
www.kinder-philosophieren.de<br />
3.2 Zusatzstudium an der Hochschule für Philosophie München<br />
Das Zusatzstudium »Kinder philosophieren« wird an der Hochschule für<br />
Philosophie ab dem Wintersemester <strong>2010</strong>/11 nicht mehr angeboten.<br />
4. Beschreibung der philosophischen Einheit während des Workshops<br />
Den Teilnehmern wurden zunächst die wichtigsten Regeln für ein<br />
philosophisches Gespräch erklärt.<br />
• Der Gesprächs - Wuschel erleichtert die Gesprächsführung.<br />
• Nur wer den Wuschel hat, redet.<br />
• Der Wuschel geht immer an die leitende Lehrkraft zurück.<br />
• Im Gespräch herrscht ein respektvoller Umgang.<br />
Für diese Einheit wurde bewusst eine offene Möglichkeit der<br />
Themenfindung für ein philosophisches Gespräch vorgestellt. In die mit<br />
einem Tuch gestaltete Kreismitte legte der Leiter eine Uhr, um auf das<br />
Thema Zeit einzustimmen. Danach folgte eine Übung. Alle Teilnehmer<br />
stellten sich hin und schlossen die Augen.<br />
Ab einem „Jetzt“ sollte sich jeder hinsetzen, wenn er meinte, dass eine<br />
Minute vergangen war.<br />
Der Gesprächsleiter stoppte die Zeit. Die gefühlten „Minuten“ der<br />
Teilnehmer dauerten von 27 bis 97 Sekunden. In einem anschließenden<br />
Gespräch erläuterten Einzelne ihre Strategie der Findung einer Minute.<br />
Nun sollte sich jeder Teilnehmer eine philosophische Frage zum Thema<br />
Zeit überlegen, u. A. wurden folgende Vorschläge eingebracht:<br />
• Was ist die Zeit?<br />
• Warum vergeht die Zeit unterschiedlich schnell?<br />
• Wie viel Zeit bleibt mir(uns) noch?<br />
• Brauchen wir die Zeit?<br />
• Gibt es vergeudete Zeit?<br />
Die Fragen wurden auf einem Flipchart gesammelt, kurz erläutert und<br />
nummeriert. Mit geschlossenen Augen konnten sich die Teilnehmer jetzt<br />
bei zwei Fragen melden, die sie am meisten interessierten.<br />
Die Frage „Gibt es vergeudete Zeit?“ fand eine Mehrheit. Sie wurde<br />
nochmals vorgelesen, danach wurde eine Klangschale angeschlagen, um<br />
die Frage zu verinnerlichen und mit dem letzten Ton begann das aktive<br />
Philosophieren.<br />
Die Teilnehmer standen sehr bald in einem aktiven und ernsthaften<br />
Austausch. Die Rolle des Leiters bestand im genauen Zuhören, Nachfragen,<br />
Zusammenfassen, Zurückführen auf die Frage und Achten auf die Einhaltung<br />
der Regeln. Er beteiligte sich nicht inhaltlich am Philosophieren und<br />
beurteilte oder bewertete die einzelnen Beiträge nicht.<br />
Gegen Ende des Philosophierens wurde eine Sanduhr umgedreht, um zu<br />
verdeutlichen, dass mit Ablauf der Uhr der inhaltliche Austausch zu Ende ging.<br />
Anschließend konnte jeder Teilnehmer einen für ihn neuen und wichtigen<br />
Gedanken nennen.<br />
Zum Abschluss zeigten die Teilnehmer mit einer einfachen Daumensprache<br />
ihre persönliche Einschätzung des philosophischen Gesprächs.<br />
Ausgestellte bzw. verwendete Literatur<br />
Bilderbücher<br />
Bauer, Jutta: Opas Engel, Carlsen Verlag, 2001<br />
Cave, Kathryn: Irgendwie anders, Oetinger Verlag, 1994<br />
Ende, Michael: Das Traumfresserchen, Thienemann Verlag, 1978<br />
Erlbruch, Wolf: Die große Frage, Hammer Verlag, 2009<br />
Erlbruch, Wolf: Ente, Tod und Tulpe, Kunstmann Verlag, 2007<br />
Feth, Monika: Der Gedankensammler, Sauerländer Verlag, 2006<br />
Heine, Helme: Freunde, Middelhauve Verlag, 1982<br />
Lionni, Leo: Swimmy, Middelhauve Verlag, 1983<br />
McKee, David: Du hast angefangen! Nein, du!, Sauerländer Verlag, 1998<br />
Olten, Manuela: Wahre Freunde, Bajazzo Verlag, 2007<br />
Opel-Götz, Susanne: Ab heute sind wir cool, Oetinger Verlag, 2007<br />
Usatschow, Andrej: Geschichte ohne Anfang und Ende, Nordsüd Verlag, 2008<br />
Varley, Susan: Leb wohl lieber Dachs, Betz Verlag, 1984<br />
Kinderliteratur<br />
Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.): Ich bin ich, oder?, Heinrich Vogel Verlag, 2008<br />
Law Stephen: Philosophie:- Abenteuer Denken, Arena Verlag, 2007<br />
Lobel, Arnold: Das große Buch von Frosch und Kröte, dtv junior Verlag, 2006<br />
Nicholls, Sally: Wie man unsterblich wird, Hanser Verlag, 2008<br />
Oberthür, Rainer: Neles Buch der großen Fragen, Kösel Verlag, 2008<br />
Schulz-Reiss: Nachgefragt: Philosophie, Loewe Verlag, 2005<br />
Philosophieren mit Kindern<br />
Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V.: Skripte der<br />
Fortbildungsreihe Kinder philosophieren 2009/<strong>2010</strong><br />
Brokemper, Peter: Glück, ein Projektbuch, Verlag an der Ruhr, 2009<br />
Brüning, Barbara: Philosophieren in der Grundschule, Cornelsen Verlag, 2001<br />
Rude/Simbeck/Witt-Kruse/Zeitler: Praxisleitfaden Kinder philosophieren für Kindertageseinrichtungen und<br />
Schulen, München 2007<br />
Zeitler, Katharina: Siehst du die Welt auch so wie ich?, Herder Verlag, <strong>2010</strong><br />
Zoller Morf, Eva: Selber denken macht schlau, Zytglogge Verlag, <strong>2010</strong><br />
Film<br />
Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V.: Wer früher philosophiert,<br />
ist länger weise<br />
„Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.<br />
Das Staunen ist der Anfang der Philosophie.“<br />
Aristoteles, Metaphysik, Buch 1<br />
Die Nachsorge von schulabstinenten Kindern und Jugendlichen:<br />
Die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive<br />
Pia Anna Weber<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lecturer am Lehrstuhl Sozialpsychologie<br />
und allgemeine Psychologie, Duisburg-Essen<br />
Verena Welling<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Allgemeine Psychologie<br />
und Arbeits-psychologie an der Universität<br />
Duisburg-Essen<br />
Prof. Dr. Gisela Steins<br />
Professorin Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie an der<br />
Universität Duisburg-Essen<br />
1. Theoretischer Hintergrund<br />
Übergänge, seien sie biographisch und/oder institutionell, können von<br />
psychisch kranken Kindern und Jugendlichen als belastend empfunden<br />
werden. Die Übergänge vom häuslichen Milieu und dem Besuch einer Regelschule<br />
hin in eine psychiatrische Einrichtung und dem damit verbundenen<br />
Besuch einer Klinikschule werden möglicherweise von den Schülern/innen<br />
als extrem krisenhaft erlebt (Wertgen, 2009). Nach Ciompi 1982<br />
und Kuchenbecker 2002 haben psychisch kranke Kinder generell eine<br />
erhöhte Vulnerabilität. Werden sie mit Stressoren konfrontiert, ist von einer<br />
niedrigen Belastungsschwelle auszugehen. Hinzu kommt die Gefahr<br />
möglicher Stigmatisierungsprozesse, denen psychisch kranke Kinder und<br />
Jugendliche im Vergleich zu gesunden Kindern ausgesetzt sind (Haep et<br />
al., 2011). Treffen die Schüler/-innen in der Schule auf Unverständnis<br />
und negative Erwartungshaltungen von Seiten der Lehrkräfte und/oder<br />
Mitschülern/-innen, sind dies ungünstige Prädiktoren für einen regelmäßigen<br />
Schulbesuch. Zudem können aus einer unzureichenden Ausbildung<br />
ne-gative Erwartungshaltungen und unzulässige Dispositionszuschreibungen<br />
entstehen (vgl. hierzu Hirsch-Herzogenrath & Schleider, <strong>2010</strong>). Weiterhin<br />
nimmt auch das schulische Umfeld Einfluss auf das Verhalten, die<br />
psychische Gesundheit und die Genesung psychisch erkrank-ter Kinder<br />
und Jugendlicher (Harter-Meyer & Weidenbach, 2001).<br />
Unseren Beobachtungen aus dem Projekt „Qualitätssicherung in Schulen<br />
für Kranke“ zu Fol-ge, gelingt es Schülern/-innen, die nicht die notwendigen<br />
Ressourcen mitbringen, nur schwer ohne externe Hilfe den Schulbesuch<br />
zu meistern (Weber et al., 2008). In einigen Fällen wechseln die<br />
Schüler/-innen nach ihrem Klinikaufenthalt nicht in ihre Stammschule<br />
zurück, sondern in eine neue Schule, was mit deutlichen Herausforderungen<br />
verbunden ist. Versu-che der Reintegration scheitern häufig bei<br />
Kindern und Jugendlichen ohne unterstützendes und verlässliches soziales<br />
Umfeld (Steins, 2008). Im Rahmen der o.g. Forschungsarbeit ist in<br />
einer Befragung von betroffenen Schülern/-innen und deren Eltern deutlich<br />
geworden, dass die Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher den<br />
Übergang aus der Psychiatrie zurück in die Regelschule als belastend und<br />
risikoreich erleben und sich gezielte Unterstützungsmaß-nahmen für ihre<br />
Kinder wünschen (Weber et al., 2008). In manchen Fällen sind Angst- und<br />
Vermeidungsverhalten so chronifiziert, dass die Schüler/-innen ohne externe<br />
Unterstützung keinen Wiedereinstieg schaffen. Weiterhin spricht<br />
für die Notwendigkeit einer Unterstüt-zungsmaßnahme, dass psychisch<br />
kranke Schüler/-innen nach ihrer Entlassung aus der Psych-iatrie oft nicht<br />
völlig gesund sind und somit weitere Unterstützung benötigen. Abgedeckt<br />
werden sollte nicht nur der Zeitpunkt der Rückschulung während der Behandlung,<br />
sondern besonders auch die Zeit unmittelbar nach dem Klinikaufenthalt.<br />
Brechen Hilfesysteme plötz-lich weg, ist unseren Erfahrungen<br />
zu Folge die Gefahr eines schulischen Einbruches für psy-chisch kranke<br />
Schüler/-innen besonders hoch.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
72 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
73<br />
2. Beteiligte Schnittstellen<br />
Die Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. Klinikschule<br />
und Heimat-schule ist das Thema des Projekts. Soulguard ist ein<br />
Kooperationsprojekt der Universität Duisburg-Essen, Fakultät Bildungswissenschaften<br />
und der Kinder- und Jugendpsychiatrie Essen-Werden<br />
(Ltd. Arzt: Herr Christoph Arning) und wurde bis Februar 2011 von der<br />
RWE-Jugendstiftung gefördert.<br />
„Soulguard“ heißt übersetzt Seelenwächter. So wie ein Leibwächter sich<br />
um das körperliche Wohl seines Schutzbefohlenen kümmert, wird in diesem<br />
Projekt versucht auf die seelische Balance erkrankter Kinder und Jugendlicher<br />
zu achten.<br />
Psychisch erkrankte Schüler/-innen werden während der Behandlung<br />
und nach ihrer Entlas-sung aus der Psychiatrie bei der Wiedereingliederung<br />
in ihre Schule unterstützt. Das Angebot richtet sich insbesondere<br />
an Schüler/-innen mit einer Schulverweigerungssymptomatik und/oder<br />
schulischen Problemen sozialer und emotionaler Art.<br />
Auf diesem Weg sollen Probleme in der Reintegration entdeckt und Lösungen<br />
entwickelt werden. Prof. Dr. Gisela Steins leitet das Projekt, wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterinnen sind Frau Pia Weber und Frau Verena Welling.<br />
Soulguard ist ein Folgeprojekt des Forschungsprojekts „Guter Unterricht<br />
für kranke Kinder“.<br />
Unsere Unterstützungsangebote<br />
Wie bereits erwähnt werden Übergänge zwischen den Institutionen sowohl<br />
von Eltern als auch von Lehrern/-innen und von den Schülern/-innen<br />
als problematisch erlebt (Steins, 2008). Es kann bei der Reintegration zu<br />
Problemen innerhalb eines Systems (z.B. innerhalb des Systems Schule)<br />
und darüber hinaus auch zu Problemen zwischen den Systemen kommen<br />
(z.B. Schule – Elternhaus – Psychiatrie). Dieses Phänomen wird als<br />
Schnittstellenpro-blematik bezeichnet. In Abbildung 1 werden alle beteiligten<br />
Schnittstellen und deren Bezie-hungen zueinander graphisch veranschaulicht.<br />
Abbildung 1: Am Reintegrationsprozess beteiligte Schnittstellen im<br />
Forschungsprojekt Soul-guard.<br />
Wir bieten im Projekt Soulguard den beteiligten Systemen ein psychologisches<br />
Unterstützungskonzept mit dem Schwerpunkt einer Unterstützung<br />
am Kind an. Das heißt, dass für jede/n Schüler/-in ein<br />
zielorientierter Maßnahmenplan entwickelt wird. Dieser Plan hat das<br />
Ziel, soziale Kompetenzen in vivo zu fördern, den Selbstwert durch<br />
positive Verstärkung zu erhöhen, die Selbstwirksamkeit durch sukzessive<br />
Reduzierung des Begleitungsumfangs zu stärken und den emotionalen<br />
Gefühlszustand durch rationale Erklärungsmodelle (Ellis & Hoellen, 2004)<br />
zu verbessern.<br />
Wir erreichen diese Ziele durch drei Arten der Unterstützung:<br />
Soziale Unterstützung, emotionale Unterstützung und strukturelle<br />
Unterstützung.<br />
Unter sozialer und emotionaler Unterstützung verstehen wir z.B.<br />
• Abholen von zu Hause und Begleiten in die Schule<br />
• Verweilen in der Schule<br />
• Gespräche mit Lehrer/-innen, Schulsozialarbeiter/-innen,<br />
Schulpsychologen/-innen<br />
• Verhaltensbeobachtungen<br />
• Weitere individuelle Möglichkeiten der Begleitung, die zur Lösung der<br />
Schulproblematik beitragen können<br />
• Verhaltensprogramme zur Reduzierung einer bestimmten Problematik,<br />
z.B. Ärgermanagement (Wilde, Haep & Steins, <strong>2010</strong>)<br />
• Streitschlichtung zwischen dem Kind/Jugendlichen und Mitschüler/-innen<br />
Mit einer strukturellen Unterstützung sind alle Hilfestellungen gemeint,<br />
die den Schüler/-innen helfen, den Schulalltag besser zu planen. Dies<br />
könnte eine Hilfestellung bei der Be-schaffung von Unterrichtsmaterialien<br />
sein, aber auch das Besorgen des aktuellen Stunden-planes. In Fällen<br />
von Schulwechseln oder Klassenwiederholungen wird der/die Schüler/-in<br />
beim Beschaffen aktueller Unterrichtsmaterialien unterstützt.<br />
3. Das Konzept der irrationalen Gedanken<br />
Unsere Unterstützungsmaßnahme basiert auf psychologischen Prinzipien,<br />
insbesondere auf dem rational-emotiven Verhaltensansatz (Ellis & Hoellen,<br />
2004). Dieser Ansatz arbeitet mit dem Konzept der irrationalen Gedanken.<br />
Der Begriff irrational bei Ellis wird ins Deutsche mit unangemessen,<br />
unangebracht, unreali-stisch und nicht zielführend übersetzt. Irrationale<br />
Gedanken oder irrationales Handeln wird in diesem Kontext nicht mit<br />
gefühlsbetont oder emotional bezeichnet, wie es in der Alltags-sprache<br />
häufi g üblich ist. Irrational bezeichnet mangelnde Logik/fehlende<br />
Realitätsnähe der Überzeugungen, so dass ein Mensch sie als hinderlich<br />
im Hinblick auf die Erreichung seiner persönlichen Ziele erlebt (Ellis &<br />
Hoellen, 2004).<br />
Auf Basis dieses Ansatzes vermitteln wir den psychisch erkrankten<br />
Schülern/-innen rationale Problemlösefähigkeiten und zeigen ihnen<br />
den Unterschied zwischen selbstschädigenden Gefühlen (irrational)<br />
und hilfreichen Gefühlen (rational) auf. Abbildung 2 zeigt irrationale und<br />
rationale Gefühle im Vergleich.<br />
Abbildung 2: Übersicht angemessener und unangemessener Gefühle (vgl.<br />
Waters et al., 2003).<br />
Folgend haben wir einige irrationale Bewertungen im schulischen Alltag<br />
zusammengestellt, die wir häufi g bei unseren Klienten beobachten:<br />
• Weil Schule nicht immer Spaß macht, gehe ich nicht hin!<br />
• Sobald ich ein leichtes Unwohlsein spüre, bin ich nicht in der Lage die<br />
Schule zu besuchen!<br />
• Wenn jemand mich beleidigt, muss ich ihn verbal und/oder körperlich<br />
angreifen!<br />
• Wenn niemand mir Aufmerksamkeit schenkt, halte ich das nicht aus!<br />
• Wenn ich eine schlechte Note bekomme, heißt das, dass ich eine Niete<br />
in diesem Fach bin!<br />
Was sind rationale Überzeugungen von Schüler/-innen?<br />
• Ich mag die Schule nicht, aber ich komme irgendwie mit ihr klar!<br />
• Ich habe mich ziemlich daneben benommen, deswegen bin ich noch<br />
lange kein schrecklicher Mensch!<br />
• Ich mag es nicht, wenn man mich beschimpft, aber wenn es passiert, ist<br />
dies keine Katastrophe!<br />
• Nur weil jemand mich beleidigt, heißt das noch lange nicht, dass die<br />
Person Recht hat!<br />
• Wenn ich mich am Unterricht beteilige, vergeht die Zeit schneller!<br />
• Wenn ich die Schule bei Unwohlsein besuche, kann ich es erst recht<br />
schaffen, wenn es mir gut geht!<br />
Um diesen Prozess der kognitiven Umstrukturierung anzuregen, arbeiten die<br />
Reintegrations-hilfen mit diversen Methoden.<br />
Eine zentrale Rolle nimmt das Prinzip der Wiederholung und des ständigen<br />
Übens ein. Die Schüler/-innen werden in gemeinsamen Treffen und<br />
während der Begleitung auf irrationale Gedanken hingewiesen und erarbeiten<br />
gemeinsam mit den studentischen Mitarbeiterinnen rationale Pendants. Die<br />
Studierenden werden in dieser anspruchsvollen Aufgabenstellung durch ein<br />
verbindliches Beratungssystem unterstützt. Dazu gehören u.a. wöchentliche<br />
Treffen in Kleingruppen, die durch wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen<br />
geleitet werden. Es ist u.a. ein Ziel der Klienten/-innen, mit Problemen<br />
lösungsorientiert umzugehen. Die Schüler/-innen sollen schnellstmöglich<br />
verselbstständigt werden und in der Lage sein, die Schule regelmäßig und in<br />
vollem Stundenumfang zu besuchen.<br />
Darüber hinaus bekommen sie weitere Hilfen, Situationen angemessen<br />
zu bewerten. So führen sie beispielsweise mit den Reintegrationshilfen<br />
gemeinsam erarbeitete Kärtchen mit sich, die ihnen in Angst besetzten<br />
Situationen Mut machen sollen.<br />
4. Ausgewählte Beispiele<br />
An dieser Stelle beschreiben wir zwei Fallbeispiele aus dem Projekt<br />
Soulguard, um Beispiele für eine Schnittstellenproblematik a) innerhalb<br />
eines Systems und b) zwischen Systemen am Beispiel Schule –<br />
Elternhaus – Psychiatrie exemplarisch aufzuzeigen.<br />
a) Schnittstellenproblematik innerhalb eines Systems – Der Fall Sven<br />
Scholl<br />
Der Schüler Sven Scholl ist 13 Jahre alt und verweigert seit mehr als<br />
zwei Jahren den Schul-besuch und ist mit einer Sozialen Phobie und<br />
einer Emotionalen Störung des Kindesalters (F 40.1, F 93) diagnostiziert.<br />
Sven wurde in seine Heimatschule, eine Hauptschule, in die 7. Klasse<br />
reintegriert.<br />
Sven hat eine umfangreiche Therapiegeschichte und erlebte bereits<br />
mehrere Schulwechsel, zuletzt von einer Realschule in seine derzeitige<br />
Heimatschule. Es handelt sich nach Angaben des Schülers um eine<br />
angstbedingte Schulverweigerung, weil er in der Realschule gemobbt<br />
(psychisch und physisch) worden sei.<br />
Anhand dieses Falls stellen wir die Problematik innerhalb eines Systems<br />
am Beispiel Schule dar. In Abbildung 3 werden diese Zusammenhänge<br />
veranschaulicht.<br />
Abbildung 3: Schnittstellenproblematik innerhalb eines Systems am<br />
Beispiel der Schule.<br />
In Svens Fall ergaben sich Unklarheiten und unterschiedliche Erwar tungen<br />
in Hinblick auf die Leistungsbewertung und unzureichende Absprachen<br />
bezüglich Svens Versetzung in die Jahrgangsstufe 8. Ob wohl Sven nur<br />
vereinzelte Tage in der Schule anwesend war, erwar teten Frau und Herr<br />
Scholl eine pädagogische Versetzung. In einer Vorbesprechung zum<br />
Schulbesuch, die kurz vor den Sommerschulferien stattfand, vereinbarten<br />
Kliniklehrer und Klassenlehrer der Heimatschule gemeinsam mit Eltern<br />
und Klinikpersonal, dass Sven zur Probe versetzt werden solle, wenn die<br />
Schulleitung ihr Einverständnis gäbe.<br />
Für Sven bedeutete dies, dass er noch drei Monate nach Schuljahres beginn<br />
die Jahrgangsstufe 7 zurückversetzt werden könnte, wenn sich abzeichnet,<br />
dass die Schulleistungen nicht ausreichend sind. Aus diesem Grunde und<br />
um seine Eigenmotivation zu zeigen, sollte Sven diverse Klassenarbeiten in<br />
der Klinikschule nachschreiben. Allerdings wurden hierzu keine Kriterien<br />
vereinbart, d.h. wie viele Arbeiten nachgeschrieben werden müssen und<br />
wann ge-nau die Klausurleistungen vorliegen müssen. Bedingt durch die<br />
schulischen Ferien waren sowohl Kliniklehrer, als auch Klassenlehrer und<br />
die Schulleitung der Heimatschule nicht für die Familie erreichbar.<br />
Somit konnte Sven weder Klassenarbeiten schreiben, noch erfuhr er, ob<br />
die Schulleitung einer pädagogischen Versetzung in die Jahrgangsstufe 8<br />
zugestimmt hatte. Dieser Umstand wirkte sich angstfördernd auf Sven aus.<br />
Kurz vor Schulbeginn wurde Sven mitgeteilt, dass er zunächst in seine bisherige<br />
Klasse (somit Jahrgangsstufe 8) gehen könne. Da seine Fachlehrer/innen<br />
ihn aber bereits anwiesen, Bücher für die Jahrgangsstufe 8 zu<br />
bestellen, schien für Sven klar zu sein, dass er nicht mehr rückversetzt wird.<br />
Alle Vorfälle wirkten sich auf Svens Anstrengungsbereitschaft negativ<br />
aus. Die Klassenarbeiten wurden nicht mehr zur Sprache gebracht und<br />
Sven hat dadurch gelernt, dass er auch durch wenig Eigenanteil seine Ziele<br />
erreicht. Für Sven ergab sich aus dieser Erfahrung kein Anreiz für eine<br />
Verhaltensänderung.<br />
Unzureichende Absprachen können auch zwischen unterschiedlichen<br />
Systemen bestehen. Der nächste Fall soll dies exemplarisch<br />
veranschaulichen.<br />
b) Schnittstellenproblematik zwischen den Systemen – Der Fall Kathrin Porz<br />
Ein weiteres Fallbespiel für eine Schnittstellenproblematik ist der Fall<br />
Kathrin Porz.<br />
Die Schülerin Kathrin Porz ist 16 Jahre alt und leidet an einer chronischen<br />
Schulverweigerung. Sie verweigert seit 3 Monaten die Schule, wobei sich<br />
ihre Symptomatik seit Sommer 2009 allmählich verstärkte. Sie ist mit<br />
einer Generalisierten Angststörung und einer kombinierten Störung des<br />
Sozialverhaltens und der Emotionen diagnostiziert worden (F 41.1., F 92.8).<br />
Kathrin wurde in die 10. Klasse ihrer Heimatschule reintegriert.<br />
Neben der chronischen Schulverweigerung gibt es in diesem Fall die<br />
Besonderheit, dass die Schülerin schriftliche Leistungen bei Sonderterminen<br />
und in Sonderräumen erbringt. Weiterhin sind Fahrten mit<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln angstbedingt problematisch, insbeson-dere<br />
das Fahren mit dem Bus.<br />
Obwohl die beteiligten Systeme gemeinsame Ziele aufweisen,<br />
kristallisierten sich unterschiedliche Erwartungshaltungen zur Erreichung<br />
dieser heraus. Intention aller Beteiligten war es, dass Kathrins<br />
Störungsproblematik sich reduziert und dass sie regelmäßig die Schule<br />
in vollem Stundenumfang besucht, ohne dabei Sonderbehandlungen zu<br />
bekommen. Vordergründiges schulisches Ziel ist der Abschluss nach Klasse<br />
10. Die Schule ermöglichte es ihr bis zum Behandlungsbeginn und teilweise<br />
noch während der Behandlung, Klausuren in separa-ten Schulräumen zu<br />
eigens eingerichteten Terminen zu schreiben. Übungsaufgaben wurden<br />
stets von Frau Porz in der Schule abgeholt. Obwohl Kathrin seit 2009<br />
nur partiell in der Schule anwesend war, erhielt sie im Januar <strong>2010</strong> ein<br />
Halbjahreszeugnis mit dem Durchschnitt 2,5. Diese Erleichterungen<br />
wurden der Schülerin von der Schule mit der Intention gewährt, dass dies<br />
hilfreich im Zusammenhang mit der Störungsproblematik ist. Ungewollt hat<br />
die Schule jedoch das Vermeidungsverhalten durch Sonderbehandlungen<br />
noch verstärkt.<br />
Da Kathrins Störungsproblematik neben den Angstanteilen auch<br />
einen Vermeidungsanteil aufwies, war von Seiten der Klinik bestimmt<br />
worden, dass es Aufgabe der Familie und der Schule ist, keine Ver meidungssituationen<br />
mehr zuzulassen und Sonderbehandlungen aufzugeben.<br />
Sowohl die Schule als auch die Eltern konnten dieses Wohl wollen der<br />
Schülerin gegenüber nicht aufgeben. Die Schule ermöglichte weitere<br />
Sondertermine und die Eltern verstärkten Kathrins Vermeidungsverhalten,<br />
indem sie ihr weiterhin Pfl ichten abnahmen. Beispielsweise fuhren<br />
sie ihre Tochter mit dem Auto in die Schule oder zu Freizeitaktivitäten,<br />
sie organisierten für ihre Tochter Unterrichtsmaterial und handelten<br />
Sonderbedingungen aus.<br />
Kathrin hat durch die inkonsistenten Absprachen und Handlungen gelernt,<br />
dass sie durch hartnäckiges Beklagen und Betonen ihres Leidensdrucks<br />
Pfl ichten abgenommen bekommt. Auch für Kathrin ergab sich aus dieser<br />
Erfahrung kein Anreiz für eine Verhaltensänderung.<br />
5. Fragestellungen<br />
Aus dem Forschungsstand und unserem Kenntnisstand heraus,<br />
entwickelten wir folgende Fragestellung:<br />
Wie viele Schüler/-innen der Treatmentgruppe (Schüler/-innen, die<br />
Unterstützung durch Soulguard bekamen) im Vergleich zur Kontrollgruppe<br />
(Schüler/-innen ohne Unterstützung durch Soulguard) besuchen zu T1, T2<br />
und T3 regelmäßig, partiell oder gar nicht die Schule?<br />
6. Methode<br />
Zur Etablierung einer Vergleichsgruppe werden derzeit vermehrt Interviews<br />
mit ehemaligen Patienten/-innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und<br />
deren Eltern geführt. Deren Behandlungszeitraum erstreckt sich von 2006<br />
bis zum Jahre <strong>2010</strong>. Die Vergleichsgruppe umfasst bisher 21 ehemalige<br />
Patienten/-innen. Es wird mittels Telefoninterviews mit Schülern/-innen<br />
und deren Eltern geprüft, ob der/die Schüler/-in zu den Zeitpunkten T1,<br />
T2 und T3 regelmäßig, partiell oder gar nicht die Schule besuchte. Die<br />
3 Messzeitpunkte erlauben uns Aussagen zur Dauer des Schulbesuches.<br />
Zum explorativen Forschungsdesign werden qualitative Methoden<br />
eingesetzt. Die nachfolgenden Ergebnisse für Experimental- und<br />
Vergleichsgruppe wurden mittels Dokumentenanalysen, Interviews,<br />
Beobachtungsdaten (Verhaltensbeobachtungen und Unterrichts beobach-
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
74 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
75<br />
tungen für die Experimentalgruppe), Selbstbericht- und Fremdberichtdaten<br />
zu drei Messzeitpunkten erhoben. Der erste Messzeitpunkt (T1) im<br />
Längsschnittdesign umfasst Beobach-tungsdaten und Interviews mit dem/<br />
der Schüler/-in und einem Elternteil während des Kli-nikaufenthaltes. Der<br />
zweite Messzeitpunkt (T2) erfolgt 8 Wochen nach Begleitungsende und T3<br />
erfolgt 5 Monate nach der Entlassung aus der Klinik. Die Ermittlung der<br />
Daten zu T2 und T3 erfolgt über Telefoninterviews.<br />
7. Ergebnisse<br />
Die in den Abbildungen 4 bis 6 dargestellten Ergebnisse beziehen sich<br />
auf die Treatmentgruppe. Hierbei wird zwischen unterschiedlichen<br />
Messzeitpunkten differenziert.<br />
Abbildung 4: Schulbesuch zum 1. Messzeitpunkt in % (Begleitung während<br />
des Klinikaufenthaltes).<br />
Abbildung 5: Schulbesuch zum 2. Messzeitpunkt in % (2 Monate nach<br />
Begleitungsende).<br />
Abbildung 6: Schulbesuch zum 3. Messzeitpunkt in % (5 Monate nach<br />
Begleitungsende).<br />
Die in Abbildung 7 dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf den<br />
Schulbesuch zu 3 verschiedenen Messzeitpunkten der Vergleichsgruppe.<br />
Abbildung 7: Schulbesuch zu den 3 Messzeitpunkten in % (n=21).<br />
Es wird deutlich, dass der regelmäßige Schulbesuch bei der Treatmentgruppe<br />
mit 63,3% zum ersten Messzeitpunkt dreimal höher ist, als bei der<br />
Vergleichsgruppe mit 21,4 %. Zudem gehen zu T1 in der Treatmentgruppe<br />
3,3% gar nicht in die Schule, während in der Vergleichs-gruppe 42,8% gar<br />
nicht in die Schule gehen.<br />
Zum zweiten Messzeitpunkt ist der regelmäßige Schulbesuch mit 50% bei<br />
fast doppelt so vielen Schülern/-innen gegeben als in der Ver gleichsgruppe<br />
mit 28,6%. Gar nicht in die Schule gehen zu T2 50% der Vergleichsgruppe<br />
und 19,2% der Treatmentgruppe. In der Treat-mentgruppe gehen 19,2%<br />
der Schüler/-innen partiell in die Schule, in der Vergleichsgruppe besucht<br />
kein/e Schüler/-in partiell die Schule.<br />
Während des dritten Messzeitpunktes ist der regelmäßige Schulbesuch<br />
bei nahezu gleich vielen Schülern/-innen der Treatmentgruppe mit 53,3%<br />
und der Vergleichsgruppe mit 57,7% festzustellen.<br />
Kein Schulbesuch liegt bei 20% der Schüler/-innen aus der Treatmentgruppe<br />
und bei 21,4% der Schüler/-innen aus der Vergleichs gruppe zum<br />
dritten Messzeitpunkt vor. Keine Angabe zum Schulbesuch liegt bei der<br />
Vergleichsgruppe zu allen drei Messzeitpunkten bei 21,4%. Der Anteil der<br />
Schüler/-innen, bei denen keine Angabe zum Schulbesuch zur Verfügung<br />
steht, ist bei der Treatmentgruppe 6,7% (T1, T3) bzw. 11,6% (T2). Die<br />
Gründe für die fehlen-den Angaben liegen daran, dass die Schüler/-innen<br />
und/oder deren Eltern telefonisch nicht kontaktiert werden konnten bzw.<br />
eine telefonische Befragung ablehnten.<br />
8. Diskussion<br />
Die Ergebnisse zum Schulbesuch (regelmäßig, partiell, gar nicht)<br />
ergeben, dass zu den Messzeitpunkten 1 und 2 doppelt so viele<br />
Schüler/-innen der Treatmentgruppe regelmäßig die Schule besuchen<br />
wie in der Vergleichsgruppe. Zum ersten Messzeitpunkt sind fast 13<br />
Mal mehr Schüler/-innen aus der Vergleichsgruppe gar nicht mehr zur<br />
Schule gegangen im Vergleich zur Experimentalgruppe. Zum zweiten<br />
Messzeitpunkt, also 8 Wochen nach T1, sind 2,6 Mal mehr Schüler/-innen<br />
aus der Vergleichsgruppe gar nicht mehr zur Schule gegangen im Vergleich<br />
zur Experimentalgruppe.<br />
Fokussiert man im Rahmen der schulischen Reintegration die Dauerhaftigkeit<br />
des Schulbesuches, so ist zum 3. Messzeitpunkt auffällig, dass<br />
sich die Experimentalgruppe in der Dimension regel mäßiger Schulbesuch<br />
nur unwesentlich von der Vergleichsgruppe unterscheidet. Ein ähnlicher<br />
Effekt lässt sich für die Dimension kein Schulbesuch feststellen. Warum<br />
diese positiven Effekte in T1 und T2 zu T3 verschwinden, ist unklar.<br />
Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass sich mindestens 5 Monate<br />
nach Entlassung aus der Psychiatrie die Hilfesysteme zurückgezogen<br />
haben. Kommen dann persönliche Probleme hinzu, erhöht dies die<br />
Wahrscheinlichkeit eines unregelmäßigen Schulbesuches oder gar eines<br />
erneuten Schulabbruches.<br />
Aus den bisherigen Ergebnissen kann resümiert werden, dass die<br />
begleiteten Übergänge – besonders während des Klinikaufenthaltes<br />
und in den ersten zwei Monaten nach Entlassung aus der Psychiatrie –<br />
einen wesentlich regelmäßigeren Schulbesuch zur Folge haben könnten<br />
im Vergleich zu den Schülern/-innen, die bei ihrer Reintegration aus der<br />
Psychiatrie zurück in die Regelschule nicht unterstützt wurden.<br />
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu beachten, dass der<br />
Anteil der Schüler/-innen, bei denen keine Angabe zum Schulbesuch zur<br />
Verfügung steht, bei der Treatmentgruppe nur 6,7% (T1, T3) bzw. 11,6% (T2)<br />
ist. In der Vergleichsgruppe liegt dieser Anteil zu allen drei Messzeitpunkten<br />
bei 21,4%. Demnach müssten die Schüler/-innen ohne Angabe zum<br />
Schulbesuch noch auf die Items regelmäßig, partiell und gar nicht verteilt<br />
werden, dadurch könnten sich die Ergebnisse der Treatmentgruppe und<br />
Vergleichsgruppe verändern und so auch ihre Relationen zueinander.<br />
Bedingt durch das Längsschnitt-Design des Forschungsprojektes nimmt<br />
die Stichprobengröße der Treatmentgruppe von T1 zu T3 ab. Darüber hinaus<br />
werden derzeit noch weitere Daten für die Vergleichsgruppe ermit<br />
telt. Eine weitere wichtige Fragestellung: Welche Reibungsverluste<br />
entstehen an den Schnittstellen Psychiatrie –Elternhaus–Heimat schule<br />
im Kontext psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit einer<br />
Schulverweigerungsproblematik und Schülern/-innen mit Schulproblemen?<br />
wird derzeit noch mit qualitativen Analyseverfahren untersucht.<br />
9. Fazit<br />
Ein Großteil der Schüler/-innen, die bei ihrer Wiedereingliederung in die<br />
Regelschule unter-stützt wurden, profi tiert vom Unterstützungsangebot<br />
während ihres Klinikaufenthaltes und 2 Monate danach.<br />
Bei der Interpretation der Ergebniswerte zu T3 ist die Varianz der<br />
Stichprobengröße zu berücksichtigen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch<br />
schwer einzuschätzen, wie erfolgreich diese Art der Intervention für einen<br />
regelmäßigen und dauerhaften Schulbesuch wirklich ist.<br />
10. Ausblick<br />
In zukünftigen Forschungsvorhaben sollte das Phänomen der<br />
Schulvermeidung auf individueller, institutioneller und systemischer<br />
Ebene untersucht werden. Die Ziele sind eine Syste-matisierung der<br />
Problematiken auf allen drei Ebenen, die Bestimmung der gravierendsten<br />
Problematiken und die Generierung von Lösungen hierfür. Der Zugang<br />
zum Feld sollte durch eine Intervention gewählt werden, die gleichzeitig<br />
erlaubt, die Entwicklungen auf der individuellen Ebene weiterzuverfolgen<br />
und zu untersuchen, wie wirksam die Anstrengungen der verschiedenen<br />
Systeme sind.<br />
11. Literaturangaben<br />
Ciompi, L. (1982). Affektlogik. Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur<br />
Schizophrenieforschung. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
Ellis, A. & Hoellen, B. (2004). Die Rational Emotive Verhaltenstherapie - Refl exionen und Neubestimmungen.<br />
Stuttgart: Pfeiffer.<br />
Haep, A., Weber, P.A., Welling, V. & Steins, G. (2011). Psychopathologisierung von Kindern und Jugendlichen,<br />
die Rolle des Elternhauses und der Schule und die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive. In E.<br />
Witte (Hrsg.). Sozialpsychologie, Sozialisation und Schule, 26. Hamburger Symposium zur Methodologie der<br />
Sozialpsychologie (im Druck). Berlin: Pabst Science Publishers.<br />
Haep, A., Steins, G. & Wilde, J. (2011). Materialpaket Soziales Lernen Sekundarstufe I. Donauwörth: Auer.<br />
Harter-Meyer, R. & Weidenbach, M. (2001). Bildung und Krankheit. Herausforderungen für Lehrkräfte.<br />
Münster: LIT Verlag.<br />
Hirsch-Herzogenrath, S. & Schleider, K. (<strong>2010</strong>). Reintegration psychisch kranker Schülerinnen und Schüler<br />
in die Allgemeine Schule aus Sicht der Schulen für Kranke – empirische Befunde. In: Zeitschrift für<br />
Heilpädagogik, 9, 351-359.<br />
Kuchenbecker, A. (2002). Behandlungsende und Entlassvorbereitung: die Begleitung von Abschied,<br />
Trennung und Übergang. In: Kuchenbecker, A. (Hrsg.). Pädagogischpfl egerische Praxis in der Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie, Dortmund, 137–153<br />
Steins, G. (2008). Schule trotz Krankheit – Eine Evaluation von Unterricht mit kranken Kindern und<br />
Jugendlichen und Implikationen für die allgemeinbildenden Schulen. Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />
Waters, V., Schwartz, D., Gravemeier, R., Grünke, M. (2003). Fritzchen Flunder und Nora Nachtigall. Bern:<br />
Huber.<br />
Weber, P. A., Steins, G., Brendgen, A., Haep, A. (2008). Entwicklung weiterführender Maßnahmen. In: Steins<br />
Gisela: Schule trotz Krankheit – Eine Evaluation von Unterricht mit kranken Kindern und Jugendlichen und<br />
Implikationen für die allgemeinbildenden Schulen (316-353). Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />
Wertgen, A. (2009). Auf den Übergang kommt es an! Pädagogisch begleitet Schulrückführung als Angebot der<br />
Schule für Kranke für Schüler nach einem Psychiatrieaufenthalt. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 8, 308-319.<br />
Resilienz – Kinder widerstandsfähig machen<br />
Dr. Edith Wölfl<br />
Sonderschulrektorin, Wichern-Zentrum, München<br />
Defi nition<br />
Psychische Widerstandsfähigkeit<br />
gegenüber<br />
• biologischen,<br />
• psychologischen und<br />
• psycholsozialen Entwicklungsrisiken.<br />
Wichtigste Studien<br />
• Emmy Werner 1993: Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz Kauai-Studie<br />
• Laucht et. al. 2000: Mannheimer Längsschnittstudie<br />
Risikofaktoren<br />
Risikofaktoren werden als krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und<br />
entwicklungshemmende Merkmale defi niert, von denen eine Ge fähr dung<br />
der gesunden Entwicklung des Kindes ausgeht.<br />
(Holtmann/Schmidt 2004 nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009 S. 20)<br />
Primäre<br />
Vulnerabilitätsfaktoren<br />
• Prä-, peri- und postnatale Faktoren<br />
• Neuropsychologische Defi zite<br />
• Genetische Faktoren<br />
• Chronische Erkrankungen<br />
• Schwieriges Temperament<br />
• Frühes impulsives Verhalten<br />
• Geringe Fähigkeit zur Selbstregulation von Anspannung und<br />
Entspannung<br />
• Geringe kognitive Fähigkeiten<br />
Soziale Risikofaktoren<br />
• Niedriger sozioökonomischer Status<br />
• Armut<br />
• Migrationshintergrund bei niedrigem sozioökonomischem Status<br />
• Aversives Wohnumfeld<br />
• Kriminalität der Eltern<br />
• Obdachlosigkeit<br />
• Soziale Isolation der Familie<br />
• Mobbing /Ablehnung durch Gleichaltrige<br />
• Häufi ge Schulwechsel oder Umzüge<br />
Risikofaktoren in der Familie<br />
• Chronische Disharmonie<br />
• Elterliche Trennung/Scheidung<br />
• Alkohol-/Drogenmissbrauch der Eltern<br />
• Psychische Störungen oder Erkrankungen eines bzw. beider Elternteile<br />
• Chronische oder lang anhaltende schwere Erkrankung eines Elternteils<br />
• Niedriges Bildungsniveau der Eltern<br />
• Abwesenheit eines Elternteils/alleinerziehender Elternteil<br />
• Erziehungsdefi zite und ungünstige Erziehungspraktiken<br />
• Schwangerschaft der Mutter unter 18 Jahren<br />
• Unerwünschte Schwangerschaft<br />
• Geschwister mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung<br />
• Mehr als vier Geschwister<br />
Sehr schwere Risikofaktoren<br />
• Sexueller Missbrauch<br />
• Verlust eines nahen Familienangehörigen<br />
• Gewalt in der Familie gegenüber dem Kind<br />
• Gewalt der Eltern untereinander<br />
• Kriegs- oder Terrorerlebnisse, Flucht<br />
• Naturkatastrophen<br />
Wirkmechanismen<br />
• Anhäufung der Belastungen<br />
• Dauer der Belastungen<br />
• Alter und Entwicklungsstand des Kindes
76 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
77<br />
• Geschlechtsspezifische Aspekte<br />
• Subjektive Bewertung der Risikobelastung<br />
Schutzfaktoren<br />
Schutzfaktoren werden als Merkmale beschrieben, die das Auftreten einer<br />
psychischen Störung oder einer unangepassten Entwicklung verhindern<br />
oder abmildern sowie die Wahrscheinlichkeit einer positiven<br />
Entwicklung erhöhen.<br />
(Rutter 1990 nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009, S. 27)<br />
Schutzfaktoren im Kind 1<br />
Babies<br />
• Positives Temperament<br />
• Hohes Antriebsniveau<br />
• Geselligkeit<br />
• Ausgeglichenheit<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Kleinkinder<br />
• Unabhängigkeit<br />
• Fähigkeit, um Hilfe zu bitten<br />
• Fähigkeit, die Aufmerksamkeit abzulenken von schmerzlichen<br />
Erfahrungen, statt sie darauf hin zu lenken<br />
Schutzfaktoren im Kind 2<br />
Schulalter<br />
• Hohe Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit<br />
• Kinder nutzen ihre Talente effektiv aus<br />
• Kinder haben spezielles Hobby<br />
• Intelligenz<br />
• Vielfalt von Stress reduzierenden Bewältigungsstrategien<br />
• Fähigkeit zu überlegen und zu planen<br />
• Überzeugung, Schicksal oder Lebenswelt positiv beeinflussen zu können<br />
• Fähigkeit, Zukunft realistisch zu planen<br />
• Kinder benutzen keine Geschlechterstereotypien, sondern sind zugleich<br />
selbstbewusst und fürsorglich, leistungsfähig und freundlich<br />
Schutzfaktoren in der Familie<br />
• Chance, eine enge Bindung zu mindestens einer Person aufzubauen<br />
• Entwicklung von grundlegendem Vertrauen am Anfang des Lebens<br />
• Abstand zwischen dem Erstgeborenen zum zweiten Kind mindestens<br />
zwei Jahre<br />
• Kompetenz der Mutter im Umgang mit dem Kleinkind - Feinfühligkeit<br />
• Bildungsniveau der Mutter<br />
• Finden von Ersatzeltern<br />
• Übernehmen der Sorge für ein jüngeres Geschwister oder Familienmitglieder,<br />
die krank oder behindert sind<br />
• Bei Jungen: klare Strukturen und Regeln<br />
• Bei Mädchen: Betonung der Unabhängigkeit zusammen mit der<br />
Unterstützung durch eine weibliche Bezugsperson<br />
• Religiöse Überzeugung<br />
Schutzfaktoren in der Umwelt<br />
• Kinder verlassen sich auf Verwandte, Freunde, Nachbarn, ältere<br />
Menschen<br />
• Verbindung zu Kindern aus stabilen Familien<br />
• Lieblingslehrer/in als positives Rollenmodell<br />
• Lehrkräfte, die die Kinder interessieren und herausfordern<br />
• Schule lindert den Stress des Elternhauses durch<br />
– Aktivitäten, die helfen, wichtige Erziehungs- und Berufsziele zu erreichen<br />
– Aktivitäten, die das kindliche Selbstgefühl stärken<br />
– Aktivitäten, die anderen Menschen in Not helfen.<br />
Förderfaktoren von Resilienz<br />
• Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
• Selbstregulation bzw. Selbststeuerung<br />
• Selbstwirksamkeit<br />
• Soziale Kompetenzen<br />
• Umgang mit Stress<br />
• Problemlösung<br />
Resilienzförderliche Haltungen<br />
• Klare, transparente und konsistente Regeln und Strukturen<br />
• Wertschätzendes Klima<br />
• Warmherzigkeit<br />
• Hoher, angemessener Leistungsstandard<br />
• Positive Verstärkung der Leistungen und der Anstrengungsbereitschaft<br />
des Kindes<br />
• Positive Freundschaftsbeziehungen<br />
• Basiskompetenzen z.B. Höflichkeit<br />
• Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und andren sozialen Institutionen<br />
• Kompetente und fürsorgliche Erwachsene im Umfeld des Kindes<br />
• Vorhandensein prosozialer Werte und Normen in der Gesellschaft<br />
Literatur<br />
• Opp, Fingerle, Freytag (Hrsg.): Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz, München 1999<br />
• Fröhlich-Gildhoff/Dörner/Rönnau: Prävention und Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen - PRiK<br />
München 2007<br />
• Zander: Armes Kind - starkes Kind? Die Chance der Resilienz Wiesbaden 2. Aufl. 2009<br />
• Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse: Resilienz München 2009<br />
Partnership with Education:<br />
What Value to Rehabilitation and Mental Health Services?<br />
Caleb Jones<br />
ABI & Spinal Rehab Liaison Teacher<br />
Hospital School Services, Perth, AUSTRALIA<br />
It is now well documented that collaborative practices increase effectiveness<br />
and efficiency in response to service needs (Miller & Ahmad, 2000).<br />
Hospital School Services (HSS) is one of four Statewide Specialist Services<br />
within the Department of Education Western Australia and provides<br />
teaching and education services to both government and private school<br />
students whose physical and/or mental health presents difficulties in<br />
accessing their regular education program and also facilitates their entry<br />
or return to a program that best meets their ongoing needs. For inpatients<br />
and outpatients with chronic health needs referred to HSS, liaison with<br />
schools and families promotes and supports consistent communication<br />
between student, family, school and health service. It also provides a<br />
bridge for the school to access the specialist knowledge of the health<br />
team and for that team in turn to better understand the challenges the<br />
students is facing in the regular school setting. The development of the<br />
‘Liaison Teacher’ role over the last decade has been the key conduit to<br />
facilitating this for many students with chronic illness in health settings<br />
across WA, including rehabilitation and mental health conditions. This<br />
presentation will describe the education services available to patients<br />
from rehabilitation and mental health services in Western Australia and<br />
give an example case study.<br />
HSS in Context<br />
To put Hospital School Services in context, Western Australia is a rapidly<br />
growing population of about 2.2 million people across a geographical<br />
expanse of approximately 5,500,000 km2 – an area covering the size of<br />
Western Europe. There is significant cultural diversity, living conditions<br />
and access to services from small rural and remote communities to<br />
large urban centres like the capital, Perth. The challenges in providing an<br />
effective, seamless service are therefore geographical and cultural. To<br />
ensure our services are cohesive across all contexts, we have adopted this<br />
credo. “When services are not integrated with a common goal, a common<br />
paradigm for understanding the social problems, a common language<br />
of how to work together, families and children fall prey to fragmented<br />
services and interagency debates about mandates and responsibilities”<br />
(Moretti, 1997).<br />
Development of HSS Liaison Services<br />
A defining moment in HSS’s development was the establishment of a<br />
Memorandum of Understanding (MOU) in 2005 between the Director<br />
Generals of both the Departments of Education and Health. This forged<br />
the way for greater inter-agency collaboration, the signing of Service<br />
Protocols between HSS and a wide range of WA Health Services (currently<br />
40+ programs in 20+ health sites statewide) and the inclusion of Liaison<br />
Teachers in many of the inter-disciplinary health teams in these hospitals<br />
and community CAMHS clinics. We now service an average of 4300<br />
students/year (40% primary, 60% secondary) and, as programs have<br />
shown evidence of their inherent value and been maintained, HSS staffing<br />
has increased now to 72 teaching and support staff (many part-time), with<br />
assistance from approximately 40 volunteers.<br />
Four HSS Outcomes and Evidence for Collaboration<br />
At HSS, we value most highly four outcomes in our work - providing a<br />
relevant educational program; collaborating with schools of long-term or<br />
chronically ill students; collaborating within inter-disciplinary teams and<br />
with other agencies to support educational, medical and psychosocial<br />
needs; and facilitating a student’s transition back to school or toward<br />
another study or career path. These goals have been considered and<br />
reinforced repeatedly by evidence gathered on effective collaboration by<br />
education services in health settings and are the basis for development of<br />
our liaison services. The references provided at the close of this transcript<br />
provide examples, but to note a few:<br />
• Closs & Norris (2001) found a positive educational outcome more likely<br />
for a chronically ill student when: partnerships existed, planning was<br />
conducted as early as possible, professional learning was conducted for<br />
enrolled school staff and the student’s enrolled school had a positive<br />
ethos to support the student.<br />
• Farrell & Harris (2003) highlighted five overarching themes for effective<br />
policy and practice as: mainstream ownership (for connection),<br />
collaboration (for consistency), flexibility (for practical solutions),<br />
responsiveness (for timely delivery & good process) and clarity (of roles<br />
& boundaries).<br />
• A Western Australian survey (Gardiner, 2006) followed these findings by<br />
asking teachers what they worried about when it came to students in their<br />
schools with chronic illness and teachers wanted: greater knowledge<br />
and understanding of the health condition and its impact, access to<br />
assistance in addressing the student’s changing health related needs<br />
and support from someone who understands the classroom context.<br />
• Most recently Payne & Valentine (<strong>2010</strong>), both accomplished<br />
paediatricians, acknowledged the importance of education staff in<br />
health teams by stating that “current models of interdisciplinary care<br />
should incorporate education staff as a matter of course.”<br />
Liaison Teacher Roles<br />
Liaison Teacher in Mental Health Teams<br />
The Liaison Teacher role is obviously very similar across all specialty<br />
health teams but some differences arise according to the nature of the<br />
conditions supported, so in the time available I will highlight two as<br />
examples. Liaison Teachers were piloted and established in several mental<br />
health settings/CAMHS teams after recommendations from a 2004 review<br />
of the Western Australian Education system and students with psychiatric<br />
disability. Within these specific teams they have been given the acronym<br />
CELT (CAMHS and Education Liaison Teacher).<br />
CELT Role<br />
The following define the role of a CELT:<br />
• Consultancy to CAMHS clinicians on educational matters<br />
• Direct consultation to government & private schools for students who<br />
are “active” clients with CAMHS and have signed parental consent for<br />
CELT support<br />
• Liaise with schools and ‘Student Services’ teams regarding individual<br />
students<br />
• Broker professional learning with health clinicians for schools and<br />
district education offices<br />
• Make educational assessment in collaboration with CAMHS & through<br />
liaison with school & regional services<br />
• Offer generalist mental health advice, including classroom observation<br />
& modelling<br />
• Facilitate a student’s transition planning<br />
• Support schools with funding applications for Severe Mental Disorder<br />
• Help schools understand how CAMHS services work<br />
• Facilitate flexible service delivery by clinicians.<br />
The CELT role has now expanded into CAMHS teams state-wide in<br />
response to the extremely positive feedback received from the health<br />
and education sectors through various evaluations. For example, one<br />
Consultant Psychiatrist commented that ‘it functions as an extremely<br />
useful and beneficial service to help coordinated management in what<br />
is an extremely complicated overlap between Education and Health.’<br />
Most recently Grant Wheatley, Principal Hospital School Services, was<br />
recipient of the <strong>2010</strong> University of Western Australia Dr Mark Rooney<br />
Award for “Improved Outcomes in Child and Youth Mental Health”. This<br />
recognised him as a driving force behind initiatives like CELT services and<br />
demonstrates that these projects have led to improvements not only in the<br />
way the education sector manages students with mental health problems,<br />
but has significantly enhanced the collaboration between these sectors.<br />
Liaison Teacher in Rehabilitation Teams<br />
The Acquired Brain Injury (ABI) and Spinal Rehabilitation Teams also have<br />
well established Liaison Teacher roles in their inter-disciplinary health<br />
teams, who work closely with Consultants, Liaison Nurses, Allied Health,<br />
Clinical Psychology and Community Mental Health Nurses. These Liaison<br />
Teachers follow the Rehabilitation Team principles of being: holistic &<br />
child/family centred, evidence based with intervention, working towards<br />
meaningful, objective and functional goals within the neurocognitive rehab<br />
approach and aiming to minimise complications of the condition while<br />
maximising access, independence and transition to school/community.<br />
The most common conditions of young people in the Rehab Teams are<br />
either congenital (eg Spinal Dysraphism) or acquired (eg brain and spinal<br />
injuries from accidents, tumours or infections etc). The long term clinical<br />
pathway after referral for a young person is always underpinned by support<br />
for the family, the school and any transitions, as seen in this model:v<br />
Referral<br />
PMH<br />
inpatient/outpatient<br />
Introduction<br />
to service<br />
Team<br />
assessment<br />
Rehabilitation<br />
planning and<br />
goal setting<br />
Rehab Service Model<br />
I ntensive<br />
inpatient<br />
rehabilitation<br />
Well defined clinical pathway<br />
Hospital based<br />
outpatient<br />
rehabilitation<br />
Transition<br />
to adult<br />
services<br />
Community based<br />
rehabilitation<br />
Home based<br />
rehabilitation<br />
Hospital School services - Liaison Teacher<br />
Family Support School Support Rehabilitation Review Transition<br />
Psychosocial team - Community Mental Health Nurse<br />
Common Factors to Consider at School<br />
As the brain and spine are essential to so many aspects of functioning<br />
there are many factors a young person might experience and that a<br />
Liaison Teacher would assist the student and school with. Each individual<br />
is different but may involve:<br />
• Cognitive impairment - intellectual, new learning, executive function,<br />
processing speed, poor attention & memory, impulsivity & perseveration<br />
• Physical & functional impairment - toileting and continence, gross & fine<br />
motor weakness effecting ADLs like mobilising, fatigue, writing, meals<br />
and socialisation<br />
• Communication & language difficulties<br />
• Personality and behavioural change<br />
• Higher risk of mental health issues<br />
• Direct impact on the family, their education and future career pathways.<br />
School Considerations for Students with an ABI<br />
The following is some information to better understand ABI and the school<br />
considerations a Liaison Teacher assists with:<br />
• An ABI is Australia’s leading cause of acquired disability and death in<br />
childhood and adolescence, approx 1:650 young people<br />
• Incidence peaks twice, less than 5yrs and during adolescence with more<br />
males than females (Khan et al, 2003)<br />
• Outcomes of an ABI are very complex and heterogenous with potential<br />
contributors being the injury severity & location, age at injury, pre-injury<br />
social & mental health, environmental and family factors and access to<br />
rehab services<br />
• A 5 year review of HSS data for moderate to severe ABI students showed<br />
approx 50% of children required educational assistance (EA in class or in
78 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
79<br />
SEN/ES unit) to manage school participation<br />
• Survivors of an ABI experience numerous “invisible” disabilities that<br />
many people won’t recognise (McLure & Abbott, 2009) (Hawley, 2004).<br />
School Considerations for Students with Spinal Conditions<br />
The following is some information to better understand Spinal conditions<br />
and the school considerations a Liaison Teacher assists with:<br />
• Frequently have Neurogenic Bladder &/or Bowel (nerve supply interrupted<br />
through trauma or congenital abnormality) requiring management at<br />
school. Failure to empty brings significant renal complications so the<br />
aim is to prevent complications & achieve social continence, in turn<br />
minimising accidents & bullying. School management includes planning<br />
toilet routines, catheterisation, EA support and working towards<br />
independence.<br />
• Use of various equipment to maximise mobility (wheelchair, walker, AFOs).<br />
• Verbal communication is usually considerably higher than their actual literacy.<br />
• Overall intelligence is usually in low average range eg 75% IQ < 80.<br />
(McLone, 1992).<br />
Rehab Liaison Teacher Role<br />
The role of a Rehab Liaison Teacher is primarily to ensure participation in<br />
a student’s enrolled school despite the impact of their health condition.<br />
Before any intervention, the most important requirement is to gain signed<br />
consent from the parents/carer for exchange of information on school<br />
related issues. This allows them to maintain confidentiality while keeping<br />
open and consistent communication between the parents, rehab team,<br />
school, regional office and other community agencies involved. The tasks<br />
a Liaison Teacher may be involved in are:<br />
• Provide closer links between health and education by offering access to<br />
specialist knowledge from the health team and assisting health teams to<br />
understand school and education processes<br />
• Attend case conferences & review meetings<br />
• Facilitate transition planning<br />
• Monitor long term student progress via school and hospital outpatient clinics<br />
• Facilitate professional learning for school staff<br />
• Provide documentation from health team eg medical diagnosis letter,<br />
therapy reports, neurocognitive assessment, teacher information booklets<br />
• Assist school in planning & accessing funding (from Education or<br />
Insurance organisations)<br />
• Consider equipment or assistive technology needs<br />
• Clarify young person’s physical activity capabilities and limits on high<br />
risk sport<br />
• Offer the school practical strategies to apply in each context such as:<br />
a gradual increase in attendance/workload during transitions, allowing<br />
time between classes to leave early or arrive late, provision for small rest<br />
breaks as needed for fatigue, use of a ‘buddy system’, change of seating<br />
arrangements and involvement of an Education Assistant (for mobilising<br />
& transfers, toileting, hygiene, organisation, help to summarise learning,<br />
scribe for longer tasks and to assist with books/bag/equipment).<br />
Rehabilitation Case Study<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
This case study outlines the journey of a rehabilitation patient. It provides<br />
an example of how the support of a Liaison Teacher assists young people<br />
with chronic health conditions to experience as much school normality as<br />
possible and access the best possible educational opportunities in their<br />
enrolled school.<br />
Background of young person - TC<br />
• 13 yrs old, Yr9 student, ‘average’, active, good social network but hx of<br />
bullying<br />
• Family - Mother (PA) & Father (fly in/fly out mining), 16yo sister<br />
• Lives ~30km from Perth centre and hospital<br />
• Accident - passenger in off-road motorbike accident on his birthday<br />
• Emergency - CPR, severe (GCS 3), ambulance to hospital.<br />
• ICU - 2/52 in coma/intubated/ventilated/NG tube fed<br />
• Resulting diagnosis<br />
– Severe Traumatic Brain Injury (ABI)<br />
– Pulmonary contusion<br />
– # spine at T3 stabilised<br />
– # R ribs & # R forearm<br />
– L Hemiparesis (left sided weakness)<br />
– L Hemianopia (limited vision complicates mobility/function).<br />
Inpatient Rehabilitation for TC<br />
• Transfer to ward and referral to team, later introduction of Liaison Teacher<br />
• Obtained signed parental consent to exchange information<br />
• Intense interdisciplinary rehab with daily school session included<br />
• Collaborate with therapists to coordinated inpatient teaching times<br />
• Initiate a link with enrolled school and request pre-injury questionnaire<br />
and outline of school program (to be modified for TC’s present<br />
capabilities)<br />
• Contribute to regular team meetings<br />
• Keep ongoing communication with school for understanding of student,<br />
family & health considerations<br />
• Suggest opportunities to foster peer connections through school<br />
• TC remained an inpatient for 10/52.<br />
Prior to Discharge from Hospital<br />
• Independent ADLs but needing assistance for transfers & mobilising<br />
• Could walk short distances with side assist and using K-walker<br />
• Wheelchair necessary for distance<br />
• L side blindness permanent (Hemianopia)<br />
• Fatigue and sometimes impulsive, resulting in falls<br />
• L hemi meant fine motor difficulties & ataxic gait<br />
• Changed hand dominance due to injury (learn use of R instead of L)<br />
• Communication difficulties (slurred speech and word finding)<br />
• Poor executive functioning (organising himself through day)<br />
• He was very insightful into effects of injury and the social implications/bullying<br />
• This resulted in increased anxiety about school return and some school refusal<br />
• Mother also experienced anxiety and had expectations of school.<br />
TC’s Transition to School<br />
• Meeting to plan discharge from inpatient stay<br />
• Arranged short period of home teaching (~2/52) till school more<br />
prepared<br />
• Facilitated school visit for OT to report on accessibility of grounds<br />
• Arranged school case conference re: transition planning by school<br />
• Liaised with Vision Education Service & District’s inclusion team for input<br />
• Provided school with documentation from health team including medical<br />
diagnosis letter, school info booklet (condition, symptoms and advice)<br />
and therapy recommendations<br />
• Assist school with their health care plans, IEP’s and funding applications<br />
for EA<br />
• Guided teachers & EA on strategies eg assisting with mobility/transfers,<br />
compensatory strategies in the classroom<br />
• Linked staff to related professional learning<br />
• Directed school on level of physical activity he could participate in<br />
• Arranged TC a first school visit, only a few peers/teachers for gradual<br />
exposure<br />
• Conducted class talk to peers prior to TC’s return so they knew what to<br />
expect and could be supportive environment<br />
• Rehearse school/social scenarios with TC to prepare for entry<br />
• First day attending, I was present at school to ‘pep talk’ with TC and give<br />
classroom support/modeling where needed<br />
• Coordinated timetabling between hospital therapy and school as<br />
attendance stepped up<br />
• Regular communication with parents and school to ensure all happy<br />
• Repeated school visit coming weeks of transition to ‘trouble shoot’ &<br />
encourage TC’s success/engagement<br />
• Over time TC no longer needed wheelchair/walker, gained more independence<br />
• Reduced school visits to periodical.<br />
Support Continued Through Outpatient (OP) Rehabilitation<br />
• Monitored progress in OP clinic and contact with school<br />
• Relay academic/social/emotional/mobility progress to health team<br />
• Attended periodic school review meetings<br />
• School allowed TC continued support from student services as required<br />
• As additional supervision ceased, initiated buddy system with suitable peers<br />
• Neurocognitive assessment conducted @ 12mths post injury, so ensured<br />
school had access to this valuable information<br />
• Provided school with regular health/therapy progress<br />
• Assisted school with modifying TC’s program & funding reviews<br />
• School awarded TC an achievement award for his courage and<br />
determination<br />
• TC managing better in academic subjects<br />
• Shifted EA priorities to subjects with high writing & practical demands<br />
• Issues between family and school arose over time through<br />
misunderstanding of health progress etc so mediated resolutions,<br />
consulted Rehab Team as needed<br />
• Work placement opportunities arose (bricklaying, mechanics) – asked<br />
OT to assess function & processing skills to reassure school he could<br />
participate<br />
• Changed to community based therapy, so ensured they were linked to<br />
school<br />
• Recommended parents apply for Ronald McDonald Learning Program<br />
(RMLP)<br />
• Guided school on government’s special examination arrangements<br />
• Provided TC with guidance on education, training and career pathways<br />
TC Today, 2 Years Later<br />
• Full time school participation<br />
• Has been able to maximise his rehab & health outcomes<br />
• Has regained much of his adolescent independence<br />
• Maintained and built positive social relationships<br />
• Has good attitude towards school<br />
• Recently completed Yr10 studies<br />
• Is preparing to engage in work/training pathways<br />
Case Study Summary: Collaboration - What Worked Well?<br />
This case study demonstrates how the intervention of a liaison service<br />
leads to very positive outcomes for students not necessarily achievable<br />
otherwise. It is noteworthy that the Liaison Teacher ensured mutual<br />
understanding between the education and health contexts through<br />
free flowing information and prompt, supportive & flexible interagency<br />
responses. TC and his family felt supported during pivotal transition<br />
periods, enabling them to overcome unfamiliar obstacles. Another factor<br />
of success was that the school kept ownership of TC as their student and<br />
also identified a case manager at school to monitor & report issues to<br />
Rehab Team through HSS. This meant the school were able to receive<br />
valuable documentation and access support to formulate and implement<br />
effective plans for TC. Finally, it was very important that the health team<br />
recognised school as an important setting for TC to achieve his long term<br />
rehabilitation goals and the Liaison Teacher could help communicate this<br />
sense of value as well as useful strategies to the school.<br />
Conclusion: HSS Model of Collaborative Service Delivery<br />
Evaluation of HSS in 2008 reinforced that the service effectively supports<br />
schools, such that students can continue to attend/participate in their school<br />
program (Bauer, Crosby, Hughes & Sharp - 2008). Feedback received has<br />
highlighted the importance of collaboration in reaching our desired outcomes.<br />
One health professional who has worked closely with HSS commented that,<br />
“every time HSS is involved, this supports a successful outcome. We all share<br />
a philosophy of the value of education; the school is the biggest resource we<br />
have in terms of trying to make changes.”<br />
For More Information<br />
References<br />
1. Bauer, B., Crosby, I., Hughes, L. & Sharp, A. (2008). Evaluating Hospital School Services‘ collaborative<br />
model of service delivery. Special Education Perspectives, 17 (2), 57-76.<br />
2. Closs, A., Stead, J., Arshad, R., Norris, C. (2001). School peer relationships of ‘minority’ children in<br />
Scotland. Child Care Health and Development, Blackwell-Synergy.<br />
3. Farrell, P. & Harris, K. (2003). Access to Education for Children with Medical Needs - A Map of Best<br />
Practice. Faculty of Education University of Manchester.<br />
4. Gardiner, J. (2006) School staff perceptions of the impact of chronic illness: A survey of staff attending<br />
professional development sessions. Unpublished Quality Improvement Report, Princess Margaret Hospital<br />
for Children, Western Australia.<br />
5. Hawley, C., Ward, A., Magnay, A. & Long, J. (2004). Outcomes following childhood head injury: a population<br />
study. Journal of Neurology Neurosurgery and Psychiatry, 75 (5), 737-742.<br />
6. Khan, F., Baguley, I. & Cameron, I. (2003). Rehabilitation after traumatic brain injury. MJA, 178, 290-295.<br />
7. McClure, J. & Abbott, J. (2009). How Normative Information Shapes Attributions for the Actions of Persons<br />
with Traumatic Brain Injury. Brain Impairment, 10 (2), 180-187.<br />
8. McLone, D. G. (1992). Continuing concepts in the management of Spina Bifida. Ped Neurosurg, 18, 254-256.<br />
9. Miller, C. & Ahmad, Y. (2000). Collaboration and partnership: an effective response to complexity and<br />
fragmentation or solution built on sand? Int. Journal of Sociology & Social Policy, 20(5-6), 1-38.<br />
10. Moretti, M., Emmrys, C., Grisenko, N., Holland, R., Moore, K., Shamsie, J. et al (1997). The treatment of<br />
conduct disorder: Perspectives from across Canada. Canadian Journal of Psychiatry, 42(6), 637-648.<br />
11. Olson, A., Seidler, A., Goodman, D., Gaelic, S. & Nordgren, R. (2004). School Professionals‘ Perceptions<br />
About the Impact of Chronic Illness in the Classroom. Arch Ped Adol Med, 158(1), 53-58.<br />
12. Payne, D. & Valentine, J. (<strong>2010</strong>). Putting Adolescent Health at the Heart of Pediatrics. Journal of Pediatrics,<br />
157 (4), 524-526.<br />
Kollegiales Team Coaching – KTC<br />
Bernhard Ruppert<br />
2. Sonderschulkonrektor, Schule für Kranke, München<br />
Coach, Schulentwickler<br />
Kollegiales Teamcoaching kann ein wirkungsvolles Instrument zur<br />
Reflexion der Arbeit im Kollegium einer Schule für Kranke sein.<br />
KTC sollte unter der Anleitung eines (externen) Moderators durchgeführt<br />
werden.<br />
1. Rollen im Kollegialen Team Coaching<br />
Für das KTC ist eine Gruppe von fünf bis acht Personen erforderlich.<br />
Folgende Rollen sind zu vergeben:<br />
• AkteurIn (Fallgeber/in)<br />
• Coaches<br />
• Schreiber und Coach<br />
• Moderator und Coach<br />
• Prozessbeobachter und Coach<br />
1.1 Der Akteur<br />
• bringt „seinen Fall“ ein<br />
• schildert seine persönliche Arbeitssituation<br />
• beschreibt, was gelungen/nicht gelungen ist<br />
• beschreibt seine Beziehungen zu den Personen seiner Situation<br />
• beschreibt Ziele, Hoffnungen, Ängste und Zweifel<br />
• spricht in „Ich-Form“<br />
1.2. Der Moderator<br />
• leitet die Gruppe am methodischen Modell<br />
• spricht Konflikte und Störungen an<br />
• lässt jeden zu Wort kommen<br />
• achtet auf die zeitliche Struktur<br />
• ist auch Coach<br />
• sorgt für ein wertschätzendes offenes Klima<br />
1.3. Die Coaches<br />
• sind verantwortlich für den Coachingprozess. Grundhaltung: Vertrauen<br />
und Wertschätzung<br />
• spiegeln ihre Wahrnehmung, emotionale Reaktionen und ihren ersten<br />
Eindruck, nachdem der Akteur die Situation geschildert hat<br />
• fokussieren ihre unmittelbare Wahrnehmung: Was zeigt sich im Bericht/<br />
im Verhalten des Akteurs, welche Gedanken und Bilder werden beim<br />
einzelnen Coach ausgelöst?<br />
• stellen Verständnis- und Klärungsfragen<br />
• liefern in der Ideenwerkstatt Entwicklungsideen<br />
1.4. Der Schreiber<br />
• hält Eindrücke, Gefühle, Ideen der Coaches in Stichworten oder<br />
Symbolen fest<br />
• er tut dies, ohne sie zu verfälschen oder nach seiner Meinung zu<br />
verändern<br />
• sorgt für die Aufnahme aller Aspekte und visualisiert die Konferenz der<br />
Coaches und die der Ideenwerkstatt<br />
1.5. Prozessbeobachter und Coach<br />
• gibt am Ende Feedback zur Prozessdynamik.
80 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
81<br />
2. Ablaufschema KTC (60 Minuten)<br />
10<br />
5<br />
10<br />
5<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
10<br />
15<br />
5<br />
Präsentation des<br />
Anliegens (Bericht,<br />
Darstellung durch den<br />
Akteur)<br />
Klärende Rückfragen<br />
Konferenz der Coaches<br />
Formulieren des<br />
Schlüsselthemas<br />
Ideenwerkstatt /<br />
Lösungsbrainstorming<br />
Prozessreflexion<br />
(Prozessbeobachter<br />
berichtet)<br />
Feedback des Akteurs<br />
3. Arbeitsschritte im KTC<br />
• Akteur präsentiert sein Szenario, die Gruppe fragt nach (keine<br />
Interpretationen oder suggestive Fragen!)<br />
• Konferenz der Coaches (Akteur sitzt außerhalb der Gruppe, hört zu!)<br />
Coaches sammeln Eindrücke, Assoziationen, Phantasien, Gedanken,<br />
Gefühle<br />
• Coaches stellen evtl. Klärungsfragen an Akteur.<br />
• Coaches entwickeln das Schlüsselthema<br />
• Ideenwerkstatt: Die Coaches sammeln Ideen im Brainstorming<br />
• Feedback des Prozessbeobachters<br />
• Akteur entwickelt seine persönliche Maßnahme<br />
3.1. Das Schlüsselthema<br />
• gibt die zentrale Entwicklungsrichtung für den Akteur an<br />
• ist der Hebel für eine gezielte Veränderung der Person und ihres Systems<br />
• ist mit einer Vision verbunden<br />
• ist positiv, pointiert, entwicklungsorientiert und erreichbar, ermutigend<br />
und herausfordernd, knapp und treffend<br />
• hat oft eine metaphorische Aussage<br />
• wird in der Ideenwerkstatt durch Konkretisieren näher ausgeführt<br />
4. KTC-Zyklus als Raumfolge<br />
• Unmittelbare Wahrnehmung der Situation – Problemraum “Entdeckung<br />
des Neuen“, „Unsicherheit und Faszination“<br />
• Resonanzraum<br />
Die Coaches spiegeln Eindrücke, Gefühle, Gedanken, Bilder<br />
• Lösungsraum<br />
Entwickeln eines Schlüsselthemas<br />
Sammeln von Entwicklungsideen<br />
Definieren der Maßnahmen<br />
• Handlungsraum<br />
Praxisphase: Versuch & Irrtum, Entwicklung einer neuen Situation<br />
Kollegiales Team Coaching – KTC<br />
nach: Prof. Dr. Wilfried Schley, Universität Zürich<br />
Prof. Dr. Michael Schratz, Universität Innsbruck<br />
Cooperation between hospital teachers and home school teachers.<br />
Grete Buck Aulin<br />
Hospital Teacher and Marte Meo Pedagogue. SWEDEN<br />
The background for my work with home school teachers<br />
I am a hospital teacher in a psychiatric consultation for Children and<br />
Youth, called BUP, in Sweden. The following is a common problem for<br />
school staff that asks for consultation.<br />
Teachers complain about students having disturbing behavior at school,<br />
feeling that these students don’t want to work and that they are lazy. That<br />
might be true for some children who have reached the age where they find<br />
other friends they want to be with and other activities they want to do. But<br />
some children not only disturb the lessons at school, they have problems<br />
in the playground as well. The other children refuse to let them join in their<br />
play because they know that these children will even destroy their games<br />
as well as the lessons.<br />
Skills children need to succeed in life<br />
A six year old child who wants to play with other children, must be able to<br />
be socially attentive in following the initiatives of other children. The child<br />
has to name his own initiatives and to be able to take turns. He has to<br />
have social behavioural models as well as adequate cooperation skills and<br />
he has to be able to concentrate. These skills and also other skills such<br />
as solving problems and sufficient language to express himself as well as<br />
having ideas for playing and working, are necessary in order to make good<br />
connections with others. There are some children that don’t have these<br />
skills and they all get behavioural problems at school. This behaviour also<br />
affects the learning situation for the child.<br />
We all want to join the group, the society in which we live. And we all want<br />
to learn to be a part of the society. The children who don’t know how<br />
to behave together with their peers have difficulties in many situations<br />
and are at risk for psychiatric disorders. In other words the child with<br />
developmental problems in basic communication skills needs support in<br />
order to continue developing well.<br />
The Marte Meo Method<br />
As a Marte Meo pedagogue as well as a hospital teacher, I can help these<br />
children in their own environment, at school. The Marte Meo method<br />
helps the school staff to understand the child and support the child in his<br />
development.<br />
I take up a five to ten minute film session in order to analyse the interaction<br />
between student and teacher. After each film session I have a<br />
review session. The use of the video camera allows the teacher to view<br />
the child step by step in a way that’s impossible in real life. In the view<br />
session I give the teacher “homework” in supporting communication using<br />
the Marte Meo Principles. You can read more about the method at http://<br />
www.martemeo.com/site/index.cfm.<br />
My workshop<br />
In my work-shop, I will show you some films from my work in school. We<br />
are going to follow two or three boys that have gone through the Marte<br />
Meo Programme. I will tell you a little about each child and his back ground<br />
at home and also his school history. Using the film sequences, I can show<br />
you how the child interacts with others and what he needs to work on in<br />
order to continue to develop well.<br />
I have taken several films of the boys in order to give review sessions<br />
showing the school staff how to continue working with the Marte Meo<br />
principles. I will show you some of the sessions so that you can see and<br />
follow the work the school staff has done. The best part of filming is that<br />
it makes it possible to stop time, to look step by step at what’s going on<br />
in the interaction. That makes it possible for you to be able to see film<br />
sequences where the child is developing his connecting skills.<br />
The child’s development<br />
The child’s needs and stage of development is in focus in stead of the age of<br />
the child. The adult can support the child who can have different problems<br />
such as language difficulties, autism, ADHD and conduct disorders. The<br />
question is not why the child does not have the skills, but how to help the<br />
child to develop his connection skills.<br />
The teachers’ development<br />
It is nice also to follow the development of the school staff. Their skills are<br />
increasing and they have a more professional way of interacting with the<br />
child after they have been working with Marte Meo. The teachers change<br />
the interpretation of the child’s behaviour from “he disturbs and is lazy” to<br />
“today he looked at me when I named his initiatives and he realized what he<br />
had to do!” The teachers go from been a victim of the child’s behaviour to<br />
being the professional leader of the action in the classroom.<br />
The teachers in my films have different education. You will be able to follow<br />
teachers who have been unaware how they react on the child’s initiatives<br />
to connect. They also realize that it is important to approach and handle<br />
situations with a different perspective and less negative actions.<br />
In my films I have other teachers who work in a special school for children<br />
with behavioural disorders. These teachers are very familiar with the<br />
impotence of their own interacting with the children and the importance of<br />
structure in their work. They know how to be a positive leader who creates<br />
a good atmosphere and emotional connections at school.<br />
I am glad that I can show you how one of them supports a child in the<br />
playground so that he can be part of the group, helping him how to follow<br />
the initiatives of the other children.<br />
Even this teacher needs the help of the video and the Marte Meo principles.<br />
You can follow her effort to help this child in a couple of sequences from<br />
films I have taken during the lessons.<br />
Photos and video recordings during the workshop<br />
It is obvious that it’s impossible to show the films’ sequences from school<br />
work and at the same time let the persons in the film stay anonymous.<br />
I am so glad that the parents of the children and their teachers have<br />
given me permission to show you the films. As one parent said: “I wish<br />
all teachers could learn how to help children with behavioral disorders to<br />
develop well, but I don’t want to find films of my child on the Internet.”<br />
Projektbeschreibung „Warteschleife“<br />
Edith Ramminger<br />
Sonderschullehrerin, Schule für Kranke, Tübingen<br />
Kranke Kinder in der Schule, e.V.<br />
Die Mitglieder des Vereins „Kranke Kinder in der Schule“ sind mehr heitlich<br />
LehrerInnen der Schule für Kranke am Universitätsklinikum Tübingen.<br />
Ziel des Vereins ist es im Arbeitsfeld Pädagogik bei Krankheit dort<br />
initiativ zu werden, wo es im Sinne von kranken Kindern und Jugendlichen<br />
Unterstützungsbedarf in Aus- und Fortbildung, Schule und beim Übergang<br />
Schule und Klinik gibt.<br />
Beschreibung des Projektes „Warteschleife“:<br />
„Warteschleife“ bedeutet, dass ein Schulkind mit festgestelltem psychiatrischem<br />
Behandlungsbedarf nicht sofort in die Klinik aufgenommen<br />
werden kann, weil dort nicht genügend Kapazität vorhanden ist. Das<br />
heißt, das Schulkind wartet zurzeit nicht selten 4 bis 6 Monate auf einen<br />
stationären oder teilstationären Therapieplatz.<br />
In dieser Wartezeit, wir nennen sie „Warteschleife“, brauchen die meisten<br />
dieser Schulkinder und nicht zuletzt ihre Heimatschule Unterstützung in<br />
mehrfacher Hinsicht:<br />
• Bis die Kinder und Jugendlichen die Zusage für eine teilstationäre<br />
oder stationäre Klinikaufnahme erhalten, geraten Schulkinder mit<br />
psychiatrischem Behandlungsbedarf auch in der Schule oftmals in<br />
krisenhafte Situationen.<br />
• Nach der Zusage auf einen Therapieplatz, also während dieser Wartezeit<br />
(„Warteschleife“) verschlimmern sich häufig die Symptome der Patienten<br />
auch in der Schule. Diese Symptome lassen sich beispielsweise<br />
beschreiben als dissoziales, aggressives Verhalten, stark ausgeprägte<br />
Verweigerungshaltung, Lernstörungen, Störungen der Emotionen mit<br />
depressiven und ängstlichen Tendenzen, Schulabsentismus….<br />
• Für Schule und Schulkind ist diese Wartezeit ohne unterstützende<br />
Angebote von Schulamt, Jugendhilfe, Sozialamt nicht selten die befürchtete<br />
Katastrophe: das Schulkind ist im Unterricht überfordert; für die<br />
Klasse ist dieses allein gelassene Schulkind dann eine Zumutung;<br />
mö g licher weise muss es krank geschrieben werden, dann erhält es<br />
Hausunterricht.<br />
• Wir Kliniklehrer halten in diesen Fällen Hausunterricht meistens nicht<br />
für eine geeignete Unterstützungsmaßnahme. Weil Hausunterricht<br />
bedeutet, dass der Unterricht nicht im Klassenverbund stattfindet,<br />
erlebt sich das das Schulkind als ausgeschlossen im schlimmsten Fall als<br />
ausgestoßen von der Schulgemeinschaft, keine günstige Voraussetzung<br />
für den Behandlungsbeginn.<br />
Mit dem Wissen um diese Problematik hat der Verein „Kranke Kinder in der<br />
Schule, e.V.“ in Zusammenarbeit mit der Schule für Kranke seit eineinhalb<br />
Jahren an ausgesuchten Grundschulen das Projekt „Warteschleife“<br />
entwickelt und organisiert.<br />
Bisherige Entwicklung des Projektes:<br />
• Im Sommer 2009 begannen wir mit der Projektphase. Seitdem hat der<br />
Verein sechs Schulkinder und ihre Schulen unterstützt.<br />
• Es gibt einen aktuellen Bedarf im SSA Tübingen von etwa 5 Kindern in<br />
der Warteschleife mit steigender Tendenz.<br />
• Leider gibt es zurzeit von öffentlicher Seite (RP, Kultusbürokratie,<br />
Jugendamt) keine finanzielle Unterstützung für dieses von der<br />
Fachöffentlichkeit hochgeschätzte Projekt.<br />
• In Zusammenarbeit mit der Fakultät Sonderpädagogik der Pädagogischen<br />
Hochschule wurde erreicht, dass für Studierende der<br />
Sonderschullehrerausbildung dieses Arbeitsfeld ab 2011/12 als<br />
Handlungsfeld in der Prüfungsordnung festgeschrieben wird.<br />
Voraussetzung und Durchführung<br />
• Voraussetzung ist, dass die Schule grundsätzlich bereit ist, den<br />
kranken Schüler auch nach dem Klinikaufenthalt wieder in die Klasse<br />
aufzunehmen, auch wenn sich im Behandlungsverlauf herausstellen<br />
sollte, dass ein Schulwechsel für das Kind förderlich ist.<br />
• Eine Schulbegleitung wird als hilfreich für Schule und Schüler<br />
eingeschätzt. Der Sonderpädagogische Dienst der Schule für Kranke<br />
steht zur Beratung zur Verfügung.<br />
• Ein runder Tisch mit Eltern/ Schule/ Sonderpädagogischem Dienst<br />
entscheidet über Umfang und Gestaltung der Unterstützung.<br />
• Die Eltern und das kranke Schulkind sind mit dem Vorhaben<br />
einverstanden<br />
• Eine kompetente Person (Studierende der Sonderpädagogik oder<br />
der Erziehungswissenschaft) wird für die Überbrückungszeit bis zur<br />
Klinikaufnahme mit einem Werksvertrag für 8 bis 12 Stunden in der<br />
Woche vom Verein „Kranke Kinder in der Schule, e.V.“ angestellt.<br />
(Unfallschutz übernimmt die Schule).<br />
• Die Schulbegleitung unterstützt das Schulkind im Unterricht und schützt<br />
es in Absprache mit dem/der Lehrer/in in Überforderungssituationen.<br />
Für den Klassenlehrer ist die Schulbegleitung eine Unterstützung.<br />
Regelmäßige Besprechungen und Anleitung werden vom<br />
Sonderpädagogischen Dienst der Schule für Kranke oder einer Fachkraft,<br />
finanziert vom Verein „Kranke Kinder in der Schule“ angeboten.<br />
Ziele:<br />
• Das Kind soll erleben, dass es Hilfe erhält. Es erfährt, dass sein<br />
Wohlbefinden im Interesse der Schule liegt und Krankheit keinen Grund<br />
für schulische Ausgrenzung darstellt.<br />
• Die Schule wird in ihren Bemühungen, das Schulkind zu integrieren,<br />
unterstützt.<br />
• Die Schulbegleitung begünstigst therapeutische Erfolge und erleichtert<br />
den Einstieg in den teilstationären bzw. stationären Klinikaufenthalt.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
In zwei Jahren wird aller Voraussicht nach ein Teil der kranken Schulkinder<br />
in der Warteschleife von Studierenden der Fakultät für Sonderpädagogik<br />
der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg betreut werden können. Die<br />
Anzahl der Schulbegleiter/innen, die bezahlt werden müssen, wird sich<br />
voraussichtlich verringern.<br />
Bis dahin wird sich die Schullandschaft durch den Inklusionsanspruch<br />
verändert haben. Schulbegleitung wird vermutlich zum Schulalltag<br />
gehören. Unseren Beitrag zur Inklusion können wir mit der Entwicklung<br />
und Dokumentation von inklusionsfördernden Strukturen in der Schule<br />
leisten.<br />
Die Besonderheit des Projektes „Warteschleife“: es ist eine zeitlich<br />
begrenzte Schulbegleitung in Krisensituationen.<br />
To be or not to be<br />
Prof. Dr. Michele Noterdaeme<br />
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie,<br />
Josefinum, Augsburg<br />
„Since 1938, there have come to our attention a number of children<br />
whose condition differs so markedly and uniquely from anything reported<br />
so far, that each case merits a detailed consideration of its fascinating
82 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
83<br />
peculiarities.“<br />
Leo Kanner, Autistic disturbances of affective contact 1943<br />
Developmental Disorders<br />
• Onset during infancy or early childhood<br />
• Impairment or delay in the development of functions that are strongly<br />
related to biological maturation of the central nervous system<br />
• Steady course, without remissions and relapses<br />
Pervasive Developmental Disorders<br />
• Qualitative abnormalities in reciprocal social interactions<br />
• Qualitative abnormalities in language and communication<br />
• Restricted, stereotyped and repetitive patterns of behaviour and<br />
interests.<br />
Joint attention<br />
It is at around 1 year of age that infants for the fi rst time begin to look<br />
where adults are looking fl exibly and reliably, use adults as social<br />
reference points, and act on objects in the way adults are acting on<br />
them. At around this same age, infants also begin actively to direct adult<br />
attention to outside entities using intentionally communicative gestures;<br />
this achievement is soon followed by the acquisition of skills of lin- guistic<br />
communication. What all these skills have in common is that they involve<br />
the referential triangle of child, adult, and some third event or entity to<br />
which the participants share attention.<br />
Mundy et al. 1998, 2003, Paparella 2004<br />
Classifi cation of ASD<br />
• F 84.0 Childhood autism<br />
• F 84.5 Asperger‘s syndrom<br />
• F 84.1 Atypical autism<br />
• F84.9 pervasive Developmental disorder not otherwise specifi ed(PDD-<br />
NOS)<br />
Epidemiology<br />
• Meta-analysis 34 studies PDD prevalence<br />
• Median age: 8 years Fombonne 2005, J Clin Psychiatry<br />
Not a rare disease<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Age at diagnosis Kanner-Asperger<br />
Early recognition ASD<br />
• 1999 (UK) Autism 5.5 years Asperger 11 years<br />
• 2002 (USA) Autism 6.3 years<br />
• 2005 (UK) Asperger > 3. years<br />
• 2006 (CH) Autism 6 - 4.5 - 6 years<br />
• Noterdaeme (G) Autism 6.1 years<br />
Asperger 9.3 years<br />
Childhood autism social interaction<br />
1. failure to use eye to eye gaze, facial expression, body psoture and<br />
gesture to regulate social interaction<br />
2. failure to develop peer relationships that involve a mutual sharing of<br />
interests, activities and emotions<br />
3. Lack of socio-emotional reciporcity, as shown by deviant response to<br />
other‘s people emotions; a lack of modulation of behaviour according<br />
to social context ar a weak integration of social, emotional and<br />
communicative behaviours<br />
4. Lack of spontaneousl seeking to share enjoyment interests or<br />
achievements with other people (a lack of showing, bringing or pointing<br />
Childhood autism communication<br />
1. A delay in, a total lack of,development of spoken language that is not<br />
accompanied by an attempt to compensate through the use of gesture<br />
or mime as an alternative mode of communication<br />
2. Relative failure to initiate or sustain conversational interchange (at<br />
whatever level of language skills are present), in which there is recipocral<br />
responsiveness to the communication of the other person<br />
3. Stereotyped and repetitive use of language or idiosyncratic use of<br />
words and phrases<br />
4. Lack of varied spontaneous make believe or social imitative play<br />
Leo Kanner<br />
„Words to him had a specifi cally literal, infl exible meaning“<br />
Hans Asperger<br />
„Immer kommt uns bei den autistischen Psychopathen die Sprache<br />
abartig vor. Einmal ist die Stimme auffallend leise und fern, einmal geht sie<br />
monoton dahin, ist ein leierndes Singsang. Oder aber die Sprache<br />
ist übertrieben moduliert, wirkt wie schlechte Deklamation.“<br />
„Und noch eins: sie richtet sich nicht an einen Angesprochenen, sondern<br />
ist gleichsam in den leeren Raum hineingeredet“<br />
Leo Kanner<br />
„As far as the communicative functions of speech are concerned, there is<br />
no difference between the eight speaking and the three mute children.“<br />
„Thus, from the start, language – which the children did not use for the<br />
purpose of communication – was defl ected in a considerable measure<br />
to a selfsuffi cient, semantically and conversationally valueless or grossly<br />
distorted memory exercise.“<br />
Hans Asperger<br />
„Hört man den Burschen reden, so ist man überrascht, wie klug es aus<br />
ihm tönt. Auch beim Sprechen wahrt er seine unbewegliche Würde, redet<br />
langsam, fast skandierend, voll Einsicht und Überlegenheit. Er gebraucht<br />
öfters ungewöhnliche Wörter, manchmal aus der dichterischen Sprache,<br />
manchmal in ungewöhnlichen Zusammensetzungen.“<br />
Childhood autism RRB<br />
1. An encompassing preoccupation with one or more stereotyped and<br />
restricted patterns of interest that are abnormal in content or focus;<br />
or one or more interests that are abnormal in their intensity and<br />
circumscribed nature, though not in their content or focus<br />
2. Apparently compulsive adherence to specifi c, non -functional routines<br />
or rituals<br />
3. Stereotped and repetitive motor mannerisms that involve either hand or<br />
fi nger fl apping or twisting, or complex whole-body movements<br />
4. Preoccupations with part-objects or non-functional elements of play<br />
materials (such as odour, the feel of their surfaces, or the noise or<br />
vibration that they generate.<br />
Course<br />
Age at diagnosis: 7 years<br />
Age at FU: 29 years<br />
IQ >50<br />
IMPAIRMENT<br />
• SELF SUPPORT<br />
• OCCUPATION<br />
• FRIENDSHIP<br />
• PARTNER<br />
Howlin, Goode, Hutton, Rutter 2004 J Child Psychology and Psychiatry<br />
Psychopathologie CBCL<br />
ADHS<br />
• Aufmerksamkeitsdefi zit<br />
- Hyperaktivitätsstörung (DSM-IV)<br />
- Unaufmerksamer Subtyp<br />
- Hyperaktiv-impulsiver Subtyp<br />
- Kombinierter Subtyp<br />
• 3-Monats-Prävalenz aller Subtypen: 28% (Simonoff et al., 2008)<br />
– 10-14 Jahre alt; populationsbasiert; N=255<br />
• Punktprävalenz aller Subtypen: 30% (Leyfer et al.,2006)<br />
– 5-17 Jahre alt; Klinikstichprobe; N=109<br />
– Unaufmerksamer Subtyp: 20%<br />
ADHS<br />
• Methylphenidat – Evidenzgrad II (RUPP 2005; Posey et al., 2007; Jahromi et al., 2009)<br />
– N=72, 5-14 Jahre; ASD + Hyperaktivität; „mittlere“ Dosis = 0,25 mg/kg<br />
KG am besten, 3x täglich<br />
• Dtl. Verbesserung der Hyperaktivität<br />
• Aber: geringerer Effekt bei ADHS<br />
• 49% Responder; 18% Abbruchrate wg. Nebenwirkungen<br />
• NW: Appetitminderung, Schlafprobleme, gesteigerte Irritabilität<br />
– N=66 (Subgruppe)<br />
• Besserer Effekt auf Hyperaktivität/Impulsivität als auf Unaufmerksamkeit;<br />
hier Dosierung bis 0,5 mg/kg KG<br />
– N=33 (Subgruppe)<br />
• Verbesserung der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Selbstregulation<br />
und der affektiven Regulation<br />
Angst- und Zwangsstörungen<br />
• Häufi ge Komorbidität bei ASD (Leyfer et al., 2006; Simonoff et al., 2008)<br />
– Zwangsstörungen: ca. 35%<br />
• DD: Zwangsstörung – stereotypes Verhalten<br />
– Angststörungen: insbes. Spezifi sche Phobien; zusammen ca. 45%<br />
• Medikation<br />
– CY-BOCS: Risperidon – Evidenzgrad I (Cochrane review Jesner et al., 2007)<br />
– SSRI: Citalopram, Fluoxetin untersucht<br />
• Kein (!) Effekt auf stereotypes und zwängliches Verhalten<br />
• Steigerung (!) der „Irritabilität“ (King et al. 2009; Hollander et al., 2005)<br />
• Bei HFA/Asperger-Syndrom<br />
– Kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen (Evidenzgrad II)<br />
(Sofronoff et al., 2005; Wood et al., 2009)<br />
Zwangsstörungen Symptome<br />
• Zwangshandlungen waschen, kontrollieren, wiederholen, ordnen, oft in<br />
Form von komplexen Zwangsritualen.<br />
• Zwangsgedanken umschriebene Befürchtungen (vor Krankheit oder Tod,<br />
Urin, Kot und anderen ekelbesetzten Stoffen, Schmutz, Chemikalien,<br />
Bakterien).<br />
• Fragezwänge, Zwangsfl uchen und Zwangsschimpfen.<br />
Depressive Episoden<br />
• Komorbidität bei HFA/Asperger-Syndrom im Jugend und Erwachsenenalter<br />
(Leyfer et al., 2006; Simonoff et al., 2008; Sierlin et al., 2008)<br />
• Medikation<br />
– Evidenzgrad III
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
84 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
85<br />
• Mirtazapin (Posey et al., 2001)<br />
• Verbesserung depressiver Symptome, Schlafstörung und Irritabilität<br />
• Bisher keine randomisiert-kontrollierte Studie<br />
– SSRI nicht bzgl. Dep. Untersucht, aber keine Verbesserung des CGI-I<br />
(King et al., 2009; Hollander et al., 2005)<br />
• Psychotherapie<br />
– Keine Studien zu kognitiver Einzel-VT oder Gruppentherapie<br />
Zusammenfassung<br />
• Angststörungen: sehr häufige Komorbidität<br />
• SSRI: nicht evaluiert, aber sehr wahrscheinlich nicht wirksam<br />
– Bei ASD und IQ > 80; kognitive Verhaltenstherapie in der Gruppe<br />
• Zwangssymptome; ggf. Zwangsstörungen<br />
– Risperidon (Evidenzgrad I)<br />
– Nicht (): SSRI (Evidenzgrad II)<br />
• Depressive Episode/depressive Symptome<br />
– Studienlage unzureichend<br />
– Mirtazapin: Evidenzgrad III<br />
– SSRI: sehr wahrscheinlich nicht wirksam<br />
– Psychotherapie: nicht untersucht<br />
Empirisch gut abgesicherte und anerkannt wirksame Verfahren<br />
Verhaltenstherapeutische Verfahren und Therapieprogramme, auch im<br />
Rahmen von Frühförderprogrammen (Lovaas, 1987, Koegel et al., 2001)<br />
Psychoedukative Programme wie TEACCH (Mesibov, 1997)<br />
Medikation für Begleitsymptome (McCracken, 2005, Poustka & Poustka, 2007)<br />
Empirisch mäßig abgesicherte Verfahren, aber potentiell wirksam<br />
Training der sozialen Kompetenz, auch anhand von Theory of Mind<br />
Trainings, Social Stories oder gruppentherapeutischen Angeboten<br />
(Gray, 2000, Baron-Cohen, 2004, Herbrecht & Poustka, 2007)<br />
Empirisch nicht abgesichert, aber potentiell wirksam<br />
Ergotherapie, Physiotherapie, Reittherapie, vor allem wenn in die<br />
Behandlungseinheiten lerntheoretische Elemente eingebaut werden<br />
Zweifelhafte Methoden ohne empirische Absicherung und ohne<br />
wissenschaftlich fundierten Hintergrund<br />
Festhaltetherapie, Diäten, Vitamine, Mineralstoffe, Sekretin, auditives<br />
Integrationstraining, Irlen-Therapie, Facilitated Communication (FC),<br />
Affolter, Delacato<br />
Was erschwert das Lernen?<br />
• Erkennen: Was ist jetzt wichtig?<br />
• Umstellen auf neue Anforderungen<br />
• Erhöhte Ablenkbarkeit<br />
• Handlungsorganisation/Schritte einhalten /Zeitliche Verknüpfung<br />
• Schwierigkeiten in der räumlichen Orientierung<br />
• Eindeutigkeit/Mehrdeutigkeit der Sprache<br />
• Entscheidungen treffen, die eine eigene Einschätzung erfordern<br />
Perspektivenwechsel - positiv<br />
Autistische Kinder :<br />
• Stehen Regelhaftigkeiten positiv gegenüber<br />
• Nehmen Dinge sehr genau<br />
• Haben einen Blick für Details<br />
• Nehmen Bemerkungen genau<br />
• Lieben Wiederholungen<br />
• Können auf intensive Zuwendung verzichten<br />
• Können sich intensiv mit einer Sache befassen<br />
• Können sich Dinge lange merken<br />
• Wissen meistens, was ihnen wirklich Spaß macht<br />
Perspektivenwechsel - negativ<br />
Autistische Kinder mögen es nicht wenn:<br />
• Der Lehrer ist krank<br />
• Heute ist etwas Besonderes los<br />
• Sucht euch einen Partner<br />
• Wir machen heute mal was ganz anderes<br />
• Wir machen einen Ausflug<br />
• Wir feiern ein Fest<br />
• Wir/Du sind/bist eingeladen<br />
• Ich habe eine Überraschung für dich<br />
• Du darfst aussuchen<br />
• Ihr dürft malen, was ihr wollt<br />
• Gleich sind wir fertig<br />
TEACCH<br />
Treatment and Education of Autistic and related<br />
Communication handicapped CHildren<br />
1. Anpassung der Umwelt<br />
2. Steigerung der individuellen Fähigkeiten<br />
Schopler 1997, Mesiboc 1997, Panerai et al. 1997, Ozonoff et al. 1998 Mesibov et al. 1997<br />
TEACCH-Programm<br />
• Enstehung im Rahmen eines Forschungsprojekts an der University of<br />
North-Carolina (1964)<br />
• Eric Schopler und Robert Reichler gründen TEACCH (1972)<br />
• Kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und Weiterentwicklung<br />
des Programms<br />
Zentrale Begriffe bei TEACCH<br />
• Strukturierung<br />
• Strukturierung des Raumes<br />
• Strukturierung der Zeit<br />
• Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />
• Strukturierung von Material<br />
• Aufbau von Routinen als Strukturhilfen<br />
• Visualisierung<br />
Vorteile von TEACCH<br />
• Kein Dogma/ Integrativer Ansatz<br />
• Bekanntes wird systematisiert<br />
• Kein stures Training<br />
• Individuell einsetz- und veränderbar<br />
• Alltagstauglichkeit ist gut<br />
• Auch andere Kinder profitieren davon<br />
• Ermöglicht Integration<br />
Ebenen der Strukturierung<br />
• Strukturierung des Raumes<br />
• Strukturierung der Zeit<br />
• Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />
• Strukturierung von Material<br />
• Aufbau von Routinen als Strukturhilfen<br />
Struktur des Raums<br />
• Übersichtlichkeit<br />
• Bereiche kennzeichnen<br />
• Begrifflichkeiten klären<br />
• Feste Zuweisungen für Aktivitäten<br />
(Hilfsmittel: Klebeband, Teppichfliesen, Fotos, Schilder, Klebepunkte,<br />
Farbkarten,..)<br />
Struktur der Zeit<br />
• Visuelle Darbietung von Abfolgen von Ereignissen (Symbole, Wörter,<br />
Zeichnungen)<br />
• „Überschaubarkeit“ muss individuell festgelegt werden ( vom Tagesplan<br />
zum Jahresplan)<br />
• Handhabung des Plans durch Kontrolle und Überprüfung (Abhaken,<br />
Klammern, Abreissen)<br />
• S ichtbarkeit an der Wand, in der Hand, am Platz)<br />
Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />
• Ziel: Möglichst selbständige Durchführung von Tätigkeiten im Sinne der<br />
Bewältigung eines Arbeitspensums/ einer Aufgabe<br />
• Etablierung von „Arbeitssystemen“ Bsp: Arbeitskiste/ Fertigkiste<br />
Symbol oder Auftragskarten Karteikasten, Aufgabenliste, Was ist zu tun?<br />
Wieviel ist zu tun? Wann bin ich fertig? Was kommt danach?<br />
DSM-V Task force<br />
• Autismus-Spektrum-Störung keine Differenzierung mehr zwischen<br />
Autismus, Asperger<br />
- Syndrom, atypischem Autismus, PDD-NOS<br />
• Soziale Kommunikation & Stereotypes Interesse & Verhalten nicht mehr<br />
drei Verhaltensbereiche<br />
• Separate Schweregradeinschätzungen für beide Bereiche<br />
• ggf. Sprache, Regression, Komorbidität als zusätzliche Codes<br />
Was wirkt wirklich?<br />
• Strukturierte Therapien<br />
– Klar definierte Nahziele, Absprache Eltern<br />
– Soziale Kommunikation<br />
– Eigenständigkeit<br />
– Motivation und Eigeninitiative berücksichtigen<br />
– Generalisierung<br />
• Anpassung im Entwicklungsverlauf<br />
• Behandlung der Begleitsymptome<br />
Lerngang Klinikum<br />
Wolfgang Huber<br />
Sonderschulrektor an der Schule für Kranke, Ludwigsburg<br />
Maria Schmidt<br />
Realschullehrerin an der Schule für Kranke, Ludwigsburg<br />
Komitee Mitglied für <strong>HOPE</strong> Sektion Deutschland<br />
Der Lerngang Klinikum wird seit vielen Jahren an der Schule für Kranke<br />
Ludwigsburg ca. 8-mal im Jahr durchgeführt. Zu jedem Termin wird eine<br />
Schulklasse aus dem Einzugsbereich der SfK eingeladen, um einen Tag lang<br />
das Krankenhaus hinter den Kulissen zu erkunden und dabei die Vielfalt der<br />
Berufe im Krankenhaus kennenzulernen (z.B. Laboranten, Telefontechniker,<br />
Haushaltsfachkräfte, IT-Fachleute, Fachpflegekräfte, Elek triker,<br />
Physiotherapeuten, usw.). Die Schüler lernen das Krankenhaus als einen der<br />
großen Arbeitgeber unseres Landkreises kennen, haben die Gelegenheit,<br />
persönlich mit vielen Personen unterschiedlicher Berufe und Tätigkeiten zu<br />
sprechen. Gleichzeitig haben die jungen Leute dabei die Chance, falsche<br />
Vorstellungen zu korrigieren oder mögliche Ängste abzubauen.<br />
Wenn die Schüler morgens ankommen, werden sie in Gruppen zu je vier<br />
aufgeteilt. Jede Gruppe erhält individuelle Wegbeschreibungen, Zeitpläne<br />
und andere Unterlagen. Dann machen sie sich auf den Weg z.B. zur<br />
Notaufnahme, der Neugeborenenstation, der Buchhaltung, der Reparatur-<br />
Werkstatt, den Operationssälen, usw. Bei jeder Anlaufstelle nehmen sie<br />
Kontakt auf zu einer bestimmten Verbindungsperson.<br />
Am Ende des Tages werden in einer gemeinsamen Abschlussrunde<br />
die Erfahrungen und Eindrücke zusammengetragen und den anderen<br />
präsentiert. Eine Vertreterin der Personalabteilung ist anwesend und<br />
beantwortet Fragen nach Schulabschlüssen, Lehrstellen, Berufs laufbahn,<br />
Praktikantenstellen.<br />
Der Tag wird an der Stammschule vor- und nachbereitet, z.B. auch in<br />
Rollenspielen zu Verhalten, Kommunikations- und Präsentations techniken.<br />
Das Projekt kann den folgenden Zielen dienen für die Schüler:<br />
• Abbau von Ängsten in Bezug auf das Krankenhaus;<br />
• Das Krankenhaus hinter den Kulissen kennenlernen;<br />
• Berufserkundung für 14 - 16-jährige Schüler;<br />
• Kontaktaufnahme bezüglich möglicher Praktikantenstellen;<br />
• Einüben von Kommunikations- und Präsentationstechniken;<br />
und für unsere Schule:<br />
• PR für unser Krankenhaus und unsere Schule;<br />
• Stärkung der Kooperation mit den Schulen unseres Einzugsbereichs;<br />
• Vernetzung mit Stationen und Abteilungen in der Klinik.<br />
Project Hospital-School-Home<br />
Collaboration between Monza hospital school and the local<br />
school – Evaluation of a multiyear experience<br />
Flavia Tarquini<br />
Hospital Teacher - Istituto Comprensivo Salvo D’Acquisto<br />
Scuola in Ospedale Monza, ITALY<br />
Angela Passoni<br />
Hospital Teacher - Istituto Comprensivo Salvo D’Acquisto<br />
Scuola in Ospedale Monza, ITALY<br />
Silvia Pertici<br />
Assistente Sociale - Comitato Maria Letizia Verga,<br />
Ospedale San Gerardo, Monza, ITALY<br />
Fondazione Monza Brianza per il Bambino e la sua Mamma<br />
Ospedale San Gerardo Monza, ITALY<br />
One of the main aims of the Hospital School is to help children in hospital<br />
to keep in touch with their own local schools as well as with everyday life.<br />
The Monza hospital school is part of a group of 65 Italian hospitals<br />
included in HSH@Network Project provided by the State Ministry of Edu -<br />
cation. The HSH-Monza project allows children hospitalized in Monza<br />
Pediatric Haematology Unit to collaborate online with some classes of the<br />
local Elisa Sala Junior High School in order to develop multidisciplinary<br />
projects by videoconference.<br />
Since 2001/2002, Junior High School students taking part to the project<br />
have been requested to fill in a form to evaluate teaching objectives and<br />
the emotional impact of the experience.<br />
The aim of our contribution is to present the evaluation method and the<br />
results of a multiyear monitoring and to reflect on the deep meaning of the<br />
collaboration between the local territory and the hospital.<br />
Evaluation method<br />
• The evaluation has been carried out by giving Junior High School<br />
students open answers questionnaries about previous knowledge of<br />
the hospital school, evaluation of the use of the project: didactic and<br />
educational value, personal feelings about the participation<br />
• The data have been analysed and discussed by the operators to test and<br />
redefine the project<br />
Results<br />
According to the answers given by the Junior High School students, the<br />
videoconference has proved very useful to get a better knowledge of the<br />
hospital school.<br />
The experience of collaboration with the hospital school children has been<br />
considered a very positive one, both for its educational aspect and for its<br />
relational impact.<br />
Conclusions<br />
Junior High School students, while just sitting at their own school desks,<br />
have been offered the opportunity to enter the hospital classroom, to<br />
learn something about the everyday life in hospital, to get in touch with<br />
ill children and teenagers, to cooperate and to work in a condition of<br />
equality, overcoming together difficulties and fears. The project has been<br />
an important occasion to test how a situation of difficulty can become<br />
an opportunity of integration and growth for the participants. When the<br />
hospitalized students are ready to go back to their local schools, the<br />
products made together not only represent their individual’s experience,<br />
but also a concrete contribution to share with other people.<br />
Parents as Partners<br />
Tanja Becan<br />
Headteacher Ledina Hospital School, Ljubljana, SLOVENIA<br />
We’ll focus on<br />
• the need for cooperation between the parents and teachers,<br />
• the prospects for successful cooperation between the parents and<br />
teachers,
86 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
87<br />
• the possibility of parental non-participation,<br />
• the alternatives when we, the teachers, cannot do anything.<br />
PETER’S STORY<br />
Cooperation between parents and teachers of a sick child is necessary for<br />
effective teaching and child’s inclusion.<br />
Cooperation involving the doctor or multidisciplinary team on each ward<br />
is also necessary.<br />
PARENTS - TEACHER – DOCTOR, INTERDISCIPLINARY TEAM<br />
Good cooperation between parents and teachers requires the<br />
following:<br />
Teachers should:<br />
• respect the sick child,<br />
• understand the sick child,<br />
• respect the parents of the sick child,<br />
• understand what the sick child’s parents think and experience.<br />
Parents should:<br />
• love, understand and respect their child,<br />
• respect the teachers,<br />
• understand what the sick child‘s teachers think and experience.<br />
Teachers and parents should:<br />
• listen (not only talk) to each other,<br />
• establish a relationship of mutual trust,<br />
• cooperate towards a common goal – the child‘s best interests.<br />
PARENTS AND TEACHERS AS PARTNERS<br />
CHILD’S BEST INTERESTS<br />
What does it mean to work for child’s best interests?<br />
What should a teacher know about the parents of a sick child?<br />
The sick child’s parents deal with issues the average parent doesn’t have<br />
to deal with:<br />
• They worry about their child’s health.<br />
• They worry about their child’s life.<br />
• They worry about their child’s future.<br />
• They feel fear.<br />
• They face trying to accept their child’s illness and go through denial,<br />
anger, bargaining, and fi nally acceptance.<br />
• They face the stress of additional obligations, including travelling to and<br />
from the hospital for regular visits.<br />
• They are burdened with guilt.<br />
• They are burdened fi nancially.<br />
• They struggle with keeping their family life and partnership intact.<br />
What should a teacher know about the parents of a sick child?<br />
o LOVE<br />
o CONCERN FOR THE CHILD<br />
o FEAR<br />
o WORRIES<br />
What should parents need to know about the teacher of their sick child?<br />
The teacher:<br />
• worries about the sick pupil’s life and well-being,<br />
• cares about teaching the sick pupil in the most effective way possible,<br />
• cares about teaching the sick pupil in a way that would not cause any<br />
further illness,<br />
• worries that the teaching tasks will not be fulfi lled.<br />
o CONCERN FOR THE PUPIL<br />
o DEVOTION/LOVE<br />
o FEARS<br />
o WORRIES<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
What should parents/teachers know about their sick child/pupil? S 15<br />
The sick child wants, like any child, to be diligent and successful.<br />
The sick child did not choose to have a serious disease.<br />
The sick child wants to be healthy, just like any other child.<br />
The sick pupil does not want special treatment.<br />
The sick child cares about their parents and doesn’t want them to worry.<br />
The sick child may be afraid of having no friends.<br />
The sick child may fear not being able to live with the disease.<br />
o BE THE NORMAL CHILD<br />
o LOVE<br />
o CONCERN<br />
o FEAR<br />
o WORRIES<br />
Parents of a sick child usually fi nd it diffi cult to believe and trust other<br />
people in terms of caring for their child.<br />
They often believe that only they themselves know what is best for their<br />
child.<br />
We need to obtain the confi dence of a sick child’s parents.<br />
TRUST - JOINT COOPERATION<br />
How does a teacher gain the confi dence of parents?<br />
Confi dence is gained by:<br />
• Understanding the child’s and parents’ feelings.<br />
• Respecting and observing the parents.<br />
• Respecting and appreciating their child.<br />
• Demonstrating a responsible attitude toward the school work.<br />
• Demonstrating a devoted relationship to their child.<br />
Sharing a teaching plan for their child that is:<br />
• clear<br />
• transparent<br />
• appropriate<br />
• useful<br />
• realistic<br />
• Demonstrating a competent knowledge base.<br />
• Demonstrating that the child’s best interests are being kept foremost<br />
in mind.<br />
WHAT WENT WRONG IN PETER’SSTORY?<br />
• The parents were not able to accept their son’s disease; because of their<br />
lack of acceptance, they remained angry at the entire world.<br />
• The parents’ inability to accept the son’s disease was compounded by<br />
their own health problems and partner relationship issues.<br />
• They were not able to see what was best for their child.<br />
FAIL TO SEETHE BEST INTEREST OF THEIR CHILD<br />
FAILURE<br />
Competence of a sick pupil’s teacher to accept the failure<br />
What can we do when we cannot do anything?<br />
• WAIT TILL THE RIGHT TIME COMES?<br />
• TRY T0 CONVINCE PARENTS?<br />
• TO PUT PRESSURE ON THE PARENTS?<br />
TO CONCLUDE<br />
• MUTUAL RESPECT BETWEEN PARENTS AND TEACHERS<br />
• MUTUAL TRUST<br />
• JOINED PARTICIPATION<br />
• CHILD’S BEST INTERESTS = PARTNER RELATIONSHIP BETWEEN<br />
PARENTS AND TEACHERS<br />
It is best if a man can say: ‘I did what I could and knew. I have a clear<br />
conscience.’ Honesty is the fact that you have for your profession suffi cient<br />
knowledge and cultural heart that you can perform for the benefi t of man.<br />
(Joze Plecnik)<br />
Is Peter‘s story my failure?<br />
Besuch der Klinikschule, Schule für Kranke München<br />
Standort: Kinderklinik München Schwabing<br />
Haunersches Kinderspital München<br />
Ulrike Kalmes<br />
Lehrerin, qual. Beratungslehrerin, Schule für Kranke München<br />
Bernhard Ruppert<br />
2. Sonderschulkonrektor, Schule für Kranke München<br />
Leitziele<br />
Wir stärken unsere Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlich keitsentwicklung<br />
zu einem selbst bestimmten Leben bei meist schwerer<br />
Krankheit.<br />
Wir fördern unsere Schülerinnen und Schüler nach den Anforderungen<br />
ihrer Herkunftsklassen und nach ihren persönlichen Möglichkeiten bei<br />
der Krankheit.<br />
Wir gestalten den Unterricht individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse<br />
der Schülerinnen und Schüler bei der jeweiligen Erkrankung.<br />
Wir stützen unsere Schülerinnen und Schüler bei Krankheit, indem wir ihre<br />
Fähigkeiten fördern und ihre Defi zite ausgleichen.<br />
Wir tauschen uns für einen diagnosegeleiteten Unterricht regelmäßig mit<br />
den medizinischen Fachdiensten der Kliniken aus.<br />
Wir pfl egen nach erfolgter Schweigepfl ichtentbindung kontinuierlich Kontakt<br />
zu den Heimatschulen.<br />
Wir arbeiten nach Möglichkeit eng mit den Eltern und den jeweiligen<br />
Institutionen zusammen.<br />
Wir begleiten und beraten in allen Fragen der Pädagogik bei Krankheit.<br />
Wir verstehen uns als Team und arbeiten effektiv und kreativ zusammen.<br />
Standorte der Schule<br />
Der Unterricht fi ndet an folgenden 12 Standorten statt, die bis zu 20 km<br />
weit entfernt liegen:<br />
- Klinikum Bogenhausen, Städt. Klinikum München GmbH<br />
- Klinikum Dritter Orden, Kinderklinik<br />
- Klinikum der Universität München, Campus Großhadern<br />
- Städt. Klinikum München GmbH, Klinikum Harlaching, Klinik für Kinder-<br />
und Jugendmedizin<br />
- Dr. von Haunersches Kinderspital der Universität München, Kinderklinik<br />
und Poliklinik<br />
- Deutsches Herzzentrum München, TU, Klinik für Kinderkardiologie u.<br />
angeb. Herzfehler<br />
- Kinderzentrum München, Bezirk Oberbayern<br />
- Klinikum Rechts der Isar der TU München<br />
- Klinik und Poliklinik der Dermatologie und Allergologie am Biederstein,<br />
TU München<br />
- Kinderklinik und Poliklinik der TU München, Kinderklinik München-<br />
Schwabing<br />
- Münchner Waisenhaus<br />
Auftrag und Aufgaben<br />
Die Schule für Kranke in Bayern ist eine eigenständige Schulart (Bayerisches<br />
Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Bay EUG, Art.<br />
23), die 1984 gegründet wurde.<br />
Die Staatliche Schule für Kranke München unterrichtet Schülerinnen<br />
und Schüler während ihres stationären oder ambulanten Klinik- und<br />
Therapieaufenthaltes.<br />
Das schulische Konzept basiert auf der Schulordnung der Schulen für<br />
Kranke in Bayern (KraSO) und berücksichtigt die besonderen Aufgaben<br />
der Schule für Kranke München. Es erfordert im Sinne eines ganzheitlichen<br />
Therapiekonzepts eine enge Zusammenarbeit mit den Ärzten, Therapeuten<br />
und dem psychosozialen Team.<br />
Der Unterricht soll den Bildungsauftrag der Schule unter dem be-<br />
son deren Gesichtspunkt von Krankheit, Krankenhausaufenthalt und<br />
Erholungsbedürftigkeit erfüllen, möglichst den Anschluss an die<br />
Schulbildung gewährleisten, die Wiedereingliederung in den norma<br />
len Schulbetrieb vorbereiten, Befürchtungen, in den Leistungen<br />
zurückzubleiben, vermindern, von der Krankheit ablenken, den Heilungsprozess<br />
unterstützen, den Willen zur Genesung stärken und Gefahren für<br />
die seelische Entwicklung abwenden; er soll helfen, die Krankheit besser<br />
zu bewältigen, sich mit den Folgen auseinanderzusetzen und Rückfälle zu<br />
vermeiden. (nach KraSO 1999, §5)<br />
Profi l der Schule<br />
Die Staatliche Schule für Kranke München betreut etwa 1400<br />
schulpfl ichtige Kinder und Jugendliche im Jahr, die wegen einer längeren<br />
oder chronischen Erkrankung ihre Heimatschule voraussichtlich länger als<br />
sechs Wochen oder immer wiederkehrend nicht besuchen können.<br />
Die schulische Betreuung umfasst Unterricht in verschiedenen Fächern,<br />
Beratung von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern und Geschwister,<br />
eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegien der Heimatschulen und<br />
dem Hausunterricht und basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit den<br />
Ärzten, Schwestern und den psychosozialen Diensten.<br />
Unser oberstes Gebot ist das kranke Kind in seiner Krankheit anzunehmen,<br />
es zu verstehen, zu fördern und zu begleiten. Als besondere pädagogische<br />
Aufgaben sehen wir die Auseinandersetzung mit der Krankheit, mit ihren<br />
Ängsten und beeinträchtigenden Behandlungen. Andererseits soll die<br />
Arbeit in der Schule auch von der Krankheit ablenken. Wir begleiten und<br />
beobachten das individuelle Lernen der Kinder und Jugendlichen bei ihrer<br />
Krankheit, vermitteln, wo nötig, spezifi sche Lernstrukturen und bieten<br />
stützende Maßnahmen für abweichendes Lernverhalten.<br />
Sehr intensive Bemühungen verwenden wir auf die Vermeidung von<br />
Nachteilen bei Krankheit. Dies betrifft den Umfang des geforderten<br />
Lernstoffs, die Leistungsnachweise aber auch die soziale Einbindung des<br />
kranken Kindes oder Jugendlichen.<br />
Der Unterricht richtet sich immer nach dem momentanen Befi nden,<br />
den individuellen Bedürfnissen und dem Leistungsstand der kranken<br />
Schülerinnen und Schüler. Er fi ndet einzeln oder in Gruppen statt. Seit<br />
Kurzem kann auch Videokonferenzunterricht gehalten werden, bei dem<br />
Schüler und Lehrer über das Internet (Notebook, Headset, Mikrofon,<br />
Dokumentenkamera) miteinander den Unterricht gestalten können.<br />
Das Ziel unserer Arbeit in der Schule ist immer die Integration der Kinder<br />
und Jugendlichen in ihr gewohntes Leben, das soziale Umfeld, den vor der<br />
Erkrankung erlebten Schulalltag, möglichst die<br />
„eigene“ Klasse. Dazu werden auch Heimatschulbesuche durchgeführt.<br />
Sollte die Erkrankung oder Behinderung eine Schullaufbahnänderung<br />
erfordern, bemühen wir uns diese den neuen Bedingungen des kranken<br />
Kindes entsprechend auszurichten und es dabei auch über den<br />
Krankhausaufenthalt hinaus zu begleiten.<br />
Krankheitsbilder<br />
darunter 170 Doppeldiagnosen<br />
Verteilung nach Schularten<br />
Etwa 1400 Schülerinnen und Schüler werden pro Jahr in der Schule für<br />
Kranke unterrichtet, diagnostiziert, beraten oder in ihrer Schullaufbahn in<br />
der allgemeinen Schule bei Krankheit begleitet.<br />
In den letzten Jahren ist durch den Anstieg der Patientenzahlen im Bereich<br />
Psychosomatik/Psychiatrie die Zahl der älteren Schülerinnen und Schüler<br />
gestiegen und ein deutlicher Zuwachs bei Gymnasiasten und Realschülern<br />
zu verzeichnen.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
88 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
89<br />
Verteilung nach Wohnorten<br />
Das Einzugsgebiet umfasst Bayern, aber auch das gesamte Bundesgebiet,<br />
was sich mit Spezialkliniken sowie zwei Universitätskliniken in München<br />
begründen lässt.<br />
Einige Klinken haben mit verschiedenen europäischen Nachbarländern<br />
oder dem Nahen Osten besondere Behandlungsverträge, so dass auch<br />
einige Schülerinnen und Schüler z.B. aus Russland oder den arabischen<br />
Ländern den Unterricht besuchen.<br />
Schulleitung und Kollegium<br />
Die Staatliche Schule für Kranke München steht unter der Leitung von Frau<br />
Elisabeth Meixner-Mücke, Sonderschulrektorin. Ihr erster und zweiter<br />
Stellvertreter sind Herr Alto Merkt, Sonderschulkonrektor und Herr<br />
Bernhard Ruppert, 2. Sonderschulkonrektor.<br />
Das Kollegium besteht aus 23 Lehrkräften der Grund-, Haupt-, Förder- und<br />
Realschule sowie des Gymnasiums.<br />
Honorarlehrkräfte<br />
12 Honorarlehrkräfte, meist im Ruhestand, die aus dem Bereich der<br />
weiterführenden Schulen kommen, ergänzen die Arbeit des Kollegiums im<br />
Umfang von 30-40 Stunden pro Woche. Dies betrifft Fächer wie Latein,<br />
Griechisch, Spanisch, Italienisch, BWR oder Chemie. Die Finanzierung<br />
übernimmt der Förderverein Schule für Kranke.<br />
Individuelle Förderung im Rahmen eines projektorientierten<br />
Unterrichts an der Schule an der Heckscher-Klinik, Abt.<br />
Rottmannshöhe (KJP)<br />
Elisabeth Fuchsenberger<br />
Dipl. Pädagogin, Studienrätin im Förderschuldienst<br />
Schule an der Heckscher-Klinik, München Abt. Rottmannshöhe<br />
Mit einer Ambulanz und 42 vollstationären, offen geführten Behandlungsplätzen<br />
auf drei Stationen betreut die Abteilung Rott mannshöhe vorwiegend<br />
Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren mit Ess-Störungen, Psychosen,<br />
Angst- und Zwangserkrankungen und Depressionen.<br />
Die Jugendlichen sind in Ein-, Zwei- und Dreibettzimmern unter gebracht, die<br />
Stationen werden gemischtgeschlechtlich belegt. Als stationsübergreifende<br />
therapeutische Methoden werden Arbeits- und Beschäftigungstherapie,<br />
Musiktherapie, Kunsttherapie, Sport- und Bewegungstherapie angeboten.<br />
Die Jugendlichen erhalten regelmäßig Einzeltherapie und ein individuell<br />
abgestimmtes Programm von gruppentherapeutischen Verfahren. Die<br />
psychotherapeutischen Methoden sind vielfältig und schließen neben der<br />
im Vordergrund stehenden Verhaltenstherapie auch erlebnisorientierte<br />
und tiefen psychologische Maßnahmen mit ein. Regelmäßige Eltern- und<br />
Familien gespräche dienen der gegenseitigen Information, der Aufrechterhaltung<br />
der familiären Kontakte und der therapeutischen Be ar beitung<br />
von Beziehungsproblemen. Wenn es sinnvoll und hilfreich erscheint,<br />
werden auch psychopharmakologische Behandlungsmethoden eingesetzt.<br />
Das großzügige Anwesen oberhalb des Starnberger Sees bietet den<br />
jungen Patienten neben der Therapie umfangreiche Möglichkeiten zur<br />
Freizeitgestaltung wie z.B. Hallenbad, Sauna, Turnhalle, Gärtnerei,<br />
Sportgelände und Tennisplatz. Die Lehrer/innen der Schule an der<br />
Rott mannshöhe (vier Sonderschullehrer, eine Heilpädagogin, vier<br />
Gymnasiallehrer und eine Fachlehrerin für Handarbeit) unterrichten die<br />
noch schulpflichtigen Patienten in vier Lerngruppen (ca. 10 Jugendliche),<br />
die von den Sonderpädagogen geführt werden:<br />
Orientierungsklasse: hier werden Schüler/innen betreut, deren schulische<br />
Zukunft noch nicht eindeutig beschrieben werden kann und die den<br />
Unterricht nur stundenweise bewältigen können.<br />
Klasse 7/8: In dieser Lerngruppe sind Kinder der 7./und 8.Jahrgangsstufe<br />
aller Schularten.<br />
Klasse 9: Hier werden ebenfalls Jugendliche aller Schularten gemeinsam<br />
unterrichtet. In dieser Klasse ist der Qualifizierende Hauptschulabschluss<br />
am Ende eines Schuljahres möglich.<br />
Klasse 10+: Hier werden Jugendliche der 10. Klasse und die Jahrgangstufen<br />
darüber unterrichtet.<br />
Die Teilung in Lerngruppen erfolgt also nicht nach Schularten, sondern<br />
nach Jahrgangstufen und Entwicklungsstand der jungen Patienten. So<br />
kann es durchaus sein, dass ein Schüler der 8. Klasse gemeinsam mit den<br />
Neuntklasslern unterrichtet wird, wenn dieser eher dem Leistungs- und<br />
Entwicklungsstand dieser Jahrgangsstufe entspricht. Auch Jugendliche,<br />
die ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben, deren kognitive und soziale<br />
Entwicklung aber, etwa im Rahmen einer Psychosebehandlung, beobachtet<br />
werden soll, können, wenn noch Kapazitäten frei sind, die Schule besuchen.<br />
Jede der an der Schule unterrichtenden Lehrkraft wird in jeder Lerngruppe<br />
eingesetzt, so dass jeder Lehrer jeden Schüler kennt. So<br />
können Lern- und Leistungsschwächen entdeckt und Lücken aufgefüllt<br />
werden. Eine umfassenden kollegiale Beobachtung und Besprechung<br />
des Jugendlichen ist auf diese Weise möglich, um dem Jugendlichen bei<br />
Schullaufbahnberatungen- evt. auch bei Schullaufbahnkorrekturen helfen<br />
zu können, damit er seine Schulzeit erfolgversprechend beenden kann.<br />
Verlässt ein Jugendlicher die Schule an der Rottmannshöhe, so geht er<br />
entweder sofort an seine Herkunftsschule zurück, oder er besucht von der<br />
Klinik aus eine Schule in der Umgebung. Dadurch ist er noch therapeutisch<br />
im Hause angebunden, kann aber bereits wieder einen normalen Schulalltag<br />
erleben. Wenn eine weitere Beschulung an den Herkunftsschulen nicht mehr<br />
möglich ist, wird evt. mit Hilfe des Sozialdienstes der Klinik, eine passende<br />
Schule oder Einrichtung für den Jugendlichen gesucht. Der Übergang an<br />
eine Nachfolgeeinrichtung wird von den Lehrkräften im Rahmen des<br />
sonderpädagogischen, mobilen Dienstes (MSD) bei Bedarf begleitet.<br />
Die unterschiedlichen Schullaufbahnen und Jahrgangsstufen unserer<br />
Schüler/innen machen eine Differenzierung und Individualisierung des<br />
Unterrichts dringend notwendig. In Projekten, die wir etwa sechsmal im<br />
Schuljahr durchführen, kann dieses Ziel verwirklicht werden.<br />
Die Schüler/innen kommen alle zusammen (dann hat die Lerngruppe<br />
etwa die Größe einer „normalen“ Schulklasse). Sodann werden sie mit<br />
dem Thema des Projekts bekannt gemacht, haben auch noch selbst<br />
die Möglichkeit, das Thema zu gestalten und evt. zu akzentuieren. In<br />
einzelnen, thematisch bestimmten Arbeitsgruppen bearbeiten sie nun mit<br />
unterschiedlichen Methoden und Arbeitsweisen gemeinsam das Thema<br />
der Gruppe. Je nach Fähigkeit und Können arbeiten sie individuell und doch<br />
gemeinsam an einer Thematik und präsentieren die Arbeitsergebnisse<br />
in der Gruppe. Die Projekte decken Themen aus den Lehrplänen der<br />
unterschiedlichen Schularten ab und es wird versucht, eine Schnittmenge<br />
aus den Lehrplänen zu gewinnen. So konnte z.B. das Projekt: „Deutschland<br />
im 20. Jahrhundert“ fächer- und jahrgangsübergreifend behandelt werden.<br />
Den Abschluss eines jeden Projektes bildet ein gemeinsames Erlebnis<br />
(Fest, Essen, Modenschau durch die Jahrhunderte, Ausflug, usw.)<br />
Die Nachhaltigkeit des Lernerfolgs und die positive oder negative<br />
Rückmeldung der Jugendlichen wird am Ende des Projektes, das etwa zwei<br />
Wochen dauert, durch einen Evaluationsbogen festgehalten.<br />
Auf diese Weise kann individuell auf den einzelnen Schüler eingegangen<br />
werden, seine Stärken betont, sein Schwächen bearbeitet und das<br />
Lernen in der Gruppe (Teamarbeit und Soziales Lernen, Stärkung des<br />
Selbstbewusstseins) gefördert werden. Benotung und Leistungsdruck gibt<br />
es bei dieser Art des Lernens nicht. Gerade für Patienten mit Schulphobie<br />
und sozialen Ängsten kann diese Methode die Freude am Lernen und an<br />
der Schule fördern und so zur allgemeinen Gesundung beitragen.<br />
Die Teilnehmer/innen des Workshops lernten nach einem Rundgang<br />
durch Schule und Klinik die spezielle Arbeitsweise der Schule kennen<br />
und bekamen durch umfangreiches Filmmaterial einen Eindruck von<br />
dem projektorientierten und individuellen Unterrichten am Standort<br />
Rottmannshöhe.<br />
Talk 2 me: - Migration und Sprache - Sprache als Instrument der<br />
Integration - Was tun bei Sprachstörungen ?<br />
Dr. med. Martin Sobanski<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin<br />
Oberärztliche Leitung der Abteilung Sprach- und Entwicklungsstörungen,<br />
Heckscher-Klinikum<br />
Sprachliche Kommunikation ist ein wesentlicher Mediator interpersoneller<br />
Beziehungen. Störungen der Sprache wirken sich daher potentiell als<br />
Gefahr für die Integration von Menschen in ihrem Umfeld aus. Etwa<br />
5-7% aller Kinder sind von einer sog. Teilleistungsstörung im Bereich<br />
Sprache betroffen. Diese expressiven und rezeptiven Sprachstörungen<br />
gehören damit zu den häufigsten Entwicklungsstörungen. Bei genauer<br />
Diagnostik finden sich zudem regelmäßig neurokognitive Defizite,<br />
welche sich klinisch und im Schulalltag auswirken können. Auch bergen<br />
Sprachentwicklungsstörungen ein hohes Risiko für die Ausbildung<br />
psychia t rischer Störungen.<br />
Bis vor wenigen Jahren war die Forschung im Bereich der Sprachstörungen<br />
rein monolingual geprägt. Mehrsprachigkeit ist heute weltweit eher<br />
der Normal- als der Ausnahmefall. Globalisierung und zunehmende<br />
Migrationsbewegungen lassen dies auch in Deutschland deutlich werden.<br />
Dabei kann Mehrsprachigkeit als Risiko und als Chance betrachtet<br />
werden. Wie allerdings wirkt sich eine Sprachentwicklungsstörung bei<br />
Mehrsprachigkeit aus? Erkennen wir die spezifische Störung genau genug,<br />
um die Hochrisikogruppe ‚Sprachstörungen bei Mehrsprachigkeit‘ weder<br />
unter- noch überzudiagnostizieren?<br />
Die Ergebnisse der PISA-Studien in Deutschland zeigen eine Benachteiligung<br />
von Menschen mit Migrationshintergrund im Schulsystem. Kinder mit einer<br />
Sprachstörung sind mit einem zusätzlichen Integrationsrisiko behaftet.<br />
Das Impulsreferat wird schlaglichtartig die Themenkomplexe ‚Migration<br />
- Mehrsprachigkeit - Sprachentwicklungsstörung - psychiatrische<br />
Komorbidität und Prognose‘ beleuchten. Klinische Fallbeispiele sollen<br />
exemplarisch die Lebensumstände von betroffenen Kindern verdeutlichen.<br />
Im zweiten Teil des Workshops sind Diskussionsbeiträge zu den<br />
angesprochenen Themen erwünscht. Sehr willkommen sind zudem<br />
Berichte über die entsprechenden Versorgungsstrukturen in den<br />
Herkunftsländern der Workshopteilnehmer.<br />
(siehe Website: www.hope<strong>2010</strong>.eu)<br />
Child Life Programs<br />
Integrating the educational, recreational and emotional needs<br />
Olga Lizasoain<br />
Dpt. Of Education, Lecturer, University of Navarra. SPAIN<br />
S 2<br />
INTRODUCTION<br />
• This communication focuses on the American Child Life programs<br />
• designed to meet the educational and psychosocial needs of paediatric<br />
patients and their families generated as a result of hospitalization and<br />
illness<br />
S 3<br />
What is the purpose of my presentation?<br />
1. Through this communication is intended to show a specific pattern of<br />
action as a mean to inform and promote the work of European hospital<br />
teachers with the idea to push them go far<br />
2. To insist on the idea that together with academic activities and the<br />
school curriculum is essential to take into account recreational and<br />
emotional aspects, focusing on the specific situation of illness and<br />
hospitalization of the students, including family support<br />
3. And to stress that Hospital teachers must integrate all this in their role,<br />
always collaborating with all professionals involved in the care of young<br />
patients.<br />
S 4<br />
Objective of the Child Life programs<br />
In a general way, they have the goal of normalizing the life of young patients<br />
and their families basis on an environmental approach that involves health<br />
professionals, schools and the wider community.<br />
S 5<br />
More specifically, I will focus on five points of these programs:<br />
I Psychological intervention<br />
II Recreational intervention<br />
III Family intervention<br />
IV Interdisciplinary collaboration<br />
S 6<br />
Starting with the first point: Psychological intervention<br />
I can say that a central aspect in the major objective of the Child life<br />
program is to reduce patient’s fears and anxiety caused by hospitalization<br />
and illnesst At the same time a great importance is done to inform<br />
properly about illness, treatments and hospital context Information and<br />
preparation for hospitalization are offered using the following strategies:<br />
S 7<br />
Specific Intervention Strategies<br />
INFORMATIVE TECHNIQUES<br />
Sensory and procedural information<br />
Interview<br />
Videos<br />
Guided Tour
90 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
91<br />
BEHAVIORAL TECHNIQUES<br />
Filmed models<br />
Molding<br />
Relaxation<br />
Positive reinforcement<br />
COGNITIVE TECHNIQUES<br />
Distraction<br />
Guided imagery<br />
Desensitization<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
S 8<br />
These strategies are used to fight some negative elements that characterize<br />
the pediatric hospitalization such as:<br />
Isolation<br />
Limitation of movement<br />
Depersonalization<br />
Dependence<br />
Loss of privacy<br />
Poor information<br />
Restriction of visits<br />
The lack of decoration and furniture appropriate<br />
Medical gowns and uniforms<br />
S 9<br />
Child Life Programs also aim to combat the main fears of preschool<br />
children facing to hospitalization:<br />
to be abandoned by their parents<br />
fear of the unknown<br />
to see hospitalization as a punishment for a bad behavior they have had<br />
S 10<br />
Child Life Programs also pursue to combat the main fears of school<br />
children facing to hospitalization:<br />
Pain<br />
Anesthesia<br />
Body Mutilation<br />
Losing their school desk and place in class (in regular school)<br />
S 11<br />
And in the same way, Child Life Programs also aim to combat the main<br />
fears of adolescents facing to hospitalization such as:<br />
Dependence on parents and health care professionals<br />
Lack of activities<br />
Restriction of visits (friends and classmates)<br />
Hospital rules and routines<br />
Loss of control (specially during anesthesia<br />
S 12<br />
Continuing with the second main point of the Child Life programs<br />
II- Recreational or playful intervention The value of play and recreational<br />
activities are also emphasised as instruments to offer medical information<br />
to children, as effective distracters against pain and as instigators of<br />
feelings’ expression.<br />
S 13<br />
And what is the importance of play for children?<br />
Provides comfort and confidence<br />
It is a Means of communication<br />
A Way to express feelings<br />
And Channels to receive information<br />
Through play children can socialize with other children<br />
And they develop also physical and mental functions<br />
S 14<br />
Regarding point three of the Child Life programs:<br />
III - Family intervention What is interesting to notice is that the program<br />
aims to address the needs of the entire family helping parents to better<br />
cope with the situation of childhood disease and even supporting brothers<br />
and sisters.<br />
S 15<br />
Family as a system several interrelated parts<br />
a change in one part affects other parts<br />
there is a tendency to balance<br />
S 16<br />
The intervention is aimed at reducing:<br />
Overprotection of the child by their parents excessive involvement of the<br />
mother in the disease<br />
Lack of organization<br />
Family conflict<br />
Emotional block<br />
Focus all the family problems on illness<br />
S 17<br />
Impact of the illness on siblings Siblings can be regarded as the “forgotten<br />
children” in this process<br />
S 18<br />
Guidelines of Intervention focused on siblings are:<br />
Give them information about the illness Develop attitudes to cope with<br />
difficult situations in a constructive way Expression of feelings towards the<br />
ill sibling (jealousy, guilt, shame, sadness or abandon)<br />
Develop their own life project (compatible with responsibilities derived<br />
from the dare of the ill sibling<br />
S 19<br />
And the last point of the Child Life Programs I want to focus is IV-<br />
Interdisciplinary collaboration cooperation among all the professionals<br />
involved is a fundamental aspect of the program<br />
S 20<br />
Here the principal actors<br />
Doctor<br />
Surgeon<br />
Nurse<br />
Psychologist<br />
Teacher<br />
Volunteers<br />
Clowns<br />
Cleaning staff<br />
S 21<br />
Besides specialists in<br />
Art therapy<br />
Music therapy<br />
Pet therapy<br />
etcetera etcetera etcetera<br />
S 22<br />
The starting point of this Child Life Programs<br />
Is The Association for the Care of Children‘s Health (ACCH) (founded in 1979)<br />
that In 1982 has been founded the Child Life Council (CLC)<br />
as a non profit organization focused on pursuing a vocational training<br />
for persons engaged in the Child Life programs<br />
In 1998 is developed an official certification to become a Child Life<br />
Specialist<br />
S 23<br />
The Child Life specialist<br />
Several American universities offer postgraduate intensive courses,<br />
usually one<br />
year, to become a Child Life Specialist<br />
These courses consist of knowledge and skills to work in the field of child<br />
and adolescent inpatient<br />
S 24<br />
To conclude my presentation:<br />
I would stress that the main difference between hospital pedagogy in<br />
Europe and Hospital Pedagogy in North America focuses on:<br />
the importance given there to specific psychological training programs for<br />
hospitalized children and teenagers<br />
Along with this, emotional support and guidance provided to the families<br />
of pediatric patients<br />
S25<br />
However, the best approach in the field of child illness and hospitalization<br />
is not exclusive to the American model or any model<br />
is only one, of many ways, to carry out the hospital pedagogy<br />
It is therefore necessary that every professional, each teacher, make the<br />
best synthesis and adaptation of models, programs, strategies and ideas<br />
all this in order to act in the best possible way<br />
Managing complex medical cases and education<br />
Marie Sherlock<br />
Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />
Maria Marinho<br />
Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />
Frederic Irigaray<br />
ICT Projects Manager, Chelsea Community Hospital School<br />
Chelsea Community Hospital School London<br />
• Based in 4 hospitals across West London.<br />
• Mixture of general and specialist centres.<br />
• Maria Marinho<br />
• Fred Irigaray<br />
• Marie Sherlock<br />
Part 1<br />
James - Asthma<br />
Marie Sherlock<br />
Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />
• Do you have legislation in your country to protect the educational needs<br />
of children with a medical and mental health condition?<br />
• If so, is it meaningful?<br />
• Can you suggest other ways in which this could have been dealt with<br />
differently that might have made for a quicker and smoother resolution?<br />
• How can we support schools in understanding that many chronic<br />
conditions can impact on individuals in very different ways?<br />
• How might you have dealt with this?<br />
James<br />
• 14 year old boy in Year 9 at a local comprehensive school.<br />
• Diagnosed at 18 months with asthma<br />
• He is one of six children in the family. Five of the six children have a<br />
chronic condition.<br />
• 1 with coeliac disease, 2 with asthma, 2 with excema (one of these<br />
children receives supplementary nutrition via a gastrostomy peg).<br />
• Increasingly his asthma was becoming more difficult to manage and<br />
both Daniel and James were under the care of a consultant at the Royal<br />
Brompton Hospital a tertiary referral centre.<br />
• Both boys are described as being in the worst 5% of asthma sufferers.<br />
A few facts about asthma in the UK<br />
• 1.1 million children in the UK have asthma.<br />
• There were 1,204 deaths from asthma in the UK in 2008.<br />
• On average, 3 people per day or 1 person every 7 hours dies from<br />
asthma.<br />
• 61% of people with asthma say that their asthma stops them from getting<br />
a good night‘s sleep.<br />
• On average there are two children with asthma in every classroom in<br />
the UK.<br />
• Every 17 minutes a child is admitted to hospital in the UK because of<br />
their asthma.<br />
• One in 8 children under 15 with asthma symptoms experience attacks<br />
so severe they can‘t speak.<br />
Legislation to support pupils with a chronic medical or mental health<br />
condition<br />
• The Children Act 1989<br />
• This Act imposes a general duty on local councils (under which education<br />
departments come) to provide a range of services to ‚children in need‘<br />
in their area.<br />
• Asthma comes under the Disability and Discrimination Act 1995 and is<br />
considered an unseen disability.<br />
• Under the Equality Act <strong>2010</strong>, a child with a disability has the right to be<br />
treated fairly at school.<br />
• Access to Education for children and young people with Medical needs<br />
– document Reference: 0025/2002<br />
• Access To Education For Children With Medical Needs: A Map of Best<br />
Practice RB303<br />
• Meeting the Educational needs of Children and Young People in Hospital<br />
0112711359<br />
Meeting No.1<br />
• Following initial discussions with the SENCO (Special Education Needs<br />
Coordinator) a meeting was set for June 2009.<br />
• We suggested that the school consider assessing James for a Statement<br />
of Special Educational Needs.<br />
• Request that staff be updated about the severity of James’s condition.<br />
• Regular reviews of James’s IEP (Individual Education Plan).<br />
• Home Tuition.<br />
• The outcome on that day lacked any formal commitment from the school.<br />
• The SENCO said that she couldn’t justify any funds from her budget to<br />
support James at this point as he was doing ‘ok’ academically.<br />
• During this meeting both myself and James’s mother argued the need to<br />
consider the future for James.<br />
The School Agreed To<br />
• Move the boys on School Action Plus.<br />
• Improved communication between home and school.<br />
• Ensure that all teachers working with James had a termly update on his<br />
condition and the impact of his treatment regime.<br />
• The SENCO to discuss the case with the Educational Psychologist<br />
The Reality<br />
• No communication with home nor hospital school.<br />
• No IEPs written for the boys.<br />
• No follow-up from the school regarding the conversation with the<br />
Educational Psychologist.<br />
• Responsibility for collecting and catching up with work was still with<br />
James.<br />
• Contacted the Senior Educational Psychologist for the area.<br />
Meeting No2!<br />
• Happened in November 2009.<br />
• Attended by the SENCO, mother, James, the Educational Psychologist<br />
and myself.<br />
• A clear description of James’s life with asthma was given to the Ed. Psych.<br />
• James described his own feelings of falling further and further behind.<br />
• Same ad hoc support for James, ‘come to the Inclusion Room when you<br />
want’.<br />
• ‘Disability Living Allowance’.<br />
• The Ed Psych said he would investigate a computer based learning<br />
option for the school.<br />
• James to undergo a psychometric assessment with the clinical<br />
psychology department at Brompton.<br />
The Reality Again<br />
• Surprise! Surprise! No feedback from the school nor the Educational<br />
Psychologist.<br />
• Psychometric Assessment results.<br />
• James prescribed Prozac.<br />
• An overwhelming lack of support from all the educational services again.<br />
Where Next ?<br />
• A letter to the Head Teacher and the Chair of Governors for the school
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
92 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
93<br />
• The letter was also sent to;<br />
• the SENCO,<br />
• the Educational Psychologist for the school<br />
• the senior Educational Psychologist for the Local Authority<br />
• Head Teacher of the hospital school<br />
• James and his parents<br />
• the Chief Executive for the school’s Local Authority.<br />
The Outcome<br />
• A third meeting called by the school in June <strong>2010</strong>.<br />
• SENCO, mother, James, the educational Psychologist, myself and the<br />
head teacher for the school.<br />
• Updates given on James’s wellbeing.<br />
• Academic results indicate that James is not achieving in line with his ability.<br />
• School agree to progress with assessing James for a statement.<br />
Aftermath<br />
• All necessary assessment and documentation collated for a special<br />
needs panel review within 2 weeks.<br />
• James was granted a statement which means;<br />
• his educational needs are protected until he is 19 yrs old<br />
• they are reviewed yearly.<br />
• He now has a tutor assigned to him all the time who works with him<br />
between school, home, and hospital.<br />
• The SENCO has retired and her replacement has forged a real relationship<br />
with James.<br />
James<br />
• Does legislation in your country protect the needs of children with a<br />
medical and mental health condition?<br />
• Can you suggest other ways in which this could have been dealt with<br />
differently that might have made for a quicker and smoother resolution?<br />
• How can we support schools in understanding that many chronic<br />
conditions can impact on individuals in very different ways?<br />
• How might you have dealt with this?<br />
Part 2<br />
Managing complex medical cases and education: Transition<br />
Maria Marinho<br />
Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />
Background<br />
• 14 year old girl<br />
• Living with father & brother<br />
• Referred to the hospital school for home tuition having moved into the<br />
local area<br />
• Had not attended school for 10 months prior to referral<br />
• Psychiatric team heavily involved.<br />
Previous History<br />
• Previous psychotic episode at age 12 possibly linked to anti-malarial<br />
medication<br />
• Hospitalised for 6 months<br />
• Successfully transferred to small tuition unit for rehabilitation and<br />
successfully returned to mainstream school<br />
• Lenesha and her brother lived with their mother but visited their father<br />
who lived separately.<br />
Referral Information<br />
• February 2009 mother died<br />
• Lenesha and her brother moved to live with their father in a different<br />
part of the city.<br />
• Lenesha presented with a range of psychiatric symptoms requiring<br />
intensive intervention however she was not admitted to hospital.<br />
• She refused to engage with some members of the psychiatric team<br />
First Meeting Between Hospital School and Lenesha<br />
• She had not left the house for several months<br />
• She remained all day in her night clothes<br />
• She did not make eye contact<br />
• She spoke in a very quiet voice only to answer direct questions<br />
• The room was dim and chaotic<br />
• She said she was interested in learning and liked English and ICT<br />
Planning Input<br />
• Needed an experienced staff member who could develop a trusting<br />
relationship<br />
• Needed to build a trusting relationship with her father<br />
• Needed to work very closely with the psychiatric team<br />
Plan<br />
• Request made to education authority for 10 hours teaching input per<br />
week.<br />
• Refused and only 5 hours input was authorised<br />
• Initially one female staff member to visit 3 times per week.<br />
• Focus on subjects of interest and core skills, English, maths science<br />
and ICT<br />
• Laptop with internet access provided with facility to message teacher<br />
outside of allocated slots<br />
Issues to consider<br />
• Lenesha did not know what caused her mothers death<br />
• Father was very concerned about her vulnerability and her ability to<br />
return to her previous sociable self.<br />
• Very little progress with psychiatric input<br />
• Lenesha was concerned that her tuition was linked to a hospital school<br />
as she was highly anxious that she would be admitted to hospital again<br />
as she had been when she was 12<br />
Actions taken by tuition team<br />
• Focus of input was to develop a positive and trusting relationship that<br />
would support Lenesha to move out of the house for short periods of<br />
time<br />
• Activities organised that gave Lenesha some control<br />
• Focus on bringing the outside world to her through the laptop, giving<br />
access to her teacher and a view of the hospital school classroom<br />
• Frequent reference made to next steps outside the house<br />
Diffi culties<br />
• Level of grief and anxiety extremely high<br />
• Too much for one staff member<br />
• Father feeling powerless<br />
• Lisa’s refusal to engage with the psychiatric team<br />
• Additional pressure placed on teacher to focus on aspects of the<br />
psychiatric teams work because the teacher had developed a positive<br />
relationship with Lenesha<br />
Positive Aspects<br />
• Lenesha appeared to value input from the hospital school<br />
• She liked her teacher<br />
• Good communication between the range of professionals involved in<br />
the case<br />
• Father supportive of input<br />
Turning Point<br />
• Father re-established links with maternal aunt following advice from<br />
psychiatric team<br />
• Lenesha began using messenger frequently with her teacher and was<br />
curious to see the classroom in the hospital via video link<br />
• Aunt persuaded Lenesha to go shopping one weekend<br />
• Aunt agreed to accompany Lenesha to the Hospital School for a short<br />
visit<br />
New Start<br />
• Lenesha agreed to attend hospital school for afternoon sessions<br />
• This quickly became full days<br />
• Lenesha worked 1-1 with a teacher in the classroom<br />
• She needed a lot of support to access learning tasks<br />
• Initially she did not engage with any other students<br />
What next?<br />
• It was clear Lenesha had some underlying learning diffi culties as well as<br />
her current psychiatric illness<br />
• Before considering a return to mainstream school in the future she<br />
would need a full educational assessment to establish her special needs<br />
• The hospital school arranged this and this was carried out within the<br />
legal timeframe.<br />
Lisa’s re-engagement with the world.<br />
• Lenesha has become increasingly confi dent at the hospital school and<br />
with her Aunt and cousins<br />
• She has started to engage positively with the psychiatric nurse and work<br />
has begun on re-learning social skills and skills for life.<br />
• She is enjoying the interaction with other young people and the staff at<br />
the hospital school<br />
Current Issues<br />
• Lenesha has an educational statement: a legal document stating what<br />
support must be provided for her to manage at school<br />
• She is in her fi nal year of compulsory schooling.<br />
• Lenesha and her father have differing views on what would be a good<br />
school placement for her<br />
• Lenesha remains very vulnerable but desperately wants to be with other<br />
young people in a ‘normal school setting’<br />
Where we are now<br />
• Lenesha is slowly developing her confi dence in learning and in life skills<br />
• The education authority is looking for a suitable school<br />
• Lisa’s father is ill, though Lenesha is not aware of how ill he is.<br />
Key Questions<br />
• What approach would you have taken with this case?<br />
• Where would Lenesha be placed after the hospital school in your country ?<br />
• How would you work with the other professionals on this case?<br />
Part 3<br />
Managing complex medical cases and education: Godi<br />
Frederic IRIGARAY<br />
ICT Project Manager, Chelsea Community Hospital School<br />
Case history<br />
• Godi is a 15 years old boy<br />
• Admitted to hospital after a major stroke<br />
• Godi was a normal boy very friendly and sociable<br />
• Unable to communicate or move any parts of his body<br />
• Communicate by eye pointing for yes/no.<br />
Use an alphabet chart to spell out key words<br />
A B C D E F<br />
G H I J K<br />
L M N O P<br />
Q R S T U<br />
V W X Y Z<br />
School introduction<br />
• Godi physically came to school after 2 weeks spent in PICU where he<br />
received lessons by his bed<br />
• He likes football and enjoys making fi lms and animations.<br />
• He has been introduced to the idea of making an animation about his<br />
favourite football team.<br />
Planning the animation<br />
• Defi nition : A simulation of movement created by displaying a series of<br />
pictures<br />
• Creating story board using alphabet chart<br />
• Setting up the laptop by his bed<br />
• Setting up the camera<br />
• Setting up backgrounds and characters<br />
• Introducing Godi to the switch technology (using head switch to<br />
command the laptop)<br />
Discussion<br />
• Why was this case successful?<br />
- Being part of a multi disciplinary team<br />
- Have everyone on board helped a lot.<br />
- It was a special case<br />
• What was it that made Godi’s story different?<br />
- Godi’s self consideration<br />
- Parents’ determination<br />
- Medical team was very involved<br />
- Flexibility of the school (as a school member of staff can be called for<br />
special case)<br />
- Relationship between Godi and the staff<br />
- Physio’s timetable gets Godi ready for school...<br />
Report about the Timsis workshop 19<br />
Christine Walser<br />
Teacher Special Needs Teacher<br />
Hospital School, University Children’s Hospital Zurich,<br />
SWITZERLAND<br />
TIMSIS is the abbreviation for “Teacher in-service training material<br />
concerning pupils with serious and chronic illnesses in both regular and<br />
hospital attached schools”. It started 2004 as an EU funded COMENIUS<br />
2.1 project, in which a group of teacher training institutions as well as<br />
hospital schools from six countries (Czech Republic, Finland, Germany,<br />
Hungary, Norway and Russia) developed web based information material<br />
focusing on the re-integration of severely or chronically ill pupils into their<br />
home schools. It is the aim to facilitate the ill pupils’ way back to normalcy.<br />
Following an agreement between <strong>HOPE</strong> and Ludwigsburg University<br />
of Education (Germany), which was the coordinating institution of the<br />
Comenius project in 2007, <strong>HOPE</strong> is now hosting the TIMSIS material.<br />
The material addresses itself to teachers and parents as well as ill pupils<br />
and their classmates. So far two sets of material (a short and an extended<br />
version) have been developed which focus on seven of the most common<br />
diseases in childhood and adolescence: ADHD, Asthma, Childhood Cancer,<br />
Cystic Fibrosis, Diabetes, Eating Disorders, Epilepsy and a chapter on<br />
General Information.<br />
At the <strong>HOPE</strong> congress in Tampere, Finland (2008), TIMSIS became a <strong>HOPE</strong><br />
Workshop (Workshop 19) and since then information in fi ve new languages<br />
and two new diseases were added so that there are information in twelve<br />
languages (English, German, Finish, Hungarian, Norwegian, Czech,<br />
Russian, Spanish, French, Italian, Portuguese, Slovenian) and about nine<br />
diseases (allergies, ADHD, asthma, cancer, diabetes, CF, eating disorders,<br />
epilepsy, immune disorders).<br />
At the <strong>HOPE</strong> congress in <strong>Munich</strong>, Germany (<strong>2010</strong>), the workshop 19<br />
TIMSIS met, looked back, evaluated its work, elected two new workshop<br />
leaders and made future plans. Soon there will be guidelines available on<br />
the webpage for translators and authors of new diseases.<br />
Use it or lose it!<br />
If you are a committed teacher who works (also) with chronically or severely<br />
ill children you can profi t from the precious information and send the link<br />
to your colleagues, patients and their parents. We know that information<br />
is a crucial point for the inclusion of our patients!<br />
If you can offer translation for free or you are able to start a new disease<br />
(always in English fi rst), please do not hesitate and contact the workshop<br />
coordinators. If you fi nd something which is not correct or should be<br />
updated, please help us with more suitable or new information.<br />
http://www.hospitalteachers.eu/ click then on TIMSIS
94 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
95<br />
E-Junkie<br />
Dr. Helmut Wittmann<br />
Ministerialdirigent a.D., Bayerisches Ministerium für<br />
Unterricht und Kultus<br />
Kinder- und Jugendschutz im Internet<br />
1 Internet als Chance und Gefahr - Fakten<br />
…<br />
2. Folgerungen und Aufgaben für Schule/Gesellschaft<br />
3. Internet und Jugendschutz in der schulischen Praxis<br />
4. Initiativen in Bayern<br />
1 Internet als Chance und Gefahr - Fakten<br />
Unter der Überschrift „Verirrt in der virtuellen Welt“ berichtete am 28.April<br />
<strong>2010</strong> das Chiemgau Wochenblatt (Landkreis Traunstein):<br />
„Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Laut Polizei musste jüngst ein<br />
Schulleiter unserer Region einen Schüler der 5.Klasse aus dem Unterricht<br />
entfernen lassen. Der Junge war onlinesüchtig. Er kam nicht mehr in der<br />
Realität zurecht und musste in eine Klinik eingewiesen werden.“<br />
Ein Extremfall – ja, aber sicher leider kein Einzelfall!<br />
Der Allgegenwart des Internets mit professionellen Vermarktungsstrategien<br />
steht die Erziehungs- und Bildungsverantwortung von Schule<br />
und Elternhaus gegenüber.<br />
Computer/Neue Medien/Internet<br />
sind von großer Bedeutung in Privatleben, Schule und Beruf. Als Werkzeug,<br />
Instrument für Recherche, Informationserweiterung, Ordnung<br />
und Unterhaltung („4. Kulturtechnik“)<br />
aber:<br />
„Kinder und Jugendliche haben heute in der überwiegenden<br />
Mehrzahl einen schnellen Zugang zu ihnen, nutzen sie intensiv und<br />
sind eine wichtige Zielgruppe für Produkte geworden.<br />
Die jugendgefährdende Qualität einzelner Angebote sowie der<br />
Missbrauch von Medienangeboten und Daten können auch dazu<br />
führen, dass Kinder und Jugendliche bei der Nutzung von Medien<br />
in Gefahr geraten“.<br />
Bekanntmachung des Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus zur Medien Bildung v.14.Okt. 2009<br />
1.1 Internetnutzung: Inhalte und Ausmaß<br />
Jugendliche heute:<br />
„digital natives“ (im Vergleich zu vielen Eltern und Lehrern) mit Vollausstattung:<br />
u.a. Computer; Internet; Handy; Webcam; MP3-Player; TV<br />
(vgl. JIM – Studie 2009)<br />
Negative Wirkung durch Negativ-Inhalte und extreme zeitliche Dosis<br />
• Gewalt<br />
• Politischer und religiöser Extremismus<br />
• Pornografi e<br />
• Jugend gefährdende Computerspiele<br />
• Glücksspiele<br />
• Illegale Downloads (Softwarepiraterie)<br />
>>Drogen aktuell: Web 2.0<br />
Inhalte<br />
Beispiele aus der Befragung 12- bis 16-Jähriger<br />
• nachgestellte, fi ktive Gewalt ; Krieg, Folter, Hinrichtung (realistische<br />
Darstellungen mit hohem<br />
Wirkungsrisiko); Prügelvideos mit Tätern als Helden und Schwächeren als<br />
Opfer; Snuffvideos<br />
(Tötungsdarstellungen oft einhergehend mit Quälereien, Horrorszenen)<br />
• happy-slapping: Schlägereien oder sexuelle Attacken – gefi lmt und ins<br />
Internet gestellt<br />
• online-Foren: wie Pro-Anorexie-Foren, Ritzer- (Messer-) und Prügelforen<br />
• Cyber-Mobbing: wie Flaming (Beleidigung, Belästigung), Impersonisation<br />
(Bloßstellung durch falsche Identität), Cyberthreats (Drohung)<br />
und Cyberstalking (Verfolgung)<br />
• sexuelle Belästigungen durch Chats<br />
• Pornografi e (als Video- oder Livecamdarstellungen)<br />
• Extremismus, z.B. hate-pages rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer<br />
Thesen (Propagandaplattform)<br />
• Onlinespiele: wie World of Warcraft (erhebliches Suchtpotenzial!)<br />
cf. Prof. Petra Grimm, Hochschule für Medien. Stuttgart 2008<br />
Internetzugang<br />
57% der Jugendlichen haben Internetzugang ohne Einschränkung<br />
Was machen die Eltern?<br />
80% kontrollieren nie die Inhalte<br />
30% nutzen technische Filtersysteme<br />
Wie kommen Jugendliche zu den jugendgefährdenden Inhalten ?<br />
70% peergroups<br />
60% Links<br />
30% Suchmaschinen<br />
vgl. Prof. Petra Grimm, Hochschule für Medien. Stuttgart 2008<br />
1.2 Unterschiede in der Nutzung/Wirkung<br />
Inhalte<br />
Männliche Jugendliche<br />
• Deutlich anfälliger<br />
• hinsichtlich Gewalt /<br />
• sexuelle Darstellungen („action“)<br />
• (Extremfall; Juli <strong>2010</strong>,<br />
• Gewaltexzess auf Ameland)<br />
Weibliche Jugendliche<br />
• Suche nach virtueller<br />
• Gemeinschaft<br />
• (z.B. „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“)<br />
• Chatrooms<br />
• Virtuelle Freundschaften (z.B. „Facebook“)<br />
Auslöser für beide Gruppen ist oft:<br />
• mangelnde Sozialkompetenz<br />
• geringes Selbstwertgefühl<br />
• innerfamiliärer Druck<br />
• Suche nach Sozialkontakten<br />
15-Jähriger (April <strong>2010</strong> München):<br />
„Ich habe immer mehr virtuelle Freunde und werde immer einsamer!“<br />
Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung<br />
Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung<br />
Medienzeiten/Beispiele<br />
• Männl. Jugendliche durchschnittlich 2 Std. 21 Min pro Tag Computerspiele<br />
(CS) Weibl. Jugendliche durchschnittlich 56 Min<br />
• Extreme Unterschiede bei psychischer Abhängigkeit zu Lasten<br />
männlicher Jugendlicher!<br />
• In Verbindung mit niedrigem Bildungsniveau: mehr Zeit mit CS als<br />
Schulstunden!<br />
Weibl. Jugendliche durchschnittlich 56 Min<br />
• Extreme Unterschiede bei psychischer Abhängigkeit zu Lasten männlicher<br />
Jugendlicher!<br />
• In Verbindung mit niedrigem Bildungsniveau: mehr Zeit mit CS als Schulstunden !<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Medienzeiten an einem regulären Schultag nach Geschlecht und Bil dungsniveau<br />
(BN) der Eltern<br />
Medienzeiten an einem regulären Schultag nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN) der Eltern<br />
7<br />
Aus: Repräsentativbefragung KFN /<br />
Kriminologisches Forschungsinstitut<br />
Niedersachsen 2008;<br />
44 600 Schüler in Jahrgang 9<br />
8 000 Schüler in Jahrgang 4<br />
Medienausstattung im Kinderzimmer / Beispiele<br />
Aus: Repräsentativbefragung KFN/Kriminologisches Forschungsinstitut Extrem „Online-Sucht“ – insbesondere Spielsucht<br />
Niedersachsen 2008; 44 600 Schüler in Jahrgang 9 | 8 000 Schüler in Beispiel<br />
Jahrgang • Männl. 4 Jugendliche : 40,3 % Spielkonsolen<br />
Extrem suchtgefährlich „World of Warcraft“:<br />
• Weibl. Jugendliche : 20,5 %<br />
Millionen von Spieler weltweit<br />
Medienausstattung im Kinderzimmer/Beispiele<br />
Von USK* ab 12 Jahren freigegeben (!)<br />
• Männl. • In Jugendliche: bildungsfernen 40,3 % Familien Spielkonsolen : signifikant höhere Ausstattung mit Verein Mediengeräten<br />
„widows of world of warcraft“ in USA<br />
• Weibl. Jugendliche: 20,5 %<br />
• In bildungsfernen Familien: signifi kant höhere Ausstattung mit Prävention/Hilfen:<br />
Mediengeräten<br />
• bundesweit Fachambulanzen<br />
• Kontakte<br />
• www.rollenspielsucht.de (ein Netzwerk von Eltern für Ratsuchende)<br />
• www.onlinesucht.de (Kontakte zu Therapeuten und Kliniken)<br />
• www.fv-medienabhaengigkeit.de<br />
• www.stiftung.medienundonlinesucht.de<br />
Mediengeräte im Kinderzimmer nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN) der Eltern<br />
Mediengeräte im Kinderzimmer nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN)<br />
der Eltern<br />
Aus: Repräsentativbefragung KFN/Kriminologisches Forschungsinstitut<br />
Niedersachsen 2008<br />
1.3. Mögliche Folgen<br />
- Insbesondere bei extremen Konsum von Computerspielen -<br />
Universität Auckland (2009):<br />
• gestörte Wahrnehmung von Realität und Fiktion<br />
• Negative (Wirkung) auf soziale Beziehungen (Eltern ,Freunde)<br />
• weg von Realwelt – hin zu virtueller Welt<br />
• je jünger die Kinder, desto stärkere Nachahmung<br />
• Jugendliche als Opfer und Täter<br />
• abgestumpftes aggressives Verhalten, Ängste, Verlust d. Fähigkeit zu<br />
Partnerschaft/Liebe<br />
JIM – Studie (2009):<br />
• Leistungseinbußen in Schule und Beruf (Schwänzen, Schlafdefi zit)<br />
• zunehmende Beschäftigung mit CS<br />
• Suizid – Gefährdung<br />
Drogen – u. Suchtbericht d. Bundesregierung (2009):<br />
• 3 – 7 % der Internetnutzer computersüchtig (insb. männl. Jugendliche)<br />
• 3 % männl. Jugdl. Computerspiel abhängig 0,3 % weibl.<br />
Prof. Hüther/Göttingen: (Hirnforscher)<br />
• exzessives Spielverhalten vieler Jugendlicher (> 4,5 Std. täglich !)<br />
• negative Relation extremer Medienkonsum (CS) und Lerndispositionen<br />
„Killerspiele sind Leistungskiller“<br />
Extrem „Online-Sucht“ – insbesondere Spielsucht<br />
Ein neues Krankheitsbild!?<br />
2008 erste deutsche Spielsuchtambulanz Uniklinik Mainz<br />
2009 erstmals Begriff „Online-Junkie“<br />
• Online-Sucht politisch noch nicht anerkannt<br />
aber<br />
• spezifi sche, nicht stoffgebundene Krankheit<br />
• mit anderen Verhaltenssüchten vergleichbar<br />
• Bei Unterbrechung: Entziehungserscheinungen wie hohe Reizbarkeit,<br />
vegetative Unruhe<br />
• noch keine fi xierten Kriterien für Diagnose u. Therapie<br />
• Keine Erstattung (aber bei Zusatz- oder Folgeerkrankungen wie Depression,<br />
ADHS, Borderline-Syndrom)<br />
Trauriges Beispiel:<br />
Tod der 2-jährigen Lea (Tirschenreuth <strong>2010</strong>), „weil ihre Mutter pausenlos<br />
(Tag u. Nacht) im Internet unterwegs war“ (Pressebericht…..)<br />
2. Folgerungen und Aufgaben für Schule/Gesellschaft<br />
Jugendschutz : pädagogisch - technisch - rechtlich<br />
2. Folgerungen und Aufgaben für<br />
Schule / Gesellschaft<br />
Aus: Repräsentativbefragung Jugendschutz : KFN pädagogisch / - technisch - rechtlich<br />
Abgrenzung Kriminologisches zu Zensur : Keine Forschungsinstitut<br />
generelle Sperrung – aber :<br />
Niedersachsen 2008<br />
Was für Erwachsene zulässig ist, muss für Kinder und Jugendliche längst nicht geeignet sein !<br />
Es geht nicht um Verbote (z.B. strafrechtlich eindeutige Verfolgung im Zusammenhang mit<br />
Kinderpornografie), sondern um die oft schwierige Abgrenzung von Angeboten hinsichtlich ihrer<br />
Verkraftbarkeit für Kinder und Jugendliche.<br />
8<br />
Abgrenzung zu Zensur : Keine generelle Sperrung – aber:<br />
Was für Erwachsene zulässig ist, muss für Kinder und Jugendliche längst<br />
nicht geeignet sein! Es geht nicht um Verbote (z.B. strafrechtlich eindeutige<br />
Verfolgung im Zusammenhang mit Kinderpornografi e), sondern um die oft<br />
schwierige Abgrenzung von Angeboten hinsichtlich ihrer Verkraftbarkeit<br />
für Kinder und Jugendliche.Regarding schools there Bei der Schule geht es<br />
zusätzlich um Aufsichtspfl icht.<br />
Bei der Schule geht es zusätzlich um Aufsichtspflicht.<br />
9<br />
I I I III<br />
Drei – Säulen – Modell (nach TIME for kids)<br />
Drei – Säulen – Modell (nach TIME for kids)<br />
1 3<br />
2.1. Pädagogischer Jugendschutz<br />
Handlungsfeld I : Medienerziehung<br />
č Für alle Schulen und Jahrgangsstufen verpfl ichtender Bildungsauftrag<br />
č Ziel : Ichstärke und Entscheidungskompetenz „Dare to say no!“<br />
Medienkompetenz Handlungsbereiche<br />
• Auswählen und Nutzen von Medienangeboten<br />
• Gestalten und Verbreiten eigener medialer Beiträge<br />
Inhaltsbereiche<br />
• Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen<br />
• Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinfl üssen<br />
• Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion<br />
und Medienvorbereitung<br />
Medienkompetenzmodell (nach Tulodziecki/Herzig/Grafe)
96 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
97<br />
Medien Führerschein Bayern Bayern<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Bayern<br />
• Medienführerschein: Beginn 2009/10 in Grundschulen<br />
Erprobung von 6 Modulen, u.a. Chancen und Risiken von Computerspielen<br />
> Ausweitung auf alle Schulen<br />
• Bekanntmachung des Kultusministeriums vom 15. Okt. 2009:<br />
„Die Kinder und Jugendlichen sollen in der Schule<br />
- Medien kennen lernen,<br />
- Medien auswählen, analysieren und bewerten lernen,<br />
- Medien refl ektieren lernen,<br />
- die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Gefahren von Medienangeboten<br />
einschätzen lernen“<br />
Medienerziehung hat zu tun mit<br />
- Werteorientierung<br />
- Wahrnehmungs – und Urteilsvermögen<br />
- Kommunikationsfähigkeit<br />
- Persönlichkeitsbildung<br />
• Initiative für ein sauberes Internet an bayrischen Schulen Praxis (Teil 4)<br />
2.2. Technischer Jugendschutz<br />
Handlungsfeld II: Jugendschutz-Filter<br />
• Riesige Quantität des Internet-Angebots<br />
• Oft mindere/jugendgefährdende Qualität<br />
Weltweit gibt es ca. 8 Mrd. bekannte Webseiten. Wenn ein Mensch sich<br />
jede Seite nur eine Minute lang anschauen würde, benötigte er dafür mehr<br />
als 15.000 Jahre!!!<br />
Pädagogik (Schule/Lehrer/Eltern) alleine/auf sich gestellt ist überfordert<br />
(vergleiche: Alkohol, Nikotin)!<br />
Flankierende Hilfe durch Jugendschutz-Filter<br />
as Kinder / Jugendliche jederzeit im Internet finden<br />
Was Kinder/Jugendliche jederzeit im Internet fi nden<br />
• Eingabe von von Suchbegriffen bei www.google.de bei www.google.de im Juni im <strong>2010</strong> Juni <strong>2010</strong><br />
2.6.1 Jugendschutz<br />
Medien, deren Inhalt gegen die Bildungsziele, gegen die Bayeri sche<br />
Verfassung, das Grundgesetz, andere Gesetze oder Jugendschutzbestimmungen<br />
verstößt, dürfen nicht eingesetzt werden. Die Aufsichtspfl<br />
icht der Schule entfällt auch dann nicht, wenn die Erziehungsberechtigten<br />
ausdrücklich auf eine Aufsicht verzichtet haben.<br />
2.8 Schutzvorkehrungen<br />
Technische Vorkehrungen, wie sie beispielsweise durch den Einsatz von<br />
Filtersystemen, Zugangssperren, Zugangskontrollen oder auch Systemen<br />
zur Protokollierung von aufgerufenen Web-Seiten getroffen werden<br />
können, helfen im Zusammenspiel mit organisatorischen Maßnahmen<br />
(z. B. Nutzungsordnungen, zu deren Erlassung Schulen verpfl ichtet<br />
sind) den Zugang zu jugendgefährdenden, menschenverachtenden und<br />
gewaltverherrlichenden Inhalten zu erschweren. Es wird grundsätzlich<br />
empfohlen, Kontroll- und Schutzsoftware zu installieren.<br />
• Empfehlung auf dem bayerischen Schulserver:<br />
http://www.schule.bayern.de/beratung/iuk/fi lter/anbieter.php<br />
Hochwertige Jugendschutz-Filter (z. B. TIME for kids)<br />
• Hohe Wirksamkeit<br />
• Individuell/auf jeweiligen Nutzer bezogen<br />
• Effi ziente pädagogische Hilfe<br />
• Wirksames Suchmaschinen-Prinzip<br />
- automatisches Analyseverfahren<br />
- inhaltliche und semantische Textanalyse<br />
- Bild-, Symbol- und Strukturanalyse<br />
• Effi zienzstrategien<br />
- über 11 Milliarden Internetinhalte ausgewertet<br />
- circa 5 Mio. Internetinhalte werden täglich analysiert<br />
- über 150.000 werden täglich aktualisiert<br />
• Dynamisches Datenbanksystem<br />
- in 70 Themenfeldern zulassen oder sperren<br />
- Binnendifferenzierung für Schüler mit Migrationshintergrund durch 45<br />
Sprachen<br />
- hohe Wirksamkeit: „90 Prozent plus Strategie“ bei allen gesetzlich und<br />
gesellschaftlich geforderten Themenfeldern (z.B. Pornografi e)<br />
2.3. Gesetzlicher Jugendschutz Handlungsfeld 3: Wahrnehmung und Verstär<br />
kung des rechtlichen Rahmens<br />
Herausforderung 1:<br />
Nur rd. 10% der Anbieter kommen aus Deutschland (nur für sie gilt<br />
deutscher Rechtsrahmen) – 90% kommen aus dem Ausland (!)<br />
Was tun ? Zusätzlich Nutzerprinzip<br />
Herausforderung 2:<br />
Große/schwer überschaubare Vielfalt an Institu tionen und Zuständigkeiten<br />
im Jugendschutz<br />
Was tun? Mehr Transparenz, Straffung<br />
Jugendmedienschutz in Deutschland<br />
Ausschnitt aus Institutionen/Zuständigkeiten<br />
Suchbegriff Suchergebnisse<br />
Sex 754 Mio.<br />
Porno 183 Mio.<br />
Gesetzliche Grundlagen<br />
Gewalt 19 Mio.<br />
Strafgesetzbuch Bund<br />
Drogen 5 Mio.<br />
Jugendschutzgesetz Bund<br />
Suizid/Selbstmord 2 Mio.<br />
Jugendmedienschutz- Staatsvertrag (JMStV) 16 Bundesländer<br />
Magersucht 1 Mio.<br />
Organe der Selbstkontrolle (der Wirtschaft)<br />
• Laut LKA Sachsen-Anhalt gibt es z.Zt. 13 Millionen<br />
FSK Freiwillige Selbst Kontrolle der Filmwirtschaft<br />
Webseiten Laut LKA Sachsen-Anhalt mit kinderpornografi gibt es schen z.Zt. 13 Inhalten. Millionen<br />
USK Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (Computerspiele)<br />
• Webseiten 6 von 10 mit Kindern kinderpornografischen sind regelmäßig Inhalten. jugendgefährdenden Seiten im FSF Freiwillige Selbstkontrolle (privates) Fernsehen<br />
Internet ausgesetzt<br />
FSM Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (Internet)<br />
(Studie EU-KIDS Online, London School of Economics 2006)aphy.<br />
6 von 10 Kindern sind regelmäßig jugendgefährdenden Seiten im Internet ausgesetzt<br />
Zuständig für Indizierungen (Verbote für unter 18-Jährige)<br />
(Studie EU-KIDS Online, London School of Economics 2006)<br />
Aus Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM)<br />
und Kultus vom 15. Oktober 2009<br />
Überwachung, (staatliche) Kontrolle und Beschwerden<br />
Örtliche Jugend-/Ordnungsämter, Staatsanwaltschaften, jugendschutz.<br />
https://www.verkuendung-bayern.de/fi les/kwmbl/2009/20/kwmbl-2009-20.pdf net, Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)<br />
1 9<br />
Ein System, das vor allem die Anbieter von Medien in die Verantwortung<br />
nimmt: „regulierte Selbstregulierung“<br />
Information bringt Sicherheit<br />
• Relevante Gesetze des Jugendmedienschutzes<br />
• Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)<br />
• Jugendschutzgesetz (JuSchG)<br />
• Strafgesetzbuch (StGB)<br />
• Ordnungswidrigkeiten-Gesetz (OwiG)<br />
• Strafbare Inhalte<br />
• absolut verbotene Seiten (Kinder-, Gewalt-, Tierpornografi e)<br />
• verbotene Organisationen<br />
• Staatsgefährdung, Aufruf zu oder Unterstützung von Straftaten<br />
• Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte (heimliche Aufnahmen und<br />
Verbreitung, Verleumdung)<br />
• Jugendgefährdende Inhalte<br />
• Pornografi e<br />
• Suizid, Magersucht<br />
• Hass, „Tasteless“<br />
Information bringt Sicherheit<br />
• Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte<br />
• Altersdifferenzierung<br />
• Randbereiche mit pädagogischem Bezug (Okkultismus, Sekten)<br />
• Selbstdarstellung<br />
• „gläserner Schüler“, das Internet vergisst nie<br />
• Jugendliche werden Ziel von Diffamierung, Verleumdung, Nachrede<br />
• Jobsuche?, Bankkredite?, politische Karriere?, Werbeziel (Peer groups,<br />
Trends)<br />
• illegale Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler<br />
• Kopierschutz umgehen (Medien, Software)<br />
• IT-Systemschutz umgehen, IT-Systeme stören<br />
• Missachtung von Urheber- und Nutzungsrechten (Tauschbörsen,<br />
Webspeicher)<br />
Jede Schule sollte/muss Schutzmaßnahmen ergreifen<br />
• Warum?<br />
• Die Schulleitung ist verantwortlich!<br />
• Jede Internetnutzung trägt den Stempel der Schule!<br />
• Illegales Handeln ist nachvollziehbar und kann bestraft werden.<br />
• Schutzmaßnahmen<br />
• Aufsichtspfl icht differenziert wahrnehmen (auf jeweilige Nutzer bezogen)<br />
• Lehrerinnen und Lehrer fortbilden<br />
• Konsens in Schulgremien erzielen und Regeln entwickeln (Beispiel einer<br />
IT-Nutzungsordnung unter http://www.lehrer-online.de...mustertext_<br />
nutzungsordnung.rtf )<br />
• Beratung für Schüler und Eltern auf – und ausbauen<br />
• Probleme thematisieren<br />
• wirksame Filtertechnologien einsetzen<br />
3. Internet und Jugendschutz in der schulischen Praxis<br />
> Zusammenwirken der 3 Säulen im Sinne ganzheitlicher Erziehung und<br />
Bildung<br />
• Wahrnehmung der Aufsichtspfl icht<br />
• Zunehmend Ganztagsschulen zunehmend > Lernzeiten in Selbsttätigkeit<br />
der Schüler<br />
> Heterogenität von Gruppen u. Klassen > Differenzierung, Individualisierung<br />
• Besondere Unterrichts – und Betreuungserfordernisse, z.B. Schule für<br />
Kranke<br />
• „Lust auf Realwelt“ (Pfeiffer, KFN) wecken durch sportliche, musische,<br />
soziale Angebote und Erfolge<br />
Philosophie zur Internetfi lterung<br />
Nutzerprinzip (hier TIME for kids)<br />
• Erwachsene bestimmen durch gezielte Freischaltung oder Sperrung,<br />
was Kinder und Jugendliche sehen sollen<br />
- in der Schule<br />
- in Kinder- und Jugendeinrichtungen<br />
- zu Hause<br />
• Der Nutzer erhält eine Information, wenn und warum etwas gesperrt ist.<br />
• Kein zentraler Informationsentzug (Zensur)<br />
Bei Anbieterprinzip<br />
• Zentrale Anbieter, wie z.B. Google bestimmen was gefi ltert wird<br />
• Dem Nutzer werden zentral Informationen entzogen, ohne dass er<br />
darüber informiert wird.<br />
3.1. Pädagogischer Jugendschutz in der Praxis<br />
Eigenverantwortung nach dem Nutzerprinzip<br />
• Schule, jeweiliger Lehrer entscheidet darüber, was zugelassen und was<br />
gesperrt werden soll.<br />
Pädagogischer Jugendschutz/Praxis<br />
Schulische Aufgaben<br />
č neue Medienwelten für Schüler erschließen<br />
• Gesellschaftlichen Anspruch der Informationsgesellschaft einlösen<br />
• bildungsrelevante Inhalte bereit stellen<br />
• e-Learning/Distance Learning unterstützen<br />
aber<br />
• Ablenkung<br />
• Informationsfl ut<br />
• bedenkliche Inhalte<br />
• Kommunikationsfallen, Kostenfallen<br />
• illegale Aktivitäten<br />
• Datenschutzproblematik<br />
3.2. Rechtliche Aspekte in der Praxis<br />
3.2. Rechtliche Aspekte in der Praxis<br />
Das System der vier Körbe für kritische Inhalte<br />
Absolut verbotene<br />
Inhalte<br />
Verbot des<br />
Zugänglichmachens<br />
auch gegenüber<br />
Erwachsenen (z.T.<br />
auch Besitzverbot)<br />
Das System der vier Körbe für kritische Inhalte<br />
1 2 3 4<br />
Jugendgefährdende<br />
Inhalte<br />
Insb. Verbot des<br />
Zugänglichmachens<br />
gegenüber<br />
Minderjährigen<br />
In Anlehnung an: Jörg Knupfer, München<br />
Entwicklungsbeein-<br />
trächtigende Inhalte<br />
Insb.<br />
Alterskennzeichnung<br />
Beispiele für das System der vier Körbe<br />
1. Absolut verbotene Inhalte, z.B.<br />
• Harte Pornografi e/Gewaltpornografi e<br />
• Kinderpornografi e<br />
• Tierpornografi e<br />
2. Jugendgefährdende Inhalte, z.B.<br />
• Pornografi sche Inhalte<br />
Besonders unterrichts-<br />
störende Inhalte<br />
Was den Unterricht<br />
stört<br />
3. Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte<br />
• Alle Inhalte, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder<br />
Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen<br />
Persönlichkeit zu beeinträchtigen<br />
4. Besonders unterrichtsstörende Inhalte, z.B.<br />
• Chat<br />
• Webmail<br />
• Dating<br />
• Auktionen<br />
3.3. Auswahl geeigneter Jugendschutzfi lter<br />
- Aufgabe von Schule und Aufwandsträger -<br />
3 1
98 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
99<br />
3.3. Auswahl geeigneter Jugendschutzfilter<br />
- Aufgabe von Schule und Aufwandsträger -<br />
Lösungen im Vergleich<br />
• Lösungen Objektive im Vergleich technische Qualitätskriterien<br />
Objektive technische Qualitätskriterien<br />
Anzahl von kategorisierten<br />
Websites<br />
squidGuard TIME for kids Schulfilter Plus<br />
ca. 3 Mio. über 105 Mio.<br />
Anzahl von kategorisierten<br />
Webpages<br />
keine Angabe Über 11 Mrd.<br />
Anzahl Themenfelder 72 70<br />
Neue/aktual. Websites (tägl.) ca. 1.000 ca. 150.000<br />
Text-Analyse (Key words) Ja Ja<br />
Text-Analyse (inhaltlich) Nein Ja<br />
Bild- und Symbol-Analyse Nein Ja<br />
Analyseverfahren händisch automatisch<br />
Beispiel für größtmögliche Individualisierung und<br />
Differenzierung (Nutzerprinzip auf Ebene der einzelnen Schule)<br />
3 3<br />
Beispiel für Ausblenden von Werbung<br />
Internetseite nach Aufruf über die Werbeplattform<br />
„FragFinn“ (Kinderseiten mit Bannerwerbung in der Schule)<br />
Internetseite nach Aufruf mit aktiviertem Schulfi lter Plus (Bannerwerbung<br />
automatisch in der Schule ausgeblendet)<br />
1<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
2<br />
4. Initiativen in Bayern<br />
4.1 Medienführerschein<br />
Grenzenlose Kommunikation<br />
Überblick<br />
„Ich habe mich mit einem Mädchen aus dem Chat verabredet, das Pferde<br />
auch sehr liebt. Es kam aber ein Junge, der mindestens schon über 20<br />
war.“ Jugendschutz.net<br />
Jahrgangsstufe 3 und 4<br />
Lernplanbezug Heimat- und Sachunterricht<br />
Einleitung<br />
„Man ist heute mit einer Informationsfl ut konfrontiert, braucht<br />
Orientierungshilfe. Dies übernehmen die Freunde aus den sozialen<br />
Netzwerken. Künftig kann man mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt<br />
befreundet sein, ohne mit ihnen jeden Abend ein Bier zu trinken.“<br />
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg stern 37/09<br />
Orientierungshilfe? Und das ausgerechnet von Freunden aus dem Netz?<br />
Selbstverständlich gibt es berechtigte Einwände gegen diese Aussage,<br />
die allein die Chancen, aber nicht die ebenso vorhandenen Risiken von<br />
Kommunikation im Internet thematisiert.<br />
„Grundsätzlich sollte Kindern der Umgang im Netz nicht versagt werden,<br />
sondern sie sollten bei ihrer Entdeckungsreise im Internet begleitet<br />
werden. Für ihre schulische und berufl iche Zukunft sind Erfahrungen mit<br />
all den Möglichkeiten, die der Computer bietet, wichtig.“<br />
Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e. V.: Kinder und Internet<br />
Lernziel:<br />
Die Schülerinnen und Schüler tauschen ihre Erfahrungen im Umgang<br />
mit E-Mail, Chat und Messenger-Diensten aus und bewerten die von<br />
ihnen genutzten Online-Kommunikations-Formen. Nachdem sie in einer<br />
Chat-Simulation die versuchte Verletzung ihrer Privatsphäre erleben,<br />
formulieren sie Regeln für eine sichere Kommunikation, die sie in einem<br />
Identitätsspiel anwenden und überprüfen.<br />
Literature, Media, Links<br />
BPjM, Wegweiser Jugendmedienschutz, Bad Godesberg 2009<br />
Grimm, Petra u.a., Gewalt im Web 2.0, München 2008<br />
JIM study 2009 http://www.mpfs.de/fi leadmin/JIM-pdf09/JIM-Studie2009.pdf<br />
www.klicksafe.de/plaudern/trends.php<br />
Klicksafe – mehr Sicherheit im Internet durch Medienkompetenz<br />
www.lehrer-online.de; questions about school and legislation<br />
www.kfn.de; fi ndings about computer games as cause of failure at school<br />
www.mpfs.de<br />
www.time-for-kids.org; information about school fi lter, kontakt@time-for-kids.org<br />
www.medieninfo.bayern.de; information about media education and media protection<br />
Contact<br />
TIME for kids Foundation gemeinnützige GmbH<br />
Gubener Straße 47<br />
D-10243 Berlin<br />
Tel.: +49 30 2936989-0<br />
Fax: +49 30 2936989-21<br />
E-Mail: kontakt@time-for-kids.org<br />
Web: http://www.tfk-foundation.de<br />
„Ausweitung einer sinnvollen und notwendigen Initiative“<br />
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
“Angriff oder Flucht” im Spital(Krankheitsbedingter) Stress und<br />
seine Auswirkungen aufs Lernen<br />
Christine Walser<br />
Lehrerin und schulische Heilpädagogin<br />
Universitäts-Kinderklinik Kinderspital Zürich, Schweiz<br />
Einleitung: Ausgestattet mit einem Stress-Reaktions-System, welches<br />
das Überleben des Fittesten in der Steinzeit förderte, sind Menschen für<br />
die heutigen Stressoren (Lärm, Umweltverschmutzung, Zeitdruck, hohe<br />
Anforderungen und Erwartungen in Schulen und bei der Arbeit, Gewalt…)<br />
schlecht vorbereitet. Diese Stressoren lösen Stressreaktionen aus, welche<br />
bei häufi gem Auftreten zu einem „Allostatic Overload“ (McEwen, 2007)<br />
oder chronischem Stress (auch als Disstress oder Dystress bekannt) und<br />
zu Diagnosen wie Depression, Burnout, Verdauungsstörungen, Diabetes,<br />
Krebs, Allergien, Herz-Kreislauf- und Autoimmun-Erkrankungen führen<br />
können.<br />
Sachverhalt: Landolt et al. (2004) stellten fest, dass 15 – 20% aller<br />
aufgrund eines Verkehrsunfalles hospitalisierten Kinder Symptome einer<br />
posttraumatischen Belastungsstörung zeigten. Kinder im Krankenhaus<br />
sind meist nur schon wegen ihres Aufenthaltes im Krankenhaus gestresst.<br />
Behandlungen können ausserdem als Misshandlungen oder Übergriffe auf<br />
Körper und Seele erlebt werden. Seit frühester Kindheit chronisch kranke<br />
Kinder sind oft traumatisiert.<br />
Frühkindlicher Stress (welcher schon im Mutterleib beginnen kann) löst<br />
eine veränderte Gehirnentwicklung aus. Betroffen sind vor allem das<br />
limbische System, der präfrontale Cortex, der Hippocampus und der<br />
Balken (Corpus callosum).<br />
Chronischer Stress kann das Lernen während des ganzen Lebens<br />
beeinträchtigen. Ein zu hoher Spiegel an Acetylcholin und Cortison<br />
während des Schlafens hält uns davon ab, in den Delta-Schlaf zu fallen, in<br />
welchem der Hippocampus seine Inhalte (das, was wir während des Tages<br />
gelernt und erlebt haben) in den Neocortex (das Langzeitgedächtnis)<br />
verschieben könnte (Born & Kraft, 2004).<br />
Stresshormone sind es auch, die uns in Prüfungssituationen mit Blackouts<br />
dumm dastehen lassen.<br />
Stress hat einen umgekehrten U-Form-Effekt auf das Lernen: Zu viel oder<br />
zu wenig Stress behindert das Lernen.<br />
Konsequenzen: Bei unserer Arbeit mit chronisch kranken Kindern<br />
müssen wir diese Fakten einbeziehen. „Sichere (nadelfreie) Orte“ und<br />
Zeiträume sind nötig, damit stressfreies Lernen und Spielen möglich sind.<br />
Kliniklehrer/innen müssen verlässlich, achtsam, unterstützend und positiv<br />
sein und das Kind darin unterstützen, in Aktivitäten „einzutauchen“, die<br />
die Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1997) fördern und einen<br />
„Flow“ (Csíkszentmihályi) oder die „Polarisation der Aufmerksamkeit“<br />
(Montessori) ermöglichen, also aus intrinsischer Motivation erfolgen und<br />
zu der so genannten „Dopamindusche“ führen.<br />
Fazit: Chronischer Stress macht dumm, depressiv, dick und krank. Unsere<br />
Aufgabe als multidisziplinäres Team rund um das chronisch kranke Kind<br />
und speziell als Kliniklehrer/innen ist es, Stress möglichst zu vermeiden<br />
oder wenigstens zu reduzieren und eine möglichst gesunde Entwicklung<br />
zu unterstützen.<br />
Zaubern macht Sinn - Zaubertricks im Unterricht mit kranken<br />
Kindern und Jugendlichen<br />
Fedor Lantzsch<br />
Zauberer, Stuttgart<br />
Edith Ramminger<br />
Sonderschullehrerin, Schule für Kranke, Tübingen<br />
1. Warum Zaubertrick im Unterricht der Schule für Kranke?<br />
– einige Anregungen dazu<br />
• Zauberkunststücke mit geeigneten Geschichten und Methapern helfen<br />
Kindern, sich zu entspannen und Ängste, beispielsweise vor einer<br />
anstehenden Operation zu verringern.<br />
• Kinder und auch ihre Eltern stehen im Krankenhaus häufi g unter Ängsten<br />
und unter Druck. Wenn Kinder dann Zaubertricks beherrschen und<br />
möglicherweise den Eltern vorführen, steht nicht mehr die Krankheit im<br />
Mittelpunkt. Die Kinder erhalten darüber Gelegenheit aktiv zu werden –<br />
eine Gegenrolle zu der des passiven Patienten<br />
• Zaubertricks beherrschen und damit die Umgebung zu faszinieren,<br />
hinterlässt positive Spuren in der Erinnerung an die Krankenhauszeit.<br />
• Kranke Kinder brauchen Trost, Unterstützung, Ablenkung, Ermutigung<br />
und Erlebnisse, die das Selbstwertgefühl stärken und schulen.<br />
Zaubertricks erleben und Zaubertricks lernen, sie perfektionieren und<br />
sie, wenn möglich, vorführen ist eine erfolgversprechende Möglichkeit<br />
für eine kurzweilige und wenigstens in Teilaspekten gewinnbringende<br />
Zeit in der Klinik<br />
• Die Kindergruppe einer Kinder- und jugendpsychiatrischen<br />
Klinik übte erfolgreich für eine Zaubervorstellung. In den stark<br />
strukturierten Gruppensitzungen mit angeleiteten Entspannungs-<br />
und Schauspieltraining war neben dem Herstellen von kleinen<br />
Zauberkunststücken vor allem das Herstellen einer „magischen<br />
Atmosphäre“ bedeutsam. ( Anneliese Neumayer)<br />
2. Zaubertricks und Lernen<br />
• In fast allen Unterrichtsfächern können Zaubertricks den Unterricht<br />
methodisch und didaktisch bereichern.<br />
• Bei Zahlentricks werden die Grundrechenarten geübt; das Herstellen<br />
der Tricks verlangt geometrische Grundkenntnisse. Für Kinder mit<br />
Lernproblemen sind gerade „mathematische Kunststücke“ sehr gut<br />
geeignet. Ein Kind, das beim Erwerb der „Kulturtechniken“ negative<br />
Erfahrungen gemacht hat, genießt es, mit Zahlenspielen zu beeindrucken.<br />
• Das Fach Deutsch wird beispielsweise das Leseverständnis trainiert,<br />
wenn Zaubertricks gelesen und verstanden werden sollen. Beim<br />
Vorführen sind kommunikative und gestaltende Fähigkeiten gefragt und<br />
werden auch geschult.<br />
• Naturwissenschaftliche Phänomene können Thema werden, wenn<br />
Tricks analysiert werden.<br />
• Nicht zuletzt wird über das Ziel der Vorführung die gesamten musischen<br />
und kreativen Potentiale des Schülers angesprochen und gefördert.<br />
• Kinder mit dem Aufmerksamkeitsdefi zitsyndrom sind geradezu<br />
„gierig“ danach zaubern zu lernen. Anfangs begeistert, sind sie bei<br />
Ausdaueranforderungen schnell frustriert. Sie brauchen dann einfache<br />
Zauberkunststücke, die binnen einer Stunde publikumsreif sind. Diese<br />
Kinder brauchen eine klare Strukturierung und Planung.<br />
3. Voraussetzungen, um Zaubertricks zu unterrichten<br />
• Der Lehrer braucht ein solides Grundwissen an Zaubertricks, die er mit<br />
ansteckender Lust vorführen können sollte.<br />
• Der Lehrer muss wissen, welche Tricks unter welchen Unterrichtsbedingungen<br />
günstig sind:<br />
Zum Beispiel Vorhersagezaubereien und Bilderbuchtrick für den Schüler im<br />
Einzelunterricht in der Isolierstation. (wenig Material, nur aus Papier, Tricks<br />
zum basteln). Meist wird der Schüler mit seinen Künsten in ausgesuchten<br />
kommunikativen Situationen glänzen können. Mit dem erworbenen Wissen<br />
hat der Schüler für die Zukunft einen Schatz für Aufführungen.<br />
Für die Schüler im Gruppenunterricht in der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
sind alle möglichen Tricks denkbar (beginnen sollte man mit ganz einfachen<br />
Tricks, sogenannten Selbstläufern), die mit dem Ziel einer Aufführung über<br />
eine bestimmte Zeit hinweg eingeübt werden sollten.<br />
Jeder Schüler sollte dann an dem gemeinsamen Repertoire üben. Zauberhut,<br />
Zauberkiste, Zaubersprüche, Zaubermusik, Rhythmusinstrumente, all<br />
die publikumswirksamen Attribute sollten in diesen Projekten eine Rolle<br />
spielen.<br />
4. Beispiele dafür wofür Zaubertricks gut sein können<br />
• Zaubern zur Kontaktaufnahme (diese Tricks, wie z.B. „Ente und Tuch“<br />
werden nicht aufgelöst)<br />
• Zaubern als sympathischer Fluchtpunkt<br />
• Zaubern und Lernen<br />
• Lernen in Gruppen und Vorführung<br />
Zwei Pole (Isolierstation und Gruppenunterricht) für mögliche Un terrichts<br />
orte mit Beispielen für Zaubertricks. (Liste ist offen und variabel – es<br />
werden nur die Tricks genannt, die im Workshop geübt wurden).<br />
KMT/ Einzelsituation am Krankenbett<br />
Stehendes Seil , Malbuch, Elefant, Zahlentricks, Bilderrätsel<br />
Psychiatrie/ Arbeit mit Gruppen<br />
Becherspiel, Stehendes Seil , Malbuch, Elefant, Zahlentricks, Bilderrätsel<br />
Elemente einer Aufführung : siehe PPP Tipps für Aufführungen<br />
Zusammen gefasst:<br />
Wenn der Kliniklehrer dem kranken Schüler Zaubertricks beibringt passiert<br />
häufi g zweierlei:<br />
dem Schüler gelingt es oft, die Krankheit zeitweilig zu vergessen und das<br />
Lernen ist ganzheitlich und spielt eine zentrale Rolle, denn Zaubertricks<br />
verlangen Verstand und Training.
100 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
101<br />
Literaturhinweise; Links<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
Annalisa Neumeyer – zwei Bücher zum Thema<br />
Mit Feengeist und Zauberpuste, 2009<br />
Wie Zaubern Kindern hilft, 2009<br />
www.therapeutisches –zaubern.de<br />
Ulrich Rausch – ein Buch und ein Internetauftritt<br />
Zauber- Fundgrube: Kunststücke für Schüler und Lehrer im Unterricht (Cornelson Verlag)<br />
www.circus-mignon.de<br />
Das Recht des kranken Kindes auf Bildung<br />
Gerd Falk-Schalk<br />
Präsidentin von <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation of Peagogues<br />
in Europe)<br />
Während des <strong>HOPE</strong> Kongresses in München nahmen rund 20 Teilnehmer,<br />
<strong>HOPE</strong> Mitglieder aus aller Welt, am <strong>HOPE</strong> Workshop 15 Teil: „Das Recht<br />
des kranken Kindes auf Bildung zu Hause oder im Krankenhaus“.<br />
Fast alle trugen sich ein für eine Neu-Auflage des Workshops.<br />
Folgende Punkte standen auf der Tagesordnung:<br />
1. Aktualisierung der Sprache der <strong>HOPE</strong> Charta und des ‚Standard‘<br />
(Der ‚Standard‘ unter<br />
www.hospitalteachers.eu/winfos/ap_detail.php?recordID=04<br />
erklärt ausführlicher die 10 Punkte der Charta.)<br />
2. Diskussion einer Strategie für die bestmögliche Umsetzung der Charta<br />
und des Standard<br />
3. Wahl eines Workshop Koordinators<br />
Alexander Wertgen, Düsseldorf, gab eine kurze Einführung auf der Basis<br />
seiner eigenen Arbeit und Analyse der <strong>HOPE</strong> Charta. Aus seiner Sicht hat<br />
die Charta weiterhin Aussagekraft und braucht nur geringe Änderungen.<br />
Der Hauptkritikpunkt liegt in der Verwendung des Begriffs ‚sick child‘ in<br />
der englischen Version.<br />
Günter Brehm, Lörrach, berichtete über seine Arbeit als Vertreter für <strong>HOPE</strong><br />
bei den Sitzungen der Nicht-Regierungsorganisationen beim Europarat/<br />
Council of Europe in Straßburg. Aus seiner Erfahrung fand er es notwendig<br />
darauf hinzuweisen, dass der Europarat, bzw. das Council of Europe www.<br />
coe.int nicht mit der Europäischen Union verwechselt werden darf. Das<br />
CoE hat 47 Mitgliedsländer und wurde 1949 gegründet. Im Jahr 2011 feiert<br />
es 50 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische<br />
Sozialcharta. <strong>HOPE</strong> ist berechtigt, Klage zu führen bei Verstößen gegen<br />
die Sozialcharta (nur 12 der 47 Länder haben zugestimmt, Klagen gegen<br />
sich aufzugreifen).<br />
Nach einer Vorstellung der Teilnehmer teilte sich der Workshop in<br />
Arbeitsgruppen, um die Charta zu diskutieren und Vorschläge für<br />
Aktualisierungen zu machen.<br />
Ein Teilnehmer machte den Vorschlag, die UN Behindertenrechtskonvention<br />
zu den Grundlagen-Texten des Workshop 15 hinzuzufügen.<br />
Ziel des Workshops ist es, eine neu formulierte Fassung der<br />
Generalversammlung 2012 in Amsterdam vorlegen zu können. Alle<br />
Interessierte an diesem Prozess werden gerne in die Workshop-Mailing-<br />
Liste aufgenommen. Nachricht bitte an Workshop-Koordinatorin Gerd<br />
Falk-Schalk unter folgender E-Mail-Adresse: 018.252682@telia.com.<br />
Leider gab es nicht genügend Zeit für eine weitere Diskussion der Strategie-<br />
Arbeit, auch nicht für die Wahl eines neuen Koordinators. Die Gruppe wird<br />
weiterhin per E-Mail zusammenarbeiten und die Unterzeichnende wird<br />
die Aufgabe der Koordinatorin beibehalten bis eine neue Person für die<br />
Funktion gefunden ist.<br />
Zwischenlösungen 1 – Hausunterricht bis Schulabschluss –<br />
gemischter Schulbesuch<br />
Mona Meister<br />
Schulleiterin Schule für Haus- und<br />
Krankenhausunterricht Hamburg<br />
Elisabeth Voigt<br />
Kliniklehrerin - Schule für Haus- und<br />
Krankenhausunterricht Hamburg<br />
Die Schule für Haus- und Krankenhausunterricht (HuK) ist für die Versorgung<br />
von kranken Schülerinnen und Schülern in ganz Hamburg zuständig.<br />
Wir haben folgende Bereiche:<br />
• Hausunterricht<br />
• Klinikschulen (Pädiatrie)<br />
• Klinikschulen (Psychiatrie)<br />
• Autismusberatungsstelle<br />
• Kooperationsprojekte mit Schulen und Jugendhilfe<br />
Es gibt ein Kollegium, das fest an der Schule arbeitet und sich aus Lehrkräften<br />
aller Schularten zusammensetzt.<br />
<strong>2010</strong> haben wir 46,5 Planstellen auf 62 Kolleginnen und<br />
Kollegen verteilt.<br />
Krankenhaus<br />
Somatik<br />
8 Lehrkräfte<br />
Davon 4 auch im<br />
HU<br />
Hausunterricht<br />
23 Lehrkräfte<br />
KJP<br />
Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie<br />
29 Lehrkräfte<br />
Beratungsstelle<br />
Autismus<br />
2 Lehrkräfte<br />
+12 KollegInnen<br />
Alle Lehrkräfte des HuK arbeiten sehr eigenverantwortlich mit den Schülerpatienten.<br />
Ziel ist ein größtmögliches Maß an Unterrichtsinhalten aber<br />
immer angepasst an den jeweiligen Gesundheitszustand. Dabei halten wir<br />
engen Kontakt zu den Schulen und den Fachlehrern.<br />
Bundesgesetze<br />
Kultusministerium<br />
gesetzliche Regelungen<br />
Verordnungen<br />
REBUS<br />
Regionale Beratungs- und<br />
Unterstützungsstellen<br />
Internate<br />
Rehaeinrichtungen<br />
HIBB<br />
Hausunterricht<br />
Klinikschule<br />
Regelschule<br />
Stammschule<br />
Neue Schule<br />
Klinik / Station<br />
Therapeuten /Ärzte<br />
Sozialpädagogen /<br />
Erzieher<br />
Ergo-, Kunst-, und<br />
Bewegungstherapeuten<br />
Pflegedienst<br />
Kooperations<br />
projekte<br />
Eltern<br />
und / oder<br />
Jugendamt<br />
Selbsthilfe<br />
Wir arbeiten eng mit den Schulen, Therapeuten und Eltern zusammen.<br />
Hohe Priorität hat bei unseren Angeboten immer, dass die Schülerinnen<br />
und Schüler schnellstmöglich wieder am Klassenunterricht teilnehmen.<br />
Wenn sie krankheitsbedingt aber noch nicht das volle Unterrichtspensum<br />
schaffen oder weiterhin hohe Fehlzeiten haben, begleiten wir durch unsere<br />
mobilen Lehrkräfte. Bei chronischen Erkrankungen begleiten wir bei<br />
Bedarf auch jahrelang.<br />
Wir bieten dazu:<br />
• Unterrichtsinhalte parallel zur Klasse<br />
• Arbeiten können unter Aufsicht der Kollegen im Hausunterricht oder in<br />
der Klinikschule geschrieben werden<br />
• Klausurersatzleistungen<br />
• Anfertigen von Referaten als Ersatz für mündliche Noten<br />
Bei chronischen Erkrankungen darüber hinaus:<br />
> Unterstützender Unterricht Zuhause<br />
> Enge Zusammenarbeit mit den Fachlehrern<br />
> Verkürzung des Stundenplans z.B. durch Streichung von „unnötigen“<br />
Fächern<br />
Wenn nötig:<br />
> Notengebung zusammen mit den Lehrern der Schule<br />
> Übernahme von einzelnen Fächern durch den HU<br />
> Ermöglichen von verlängerten Abschlussjahren z.B. geteiltes Abitur in<br />
mehreren Teilen nach 3-4 Jahren statt alle Prüfungen nach 2 Jahren<br />
Oberstufe<br />
Wir begleiten so lange<br />
• bis der Anschluss an die Klasse geschafft ist.<br />
• bis die Angst vor dem Versagen nach der langen „Pause“ reduziert ist.<br />
• bis die Lehrerkräfte sicher sind, dass das Kind wieder Tritt gefasst hat.<br />
Die Schulen können von uns erwarten:<br />
• Beratungsgespräche in den Schulen mit Lehrern, Schülern und Eltern<br />
• Vereinbarungen zu Klausur- bzw. Prüfungsbedingungen, die an die Erkrankungsfolgen<br />
angepasst sind.<br />
• Verbesserung der Situation im Schulalltag<br />
• Begleitete Rückkehr in die Klasse<br />
• Beratung bezüglich des Nachteilsausgleichs<br />
Auf Schulleitungsebene:<br />
• Beratung der Schulleiter über rechtliche Spielräume des Nachteilsausgleichs<br />
• An die Krankheit angepasste Klausur- bzw. Prüfungsbedingungen finden<br />
• Teilnahme der HuK-Leitung an runden Tischen<br />
• Ansprechpartner für Schulaufsicht und Rechtsabteilung der Schulbehörde<br />
Beispiele:<br />
• Mittelstufe: Florian<br />
• Oberstufe: Hanna<br />
Vivian<br />
Nora<br />
Florian<br />
Florian leidet seit etlichen Jahren am „overgrowth“ Syndrom. (= Überwucherung<br />
der normalen Dünndarmflora durch Keime des Dickdarmes)<br />
Die Auswirkungen sind ähnlich wie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen:<br />
• Malabsorption (Fehlaufnahme) verschiedener Nahrungsbestandteile<br />
mit nachfolgenden Blähungen nach dem Essen<br />
• Mundgeruch durch Resorption und Lungenabatmung von Darmgasen.<br />
Diese entstehen durch Verstoffwechselung der Nahrung durch Dickdarmkeime.<br />
• Allergien durch Antigenüberflutung, da eine verstärkte Schleimhautdurchlässigkeit<br />
besteht.<br />
• Durchfälle oder breiige Stühle<br />
All diese Symptome sind für Florian extrem peinlich – er vermeidet es<br />
darüber zu sprechen.<br />
Treffen mit Florian in seiner 9. Klasse, 1. Durchgang, Frühjahr/Sommer<br />
2008<br />
Florian hatte zu Beginn unserer Zusammenarbeit bereits sehr viele Fehltage<br />
wegen der damals nicht klar diagnostizierten Darm-Problematik. Zu-<br />
sätzliches Mobbing erhöhte die Zahl der Fehltage.<br />
Florian ging in der Zeit unseres begleitenden Hausunterrichtes unregelmäßig<br />
zur Schule – je nach Gesundheitszustand. Ebenso daran ausgerichtet<br />
waren unsere Arbeitstreffen unregelmäßig.<br />
Er hielt von sich aus den Kontakt zu seinen Fachlehrern seiner Schule und<br />
lehnte die Unterstützung durch die Hauslehrerin diesbezüglich ab.<br />
Er erhielt auch Material von den Fachlehrern, empfand im Nachhinein dennoch<br />
die Zusammenarbeit zwischen uns und ihnen als ungenügend.<br />
Trotz unseres erfolgreichen begleitenden Hausunterrichtes entschied Florian<br />
sich, dem Mobbing zu entgehen, indem er die Klasse wiederholte.<br />
Florian muss regelmäßig zu Beginn jeder Ferien ins Krankenhaus, um sich<br />
„aufpäppeln“ zu lassen.<br />
Er kommt im Moment ohne den HuK aus, weiß aber, dass er uns jederzeit<br />
wieder beanspruchen darf.<br />
Fragen an Florian und an die Eltern<br />
Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />
möchten wir dich bitten uns aus deiner Sicht als Schüler/in eine Rückmeldung<br />
zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts für<br />
dich war.<br />
Antwort Florian:<br />
1. Wie bist Du zum HuK gekommen?<br />
Durch Anfrage bei der Schule aufgrund einer Erkrankung und dem dadurch<br />
bedingten Unterrichtsausfall.<br />
2. Was war für Dich das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
Versuch der Aufrechterhaltung des Lernpensums, Füllen von Unterrichtslücken,<br />
flexible Einsatzzeiten der Hauslehrerin<br />
3. Was hättest Du Dir darüber hinaus gewünscht?<br />
Bessere Zusammenarbeit zwischen Schule und Hauslehrern.<br />
Antwort Eltern:<br />
1. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />
Wir sind im Zuge von Besprechungen mit dem Alexander-von-Humboldt-<br />
Gymnasium anlässlich der zunehmenden krankheitsbedingten Ausfallzeiten<br />
unseres Sohnes von Seiten der Schule auf dieses Angebot aufmerksam<br />
gemacht worden.<br />
2. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
Schnelle Verfügbarkeit, flexibler Lehreinsatz, Umfang und Qualität der angebotenen<br />
Lehrtätigkeit.<br />
3. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />
Gesundung unseres Kindes ;-)<br />
Bessere Mitwirkung der Schullehrer bei der Weitergabe von Lehrstoffen<br />
und -material<br />
Uwe L.<br />
Neben Florian unterrichten wir in Hamburg häufig Schüler mit chronisch<br />
entzündlichen Darmerkrankungen, die ihre Unterstützung sehr individuell<br />
und nach dem jeweiligen Gesundheitszustand abfordern.<br />
Als Nachteilsausgleich vereinbaren wir häufig:<br />
• Flexible Fehlzeitenregelungen<br />
• Hausaufgabenerlass bei großer Erschöpfung<br />
aber auch<br />
• Benutzung der Lehrertoiletten oder Rollstuhlfahrertoiletten (eigener<br />
Schlüssel)<br />
• Rückzugsmöglichkeit mit Liege bei Bauchschmerzen<br />
Hanna<br />
Hanna leidet an Depressionen mit ausgeprägter Angsterkrankung. Sie hat
102 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
103<br />
den Realschulabschluss mehr schlecht als recht geschafft und wurde danach<br />
außerhalb Hamburgs stationär behandelt.<br />
Während der Behandlung kommt es zu unerwarteten Nebenwirkungen der<br />
Medikamente. Hanna ist in dieser Zeit zu keinerlei Unterricht fähig.<br />
Erstes Treffen im Mai 2008.<br />
Hanna hat nach dem fast einjährigen Klinikaufenthalt wieder angefangen<br />
zu lernen – sie ist sprachbegabt und besucht ein Fremdspracheninstitut<br />
um Persisch zu lernen.<br />
Ihr Wunsch:<br />
Besuch der Oberstufe eines Gymnasiums - keine Wiederholung<br />
Angebot des HuK:<br />
• Überprüfung des Leistungsstand in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathe<br />
und NW<br />
• Einschätzung, der Kollegen, dass sie die Oberstufe schaffen kann.<br />
Leistungen des HuK<br />
• Suche nach einer neuen Schule, die bereit ist Hanna trotz schlechtem<br />
Realschulabschluss und nicht besuchter 11. Klasse in die Oberstufe aufzunehmen<br />
• Garantie für den aufnehmenden Schulleiter, dass im Falle von auftretenden<br />
Schwierigkeiten der HuK in der Verantwortung bleibt.<br />
• Garantie den begleitenden Unterricht nach Bedarf fortzusetzen.<br />
• Begleitender Unterricht in Deutsch, Philosophie, Mathe und Englisch<br />
nach Bedarf<br />
Hanna nimmt das Angebot sehr gewissenhaft und dosiert an. In Phasen, in<br />
denen es ihr gut geht, greift sie nicht auf die möglichen Stunden zurück.<br />
Sie fragt die Stunden regelmäßig vor Arbeiten ab und koordiniert alles gut.<br />
In Phasen, in denen es ihr schlecht geht, braucht sie viel Unterstützung.<br />
Zum Teil finden Motivationsgespräche mit der Leitung des HuK statt.<br />
Hanna will bewusst keine Sonderregelungen im Sinne des Nachteilsausgleichs<br />
in Anspruch nehmen.<br />
Kurz vor dem Abi kommt es zu einer dramatischen Verschlechterung ihres<br />
Gesundheitszustands.<br />
Die Fehlzeitenquote wird für sie außer Kraft gesetzt. Es finden mehrere<br />
Krisengespräche der HuK-Leitung bei ihr zuhause statt. HuK-Leitung und<br />
Schulleitung sind in engem Kontakt.<br />
Hanna schafft es, ihr Abi regulär mit zu schreiben und erreicht einen guten<br />
Notendurchschnitt.<br />
Zurzeit ist sie im Ausland. Sie kann deshalb auch nicht bei diesem Workshop<br />
mitmachen, wie wir es ursprünglich gemeinsam geplant hatten.<br />
Die Fragen stellten wir deshalb der Mutter:<br />
Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />
möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht als Mutter/Vater eine Rückmeldung<br />
zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei<br />
Ihrem Kind für Sie bzw. die Familie war.<br />
Antwort der Mutter<br />
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
1.) Wie sind Sie zum HUK gekommen<br />
Während eines Klinikaufenthaltes unserer Tochter lernten wir Herrn Prof.<br />
Schulte-Markwort kennen. Er gab uns die Nummer vom HuK und wir meldeten<br />
uns dann bei Frau Mona Meister. Wir wurden sehr herzlich von Frau<br />
Meister aufgenommen und kompetent unterstützt. Meine eigenen Versuche,<br />
meine Tochter Hanna nach dem Klinikaufenthalt wieder in die Schule<br />
zu integrieren schlugen fehl, auch die persönliche Vorsprache bei der für<br />
uns zuständigen Behörde hatte leider keinen Erfolg. Erst durch den Kontakt<br />
und den unermüdlichen Einsatz der HuK-Leitung ist die Rückkehr in<br />
die Schule möglich gewesen. Wir sind unendlich dankbar, Frau Meister an<br />
unserer Seite gehabt zu haben !!!<br />
2.) Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot ?<br />
Sehr wichtig war für mich als Mutter, in dem HuK endlich auf unserer Odyssee<br />
eine Institution gefunden zu haben, die sich unserem Problem annimmt<br />
und ihre Hilfe anbietet. Vom ersten Treffen an hatte ich nach Monaten voller<br />
Hoffnungslosigkeit endlich das Gefühl, „da ist jemand, der ist für dich da und<br />
sagt nicht nur, dass er helfen würde, nein, er tut es auch !!<br />
Sehr wichtig war auch die Auswahl der HuK Lehrkräfte. Mit Frau Kömen wurde<br />
unserer Tochter eine Lehrkraft an die Seite gestellt, die nicht nur fachlich,<br />
sondern auch menschlich mit unserer Tochter wunderbar harmonierte. Frau<br />
Kömen war in der Lage, in unserer Tochter die Liebe zur Literatur zu entdecken.<br />
Dank dem HuK hat unsere Tochter den Einstieg nach einer einjährigen<br />
Schulpause geschafft und ein tolles Abitur gemacht. (Wie es uns ohne die<br />
Hilfe des HuK ergangen wäre möchte ich gar nicht ausmalen)<br />
Wir danken dem HuK und vor allem Frau Meister und Frau Kömen von<br />
ganzem Herzen !!!<br />
3.) Was haben Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />
Wunschlos glücklich !!<br />
Vivian<br />
Anzeichen einer schweren Krankheit seit Sommer 2006 – endlose Arztbesuche,<br />
Diagnose Anfang Februar 2007: Hydrocephalus<br />
Ende Februar 2007: Hirn-OP<br />
Im Frühjahr intensive Schul-Suche – noch ohne Unterstützung vom HuK<br />
Während der ambulanten Reha im Juni 2007 erfuhr Vivian von uns<br />
Erster Kontakt mit dem HuK im Herbst 2007; Vivian wiederholt die 12. Klasse<br />
Beginn des schulbegleitenden Hausunterrichts für Vivian<br />
Auswirkungen ihrer Erkrankung;<br />
• Große Probleme beim Lesen - kein „Überblick“ über die Arbeitsblätter<br />
• Konzentrations- und Gedächtnisstörungen<br />
• Schnelle Ermüdung<br />
Angebot des HuK:<br />
• Vivian koordiniert alle Stunden mit uns selbst.<br />
• Sie erhält über 2 Jahre Unterricht nach Bedarf in Mathe, Chemie, Englisch,<br />
Deutsch, Geographie und Gemeinschaftskunde<br />
• 3 KollegInnen treffen Vivian bei ihr zu Hause, in einem nahe bei ihrer<br />
Wohnung gelegenenSchulraum oder in der Schule.<br />
• Wir stehen in engem Kontakt mit den FachkollegInnen der Schule.<br />
Nachteilsausgleich:<br />
• Vivian hat während der 4 Semester folgende Nachteilsausgleichsregelungen:<br />
• Sie erhält Klausur-Texte am Tag vor der Klausur<br />
• sie kann alle Themen aus dem Unterricht mit uns nacharbeiten<br />
• sie braucht nicht an allen Fächern teil zu nehmen, die „Pflicht-Stundenzahl“<br />
wurde als Abitur-Grundlage anerkannt<br />
Vivian hatte während der Abitur-Prüfungen als besondere Regelungen,<br />
dass:<br />
• ihre HuK-Lehrerin ihr als Assistentin während der Klausuren zur Verfügung<br />
stand<br />
• Die Prüfungszeit um 60 Minuten verlängert war.<br />
Wir haben Vivian und ihren Eltern folgende Fragen gestellt:<br />
Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />
möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht als Mutter/Vater eine Rückmeldung<br />
zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei<br />
Ihrem Kind für Sie bzw. die Familie war.<br />
Antwort der Mutter:<br />
4. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />
Durch Rebus Mitte (Grabenstraße), dazu kam ich durch eine interessierte<br />
Bekannte die Lehrerin ist.<br />
5. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
a. Die entsprechende nötige Hilfe für Vivian, wieder in den Schulalltag<br />
rein zukommen.<br />
b. Begleitendes und unterstützendes Lernen in Fächern bei denen Vivian<br />
am dringendsten Bedarf hat.<br />
• Dass Vivian Selbstsicherheit und Selbstvertrauen gewinnt und das<br />
Bewusstsein kriegt, sie kann alles schaffen was sie wirklich will!<br />
6. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />
Nichts, ich war froh, dass ich wusste was ich für Vivian wollte und das<br />
meinen AnsprechpartnerInnen gegenüber deutlich machen konnte.<br />
Antwort der Schülerin:<br />
4. Wie bist Du zum HuK gekommen?<br />
Über eine bekannte meiner Mutter, sie ist Lehrerin und hat uns Rebus<br />
empfohlen und so bin ich dann in Kontakt mit Mona Meister bzw. zu HuK<br />
gekommen.<br />
5. Was war für Dich das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
Es war für mich sehr wichtig und hilfreich regelmäßig (~ einmal wöchentlich)<br />
Hilfe und Unterstützung in den wichtigsten und schwierigsten Fachen<br />
zu bekommen und somit meine Defizite auszugleichen bzw. aufzuarbeiten.<br />
Durch die Terminbindung hatte man schon einen Schritt der Disziplin hinter<br />
sich, alleine hätte ich das alles nicht so gut schaffen können, wenn<br />
überhaupt.<br />
> die fachliche Kompetenz der Lehrer<br />
> soziale Kompetenz (von Elisabeth) in jeglichen Situationen<br />
> Bewerbungstraining, Wie geht man im weiteren Leben mit seiner Erkrankung<br />
um, aber auch der Austausch mit anderen die ähnliche/andere Erfahrungen<br />
machten<br />
6. Was hättest Du Dir darüber hinaus gewünscht?<br />
Nichts weiter, ich denke für mich hätte es nicht besser kommen können<br />
zumal ich bis dahin dachte ich müsste alles alleine schaffen und nicht<br />
wusste das es auch für solche Schicksale eine Anlaufstelle gibt, dies wäre<br />
auch der einzige Punkt<br />
> die Verbreitung solcher Instanzen, dass die Gesellschaft weiß wenn so<br />
etwas passiert, an wen sie sich wenden kann, die auch mit solchen Fällen<br />
vertraut sind. (z.B. Krankenkassen, Krankenhäuser, Schulen, Kinder-<br />
& Jugendtherapeuten, etc.)<br />
Nora<br />
• Nora wurde im Oktober 2006 krank. Bis Februar 2007 verschiedene<br />
Krankheitsausbrüche, (Fehl-)Diagnosen, Psychiatrie-Aufenthalt, Medikamentengaben<br />
– dann die Diagnose: Hashimoto Syndrom<br />
• Bis heute leidet sie unter Symptomen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen,<br />
Muskel- und Gelenkschmerzen. Häufige Unterbrechung des<br />
Nachtschlafes, Blasenprobleme und Nebenwirkungen der Medikamente<br />
bereiten ihr große Probleme.<br />
Erster Unterricht des HuK während der Diagnostik in der Klinik durch die<br />
Kollegen der dortigen Klinikschule. Danach Antrag auf Hausunterricht.<br />
• erstes Treffen mit uns bei ihr zu Hause im Februar 2007, damals war<br />
Nora in der 9. Klasse.<br />
Nachteilsausgleich:<br />
Nora hat neben der Unterstützung durch Hausunterricht folgende „Sonderregelungen“<br />
erhalten:<br />
• deutlich reduzierter Stundenplan<br />
• HS-Abschluss-Prüfung wurde erlassen, da der Realschulabschluss erwartet<br />
werden konnte.<br />
• Nora durfte nach Hause gehen, sobald sie erschöpft war<br />
• ihr wurde das Praktikum erlassen. In dieser Zeit erhielt sie intensiv Hausunterricht<br />
• schulbegleitender Unterricht nach Bedarf von Februar 2007 bis Sommer<br />
2008<br />
Einjährige Pause. Nora schaffte die 11. Klasse allein.<br />
• Im Sommer 2009 erneuter Krankenhaus-Aufenthalt, neue Medikamenten-Gabe<br />
• Seit Sommer 2009 unterrichten 2 Kolleginnen Nora regelmäßig in Mathe<br />
und Englisch<br />
• reduzierter Stundenplan bis heute<br />
Die Kolleginnen aus dem Hausunterricht können auf eine gute Zusammenarbeit<br />
mit den Stufen-Koordinatoren bauen.<br />
Der Kontakt zu den Fachkollegen der Schule spielt derzeit kaum eine Rolle,<br />
da Nora selbständig ihre Unterstützung managt.<br />
Wir haben Nora und ihren Eltern folgende Fragen gestellt:<br />
Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />
möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht eine Rückmeldung zu geben,<br />
wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei Ihrem Kind, für Sie<br />
bzw, die Familie war.<br />
Antwort Eltern:<br />
7. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />
Eine Freundin, die selber als Lehrerin tätig ist wusste von dieser Organisation<br />
und informierte uns nachdem es meiner Tochter besser ging. Wir<br />
nahmen Kontakt mit dem HuK auf und Nora wurde schnell ohne bürokratische<br />
Probleme geholfen<br />
8. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
• Mir war es wichtig, da Nora auf Grund ihrer Krankheit nicht wie gewöhnlich<br />
den vollen Unterricht besuchen konnte, den Anschluss nicht verpasst<br />
und deshalb als Ausgleich die Unterstützung von dem HuK bekam.<br />
• Das Angebot an Lehrern, die zu einem nach Hause kommen, und die<br />
Unterstützung auch wenn man nach einiger Zeit noch Hilfe braucht oder<br />
zwischen durch mal Pause machen möchte.<br />
• Der HuK unterstützte uns, sprach mit den Lehrern, damit auch die bescheid<br />
wussten und entlasteten uns als Eltern und unsere Tochter.<br />
• Die Offenheit für jedes Problem und die mögliche Lösung dazu.<br />
9. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />
Wir sind sehr zufrieden und haben somit keinerlei Wünsche mehr offen.<br />
Antwort Schülerin:<br />
a. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />
Eine Freundin meiner Mutter, die selber als Lehrerin tätig ist, hat uns auf<br />
dieses Thema angesprochen und verhalf uns zum Kontakt mit dem HuK.<br />
b. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />
Das wichtigste für mich ist, dass ich gar nicht wusste wir viel ich mir selber<br />
zumuten konnte und der HuK mich ein bisschen gezügelt hatte. Im Nachhinein<br />
war das so viel besser, denn nur so kam ich mit Allem was außerhalb<br />
der Schule noch nötig war hinterher. Die Lehrer wurden informiert, über<br />
das was mich in den letzten 3 Monaten belastet hatte und so wurde mir<br />
die Zeit um einiges erleichtert und Kompromisse und Unterstützung waren<br />
gegeben. Alleine diese Organisation hat mir geholfen und natürlich der<br />
Unterricht, denn ohne den hätte ich bestimmt Wiederholen müssen geschweige<br />
denn wäre ich jetzt in der Oberstufe.<br />
c. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />
Ich bin sehr zufrieden und habe somit keinerlei Wünsche mehr offen.
III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />
104 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
105<br />
Living Karaoke - Freue dich an etwas Musik und komm in die Band!<br />
Ein Modell für die Beteiligung von Schülern im Krankenhaus am<br />
Musizieren als Orchester<br />
Klas Brunander<br />
Schulleiter, Linköping, SCHWEDEN<br />
Elisabeth Karelid<br />
Lehrerin, Linköping, SCHWEDEN<br />
Nina Lindberg<br />
Lehrerin, Linköping, SCHWEDEN<br />
Ronny Nordenjack<br />
Lehrer, Linköping, SCHWEDEN<br />
Die Krankenausschule Linköping in Schweden hat über die Jahre verschiedene<br />
Methoden entwickelt in den Fächern Kunst und Musik.<br />
In Musik gibt es zwei Unterrichtsstunden pro Woche. Dabei musizieren<br />
wir als Orchester, wobei sich die Schülerinnen und Schüler je nach Können<br />
und Interesse beteiligen. Sie übernehmen die Rolle des Schlagzeugers,<br />
des Gitarristen, Cellisten oder spielen ein anderes Instrument. Viele sind<br />
glücklich, wenn sie als Sänger oder im Chor mitmachen können.<br />
Man kann sagen, es entsteht ein lebendiges Karaoke. Es hat eine sehr gute<br />
Wirkung auf die Schüler, und auch auf andere Besucher unserer Schule.<br />
Unsere Grund-Idee ist es, Schüler im Musikzimmer zu haben und wir als<br />
Lehrer singen und spielen zusammen mit ihnen. Wir einigen uns darauf,<br />
was wir singen wollen.<br />
In unserem Workshop in München spielten wir Musik von ABBA, den Beatles,<br />
Cash, usw.<br />
Das Erstaunliche ist, wie viel Freude es macht zu spielen und zu singen.<br />
Wir glauben, dass Musik einen sehr wertvollen Beitrag leisten kann bei der<br />
Genesung der Schülerinnen und Schüler.<br />
For the Best - a participatory arts project<br />
Manuela Beste<br />
Headteacher, Evelina Hospital School, London, UK<br />
Following are excerpts from a report about a year long collaboration between<br />
Evelina Children’s Hospital School, the Unicorn Theatre, primary<br />
schools and artists and performers in London, conceived by artist Mark<br />
Storor and produced by educationalist Anna Ledgard. For the Best was<br />
largely funded through a Wellcome Trust Arts Award as part of a public<br />
engagement strategy to support projects that aim to inform and inspire<br />
the public about biomedical science and its social contexts.<br />
The project provided a model of interdisciplinary partnership and collaboration<br />
across multiple agencies including a hospital renal unit, a hospital<br />
school, a theatre, primary schools, artists, a fi lm maker and performers<br />
from a range of disciplines. The project has had a number of profound<br />
outcomes for participating children and families, their peers in primary<br />
schools, bio-medical and education professionals and the general public<br />
audiences for the performance.<br />
Project Activity<br />
From September 2008 Mark Storor worked as artist in residence on the<br />
Dialysis Unit with the children, hearing their stories, enabling them to<br />
create poems and to make images and entering into a reciprocal creative<br />
process with them. A team of artists worked to support the work in the<br />
school, bringing animation, sound recording and making skills to give form<br />
to the children’s ideas.<br />
Along with one of the children from the Unit Mark also devised an imagined<br />
journey drawn from images and writing the child had created that<br />
were metaphorical representations of<br />
his experience of his condition. This journey, named Out of Bounds, included<br />
a maze that had to be travelled through without crossing the bound-<br />
aries, a meeting with a tiger whose fi erceness had to be subdued and an<br />
impossible jigsaw that had to be completed blindfolded.<br />
Responding to letters sent from this child, children at Worple School and<br />
at Charles Dickens School had to travel on the Out of Bounds journey and<br />
rise to the challenge of facing diffi culties and hardships in collaboration<br />
with each other in order to succeed.<br />
A team of 6 performers took part in a 6 week devising and rehearsal process<br />
in May 2009 which resulted in the creation of an 80minute piece of<br />
theatre for public audiences. The<br />
stories of the children in the dialysis unit were the source material for<br />
the devising process and, under the guidance of Mark Storor, artists and<br />
performers kept to the essence of these stories, going back to the source<br />
material all the time, whilst bringing their own experience to it, and making<br />
something new and fresh.<br />
The performance of For the Best took place in the Clore studio, corridors<br />
and backstage areas of the Unicorn Theatre. It was attended by mixed audiences<br />
of adults and children – a total of 2,000. The show received excellent<br />
reviews, including a 5 star review in The Guardian, and was pick of the<br />
week in Time Out. The performance was accompanied by other events:<br />
a post-show talk organized in collaboration with London Arts in Health<br />
Forum (attended by 40 delegates); a masterclass for young performers<br />
(attended by 15); and a Symposium at City Hall (attended by 90 delegates).<br />
Opening Workshop<br />
Each workshop began with the participants making a drawing of their physical<br />
self whilst blindfolded. Translating the sensate experience of the<br />
body into a visual image without seeing what is being created provided a<br />
safety for those involved by removing the hesitancy that can come with<br />
expectations of making a recognisable representation. It also signalled<br />
a shift from a focus on the external world to the unique inner landscape<br />
of each participant that would deepen as the workshop progressed. The<br />
next activity encouraged a shift in language use from discursive to expressive<br />
mode. Storor asked participants to identify themselves with objects,<br />
landscapes; creatures etc.<br />
As in: If you were an animal what would you be?<br />
The responses were personal and private and at no time were any of the<br />
participants asked to explain their choices. This shift to expressing self<br />
perception through metaphor then provided the source of the visual images<br />
in the next stage of the workshop.<br />
Each of the participants then drew round a partner to provide them with a<br />
life sized outline of themselves. This outline was then fi lled with the images<br />
created earlier using whatever materials participants chose from the<br />
rich array of resources Mark Storor provided.<br />
Evelina Hospital School - The Children’s responses<br />
Child J (girl aged 15)<br />
I am a creative pepper, rich, green, smooth and bright<br />
Belonging to a sisterhood of richly coloured, lushly textured peppers:<br />
red, orange, yellow, green<br />
However, slice into my core, and deep<br />
inside my core is dark purple.<br />
My feelings, heartfelt emotion, lies in deep.<br />
I peer into the deep darkness<br />
and recognise a vein of purple jealousy stirring<br />
I push it deeper<br />
Amongst the other tubes<br />
My purple heart core<br />
Although limited make note<br />
Restricted intake – drops<br />
Limited water passes my lips but I am water.<br />
Open, clear, crystal cold, a fountain of refl ection<br />
comes to those who gaze into me.<br />
Water holds memory – mix water to substance and<br />
It can ….change things<br />
The property like magic<br />
I am hospital, my second home,<br />
A home is not always where you might expect it,<br />
I am attached, actually attached,<br />
physically, emotionally, mentally, actually,<br />
dialysis is part of me<br />
I know everyone, my other family,<br />
when you have something of myself is here<br />
People who care for you<br />
You are safe<br />
Something of myself is here<br />
Child K (boy aged 16)<br />
I am a cabbage, full, wholesome, tight close, into myself, a whole person.<br />
Compacted, my leaves like a new page open up a little at a time.<br />
The cabbage is like the journey of life, its heart lies deep rooted within the<br />
layers.<br />
I am Fire. I have great burning ambitions I always want to aim higher if you<br />
start a fi re it gradually multiply it keeps catching on if you don’t put it out. It<br />
is wild unlike the rhythms of the sea. I am like an internal fi re that suddenly<br />
burst out, sometimes calms and sometime explosive.<br />
I am Sky blue. Sky blue can give people a sense of peace. It offers opportunity,<br />
possibilities and hope. Gazing at sky blue, images appear. A<br />
wondering mind can travel from miles and miles and miles.<br />
They say the black hole can suck you in, it represents death but I don’t<br />
believe the world, life, everything will end easily. There is a point beyond,<br />
there is no black hole but there is a room and the room will never be empty.<br />
You may enter through one door and not immediately see that there is<br />
another one too. When you get used to the dark, you will have the eye to<br />
see everything far beyond your imagination.<br />
I am Romance. Music fi lls my soul and I am drenched in song. Lyrics live<br />
in my memories. A song is like a poem, they are about culture, experience<br />
and emotion. I understand the lyrics I feel the music, I know the song, but<br />
I’m hanging by a thread of desperate longing, waiting<br />
for my turn but I haven’t experience anything yet…just yet but when it comes<br />
my whole body will bust with fi reworks shooting through the pores of<br />
my skin like a bomb inside my belly, love will explode and my fragile heart<br />
beats harder than ever in my life sinking deeper<br />
into the world of love. I live through the word the song the melody and<br />
harmonies and try to understand other people feelings maybe, just maybe,<br />
I could help others to understand too.<br />
(girl aged 12)<br />
The complete evaluation of the project can be viewed at the links below:<br />
http://www.unicorntheatre.com/userfi les/fi les/forthebest_evaluation.pdf<br />
http://annaledgard.com/wp-content/uploads/forthebest_evaluation.pdf<br />
www.evelina.southwark.sch.uk
106 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
107<br />
Perspektiven-Foren –<br />
Weiterentwicklung der Schule für Kranke in Europa<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />
Das Kultusministerium lud Fachreferenten der Ministerien aus den Bundesländern,<br />
ebenso Pädagogen, Mediziner, Hochschullehrer und Behördenvertreter<br />
aus dem In- und Ausland ein, um vordringliche Themen der<br />
Pädagogik bei Krankheit anzusprechen. Fortschritte in der Medizin sowie<br />
damit verbundene Veränderungen in der Behandlung von Erkrankungen<br />
und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität der kranken Kinder<br />
und Jugendlichen erfor-dern eine Weiterentwicklung und Ausweitung des<br />
Aufgabenbereichs von Schulen für Kranke, die in den bisherigen Verordnungen<br />
dieser Schulart im allgemeinen noch nicht verankert sind.<br />
Folgende Themen wurden an zwei Nachmittagen diskutiert und als Anregung<br />
zur weiteren Bearbeitung „mitgenommen“:<br />
Perspektiven- Forum 1<br />
Beratung- Nachteilsausgleich- Nachsorge<br />
Leitung:<br />
IV. Zusammenfassung IV. Zusammenfassung<br />
Erich Weigl<br />
Ministerialrat Bayerisches Ministerium für Unterricht und Kultus<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />
Bernhard Ruppert<br />
2. Sonderschulkonrektor Schule für Kranke München<br />
Beratung bei Krankheit<br />
Die in der Vergangenheit vor allem auf lange, stationäre Aufenthalte in<br />
der Klinik ausgerichteten Behandlungen werden heute in einer Mischung<br />
aus stationärer und ambulanter medi-zinischer Betreuung durchgeführt.<br />
Manche schwerwiegenden Erkrankungen benötigen eine lebenslange medizinische<br />
wie krankenpädagogische Betreuung.<br />
Forderungen:<br />
• Beratung ist erforderlich als Vorsorge, während einer Erkrankung und im<br />
Anschluss nach langer Krankheitsdauer<br />
• Beratung gilt für die erkrankten Schülerinnen und Schüler, für Eltern und<br />
Geschwisterkinder, Ämter und Heimatschulen. Sie muss individuell auf<br />
die Krankheit abgstimmt sein.<br />
• Schulen für Kranke verstehen sich als Beratungszentren bei Krankheit<br />
• Standards für Beratung bei Krankheit müssen entwickelt werden<br />
• Heimatschulen sollen Beratung bei Krankheit durch dafür ausgebildete<br />
Lehrkräfte in Kooperation mit Schulen für Kranke durchführen.<br />
Nachteilsausgleich<br />
Eine Erkrankung kann auch auf die schulische Laufbahn eines Kindes<br />
schwerwiegende Auswirkungen haben. Bisher wird ein Nachteilsausgleich<br />
sehr unterschiedlich und in Anlehnung an Regelungen für Menschen mit<br />
Behinderung individuell gewährt und kann bisweilen wesentliche Bedürfnisse<br />
nicht berücksichtigen.<br />
Forderungen:<br />
• Ein verbindlicher Nachteilsausgleich bei Krankheit soll für alle Schularten<br />
formuliert werden.<br />
• Ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich muss für Kranke geschaffen<br />
werden, in allen Phasen der Ausbildung einschließlich beruflicher<br />
Bildung und Studium. Schule für Kranke kann dabei eine hilfreiche Beratungsschnittstelle<br />
sein.<br />
• Leistungserhebungen von schwer erkrankten Schülern können mit ärztlicher<br />
Empfehlung in der Schule für Kranke durchgeführt werden.<br />
• Vorschläge einzelner Verfahrensweisen aus verschiedenen Bundesländern<br />
sollen verglichen und ausgewertet werden.<br />
Nachsorge<br />
Unter dem Gedanken der Inklusion sollen die Schulen für Kranke als ein<br />
wesentlicher Kooperationspartner im Verbund von Medizin, Pädagogik,<br />
Familie und Patient betrachtet werden.<br />
Eine für erkrankte Kinder und Jugendliche unerlässliche Nachsorge - auch<br />
auf pädagogischer Ebene - muss u.a. übernehmen:<br />
Aufgaben:<br />
• Festlegung des Förderbedarfs eines kranken Schülers<br />
• Strukturierung von notwendigen Maßnahmen in der pädagogischen Betreuung<br />
• Fachliche Begleitung durch sonderpädagogisches Fachpersonal mit<br />
Schwerpunkt Pä-dagogik bei Krankheit in allen Schularten<br />
• Speziell in Deutschland: „Nachsorge“ als gemeinsame Aufgabe aller<br />
Bundesländer in der Kultusministeriellen Konferenz der Länder.<br />
Perspektiven-Forum 2<br />
Personalressourcen - Schulräume - Lehrerbildung<br />
Leitung:<br />
Irene Schopf<br />
Ministerialrätin Bayerisches Ministerium für Unterricht und Kultus<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />
Personalressourcen<br />
Allgemein wurde ein eigener Haushaltsetat für Schulen für Kranke vorgeschlagen,<br />
der die tatsächliche Bedarfslage finanziell abdeckt. Erforderlich<br />
ist die Bemessung eines Stundenkontingents für die umfängliche Arbeit<br />
der Beratung einschließlich Gutachtertätigkeit und Heimatschulbesuchen<br />
zusätzlich zu dem jeweiligen Unterrichtsdeputat der einzelnen Lehrkräfte.<br />
Der Bedarf an Lehrerstunden für Schulen für Kranke muss im Vergleich<br />
zum jetzigen Stand und unter dem Gesichtspunkt veränderter Aufgaben<br />
deshalb erhöht werden.<br />
Zusätzlich muss die erforderliche Qualifikation von Kliniklehrern deutlich<br />
beschrieben werden. Für den Bedarf der Schulen für Kranke ist u.a. Folgendes<br />
vorzugeben:<br />
Bedingungen:<br />
• Lehrerinnen und Lehrer aus allen Schularten, entsprechend der Schülerpopulation<br />
• Regelung für Anwesenheit der Lehrkräfte in der Klinik<br />
• Hohe Flexibilität in der Planung und Durchführung aller schulischen Tätigkeiten<br />
• Berufserfahrung im Unterricht mit heterogener Schülerschaft<br />
• Bereitschaft für enge Kontaktpflege zur Heimatschule, zu Eltern und anderen<br />
Berufsgruppen und Institutionen<br />
Schulräume<br />
In wenigen Ländern ist eine befriedigende räumliche Ausstattung für die<br />
Schule im Krankhaus festzustellen. Es gibt weitgehend kaum eine Bedarfsbeschreibung<br />
für Schulräume in der Klinik, teilweise bestehende Vorgaben<br />
sind unzureichend. Klinik und Schule stehen oft in unterschiedlicher<br />
Trägerschaft, eine Zusammenarbeit der dafür verantwortlichen Stellen<br />
gestaltet sich bisweilen daher sehr schwierig.<br />
Forderungen:<br />
• Vergleichbare Regelungen und Standards innerhalb Europas<br />
• Bedarfsgerechte bauliche Vorgaben für Schulräume<br />
• Mitsprache der Schulbehörde bei Planung und Bau von Klinikneubauten<br />
Lehrerbildung<br />
Die Probleme kranker Kinder und Jugendlicher stellen sich in Europa ähnlich<br />
dar. So könnte gerade auf diesem Gebiet eine hervorragende Zusam<br />
menarbeit in der Pädagogik bei Krankheit national wie international<br />
entstehen. Eine Vernetzung unterschiedlicher Institutionen -Ministerien,<br />
Universitäten, Schulen vor Ort - lässt einen hohen Synergieeffekt erwarten.<br />
Forderungen:<br />
• Aufnahme der Pädagogik bei Krankheit in die Lehrerbildung/Prüfungsordnungen<br />
• Basismodule für Pädagogik bei Krankheit in den Studienrichtungen aller<br />
Lehrämter<br />
• Spezialisierung für Lehrkräfte an Klinikschulen/im Hausunterricht<br />
• Schule für Kranke in der Funktion einer Seminarschule<br />
Der gemeinsame Gedanke, in allen Ländern eine Versorgung kranker Kinder<br />
und Jugendlicher durch Schulen für Kranke zu gewährleisten und zu verbessern,<br />
zeigte sich in einer regen Diskussion in beiden Perspektivenforen.<br />
Zur Vorbereitung einer Europäischen Lösung wurde von den Teilnehmern<br />
die Idee einer <strong>HOPE</strong> - Summerschool 2012/13 sehr begrüßt.<br />
Impulsreferat<br />
Wolfgang Oelsner<br />
Sonderschulrektor Johann-Christoph-Winters-Schule<br />
Schule für Kranke der Stadt Köln<br />
Guten Morgen meine Damen und Herren!<br />
Wenn doch die Metapher vom „Trommelfeuer“ nicht militärisch vorbelastet<br />
wäre! Wie gerne würde ich sie nutzen, um von der soeben erlebten,<br />
fantastischen Präsentation der jungen Trommler auf Themen überzuleiten,<br />
mit denen ich sie in einem Impulsreferat auf den Abschluss-Morgen<br />
einstimmen darf. Denn dieser Kongress in München wird wahrhaft als ein<br />
Trommelfeuer in die <strong>HOPE</strong>-Geschichte eingehen. Nicht nur des tollen Rahmens<br />
wegen, jenem Trommelfeuer von Klassik über Volkstümlichkeit bis<br />
hin zum Rock. Ein Paukenschlag war auch die Themenvielfalt, wie ich sie<br />
in den 22 Jahren, die ich jetzt leitend in Schule für Kranke tätig bin, bei<br />
<strong>HOPE</strong> so noch nicht gehört und erlebt habe. Mit dieser Tagung wurde ein<br />
Graben zugeschüttet, der sich latent immer auftat. Es war ein Graben, wie<br />
man ihn zuweilen zwischen nahen Verwandten kennt, die zwar alle den<br />
gleichen Familiennamen tragen, bei Familienfesten jedoch darum streiten,<br />
wer eigentlich der Eltern liebstes und legitimes Kind ist.<br />
Wer darf sich zu den legitimen Familienmitgliedern der Krankenpädagogik<br />
rechnen? Lange Zeit spaltete diese Frage. Da standen auf der einen Seite<br />
die Kolleginnen und Kollegen, die tradiert auf den somatischen Stationen<br />
arbeiten, und auf der anderen Seite die Kolleginnen und Kollegen, die in<br />
den neu entstandenen Kinder- und Jugendpsychiatrien arbeiten. Manchmal<br />
erschienen sie eher als Stiefverwandte. Seit München <strong>2010</strong> schlägt<br />
die Familienchronik neue Seiten auf. Seit München ist die trennende Abgrenzung<br />
passé. Wir Krankenpädagogen verstehen uns sämtlichst als pädagogische<br />
Fachkräfte für Kinder und Jugendliche mit krankheitsbedingten<br />
Lernschwierigkeiten. Lernprobleme, die krankheitsbedingt sind, gehen<br />
immer mit Lebensproblemen einher. Dieser Auftrag eint uns als Pädagogenfamilie.<br />
Wie alle Schulen haben auch wir Krankenpädagogen den Auftrag, zu unterrichten<br />
und zu erziehen. Wenn Lebensschwierigkeiten im Raum stehen,<br />
kann der Erziehungsauftrag aus unserer Arbeit nicht ausgeklammert werden.<br />
In beiden Tätigkeitsfeldern, dem psychischen wie dem somatischen,<br />
haben wir es mit langfristigen, oft chronifizierten Krankheitsverläufen zu<br />
tun. Begriffe wie „Liegezeiten“ und deren Quantifizierung wie „vierwöchig“<br />
oder „sechswöchig“ entstammen einer anderen Zeit und erfassen inhaltlich<br />
nicht mehr die anstehenden Aufgaben. Wir haben es zu tun mit hartnäckigen<br />
Krankheitsverläufen und wiederholten Krankenhausaufenthalten.<br />
Das ist nicht gleichbedeutend mit permanenter stationärer Unterbringung,<br />
aber immer mit langen Zeiten, in denen Kinder nicht in ihrer Heimatschule<br />
unterrichtet werden können.<br />
Am Eröffnungstag sagte der Kinderonkologe, Herr Professor Burdach:<br />
„Wer unterrichtet wird, hat Zukunft.“ Indem wir kranke Kinder, auch lebensbedrohlich<br />
erkrankte, unterrichten, wahren sie ihre Optionen auf Zukunft.<br />
Wer auf unserem Stundenplan steht, kann weder wert- noch hoffnungslos<br />
sein. Dennoch müssen wir neben einer Kultur der Ermutigung<br />
auch eine des Abschiednehmens akzeptieren und pflegen. Auch diese Ambivalenz<br />
eint uns Krankenpädagogen auf den unterschiedlichen Stationen.<br />
Abschiede von Bildungszielen sind auch Abschiede von Lebenskonzepten<br />
und wollen von uns begleitet werden. Mal steht die Diagnose „Tumor“<br />
mit irreparablem Funktionsverlust dahinter. Mal erzwingt die Diagnose<br />
„Asperger Autismus“ ein Umdenken, etwa wenn ein Kind wegen ADHS in<br />
der Kinderpsychiatrie vorgestellt wird und sich während der Behandlung<br />
herausstellt, dass das ADHS lediglich Komorbidität einer bis dahin nicht<br />
erkannten tiefgreifenden Entwicklungsstörung war. In beiden Fällen verläuft<br />
das junge Leben nach der Diagnosestellung in anderen Bahnen. Es<br />
gilt Abschied zu nehmen von Planungen, Hoffnungen, Wünschen, Utopien.<br />
Ich will die Impulse meines Referats in jeweils kurzen Thesen komprimieren<br />
These 1:<br />
Die SfK pflegt eine Kultur sowohl der Ermutigung und Zukunftsfindung als<br />
auch des Abschiednehmens. Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes<br />
Ziel im Unterricht und bei Schullaufbahnberatungen vor allem<br />
chronisch kranker Schüler.<br />
Die Berufserfahrung lehrt uns, dass auch bei optimaler Förderung die<br />
Bildungswege nicht immer geradlinig, selten linear verlaufen. Sie sind<br />
durchaus auch wellenförmig. Manchmal verharren Kinder auch lange Zeit<br />
auf Entwicklungsplateaus, und es bleibt zunächst offen, ob und wie es<br />
weitergeht. Das braucht Geduld. Das verlangt auch eine gewisse Demut<br />
statt einer Bildungs- und Therapieeuphorie. Wir tun den Kindern, ihren<br />
Angehörigen und uns keinen Gefallen, wenn wir die Ziele unser krankenpädagogischen<br />
Intervention in den Dienst des gesellschaftlichen Hypes stellen,<br />
wonach nur das Abitur zum Glück und zur gesellschaftlichen Teilhabe<br />
führen kann. Mit einer relativierenden Haltung werden wir uns nicht immer<br />
beliebt machen. Wir sollten sie dennoch sehr offensiv kommunizieren und<br />
Gegenwind aushalten.<br />
These 2:<br />
Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und –bewältigung sind immanente Förderziele<br />
von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur Realitätsakzeptanz<br />
gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />
Die beschriebene Haltung bleibt keineswegs auf den Klinikunterricht beschränkt.<br />
Wir haben sie in die Kollegien der Regelschulen hineinzutragen.<br />
Die Erkenntnis, dass Krankheit und Begrenzung Bestandteile des Lebens<br />
sind, ist beileibe kein Monopol der Krankenpädagogik. Sie lässt sich didaktisch<br />
aber nicht immer, nicht unmittelbar und nicht hinreichend gut im allgemeinen<br />
Schulleben umsetzen. Wenn sich der Umgang mit Begrenzungen<br />
vorerst nur im geschützten System der Krankenpädagogik umsetzen lässt,<br />
dann steht dies nicht im Widerspruch zum allseits geforderten Inklusionsgedanken.<br />
Der Weg zum Ziel braucht auch längere Zeit, als die stationäre<br />
Verweildauer sie den Kindern als Zugangberechtigung zur SfK zugesteht.<br />
Was ist die Schule für Kranke?<br />
Gestatten Sie mir eine etwas sibyllinisch klingende Formulierung<br />
„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />
Dieser Versuch einer recht offenen Definition ist auch eine Referenz an<br />
die Medienstadt München. Denn meine Diktion ist die Variation einer Formulierung,<br />
die Heribert Prantl in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung<br />
zum Münchener Kirchentag <strong>2010</strong> wählte. Auf die Frage: „Was ist Kirche?“<br />
antwortete er: „Kirche ist das, was es ohne sie nicht gäbe.“<br />
In einigen Bundesländern (so in meinem Bundesland NRW) hat die Schule<br />
für Kranke den Rechtsstatus einer „Schule eigener Art“. Ich erlaube mir,<br />
dies in folgender These zu erweitern:<br />
These 3<br />
„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />
Rechtlich ist sie eine „Schule eigener Art“. Sie ist auch eine Schule einzigartiger,<br />
notwendiger Art. Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt in der Integration<br />
von Maßnahmen.<br />
Krankenpädagogik integriert den medizinisch-therapeutischen Aspekt,<br />
der sich aus der Tatsache ergibt, dass das Kind krank ist, und den schulischen<br />
Aspekt, der sich aus der Tatsache ergibt, dass es eben ein Kind,<br />
bzw. ein Jugendlicher ist. Wir Krankenpädagogen haben dabei - auch das<br />
hat München deutlich gezeigt - den Paradigmenwechsel vollzogen, den die<br />
Bezeichnung unserer Schulform schon vor Jahren anbahnte, und den ich<br />
mit folgender These zusammenfasse:
IV. Zusammenfassung IV. Zusammenfassung<br />
108 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
109<br />
These 4:<br />
Die Namensänderung „Schule für Kranke“ statt „Krankenhausschule“ impliziert<br />
einen Paradigmenwechsel. Der Auftrag der Krankenpädagogik ist<br />
losgelöst vom Ort der medizinischen Behandlung. Schulrechtlich blieb er<br />
mit Erlassvorgaben von Mindestliegezeiten allerdings daran gekoppelt.<br />
In der Praxis ergeben sich daraus immer wieder Konflikte der Zugangsberechtigung<br />
und Umsetzung, weil sich unser Auftrag aus den krankheitsbedingten<br />
Lern- und Lebensschwierigkeiten unserer Schüler ergeben. Deren<br />
Dauer lässt sich nicht in Liegezeiten quantifizieren.<br />
Krankenpädagogen im Spannungsfeld multiprofessioneller Teams<br />
Die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen erfordert permanente Reflexionen<br />
über Abgrenzung und Schnittmengen. Unser Arbeit auf der Beziehungsebene,<br />
die sich allein schon aus dem Erziehungsauftrag von Schule ergibt,<br />
lässt Kolleginnen und Kollegen aus den psychologischen Fachbereichen<br />
manchmal fragen, ob wir nicht „in fremden Revieren wildern“.<br />
Dazu meine These 5:<br />
Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer<br />
Bestandteil des Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen<br />
Professionen. Sie sollte allerdings auch kein Monopol der<br />
Krankenpädagogik sein.<br />
Ich will dem gleich noch eine weiter gehende Aussage hinzufügen, die sich<br />
aus der Tatsache ergibt, dass unser Berufsstand in meiner Wahrnehmung<br />
eine hohe Affinität zu psychotherapeutischen Ergänzungsqualifikationen<br />
aufweist. In der flankierenden Beratungs- und Elternarbeit – auch die gehört<br />
zum staatlichen Auftrag - sind diese sehr hilfreich. Psychologische oder<br />
psychotherapeutische Zusatzkenntnisse der Krankenpädagogen sind umso<br />
effizienter, je deutlicher wir Lehrkräfte als Didaktiker erkennbar bleiben.<br />
These 6:<br />
Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />
können. Handeln werden sie jedoch ausschließlich als Schulpädagogen.<br />
Ihr Instrument bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />
Der Auftrag des Klinikunterrichts liegt unter anderem darin, dem kranken<br />
Schüler die Wahrung seines Leistungsniveaus zu ermöglichen. Zu den förderpädagogischen<br />
Besonderheiten der Krankenpädagogik zählt indes auch<br />
die individualisierte curriculare Auswahl unter Berücksichtigung des spezifischen<br />
Krankheitsbildes. Themenstellungen mit Option auf identifikatorische<br />
Besetzung können einem körperlich leidendem Kind Trost und Durchstehvermögen<br />
vermitteln. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie kann die Affektsteuerung<br />
verhaltensabweichender Kinder und Jugendliche didaktisch erheblich<br />
beeinflusst werden. Ich kann dies heute Morgen hier nur andeuten.<br />
Unterrichtsinhalte fördern die Mentalisierungsprozesse von Schülern. Auch<br />
in extrem belasteten Lebensphasen bieten Unterrichtsinhalte Chancen der<br />
Identifizierung oder projektiven Entlastung. Affekte können über Sprache<br />
kultur- und sozialverträgliche Ausdrucksformen finden. Wer, um noch einmal<br />
die morgendliche Trommelkunst der Jugendgruppe aufzugreifen, einen<br />
negativen Affekt „wegtrommelt“, schlägt Trommeln, keine Mitmenschen.<br />
Geschmacklich können wir in den Generationen da durchaus weit auseinander<br />
sein. Punkmusik muss einem fünfzigjährigem Lehrer nicht gefallen.<br />
Doch Schüler, die sich in Punkmusik entäußern, erbringen eine Kulturleistung,<br />
deren Stilmittel im Unterricht erworben werden können.<br />
These 7:<br />
Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />
Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />
Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie transformieren<br />
in Sprache, was einst nur Affekt war.<br />
Am Eingangstag der Tagung zitierte Herr Hans Jörg Polzer Friedrich Otto<br />
Bollnows Formulierung vom „tragenden Grund“, den Jugendliche zum<br />
Strukturaufbau brauchen. Ähnliches meint der heute favorisierte Begriff<br />
„Containment“. Belasteten Schülern bietet der Besuch der Klinikschule<br />
einen haltenden Rahmen. Unsere Personkonstanz, die Inhalte unseres<br />
Schullebens, die Verlässlichkeit unserer Stundenplangestaltung erfüllen<br />
Aspekte des Containments.<br />
These 8:<br />
Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule einen<br />
„haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte des „Containment“<br />
beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />
Voraussetzung dafür, dass Schule einen „haltenden Rahmen“ bieten kann,<br />
ist deren personelle und bauliche Infrastruktur. Schule muss als Schule<br />
wahrnehmbar sein, nicht als ein Räumchen irgendwo. Selbstverständlich<br />
brauchen wir in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik Sporthallen,<br />
wir brauchen Gelegenheiten für Theater und Musik, Kunst, Werken<br />
und Hauswirtschaft. All das gehört zum Unterricht in der Klinikschule. Ein<br />
Oberarzt, der nicht Chefarzt einer Kinderklinik ohne Schule werden wollte,<br />
sprach mal von einem Schildbürgerstreich, als habe man „eine Chirurgie<br />
ohne Anästhesie“ gebaut.<br />
Außerstationäre Begleitung durch die SfK<br />
Für manche jugendliche Patienten, insbesondere jenen der psychiatrischen<br />
Kliniken, ist auch während ihrer Stationszeit durchaus der Besuch<br />
ihrer Heimatschule indiziert. Es gibt jedenfalls keinen Automatismus,<br />
dass Klinikpatienten ausschließlich die Klinikschule besuchen müssen,<br />
wenngleich dies in Großstädten verkehrstechnisch eher möglich ist als in<br />
Flächenregionen. Umgekehrt ist es nicht mehr zeitgemäß und in keiner<br />
Weise mit modernen, flexiblen Behandlungsstrukturen zu vereinbaren,<br />
die Zugangsberechtigung der Schule für Kranke ausschließlich auf den<br />
Stationsaufenthalt zu beschränken, wie das die Erlasse in den Ländern<br />
überwiegend noch vorsehen. Der Wechsel von der Station in die ambulante<br />
Behandlung ist nicht immer identisch mit der vollen Belastbarkeit im<br />
Regelschulsystem.<br />
In Nordrhein-Westfalen haben von den 40 Klinikschulen 17, die in der Psychiatrie<br />
groß aufgestellt sind, in den Jahren 2007 und 2008 eine Statistik<br />
erhoben, wonach rund ein Drittel aller Schüler nach einem Klinikaufenthalt<br />
die Schule wechselte. Ein Trend, der sich bei Folgeerhebungen in NRW-<br />
Großstädten auf 40% der Schülerschaft erweiterte. Die neuen Förderorte<br />
sind aber längst nicht immer am Tag der Entlassung verfügbar. Eine Rückkehr<br />
in die Herkunftsschule ist oft contraindiziert. Dort droht mit der sozialen<br />
oder intellektuellen Überforderung ein Rezidiv.<br />
These 9:<br />
Behandlungsstrukturen erzwingen zunehmend eine Begleitung von<br />
Schülern durch die SfK über die stationäre Behandlungszeit hinaus.<br />
Nachgehende Betreuung durch die SfK im Sinne „weicher Übergänge“ wird<br />
in den Ländern vermehrt mit Ausnahmeregelungen geduldet. Derzeit gilt<br />
das schulpolitische Bemühen der Möglichkeit einer vor-stationären Unterrichtsaufnahme<br />
in der SfK. Die langen Wartezeiten gerade in psychiatrischen<br />
Kliniken sind bekannt. Wie hilfreich wäre es, wenn die Wartezeit in<br />
der zukünftigen Klinikschule überbrückt werden könnte. Und wie unsinnig<br />
ist es, wenn die Schulaufsicht statt dessen Hausunterricht verordnet. So<br />
sinnvoll dieser beispielsweise in der Onkologie ist, so sehr verschleiert er<br />
bei einem Schulphobiker die Probleme. Mitunter zementiert er die gar die<br />
Symptome.<br />
Zum erweiterten Aufgabenfeld der SfK zählen auch präventive Beratungsdienste.<br />
These 10:<br />
Medizinische und psychologische Fachdienste, andere Schulen sowie<br />
Schulaufsichten beanspruchen zunehmend Beratungs-, Diagnose- und<br />
Unterrichtshilfen der SfK im Sinne eines Kompetenzzentrums für krankheitsbedingte<br />
Lernstörungen. Dies betrifft auch Informationen über Nachteilsausgleiche.<br />
Der Konfliktlage, in die wir Krankenpädagogen angesicht solcher Aufgabenerweiterung<br />
mit geltendem Schulrecht geraten können, möchte ich<br />
meine vorletzte These widmen.<br />
These 11:<br />
Beamte haben Erlasse einzuhalten, Pädagogen haben die Lebenswirklichkeit<br />
zu berücksichtigen. Verbeamtete Pädagogen treffen bei Diskrepanz<br />
eine Güterabwägung und formulieren daraus schulpolitische Konsequenzen.<br />
Manchmal bedarf es auch des zivilen Ungehorsams, wenn Erlasse die<br />
Lebenswirklichkeit gar nicht mehr widerspiegeln.<br />
Ein Letztes. Unsere Arbeit verlangt im Miteinander der Berufsgruppen und<br />
im Engagement für die jungen Patienten und ihr Umfeld eine Haltung, die<br />
ich eine Kultur der Offenheit nennen möchte. Dazu gehört die Akzeptanz<br />
der anderen Fachdisziplinen wie die Bereitschaft, Eltern und ihre Kinder<br />
als Experten in ihrer eigenen Sache zu vertrauen. Natürlich brauchen wir<br />
Lehrkräfte fundiertes Fachwissen und begleitende Fortbildung. Doch Wissenschaft<br />
ist nur ein Standbein, um die Aufgabe gut zu meistern und um<br />
die Situation unserer Kinder anzunehmen, manchmal auch auszuhalten.<br />
Das zweite Standbein möchte ich in meiner letzten These nennen.<br />
These 12:<br />
Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu unterrichten.<br />
Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />
Auch in diesem Sinne waren die gleichermaßen fachfundierten wie heiteren<br />
Tage in München ein Trommelfeuer. Vielen Dank!
110 IV. Zusammenfassung 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
IV. Zusammenfassung 111<br />
MÜNCHNER<br />
THESEN<br />
Präambel<br />
Krankheit kann eine lang andauernde, schwere Belastung mit vielen Einschränkungen<br />
im Leben eines Kindes und Jugendlichen sein.<br />
Thesen<br />
Unsere Gesellschaft muss kranke Kinder und Jugendliche nachhaltig vor<br />
Ausgrenzung und Diskriminierung schützen.<br />
Der Staat hat die Verpflichtung, eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen.<br />
Es ist die Aufgabe aller Schulen aller Länder ein Netzwerk für kranke Kinder<br />
und Jugendliche zu bilden.<br />
Pädagogik bei Krankheit muss ein fester Bestandteil der Lehrerbildung sein.<br />
Schulen für Kranke sind gesetzlich verankerte Kompetenzzentren für Unterricht<br />
und Beratung bei Krankheit.<br />
Bedarfsgerecht ausgestattete Räume sind eine Bedingung für effektives<br />
Lernen.<br />
Die Kompetenzzentren für Unterricht und Beratung bei Krankheit sind offen<br />
für alle Kinder und Jugendliche jeden Alters, jeder Schulart und jeder Nationalität,<br />
die bei einer Erkrankung Hilfe und Unterstützung in ihrer Entwicklung<br />
und ihrer schulischen Laufbahn brauchen.<br />
Maria Schmidt<br />
Vorsitzende <strong>HOPE</strong>-Sektion Deutschland<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />
Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />
Sonderschulrektorin Schule an der Heckscher-Klinik<br />
Neben der medizinischen Nachsorge und analog dazu begleiten und beraten<br />
auch die Unterrichts- und Beratungszentren bei Krankheit kranke Schülerinnen<br />
und Schüler während der ganzen Schulzeit, solange dies erforderlich ist.<br />
Die Unterrichts- und Beratungszentren bei Krankheit geben Empfehlungen<br />
für einen gesetzlich umschriebenen, auf das jeweilige Krankheitsbild anwendbaren<br />
Nachteilsausgleich.<br />
Pädagogik bei Krankheit hat die wesentliche Aufgabe zur Entwicklung und<br />
Stabilisierung kranker Kinder und Jugendlicher beizutragen.<br />
Dieser Prozess braucht Zeit und Geduld. Unserer Gesellschaft muss dies<br />
ein besonderes Anliegen sein.<br />
Deshalb müssen alle Nationen, Länder, Kommunen, Gemeinschaften und<br />
alle am Prozess beteiligten Personen diesen Schutz gewährleisten und in<br />
der Praxis wirksam umsetzen.
112 V. Presse/Echo | Inland 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
V. Presse/Echo | Inland<br />
113
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127<br />
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<br />
<br />
Liebe Mitglieder, Freunde und KollegInnen,<br />
<br />
Nun, wir haben es geschafft! Der <strong>HOPE</strong> Kongress hat dieses Mal in Deutschland stattgefunden<br />
und - nach vielen positiven Rückmeldungen zu urteilen - war er eine ganz gelungene<br />
<br />
Sektion Deutschland<br />
Maria Schmidt<br />
Veranstaltung.<br />
Vor etwa 3 Jahren hatten wir begonnen, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Jetzt, nach zahllosen<br />
Vorbereitungs-Treffen, tausenden von E-Mails, vielen schlaflosen Nächten, Computer Abstürzen,<br />
Auto-Schäden, Telefon-Ausfällen, Website-Umzügen, Internet Problemen, leider auch persönlichen<br />
Tragödien, sind wir jetzt glücklich, dass die Novembertage in München gute Tage waren.<br />
Wir hatten uns so darauf gefreut, 'die Welt' zu Besuch zu haben und die außerordentliche<br />
<br />
Atmosphäre zu genießen, die Kennzeichen eines <strong>HOPE</strong> Kongresses ist.<br />
Rund 380 Teilnehmer aus diesen 33 Ländern waren angereist:<br />
<br />
Armenien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, Dänemark, Deutschland,<br />
Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Israel, Italien, Litauen,<br />
<br />
Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Österreich, Polen,<br />
Rumänien, Slowakei, Slowenien, Schweden, Spanien, Schweiz, Tschechische Republik,<br />
Ungarn, Vereinigtes Königreich, Venezuela.<br />
20<br />
Vorträge, 60 Workshops und mehrere Poster Präsentationen wurden dargeboten. Auf den<br />
folgenden Seiten sollen einige wenige Beispiele den weiten Bogen der Beiträge zeigen.<br />
<br />
<br />
Unser naheliegendes Ziel war es, eine Plattform für wissenschaftlichen und professionellen<br />
Austausch zu bereiten, für die Weitergabe von Ideen und Beispielen guter Praxis, für die<br />
<br />
Möglichkeit, evtl auch mit ein paar neu gelernten praktischen Fertigkeiten heimzureisen, und -<br />
<br />
nicht zuletzt - für die Gelegenheit, sich professionell und persönlich zu vernetzen.<br />
Wir wollten den Blick richten auf die Interdependenz der medizinischen Strukturen und<br />
verschiedener Berufsgruppen, die in ihnen arbeiten, und deren<br />
Konsequenz auf die Bildungsansprüche der Kinder und Jugendlichen,<br />
die sich in diesem Netz befinden. In diesem Beziehungsgeflecht<br />
verändert sich auch die Rolle der Lehrkräfte.<br />
Allerdings genügt es nicht, den Schutz vor Ausgrenzung und<br />
das Recht kranker Kinder und Jugendlicher auf Bildung zu<br />
progagieren. Rechte müssen sich in Gesetzen und in Rahmen- Dr. L. Spaenle, Staatsminister für<br />
bedingungen widerspiegeln, wenn sie zählen sollen.<br />
Bildung und Kultur in Bayern<br />
Vor diesem Hintergrund unternahmen die Veranstalter besondere Anstrengungen, die<br />
Vernetzung auch zur Politik aufzugreifen, entsprechende Vertreter und Persönlichkeiten<br />
Dr. I. Lukšič, Minister für einzuladen, um ihre jeweiligen Positionen darzulegen, aber auch um zuzuhören und zu<br />
Bildung und Sport, Slowenien<br />
lernen; schließlich hoffen wir auf ein vertieftes Verständnis und mehr Unterstützung.<br />
Nicht zuletzt hatte auch die damalige First Lady der BRD, Frau Eva Luise Köhler, die<br />
Schirmherrschaft übernommen.<br />
<br />
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<br />
Staatliche Schule für Schule an der <strong>HOPE</strong> Förderverein Schule für<br />
Kranke München Heckscher Klinik München Sektion Deutschland Kranke München e.V.<br />
V. Presse/Echo | Inland<br />
<br />
Das Feld der Pädagogik bei Krankheit mag ein kleines Feld sein in der Bildungslandschaft, aber es liegt<br />
an einer kritischen Wegegabelung in manch einer persönlichen Biographie. Es steht außerdem in<br />
unmittelbarer Verbindung mit allen anderen Bereichen der Bildungssysteme. Es scheint sogar, dass es<br />
wie ein Frühwarnsystem in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen fungieren kann (Zunahme<br />
psychischer Auffälligkeiten etwa).<br />
In diesem Kontext gab es zwei 'Perspektiven Foren', die<br />
parallel zu den Nachmittagsprogrammen stattfanden. Die<br />
Teilnehmer waren Politiker, Vertreter von Schulbehörden,<br />
Berufsverbänden, Schulen, Hochschulen, Universitätskrankenhäusern.<br />
Die Themen waren u.a. Beratungsaufgaben,<br />
pädagogische Nachsorge, Nachteilsausgleich,<br />
Lehrerausbildung, Fort- und Weiterbildung, räumliche<br />
Erfordernisse für Unterricht in Kliniken, usw. Unsere<br />
Schlussberichte werden wir an die EU, den Europarat<br />
(Council of Europe) und Ministerien geben.<br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Beim Aufbruch zu so einem großen Projekt gibt es lange Zeit mehr Fragen als Antworten, z.B. über die<br />
notwendigen und verfügbaren Gelder, 'offizielle Unterstützung', die zu erwartende Anzahl an Teilnehmern,<br />
wie viele und wie große Räume gebucht werden müssen, wie viele Dolmetscherstunden<br />
eingekauft werden können, usw., usw. Um die Kosten niedrig zu halten, beschlossen wir, die meisten<br />
Veranstaltungen lieber in den Krankenhäusern anzusiedeln, in denen die beiden Schulen ihre Hauptstandorte<br />
haben. Das hatte allerdings zur Folge, dass die Teilnehmer zwischen den Standorten<br />
wechseln und ihre Programmwahl entsprechend treffen mussten. Sicher war das eine<br />
Unbequemlichkeit gegenüber der gesamten Veranstaltung unter einem Dach. Andererseits sagten uns<br />
einige Teilnehmer, sie hätten sich gerade in dem Ambiente ganz wohl gefühlt, es erschien ihnen<br />
wirklichkeitsnah und vertraut, etwa wenn sie zum Mittagessen in die Klinik-Kantine gingen.<br />
Ein möglicherweise neuer Aspekt bei dieser Veranstaltung war es, dass 4 Einrichtungen zusammen<br />
kamen um 1 Kongress-Team zu bilden: zwei Münchner Schulen, die deutsche Sektion von <strong>HOPE</strong>, und<br />
der 'Förderverein …', ein gemeinnütziger Verein; dieser diente uns als gemeinsamer rechtlicher<br />
Vertreter.<br />
Gemeinsam<br />
stellten wir einen<br />
Antrag für EU-<br />
Unterstützung.<br />
Das erlaubte uns,<br />
Reise- und Hotel-<br />
kosten zu erstatten und die Anmeldekosten niedrig zu halten, gerade auch für <strong>HOPE</strong> Mitglieder. Viele<br />
Ländervertreter waren froh, dass es endlich einen klaren Vorteil für Mitglieder gab.<br />
An dieser Stelle möchte ich meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für die grenzenlose Energie, den guten Willen,<br />
den Mut, Optimismus, die Geduld und das Verständnis bei den Mitgliedern des Vorbereitungsteams:<br />
Lisa Meixner-Mücke Anne Kohtz-Heldrich Maria Schmidt Dolores Waldschmidt Nina Röchling<br />
Alto Merkt Sissi Fuchsenberger Wolfgang Huber Erhard Karl Philipp Röchling<br />
Bernhard Ruppert Rita Wagner Mona Meister Günter Wieching Verena Rometsch<br />
Uli Kalmes Axel Orlovius viele einheimische Elisabeth von Langen Gerrit Mazzarin<br />
Evi Friedl Frau Kunert und internationale<br />
Ralph Peters Michael Metzger Mitglieder & Freunde von <strong>HOPE</strong><br />
… und den zahlreichen anderen KollegInnen, die für uns Aufgaben übernahmen, wenn wir mit Vorbereitungen überbeschäftigt<br />
waren, die während der Kongresstage mithalfen (erinnert ihr euch an die orangen Halstücher?), allen<br />
Sekretärinnen, Fahrern, Klinikchefs, Hausmeistern, Krankenhauspersonal, jugendlichen Vorführenden, freiwilligen<br />
Übersetzern, und noch vielen anderen, nicht zuletzt den Sponsoren. Herzlichen Dank! Ms
128 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
129<br />
<br />
V. Presse/Echo | Inland V. Presse/Echo | Inland<br />
<br />
<br />
<br />
Es erscheint<br />
zunehmend<br />
schwierig,<br />
Mitglieder<br />
zu finden,<br />
die sich aktiv<br />
einbringen<br />
und eine<br />
<br />
'öffentliche' <br />
Rolle übernehmen wollen. Die meisten Organisationen verlieren auch Mitglieder. <strong>HOPE</strong> aber ist in<br />
letzter Zeit gewachsen! Deshalb gibt es auch neue Komitee-Mitglieder (Ländervertreter). In München<br />
waren sie so zahlreich vertreten, dass ihre Sitzung teilweise aufgeteilt wurde, damit die Erfahrenen sich<br />
über Laufendes austauschen konnten, während die Neuen besprechen konnten, wie sie ihre ersten<br />
Schritte in ihrer neuen Rolle gestalten wollen. - Eine Idee, die diskutiert wurde, war ein 1-2-tägiges<br />
Treffen des Komitees. Das Wann?-Wo?-Wie?(finanziell) wird sorgfältig zu recherchieren und<br />
vorzubereiten sein.<br />
<br />
<br />
Das zur Verfügung stehende Zeitfenster für die GV in München war ziemlich klein. Die<br />
meisten 'Berichte' waren schon vorher bekanntgemacht worden, um die Abläufe zu kürzen.<br />
Der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung war der Rücktritt der Präsidentin, Gerd Falk-<br />
Schalk, nach 6 Jahren an der Spitze der Organisation, und von zwei weiteren<br />
Vorstandsmitgliedern, Paula Hicks und Michel Kleuters. Es ist bedauerlich, ihre Talente und<br />
Erfahrung zu verlieren, um so mehr als es nicht einfach war, Ersatz für sie zu finden.<br />
Neue Kandidaten für den Vorstand waren Anja de Jong, Agneta Grunditz und Mary<br />
McCarron. Da niemand aus dem gegenwärtigen Vorstand bereit war, die Aufgabe des Präsidenten allein zu<br />
übernehmen, beschloss der Vorstand eine Lösung vorzuschlagen, wie sie in politischen Parteien schon<br />
üblich ist, d.h. eine 'Doppel-Spitze': Michele Capurso und Mojca Topic würden<br />
Aufgaben und Verantwortung der Präsidentschaft teilen. Sie betonten, dass sie<br />
die Kommunikation unter und mit den Mitgliedern verbessern wollten.<br />
Außerdem wiesen sie darauf hin, dass für Amsterdam eine neue, vereinfachte<br />
Satzung vorbereitet werden sollte. - Es gab eine Debatte darüber, warum es<br />
nicht möglich gewesen sei, eine/n einzelne/n Kandidatin/en für die<br />
Präsidentschaft zu finden. Alle Kandidaten wurden durch Abstimmung bestätigt.<br />
Der Punkt, ein 1-2-tägiges Treffen der Komitee-Mitglieder zu organisieren wurde noch einmal<br />
aufgeworfen.<br />
<br />
<br />
Dies ist nicht die Stelle, um ausführlich das Programm zu besprechen; auf der Kongress-Website ist es nach<br />
wie vor einsehbar. Hier möchte ich nur ein paar wenige (sehr verkürzte!) Zitate aus Vorträgen und<br />
Workshops aufreihen. Mehr ist hier leider nicht möglich. Sobald die mehreren hundert Rückerstattungen<br />
abgearbeitet sind, werden wir daran gehen, die uns vorliegenden Vorträge und Workshop Ergebnisse<br />
zusammenzustellen, zu transkribieren, zu überprüfen, übersetzen, lay-outen, usw. Sie werden dann<br />
zugänglich gemacht werden, damit man die Veranstaltungen nachlesen kann, die man versäumt hatte:<br />
<br />
<br />
<br />
[Dr. Hoanzl - '… Verquickungen und Verstrickungen'] Jedes Kind hat einen Drang in sich, größer zu werden und zu<br />
wachsen. Entwicklung ist immer 'vorwärts' und damit in die Zukunft gerichtet! Lernen bzw. Lernzuwachs ist die<br />
Grundlage aller Entwicklung und untrennbar mit Schule verbunden! …Klinikschulen scheinen dem Motto zu folgen:<br />
"Nicht das System weist uns den Weg, sondern der Schüler!" …Kliniklehrer arbeiten nicht nur im bestehenden<br />
System, sondern am System!<br />
[Oelsner - '… Pädagogik in Extremlagen'] An den Erfahrungen anderer teilzuhaben und sich diese mittels der<br />
eigenen Fähigkeiten zu erschließen, bewahrt Schüler vor einer Fixierung in der eigenen Ohnmacht. … Ein chronisch<br />
krankes Kind in der Klasse ist nicht nur Belastung, es ist stets auch Chance für das Klassenklima. Sie können im<br />
Umgang mit Abweichungen von unseren Medien-, Model- und Werbehochglanzbotschaften und dem von Models<br />
vorgegebenem Menschenbild andere Lebenspositionen kennen lernen.<br />
[Polzer - '::: Pädagogik der Entschleunigung'] Wir müssen uns also dessen bewusst werden, dass keine auch noch so<br />
wissenschaftlich begründete Ansammlung von diagnostischem Datenmüll uns hilft, wo es auf das Verstehen der<br />
existenziellen Lebensvoraussetzungen der uns begegnenden Kinder und Jugendlichen ankommt. Das Verstehen<br />
kommt vor dem „Wissen über“.<br />
[Dr. Spindler - Allergische Erkrankungen und … Schulalltag'] Welche<br />
Gedanken, Erfahrungen, evt. Probleme verbindest du mit "Sport"?<br />
"Die Kinder sagen "Asthmaidiot", wenn ich nicht so schnell laufen kann oder<br />
kurz tauche."<br />
[Häcker - 'Begleitung von trauernden Klassen'] Wenn wir uns von den<br />
Wünschen und Bedürfnissen unserer Schüler leiten lassen, dann kann das<br />
auch heißen, dass einige auch keinen Kontakt mehr zur Klasse haben<br />
möchten. Viele ziehen sich zurück, wollen nur noch ihre Familie und die<br />
engsten Freunde um sich haben. Dann ist es wichtig, dies den Mitschülern<br />
verständlich zu machen und mit ihnen dennoch eine Form zu finden, wie sie<br />
ausdrücken können, dass sie in Gedanken bei ihrem Mitschüler sind - und<br />
einen Raum für ihre Trauer zu finden.<br />
[Lantzsch - Zaubern mit Kindern im Krankenhaus] Wenn der Kliniklehrer dem<br />
kranken Kind Zaubertricks beibringt, gerät die Krankheit zeitweilig in den<br />
Hintergrund. Das Lernen wird wichtig, denn Zaubertricks verlangen Verstand<br />
und Training. Darüber hinaus macht Zaubern Spaß.<br />
<br />
<br />
Ein Teil des Vergnügens eines <strong>HOPE</strong> -<br />
Kongresses liegt darin, etwas lokale<br />
Kultur und Atmosphäre zu 'kosten'.<br />
Deshalb musste in München ein<br />
Besuch im Hofbräuhaus dazu gehören.<br />
Ungefähr 280 Teilnehmer nahmen die<br />
Gelegenheit wahr, einen Abend lang<br />
deutsches Bier zu trinken, sich ein bayrisches Abendessen schmecken zu lassen, bayerische Schrammelmusik<br />
live kennenzulernen und sogar, wer hätte das gedacht - den Tanzboden zu erproben.
130<br />
V. Presse/Echo | Inland V. Presse/Echo | Ausland<br />
<br />
<br />
Am Freitag Abend war die Lobby der Heckscher-Klinik Ort einer lauten und glücklichen Party. Die Jazz-<br />
Rock Band'Extra-Dry' verführte<br />
fast alle zum Tanzen.<br />
Und -Junge, Junge - wie<br />
haben diese Lehrer gerockt!<br />
Für die jungen Patienten<br />
muss es sehr schwer gewesen<br />
sein, in dieser Nacht<br />
im Bett zu bleiben. -<br />
Glücklicherweise gab es<br />
<br />
Abkühlungspausen, in denen Zauberer Fedor Lantzsch die<br />
Menge mit seinen magischen Vorführungen unterhielt.<br />
______________________________________________________________________________<br />
<br />
Wir möchten allen danken, die uns Rückmeldungen gegeben haben. Sie waren ganz überwiegend positiv.<br />
Die Botschaften sind uns eine Belohnung für lange Monate intensiver Vorarbeiten. - Hier ein paar Zitate,<br />
die uns besonders bedeutungsvoll waren:<br />
Der Kongress hat uns allen SEHR gefallen. Ich fühlte mich beschwingt, angeregt und hatte viel Lust auf meine Arbeit.<br />
…Ich ärgere mich inzwischen, dass ich mir Finnland vor 2 Jahren verkniffen habe...aber in Amsterdam sehen wir uns<br />
wieder!!<br />
Alle …-er Teilnehmer haben übrigens durch den Kongress einen Pusch bekommen. Deshalb starten wir gerade eine<br />
neue Initiative zum Krankenhausunterricht im Ministerium. …<br />
Ich hatte eine großartige Zeit beim Kongress. Ich freue mich, so viele nette Leute kennengelernt und viele<br />
interessante Themen gehört zu haben. … Die Abende habe ich wirklich genossen, ich hatte nicht erwartet, dass<br />
Sie so viel vergnügliche Zeit einplanen würden. …<br />
Auch von Seiten des Organisationsteams möchten wir allen Teilnehmern gerne diese Rückmeldung geben:<br />
Es machte uns glücklich und stolz, euch/Sie alle als unsere Gäste zu empfangen. Einige von euch sind alte Freunde,<br />
andere haben wir zum ersten Mal in München persönlich kennengelernt; herzlichen Dank für all die wertvollen<br />
Beiträge und den produktiven Rahmen, der damit geschaffen wurde. Eure/Ihre Aufgeschlossenheit und gute Laune<br />
waren für uns eine wunderbare Erfahrung.<br />
_______________________________________________________________________________<br />
<br />
wird im Oktober 2012 in Amsterdam stattfinden.<br />
Unsere niederländischen KollegInnen haben bereits ein Team<br />
gebildet. Am letzen Tag in München präsentierten sie eine<br />
charmante Einladung in ihr Land und in die Stadt Amsterdam. Eine<br />
Kollegin überraschte die Versammelten, als sie durch die Reihen<br />
ging mit holländischer Haube auf dem Kopf und heftig mit einer<br />
Fahrradglocke klingelte. Andere Kollegen boten währenddessen<br />
holländische Kostproben an: Käsewürfel und Erdbeeren. Nach<br />
einem Video von Amsterdam skizzierten sie ihre Ideen für den<br />
nächsten Kongress in einer kurzen Ansprache. - Sie schienen [noch ☺] so frisch und unverbraucht, dass<br />
das Münchner Team den Staffelstab mit gutem Gefühl an sie weitergab.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 131<br />
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Section Allemagne<br />
Maria Schmidt<br />
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Chers membres de <strong>HOPE</strong>, amis et collègues<br />
<br />
Nous l’avons fait ! Le 7<br />
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<br />
<br />
<br />
<br />
ème congrès de <strong>HOPE</strong> a eu lieu et selon les retours que nous avons reçus – a<br />
été un événement réussi.<br />
Nous avons commencé à travailler pour cet événement il y a 3 ans. Maintenant, après de<br />
nombreuses réunions préparatoires, des milliers d’e-mails, de nombreuses nuits sans sommeil, des<br />
pannes d’ordinateur, des incidents de voiture, des problèmes de téléphone, des changements de<br />
web site, des ennuis avec Internet et même des tragédies personnelles, nous sommes heureux que<br />
les participants aient apprécié leur séjour à <strong>Munich</strong>.<br />
Nous étions impatients d’accueillir « le monde » venant à nous et d’apprécier l’atmosphère<br />
extraordinaire qui est la spécificité d’un congrès de <strong>HOPE</strong>.<br />
Environ 380 participants représentaient 33 pays :<br />
Arménie, Autriche, Australie, Belgique, Brésil, Bulgarie, Chili, République Tchèque, Danemark,<br />
Estonie, Finlande, France, Allemagne, Grèce, Hongrie, Irlande, Israël, Italie, Lituanie,<br />
Luxembourg, Mexique, Hollande, Norvège, Nouvelle Zélande, Pologne, Roumanie, Slovaquie,<br />
Slovénie, Suède, Espagne, Suisse, Royaume-Uni, Venezuela.<br />
Il y a eu 20 interventions, 60 ateliers et plusieurs présentations sur posters.<br />
Sur les pages suivantes vous trouverez quelques exemples sur le vaste choix des présentations.<br />
Notre but était de fournir une plateforme pour des échanges scientifiques et professionnels,<br />
<br />
pour transmettre des idées et des exemples de bonnes pratiques afin de repartir avec des<br />
<br />
nouvelles pratiques et la possibilité de communiquer en réseau.<br />
Notre intention était de mettre en lumière l’interconnexion entre les structures médicales et les<br />
divers professionnels travaillant avec elles, les besoins éducatifs des enfants et adolescents qui sont<br />
patients à l’intérieur et en dehors des hôpitaux, les changements de<br />
de rôle des enseignants travaillant dans ce domaine.<br />
Dr. I. Lukšič, Ministre de<br />
l'Education et du Sport,<br />
Slovénie<br />
<br />
Cependant, de notre point de vue, il n’est pas suffisant d’affir-<br />
mer que tout enfant ou adolescent malade ou blessé ne doit<br />
pas être désavantagé et a le droit à l’éducation – les droits<br />
doivent être mentionnés dans les lois et les règlements afin<br />
qu’ils comptent.<br />
L’équipe organisatrice a fait des efforts spéciaux pour<br />
engager des politiciens et autres personnes influentes à participer, à intervenir, à<br />
écouter, à apprendre et rentrer avec de fortes motivations pour nous soutenir. <br />
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Dr. L. Spaenle,Ministre de<br />
l'Education et de la Culture en<br />
Bavière
132<br />
<br />
<br />
Staatliche Schule für Schule an der <strong>HOPE</strong> Förderverein Schule für<br />
Kranke München Heckscher Klinik München Section Germany Kranke München e.V.<br />
<br />
<br />
Le domaine de l’éducation aux élèves malades et blessés est une petite partie du champ, mais il est situé à<br />
une jonction critique dans les histoires personnelles. Il est également lié à toutes les autres branches de<br />
notre système éducatif. Cela peut être même un système d’avertissement pour les développements en<br />
société.<br />
Dans ce contexte, il y avait 2 cercles de débats sur les<br />
« Perspectives » qui se déroulaient en parallèle au<br />
programme de l’après-midi.<br />
Les participants représentaient les cadres de l’école, les<br />
organisations professionnelles, les écoles, les universités<br />
et les hôpitaux universitaires. Les sujets abordés ont été<br />
par exemple: la consultation, le suivi éducatif, l’adaptation<br />
des exigences éducatives aux cas individuels, la formation<br />
professionnelle, les exigences d’espace…etc.<br />
Nos derniers comptes rendus seront donnés à l’Union<br />
Européenne, au Conseil de l’Europe, aux Ministères d’état et nationaux.<br />
__________________________________________<br />
Quand on s’embarque dans un si gros projet, il y a plus de questions que de réponses comme par exemple<br />
à propos des fonds nécessaires et possibles, du soutien officiel, du nombre de participants attendus, du<br />
nombre de pièces nécessaires, etc. Pour maintenir les coûts bas, nous avons décidé que tous les<br />
événements se dérouleraient dans les deux hôpitaux où les écoles se situaient. Cela signifiait cependant<br />
que les participants devaient faire la navette entre les deux endroits et planifier leur programme en<br />
fonction. C’était un inconvénient par rapport à tout avoir dans un seul lieu. D’un autre côté, des<br />
participants nous ont dit qu’ils se sentaient comme chez eux, ils ont aimé l’atmosphère de la vraie vie, par<br />
exemple prendre son déjeuner à la cafeteria avec le personnel hospitalier.<br />
Un aspect potentiellement nouveau dans l’organisation de cet événement a été que 4 entités se sont<br />
groupées pour former une équipe pour le congrès : deux écoles de <strong>Munich</strong>, la section allemande de <strong>HOPE</strong><br />
et le «Förderverein», une organisation charitable, qui a été notre représentant légal.<br />
Ensemble nous<br />
avons soumis une<br />
demande pour<br />
7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 133<br />
avoir des fonds de<br />
la communauté<br />
européenne. De ce<br />
fait, nous étions<br />
capables de rembourser les frais de voyage et d’hôtel et de maintenir les frais d’inscription à un bas<br />
niveau, spécialement pour les membres de <strong>HOPE</strong>. La réponse de beaucoup de représentants des pays a<br />
montré qu’il y avait un avantage certain d’être membre de <strong>HOPE</strong>.<br />
À ce point, laissez-moi exprimer ma profonde gratitude à tous les membres de l'équipe, à nos collègues, sympathisants et amis,<br />
pour leurs énergies sans limite, leur bonne volonté, leur courage, leur optimisme, leur patience et compréhension:<br />
Lisa Meixner-Mücke Anne Kohtz-Heldrich Maria Schmidt Dolores Waldschmidt Nina Röchling<br />
Alto Merkt Sissi Fuchsenberger Wolfgang Huber Erhard Karl Philipp Röchling<br />
Bernhard Ruppert Rita Wagner Mona Meister Günter Wieching Verena Rometsch<br />
Uli Kalmes Axel Orlovius de nombreux Elisabeth von Langen Gerrit Mazarin<br />
Evi Friedl Ms Kunert membres et amis<br />
Ralph Peters Michael Metzger nationaux et internationaux<br />
de <strong>HOPE</strong><br />
… et beaucoup d'autres collègues et amis qui ont assuré quand nous étions occupés à préparer le congrès, ou qui ont aidé<br />
durant les jours du congrès (rappelez-vous les écharpes orange?), toutes les secrétaires, chauffeurs, gardiens, les dirigeants<br />
de l'hôpital, l'équipe médicale, les jeunes présentateurs, traducteurs volontaires, et plus encore, et pas des moindres, les<br />
donateurs. Merci! ms<br />
<br />
V. Presse/Echo | Ausland V. Presse/Echo | Ausland<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Cela semble<br />
très difficile<br />
de trouver<br />
des<br />
membres<br />
actifs<br />
impliqués<br />
qui pren-<br />
<br />
nent une <br />
tâche « publique » et une responsabilité. La plupart des organisations perdent même des membres.<br />
Cependant, <strong>HOPE</strong>, récemment s’est développé ! Il y a de nouveaux membres du comité (les représentants<br />
des pays). Il y avait tellement de membres du comité présents à <strong>Munich</strong> que le groupe s’est séparé en<br />
deux pour une partie de la réunion, laissant les « vieux » membres du comité expérimentés discuter leurs<br />
affaires en cours, pendant que les nouveaux membres du comité discutaient de ce que seraient leurs<br />
premiers pas dans leur nouveau rôle. Une idée abordée a été celle d’essayer d’organiser une réunion<br />
spéciale des membres du comité durant 1 ou 2 jours – Où ? Quand ? Comment ? (Financièrement) cela<br />
nécessitera une recherche et une préparation soigneuses.<br />
<br />
<br />
Le temps imparti pour l’A.G. à <strong>Munich</strong> était assez court. La plupart des rapports avaient été<br />
publiés avant pour accélérer les procédures. Le point le plus important de l’ordre du jour<br />
était la démission de la Présidente, Gerd Falk-Schalk, après six ans à la barre de notre<br />
organisation, et de deux autres membres du bureau, Paula Hicks et Michel Kleuters. Il est<br />
regrettable de perdre leur talent et leur expérience. Il sera difficile de les remplacer.<br />
Les nouveaux membres du bureau sont : Anja de Jong, Agneta<br />
Grunditz et Mary MacCarron. Pour prendre la fonction de<br />
président, aucun des membres du bureau ne voulait prendre la tâche seul ; alors<br />
le bureau a décidé de proposer une solution qui est déjà pratiquée dans les partis<br />
politiques, une double présidence : Michele Capurso et Mojca Topic vont<br />
partager les tâches et les responsabilités. Ils ont insisté sur le fait qu’ils allaient<br />
améliorer la communication parmi les membres. Ils ont aussi mentionné que de<br />
nouveaux statuts simplifiés seraient préparés pour Amsterdam.<br />
On a discuté l’impossibilité de trouver un seul candidat à la présidence. Tous les candidats ont été<br />
approuvés par l’A.G. L’idée d’organiser une réunion de comité d’1 à 2 jours a été à nouveau mentionnée.<br />
<br />
<br />
Ce n’est pas le lieu de développer le programme. Il est toujours accessible sur le web site du congrès<br />
(www.hope<strong>2010</strong>mich.eu ). Ici dans cette newsletter, je vous donnerai quelques citations (très courtes !)<br />
venant des interventions et des ateliers. Je m’excuse de ne pouvoir en présenter plus. Nous allons (après<br />
avoir procédé à des centaines de remboursements) commencer à compiler, vérifier, traduire,<br />
présenter …etc. tous les discours et les résultats des ateliers. Ils seront à votre disposition, vous aurez<br />
ainsi l’opportunité de lire les discours et les ateliers que vous aurez manqués.
134<br />
<br />
V. Presse/Echo | Ausland V. Presse/Echo | Ausland<br />
<br />
<br />
[Dr. Hoanzl - 'Investissement et co-implication…'] Chaque enfant a le besoin de grandir. Le développement est<br />
toujours un mouvement vers l’avant et orienté vers le futur! Apprendre et progresser en apprenant sont les bases<br />
de tout développement et sont intimement liés à l’école!... Les écoles à l’hôpital semblent suivre la devise «Ce<br />
n’est pas le système qui nous montre le chemin, mais nos élèves»… Les enseignants à l’hôpital ne travaillent pas<br />
seulement dans un système donné, ils travaillent aussi à changer le système!...<br />
[Oelsner - éducation dans les situations extrêmes] Participer aux expériences des autres et les acquérir avec ses<br />
propres capacités empêche les élèves de se focaliser sur leur propre impuissance… Un malade chronique dans sa<br />
classe d’origine… représente toujours une chance pour la cohésion du groupe des pairs. En confrontant des<br />
divergences avec les modèles des médias et des messages publicitaires ainsi que les idées présentées par les<br />
modèles sur ce qu’un homme ou une femme devrait ressembler et être, les élèves ont besoin de connaître d’autres<br />
conditions de vie.<br />
[Polzer - l’éducation lente] Nous devons par conséquent réaliser qu’aucune donnée diagnostique justifiée<br />
scientifiquement ne nous aidera quand nous avons besoin de comprendre les conditions de vie existentielles d’un<br />
enfant ou d’un adolescent que nous rencontrons. La compréhension se fait avant de «savoir sur».<br />
[Dr. Spindler - Allergies … dans la vie scolaire de tous les jours]Quelles idées,<br />
expériences, problèmes possibles vous associez avec les «sports» ?<br />
«Les autres enfants m’appellent «l’idiot de l’asthme» quand je ne peux pas<br />
courir aussi vite ou plonger aussi loin.»<br />
[Häcker - aider les classes dans la peine] Si nous laissons les besoins et les<br />
souhaits de nos élèves nous guider, cela signifie que certains d’entre eux ne<br />
veulent plus être en relation avec leur classe. Souvent, ils ne veulent voir que<br />
leur famille et leurs amis proches. Dans ce cas, il est important de le faire<br />
comprendre à leurs camarades et de trouver un moyen pour exprimer qu’ils<br />
pensent à leur copain malade en laissant place à leur chagrin.<br />
[Lantzsch - Des tours de magie avec les enfants à l’hôpital] Quand l’enseignant<br />
à l’hôpital apprend à l’enfant malade des tours de magie, la maladie s’efface<br />
temporairement en arrière-plan. L’apprentissage devient important car les<br />
tours de magie nécessitent de la concentration et de la pratique. Par-dessus<br />
tout la magie c’est de la gaieté.<br />
<br />
<br />
Une partie du plaisir dans un congrès de <strong>HOPE</strong> est de savourer la culture et l’atmosphère locales. Aussi,<br />
une destination à <strong>Munich</strong> devait être<br />
la Hofbräuhaus, la fameuse brasserie.<br />
Environ 280 participants ont eu<br />
l’occasion de boire de la bière<br />
allemande, de manger un diner<br />
bavarois, d’écouter de la musique<br />
bavaroise en live et – qui l’aurait deviné- certains ont dansé.<br />
7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 135<br />
<br />
<br />
Vendredi soir, le hall de la clinique Heckscher a été le lieu<br />
d’une soirée bruyante et<br />
heureuse. Le groupe jazzrock<br />
« Extra-dry » a fait<br />
danser tout le monde. Et<br />
comme ces enseignants<br />
dansent ! Cela devait être<br />
dur pour les jeunes patients<br />
de rester au lit cette nuit.<br />
Heureusement, il y avait<br />
<br />
quelques pauses pour se rafraîchir et regarder le magicien Fedor Lantzsch amuser la foule avec des tours<br />
de magie.<br />
______________________________________________________________________________<br />
<br />
Nous remercions ceux qui nous ont envoyé leur réaction. C’était pour la plupart très positif. Vos<br />
messages sont une récompense pour de nombreux mois de travail. Voici quelques extraits qui sont<br />
particulièrement significatifs pour nous:<br />
«Nous avons tous apprécié le congrès. Je me suis sentie transportée et vibrante, ressourcée dans mon travail avec<br />
joie…Maintenant je regrette de ne pas être allée en Finlande il y a deux ans…mais nous nous retrouverons à<br />
Amsterdam!!»<br />
«Tous les participants de…ont senti une nouvelle impulsion; aussi nous allons proposer une nouvelle<br />
initiative à notre ministre…»<br />
«J’ai eu beaucoup de plaisir au congrès. Je suis heureux d’avoir rencontré tant de personnes sympathiques et<br />
écouté beaucoup de sujets intéressants… J’ai beaucoup aimé les soirées et je ne m’attendais pas à ce que vous<br />
organisiez autant de temps de divertissement.»<br />
Au nom du comité d’organisation nous souhaitons donner aux participants également des réactions:<br />
Nous étions heureux et fiers de vous inviter, certains d’entre vous sont de vieux amis, d’autres se sont<br />
rencontrés pour la première fois à <strong>Munich</strong>, merci pour vos contributions de valeur et à l’atmosphère<br />
productive que vous avez contribué à créer. Vous êtes venues avec des esprits ouverts et une bonne humeur.<br />
C’était un plaisir de vous avoir.<br />
_______________________________________________________________________________<br />
<br />
aura lieu à Amsterdam en octobre 2012.<br />
Nos collègues hollandais ont déjà formé une équipe. Le<br />
dernier jour à <strong>Munich</strong>, ils ont présenté une invitation<br />
charmante pour leur pays et leur ville d’Amsterdam. Une<br />
collègue hollandaise a surpris l’assemblée des participants en<br />
défilant à travers les rangs avec une coiffe hollandaise tout en<br />
faisant tinter une sonnette de bicyclette. D’autres collègues<br />
hollandais offraient un peu des Pays-Bas : des cubes de fromage<br />
hollandais et des fraises à chacun. Ils nous ont montré une vidéo d’Amsterdam et indiqué leurs idées pour<br />
le prochain congrès de <strong>HOPE</strong> dans une courte présentation. Ils semblent [toujours ☺ ] frais et énergiques<br />
et l’équipe de <strong>Munich</strong> leur a passé le relais avec tous ses vœux de réussite.
136 V. Presse/Echo | Ausland<br />
In den letzten Monaten haben die Krankenhausschulen in Australien und<br />
Neuseeland kooperiert und nach europäischem Beispiel eine eigene Organisation<br />
ins Leben gerufen: H.E.L.P. Die Gründungskonferenz wird von<br />
5.-6. September in Sidney, Australien, stattfi nden.<br />
Inaugural Australasian H.E.L.P. Conference<br />
5–6 September 2011, Coogee Beach, Sydney, Australia<br />
Diese Konferenz wird Gelegenheit geben, die Bedeutung integrativer<br />
Dienstleistung, Forschung, innovativer Praxis und fortschrittlicher professioneller<br />
Entwicklungsstrategien für Kinder mit chronischen Erkrankungen<br />
darzustellen.<br />
Webadresse:<br />
https://events.cievents.com.au/au/cm.esp?id=2203&pageid=_34W0WXINM<br />
Einladung zum Kongress 2012 in Amsterdam<br />
Claudia Molier<br />
consult for educational support for sick children in Holland<br />
Goodmorning to everybody, Gutemorgen geerhte Damen und Herren, Bonjour<br />
a tous,<br />
My name is Claudia Molier, Im a member of the board of the Dutch network<br />
for hospitalteachers or as we call it consultants for educational support for<br />
sick children in Holland. The national network in Holland is called Ziezon,<br />
which stands for Ziek zijn en onderwijs; being sick and education if you<br />
would translate this.<br />
To me it is the honour of standing here and thank our hosts for the last four<br />
days. The 7th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> in Munchen was a wonderfull experience. I<br />
think I dont speak only on behalf of myself when I say whe all go back to<br />
our countries and pupils inspired and enriched with knowledge and information<br />
we can use and put into practice in all the different places where<br />
we work.<br />
I would like to make a big compliment for the very accessible website the<br />
<strong>Munich</strong> <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> has. Very clear and informative. I would also thank<br />
the <strong>Munich</strong> organisation for the very friendly and organised welcome here<br />
in your homecity and hospitals. You have spoiled us with a very interesting<br />
and high quality program. The speeches and workshops were excellent.<br />
Also the program on the side was highly entertaining and good fun. (you<br />
have such nice beer…) It gave everybody the opportunity to meet and greet<br />
and talk beyond borders. As we all know working together and sharing<br />
information is of great value.<br />
So therefore I would like to thank you all on behalf of the Dutch committee<br />
which is standing here behind me.<br />
Its therefor a great honour for the Netherlands, but also a great challenge<br />
after such an oustanding congress we had here (it will be diffi cult to compete<br />
with these high standards) to be the next host for the 8th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong>.<br />
Amsterdam has more than tulips, windmills and hash. Amsterdam<br />
has two Academical hospitals and a hospitalschool and they are excited to<br />
welcome all of you in oktober 2012.<br />
We ofcourse know as all the organisers here will agree on that it is a big<br />
job. So therefor we formed a commitee of people to organise the 8th <strong>Hope</strong><br />
<strong>Congress</strong>. Let them introduce themselves:<br />
We have; Herr Otto Mourik, Frau Carla Handriks, Frau Anja de Jong, Herr<br />
Berry Deckers, Herr Michel Kleuters our man in charge and Frau Antje<br />
alias Frau Ria Bakker.<br />
We are already busy on planning a good and interesting program for 2012.<br />
We didnt give the 8th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> a tittle yet but our thoughts and<br />
ideas go around the theme of Changing Times in a fast changing world.<br />
More and more today its not only about the body getting better but the<br />
complete person is very important. Many developments in health, as well<br />
as in the psychology and pedagogy are being made and going by. These developments<br />
ask for a constant awareness, for changing our competencies<br />
and skills to have the good and professional attitude towards the pupils,<br />
the schools were they come from and their parents. We hope we can form<br />
good and constructive ideas together as hospitalteachers in Amsterdam<br />
about how to deal with these fast changing developments around us. We<br />
hope that we can move you to come to Amsterdam to share again the<br />
European knowledge and information. Also in the next two years developments<br />
will go rapidly.<br />
We plan to stay in a congresscentre in Amsterdam which is a neighbourtown<br />
of Amsterdamcentre in a very nice atmosphere. Also we will spend<br />
a day in the Academical Hospital of Amsterdam where we have the opportunity<br />
to visit the schools as well. I dont need to say that Amsterdam is a<br />
very lively and interesting city with many opportunities to see musea, to<br />
shop, to go to markets, cinema’s and theatre’s. Amsterdam itself will you<br />
show you now …<br />
We really hope to see all you back in Amsterdam on the 8the <strong>Congress</strong> of<br />
<strong>Hope</strong> in 2012. Look at the website and have a little Dutch foretaste with<br />
our cheese!<br />
7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
137
138 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />
139<br />
13<br />
17<br />
20<br />
22<br />
24<br />
25<br />
30<br />
33<br />
36<br />
41<br />
43<br />
47<br />
47<br />
50<br />
51<br />
II. Reden<br />
VI. Register VI. Register<br />
Pädagogik der Entschleunigung – eine besondere (sonder-)<br />
pädagogische Herausforderung im Normalfall des Lebens<br />
Hans-Jörg Polzer<br />
Krebs bei Kindern – Was kommt nach der Heilung?<br />
Therapiefortschritte und Partizipation der Schule<br />
Prof. Dr. med. Stefan Burdach<br />
Psychisch kranke Schüler – Was ist zu tun?<br />
Prof. Dr. med. Franz Joseph Freisleder<br />
Wie psychiatrisch ist die Kinder- und Jugendpsychosomatik?<br />
Aktuelle Entwicklungen und ihre Folgen für die<br />
Schule für Kranke<br />
Dr. med. Nikolaus von Hofacker<br />
„Ohne Worte“ – Diagnostik, Therapie und Behandlungsverlauf<br />
bei sexuellem Missbrauch<br />
Dr. med. Sabine Rohde<br />
Kliniklehrer und ihre Schüler – Verquickungen und<br />
Verstrickungen im Netz von Pädagogik und Medizin<br />
Dr. Martina Hoanzl<br />
„Die Zeit, die bleibt“ – Palliativ-Medizin und Schule<br />
Prof. Dr. med. Monika Führer<br />
Schulbasierte Prävention psychischer Störungen<br />
Prof. Dr. Clemens Hillenbrand<br />
Krankenpädagogik als Pädagogik in Extremlagen<br />
Wolfgang Oelsner<br />
The Child-Friendly Paediatric Health Care Model<br />
Prof. Dr. med. Jochen H. H. Ehrich, D.C.M.T. (London)<br />
III. Workshops und Foren<br />
Zur Beratung und Begleitung von suizidalen Kindern,<br />
Jugendlichen und ihren Eltern<br />
Dr. med. Sebastian Wolf<br />
Cooperation between Hospital/Special<br />
Educators and Home School Teachers<br />
Liana Sanamyan<br />
Mobiler sonderpädagogischer Dienst und die Ambulanzklasse<br />
– Ein Modell mit Zukunft für die Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
und Sonderpädagogik<br />
Annette Werner-Frommelt<br />
Rita Wagner<br />
Dr. med. Sibylle Lehnerer<br />
Grenzen kranker Kinder – Starke Eltern – Starke Kinder<br />
Andrea Huber<br />
Leitlinien zur Interpretation der Kinderzeichnung<br />
Die Anwendung von Kinderzeichnungen in Diagnostik, Beratung,<br />
Förderung unt Therapie<br />
Dr. Christa Seidel<br />
51<br />
52<br />
54<br />
55<br />
56<br />
58<br />
60<br />
61<br />
65<br />
67<br />
69<br />
71<br />
75<br />
76<br />
79<br />
80<br />
Saving Minds and Bodies.<br />
Health and Education Working Together<br />
Tracy Webster<br />
Begleitung von trauernden Klassen<br />
Werner Häcker<br />
„Faires Raufen“<br />
Möglichkeiten der Aggressionsbewältigung<br />
Dörthe Gerber<br />
Musikalische Interaktionsspiele im Gruppenunterricht<br />
Gudrun Diallo<br />
Schulische Reintegration onkologisch erkrankter Kinder<br />
Heimatschulbesuche mit Ärztin<br />
PD Dr. Dr. Irene Teichert von Lüttichau<br />
Dr. Barbara Kreutzer<br />
Beate Winkler<br />
„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“<br />
Birgit Laurinck<br />
Angela Ettenreich-Koschinsky<br />
Dr. Ulrich Rüth<br />
Kriminalität und Gewaltdelinquenz im Jugendalter<br />
Dr. Martin Rieger<br />
Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter<br />
Dr. med. Rainer Huppert<br />
Die Videokonferenz an der Staatlichen Schule für<br />
Kranke München – ein Schülerprojekt<br />
Ingrid Glauz<br />
Inge Schneider<br />
Fortbildung für Klinik- und Hauslehrer/innen<br />
Christoph Napp<br />
Mit Kindern philosophieren- auch in der Klinik!<br />
„Wer früher philosophiert, ist länger weise.“<br />
Ulrike Kalmes<br />
Johannes Ramsauer<br />
Die Nachsorge von schulabstinenten<br />
Kindern und Jugendlichen:<br />
Die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive<br />
Pia Anna Weber<br />
Verena Welling<br />
Prof. Dr. Gisela Steins<br />
Resilienz – Kinder widerstandsfähig machen<br />
Dr. Edith Wölfl<br />
Partnership with Education:<br />
What Value to Rehabilitation and Mental Health Services?<br />
Caleb Jones<br />
Kollegiales Team Coaching – KTC<br />
Bernhard Ruppert<br />
Cooperation between hospital teachers and<br />
home school teachers.<br />
Grete Buck Aulin<br />
81<br />
81<br />
85<br />
85<br />
85<br />
87<br />
88<br />
89<br />
89<br />
91<br />
93<br />
94<br />
98<br />
99<br />
100<br />
Projektbeschreibung „Warteschleife“<br />
Edith Ramminger<br />
To be or not to be<br />
Prof. Dr. Michele Noterdaeme<br />
Lerngang Klinikum<br />
Wolfgang Huber<br />
Maria Schmidt<br />
Project Hospital-School-Home<br />
Collaboration between Monza hospital school and<br />
the local school – Evaluation of a multiyear experience<br />
Flavia Tarquini<br />
Angela Passoni<br />
Silvia Pertici<br />
Parents as Partners<br />
Tanja Becan<br />
Besuch der Klinikschule, Schule für Kranke München<br />
Standort: Kinderklinik München Schwabing<br />
Haunersches Kinderspital München<br />
Ulrike Kalmes<br />
Bernhard Ruppert<br />
Individuelle Förderung im Rahmen eines<br />
projektorientierten Unterrichts an der Schule an der<br />
Heckscher-Klinik, Abt. Rottmannshöhe (KJP)<br />
Elisabeth Fuchsenberger<br />
Talk 2 me: - Migration und Sprache - Sprache als Instrument<br />
der Integration - Was tun bei Sprachstörungen ?<br />
Dr. med. Martin Sobanski<br />
Child Life Programs – Integrating the educational,<br />
recreational and emotional needs<br />
Olga Lizasoain<br />
Managing complex medical cases and education<br />
Marie Sherlock<br />
Maria Marinho<br />
Frederic Irigaray<br />
Report about the Timsis workshop 19<br />
Christine Walser<br />
E-Junkie<br />
Dr. Helmut Wittmann<br />
“Angriff oder Flucht” im Spital(Krankheitsbedingter)<br />
Stress und seine Auswirkungen aufs Lernen<br />
Christine Walser<br />
Zaubern macht Sinn - Zaubertricks im Unterricht mit<br />
kranken Kindern und Jugendlichen<br />
Fedor Lantzsch<br />
Edith Ramminger<br />
Das Recht des kranken Kindes auf Bildung<br />
Gerd Falk-Schalk<br />
100<br />
104<br />
104<br />
106<br />
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Zwischenlösungen 1 – Hausunterricht bis Schulabschluss –<br />
gemischter Schulbesuch<br />
Mona Meister<br />
Elisabeth Voigt<br />
Living Karaoke - Freue dich an etwas Musik und<br />
komm in die Band! – Ein Modell für die Beteiligung von<br />
Schülern im Krankenhaus am Musizieren als Orchester<br />
Klas Brunander<br />
Elisabeth Karelid<br />
Nina Lindberg<br />
Ronny Nordenjack<br />
For the Best - a participatory arts project<br />
Manuela Beste<br />
IV. Zusammenfassung/Ergebnis/Ausblick<br />
Perspektiven-Foren –<br />
Weiterentwicklung der Schule für Kranke in Europa<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Impulsreferat<br />
Wolfgang Oelsner<br />
Münchner Thesen<br />
Maria Schmidt<br />
Elisabeth Meixner-Mücke<br />
Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich
7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong>