05.02.2013 Aufrufe

Die "Kleine Eiszeit" : holländische ... - Bibliothek - GFZ

Die "Kleine Eiszeit" : holländische ... - Bibliothek - GFZ

Die "Kleine Eiszeit" : holländische ... - Bibliothek - GFZ

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Daumen. Kartographie und Landschaftsmalerei lassen sich insofern<br />

als zwei sehr unterschiedlich ausgeprägte Seiten einer<br />

Medaille, dem Interesse an der umgebenden zu vermessenden<br />

bzw. aufzuzeichnenden Natur, begreifen. 5<br />

Beiden Gattungen gemeinsam ist überdies die Auffassung der<br />

Landschaft als Ort und Rahmen von Geschichte. Beide Formen<br />

der Darstellung tragen vielfach patriotischen Stolz zur Schau,<br />

indem sie mit dem markanten Bild auch das Lob der Landschaft<br />

verbinden. Häufig handelt es sich bei den Gemälden<br />

weniger um topographische denn um politische Landschaften,<br />

in denen Aspekte der vaterländischen Gegenwart und Geschichte<br />

aufgehoben sind. Einige Stufen der Herausbildung<br />

und Wandlung der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei im angesprochenen<br />

Sinne repräsentieren die folgenden Gemälde.<br />

Von der Allegorie zur Landschaft<br />

In Adriaen van de Vennes (1589-1662) Gemälde „Der Winter“<br />

aus dem Jahr 1614 (Abb. 2) geht es „typisch holländisch“<br />

zu. Auf einem zugefrorenen Gewässer tummelt sich eine bunt<br />

gemischte Gesellschaft. Das Bild hält die Mitte zwischen einer<br />

Genre- und einer Landschaftsdarstellung. Jung und Alt, Bürger<br />

und Bauern geben sich auf dem spiegelglatten Eis ein Stelldichein.<br />

Bis tief in den Hintergrund zieht sich die Promenade<br />

der Eisgänger hin. Hinter kahlen Bäumen sind links und rechts<br />

am Ufer verschneite Dörfer auszumachen. Ganz im Hintergrund,<br />

fast im Zentrum, ist eine Mühle platziert. Den eigentlichen<br />

Mittelpunkt jedoch bildet im Schnittpunkt der Diagonalen<br />

ein reich beflaggter Eisschlitten unter Segeln. Kaum zufällig<br />

ragt unüberschnitten die <strong>holländische</strong> Flagge direkt über dem<br />

Horizont auf. Sie kündet als Pointe neben den zur Schau gestellten<br />

Kostümen und Trachten der Spaziergänger und Schlittschuhläufer<br />

eindeutig von dem Land, in dem die Szene spielt.<br />

Während die topographischen Angaben eher kürzelhaft ein<br />

dörfliches Irgendwo assoziieren lassen, kommt über wenige<br />

Anhaltspunkte, insbesondere über die Flagge der Republik,<br />

Holland ins Bild. Als „Superzeichen“ im Verein mit den anderen<br />

deutlich sprechenden Signalements bekrönt die Flagge<br />

das festliche Bild einer wohlhabenden Gesellschaft, die es<br />

sich leisten kann, an einem Sonntag dem Müßiggang zu frönen.<br />

Nur die Eisfischer sind im Vordergrund des Bildes bei der<br />

Arbeit. Im Blick aus dem Bild richten sich beide Stände, Bürger<br />

und Bauern, an den Betrachter.<br />

<strong>Die</strong> Landschaft dient als Kulisse; als geographische Kennzeichen<br />

fungieren die Wasserfläche, die Mühle und der hohe<br />

Himmel. <strong>Die</strong> Winterlandschaft wird bald zu einem Topos der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei und steht als besonderes<br />

Fach per se bereit. Der Realismus des Bildes trägt abstrakte<br />

Züge. Typisches wird auf einen Nenner gebracht, der sich in<br />

der rot/weiß/blauen Schlittenfahne sprechend zeigt. Wollte<br />

man weitergehen und eine politische Allegorie in dieser Darstellung<br />

sehen, so wäre insbesondere auf das harmonische<br />

Miteinander der Stände und auf den Wohlstand zu verweisen.<br />

Dem Winter auf dem Eis stellt van de Venne den Sommer auf<br />

dem Felde (Abb. 1) als Jahreszeitenpendant gegenüber. Als<br />

erstes fällt, gegen den Horizont gegeben, die Architektur<br />

einer Kornwindmühle am rechten Bildrand ins Auge. Am Ho-<br />

14<br />

rizont markieren Kirchturmspitzen dörfliche Siedlungen und<br />

im Mittelgrund taucht, jenseits des Flusses, der das Bild durchzieht,<br />

eine Bauernkate auf. <strong>Die</strong> vielfigurige Szene im Vordergrund<br />

spielt an einem Weiher, den eben ein Packwagen in<br />

Richtung auf den Betrachter zu durchquert. Ein Bettler hat sich<br />

dem Wagen genähert. Rings um diese Haupterzählung sind<br />

Nebenszenen rahmend angeführt; sie handeln von Jägern<br />

links und einem streitenden Paar rechts. Offenbar geht es dort<br />

um einen herabgefallenen Eierkorb, dessen Inhalt zu Bruch<br />

gegangen ist. Am Fuß der Mühle besieht ein Mann neben einem<br />

Leiterwagen die Streithähne. Eben ist ein anderer, mit<br />

einem Mehlsack bepackter Mann dabei, die Böschung herabzusteigen.<br />

Das Bild trägt ernste und komische Züge. <strong>Die</strong> Genreszenen<br />

sind in die Muldenlandschaft des Vordergrundes eingebettet<br />

und werden über Staffagefiguren bis in den Mittelgrund hinein<br />

fortgeführt. <strong>Die</strong> Szene spielt wieder in Holland, das weist<br />

in erster Linie die Mühle aus. Im übrigen lehnt sich van de Venne<br />

in seiner Komposition an eine Bildvorlage Jan Bruegels<br />

vom Ende des 16. Jahrhunderts an. 6 Auch die Übernahme des<br />

Bildmusters der Jahreszeitendarstellung ist noch ganz dem<br />

16. Jahrhundert verpflichtet. In der damaligen Vorstellungswelt<br />

spielte der Wechsel der Jahreszeiten und ihre regelmäßige<br />

Wiederkehr eine große Rolle und wurde als Symbol für<br />

den Lauf der Zeit und den Kreislauf von Werden und Vergehen<br />

verstanden. Solche Jahreszeitenallegorien waren in Malerei<br />

und Graphik noch bis ins 17. Jahrhundert hinein sehr<br />

populär. 7<br />

Aber trotz aller Rückversicherungen auf die Tradition gelingt<br />

es van de Venne, sein Landschaftspendant über die allgemeinen<br />

stilistischen Gründzüge der Komposition, die Wahl der<br />

Kostüme, die Gemeinschaft der Stände, die Nationalflagge<br />

erkennbar in der Republik Holland und in den Jahren des<br />

Waffenstillstands anzusiedeln; einen spezifischen Ort beschreibt<br />

er nicht, er begnügt sich vielmehr wieder mit einer<br />

aus Versatzstücken gefügten Landschaft: „Topoigraphie“ statt<br />

Topographie.<br />

Plausible Fiktionen<br />

Im Gegensatz zu van de Venne wandte sich der in Haarlem<br />

tätige Esaias van de Velde (um 1590/91–1630) ohne allegorische<br />

oder sonstige Umschweife direkt der <strong>holländische</strong>n<br />

Topographie zu. 1618 nahm er die am seeländischen<br />

Wattenmeer gelegene kleine Handelsstadt Zierikzee zum Vorwurf<br />

für ein Gemälde (Abb. 3).<br />

Der Blick geht über Repoussoirfiguren im Vordergrund über<br />

das Wasser auf das jenseitige Ufer und über die befestigte<br />

Stadtmauer hin zur breitgelagerten Panoramakulisse der<br />

Stadt. Als deren charakteristisches Wahrzeichen ragt der Bau<br />

der Nieuwe Kerk auf. <strong>Die</strong> Kirchenarchitektur wird geradezu<br />

übermächtig inszeniert, als solle die Stadt sich auf den allerersten<br />

Blick zu erkennen geben. Der mit der Topographie Vertraute<br />

wird links das Sint-Lievensmunstertoren, neben der<br />

Nieuwe Kirk, in der Mitte des Bildes, das Rathaus und weiter<br />

rechts die Gasthuiskerk und einige weitere Kirchen ausgemacht<br />

haben. 8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!