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Diagnostische Kriterien 3 - Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie

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3<br />

<strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong>


3.1 Vorbemerkungen<br />

3.1 Vorbemerkungen z 57<br />

Bei rheumatischen Erkrankungen ist nur selten die Ursache bekannt. Dort, wo<br />

dies der Fall ist, erfolgt die Klassifikation und Beschreibung der Erkrankung<br />

ursachenbezogen (z. B. infektiöse Arthritis).<br />

Rheumatische Erkrankungen unklarer Ursache lassen sich in der Regel<br />

nicht aufgrund eines Krankheitsmerkmals unterscheiden. Die Identifikation<br />

dieser Erkrankungen ist meist nur auf der Grundlage einer Kombination von<br />

klinischen, röntgenologischen, labormedizinischen und anderen Merkmalen<br />

möglich. Zur Definition rheumatischer Erkrankungen, des aktuellen klinischen<br />

Zustands, der Prognose und der Folgen wurden auf der Basis eines<br />

Expertenkonsensus anhand von ausgewählten Patientengruppen <strong>Kriterien</strong> <strong>für</strong><br />

unterschiedliche Zwecke erarbeitet.<br />

z Klassifikationskriterien unterscheiden Patienten mit einer bestimmten Erkrankung<br />

von Patienten ohne diese Krankheit und von Gesunden.<br />

z Subklassifikationskriterien unterscheiden Erkrankungen oder Untergruppen<br />

(Subsets, Varianten) innerhalb einer Krankheitsgruppe.<br />

z Prognostische <strong>Kriterien</strong> erlauben es, Patienten mit leichten oder schweren<br />

Krankheitsverläufen voneinander zu trennen.<br />

z Statusindizes beschreiben die aktuelle Krankheitsaktivität und den Grad irreversibler<br />

Schäden.<br />

z Outcomekriterien messen die Gesamtheit der Folgen einer Erkrankung.<br />

Klassifikationskriterien sind ein Kompromiss aus Sensitivität und Spezifität<br />

zur Identifizierung einer Erkrankung. Sie dienen in erster Linie wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen (epidemiologische Untersuchungen, Therapiestudien),<br />

sie werden jedoch in der Praxis häufig als diagnostische <strong>Kriterien</strong> verwendet.<br />

Klassifikationskriterien bestehen aus einer definierten Anzahl von klinischen,<br />

röntgenmorphologischen, labormedizinischen oder sonstigen Merkmalen, von<br />

denen eine Mindestanzahl nachgewiesen werden soll, um von einer gesicherten<br />

Diagnose ausgehen zu können. Sensitivität und Spezifität der <strong>Kriterien</strong><br />

sind <strong>für</strong> diese Mindestanzahl von Merkmalen definiert. Alternativ werden sog.<br />

Entscheidungsbäume verwendet, die innerhalb eines definierten Katalogs von<br />

<strong>Kriterien</strong> Sensitivität und Spezifität verschiedener Merkmalsgruppen definieren.<br />

Die Sensitivität beschreibt dabei die Häufigkeit eines Merkmals oder einer<br />

Merkmalsgruppe bei der betreffenden Erkrankung und die Spezifität die Häufigkeit<br />

des Fehlens dieses Merkmals oder dieser Merkmalsgruppe bei Patienten<br />

mit differenzialdiagnostisch relevanten Erkrankungen oder bei Gesunden.<br />

Eine Besonderheit rheumatischer Erkrankungen ist es, dass einzelne Patienten<br />

wesentliche Krankheitssymptome verschiedener Erkrankungen aufweisen<br />

können bzw. dass Erkrankungen nicht klar voneinander abgegrenzt werden<br />

können. Hinzu kommt, dass das Krankheitsbild oft zu Beginn nicht hinrei-


58<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Tabelle 1. Übersicht über Klassifikationskriterien in der <strong>Rheumatologie</strong><br />

Rheumatische Erkrankungen Klassifikationskriterien<br />

z Rheumatoide Arthritis ACR-(ARA-)<strong>Kriterien</strong> 1987<br />

z Juvenile idiopathische Arthritis EULAR-WHO 1977; ARA/ACR 1977; ILAR 1997<br />

z Spondyloarthropathien ESSG-<strong>Kriterien</strong> 1991<br />

z Ankylosierende Spondylitis New-York-<strong>Kriterien</strong> 1968<br />

z Sjögren-Syndrom EEC-<strong>Kriterien</strong> 1993<br />

z SLE ACR-(ARA-)<strong>Kriterien</strong> 1982<br />

z Systemische Sklerose Vorläufige ACR-(ARA-)<strong>Kriterien</strong> 1980<br />

z Poly-/Dermatomyositis <strong>Kriterien</strong> von Bohan und Peter 1975<br />

z Vaskulitissyndrome ACR-<strong>Kriterien</strong> 1990<br />

z Polymyalgia rheumatica BIRD-<strong>Kriterien</strong> 1979<br />

z Behçet-Syndrom <strong>Kriterien</strong> der „International study group for Behçets<br />

disease“ 1990<br />

z Arthritis urica New-York-<strong>Kriterien</strong> 1966<br />

z Arthrosen der Hände ACR-<strong>Kriterien</strong> 1990<br />

z Arthrose des Kniegelenks ACR-<strong>Kriterien</strong> 1991<br />

z Arthrose des Hüftgelenks ACR-<strong>Kriterien</strong> 1991<br />

z Fibromyalgiesyndrom ACR-<strong>Kriterien</strong> 1990<br />

chend differenziert ist, sodass eine Zuordnung zu einer bestimmten Erkrankung<br />

nicht gelingt. Bei den Spondyloarthritiden hat dies dazu geführt, dass<br />

Klassifikationskriterien <strong>für</strong> eine Krankheitsgruppe definiert wurden, die es<br />

auch erlauben, „undifferenzierte“ Fälle einer Krankheitsgruppe zuzuordnen,<br />

wo die Zuordnung zu Einzelerkrankungen nicht gelingt.<br />

Einen Überblick über die international gebräuchlichen und in diesem Manual<br />

verwendeten Klassifikations-(Diagnose-)kriterien rheumatischer Erkrankungen<br />

gibt die Tabelle 1.<br />

z Literatur<br />

1. Fries JF, Hochberg MC, Medsger Jr TA, Hunder GG, Bombardier C and the American<br />

College of Rheumatology Diagnostic and Therapeutic Criteria Committee<br />

(1994) Criteria for rheumatic disease: different types and different functions.<br />

Arthritis Rheum 37:454–462<br />

2. Mathies H (Hrsg) (1984) Leitfaden <strong>für</strong> Diagnose und Therapie rheumatischer Erkrankungen.<br />

EULAR, Basel


3.2 Rheumatoide Arthritis<br />

z Synonyma. Chronische Polyarthritis, Rheumatoidarthritis.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 05.0 bis .9, M 06.0)<br />

3.2 Rheumatoide Arthritis z 59<br />

Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chronische, unter Umständen remittierend<br />

oder schubweise verlaufende entzündliche, destruierende Gelenkerkrankung<br />

(Synovialitis) mit Schwellung, Schmerzen, Tendenz zur Bewegungseinschränkung<br />

bis zur Ankylosierung, auch Stabilitätsverlust, Deformierung und Deviationen<br />

mehrerer peripherer Gelenke mit entsprechenden Folgezuständen (z. B.<br />

Muskelatrophien), oft unter Beteiligung der Sehnenscheiden und der Halswirbelsäule<br />

und mit möglichen Manifestationen außerhalb des Bewegungsapparates.<br />

Tabelle 1. <strong>Kriterien</strong> zur Klassifikation der RA der American Rheumatism Association (jetzt American<br />

College of Rheumatology) in der Revision von 1987<br />

Kriterium Definition<br />

1. Morgensteifigkeit Morgensteifigkeit in und um die Gelenke von mindestens einer<br />

Stunde Dauer bis zur maximalen Besserung.<br />

2. Arthritis von 3 oder<br />

mehr Gelenkregionen<br />

Mindestens 3 Gelenkregionen gleichzeitig mit Weichteilschwellung<br />

und Erguss (nicht allein knöcherne Verdickung), Arztbeobachtung.<br />

Die 14 möglichen Regionen sind die rechten oder linken Interphalangeal-(PIP-),<br />

Metacarpophalangeal-(MCP-) Gelenke, Hand-, Ellenbogen-,<br />

Knie-, Sprung- und Metatarsophalangeal-(MTP-) Gelenke.<br />

3. Arthritis der Hand Mindestens eine Gelenkregion geschwollen (wie oben definiert)<br />

in einem Hand-, MCP- oder PIP-Gelenk.<br />

4. Symmetrische Arthritis Simultane Beteiligung der gleichen Gelenkregionen (wie unter 2.<br />

definiert) auf beiden Körperseiten (bilaterale Beteiligung der PIP-,<br />

MCP- oder MTP-Gelenke gilt auch ohne absolute Symmetrie).<br />

5. Rheumaknoten Subkutane Knoten über Knochenvorsprüngen, an den Streckseiten<br />

oder in Gelenknähe durch Arztbeobachtung.<br />

6. Rheumafaktor im<br />

Serum nachweisbar<br />

7. Radiologische<br />

Veränderungen<br />

Befund abnormaler Titer des Serumrheumafaktors mit irgendeiner<br />

Methode, die in weniger als 5% von normalen Kontrollpersonen<br />

positiv ist.<br />

Für die chronische Polyarthritis typische radiologische Veränderungen<br />

auf einer P.-a.-Aufnahme der Hand und der Handgelenke,<br />

Erosionen oder eindeutige Knochenentkalkung lokalisiert and den<br />

betroffenen Gelenken oder unmittelbar an diese angrenzend<br />

(arthrotische Veränderungen allein gelten nicht).


60<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z <strong>Kriterien</strong><br />

Aus Klassifikationsgründen wird ein Patient als rheumatoide Arthritis diagnostiziert,<br />

wenn mindestens 4 dieser 7 <strong>Kriterien</strong> erfüllt sind. Die <strong>Kriterien</strong> 1<br />

bis 4 müssen <strong>für</strong> mindestens 6 Wochen bestanden haben. Patienten mit 2 klinischen<br />

Diagnosen sind nicht ausgeschlossen.<br />

Anmerkung zu den <strong>Kriterien</strong><br />

z Die Verdachtsdiagnose einer RA ist auch schon bei Vorliegen einer Monarthritis<br />

oder Oligoarthritis ohne Erfüllung der <strong>Kriterien</strong> möglich. Zu Beginn<br />

manifestieren sich ca. 15% der Fälle in dieser Form. Wenn allerdings<br />

ausschließlich Arthralgien – d. h. Gelenkschmerzen ohne jede objektivierbare<br />

Veränderungen – bestehen, sollte auch eine Verdachtsdiagnose nicht gestellt<br />

werden.<br />

z Andererseits können die <strong>Kriterien</strong> erfüllt sein, ohne dass eine RA vorliegt<br />

(häufigste Beispiele: Psoriasisarthritis oder Kollagenosen). In früheren <strong>Kriterien</strong><br />

– ARA-<strong>Kriterien</strong> von 1958 – waren daher eine Reihe von Ausschlusskriterien<br />

enthalten, die bei der jetzigen Revision weggelassen wurden, aber<br />

aus didaktischen Gründen nachfolgend aufgeführt sind.<br />

z Sehr wichtig ist die Beachtung des Grundsatzes, bei jeder Atypie des klinischen<br />

Bildes einer vermeintlichen RA eine intensive Differenzialdiagnostik<br />

zu betreiben (s. u.).<br />

Ausschlusskriterien der RA [2]<br />

z typische Hautveränderungen des SLE,<br />

z Nachweis krankheitstypischer, definierter antinukleärer oder antizytoplasmatischer<br />

Autoantikörper,<br />

z histologischer Nachweis einer Panarteriitis nodosa,<br />

z klinische Symptome der Polymyositis/Dermatomyositis,<br />

z systemische Sklerose,<br />

z rheumatisches Fieber,<br />

z Gichtarthritis,<br />

z Tophi,<br />

z akute infektiöse Arthritis,<br />

z tuberkulöse Arthritis,<br />

z Reiter-Syndrom,<br />

z Schulter-Hand-Syndrom,<br />

z hypertrophische Osteoarthropatie,<br />

z neuropathische Arthropathie,<br />

z Ochronose,<br />

z Sarkoidose,<br />

z multiples Myelom,<br />

z Erythema nodosum,<br />

z Leukämie oder Lymphome,<br />

z Agammaglobulinämie.


z Diagnostisch wichtige Krankheitssymptome<br />

Gelenkbeteiligungen<br />

Am häufigsten (über 40% der Fälle) erfolgt die Erstlokalisation an den PIPund<br />

MCP-Gelenken, die im späteren Verlauf fast immer involviert sind. Charakteristisch<br />

ist ferner der Befall der Handgelenke (Erstlokalisation 15%/spätere<br />

Beteiligung 85%), der Kniegelenke (15/80%), Sprunggelenke (12/40%),<br />

Ellenbogen- und Schultergelenke (je 10/60%). Sehr früh, häufig noch vor den<br />

Gelenken im Handbereich, werden auch die Zehengrundgelenke in den Prozess<br />

einbezogen, sodass auch bei Patienten ohne Vorfußschmerzen röntgenologisch<br />

oft schon die diagnostisch charakteristischen Osteolysen am Metatarsaleköpfchen<br />

V nachgewiesen werden. Hüft- (2/25%), Kiefergelenke (4/20%) und<br />

HWS (4/60%) stehen in den Anfangsstadien weniger im Vordergrund. Ein ausgeprägter<br />

Befall der Fingerend- und Zehengelenke ist ungewöhnlich.<br />

Extraartikuläre Befunde am Bewegungsapparat<br />

Eine Tenosynovialitis der Fingerbeuger und -strecker wird in je 25%, eine Tenosynovialitis<br />

sonstiger Sehnen in bis zu 7% beobachtet. Karpaltunnelsyndrome<br />

finden sich bei bis zu 60%, Muskelatrophien praktisch bei jedem Patienten.<br />

Symptomatologie außerhalb des Bewegungsapparates<br />

Viszerale Beteiligungen sind, vor allem bei Frühfällen, insgesamt selten. Bei<br />

manifesten Formen können sie gelegentlich krankheitsdominant werden. Im<br />

Mittelpunkt steht die Vaskulitis, einzelne Organe können wie folgt betroffen<br />

werden:<br />

z Haut (Ulzera, Nekrosen, Gangrän),<br />

z Herz (vorwiegend Perikarditis, Endokarditis),<br />

z Lunge (relativ häufig Pleuritis, seltener interstitielle Lungenfibrose, Rheumaknoten<br />

der Lunge, Bronchiolitis),<br />

z Neuropathie,<br />

z Befall der Nieren- und Mesenterialgefäße.<br />

Weitere extraartikuläre Manifestationen sind Rheumaknoten (ca. 20%), eine<br />

Sicca-Symptomatik (ca. 10%), Augensymptome (Episkleritis, Skleritis) und eine<br />

heute klinisch seltene Amyloidose.<br />

Laborwerte<br />

3.2 Rheumatoide Arthritis z 61<br />

z Rheumafaktorennachweis: Am Krankheitsbeginn wird er nur zu etwa 40%,<br />

im weiteren Verlauf in bis zu 85% positiv gefunden. Für die Diagnose einer<br />

seronegativen RA sind mindestens 3 negative Tests im Zeitraum über 3 Jahre<br />

erforderlich.


62<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Tabelle 2. Differenzialdiagnostisch relevante Symptome<br />

Symptom Mögliche Differenzialdiagnose<br />

z Monarthritis oder<br />

asymmetrische<br />

Oligoarthritis<br />

Psoriasisarthritis – Reaktive Arthritis – periphere Arthritis bei<br />

Spondylitis ankylosans – Gelenkinfektion – Kristallarthropathien<br />

(Arthritis urica, Chondrokalzinose) – Villonoduläre Synovialitis –<br />

Hämarthros – Symptomatische Arthropathien u.a. bei Stoffwechselerkrankungen,<br />

Neuropathien, Enteropathien, Endokrinopathien<br />

– Arthrosen – Gelenknahe Knochenprozesse<br />

z Fingerendgelenksbefall Psoriasisarthritis – Fingerpolyarthrose – Hypertrophische Osteoarthropathie<br />

z Anfallsartige Gelenk- Kristallarthropathien – Palindromer Rheumatismus – Hämarthros<br />

symptome (Entwicklung<br />

in wenigen Stunden,<br />

Dauer bis eine Woche)<br />

z Beginn nach Infekten Reaktive Arthritiden – Rheumatisches Fieber – Gelenkinfektionen<br />

z Durchfallsanamese Enteropathische Arthritiden (z.B. bei M. Crohn, Colitis ulcerosa)<br />

– Reaktive (z. B. Yersinia-) Arthritis<br />

z Fieber Kollagenosen – Reaktive Arthritiden – Gelenkinfektionen –<br />

Adulter M. Still – Arthritis urica<br />

z Hautbeteiligung Psoriasisarthritis – Kollagenosen – Reaktive und enteropathische<br />

Arthritiden – Arthritis bei Sarkoidose – Purpura rheumatica<br />

z Schleimhautbeteiligung Reaktive Arthritiden – Kollagenosen – M. Behçet<br />

z Sicca-Symptomatik Kollagenosen<br />

z Augenbeteiligung Arthritis bei Spondylitis ankylosans – Reaktive Arthritis –<br />

M. Behçet<br />

z Raynaud-Symptomatik Kollagenosen<br />

z „Atypische“ Knoten Arthritis urica – Arthropathie bei Hyperlipoproteinämien –<br />

Fingerpolyarthrose – Fingerknöchelpolster<br />

z Ausgeprägte viszerale Kollagenosen – Reaktive Arthritiden – Adulter M. Still –<br />

Beteiligung (u.a. Herz, M. Behçet – paraneoplastische Arthritis<br />

Lunge, Lymphknoten)<br />

z BSG über 100 mm Polymyalgia rheumatica – Kollagenosen – Arthritiden bei Paraproteinämien<br />

– Gelenkinfektionen – paraneoplastische Arthritis<br />

z Leuko-, Thrombozytopenie Systemischer Lupus erythematodes – Felty-Syndrom –<br />

Arthritis bei Leukosen bzw. Koagulopathien<br />

z Leukozytose Infektiöse und reaktive Arthritiden – Adulter M. Still –<br />

Arthritis bei Leukosen


z Antikörper gegen cyklisches, citrulliniertes Peptid (CCP-Antikörper): Die<br />

Spezifität der CCP-Antikörper <strong>für</strong> die RA ist deutlich höher als die des<br />

Rheumafaktors. Sie liegt bei ca. 98%. Für Früh-Fälle wird ihre Sensitivität<br />

ebenfalls höher als die des Rheumafaktors angegeben (ca. 60%).<br />

z Antinukleäre Antikörper: In Abhängigkeit von der Technik findet man in<br />

20 bis 30% positive Ausfälle in niedrigem Titer.<br />

z Die BSG ist in der Regel mittel bis stark erhöht. Werte unter 10 mm kommen<br />

nur bei weniger als 15% der Kranken vor. Entsprechend positiv ist der<br />

Ausfall des CrP (in der Regel über 20 mg/l).<br />

z Eine Anämie (Hämoglobin von unter 6,5 mmol/l) tritt nach 3-jährigem<br />

Krankheitsverlauf in 25%, nach 10-jähriger Krankheitsdauer in 30% auf. Eine<br />

Thrombozytose tritt vor allem bei hoher Krankheitsaktivität auf.<br />

z Gelenkergusszytologie: In Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität werden<br />

Leukozytenwerte von etwa 4000 bis 50 000/mm 3 , ein Rhagozytenanteil der<br />

aktiven Fälle von über 35% gefunden (s. Kap. 2.2).<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Die in Tabelle 2 aufgeführten Symptome können bei RA vorkommen, sind jedoch<br />

eher <strong>für</strong> andere Krankheitsbilder typisch. Sie sollten bei jedem Verdacht<br />

einer RA abgefragt oder gesucht werden, im positiven Falle sind die genannten<br />

Entitäten auszuschließen.<br />

z <strong>Kriterien</strong> der Krankheitsaktivität<br />

Es gibt verschiedene unterschiedlich aufwendige Indizes zur Beurteilung der<br />

Krankheitsaktivität. In Forschung und Praxis wird am häufigsten der Disease<br />

Activity Score (DAS) angewendet [3].<br />

z Literatur<br />

3.2 Rheumatoide Arthritis z 63<br />

1. Arnett FC, Edworthy SM, Bloch DA, McShane DJ, Fries JF, Cooper NS, Healey LA,<br />

Kaplan SR, Liang MH, Luthra HS, Medsger TA Jr, Mitchell DM, Neustadt DH, Pinals<br />

RS, Schaller JG, Sharp JT, Wilder RL, Hunder GG (1988) The American Rheumatism<br />

Association 1987 revised criteria for the classification of rheumatoid arthritis.<br />

Arthr Rheum 31:315–324<br />

2. Ropes MW, Bennett EA, Cobb S, Jacox R, Jessar R (1958) Revision of diagnostic<br />

criteria for rheumatoid arthritis. Bull Rheum Dis 9:175–176<br />

3. Prevoo ML, van’t Hof MA, Kuper HH, van Leeuwen MA, van de Putte LB, van Riel<br />

PL (1995) Modified disease activity scores that include twenty-eight-joint counts.<br />

Development and validation in a prospective longitudinal study of patients with<br />

rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 38:44–48


64<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter<br />

(ICD-Nr. M 08)<br />

z Synonyma. Juvenile chronische Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis,<br />

juvenile rheumatoide Arthritis.<br />

z International gültige <strong>Kriterien</strong><br />

z EULAR/WHO 1977 – Juvenile chronische Arthritis (JCA) [6]<br />

1. Beginn vor Vollendung des 16. Lebensjahres<br />

2. Persistierende oder rezidivierende Arthritis, Dauer mindestens 3 Monate<br />

3. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen), juvenile<br />

Spondarthritis bzw. Spondylitis, juvenile Psoriasisarthritis, Arthritis bei<br />

chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in der Diagnose JCA enthalten<br />

z ARA/ACR 1977 – Juvenile rheumatoide Arthritis (JRA) [1]<br />

1. Persistierende Arthritis an einem oder mehreren Gelenken, Arthritis =<br />

Gelenkschwellung oder Funktionseinschränkung mit Überwärmung oder<br />

Schmerz, Dauer mindestens 6 Wochen<br />

2. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen)<br />

In der Diagnose JRA nicht enthalten und somit zu den Exklusionen<br />

gehörend: Juvenile Spondarthritis bzw. Spondylitis, juvenile Psoriasisarthritis,<br />

Arthritis bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.<br />

z ILAR 1997 – Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) [4]<br />

1. Beginn vor dem 16. Geburtstag<br />

2. Arthritis = Gelenkschwellung oder Funktionseinschränkung mit Schmerzen.<br />

Dauer mindestens 6 Wochen<br />

3. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen).<br />

Bis vor wenigen Jahren waren in Europa und Amerika unterschiedliche Klassifikationen<br />

gültig. Deshalb wurde 1994 vom Pediatric Standing Committee der<br />

ILAR eine „classification taskforce“ berufen mit der Aufgabe, eine einheitliche<br />

Nomenklatur und Klassifikation zu erarbeiten. Die überarbeitete, zur Zeit<br />

gültige Version dieser ILAR-<strong>Kriterien</strong> wurde 1998 veröffentlicht [4]. Seither<br />

haben sich mehrere europäische Zentren an einer Validierung beteiligt und<br />

dabei einige Schwachpunkte der neuen Klassifikation aufgezeigt [2]. In Europa<br />

werden derzeit sowohl die EULAR- als auch die ILAR-<strong>Kriterien</strong> angewandt.<br />

Die meisten amerikanischen Kinderrheumatologen halten an ihren ACR-<strong>Kriterien</strong><br />

fest. Somit bleibt das Ziel einer einheitlichen internationalen Klassifikation<br />

weiterhin eine Aufgabe <strong>für</strong> die Zukunft.


z Juvenile chronische Arthritis –<br />

Einteilung in Subgruppen<br />

Die Einteilung in Subgruppen erfolgt entsprechend der Symptomatik der ersten<br />

6 Monate. Diagnostisch wichtige Symptome und Befunde sind im Folgenden<br />

aufgeführt:<br />

Oligoarthritis Typ I (25 bis 35% der JCA)<br />

z Mädchen häufiger als Jungen (etwa 70 : 30),<br />

z Beginnalter unter 6 Jahre,<br />

z asymmetrische Arthritis meist 1 bis 4 Gelenke, in einer erweiterten Form,<br />

bis 9 Gelenke betreffend, bevorzugt sind Knie- und Sprunggelenke befallen,<br />

z chronische Iridozyklitis (30 bis 50%),<br />

z BKS und CrP sind meist nur leicht oder mäßig erhöht, sie können aber<br />

auch im Normbereich liegen,<br />

z antinukleäre Antikörper positiv (70 bis 80%).<br />

Oligoarthritis Typ II (25 bis 30% der JCA)<br />

z Jungen häufiger als Mädchen betroffen (etwa 80 : 20),<br />

z Beginnalter über 6 Jahre,<br />

z asymmetrische Arthritis mit bevorzugtem Befall der Hüft-, Knie-, Sprunggelenke,<br />

z Enthesopathien (40 bis 50%),<br />

z akute Iridozyklitis (10 bis 15%),<br />

z Rückenschmerzen (30 bis 40%),<br />

z positive Familienanamnese (20 bis 30%),<br />

z aktuelle Entzündungszeichen (BKS, CrP) ähnlich wie Oligoarthritis Typ I,<br />

z HLA-B27 positiv (70 bis 80%).<br />

Ein Übergang in die juvenile Spondarthritis ist bei röntgenologisch manifester<br />

Sakroiliitis gegeben.<br />

Seronegative Polyarthritis (20 bis 30% der JCA)<br />

3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter z 65<br />

z Mädchen häufiger als Jungen befallen (etwa 60 :40),<br />

z kein Altersgipfel – alle Altersgruppen sind gleichmäßig betroffen,<br />

z symmetrische Arthritis der großen und kleinen Gelenke einschließlich Kiefergelenke,<br />

HWS,<br />

z IgM-Rheumafaktor ist definitionsgemäß negativ,<br />

z allgemeine Entzündungszeichen (BKS, CrP) sind häufig nachweisbar, gelegentlich<br />

normal.


66<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Seropositive Polyarthritis (5% der JCA)<br />

z Mädchen häufiger als Jungen betroffen (70 : 30),<br />

z Beginnalter meist über 10 Jahre,<br />

z überwiegend symmetrische Arthritis der großen und kleinen Gelenke, bevorzugt<br />

der Hand-, Fingergelenke,<br />

z subkutane Rheumaknoten (20 bis 30%),<br />

z BSG und CrP sind im akuten Stadium erhöht,<br />

z IgM-Rheumafaktor definitionsgemäß positiv (mindestens 3 unabhängige<br />

positive Ergebnisse),<br />

z CCP-Antikörper positiv über 70%.<br />

Systemische juvenile chronische Arthritis (10 bis 15% der JCA)<br />

z Mädchen ebenso häufig wie Jungen betroffen,<br />

z Beginnalter meist unter 6 Jahre,<br />

z Fieber über 39 Grad mindestens 2 Wochen anhaltend,<br />

z Exanthem (90 bis 95%),<br />

z Polyarthritis (60%), Oligoarthritis (40%, die Arthritis kann den Fieberattacken<br />

Wochen, Monate oder auch Jahre später nachfolgen),<br />

z Hepato-/Splenomegalie (60 bis 70%),<br />

z Peri- bzw. Perimyokarditis (30 bis 40%),<br />

z Pleuritis, Peritonitis (10 bis 20%),<br />

z ausgeprägte allgemeine Entzündungszeichen: BKS, CrP sind stark erhöht, es<br />

besteht eine Leukozytose mit Linksverschiebung, Thrombozytose,<br />

z Entwicklung einer Amyloidose (5 bis 10%).<br />

Sonderformen<br />

Zur juvenilen chronischen Arthritis nach EULAR/WHO gehört auch die juvenile<br />

Psoriasisarthritis. Folgende Definitionen sind gebräuchlich:<br />

z Arthritis mit Beginn vor dem 17. Lebensjahr, verbunden mit Psoriasis, welche<br />

der Arthritis entweder vorausgeht oder innerhalb von 15 Jahren nachfolgt<br />

[3].<br />

z Arthritis verbunden mit typischer Hautpsoriasis, nicht unbedingt im zeitlichen<br />

Zusammenhang oder<br />

Arthritis mit mindestens 3 von 4 Nebenkriterien: Daktylitis, Tüpfelnägel,<br />

psoriasisähnliche Hautveränderungen oder Familienanamnese mit Psoriasis<br />

(wahrscheinliche juvenile Psoriasisarthritis definiert als Arthritis plus 2 Nebenkriterien)<br />

[5].<br />

z Juvenile idiopathische Arthritis –<br />

Einteilung in Kategorien<br />

Die Einteilung erfolgt entsprechend der Symptomatik der ersten 6 Monaten.<br />

Die 7 Kategorien sind wie folgt definiert:


Systemische Arthritis<br />

Arthritis und tägliches Fieber über mindestens 2 Wochen anhaltend sowie<br />

eines oder mehrere der folgenden Symptome:<br />

z flüchtiges Exanthem,<br />

z generalisierte Lymphknotenschwellungen,<br />

z Hepato- oder Splenomegalie,<br />

z Serositis.<br />

Oligoarthritis<br />

Arthritis an 1 bis 4 Gelenken während der ersten 6 Monate. Zwei Subkategorien<br />

werden unterschieden:<br />

1. Persistierende Oligoarthritis: Im gesamten Verlauf sind nicht mehr als 4 Gelenke<br />

betroffen.<br />

2. Erweiterte Oligoarthritis: Eine kumulative Anzahl von 5 oder mehr Gelenken<br />

erkranken im Verlauf nach den ersten 6 Monaten.<br />

Exklusionen:<br />

z familiäre Psoriasis bei einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,<br />

z familiäre Belastung mit einer HLA-B27-assoziierten Erkrankung bei mindestens<br />

einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,<br />

z positiver Rheumafaktor,<br />

z HLA-B27-positiver Junge mit Erkrankungsbeginn nach dem 8. Lebensjahr,<br />

z systemische Arthritis wie oben definiert.<br />

Polyarthritis (Rheumafaktor negativ)<br />

Arthritis an 5 oder mehr Gelenken während der ersten 6 Monate; Rheumafaktor<br />

negativ.<br />

Exklusionen:<br />

z Nachweis des Rheumafaktors,<br />

z systemische Arthritis wie oben definiert.<br />

Polyarthritis (Rheumafaktor positiv)<br />

Arthritis an 5 oder mehr Gelenken während der ersten 6 Monate, verbunden<br />

mit positivem Rheumafaktor, 2-mal im Abstand von mindestens 3 Monaten<br />

gemessen.<br />

Exklusionen:<br />

z bei 2-maliger Testung kein Rheumafaktor nachgewiesen,<br />

z systemische Arthritis wie oben definiert.<br />

Psoriasisarthritis<br />

1. Arthritis und Psoriasis oder<br />

2. Arthritis und mindestens 2 der folgenden Kritierien:<br />

3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter z 67


68<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

– Daktylitis,<br />

– Nagelveränderungen (Tüpfel oder Onycholyse),<br />

– familiäre Psoriasis, vom Dermatologen bestätigt, bei mindestens einem<br />

Verwandten ersten Grades.<br />

Exklusionen:<br />

z Nachweis des Rheumafaktors,<br />

z systemische Arthritis wie oben definiert.<br />

Enthesitisassoziierte Arthritis<br />

1. Arthritis und Enthesitis oder<br />

2. Arthritis oder Enthesitis mit mindestens 2 der folgenden <strong>Kriterien</strong>:<br />

– sakroiliakale Beschwerden und/oder entzündliche Wirbelsäulenschmerzen,<br />

– Nachweis von HLA-B27,<br />

– familiäre Belastung mit einer HLA-B27-assoziierten Erkrankung bei mindestens<br />

einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,<br />

– anteriore Uveitis, verbunden mit Schmerz, Rötung oder Photophobie,<br />

– Beginn der Arthritis bei einem Jungen älter als 8 Jahre.<br />

Exklusionen:<br />

z Psoriasis, von einem Dermatologen bestätigt, bei mindestens einem Verwandten<br />

ersten oder zweiten Grades,<br />

z systemische Arthritis wie oben definiert.<br />

Andere Arthritis<br />

Kinder mit Arthritis unbekannter Ursache, die über mindestens 6 Wochen<br />

persistiert, aber<br />

1. <strong>Kriterien</strong> <strong>für</strong> irgendeine der anderen Kategorien nicht erfüllt oder<br />

2. <strong>Kriterien</strong> <strong>für</strong> mehr als eine der anderen Kategorien erfüllt.<br />

Exklusionen:<br />

Wichtigste Differenzialdiagnosen zur juvenilen chronischen bzw. idiopathischen<br />

Arthritis sind<br />

z andere rheumatische Erkrankungen: reaktive Arthritis (= akute rheumatische<br />

Arthritiden, einschließlich rheumatisches Fieber), Kollagenosen, systemische<br />

Vaskulitissyndrome einschließlich M. Behçet, infantile Sarkoidose,<br />

familiäres Mittelmeerfieber;<br />

z Infektionen: septische Arthritis mit oder ohne Osteomyelitis, einschließlich<br />

TBC, Lyme-Borreliose, Virusinfektionen (insbesondere EBV, Röteln, Zytomegalie,<br />

Hepatitis B), Mykosen;<br />

z maligne Erkrankungen: Leukosen und andere maligne Systemerkrankungen,<br />

Tumore (Metastasen);<br />

z Stoffwechselstörungen/Immundefekte: diabetische Cheiropathie, Arthritis<br />

bei Mukoviszidose, Arthritis bei Fettstoffwechselstörungen, Speicherkrankheiten,<br />

Agammaglobulinämie, septische Granulomatose;<br />

z hämatologische Erkrankungen: Sichelzellanämie, Hämophilie/Blutergelenk;


z weitere Erkrankungen des Skelettsystems/Bewegungsapparates: Coxitis fugax,<br />

Fremdkörpersynovialitis, Trauma (Unfälle und Misshandlungen), aseptische<br />

Nekrosen (M. Perthes u.a.), Osteochondritis dissecans, Chondropathia<br />

patellae, Epiphysiolysis capitis, Adoleszentenchondrolyse, Algodystrophie,<br />

gutartige Tumore (Osteoid-Osteom u.a.), villonoduläre Synovialitis,<br />

intraartikuläres Hämangiom, synoviale Chondromatose, Skelettdysplasien,<br />

juveniles Fibromyalgiesyndrom, Hypermobilitätssyndrom.<br />

z Literatur<br />

3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter z 69<br />

1. Brewer EJ, Bass J, Baum J, Cassidy JT, Fink CW, Jacobs JC, Hanson V, Levinson JF,<br />

Schaller JG, Stillman JS (1977) Current proposed revision of JRA criteria. Arthr<br />

Rheum 20 (suppl):195–199<br />

2. Häfner R (2002) Juvenile idiopathische Arthritis. Die neue Nomenklatur und Klassifikation<br />

der chronischen Arthritis im Kindesalter. Akt Rheumatol 27:18–21<br />

3. Lambert JR, Ansell BM, Stephenson E, Wright V (1976) Psoriatic arthritis in<br />

childhood. Clin Rheum Dis 2:339–352<br />

4. Petty RE, Southwood TR, Baum J, Bhettay E, Glass DN, Manners P, Maldonado-<br />

Cocco J, Suarez-Almazor M, Orozco-Alcala J, Prieur AM (1998) Revision of the<br />

proposed classification criteria for juvenile idiopathic arthritis: Durban 1997. J<br />

Rheumatol 25:1991–1994<br />

5. Southwood TR, Petty RE, Malleson PN, Delgado EA, Hunt DW, Wood B, Schroeder<br />

ML (1989) Psoriatic arthritis in children. Arthr Rheum 32:1007–1013<br />

6. Wood PHN (1978) Special meeting on nomenclature and classification of arthritis<br />

in children. In: Munthe E (ed) The care of rheumatic children. EULAR publishers,<br />

pp 47–50


70<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.4 Spondyloarthritiden<br />

(ICD-Nr. M 46.8*/...+, M 46.9)<br />

z Synonyma. Seronegative Spondarthritiden, seronegative Spondylarthropathien,<br />

Spondylarthritiden, Spondarthritiden.<br />

z Definition<br />

Unter den Spondyloarthritiden werden eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst,<br />

die sich gegenüber der chronischen Polyarthritis durch das Fehlen<br />

von Rheumafaktoren und Rheumaknoten abgrenzen und welche die Gemeinsamkeiten<br />

des Sakroiliitis-Spondylitis-Arthritis-Syndroms, der familiären Häufung<br />

und der Assoziation mit dem HLA-B27 aufweisen. Folgende gemeinsame<br />

Manifestationen charakterisieren die Spondyloarthritiden:<br />

z klinischer und röntgenologischer Befall der Iliosakralgelenke (Sakroiliitis)<br />

und Wirbelsäule (Syndesmophyten, Spondylitis);<br />

z periphere Arthritis, meist mit asymmetrischem Befall der Gelenke und besonders<br />

an den unteren Extremitäten;<br />

z entzündliche Veränderungen der Insertionen von Sehnen und Bändern (Enthesiopathien);<br />

z gemeinsame extraartikuläre Manifestationen wie Augenentzündungen (Iridozyklitis,<br />

Konjunktivitis, selten Episkleritis), Schleimhautentzündungen (Stomatitis<br />

aphthosa, Urethritis), Hautveränderungen (psoriasiform, Erythema<br />

nodosum, Pyoderma gangraenosum);<br />

z familiäre Häufung und hohe Assoziation mit HLA-B27.<br />

Zu den Spondyloarthritiden werden folgende Erkrankungen gezählt:<br />

z Spondylitis ankylosans,<br />

z Arthritis psoriatica,<br />

z infektreaktive Arthritiden,<br />

z intestinale Arthropatien bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Morbus<br />

Whipple,<br />

z SAPHO-Syndrom,<br />

z juvenile Oligoarthritis Typ 2.<br />

Die juvenile Oligoarthritis Typ 2 zählt wegen des häufigen Übergangs in eine<br />

Spondylitis ankylosans zu den Spondyloarthritiden. Fraglich ist noch die Zuordnung<br />

des SAPHO-Syndroms (Synovialitis, Akne, Pustulosis, Hyperostose,<br />

Osteitis), da keine ausgeprägte HLA-B27-Assoziation besteht und die Hautveränderungen<br />

in ihrer Klassifikation als mögliche Psoriasis noch zur Diskussion<br />

stehen.


Erkrankungen, die aufgrund der Symptome als Spondyloarthritis klassifiziert<br />

werden, sich jedoch nicht einer der oben genannten definitiven Diagnosen<br />

zuordnen lassen, werden als undifferenzierte Spondyloarthritis bezeichnet.<br />

z <strong>Kriterien</strong><br />

3.4 Spondyloarthritiden z 71<br />

Von der European Spondylarthropathy Study Group (ESSG) wurden kürzlich<br />

Klassifikationskriterien <strong>für</strong> die gesamte Gruppe der Spondyloarthritiden erarbeitet,<br />

die als Hauptkriterien vom entzündlichen Wirbelsäulenschmerz (s. Tabelle<br />

1, Tabelle 2) oder einer asymmetrischen Arthritis, vorwiegend der unteren Extremitäten,<br />

ausgehen. Zusätzlich muss ein weiteres Kriterium erfüllt sein. Das<br />

HLA-B27 wurde nicht in den <strong>Kriterien</strong>katalog aufgenommen, da es die diagnostische<br />

Wertigkeit nicht steigert.<br />

Demnach wäre auch u. a. bei alleiniger asymmetrischer peripherer Arthritis<br />

und einer positiven Familienanamnese eines M. Crohn die diagnostische Ein-<br />

Tabelle 1. Klassifikationskriterien der Spondylarthropathy Study Group (ESSG)<br />

ESSG-<strong>Kriterien</strong> der Spondyloarthritiden<br />

z Wirbelsäulenschmerzen vom entzündlichen Typ<br />

z und eines der folgenden <strong>Kriterien</strong>:<br />

oder z Arthritis<br />

– asymmetrisch oder<br />

– vorwiegend an den unteren<br />

Extremitäten<br />

– positive Familienanamnese <strong>für</strong> Spondylitis ankylosans, Psoriasis, reaktive Arthritis, M. Crohn<br />

oder Colitis ulcerosa,<br />

– Befund oder Anamnese einer Psoriasis,<br />

– M. Crohn oder Colitis ulcerosa,<br />

– beidseits wechselnde Gesäßschmerzen,<br />

– Fersenschmerzen,<br />

– Sakroiliitis.<br />

Tabelle 2. Charakteristika des entzündlichen Rückenschmerzes (mod. n. [1])<br />

1. Beginn der Rückenschmerzen vor dem 40. Lebensjahr,<br />

2. schleichender Beginn,<br />

3. Dauer seit mindestens 3 Monaten,<br />

4. Morgensteifigkeit,<br />

5. Besserung der Schmerzen bei Bewegung-<br />

Mindestens 4 <strong>Kriterien</strong> müssen erfüllt sein.<br />

Weitere wichtige Charakteristika:<br />

z Aufwachen in der 2. Nachthälfte sowie Akzentuierung der Symptomatik am Morgen und nach<br />

einer längeren Ruhephase,<br />

z zum Teil ausstrahlender Schmerz, vor allem Oberschenkel dorsal bis zum Knie,<br />

z keine neurologischen Symptome.


72<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

ordnung als Spondyloarthritis möglich. Spondylitis und Arthritis sind zwar<br />

häufig gemeinsam auftretende Teilaspekte der o. g. Entitäten, im Einzelfall<br />

muss aber nur ein einziges der beiden Grundsymptome nachweisbar sein.<br />

Die Sensitivität der ESSG-<strong>Kriterien</strong> beträgt in verschiedenen Untersuchungen<br />

87 bis 99% und die Spezifität 87 bis 100%.<br />

Auch ohne Röntgenbefund einer Sakroiliitis wird allein mit den anamnestischen<br />

und klinischen Daten noch eine Sensitivität von 77% und eine unveränderte<br />

Spezifität von 89% erreicht. Die Variationsbreite der Sensitivität <strong>für</strong><br />

die einzelnen Erkrankungen der Spondyloarthritiden beträgt 78 bis 100%.<br />

Auch <strong>für</strong> die undifferenzierten Spondyloarthritiden erweisen sich die <strong>Kriterien</strong><br />

mit einer Sensitivität von 78% als praktisch brauchbar.<br />

z Zusätzliche diagnostisch wichtige Krankheitssymptome<br />

z Gastrointestinale Symptome. Das Spektrum bei Spondyloarthritiden reicht<br />

von nur diskreten, asymptomatischen makroskopischen und mikroskopischen<br />

Veränderungen der Kolonschleimhaut und des terminalen Ileums bei<br />

undifferenzierten Spondyloarthritiden bis hin zu den typischen Darmsymptomen<br />

bei Colitis ulcerosa (blutige, schleimige Durchfälle, häufig mit Tenesmen),<br />

Morbus Crohn (schleimig-eitrige, nur selten blutige Durchfälle, selten<br />

Tenesmen, anale Abszesse und Analfisteln, Pseudoappendizitis) und Morbus<br />

Whipple (voluminöse Fettstühle, Malabsorptionssyndrom).<br />

z Urogenitale Symptome. Eine Urethritis, Prostatitis, Cervicitis können auf<br />

die den Spondyloarthritiden zugehörige sexuell aquirierte reaktive Arthritis<br />

hinweisen (Kap. 3.6).<br />

z Haut- und Schleimhautveränderungen. Neben den bereits genannten Symptomen<br />

der Psoriasis, der Pustulosis palmaris et plantaris, des Erythema<br />

nodosum und des Pyoderma gangraenosum können sehr selten auch vaskulitische<br />

Veränderungen gefunden werden.<br />

Tabelle 3. Häufigkeit des Nachweises des HLA-B27 bei Spondyloarthritiden<br />

% positiv<br />

z Spondylitis ankylosans 90–100<br />

z Reaktive Arthritiden/Morbus Reiter 50–80<br />

z Intestinale Arthropathien<br />

– mit Sakroriliitis 50–70<br />

– ohne Sakroiliitis 6<br />

z Psoriasisarthropathie<br />

– mit Sakroiliitis 35–100<br />

– ohne Sakroiliitis 14–24<br />

z Juvenile Oligoarthritis Typ 2 40–60<br />

z Chronische Polyarthritis 6–10<br />

z Gesunde Kontrollpersonen 6–8


z Sonstige viszerale Beteiligungen: Selten sind kardiale Manifestationen (Aorteninsuffizienz,<br />

Myokarditis, Perikarditis, AV-Überleitungsstörungen), unspezifische<br />

Begleithepatitiden, Myositis und Amyloidose.<br />

Die Häufigkeit der HLA-B27-Assoziation ist mit ca. 40 bis 85% niedriger als<br />

bei der idiopathischen Spondylitis ankylosans (Tabelle 3). Bei den peripherartikulären<br />

Formen der Spondyloarthritis findet sich das HLA-B27 seltener,<br />

bei Nachweis einer röntgenologischen Sakroiliitis und anderen axialen Symptomen<br />

häufiger.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

In Frühstadien ist die Differenzierung der Spondyloarthritiden in die einzelnen<br />

Krankheitsbilder oft schwierig. Vor allem die frühzeitige Abgrenzung einer<br />

Spondylitis ankylosans und Arthritis psoriatica gelingt vielfach nicht. Besonders<br />

wichtig ist die Differenzialdiagnose zur rheumatoiden Arthritis, wobei<br />

den Rheumafaktoren eine wichtige Rolle zukommt.<br />

Bezüglich weiterer differenzialdiagnostischer Überlegungen wird auf die<br />

entsprechenden Abschnitte der Diagnosekriterien der Spondylitis ankylosans<br />

(Kap. 3.4) und der Psoriasisarthritis (Kap. 3.5) hingewiesen.<br />

z Literatur<br />

3.4 Spondyloarthritiden z 73<br />

1. Calin A, Parta J, Fries JF, Schurmann DJ (1977) Clinical history as a screening test<br />

for ankylosing spondylitis. J Am Med Assn 237:2613–2614<br />

2. Dougados M, Van der Linden S, Julien R, Huitfeldt B, Amor B, Calin A, Cats A,<br />

Dijkmans I, Olivieri I, Pasero G, Veys E, Zeidler H and the European Spondylarthropathy<br />

Study Group (1991) The European Spondylarthropathy Study Group<br />

preliminary criteria for the classification of spondylarthropathy. Arthr Rheum<br />

34:1218–1230<br />

3. Mau W, Zeidler H (2001) Sonstige entzündliche Spondylarthropathien. In: Zeidler,<br />

Zacher, Hiepe (Hrsg) Interdisziplinäre klinische <strong>Rheumatologie</strong>. Springer, Berlin,<br />

Heidelberg, New York, S 1019–1025<br />

4. Moll JM, Haseler J, Macral IF, Wright V (1974) Association between ankylosing<br />

spondylitis, psoriatic arthritis, Reiter’s disease, the intestinal arthropathies and Behçet-syndrome.<br />

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5. Silman A (2001) Ankylosing spondylitis and spondylarthropathies. In: Silman A,<br />

Hochberg MC (eds) Epidemiology of rheumatic diseases. University Press, Oxford,<br />

pp 100–111<br />

6. Zeidler H, Mau W, Kahn MA (1992) Undifferentiated spondylarthropathies.<br />

Rheum Dis Clin North Am 18:187–198


74<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.5 Spondylitis ankylosans<br />

z Synonym. Morbus Bechterew.<br />

z Definition<br />

Die Spondylitis ankylosans (Sp. a.) ist eine chronische entzündlich-rheumatische<br />

Systemerkrankung, die sich vorzugsweise mit ankylosierenden und destruierenden<br />

Veränderungen am Achsenskelett, aber auch häufig mit peripheren<br />

Arthritiden, Enthesiopathien und seltener viszeralen Organbeteiligungen<br />

manifestiert.<br />

z <strong>Kriterien</strong><br />

(ICD-Nr. M 45)<br />

Weltweit anerkannt als Klassifikationskriterien der Sp. a. sind die New York-<br />

<strong>Kriterien</strong> (Tabelle 1).<br />

Tabelle 1. New-York-<strong>Kriterien</strong> der Spondylitis ankylosans<br />

1. Deutlich eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) in allen Ebenen.<br />

2. Frühere oder aktuelle Schmerzen im Bereich des dorsolumbalen Übergangs oder der LWS.<br />

3. Eingeschränkte Atembreite (£ 2,5 cm) in Höhe des 4. Interkostalraumes.<br />

Sichere Sp. a., wenn<br />

z eine beidseitige Sakroiliitis Grad 3 oder 4 und ein klinisches Kriterium oder<br />

z eine beidseitige Sakroiliitis Grad 2 oder eine einseitige Sakroiliitis Grad 3 oder 4 und<br />

– Kriterium 1 oder<br />

– beide <strong>Kriterien</strong> 2 und 3 vorliegen.<br />

z Wahrscheinliche Sp. a. bei beidseitiger Sakroiliitis Grad 3 oder 4.<br />

Tabelle 2. Gradeinteilung der Sakroiliitis<br />

Grad Pathologische Veränderung im Röntgenbild<br />

0 normal<br />

1 verwaschener Gelenkspalt, Pseudoerweiterung, mäßige Sklerosierung<br />

2 unregelmäßige Gelenkspalterweiterung, ausgeprägte Sklerosierung, Erosionen, „Perlschnurbild“<br />

3 Gelenkspalterweiterung oder -verengung, Erosionen<br />

4 Sklerosierung, partielle Ankylosierung, totale Ankylose


Tabelle 3. Frühdiagnosekriterien der Spondylitis ankylosans<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Diagnose einer sicheren Sp. a. ist eine Sakroiliitis<br />

mindestens Grad 2 entsprechend der Graduierung röntgenologischer Veränderungen<br />

der Sakroiliakalgelenke (Tabelle 2).<br />

Da bis zum röntgenologischen Nachweis einer Sakroiliitis durchschnittlich<br />

2,5 bis 11 Jahre vergehen, sind die New-York-<strong>Kriterien</strong> nicht <strong>für</strong> die Frühdiagnose<br />

der Sp. a. geeignet. Bei Frühformen der Sp. a. noch ohne röntgenologisch<br />

nachweisbare Sakroiliitis können die <strong>Kriterien</strong> des Kreuzschmerzes vom<br />

entzündlichen Typ (Tabelle 2, Kap. 3.4) und die Frühdiagnosekriterien der<br />

Sp. a. (Tabelle 3) hilfreich sein <strong>für</strong> die Formulierung einer Verdachts- bzw. Arbeitsdiagnose.<br />

Ein positiver HLA-B27-Test <strong>für</strong> sich allein ohne entsprechende klinische<br />

Zeichen erlaubt nicht die Diagnose einer Sp. a., da er auch in etwa 7% der<br />

Normalbevölkerung positiv ausfällt (s. auch Tabelle 3, Kap. 3.4).<br />

z Krankheitssymptome des Bewegungsapparates<br />

3.5 Spondylitis ankylosans z 75<br />

<strong>Kriterien</strong> Punkte<br />

Genetisch:<br />

z HLA-B27 positiv 1,5<br />

Klinisch:<br />

z Wirbelsäulenschmerz (entzündlicher Typ) 1<br />

z Ischialgiformer Schmerz oder positive Mennell-Zeichen 1<br />

z Thoraxschmerz oder eingeschränkte Atembreite (2,5 cm) 1<br />

z Periphere Arthritis oder Fersenschmerz 1<br />

z Uveitis anterior 1<br />

z Eingeschränkte HWS/LWS-Beweglichkeit 1<br />

Labor:<br />

z Erhöhte BKS – Alter unter 50 J.: M=15 mm/Stunde, F =20 mm/Stunde 1<br />

– Alter über 50 J.: M=20 mm/Stunde, F =30 mm/Stunde<br />

Röntgen:<br />

z Syndesmophyten, Kasten-, Tonnenwirbel, Romanus-, Anderson-Läsion, Arthritis 1<br />

der Kostovertebral- und/oder Intervertebralgelenke<br />

Ab mindestens 3,5 Punkten ist die Frühdiagnose einer Spondylitis ankylosans zu stellen.<br />

Ausschlusskriterien: Traumatische, degenerative oder andere nichtentzündliche Wirbelsäulenveränderungen;<br />

Arthritis psoriatica oder reaktive Arthritis; maligne, infektiöse, metabolische oder<br />

endokrinologische Erkrankungen; andere Gründe <strong>für</strong> eine erhöhte BKS; positiver Rheumafaktor.<br />

z Wirbelsäule. Der Rückenschmerz vom entzündlichen Typ ist durch einen<br />

nächtlichen tief sitzenden Rückenschmerz mit Erwachen in der 2. Nachthälfte<br />

und am Morgen sowie den Ruheschmerz charakterisiert. Eine Besserung der<br />

Symptomatik ist durch Aufstehen und Bewegung zu erzielen. Eine Ausstrah-


76<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

lung des tief sitzenden Rückenschmerzes in Gesäß und Oberschenkel dorsal<br />

höchstens bis zum Knie kommt bei etwa 20% der Patienten vor. Auch im Rahmen<br />

der Spondylitis sämtlicher Wirbelsäulenabschnitte (LWS, BWS, HWS)<br />

kommt es zu nächtlichen Schmerzen, die bei Beteiligung der Kostotransversalgelenke<br />

zu gürtelförmigen Thoraxschmerzen führen können.<br />

z Arthritis. Eine periphere Mon- oder Oligoarthritis vorzugsweise der großen<br />

Gelenke an der unteren Extremität wird bei 25 bis 75% der Patienten mit<br />

Sp. a. im Krankheitsverlauf beobachtet. In 30% tritt sie als Erstsymptom vor<br />

den Rückenschmerzen auf. Üblicherweise handelt es sich um eine transiente,<br />

selten chronische und erosive Arthritis.<br />

z Enthesiopathien. Hyperostotische und resorptive Veränderungen an den Sehnenansätzen<br />

im Sinne einer Enthesiopathie manifestieren sich vor allem im<br />

Bereich des Fersenbeines plantar und am Achillessehnenansatz, aber auch im<br />

Bereich der Sitzbeinhöcker, der Beckenkämme, der Trochanteren sowie im Bereich<br />

der Übergänge von Rippen, Rippenknorpel und Sternum.<br />

z Extraartikuläre Manifestationen<br />

Nachfolgend sind die wichtigsten viszeralen Beteiligungen aufgeführt:<br />

z Eine einseitige, im Verlauf oft wechselseitige Iritis/Iridozyklitis in 4 bis 40%.<br />

z Kardiovaskuläre Manifestationen finden sich in 2 bis 10% als Aorteninsuffizienz<br />

in Folge einer Aortitis, als echokardiografisch nachweisbare Kardiomyopathie<br />

sowie als Reizleitungsstörung mit AV-Blockierung unterschiedlichen<br />

Schweregrades bis hin zum totalen AV-Block mit Adams-Stokes-Anfällen.<br />

Peri- und Myokarditiden sind ausgesprochen selten.<br />

z Eine verminderte Vitalkapazität ist in fortgeschrittenen Fällen wegen der<br />

ausgeprägten Thoraxsperre und Wirbelsäulenkyphosierung nachweisbar.<br />

Extrem selten findet sich eine zystische Oberlappenfibrose, die sich klinisch<br />

nach langer Krankheitsdauer mit Dyspnoe und Hämoptoe äußert und radiologisch<br />

dem Bild einer Tuberkulose ähneln kann.<br />

z Eine Nierenbeteiligung findet sich in Form einer sekundären Amyloidose in<br />

bis zu 8%, andere renale Veränderungen wie interstitielle Nephritis und<br />

IgA-Nephropathie in bis zu 10%.<br />

z Als neurologische Komplikationen von Spätstadien der Sp. a. sind ein Cauda-equina-Syndrom<br />

sowie Rückenmarkskompressionen durch atlantodentale<br />

Dislokationen zu nennen. Frakturen der ankylosierten Wirbelsäule können<br />

selbst bei geringen Traumen auftreten und zu einer Querschnittssymptomatik<br />

führen.<br />

z Labor<br />

Wichtige Laborbefunde sind positive Entzündungsparameter (BKS, CrP; bei<br />

ca. 25% jedoch normal), negative Rheumafaktoren und ein positives HLA-B27<br />

(in 88 bis 96%); zur Bewertung des HLA-B27 s. o.


z Differenzialdiagnose<br />

3.5 Spondylitis ankylosans z 77<br />

Die Sp. a. ist vor allem gegen andere entzündliche und degenerative Wirbelund<br />

Iliosakralgelenkserkrankungen abzugrenzen, darüber hinaus aber auch<br />

gegenüber internistischen, neurologischen und gynäkologischen Ursachen <strong>für</strong><br />

Wirbelsäulenschmerzen. Bei Beginn der Erkrankung im Bereich der peripheren<br />

Gelenke kommt das breite Spektrum der Differenzialdiagnose der Monund<br />

Oligoarthritis hinzu.<br />

Bei Vorliegen einer entzündlichen Symptomatik des Achsenbefalls ist in erster<br />

Linie an eine der übrigen Erkrankungen aus der Gruppe der Spondyloarthritiden<br />

zu denken. Für die Differenzialdiagnose maßgebend sind die Krankheitsmanifestationen<br />

außerhalb des Achsenskeletts, durch die Spondyloarthritiden<br />

voneinander abgegrenzt werden können (s. Kap. 3.4).<br />

Geht die Sp. a. mit einer Diszitis oder Spondylodiszitis einher, stellt sich die<br />

Differenzialdiagnose gegenüber bakteriellen, mykotischen und parasitären<br />

Spondylitiden. Für die Sp. a. typisch ist das Auftreten der Spondylodiszitis in<br />

späteren Krankheitsstadien, das Fehlen stärkerer Allgemeinsymptome (Leukozytose,<br />

Fieber) und der Nachweis einer Sakroiliitis. Für die seltene Differenzialdiagnose<br />

gegenüber einer Wirbelsäulenbeteiligung bei Chondrokalzinose<br />

und Hydroxylapatiterkrankung, deren Verkalkungen zu Verwechslungen mit<br />

Syndesmophyten führen können, hilft vor allem der röntgenologische Nachweis<br />

der typischen Verkalkung im Bereich der Hände, Knie und Hüften.<br />

Speziell <strong>für</strong> die Iliosakralgelenke kommt neben den bereits genannten<br />

entzündlichen Wirbelsäulenaffektionen noch die Differenzialdiagnostik der<br />

Osteosis triangularis condensans (meist klinisch stumme, röntgenologisch<br />

nachweisbare dreieckige, paraartikuläre Sklerosezone im distalen Iliumabschnitt,<br />

bevorzugt Frauen) und der Morbus Paget (röntgenologisch Knochenumbau,<br />

erhöhte alkalische Phosphatase) hinzu.<br />

Bei der Abgrenzung gegenüber degenerativen Wirbelsäulenveränderungen<br />

ist die Spondylitis hyperostotica besonders wichtig, da mitunter die brückenbildende<br />

Hyperostose an den Wirbelkörpern röntgenologisch mit der Syndesmophytenbildung<br />

und Ankylosierung der Sp. a. verwechselt werden kann. Typisch<br />

<strong>für</strong> die Spondylitis hyperostotica ist die nur geringe Schmerzhaftigkeit,<br />

das Auftreten nach dem 50. Lebensjahr, die röntgenologisch unauffälligen Iliosakralgelenke,<br />

das Fehlen einer Mitbeteiligung der Extremitätengelenke und<br />

die normale BKS. Die gleichen Unterscheidungsmerkmale gelten im Wesentlichen<br />

auch <strong>für</strong> die Differenzialdiagnose gegenüber der Osteochondrose.<br />

Arthritische Frühstadien der Sp. a. fordern das gesamte Spektrum der Differenzialdiagnostik<br />

entzündlich-rheumatischer Erkrankungen, wobei in erster<br />

Linie die reaktiven Arthritiden und anderen Spondyloarthritiden wegen der<br />

gemeinsamen Assoziation mit dem HLA-B27 zu nennen sind. Die rheumatoide<br />

Arthritis kann durch ihr symmetrisches Befallsmuster der Finger- und Zehengelenke<br />

sowie positive Rheumafaktoren und das Fehlen von HLA-B27 abgegrenzt<br />

werden.


78<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Literatur<br />

1. Mau W, Zeidler H, Mau R, Majewski A, Freyschmidt J, Stangel W, Deicher H<br />

(1990) Evaluation of early diagnostic criteria for ankylosing spondylitis in a<br />

10 year follow-up. Z Rheumatol 49:82–87<br />

2. Mau W, Zeidler H (2001) Spondylitis ankylosans. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F<br />

(Hrsg) Interdisziplinäre klinische <strong>Rheumatologie</strong>. Springer, Berlin, Heidelberg,<br />

New York, S 1004–1019


3.6 Psoriasisarthritis<br />

z Synonyma. Arthritis psoriatica, Arthritis und Spondylitis bei Psoriasis.<br />

z Definition<br />

Die Arthritis psoriatica (PA) ist charakterisiert durch das Vorhandensein einer<br />

rheumafaktornegativen Arthritis der peripheren Gelenke und/oder einer Spondylitis<br />

in Zusammenhang mit einer Psoriasis der Haut oder Nägel. Aufgrund<br />

der Manifestation des Spondylitis-Arthritis-Komplexes wird die PA den Spondyloarthritiden<br />

zugeordnet.<br />

z <strong>Kriterien</strong><br />

(ICD-Nr. M 0.7*/L 40)<br />

International verbindliche, evaluierte Klassifikations- und Diagnosekriterien<br />

<strong>für</strong> die PA liegen nicht vor. Von englischen Atuoren vorgeschlagene Diagnosekriterien<br />

fordern den Befall von mindestens 3 Gelenken, wodurch jedoch monarthritische<br />

Formen nicht erfasst werden.<br />

<strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong> nach Moll und Wright:<br />

z Arthritis von 3 oder mehr Gelenken,<br />

z Rheumafaktoren negativ,<br />

z Rheumaknoten negativ,<br />

z Befund oder Anamnese von psoriatischen Veränderungen der Haut oder<br />

Nägel.<br />

Nach den ESSG-<strong>Kriterien</strong> kann jedoch bei Vorliegen des Rückenschmerzes<br />

vom entzündlichen Typ und/oder einer peripheren asymmetrischen oder die<br />

untere Extremität bevorzugenden Arthritis in Kombination mit der Psoriasis<br />

vulgaris die Erkrankung als PA klassifiziert werden (s. Kap. 3.4).<br />

z Diagnostisch wichtige Krankheitsmerkmale<br />

3.6 Psoriasisarthritis z 79<br />

Symptome aus der Krankheitsgruppe Spondyloarthritiden können einzeln und<br />

in Kombination vorkommen (s. Kap. 3.5: Gemeinsame Manifestationen der<br />

Spondyloarthritiden). Die PA weist jedoch einige Besonderheiten auf, die die<br />

PA von anderen Spondyloarthritiden abgrenzt:<br />

z Schmerz und Schwellung aller 3 Gelenke eines Fingers oder einer Zehe als<br />

„Strahlbefall“ (Daktylitis);


80<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Befall der dostalen Interphalangealgelenke mit fast immer vorkommenden<br />

psoriatischen Veränderungen der beteiligten Nägel;<br />

z symmetrische Polyarthritis mit einem der rheumatoiden Arthritis gleichenden<br />

Befallsmuster;<br />

z Arthritis mutilans mit teleskopartig veränderten Fingern und/oder Zehen;<br />

z Psoriasis beim Patienten oder in der nahen Verwandtschaft;<br />

z Röntgenologisch an den Gelenken Nebeneinander von erosiv-destruierenden<br />

Veränderungen und periostalen Randanbauten („Protuberanzen“) sowie<br />

Periostitis, Akroosteolysen und Ankylosen.<br />

z Zusätzliche wichtige Krankheitssymptome<br />

z Charakteristische extraartikuläre und viszerale Manifestationen. Am häufigsten<br />

sind Enthesiopathien (dorsaler und plantarer Calcaneus, Patella,<br />

Trochanter major, Clavicula), Bursitiden (z. B. Achillo-Bursitis), Tenosynovialitiden<br />

(z. B. Fingerstrecker und -beuger) und Synchondritiden (Synchondrose<br />

zwischen Manubrium und Corpus sterni, Symphyse). Nicht selten<br />

sind auch Augenmanifestationen in Form einer Iridozyklitis (5 bis 18%)<br />

und Konjunktivitis (12 bis 20%). Selten werden eine Amyloidose, Aortenklappenbeteiligung<br />

und Myositis beobachtet.<br />

z Hautmanifestationen der Psoriasis. Das Spektrum umfasst neben der Psoriasis<br />

vulgaris mit vorzugsweisem Befall der Streckseiten auch die Psoriasis<br />

inversa mit bevorzugtem Befall der Beugeseiten und die generalisierte<br />

Erythrodermie. Nicht selten ist die Psoriasis nur gering ausgeprägt an versteckten<br />

Stellen zu finden wie retroaurikulär, am behaarten Kopf, Nabel und<br />

in der Rima ani. In der Mehrzahl der Fälle (75%) geht die Psoriasis der<br />

rheumatologischen Manifestation im Mittel um 15 Jahre voraus. Seltener<br />

tritt die Psoriasis gleichzeitig (15%) oder nach (10%) Beginn der rheumatologischen<br />

Symptome auf.<br />

Die Psoriasisarthritis weist in bis zu 80% psoriatische Nagelveränderungen<br />

auf im Gegensatz zur Psoriasis ohne Arthritis mit Nagelbefall nur in 15<br />

bis 30%. Diese Nagelveränderungen können auch alleiniges Symptom der<br />

Psoriasis sein. Als typische Nagelveränderungen finden sich partielle oder<br />

totale weiße Nagelflecken (Leukonychie), Querfurchen, Tüpfelungen, Krümelnägel<br />

und selten eine totale Onycholyse.<br />

z Labor<br />

Es gibt keine spezifischen Parameter. Die Entzündungsparameter (BKS, CrP)<br />

können oft normal sein. Bei den axialen Formen der Sakroiliitis ist das<br />

HLA-B27 gehäuft vorhanden, jedoch seltener (etwa 35%) als bei der Spondylitis<br />

ankylosans. Bei der arthritischen Form ohne Sakroiliitis ist das HLA-B27<br />

nur in 14 bis 24% positiv. Weitere beschriebene Assoziationen zum HLA-System<br />

sind ohne diagnostische Bedeutung.


z Differenzialdiagnose<br />

Ein mono- und oligoartikulärer Beginn der PA macht vor allem eine Abgrenzung<br />

gegenüber den reaktiven Arthritiden und anderen Spondyloarthritiden<br />

notwendig. Bei palmoplantarer Pustulosis kann die Differenzialdiagnose gegenüber<br />

dem SAPHO-Syndrom und dem Keratoderma blenorrhagicum der reaktiven<br />

Arthritiden schwierig sein.<br />

Bei polyartikulärem Befall hilft <strong>für</strong> die Abgrenzung gegenüber der chronischen<br />

Polyarthritis das <strong>für</strong> die PA charakteristische Fehlen der Rheumafaktoren,<br />

CCP-Antikörpern und Rheumaknoten. Die Kombination von positiven<br />

Rheumafaktoren, Polyarthritis und Psoriasis spricht eher <strong>für</strong> eine zufällige<br />

Kombination einer rheumatiden Arthritis und Psoriasis. Nur bei dem Vorhandensein<br />

der charakteristischen Röntgenveränderungen der PA würde in solchen<br />

Fällen die Diagnose einer psoriatischen Arthritis gerechtfertigt sein.<br />

Da die Harnsäurewerte nicht selten erhöht gefunden werden, kann bei<br />

akuter Monarthritis die Differenzialdiagnose gegenüber einer Arthritis urica<br />

schwierig sein. Gegebenenfalls ist allein der Nachweis von Natriumuratkristallen<br />

im Gelenkpunktat das entscheidende differenzialdiagnostische Kriterium<br />

<strong>für</strong> eine Gichtmanifestation.<br />

Wegen des Fingerendgelenkbefalles kommt es gelegentlich zu Schwierigkeiten<br />

in der Abgrenzung gegenüber einer Fingerpolyarthrose.<br />

Die Daktylitis kommt sowohl bei der PA als auch bei der reaktiven Arthritis<br />

vor.<br />

Die Spondyloarthritis psoriatica muss gegenüber der Spondylitis ankylosans<br />

und anderen Spondyloarthritiden abgegrenzt werden, mit denen sie monooder<br />

oligosegmentäre und häufige asymmetrische Syndesmophyten gemeinsam<br />

hat. Ein röntgenmorphologischer Hinweis auf eine Spondyloarthritis psoriatica<br />

sind Parasyndesmophyten, spangenförmige, paravertebrale Verknöcherungen,<br />

die im Gegensatz zu den Syndesmophyten unterhalb der Wirbelkante<br />

abgehen und manchmal bis auf die Höhe des darüber liegenden Querfortsatzes<br />

reichen bzw. ohne Kontakt mit den Wirbeln entstehen. Parasyndesmophyten<br />

sind jedoch auch bei reaktiven Arthritiden anzutreffen.<br />

z Literatur<br />

3.6 Psoriasisarthritis z 81<br />

1. Mathies H (1984) Arthritis psoriatica. In: Mathies H, Schneider P (Hrsg) Rheumatische<br />

Krankheiten. Kompendium <strong>für</strong> die Praxis <strong>Deutsche</strong>r Ärzte-Verlag, Köln<br />

2. Genth E (2001) Arthritis psoriatica. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F (Hrsg) Interdisziplinäre<br />

klinische <strong>Rheumatologie</strong>. Springer, Berlin, Heidelberg, New York,<br />

S 662–669


82<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.7 Reaktive Arthritiden<br />

(ICD-Nr. M 02)<br />

z Definition<br />

Reaktive Arthritiden sind bakteriell induzierte Gelenkerkrankungen, die mit<br />

einer Latenzzeit von wenigen Tagen bis wenigen Wochen nach einer extraartikulären<br />

Infektion auftreten. Die auslösenden Erreger sind nicht aus der Synovia<br />

oder Synovialis anzüchtbar.<br />

Die periphere Arthritis kann prinzipiell jedes Gelenk mit mon- oder polyartikulärem<br />

Befallsmuster betreffen, manifestiert sich aber überwiegend als asymmetrische<br />

Oligarthritis mit bevorzugtem Befall der unteren Extremität. Das Reiter-Syndrom<br />

(Arthritis, Urethritis, Konjunktivitis) stellt in der Regel eine spezifische<br />

Manifestationsform reaktiver Arthritiden dar. Rein spondylarthritische<br />

Verläufe sind möglich, in die Definition jedoch derzeit noch nicht eingeschlossen.<br />

z <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

International akzeptierte <strong>Kriterien</strong> gibt es noch nicht, entsprechende Vorschläge<br />

werden jedoch von verschiedenen Gremien erarbeitet.<br />

Die Diagnostik der reaktiven Arthritiden stützt sich in erster Linie auf die<br />

Anamnese einer vorausgegangenen Infektion und einen typischen Gelenkbefall<br />

sowie ggf. auf extraartikuläre Manifestationen im Sinne eines Reiter-Syndroms.<br />

Die ätiologische Sicherung dieser Diagnose ist nur durch den Direktnachweis<br />

des Erregers möglich. Da die auslösende Infektion asymptomatisch sein kann<br />

und auch der direkte Nachweis des Erregers im Stadium der Arthritis oft nicht<br />

gelingt, muss der Nachweis der Infektätiologie evtl. indirekt auf serologische Befunde<br />

gestützt werden. Die Sensitivität und Spezifität der verschiedenen serologischen<br />

Methoden sind jedoch unbefriedigend; daher können nur 4fache Titeranstiege<br />

als signifikant gewertet werden. Ein negativer serologischer Befund<br />

schließt die Diagnose einer reaktiven Arthritis nicht aus. Der Nachweis des<br />

HLA-B27 kann nur als ein Indiz <strong>für</strong> eine reaktive Arthritis gelten.<br />

Vorschlag diagnostischer <strong>Kriterien</strong> mit einer Unterscheidung<br />

zwischen sicherer und wahrscheinlicher reaktiver Arthritis<br />

1. Typischer Gelenkbefall (peripher, asymmetrisch, oligoartikulär, untere Extremität,<br />

insbesondere Knie-, Sprunggelenke).<br />

2. Typische Anamnese (Diarrhö, Urethritis) und/oder klinische Manifestation<br />

der Infektion an der Eintrittspforte.<br />

3. Erregerdirektnachweis an der Eintrittspforte (z. B. Urethralabstrich auf<br />

Chlamydien).


4. Nachweis spezifischer agglutinierender Antikörper mit signifikantem Titeranstieg<br />

(z. B. gegenüber enteropathischen Erregern).<br />

5. Vorliegen des HLA-B27-Antigens.<br />

6. Nachweis von Erregermaterial mittels Polymerasekettenreaktion oder spezifischen<br />

monoklonalen Antikörpern (beide sind noch überwiegend experimentelle<br />

Verfahren und nicht <strong>für</strong> die Routinediagnostik geeignet!).<br />

Eine sichere reaktive Arthritis liegt vor bei den <strong>Kriterien</strong> 1 plus 3 oder 4 oder<br />

6. Eine wahrscheinliche reaktive Arthritis besteht bei den <strong>Kriterien</strong> 1 plus 2<br />

und/oder plus 5. Eine mögliche reaktive Arthritis wird bei Vorliegen des Kriteriums<br />

1 angenommen.<br />

z Erreger<br />

z Salmonellen (Spezies der Gruppen B, C und D),<br />

z Shigellen (S. flexneri und S. dysenteriae),<br />

z Yersinien (Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis),<br />

z Campylobacter jejuni,<br />

z Chlamydia trachomatis (Serotyp D-K).<br />

z Klinische Merkmale<br />

z Akuter bis subakuter Beginn,<br />

z Mon- oder Oligoarthritis,<br />

z asymmetrisches Befallsmuster,<br />

z bevorzugter Befall großer Gelenke der unteren Extremitäten,<br />

z Wurstfinger, Wurstzehen (Daktylitis),<br />

z Enthesopathie,<br />

z akute Iliosakralarthritis.<br />

3.7 Reaktive Arthritiden z 83<br />

Neben den klinischen extraartikulären Manifestationen der Konjunktivitis und<br />

Urethritis gibt es weitere Manifestationen wie Iridozyklitis, Stomatitis, Balanitis<br />

circinata, pustulöse Dermatosen, Keratoderma blenorrhagicum, Erythema<br />

nodosum, Myokarditis, Aortitis.<br />

Der diagnostische Algorithmus <strong>für</strong> eine vermutete posturethritische oder<br />

postenteritische reaktive Arthritis ist in den folgenden Schemata dargestellt<br />

[4].


84<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Differenzialdiagnose<br />

Bei unsicheren Diagnosekriterien, d. h. insbesondere bei fehlendem Erregernachweis<br />

und fehlender Anamnese einer vorausgegangenen typischen Infektsymptomatik,<br />

ist eine Vielzahl von Differenzialdiagnosen zu erwägen, die mit<br />

einer ähnlichen Gelenksymptomatik einhergehen können:<br />

z Spondylitis ankylosans mit peripherem Gelenkbefall,<br />

z enteropathische Arthritiden bei M. Crohn, Colitis ulcerosa, M. Whipple,<br />

z Arthritis psoriatica,<br />

z M. Behçet,<br />

z Lyme-Arthritis,<br />

z akute Sarkoidose (Löfgren-Syndrom),


z septische Arthritis,<br />

z Kristallarthropathien (Gicht, Chondrokalzinose),<br />

z atypisch beginnende rheumatoide Arthritis.<br />

z Literatur<br />

3.7 Reaktive Arthritiden z 85<br />

1. Aho K, Leirisalo-Repo M, Repo H (1985) Reactive arthritis. Clin Rheumat Dis<br />

11:25–40<br />

2. Fan PT, Yü DTH (1993) Reiter’s syndrome. In: Schumacher RD (ed) Primer on the<br />

rheumatic diseases. Arthritis Foundation, Atlanta Georgia, pp 158–161<br />

3. Inman RD (1993) Reactive arthritis after infectious enteritis. In: Schumacher RD<br />

(ed) Primer on the rheumatic diseases. Arthritis Foundation, Atlanta, Georgia, pp<br />

166–168<br />

4. Sieper J, Rudwaleit M, Braun J, van der Heijde D (2002) Diagnosing reactive arthritis:<br />

role of clinical setting in the value of serologic and microbiologic assays.<br />

Arthritis Rheum 46:319–327


86<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.8 Rheumatisches Fieber<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. I 00)<br />

Das rheumatische Fieber ist eine durch b-hämolysierende Streptokokken der<br />

Gruppe A induzierte entzündliche Systemerkrankung mit Gelenkentzündungen,<br />

Karditis, Hauterscheinungen (subkutane Knötchen, Erythema marginatum),<br />

Chorea und anderen Manifestationen, die mit einer Latenzzeit von wenigen<br />

Tagen bis wenigen Wochen nach einer Nasen-Rachen-Infektion auftritt.<br />

Die auslösenden Erreger sind im Gelenk nicht nachweisbar. Die Erkrankung<br />

tritt vorwiegend im Schulkindalter auf. Bei Erwachsenen findet sich oft nur eine<br />

periphere Arthritis (streptokokkenreaktive Arthritis). Die periphere Arthritis<br />

mit mon- oder polyartikulärem Befallsmuster hat oft migratorischen Charakter.<br />

z <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Bis heute sind die diagnostischen <strong>Kriterien</strong> nach Jones gültig. Als Hauptkriterien<br />

der Krankheit gelten die Karditis, die Polyarthritis, die Chorea und das<br />

Erythema marginatum sowie die typischen subkutanen Knoten. Minorkriterien<br />

sind Fieber, Arthralgien, verlängertes P-Q-Intervall im EKG und frühere<br />

Episoden des gleichen Krankheitsbildes. Die Diagnose ist gesichert bei nachgewiesener<br />

vorausgegangener Infektion mit b-hämolysierenden Streptokokken<br />

und Vorhandensein von 2 Hauptkriterien oder einem Hauptkriterium und 2<br />

Nebenkriterien. Sensitivtät und Spezifität dieser <strong>Kriterien</strong> sind nicht bekannt.<br />

Mit Hilfe der Echokardiographie kann bei vielen klinisch unauffälligen Patienten<br />

die kardiale Mitbeteiligung nachgewiesen werden.<br />

Von einer vorausgegangenen Streptokokkeninfektion kann ausgegangen<br />

werden, wenn ein Scharlach aufgetreten ist und/oder b-hämolysierende Streptokokken<br />

im Rachenabstrich nachgewiesen wurden und/oder erhöhte Antikörpertiter<br />

gegen Streptokokkenexoenzyme (mit Titeranstieg) nachgewiesen<br />

werden können (Antistreptolysin-O, Antihyaluronidase, Anti-DNase-B, Anti-<br />

NADase, Antistreptokonase). Die Sensitivität eines positiven Rachenabstrichs<br />

zum Zeitpunkt des Auftretens des rheumatischen Fiebers liegt bei etwa 50%.<br />

Zum Ausschluss einer vorausgegangenen Streptokokkeninfektion sind Untersuchungen<br />

auf verschiedene Antikörper gegen Streptokokkenexoenzyme erforderlich<br />

(z. B. Antistreptolysin-O-Titer, Anti-DNase-B-Titer, Antihyaluronidase).


z Differenzialdiagnose<br />

Bei der Seltenheit des rheumatischen Fiebers im mitteleuropäischen Raum ist<br />

vor allen Dingen die Ausschlussdiagnostik wichtig. Hierzu eignen sich besonders<br />

Kombinationen serologischer Tests (s. o.) zum Ausschluss einer vorausgegangenen<br />

Streptokokkeninfektion. Differenzialdiagnostisch kommt eine Vielzahl<br />

von anderen entzündlichen Gelenkerkrankungen in Betracht, insbesondere<br />

z Spondylitis ankylosans mit peripherem Gelenkbefall (dort finden sich in ca.<br />

der Hälfte der Fälle auch erhöhte Streptokokkenantikörpertiter),<br />

z Arthritis psoriatica,<br />

z enteropathische Arthritiden bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa,<br />

z Morbus Whipple,<br />

z Morbus Behçet,<br />

z virusinduzierte Arthritiden (durch Parvovirus B19, Rötelnvirus u.a.)<br />

z Lyme-Arthritis,<br />

z septische Arthritis,<br />

z atypisch beginnende rheumatoide Arthritis,<br />

z juvenile idiopathische Arthritis.<br />

z Literatur<br />

3.8 Rheumatisches Fieber z 87<br />

1. Stollerman GH, Markowitz M, Taranta A, Wannamake LW, Whittemore R (1965)<br />

Jones Criteria (revised) for guidance in the diagnosis of rheumatic fever. Circulation:<br />

pp 664–668<br />

2. Stollerman GH (1997) Rheumatic fever. Lancet 349(9056):935–942<br />

3. Carapetis JR, McDonald M, Wilson NJ (2005) Acute rheumatic fever. Lancet<br />

366:155–168


88<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.9 Lyme-Arthritis<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. A 69.2)<br />

Die Lyme-Borreliose ist eine vielgestaltige Multisystemkrankheit infolge einer<br />

vorwiegend durch Zeckenstiche übertragenen Borrelieninfektion. In Europa ist<br />

die Schildzecke Ixodes ricinus der wichtigste Vektor. Der Erreger Borrelia<br />

burgdorferi sensu lato kommt in verschiedenen Genospezies vor. Als humanpathogen<br />

gelten Borrelia burgdorferi sensu stricto, Borrelia afzelii und Borrelia<br />

garinii.<br />

In erster Linie kommt es zu Krankheitserscheinungen der Haut, des Nervensystems<br />

und der Gelenke. Entsprechend der Aufeinanderfolge potenzieller<br />

Krankheitserscheinungen bzw. unterschiedlicher Latenzzeiten wird die Lyme-<br />

Borreliose in 3 Stadien eingeteilt (Tabelle 1). Die verschiedenen Stadien sind<br />

oft durch symptomfreie Intervalle getrennt, andererseits kann es auch zu<br />

Überlappungen kommen. Darüber hinaus kommt es nicht bei jedem Patienten<br />

zu Krankheitserscheinungen aller Stadien; so kann sich die Erkrankung z. B.<br />

auch erstmals mit einer Manifestation des Stadiums 3 wie z. B. der Lyme-Arthritis<br />

bemerkbar machen.<br />

Bei der Lyme-Borreliose kann es zu einer Vielzahl rheumatologischer Symptome<br />

und Befunde kommen. Arthralgien und Myalgien kommen häufig im<br />

Stadium der Erregerdissemination vor. Nur gelegentlich kommt es bereits im<br />

Stadium 2 der Erkrankung zu flüchtigen Gelenkschwellungen. In der Regel ist<br />

die Lyme-Arthritis eine späte Krankheitsmanifestation, die Monate bis zu 2<br />

Jahre nach der Infektion beginnt. Ihre charakteristischen klinischen Symptome<br />

sind in der Tabelle 2 dargestellt. Bei der Akrodermatitis chronica atrophicans<br />

kann es im Bereich befallener Haut zu ausgeprägten Finger- und Zehendeformitäten<br />

entsprechend einer Jaccoud-Arthropathie kommen.<br />

z <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

International validierte Diagnosekriterien liegen nicht vor. Die Zusammenfassung<br />

klinischer und labormedizinischer Untersuchungen bzw. Befunde führen<br />

aber zu den in Tabelle 3 rational erscheinenden <strong>Kriterien</strong>.<br />

Anmerkungen<br />

Viele Patienten mit einer Lyme-Borreliose können sich nicht an einen Zeckenstich<br />

erinnern. Nur noch gelegentlich werden pathognomonische extraartikuläre<br />

Frühmanifestationen einer Lyme-Borreliose nicht erkannt bzw. behandelt


Tabelle 1. Stadien der Lyme-Borreliose<br />

Frühmanifestationen<br />

Stadium I (lokal) Stadium II (disseminiert)<br />

Spätmanifestationen<br />

Stadium III (chronisch)<br />

nach Tagen ? Wochen ? Monaten ? Jahren<br />

Erythema migrans<br />

Borrelienlymphozytom<br />

Allgemeinsymptome<br />

Meningopolyneuritis Chronische Enzephalomyelitis<br />

Enzephalitis, Myelitis Polyneuropathie<br />

Perimyokarditis Kardiomyopathie<br />

Konjunktivitis, Uveitis Keratitis<br />

Papillitis, Panophthalmie<br />

Myalgien, Myositis<br />

Arthralgien, Enthesopathien<br />

Arthritis (intermittierend ? chronisch)<br />

Acrodermatitis chronica atrophicans<br />

Tabelle 2. Klinische Kennzeichen der Lyme-Arthritis<br />

3.9 Lyme-Arthritis z 89<br />

z Verlauf Intermittierend, selten chronisch<br />

z Befallsmuster Mon- oder Oligoarthritis<br />

Vorwiegender Befall des Kniegelenkes (meist massiver Gelenkerguss,<br />

oft wenig schmerzhaft, häufig Baker-Zysten)<br />

Tabelle 3. <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong> der Lyme-Arthritis<br />

1. Zeckenstich und/oder extraartikuläre Manifestationen einer Lyme-Borreliose (insbesondere Erythema<br />

migrans oder Neuroborreliose in der Anamnese, ggf. manifeste Akrodermatitis chronica<br />

atrophicans)<br />

2. Typisches Gelenkbefallsmuster (Mon- oder Oligoarthritis)<br />

3. IgG-Antikörper gegen Borrelia burgdorferi<br />

(Eine positive Borrelien-PCR aus dem Gelenkpunktat kann die Diagnose unterstützen)<br />

4. Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen<br />

1: fakultativ, 2–4: obligat<br />

PCR Polymerasekettenreaktion<br />

und können somit ein anamnestisches Indiz <strong>für</strong> eine Lyme-Arthritis sein. Die<br />

klinisch meist einfach zu erkennende Akrodermatitis chronica atrophicans<br />

kann der einfachste Schlüssel zur Diagnose einer gleichzeitig manifesten Lyme-Arthritis<br />

sein. In der Mehrzahl der Fälle stellt sich die Frage einer Lyme-<br />

Arthritis als erste und einzige Manifestation einer Borrelieninfektion.


90<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Labordiagnostik<br />

Serologie<br />

Die Routinediagnostik stützt sich außerdem auf den Nachweis spezifischer Antikörper.<br />

Positive und v. a. grenzwertige Befunde z. B. mit dem ELISA sollen<br />

mit einem Immunblot überprüft werden, um unspezifische Befunde oder<br />

Kreuzreaktionen nach Möglichkeit auszuschließen. Während im Frühstadium<br />

der Infektion die klinische Symptomatik der humoralen Immunantwort vorausgehen<br />

kann (insbesondere bei mehr als 50% der Fälle eines Erythema migrans<br />

sind keine spezifischen Antikörper nachzuweisen), finden sich bei der<br />

Lyme-Arthritis in aller Regel signifikant erhöhte IgG-Antikörper gegen Borrelia<br />

burgdorferi. Entsprechende Befunde unterscheiden sich aber nicht von IgG-<br />

Titern bei asymptomatisch verlaufenen Infektionen (Durchseuchungstiter), sodass<br />

sie isoliert betrachtet nicht als Beweis <strong>für</strong> eine klinisch manifeste Lyme-<br />

Borreliose gewertet werden können. Ein negativer IgG-Befund im ELISA (oder<br />

IFT) schließt eine Lyme-Arthritis mit großer Sicherheit aus. Bei Verwendung<br />

eines sensitiven Screeningtests bedarf es dann auch keiner weiteren Absicherung<br />

im Immunblot. Gelegentlich sind bei der Lyme-Arthritis auch noch spezifische<br />

IgM-Antikörper nachzuweisen. Die Konstellation positiver IgM-Antikörper<br />

ohne IgG-Antikörper ist aber nicht vereinbar mit einer Spätmanifestation;<br />

bei einer solchen Fragestellung sind diese nicht seltenen Befunde als<br />

falsch-positiv zu erachten und bedingen v. a. keine therapeutische Konsequenz.<br />

Erregernachweis und PCR<br />

Der kulturelle Direktnachweis gelingt bei der Lyme-Arthritis in der Regel<br />

nicht. Mit der Polymerasekettenreaktion (PCR) lässt sich jedoch Borrelien-<br />

DNS in der Synovia und Synovialis von Patienten mit Lyme-Arthritis nachweisen.<br />

Somit kann eine solche Untersuchung zur weiteren Absicherung der Diagnose<br />

beitragen. Prinzipiell sind hierbei jedoch falsch-positive Befunde möglich.<br />

Eine positive Borrelien-PCR erlaubt auch keinen sicheren Rückschluss auf<br />

vitale Erreger oder eine aktive Erkrankung. Somit kann weder die Diagnose<br />

noch die Notwendigkeit einer antibiotischen Therapie mit der isolierten Betrachtung<br />

einer positiven PCR begründet werden.<br />

z Differenzialdiagnostik<br />

Die Differenzialdiagnostik der Lyme-Arthritis umfasst insbesondere alle entzündlich<br />

rheumatischen Erkrankungen mit einem mon- oder oligoartikulären<br />

Befallsmuster. Hervorzuheben sind die Spondyloarthritiden, insbesondere die<br />

reaktiven Arthritiden, die Arthritis psoriatica und auch die undifferenzierten<br />

Spondyloarthritiden. Bei der Unterscheidung zu einer rheumatoiden Arthritis<br />

könnte ein hierbei initial oligoartikulärer Befall kritisch sein; ansonsten führt<br />

die Lyme-Arthritis nicht zu einem symmetrisch polyartikulären Befall.


Im Hinblick auf die eher flüchtigen und wandernden Gelenksymptome im<br />

Frühstadium der Lyme-Borreliose sind ähnliche Symptome z. B. bei viralen<br />

Arthritiden wie einer Parvovirusarthropahie zu bedenken.<br />

Der Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen ist ein wichtiges Kriterium<br />

bei der Diagnostik der Lyme-Arthritis. In einigen Fällen kann aber keine eindeutige<br />

Differenzierung begründet werden. Bei einer Gonarthritis könnten z. B. eine<br />

Psoriasis und eine positive Borrelienserologie 2 gleichwertige diagnostische <strong>Kriterien</strong><br />

sein.<br />

z Literatur<br />

3.9 Lyme-Arthritis z 91<br />

Herzer P (1991) Joint manifestations of Lyme borreliosis in Europe. Scand J Infect<br />

Dis (suppl) 77:55–63<br />

Krause A, Burmester G (1999) Lyme-Borreliose. Thieme, Stuttgart, New York<br />

Krause A, Herzer P (2005) Frühdiagnose der Lyme-Arthritis. Z Rheumatol 64:<br />

531–537<br />

Steere AC (1987) The clinical evolution of Lyme arthritis. Ann Intern Med 107:725–731<br />

Steere AC (2001) Lyme disease. N Engl J Med 345:115–125<br />

Informationen der „European Union Concerted Action on Lyme Borreliosis“ unter der<br />

Internetadresse: http://www.dis.strath.ac.uk/vie/LymeEU


92<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.10 Sjögren-Syndrom<br />

z Synonyma. Siccasyndrom, autoimmune Exokrinopathie, autoimmune Epitheliitis.<br />

z Definition<br />

Das Sjögren-Syndrom ist eine langsam progressiv verlaufende entzündliche multisystemische<br />

Autoimmunerkrankung, die primär die exokrinen Drüsen betrifft.<br />

Lymphozyteninfiltrate verdrängen das Drüsengewebe, es resultiert eine verminderte<br />

Sekretproduktion. Im Vordergrund stehen Keratoconjunctivits sicca und/<br />

oder Xerostomie. Ein Drittel der Patienten entwickelt systemische extraglanduläre<br />

Manifestationen. Charakteristische Autoantikörper (Ro/SS-A und La/SS-B)<br />

werden produziert. Das Sjögren-Syndrom kann primär (primäres Sjögren-Syndrom)<br />

oder in Verbindung mit anderen Autoimmunerkrankungen (sekundäres<br />

Sjögren-Syndrom) auftreten. Die Assoziation folgender Autoimmunerkrankungen<br />

mit einem sekundären Sjögren-Syndrom ist möglich: rheumatoide Arthritis,<br />

systemischer Lupus erythematodes, systemische Sklerose, „mixed connective<br />

tissue disease“, primäre biliäre Zirrhose, Polymyositis, Vaskulitis, Thyreoiditis,<br />

chronische aktive Hepatitis, gemischte Kryoglobulinämie.<br />

z <strong>Kriterien</strong><br />

(ICD-Nr. M 35.0)<br />

1993 wurden die vorläufigen <strong>Kriterien</strong> einer europäischen Studiengruppe <strong>für</strong><br />

die Klassifikation des Sjögren-Syndroms vorgelegt [8], die 1996 von der gleichen<br />

Gruppe validiert werden konnten [9].<br />

Eine „Amerikanisch-Europäische Konsensusgruppe“ hat diese <strong>Kriterien</strong> erneut<br />

überarbeitet und einige Modifikationen eingefügt sowie klarere Regeln<br />

<strong>für</strong> die Klassifikation der Patienten mit primärem und sekundärem Sjögren-<br />

Syndrom erstellt. Weiterhin wurden die Ausschlusskriterien überarbeitet, sodass<br />

jetzt revidierte internationale Klassifikationskriterien <strong>für</strong> das Sjögren-<br />

Syndrom vorliegen [10].<br />

Internationale <strong>Kriterien</strong> <strong>für</strong> das Sjögren-Syndrom [10]<br />

1. Augensymptome: Eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:<br />

z Leiden Sie täglich an anhaltend trockenen Augen seit mindestens 3 Monaten?<br />

z Haben Sie wiederholt ein Sand- oder Fremdkörpergefühl in den Augen?<br />

z Verwenden Sie mehr als 3-mal täglich Tränenersatzlösung?


3.10 Sjögren-Syndrom z 93<br />

2. Orale Symptome: Eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:<br />

z Haben Sie seit mehr als 3 Monaten täglich das Gefühl, einen trockenen<br />

Mund zu haben?<br />

z Haben Sie als Erwachsener wiederholt oder anhaltend geschwollene Speicheldrüsen?<br />

z Trinken Sie oft beim Essen, um trockene Speisen besser schlucken zu<br />

können?<br />

3. Augenbefunde: Ein objektiver Nachweis der Augenbeteiligung liegt vor,<br />

wenn einer der folgenden Befunde positiv ist:<br />

z Schirmer-I-Test, durchgeführt ohne Anästhesie (£ 5 min),<br />

z Bengalrosascore oder andere entsprechende Score ³ 4 nach dem Van-<br />

Bijsterveld-Score (Abb. 1).<br />

4. Histopathologie: Durch einen Histopathologieexperten nachgewiesene fokale<br />

lymphozytäre Sialoadenitis der kleinen Speicheldrüsen mit einem Fokusscore<br />

³ 1, der durch die Anzahl der lymphozytären Foci (mehr als 50 Lymphozyten)<br />

pro 4 mm 2 glandulären Gewebes definiert wird [1].<br />

5. Speicheldrüsenbeteiligung: Der objektive Nachweis einer Speicheldrüsenbeteiligung<br />

ist definiert durch mindestens einen positiven Befund der folgenden<br />

Tests:<br />

z unstimulierter Speichelfluss £1,5 ml/15 min,<br />

z Parotissialografie mit Nachweis einer diffusen Sialektasie ohne Hinweis<br />

auf einen Verschluss des Speicheldrüsenhauptgangs [5],<br />

z Speicheldrüsenszintigrafie mit verspätetem Uptake, reduzierter Konzentration<br />

und/oder verlängerter Exkretion des Tracers [6].<br />

6. Autoantikörper: serologischer Nachweis der folgenden Autoantikörper:<br />

z Autoantikörper gegen Ro (SS-A) oder La (SS-B) oder gegen beide.<br />

Abb. 1. Van-Bijsterveld-Score. Semiquantitative<br />

Bestimmung epithelialer<br />

Defekte durch Anfärbung der<br />

Bindehaut und Hornhaut mit Bengalrosa.<br />

Es wird eine Punktbewertung<br />

mit maximal 9 Punkten <strong>für</strong> jedes<br />

Auge zugrunde gelegt


94<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Revidierte Klassifikationsregeln<br />

Primäres Sjögren-Syndrom (ohne potenziell assoziierte Erkrankungen)<br />

1. 4 von 6 <strong>Kriterien</strong> sind positiv unter Einschluss von entweder Kriterium 4<br />

oder 6 (Sensitivität 89,5%, Spezifität 95,2%);<br />

2. 3 der 4 objektiven <strong>Kriterien</strong> (3, 4, 5, 6) sind positiv (Sensitivität 84,2%, Spezifität<br />

95,2%);<br />

3. die Entscheidungsbaummethode (Abb. 2) stellt eine alternative Methode der<br />

Klassifikation dar, ist aber mehr klinisch-epidemiologischen Untersuchungen<br />

vorbehalten (Sensitivität 96,1%, Spezifität 94,2%).<br />

Sekundäres Sjögren-Syndrom (mit Nachweis einer potenziell assoziierten Erkrankung,<br />

z. B. einer anderen definierten Kollagenose)<br />

z Nachweis von Kriterium 1 oder 2 plus 2 der <strong>Kriterien</strong> 3, 4 oder 5 (Sensitivität<br />

97,2%, Spezifität 90,2% beim Vergleich mit Kollagenosen ohne Sjögren-<br />

Syndrom).<br />

Ausschlusskriterien:<br />

z Zustand nach Kopf- oder Halsbestrahlungstherapie,<br />

z Hepatitis-C-Infektion,<br />

z AIDS,<br />

z vorbestehendes Lymphom,<br />

Abb. 2. Entscheidungsbaum <strong>für</strong> die Klassifikationskriterien des Sjögren-Syndroms (nach [10]). Arabische<br />

Zahlen: Klassifikationskriterien (s. Tabelle). SSneg.=kein Sjögren-Syndrom, SS=Sjögren-Syndrom<br />

* path. Speicheldrüsenbefunde<br />

** anti-SS-A und ± anti-SS-B positiv


z Sarkoidose,<br />

z Graft-vs.-host-Erkrankung,<br />

z Gebrauch von anticholinergen Pharmaka (Zeitabstand der Einnahme kürzer<br />

als ein Vierfaches der Halbwertszeit des Pharmakons).<br />

Weitere Symptome<br />

3.10 Sjögren-Syndrom z 95<br />

z Allgemein: Müdigkeit, Leistungsinsuffizienz, subfebrile Temperaturen;<br />

z Augen: Lichtempfindlichkeit, schnelle Ermüdbarkeit der Augen, Hornhautulzerationen<br />

und -perforation;<br />

z Speicheldrüsen: Geschmacksstörungen, Unfähigkeit über längere Zeit ununterbrochen<br />

zu sprechen. Schlafstörungen, um durch Trinken die Xerostomie<br />

zu lindern;<br />

z Bewegungsapparat: Arthralgien, Arthritis (nichterosiv, außer bei sekundärem<br />

Sjögren-Syndrom mit rheumatoider Arthritis), Myalgien, Myositis;<br />

z Gefäßsystem: Raynaud-Phänomen, leukozytoklastische und lymphozytäre<br />

Vaskulitiden;<br />

z Haut: trocken, Pruritus, palpable Purpura;<br />

z Subklinische Thyreoiditis;<br />

z Respirationstrakt: Rhinitis sicca, Xerotracheitis, interstitielle lymphoide<br />

Pneumonie, Lungenfibrose;<br />

z Gastrointestinaltrakt: Dysphagie, chronische Gastritis mit lymphozytären<br />

Infiltraten, akute oder chronische lymphozytäre Pankreatitis;<br />

z Urogenitaltrakt: tubuläre Azidose, interstitielle Nephritis, seltener membranöse<br />

oder membranoproliferative Glomerulonephritis: trockene Scheide;<br />

z Nervensystem: periphere Neuropathie, Enzephalopathie;<br />

z Lymphsystem: Lymphknotenvergrößerung, Splenomegalie. Beim Sjögren-<br />

Syndrom besteht ein erhöhtes Lymphomrisiko (B-Zell-Lymphom, einschließlich<br />

MALT-Lymphom), das ca. 5% der Patienten betrifft. Als ungünstige<br />

Prognosefaktoren gelten palpable Purpura und vermindertes C4!<br />

z Paraklinische Befunde: BSG-Beschleunigung, Anämie, Leukozytopenie,<br />

Thrombozytopenie, Hypergammaglobulinämie, Kryoglobulinämie, weitere<br />

Autoantikörper (ANA, Rheumafaktor, organspezifische Autoantikörper wie<br />

Parietalzellantikörper, Antithyreoglobulinantikörper, mikrosomale Autoantikörper,<br />

mitochondrale Autoantikörper u.a.).<br />

Der Verdacht auf ein Sjögren-Syndrom besteht bei vorliegender Siccasymptomatik.<br />

Er sollte durch objektive Untersuchungsmethoden gesichert werden.<br />

Neben den Methoden, die in den Klassifikationskriterien aufgezeigt sind, hat<br />

sich auch die Sonografie der Speicheldrüsen bewährt. Das bedeutsamste Diagnostikum<br />

ist die Lippenspeicheldrüsenbiopsie.


96<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Differenzialdiagnosen<br />

Sarkoidose, virale Infektionen (Mumps, Influenza, Epstein-Barr, CMV, HIV,<br />

Hepatitis C), Hyperlipoproteinämie, Neoplasmen, chronische Graft-vs.-host-Erkrankung,<br />

bakterielle Sialadenitis, Amyloidose.<br />

z Literatur<br />

1. Daniels TE, Whitcher JP (1994) Association of patterns of labial salivary gland<br />

inflammation with keratoconjunctivitis sicca. Analysis of 618 patients with<br />

suspected Sjögren’s syndrome. Arthritis Rheum 37:869–877<br />

2. Fox RI, Robinson CA, Curd JG, Kozin F, Howell FV (1986) Sjögrens syndrome:<br />

proposed criteria for classification. Arthritis Rheum 29:577–585<br />

3. Homma M, Tojo T, Akizuki M, Yagomata H (1986) Criteria <strong>für</strong> Sjögren’s syndrome<br />

in Japan. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:26–27<br />

4. Manthorpe R, Oxholm P, Prause JU, Schiödt M (1986) The Copenhagen criteria<br />

for Sjögren’s syndrome. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:19–21<br />

5. Rubin H, Holt M (1957) Secretory sialography in diseases of the major salivary<br />

glands. Am J Roentgenol 77:575–598<br />

6. Shall GL, Anderson LG, Wolf RO et al (1971) Xerostomia in Sjögren’s syndrome:<br />

evaluation by sequential scintigraphy. JAMA 216:2109–2116<br />

7. Skopouli FN, Drosos AA, Papioannou T, Moutsopoulos HM (1986) Preliminary<br />

diagnostic criteria for Sjögren’s syndrome. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:22–25<br />

8. Vitali C, Bombardieri S, Moutsopoulos HM et al (1993) Preliminary criteria for<br />

the classification of Sjögren’s syndrome. Arthritis Rheum 36:340–347<br />

9. Viali C, Bombardieri S, Moutsopoulos HM et al (1996) Assessment of the European<br />

classification criteria for Sjögren’s syndrome in a series of slinically defined<br />

cases. Results of a prospective multicentre study. Ann Rheum Dis 55:116–121<br />

10. Vitali C, Bombardieri S, Jonsson R, Moutsopoulos HM et al (2002) Classification<br />

criteria for Sjögren’s syndrome: a revised version of the European criteria proposed<br />

by the American-European Consensus Group. Ann Rheum Dis 61:554–558


3.11 Systemischer Lupus erythematodes<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 32.9)<br />

Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine chronisch-entzündliche,<br />

systemische Autoimmunerkrankung, die Haut und Gelenke, Nieren, Nervensystem<br />

sowie seröse Häute und viszerale Organe des menschlichen Körpers<br />

befallen kann. Die Krankheitssymptomatik basiert auf einer lokal oder systemisch<br />

ablaufenden Vaskulitis.<br />

z Klassifikationskriterien<br />

Als Klassifikationskriterien <strong>für</strong> den SLE sind weltweit die <strong>Kriterien</strong> der American<br />

Rheumatism Association (jetzt ACR) von 1982 anerkannt, die 1997 letztmalig<br />

modifiziert wurden (Tabelle 1). Voraussetzung <strong>für</strong> die Etablierung der<br />

Diagnose eines SLE ist, dass 4 oder mehr der in Tabelle 1 aufgeführten 11 <strong>Kriterien</strong><br />

erfüllt sind, entweder gleichzeitig oder im Verlauf über einen nicht definierten<br />

Zeitraum.<br />

z Zusätzliche diagnostische Parameter<br />

3.11 Systemischer Lupus erythematodes z 97<br />

Bei einem Vollbild der Erkrankung erlauben die ARA-<strong>Kriterien</strong> eine sichere<br />

Diagnose mit einer Sensitivität von 83% und einer Spezifität von 89% gegenüber<br />

anderen systemischen Autoimmunerkrankungen und Erkrankungen des<br />

rheumatischen Formenkreises. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem in der<br />

Diagnostik zu Beginn der Erkrankung, wenn nur etwa 70% der Patienten die<br />

Klassifikationskriterien erfüllen. Bei diesen Patienten ist die Beobachtung des<br />

Krankheitsverlaufs von mitentscheidender Bedeutung <strong>für</strong> die Etablierung der<br />

Diagnose.<br />

Das Krankheitsbild ist initial charakterisiert durch eine Allgemeinsymptomatik<br />

mit Fieber, Müdigkeit und Abgeschlagenheit, 30% der Patienten haben<br />

eine Lymphadenopathie, vor allem im zervikalen Bereich. Überwiegend sind<br />

junge Frauen in der dritten Lebensdekade betroffen. Häufig manifestiert sich<br />

ein SLE im Anschluss an eine Schwangerschaft oder an die Einnahme von oralen<br />

Antikonzeptiva. Ein Raynaud-Phänomen mit einer zweiphasigen Farbreaktion<br />

sowie eine Alopezie und eine Photosensibilität gehörten 1971 noch mit zu<br />

den Klassifikationskriterien.<br />

Von den labormedizinischen Befunden sind in den ARA-<strong>Kriterien</strong> von 1982<br />

Antikörper gegen Nukleoproteine (SS-A und SS-B) nicht berücksichtigt. Sie


98<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Tabelle 1. Klassifikationskriterien der ARA von 1982 <strong>für</strong> den systemischen Lupus erythematodes<br />

1 Schmetterlingserythem<br />

2 Discoide Hautveränderungen<br />

fixiertes Erythem, flach oder erhaben im Bereich der Wangen, meist<br />

unter Aussparung der nasolabialen Falten<br />

erythematöse, erhabene Hautflecken mit adhärenten keratotischen Anteilen<br />

und follikulärem Verschluss; atrophische Narben können in älteren<br />

Läsionen auftreten<br />

3 Photosensitivität Hautrötungen, die infolge einer ungewöhnlichen Reaktion auf Sonnenlicht<br />

auftreten – vom Patienten anamnestisch angegeben<br />

4 Orale Ulzerationen orale oder nasopharyngeale Ulkusbildungen, gewöhnlich schmerzlos<br />

festgestellt durch einen Arzt<br />

5 Arthritis nichterosive Arthritis mit dem Befall von 2 oder mehr peripheren Gelenken,<br />

charakterisiert durch Steifigkeit, Schwellung oder Gelenkerguss<br />

6 Serositis a) Pleuritis: typische Anamnese <strong>für</strong> einen Pleuraschmerz oder ein Reiben,<br />

das auskultatorisch durch einen Arzt festgestellt wird, oder<br />

Nachweis eines Pleuraergusses, oder<br />

b) Perikarditis: gesichert durch ein EKG oder durch ein Reibegeräusch<br />

oder durch den Nachweis eines perikardialen Ergusses<br />

7 Nierenerkrankung a) persistierende Proteinurie von mehr als 0,5 g/Tag oder größer als 3+,<br />

wenn eine Quantifizierung nicht durchgeführt wird, oder<br />

b) zelluläre Zylinder, Erythrozyten-, Hämoglobin-, granuläre,<br />

tubuläre oder gemischte Zylinder<br />

8 Neurologische<br />

Erkrankung<br />

9 Hämatologische<br />

Erkrankung<br />

10 Immunologische<br />

Erkrankung<br />

11 Antinukleäre<br />

Antikörper<br />

a) Krampfanfälle: Ausschluss einer medikamentösen Induktion oder<br />

einer metabolischen Stoffwechselstörung; z.B. Urämie, Ketoazidose<br />

oder Elektrolytentgleisung oder<br />

b) Psychose: ohne offensichtliche Medikamenteninduktion und Ausschluss<br />

einer metabolischen Stoffwechselstörung, z.B. Urämie,<br />

Ketoazidose oder Elektrolytstörungen<br />

a) hämolytische Anämie: mit Retikulozytose oder<br />

b) Leukozytopenie: weniger als 4 000 Leukozyten/ll – 2- oder mehrmaliger<br />

Nachweis oder<br />

c) Lymphozytopenie: weniger als 1500/ll bei 2 oder mehr Untersuchungen<br />

oder<br />

d) Thrombozytopenie: weniger als 100000/ll ohne die Einnahme<br />

eines möglicherweise ursächlichen Medikamentes<br />

a) Anti-DNS: AK gegen native ds-DNS in einem erhöhten Titer oder<br />

b) Anti-Sm: Nachweis von AK gegen Sm-Antigene oder<br />

c) positiver Nachweis von Antiphospholipidantikörpern (mindestens<br />

2-mal im Abstand von mindestens 6 Wochen):<br />

– erhöhte IgG oder deutlich erhöhte IgM Kardiolipin-Ak oder<br />

– positives Lupusantikoagulans mittels Standardmethode oder<br />

– falsch-positiver Test <strong>für</strong> Syphilis<br />

Nachweis eines erhöhten antinukleären Antikörpertiters in der Immunfluoreszenz<br />

oder einem gleichwertigen Test zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt, ohne Zusammenhang zu einem Medikament, das mit einem<br />

sog. medikamentös induzierten Lupussyndrom assoziiert sein<br />

kann


3.11 Systemischer Lupus erythematodes z 99<br />

haben eine Sensititivät von etwa 30–35%, sind jedoch wegen ihres Vorkommens<br />

auch bei anderen rheumatologischen Erkrankungen, so besonders beim<br />

Sjögren-Syndrom, weniger spezifisch als Krankheitsmarker. Kinder von Patientinnen<br />

mit Anti-SS-A bzw. Anti-SS-B können einen kongenitalen Herzblock<br />

in 5–10% aufweisen.<br />

Serologisch ist der SLE gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Autoantikörperphänomenen,<br />

wobei neben den erwähnten Antikörpern gegen Nukleoproteine<br />

SS-A und SS-B vor allem Antikörper gegen Doppelstrang-DNS (ds-<br />

DNS) und gegen Kardiolipin sowie gegen Blutzellen von pathogenetischer Bedeutung<br />

sind. Antinukleäre Antikörper im indirekten Immunfluoreszenztest<br />

werden in 100% der Patienten mit einem systemischen Lupus erythematodes<br />

gefunden und stellen damit den sensitivsten Parameter dar, wobei die Antikörper<br />

in der Regel sehr hochtitrig sind. Anti-ds-DNS-Antikörper finden<br />

sich in bis zu 90% von Patienten mit einem aktiven SLE, wobei Antikörper<br />

des IgG-Isotyps besonders mit einer Nierenmanifestation in ihrem Titer zu korrelieren<br />

sind. Die Analyse von Anti-ds-DNS-Antikörpertitern im Serum sowie<br />

die Analyse des Komplementverbrauchs stellen wertvolle Parameter <strong>für</strong> die Beurteilung<br />

einer Therapieeffizienz dar. Antikardiolipinantikörper sind assoziiert<br />

mit thromboembolischen Komplikationen, Antikörper gegen unterschiedliche<br />

Blutzellen bewirken Anämien, Leukopenien und Thrombozytopenien.<br />

Bei der Analyse von antinukleären Antikörpern im indirekten Immunfluoreszenztest<br />

ist zu berücksichtigen, dass diese Antikörper bei einer Reihe von<br />

anderen rheumatologischen Erkrankungen nachgewiesen werden und im Rahmen<br />

von Lungenfibrosen, infektiösen Krankheitsbildern und Malignomen auftreten<br />

können. Auch im höheren Alter werden antinukleäre Antikörper in bis<br />

zu 15% beobachtet.<br />

Nur in seltenen Fällen sind Hautbiopsien mit einer Ablagerung von C4-<br />

Komplement und IgA und der dermalen-epidermalen Grenze <strong>für</strong> die Diagnostik<br />

notwendig. Ein Lupusbandtest kann auch bei anderen systemischen Autoimmunerkrankungen<br />

positiv sein.<br />

Für die Beurteilung der im Rahmen eines SLE auftretenden Glomerulonephritis<br />

kann eine histologische Sicherung hilfreich sein, auch als Entscheidungshilfe<br />

<strong>für</strong> eine einzuschlagende immunsuppressive Therapie. Fünf verschiedene<br />

Typen einer Nierenbeteiligung werden nach der WHO-Klassifikation<br />

unterschieden.<br />

Bei der sehr heterogenen Ausprägung eines SLE ist die frühzeitige Erfassung<br />

von Organmanifestationen wesentlicher Bestandteil sowohl der primären<br />

Diagnostik als auch der Aktivitätsbeurteilung im Verlauf. Als ausgeprägte Aktivitätszeichen<br />

müssen eine aktive Glomerulonephritis, eine Beteiligung des<br />

ZNS in Form von Infarkten, Epilepsie, Psychose oder einer Myelitis, eine Myokarditis<br />

sowie in selteneren Fällen eine Pankreatitis angesehen werden. Wesentlich<br />

von der Ausprägung hängt die Aktivitätseinschätzung ab bei Hautmanifestationen<br />

(z. B. diskretes Schmetterlingserythem), ausgeprägter Vaskulitis/<br />

Serositis und Verminderung von Blutzellen im Sinne von Anämie, Thrombozytopenie<br />

und Leukopenien. Arthralgien und Arthritiden sind als milde Aktivitätsparameter<br />

anzusehen, können jedoch Vorboten einer sich ausbreitenden<br />

Krankheitsentwicklung sein.


100<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Klinische und labormedizinische Befunde einer Krankheitsaktivität wurden<br />

<strong>für</strong> eine allgemeingültige Analyse in verschiedenen Aktivitätsindizes, z. B. SLE-<br />

DAI, SLAM, BILAG und ECLAM zusammengefasst.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Der SLE ist gegenüber anderen systemischen Autoimmunerkrankungen und<br />

von systemischen Vaskulitiden abzugrenzen, insbesondere von der progressiven<br />

systemischen Sklerose, der Polymyositis, der rheumatoiden Arthritis und<br />

der Mischkollagenose sowie dem primären Antiphospholipidsyndrom (s. u.).<br />

Zu erwähnen ist, dass die Gelenkbeteiligung beim SLE in der Regel nicht mit<br />

Gelenkdestruktionen einhergeht, typisch sind Subluxationen. In der Regel lässt<br />

sich der SLE aufgrund anamnestischer Daten, des klinischen Befundes und<br />

der Laborparameter gut definieren, schwierig ist häufig die Abgrenzung von<br />

der sog. Mischkollagenose (Sharp-Syndrom), <strong>für</strong> welche hochtitrige Antikörper<br />

gegen U1RNP charakteristisch sind.<br />

z Literatur<br />

1. Tan EM, Cohen AS, Fries JF, Masi AT, McShane DJ, Rothfield NF, Schaller JG, Talal<br />

N, Winchester RJ (1982) The 1982 revised criteria for the classification of systemic<br />

lupus erythematosus. Arthritis Rheum 25:1271–1277<br />

2. Hochberg MC (1997) Updating the American College of Rheumatology revised<br />

criteria for the classification of systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum<br />

40:1725<br />

3. Gaubitz M, Schotte H (2005) Frühdiagnose des systemischen Lupus erythematodes<br />

(SLE). Z Rheumatol 64:547–552


3.12 Antiphospholipidsyndrom<br />

z Synonyma. Hughes-Syndrom, Antikardiolipinsyndrom.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. D 68.8)<br />

Das Antiphospholipidsyndrom (APS) ist eine Autoimmunerkrankung unbekannter<br />

Ätiologie mit venösen und arteriellen Thrombosen und/oder Schwangerschaftskomplikationen,<br />

meist rezidivierenden Aborten, bei wiederholtem<br />

Nachweis von Antiphospholipidantikörpern (aPL), die gegen Phospholipidproteinkomplexe<br />

gerichtet sind.<br />

Das APS kann mit weiteren Autoimmunerkrankungen, meist dem systemischen<br />

Lupus erythematodes (SLE), assoziiert sein (sekundäres APS) oder isoliert<br />

als primäres APS (PAPS) auftreten.<br />

Hughes beschrieb 1983 als erster ein klinisches Syndrom, bestehend aus<br />

Thrombosen, rezidivierenden Aborten, neurologischen Symptomen und dem<br />

Nachweis von aPL [7]. Die Geschichte des APS geht jedoch bis 1952 zurück,<br />

als Conley und Hartmann ein zirkulierendes Antikoagulans bei SLE-Patienten<br />

beschrieben [5].<br />

z Klassifikationskriterien<br />

Die Klassifikationskriterien des APS wurden auf einer Konsensuskonferenz<br />

1998 in Sapporo 1998 vorgeschlagen [9] und 2006 aktualisiert [8].<br />

Vorläufige <strong>Kriterien</strong> <strong>für</strong> die Klassifikation des Antiphospholipidsyndroms [8]<br />

3.12 Antiphospholipidsyndrom z 101<br />

Klinische <strong>Kriterien</strong><br />

1. Gefäßverschlüsse<br />

³ 1 klinisches Ereignis einer arteriellen, venösen oder „Small-vessel-Thrombose“ (Bestätigung<br />

durch Angiographie, Dopplersonographie oder histologischen Befund)<br />

2. Schwangerschaftskomplikationen<br />

³ 1 Abort in oder nach der 10. SSW<br />

oder<br />

³ 1 Frühgeburt in oder vor der 34. SSW<br />

oder<br />

³ 3 Aborte (konsekutiv) vor der 10. SSW


102<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Laborkriterien<br />

1. Antikardiolipinantikörper (aCL) vom IgG- oder IgM-Subtyp in mittlerem oder hohem Titer (³40<br />

GPL oder MPL), bei 2 oder mehr Bestimmungen von mindestens 12 Wochen Abstand, gemessen<br />

mit einem Standard-ELISA<br />

2. Lupusantikoagulans bei 2 oder mehr Bestimmungen von mindestens 12 Wochen Abstand, gemessen<br />

in Übereinstimmung mit den Richtlinien der International Society on Thrombosis and<br />

Hemostasis in den folgenden Schritten:<br />

– Verlängerung eines phospholipidabhängigen Gerinnungstests als Screeningtest, z.B. PTT, KCT,<br />

dRVVT, Textarintest<br />

– Keine Korrektur der verlängerten Gerinnungszeit durch Zusatz von normalem thrombozytenarmen<br />

Plasma<br />

– Verkürzung oder Korrektur der verlängerten Gerinnungszeit durch Zusatz von Phospholipiden<br />

– Ausschluss anderer Koagulopathien, z. B. F-VIII-Inhibitor oder Heparin<br />

3. Anti-b2-Glykoprotein-1-Antikörper vom IgG- und/oder IgM-Typ bei ³ 2 Messungen in mindestens<br />

12 Wochen Abstand<br />

Ein definitives APS liegt vor, wenn mindestens ein klinisches und ein Laborkriterium erfüllt sind.<br />

z Wichtige diagnostische Krankheitssymptome<br />

Thrombosen: 2,5 bis 3,5% der Patienten mit APS erleiden pro Jahr eine<br />

Thrombose. Phlebothrombosen (32% *) sind häufiger als arterielle Okklusionen.<br />

Bei 10% aller Patienten mit venösen Verschlüssen sind aPL nachweisbar.<br />

Die venösen Thrombosen betreffen meist die unteren Extremitäten, in einem<br />

Drittel kompliziert durch Lungenembolien. Pulmonale Gefäßverschlüsse können<br />

aber auch primär in der Lungenstrombahn auftreten und zur pulmonalen<br />

Hypertonie führen. Okklusionen der Axillarvenen, der V. subclavia, der Vv.<br />

cava inferior et superior und verschiedener Organvenen sind ebenso möglich.<br />

In 9% * treten Thrombophlebitiden auf. Arterielle Thrombosen betreffen bevorzugt<br />

die Zerebralarterien, aber auch Koronar-, Extremitäten- und andere<br />

Organarterien. 80% der Patienten erleiden entweder rezidivierende venöse<br />

oder rezidivierende arterielle Verschlüsse. Nur bei 20% tritt ein Wechsel zwischen<br />

einem arteriellen und venösen Verschluss und vice versa auf. Die<br />

Thromboserezidivrate liegt in prospektiven Studien zwischen 9 und 31%.<br />

z Eine disseminierte Thrombenbildung in zahlreichen Gefäßen mit Multiorganversagen<br />

und Thrombozytopenie wird als „catastrophic“ APS bezeichnet<br />

[2]. Es kann letal enden.<br />

z Schwangerschaftskomplikationen: Mehr als die Hälfte der Thrombosen bei<br />

Frauen mit APS treten in der Gravidität, im Wochenbett oder bei der Einnahme<br />

oraler Kontrazeptiva auf. Eine EPH-Gestose kommt bei Frauen mit APS<br />

häufiger vor. Rezidivierende Aborte (Spätaborte sind typischer als Frühaborte),<br />

intrauteriner Fruchttod, Frühgeburten und Wachstumsretardierung sind<br />

häufige APS-Komplikationen, die den Fetus betreffen. Für die Schwangerschaftskomplikationen<br />

sind Plazentagefäßverschlüsse verantwortlich.<br />

* Die Prozentangaben beziehen sich auf die Angaben in einer multizentrischen europäischen<br />

Studie an 1000 APS-Patienten [4]


z Hämozytopenien: Thrombozytopenie (22% *) – häufiger leicht –, hämolytische<br />

Anämie (7% *) und selten Leukozytopenie werden beobachtet. Es bestehen<br />

Beziehungen zwischen einem APS und einer thrombotisch-thrombozytopenischen<br />

Purpura bzw. einem hämolytisch-urämischen Syndrom.<br />

z Neurologische Manifestationen: Schlaganfälle (13% *) bei jungen Menschen,<br />

transitorische ischämische Attacken (7% *), Sinusthrombose, Amaurosis fugax,<br />

Demenz, Migräne, Epilepsie, Chorea, Querschnittsmyelitis, Guillain-<br />

Barré-Syndrom, transitorische globale Amnesie und sogar Verhaltensstörungen<br />

können Symptome des APS sein. Neurologische Symptome eines SLE<br />

gehen häufig auf ein APS zurück.<br />

z Herzmanifestationen: Herzklappenerkrankungen, Koronararterienverschluss,<br />

intrakardiale Thromben, dilatative Kardiomyopathie und frühzeitige Bypassokklusionen<br />

nach koronarchirurgischen Eingriffen werden bei APS beobachtet.<br />

z Nierenmanifestationen: thrombotische Mikroangiopathie (3% *), Nierenvenenthrombose,<br />

Niereninfarkt, Nierenarterienstenose mit Hypertonie und<br />

verminderte Transplantatüberlebenszeit nach Nierentransplantation sind<br />

mögliche Komplikationen des APS.<br />

z Hautmanifestationen: Livedo reticularis (20% *), Hautulzera, große Hautnekrosen,<br />

Finger- und Zehengangrän, multiple subunguale „splinter hemorrhages“,<br />

Anetoderma und Melanoderma werden bei einem APS gesehen.<br />

z Weitere Organmanifestationen sind: M. Addison durch Thrombose der Nebennierengefäße,<br />

Darmnekrosen durch Verschlüsse der Darmgefäße, Budd-<br />

Chiari-Syndrom durch Lebervenenthrombosen, Leberinfarkte und Milzinfarkte.<br />

z Zirkulierende oxidierte „low density“ Lipoproteine bilden mit b2GP1 Komplexe<br />

und wirken als atherogenes Antigen, sodass zwischen APS und Arteriosklerose<br />

eine Assoziation besteht.<br />

z Bei Infektionskrankheiten können aPL nachweisbar sein. Diese bedürfen zu<br />

ihrer Bindung im ELISA nicht des b2GP1 und sind nicht mit den klinischen<br />

Symptomen des APS assoziiert.<br />

z Labordiagnostik<br />

3.12 Antiphospholipidsyndrom z 103<br />

Als Kriterium im Sinne eines APS wird der zweimalige Nachweis von aPL entweder<br />

als Lupusantikoagulans (LA) mittels hämostaseologischer Tests oder als<br />

Antikardiolipinantikörper (aCL) durch immunologische Tests im Abstand von<br />

mindestens 12 Wochen gefordert. Für die Bestimmung des LA liegen Richtlinien<br />

vor, die seinen Nachweis in mehreren Schritten empfehlen [3]. Als Screeningtest<br />

zum Nachweis des LA sind in Deutschland vor allem die Bestimmung<br />

der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (APTT), die „Kaolin Clotting<br />

Time“ (KCT) und die „diluted Russell Viper Venom Time“ (dRVVT) gebräuchlich.<br />

Allerdings können diese Tests in Abhängigkeit von verschiedenen Herstellern<br />

hinsichtlich Sensitivität und Spezifität erhebliche Unterschiede aufweisen<br />

[1]. Die Identifizierung des LA als Inhibitor erfolgt im Plasmatauschverfahren.<br />

Hierbei lässt sich bei Vorliegen eines LA die verlängerte Gerinnungszeit, z. B.


104<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

APTT, nicht durch Zusatz von Normalplasma korrigieren. Als Bestätigungstest<br />

<strong>für</strong> das LA muss die Phospholipidabhängigkeit nachgewiesen werden. Der Zusatz<br />

von Phospholipiden zu den Screeningtests des LA normalisiert die verlängerten<br />

Gerinnungszeiten. Dazu sind jetzt kommerzielle Testkits vorhanden.<br />

Andere Hämostasestörungen wie Hämophilie A oder B sowie Hemmkörperhämophilien<br />

müssen ausgeschlossen werden. Zusätzlich zu den Gerinnungstests<br />

sind immunologische Bestimmungen der aPL (meistens aCL, aber auch andere<br />

aPL, bevorzugt Antiphosphatidylserinantikörper) notwendig [6]. b2GP1 muss<br />

in diesen Bestimmungen als Kofaktor verwandt werden. Die Standardisierung<br />

der vorhandenen anti-b26P1-ELISA ist noch nicht optimal. Grundsätzlich<br />

können auch IgA-aCL und Antikörper gegen andere Phospholipide oder isolierte<br />

Anti-b2GP1-Antikörper vorliegen. Den höchsten Vorhersagewert bezüglich<br />

einer Thrombose haben LA und hohe Titer der aCL-IgG.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Andere – meist angeborene – Gerinnungs- und Fibrinolysedefekte müssen<br />

ausgeschlossen sein. Kombinationen mit aPL kommen jedoch vor.<br />

z Literatur<br />

1. Arnout J, Meijer P, Vermylen J (1999) Lupus anticoagulant testing in Europe: an<br />

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4. Cervera R, Piette JC, Font J et al (2002) Antiphospholipid syndrome: clinical and<br />

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anticoagulant in patients with disseminated lupus erythematodes. J Clin Invest<br />

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7. Hughes GRV (1983) Thrombosis, abortion, cerebral disease and lupus anticoagulant.<br />

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8. Miyakis S, Lockshin MD, Atsumi T et al (2006) International consensus statement<br />

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9. Wilson WA, Gharavi AE, Koike T et al (1999) International consensus statement<br />

on preliminary classification criteria for definite antiphospholipid syndrome: report<br />

of an international workshop. Arthritis Rheum 42:1309–1311


3.13 Systemische Sklerose<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 34.9)<br />

Die systemische Sklerose ist eine Multiorganerkrankung (2 und mehr Organsysteme<br />

betroffen) mit Entzündung und Fibrose, die regelmäßig die Haut und die<br />

Blutgefäße (Arterien, kleine Blutgefäße), oft auch Lunge, Magen-Darm-Trakt<br />

(Ösophagus, Magen, Duodenum, Jejunum und Ileum), seltener Niere und Herz<br />

betrifft und fast immer mit der Bildung von antinukleären Antikörpern einhergeht.<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien der Amerikanischen Rheumagesellschaft [1]:<br />

1. Sklerodermie proximal der Fingergrundgelenke (Hauptkriterium),<br />

2. Sklerodaktylie,<br />

3. grübchenförmige Narben oder Substanzverlust der distalen Fingerweichteile,<br />

4. bilaterale basale Lungenfibrose.<br />

Beurteilung: Die Diagnose ist gesichert, wenn entweder Kriterium 1 oder mindestens<br />

2 der <strong>Kriterien</strong> 2 bis 4 erfüllt sind.<br />

Diese <strong>Kriterien</strong> sind wenig sensitiv <strong>für</strong> die frühe systemische Sklerose!<br />

z Diagnostisch hinweisende Frühsymptome<br />

3.13 Systemische Sklerose z 105<br />

z Sklerodermietypische antinukleäre Antikörper (im direkten Immunfluoreszenztest<br />

an HEp-2-Zellen in über 95% positiv):<br />

– Anti-DNS-Topoisomerase 1,<br />

– Anti-Centromer,<br />

– Anti-Fibrillarin,<br />

– Anti-Th (To),<br />

– Anti-RNS-Polymerase I, III,<br />

– Anti-PmScl,<br />

– Anti-Ul-RNP,<br />

– Anti-Ku.<br />

z Sklerodermietypische strukturelle oder funktionelle Veränderungen:<br />

– Raynaud-Phänomen (mindestens bicolor) anamnestisch, spontan oder<br />

nach Kälteprovokation,<br />

– kapillarmikroskopische Veränderungen der Nagelfalz (Megakapillaren,<br />

avaskuläre Zonen, Blutungen),


106<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

– pulmonale Gasaustauschstörung und/oder restriktive Ventilationsstörungen,<br />

– Ösophagusmotilitätsstörung (Szintigraphie, Manometrie).<br />

z Weitere Symptome der systemischen Sklerose<br />

z Teleangiektasien<br />

z arteriographischer Nachweis von Stenosen oder Verschlüssen (Hände, Füße,<br />

Niere)<br />

z arterielle Hypertonie<br />

z pulmonale Hypertonie<br />

z Sklerödem<br />

z Mikrostomie<br />

z Calcinosis cutis<br />

z Frenulumsklerose<br />

z Dysphagie<br />

z Sklerosiphonie<br />

z Belastungsdyspnoe<br />

z Malabsorptionssyndrom<br />

z Perikarditis<br />

z Arthralgien/Arthritis<br />

z Sehnenreiben<br />

z dermogene (arthrogene) Kontrakturen<br />

z Akroosteolyse<br />

z entzündliche Veränderungen im Blut (Erhöhung von BSG, CrP, Immunglobulinen).<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Ausschlusskritieren sind nicht definiert. Eine Differenzialdiagnostik zum Ausschluss<br />

lokaler Sklerodermien mit multifokalem oder disseminiertem Hautbefall,<br />

der diffusen Fasziitis (Shulman-Syndrom), und von Pseudosklerodermien<br />

ist im Einzelfall erforderlich. Hier bestehen keine sklerodermietypischen Organsymptome,<br />

keine Sklerodaktylie, es fehlen ANA bzw. sklerodermietypische<br />

Autoantikörper.<br />

z Klinische Varianten<br />

z Systemische Sklerose mit limitiertem Hautbefall (Sklerodermie des Gesichts<br />

und distal der Ellenbogengelenke bzw. Kniegelenke; entspricht meist dem<br />

Bild des CREST-Syndroms: Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Ösophagusmotilitätsstörung,<br />

Sklerodaktylie, Teleangiektasie);<br />

z systemische Sklerose mit diffusem Hautbefall (auch proximal der Ellenbogengelenke<br />

und insbesondere am Stamm);


z systemische Sklerose sine scleroderma;<br />

z systemische Sklerose bzw. Sklerodermie als Overlapsyndrom<br />

– mit Poly-/Dermatomyositis,<br />

– mit systemischem Lupus erythematodes,<br />

– mit Sjögren-Syndrom,<br />

– mit Vaskulitis,<br />

– mit anderen Krankheiten;<br />

z undifferenzierte Kollagenose (klinische Symptome und sklerodermieassoziierte<br />

Autoantikörper; Klassifikationskriterien nicht erfüllt).<br />

z Literatur<br />

3.13 Systemische Sklerose z 107<br />

1. Masi AT, Rodnan GP, Medsger TA, Altman RD, D’Angelo WA, Fries JF, LeRoy EC,<br />

Kirsner AB, MacKenzie AH, McShane DJ, Myers AR, Sharf GC (1980) Preliminary<br />

criteria for the classification of systemic sclerosis (scleroderma). Arthritis Rheum<br />

23:581–590


108<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.14 Idiopathische Myositiden<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 33.0, M 33.1, M 33.2)<br />

Idiopathische Myositiden sind entzündliche Krankheiten der Skelettmuskulatur,<br />

die klinisch mit Muskelschwäche, Muskelatrophien, gelegentlich auch Muskelschmerzen<br />

einhergehen bei Nachweis von Muskelschädigungszeichen (elektromyografisch,<br />

labormedizinisch mit Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme<br />

im Serum, Erhöhung von Myoglobin u.a.) und entzündlichen Infiltraten in<br />

der Muskulatur (Muskelbiopsie). Die wichtigsten klinischen Krankheitsformen<br />

sind die Polymyositis, die Dermatomyositis und die Einschlusskörpermyositis.<br />

Die Polymyositis betrifft vorwiegend die Muskulatur des Schulter- und Beckengürtels.<br />

Mit Ausnahme der Haut finden sich häufig extramuskuläre Symptome<br />

an inneren Organen (Lunge, Ösophagus), Gelenken (Synovitis) und Blutgefäßen.<br />

Eine Dermatomyositis liegt vor, wenn neben typischen entzündlichen Muskelveränderungen<br />

charakteristische Hautläsionen nachweisbar sind (dermatomyositistypisches<br />

generalisiertes Exanthem, livide, leicht schuppende Erytheme<br />

an Stirn, Wangen, Halsausschnitt, Nacken, Gottron-Effloreszenzen an den<br />

Händen, Ellbogen oder Kniegelenken, periunguale Erytheme, Poikilodermie).<br />

Die Einschlusskörpermyositis [5] ist eine schleichend, meist nach dem 50.<br />

Lebensjahr beginnende chronische entzündliche Skelettmuskelerkrankung mit<br />

Schwäche und Atrophie sowohl der Muskulatur der proximalen wie der distalen<br />

Extremitätenabschnitte, charakteristischen histologischen Veränderungen<br />

der Skelettmuskelzellen (Nachweis von Einschlusskörpern mit Vakuolen wie<br />

Ubiquitin, hyperphosphoryliertes tau-Protein und Filamenten von 15 bis<br />

21 nm Größe) und schlechtem therapeutischem Ansprechen auf immunsuppressive<br />

Medikamente.<br />

z Klassifikation<br />

Für die Poly- und Dermatomyositis werden am häufigsten die 1975 von Bohan<br />

und Peter beschriebenen Klassifikationskriterien verwendet [1, 2]:<br />

1. klinisch symmetrische proximal betonte Muskelschwäche;<br />

2. histologisch Nekrosen von Typ-I- und Typ-II-Muskelfasern, Myophagie, perifaszikuläre<br />

Atrophie, entzündliches Infiltrat (endomysial oder perivaskulär);<br />

3. labormedizinisch Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme im Serum<br />

(Kreatinkinase u.a.) und/oder Myoglobin im Serum oder Urin;<br />

4. elektromyographisch kurze, kleine polyphasische Aktionspotenziale, Fibrillationen,<br />

positive scharfe Wellen, insertionale Irritabilität und bizarre hochfrequente<br />

Entladungen;


5. dermatomyositistypische Hautveränderungen: periorbitale livide Erytheme<br />

und Ödeme, erythematöse Dermatitis (Gesicht, Hals, Hände, Nagelfalz).<br />

Diagnose gesichert wahrscheinlich möglich<br />

Polymyositis Kriterium 1–4+ 3 der <strong>Kriterien</strong> 1–4+ 2 der <strong>Kriterien</strong> 1–4+<br />

Dermatomyositis 3 der <strong>Kriterien</strong> 1–4 +* 2 der <strong>Kriterien</strong> +* 1 der <strong>Kriterien</strong> 1–4+*<br />

* In Verbindung mit typischen Hautmanifestationen<br />

Die Diagnosekriterien sind nicht validiert (Sensitivität und Spezifität nicht bekannt).<br />

z Muskuläre Symptome der idiopathischen Myositis (Nachweishäufigkeit) sind:<br />

– Muskelschwäche (über 90%),<br />

– Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme im Serum (64 bis 97%),<br />

– Erhöhung von Myoglobin im Serum/Urin,<br />

– Ödem der Skelettmuskulatur im MRT (89%),<br />

– EMG myositistypisch (50 bis 74%),<br />

– histologischer Nachweis einer Myositis (64 bis 85%).<br />

z Häufige extramuskuläre Symptome sind:<br />

– Herzbeteiligung (Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen; 37 bis 49%),<br />

– fibrosierende Alveolitis/Lungenfibrose (25 bis 47%);<br />

– Dysphagie (12 bis 39%),<br />

– Arthralgien/Arthritis (10 bis 25%),<br />

– Raynaud-Phänomen (15 bis 25%),<br />

– akute Vaskulitis (3 bis 19%).<br />

Bei der Dermatomyositis des Erwachsenen, geringer ausgeprägt auch bei der<br />

Polymyositis und der Einschlusskörpermyositis, findet sich eine erhöhte Rate<br />

von Neoplasien. Die Polymyositis ist bei Kindern selten. Die Dermatomyositis<br />

im Kindes- und Jugenalter geht oft mit subkutanen Kalzifikationen einher.<br />

Für die Einschlusskörpermyositis sind keine Klassifikations- oder Diagnosekriterien<br />

definiert.<br />

Zwei Formen werden unterschieden: die sporadische Einschlusskörpermyositis,<br />

die bevorzugt Männer nach dem fünfzigsten Lebensjahr betrifft und zu fortschreitender<br />

proximaler und distaler Muskelschwäche und -atrophie führt, und<br />

die selteneren hereditären Formen der Einschlusskörpermyositis, die zwar Einschlusskörper<br />

in der Muskulatur, jedoch keine lymphozytären Infiltrate zeigen.<br />

Seltene histologische Sonderformen der idiopathischen Myositis sind die<br />

granulomatöse Myositis und die eosinophile Myositis.<br />

Autoantikörperassoziierte myositische Syndrome<br />

3.14 Idiopathische Myositiden z 109<br />

Bei der Poly- und Dermatomyositis finden sich in über 80% der Fälle Antikörper<br />

gegen nukleäre oder zytoplasmatische Antigene [3, 4]. Die Autoantikörper<br />

sind meist typisch <strong>für</strong> ein myositisassoziiertes Syndrom (Tabelle 1). Bei<br />

der Einschlusskörpermyositis finden sich keine Autoantikörper.


110<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Tabelle 1. Serologisch-klinische Korrelation bei myositisassoziierten Syndromen<br />

Autoantikörper Klinisches Bild (häufige Manifestationen)<br />

Antisynthetaseantikörper<br />

(Jo-1, PI-7, PI-12, OJ, EJ)<br />

Myositis, fibrosierende Alveolitis, Arthritis<br />

Anti-SRP akute und subakute Polymyositis<br />

Anti-Mi-2 meist chronische Dermatomyositis<br />

Anti-PmScl oft Sklerodermie-Myositis-Overlap (PmScl-Syndrom)<br />

Anti-U1-RNP „mixed connective tissue disease“ (ca. 50%)<br />

Anti-Ku oft Sklerodermie-Myositis-Overlap<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Auszuschließen sind:<br />

z infektiöse und parainfektiöse Myositiden,<br />

z arzneimittelinduzierte Myositiden,<br />

z paraneoplastische Myositiden,<br />

z Myositiden bei definierten systemischen Autoimmunkrankheiten (Kollagenosen).<br />

z Literatur<br />

1. Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyositis (first of two parts).<br />

N Engl J Med 292:344–347<br />

2. Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyositis (second of two parts).<br />

N Engl J Med 292:403–407<br />

3. Genth E, Mierau R (1995) <strong>Diagnostische</strong> Bedeutung Sklerodermie- und Myositisassoziierter<br />

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4. Targoff IN (1992) Autoantibodies in polymyositis. Rheum Dis Clin North Am<br />

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5. Vogel H (1998) Inclusion body myositis – a review. Adv Anat Pathol 5:164–169


3.15 Polymyalgia rheumatica<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 35.5)<br />

Die Polymyalgia rheumatica (PMR) ist ein ätiologisch unklares Krankheitsbild<br />

älterer Menschen, charakterisiert durch Schmerzen und Steifheit mit Bewegungseinschränkungen<br />

muskulären Ursprungs im Bereich des Nackens und bilateral<br />

von Schulter- und/oder Beckengürtel, verbunden mit beeinträchtigtem<br />

Allgemeinzustand, Gewichtsverlust, subfebrilen Temperaturen und dem Nachweis<br />

von Entzündungsparametern. Es besteht ein gutes Ansprechen auf eine<br />

Glukokortikoidmedikation.<br />

z Diagnosekriterien<br />

Bisher existieren keine international anerkannten diagnostischen <strong>Kriterien</strong>.<br />

Aus einer in England durchgeführten multizentrischen Studie wurde eine<br />

Rangfolge von 7 Diagnosekriterien abgeleitet, aus der sich im Vergleich mit<br />

PMR-ähnlichen Krankheitsbildern die höchste Sensibilität und Spezifität <strong>für</strong><br />

die PMR ergab [1].<br />

1. Beidseitige Schulterschmerzen und/oder beidseitige Steifigkeit (alternativ<br />

auch Schmerzen in folgenden Regionen: Nacken, Oberarme, Gesäß, Oberschenkel);<br />

2. akuter Krankheitsbeginn (innerhalb von 2 Wochen);<br />

3. initiale BSG-Beschleunigung von über 40 mm in der ersten Stunde;<br />

4. morgendliche Steifigkeit von mehr als einer Stunde;<br />

5. Alter über 65 Jahre;<br />

6. Depression und/oder Gewichtsverlust;<br />

7. beidseitiger Oberarmdruckschmerz.<br />

Der Schulterschmerz ist der beste Diskriminator gegenüber PMR-ähnlichen<br />

Symptomen. Eine wahrscheinliche PMR wird angenommen, wenn 3 <strong>Kriterien</strong><br />

positiv sind oder ein Kriterium zusammen mit einer Temporalarteriitis auftritt.<br />

z Zusätzliche Symptome und Befunde<br />

3.15 Polymyalgia rheumatica z 111<br />

Frauen sind 2- bis 3-mal häufiger als Männer von einer PMR betroffen. Der<br />

Krankheitsbeginn liegt in der Regel jenseits des 50. Lebensjahres.<br />

z Allgemeinsymptome: Sie sind sehr vieldeutig und bestehen in Abgeschlagenheit,<br />

Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, subfebrilen Temperaturen und/<br />

oder psychischen Veränderungen (depressive Verstimmung).


112<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Untersuchungsbefund: Es findet sich eine schmerzhaft eingeschränkte aktive<br />

Beweglichkeit der betroffenen Regionen und gelegentlich eine druckschmerzhafte<br />

Muskulatur, jedoch ohne Muskelschwäche und Atrophie.<br />

z Gelenkveränderungen: Sonografisch, kernspintomografisch oder szintigrafisch<br />

können sich oligoartikuläre Synovialitiden (z. B. der Hand-, Schulter-,<br />

Hüft- und/oder Kniegelenke) zeigen, die zum Ausschluss einer entzündlichen<br />

Gelenkerkrankung (z. B. Altersform der rheumatoiden Arthritis)<br />

zwingen. Bilaterale Bursitiden (B. subacromialis, subdeltoidea) lassen sich<br />

bei der PMR mittels Ultraschall oder MR häufig finden. Das sog. RS3PE-<br />

Syndrom kann differenzialdiagnostisch zur PMR als eigenständige Erkrankung<br />

in Betracht kommen, wurde jedoch auch als Begleitmanifestation einer<br />

sonst typischen PMR beschrieben.<br />

z Kopfschmerzen sind als Leitsymptom einer Temporalarteriitis zu beachten.<br />

z Augensymptome: plötzliche Visusverschlechterung, Schleiersehen, Doppelbilder<br />

(Temporalarteriitis).<br />

z Histologie: Bei der Biopsie der A. temporalis findet sich in ca. 20% gleichzeitig<br />

eine Riesenzellarteriitis. Ein negatives bioptisches Ergebnis schliesst<br />

aber eine PMR nicht aus (segmentaler, multilokulärer Gefäßbefall). Muskelbiopsien<br />

fallen normal aus und sollten nur bei begründetem Verdacht auf<br />

eine Polymyositis erfolgen.<br />

z Bei Ganzkörper-FDG-PET-Untersuchungen, die z. B. in der Differenzialdiagnose<br />

paraneoplastischer Myalgien durchgeführt werden, können entzündliche<br />

Anreicherungen großer Gefäße (z. B. Aorta und aortennahe Arterien)<br />

als Ausdruck einer okkulten Riesenzellarteriitis nachweisbar sein.<br />

z Elektromyografie: Typischerweise findet sich ebenfalls ein Normalbefund,<br />

was ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Polymyositis darstellt.<br />

z Labormedizin: Spezifische Veränderungen fehlen. Typisch sind jedoch meist<br />

ausgeprägte Akute-Phase-Veränderungen: Die BSG ist fast immer deutlich<br />

beschleunigt. Alpha-1 und Alpha-2-Globuline im Serum sowie das CRP sind<br />

erhöht. Bei bis zu 30% der Patienten findet sich eine Erhöhung der Cholestaseenzyme<br />

(alkalische Phosphatase, c-GT). Charakteristischerweise sind<br />

die Muskelenzyme im Serum (CK, GOT) normal.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Das polymyalgische Beschwerdebild lässt an eine große Zahl unterschiedlicher<br />

Krankheitsbilder denken, deren Leitbefunde sich aus Tabelle 1 ergeben. Bei<br />

fehlenden Hinweisen auf eine infektiöse (z. B. subakute Endokarditis) oder<br />

neoplastische Erkrankung kann ein promptes Ansprechen auf eine Glukokortikoidmedikation<br />

diagnoseweisend sein.


Tabelle 1. Wichtige Differenzialdiagnosen der Polymyalgia rheumatica<br />

Erkrankung Unterscheidungskriterien<br />

rheumatoide Arthritis<br />

mit Beginn im Alter<br />

chronisch-symmetrische Synovialitiden<br />

chronisch-erosive Gelenkveränderungen<br />

Rheumafaktornachweis, CCP-Antikörper positiv<br />

3.15 Polymyalgia rheumatica z 113<br />

RS3PE-Syndrom remittierende, seronegative, symmetrische Synovialitis mit eindrückbaren<br />

Ödemen<br />

Aktivierte Omarthrosen Gelenkdruckschmerz<br />

radiologische Gelenkveränderungen<br />

geringere serologische Entzündungszeichen<br />

Periarthropathia<br />

humeroscapularis (PHS)<br />

klinische, sonografische oder radiologische Veränderungen der<br />

Schultergelenke/Rotatorenmanschette (cave: Kombination aus PHS<br />

und PMR)<br />

Fibromyalgie fehlende systemische Entzündungszeichen<br />

klinischer Nachweis typischer Druckpunkte (tender points)<br />

Para- oder postinfektiöse<br />

Myalgien<br />

flüchtige Myalgien (Virusinfekte)<br />

Virustiter (z. B. Influenza, Röteln, Hepatitis)<br />

Bakterienserologie (z. B. Gruber-Widal, Lyme-Borreliose, AST, Chlamydien)<br />

Bakterielle Endokarditis Blutkulturen, Echokardiogramm<br />

Paraneoplastische Syndrome Tumornachweis<br />

evtl. Glukokortikoidversuch<br />

Polymyositis Muskelschwäche ausgeprägter als Myalgien<br />

Muskelenzyme (CK, GOT) erhöht<br />

Elektromyogramm pathologisch<br />

Muskelbiopsie diagnoseweisend<br />

Kollagenosen (SLE) Autoantikörper (ANA) positiv<br />

Komplementstatus verändert<br />

Multiorganbefall (Haut, Nieren, Lunge, ZNS)<br />

Systemische Vaskulitiden Autoantikörper (z.B. ANCA) positiv<br />

Kryoglobuline, Komplementverminderung<br />

Multiorganbefall<br />

Haut-, Muskelbiopsie<br />

Plasmozytom Immunelektrophorese, Bence-Jones-Proteine, Beckenkammbiopsie,<br />

röntgenologische Skelettveränderungen<br />

Schilddrüsenerkrankungen T3, T4, TSH, Schilddrüsenautoantikörper


114<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Literatur<br />

1. Bird HA, Esselinckx W, Dixon AS, Mowat AG, Wood PNH (1979) An evaluation of<br />

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3. Cantini F, Salvarani C, Olivieri I, Barozzi L, Macchioni L, Niccoli L, Padula A, Pavlica<br />

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4. Cantini F, Salvarani C, Olivieri I, Niccoli L, Padula A, Macchioni L, Boiardi L,<br />

Ciancio G, Mastrorosato M, Rubini F, Bozza A, Zanfranceschi G (2001) Shoulder<br />

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5. Evans JM, Hunder GG (2000) Polymyalgia rheumatica and giant cell arteritis.<br />

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3.16 Riesenzellarteriitis<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 35.5)<br />

Bei der Riesenzellarteriitis (RZA) handelt es sich um eine ätiologisch ungeklärte,<br />

meist riesenzellige granulomatöse, panarteriitische, nekrotisierende<br />

Vaskulitis der großen und mittelgroßen Gefäße, insbesondere des Kopfes. Formal<br />

lassen sich 3 Syndromgruppen abgrenzen: arteriitische Gefäßkomplikationen,<br />

polymyalgische Beschwerden und Allgemeinsymptome.<br />

z Klassifikationskriterien<br />

Die Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR)<br />

ermöglichen eine gute Abgrenzung von anderen Vaskulitiden, sind aber wegen<br />

ihrer relativ geringen Sensitivität und Spezifität zur klinischen Diagnosestellung<br />

einer RZA nur begrenzt geeignet (Tabelle 1).<br />

z Zusätzliche Symptome und Befunde<br />

3.16 Riesenzellarteriitis z 115<br />

Tabelle 1. Die Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) <strong>für</strong> die Riesenzellarteriitis<br />

[4]<br />

1. Alter bei Erkrankungsbeginn mindestens 50 Jahre;<br />

2. Neuauftreten lokalisierter Kopfschmerzen;<br />

3. lokaler Druckschmerz oder abgeschwächte Pulsation einer Temporalarterie (ohne offensichtliche<br />

arteriosklerotische Ursache);<br />

4. BSG-Beschleunigung von über 50 mm/Stunde;<br />

5. bioptischer Nachweis (Vaskulitis durch mononukleäre Zellinfiltration oder granulomatöse Gefäßentzündung<br />

meist mit Nachweis von Riesenzellen).<br />

Bei Vorliegen von mindestens 3 <strong>Kriterien</strong> kann die Diagnose einer RZA gestellt werden. Die dargestellten<br />

<strong>Kriterien</strong> haben gegenüber anderen Vaskulitiden eine Sensitivität von 93,5% und eine<br />

Spezifität von 91,2%.<br />

z Arteriitische Gefäßkomplikationen: Bei der RZA sind am häufigsten die<br />

extrakraniellen Kopfarterien (A. carotis externa) involviert, einschließlich<br />

der klinisch und bioptisch gut zugänglichen A. temporalis superficialis<br />

(Temporalarteriitis). Häufigstes Symptom ist der Kopfschmerz, oft der<br />

Schläfenareale, aber auch diffus im Bereich der behaarten Kopfhaut. Die


116<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Temporalarterien können druckschmerzhaft sein und abgeschwächte Pulsationen<br />

aufweisen. Bei Befall von Ästen der A. carotis interna besteht Erblindungsgefahr<br />

(etwa 10 bis 20%). Weiter äußern sich die arteriitischen Symptome<br />

in ischämischen Beschwerden der jeweils betroffenen Gefäßregion<br />

(z. B. Schmerzen in der Kau- und Schlundmuskulatur, transitorisch-ischämische<br />

Attacken) bis hin zum Untergang der minderversorgten Organe<br />

(z. B. Gangrän der Kopfhaut, Zungengeschwüre, apoplektischer Insult, Myokardinfarkt,<br />

periphere arterielle Verschlusskrankheit). Aortenaneurysmen,<br />

vor allem der thorakalen Aorta, und Aortenrupturen infolge Aortitis kommen<br />

vor. Das individuelle klinische Bild kann entsprechend dem arteriitischen<br />

Verteilungsmuster sehr vielgestaltig sein. Eine gründliche angiologische<br />

Untersuchung der großen und mittelgroßen Arterien ist daher obligat<br />

(Palpation, Auskultation, beidseitige Blutdruckmessung, Dopplersonographie<br />

und ggf. bildgebende Gefäßdiagnostik mit 18-FDG-PET, Angio-MRT).<br />

z Sonstige neuroophthalmologische Symptome: Schleiersehen, Diplopie, Amaurosis<br />

fugax.<br />

z Polymyalgische Beschwerden: Symptome einer Polymyalgia rheumatica<br />

(PMR, s. Kap. 3.12) können einer RZA vorausgehen, sie begleiten oder ihr erst<br />

nach Monaten oder Jahren folgen. Die Häufigkeitsangaben <strong>für</strong> die PMR bei<br />

histologisch gesicherter RZA schwanken in der Literatur erheblich (6 bis<br />

82%).<br />

z Allgemeinsymptome: Sie werden von etwa der Hälfte der RZA-Patienten angegeben<br />

und unterscheiden sich nicht von denen einer PMR. Die Labordiagnostik<br />

(positive Entzündungsparameter) entspricht der PMR. RZA-Patienten<br />

mit ausgeprägter Thrombozytose und/oder starker Fibrinogenerhöhung<br />

scheinen mit einem erhöhten Erblindungsrisiko einherzugehen.<br />

z Histologie: Die Diagnose wird in aller Regel histologisch mittels Temporalarterienbiopsie<br />

gestellt. Es empfiehlt sich, jeder Biopsie (vorzugsweise an<br />

den parietalen Ästen der A. temporalis) eine dopplersonografische Untersuchung<br />

der Karotiden vorauszuschicken, um Kollateralkreisläufe bei Verschluss<br />

der A. carotis interna über die A. temporalis superficialis auszuschließen.<br />

Histologisch finden sich die charakteristischen mehrkernigen<br />

Riesenzellen unregelmäßig verteilt in der segmental-lokalisiert entzündeten<br />

Gefäßwand. Der fehlende Nachweis von Riesenzellen in einer sonst typisch<br />

granulomatös infiltrierten Gefäßwand ist daher mit der Diagnose einer RZA<br />

vereinbar. Ein negatives Biopsieergebnis der Temporalarterien schließt eine<br />

RZA anderer Lokalisation nicht aus.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Die vielfältigen Erscheinungsformen der RZA in unterschiedlichen Kombinationen<br />

und zeitlicher Abfolge lassen ein großes Spektrum möglicher Differenzialdiagnosen<br />

zu. Infolge der häufigen Überschneidung der RZA mit einer<br />

PMR kommen die dort genannten Differenzialdiagnosen in Betracht<br />

(s. Kap. 3.15). Für die Symptome vonseiten des Kopfes ist eine interdisziplinäre<br />

Abklärung (Ophthalmologie, Neurologie, HNO) einschließlich fallbezogener


ildgebender Diagnostik (Duplexsonografie, Schädel-CT, MRT) ratsam. Bei<br />

der sog. okkulten RZA stehen systemische Entzündungszeichen ohne erkennbaren<br />

Organbezug im Vordergrund („Malignoidsyndrom“, Fieber unklarer Genese).<br />

Bis zu 10% der RZA-Patienten geben initial Symptome seitens des Respirationstraktes<br />

an (meist trockener Husten). Bei positiver Temporalarterienbiopsie<br />

entfällt eine differenzialdiagnostische Abklärung weitgehend. Auch andere<br />

systemische Vaskulitiden (z. B. Wegener-Granulomatose, Churg-Strauss-<br />

Syndrom, Panarteriitis nodosa) können jedoch mit granulomatösen Infiltraten<br />

der Temporalarterien – auch mit Riesenzellen – einhergehen. In diesen Fällen<br />

sollten die ACR-Klassifikationskriterien und laborchemischen Besonderheiten<br />

der anderen Vaskulitiden (z. B. ANCA-Nachweis, Eosinophilie) eine Abgrenzung<br />

von der RZA erlauben.<br />

z Literatur<br />

3.16 Riesenzellarteriitis z 117<br />

1. Evans JM, Hunder GG (2000) Polymyalgia rheumatica and giant cell arteritis.<br />

Rheum Dis Clin North America 26:493–515<br />

2. Gerber N (1989) Polymyalgia rheumatica und andere Varianten der Riesenzellarteriitis.<br />

In: Fehr K, Miehle W, Schattenkirchner M, Tillmann K (Hrsg) <strong>Rheumatologie</strong><br />

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3. Hazleman B, Bengtsson AA (eds) (1991) Giant cell arteritis. Bailliere’s Clin Rheumatol,<br />

Tindall, London<br />

4. Hunder GG, Bloch DA, Michel BA, Stevens MB, Arend WP, Calabrese LH,<br />

Edworthy SM, Fauci AS, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW, Masi AT, McShane DJ,<br />

Mills JA, Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology<br />

1990 criteria for the classification of giant cell arteritis. Arthr Rheum 33:1122–<br />

1128<br />

5. Liozon E, Herrmann F, Ly K, Robert PY, Loustaud V, Soria P, Vidal E (2001) Risk<br />

factors for visual loss in giant cell (temporal) arteritis: a prospective study of 174<br />

patients. Am J Med 111:211–217<br />

6. Rao JK, Allen NB, Pincus T (1998) Limitations of the 1990 American College of<br />

Rheumatology classification criteria in the diagnosis of vasculitis. Ann Int Med<br />

129:345–352<br />

7. Schmidt D (1995) Arteriitis temporalis Horton. Diagnose, Differentialdiagnose,<br />

Therapie. Elephas, St. Gallen<br />

8. Schmidt D, Vaith P, Hetzel A (2000) Prevention of ophthalmic and cerebral complications<br />

in temporal arteritis? Clin Exp Rheumatol 18 (suppl 20):S61–S63<br />

9. Schmidt WA, Kraft HE, Vorpahl K, Volker L, Gromnica-Ihle EJ (1997) Color<br />

duplex ultrasonography in the diagnosis of temporal arteritis. N Engl J Med 337:<br />

1336– 1342


118<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.17 Takayasu-Arteriitis<br />

z Synonyma. Entzündliches Aortenbogensyndrom, „pulseless disease“.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. 177.6)<br />

Die Takayasu-Arteriitis (TA) ist eine chronisch-entzündliche, granulomatöse,<br />

panarteriitische Erkrankung der Aorta und deren großer Äste, seltener auch<br />

der Pulmonalarterie, die überwiegend junge Frauen betrifft.<br />

z Klassifikationskriterien<br />

Es existieren japanische [2] und amerikanische [1] Klassifikationskriterien.<br />

Die des American College of Rheumatology (ACR) seien dargestellt.<br />

Tabelle 1. Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) <strong>für</strong> die Takayasu-Arteriitis<br />

[1]<br />

1. Alter bei Krankheitsbeginn unter 40 Jahre;<br />

2. Durchblutungsstörungen der Extremitäten (bewegungsabhängige Muskelbeschwerden mindestens<br />

einer Extremität, insbesondere der Arme);<br />

3. abgeschwächte Pulsationen der A. radialis und/oder A. ulnaris;<br />

4. systolische Blutdruckdifferenz von mehr als 10 mmHg zwischen beiden Armen;<br />

5. auskultierbare Gefäßgeräusche über der A. subclavia (ein- oder beidseits) oder über der abdominellen<br />

Aorta;<br />

6. arteriografischer Nachweis typischer Gefäßveränderungen der Aorta, der aortalen Äste oder der<br />

großen proximalen Extremitätenarterien (meist fokal-segmentale, stenosierende oder okkludierende<br />

Veränderungen ohne Hinweise auf Arteriosklerose, fibromuskuläre Dysplasie o. ä.).<br />

Für eine TA müssen mindestens 3 der 6 <strong>Kriterien</strong> erfüllt sein. Es besteht eine Sensitivität von<br />

90,5% und eine Spezifität von 97,8% bei der Abgrenzung von anderen Vaskulitiden.<br />

z Zusätzliche Symptome und Befunde<br />

z Allgemeinsymptome: Fieber, Nachtschweiss, Gewichtsabnahme, Myalgien<br />

und Arthralgien sind relativ uncharakteristisch.<br />

z Durchblutungsstörungen der jeweils betroffenen Gefäßregionen: Raynaud-<br />

Symptome, Claudicatiobeschwerden der Arme und Beine, zerebrovaskuläre<br />

Insuffizienzen einschließlich visueller Symptome, pulmonale, renale, koro


nare und viszerale Ischämien. Bei der klinischen Untersuchung muss neben<br />

tastbarer Pulsabschwächung auf Blutdruckdifferenzen zwischen den Armen<br />

sowie zwischen den Armen und Beinen geachtet werden. Im Falle einer arteriellen<br />

Hypertonie müssen renovaskuläre Ursachen (Nierenarterienstenose)<br />

ausgeschlossen werden. Neben Stenosegeräuschen über den großen Arterien<br />

ist bei der Auskultation des Herzens auf Insuffizienzgeräusche der<br />

Aorta (Aortenklappeninsuffizienz) zu achten.<br />

z Unterschiedliche Hautveränderungen: Erythema nodosum, Pannikulitis, Urtikaria.<br />

z Angiografische Befunde: Sie bestätigen die klinische Diagnose. Es werden<br />

häufig segmental stenosierende, seltener aneurysmatische Veränderungen<br />

gefunden. Dabei kann die konventionelle angiografische Diagnostik abhängig<br />

von der vaskulitischen Lokalisation heute meist durch moderne bildgebende<br />

Verfahren (Duplexsonographie, DSA, MRT, CT, 18-FDG-PET) ersetzt<br />

bzw. ergänzt werden. Die MR-Methoden erlauben nach Kontrastmittelgabe<br />

zusätzliche Aussagen zur Aktivität der Gefäßentzündungen wie Wandverdickung<br />

und Wandödem in den T2-gewichteten Sequenzen. Auch der<br />

Befall der Pulmonalarterien lässt sich mittels nicht-invasiver MR-Methoden<br />

darstellen.<br />

z Szintigrafische Techniken: Sie können zum Nachweis einer Beteiligung der<br />

Lungenstrombahn (Ventilations-Perfusions-Szintigrafie) oder der Koronarien<br />

(Thalliumszintigrafie) eingesetzt werden.<br />

z Laborbefunde: Spezifische Befunde sind nicht bekannt. Akutphasereaktionen,<br />

kenntlich an einer BSG-Beschleunigung und CRP-Erhöhung, sind häufig<br />

vorhanden, spiegeln aber die vaskulitische Aktivität der TA nur unzuverlässig<br />

wider.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

3.17 Takayasu-Arteriitis z 119<br />

Hinsichtlich des arteriitischen Befalls der großen und mittelgroßen Gefäße<br />

und der gleichartigen histologischen Veränderungen erlaubt in erster Linie<br />

das Alter des Patienten eine Unterscheidung zwischen einer TA (unter 40 Jahre)<br />

und einer Riesenzellarteriitis (über 40 Jahre). Eine Abgrenzung von anderen<br />

vaskulitischen Erkrankungen (z. B. Wegener-Granulomatose, Polyarteriitis<br />

nodosa) lässt sich neben charakteristischen klinischen Befundmustern (ACR-<br />

<strong>Kriterien</strong>) meist auch serologisch (ANCA-Diagnostik) treffen. Dazu wird auch<br />

auf die Kapitel der übrigen Vaskulitissyndrome verwiesen. Zum Ausschluss einer<br />

Aortitis luetica, die typischerweise einen kontinuierlichen Befall der thorakalen<br />

Aorta zeigt, dient die Bestimmung der Luesserologie, wobei auf falsch<br />

positive Screeningtests durch Kardiolipinantikörper, die bei der TA vorkommen<br />

können, zu achten ist.


120<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Literatur<br />

1. Arend WP, Michel BA, Bloch DA, Hunder GG, Calabrese LH, Edworthy SM, Fauci<br />

AS, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW, Masi AT, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB,<br />

Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria<br />

for the classification of Takayasu arteritis. Arthr Rheum 33:1129–1134<br />

2. Atalay MK, Bluemke DA (2001) Magnetic resonance imaging of large vessel vasculitis.<br />

Curr Opin Rheumatol 13:41–47<br />

3. Ishikawa K (1988) Diagnostic approach and proposed criteria for the diagnosis of<br />

Takayasu’s arteriopathy. J Am Coll Cardiol 12:964–972<br />

4. Hall S, Buchbinder R (1990) Takayasu’s arteritis. Rheum Dis Clin North Am 16:<br />

411–422<br />

5. Krause T, Schühlen H, Vaith P, Moser E (1993) Positive ventilation-perfusion lung<br />

scan and positive Tl-201 myocardial scintigraphy due to Takayasu’s arteritis. Clin<br />

Nucl Med 18:130–134<br />

6. Kerr G (1994) Takayasu’s arteritis. Curr Opin Rheumatol 6:32–38<br />

7. Kerr G (1995) Takayasu’s arteritis. Rheum Dis Clin North Am 21:1041–1053


3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa<br />

(Kussmaul-Maier)<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 30.0)<br />

Die klassische Polyarteriitis nodosa (cPAN) ist eine entweder schleichend oder<br />

post- bzw. parainfektiös auftretende schwere Allgemeinerkrankung (Gewichtsabnahme,<br />

Fieber, Nachtschweiß, „chlorotischer Marasmus“) mit vaskulitischem<br />

Multiorganfall kleinerer und mittelgroßer Gefäße unter Aussparung der Kapillaren,<br />

wobei nekrotisierende kutane Läsionen (seltener Knoten), Arthralgien, Myalgien,<br />

ZNS-Beteiligung (Insulte, Polyneuropathie, Mononeuritis multiplex),<br />

Kardiomyopathie, Hodenschmerzen und vaskulitische Darmnekrosen im Vordergrund<br />

stehen. Eine Lungenbeteiligung ist untypisch.<br />

Die Ätiologie der seltenen Erkrankung ist unklar. Eine infektallergische<br />

Reaktion bei immungenetischer Prädisposition wird vermutet. Autoantikörper<br />

sind normalerweise nicht nachweisbar. Eine Untergruppe von 5 bis 40% der<br />

Patienten weist eine persistierende Hepatitis-B-Virus-Infektion auf („HBV carrier<br />

Status“).<br />

z Klassifikation<br />

3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa (Kussmaul-Maier) z 121<br />

Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:<br />

1. Gewichtsverlust von über 4 kg, Allgemeinsymptome;<br />

2. Livedo reticularis;<br />

3. Hodenschmerz und -schwellung;<br />

4. Myalgien, Schwäche, Druckschmerz der Beinmuskulatur;<br />

5. Mono- oder Polyneuropathie, ZNS-Symptome;<br />

6. Hypertonus (diastolischer Blutdruck von über 90 mmHg);<br />

7. Serumkreatinin von über 1,5 mg/dl;<br />

8. HBV-carrier-Status;<br />

9. arteriografische Befunde: Aneurysmen, Verschlüsse;<br />

10. typische Histologie von gefäßwandinfiltrierenden Granulozyten oder Granulozyten<br />

mit mononukleären Leukozyten in kleinen und mittleren Arterien.<br />

Beurteilung: Mindestens 3 der 10 <strong>Kriterien</strong> sollten vorliegen, um die Diagnose<br />

cPAN zu stellen. Die Sensitivität beträgt 82,2%, Spezifität 86,6%.<br />

Anmerkung: Nach der Chapel Hill Consensus Conference 1992 [2] wurde die<br />

Definition der cPAN wesentlich eingeengt gegenüber der ursprünglichen Beschreibung<br />

des Krankheitsbildes durch Kussmaul und Maier [3]. Es wird nur<br />

noch ein Befall mittlerer und kleiner Arterien angenommen, eine Nierenbetei-


122<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

ligung ist nicht vorgesehen. Serologisch ist die cPAN typischerweise ANCAnegativ,<br />

während die mikroskopische Polyangiitis – ursprünglich beschrieben<br />

von Wohlwill [6], s. Kap. 3.22 – mit einer rapid progredienten Glomerulonephritis<br />

einhergeht, oft irreguläre Lungeninfiltrate aufweist (pulmorenales Syndrom)<br />

und Autoantikörper gegen Myeloperoxidase (MPO) in Form der sog.<br />

pANCA aufweist.<br />

z Weitere klinische Symptome<br />

z dilatative Kardiomyopathie,<br />

z Lebermitbeteiligung,<br />

z Epididymitis,<br />

z Abdominalkoliken, nekrotisierende Magen-Darm-Läsionen und Cholezystitis,<br />

z Arthralgien.<br />

Eine Lungenbeteiligung fehlt typischerweise. Die auf die Haut begrenzte Variante<br />

ist eine prognostisch gutartige Sonderform der cPAN [5].<br />

z Laborbefunde<br />

z Deutliche Akute-Phase-Reaktion mit stark beschleunigter BSG und hohem<br />

CrP.<br />

z ANCA, ANA und Rheumafaktoren sind typischerweise negativ.<br />

z Kryoglobuline und Kryofibrinogen können positiv sein.<br />

z Bei 5 bis 40% der Betroffenen können persistierende HBV- und HCV-Infektionen<br />

nachgewiesen werden.<br />

z Manchmal finden sich deutlich erhöhte Streptokokkenantikörper.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

z Riesenzellarteriitis,<br />

z ANCA-positive Vaskulitiden: M. Wegener, mikroskopische Polyangiitis,<br />

Churg-Strauss-Vaskulitis,<br />

z isolierte Angiitis des ZNS,<br />

z sekundäre Vaskulitiden im Rahmen von Infektionen, Malignomen, Kryoglobulinämien,<br />

medikamentenallergischen Reaktionen, ferner u. a. M. Winiwarter-Bürger.


z Literatur<br />

3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa (Kussmaul-Maier) z 123<br />

1. Gross WL (ed) (1993) ANCA associated vasculitides, Vol 336. Adv Exp Med Biol,<br />

Plenum Press, New York London<br />

2. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC,<br />

Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ,<br />

van Es LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides.<br />

Proposal of an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

3. Kussmaul A, Maier K (1866) Über eine bisher nicht beschriebene eigenthümliche<br />

Arterienerkrankung (Periarteritis nodosa), die mit Morbus Brightii und rapid<br />

fortschreitender allgemeiner Muskellähmung einhergeht. Dtsch Arch Klin Med I:<br />

484–515<br />

4. Lightfoot RW, Michel BA, Bloch DA, Hunder GG, Zvaifler NJ, McShane DJ, Arend<br />

WP, Calabrese LH, Leavitt RY, Lie JT, Masi AT, Mills JA, Stevens MB, Wallace SL<br />

(1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the classification<br />

of polyarteritis nodosa. Arthr Rheum 33:1088–1093<br />

5. Ruiter M (1958) The so-called cutaneous type of periarteritis nodosa. Brit J Dermatol<br />

70:102–120<br />

6. Wohlwill F (1923) Über eine nur mikroskopisch erkennbare Form der Periarteriitis<br />

nodosa. Virch Arch Pathol 246:377–411


124<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.19 Morbus Kawasaki<br />

z Synonym. Mukokutanes Lymphknotensyndrom.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 30.3)<br />

Akute, hochfieberhafte Erkrankung des Kleinkindesalters (vor dem 5. Lebensjahr)<br />

unbekannter Ätiologie mit polymorphem Exanthem, Palmar- und<br />

Plantarerythem mit membranöser Desquamation, Schleimhautläsionen (Konjunktivitis,<br />

Lippenfissuren, Erdbeerzunge und Pharyngitis), schmerzhafter zervikaler<br />

Lymphadenopathie und häufigen kardiovaskulären Komplikationen<br />

(Koronaritis, Myokardinfarkte, Arrhythmien, Aneurysmabildung). Knaben<br />

sind bevorzugt betroffen. Die Erkrankung tritt häufiger in Südostasien und<br />

unter der afrokaribischen Bevölkerung auf als bei Kaukasiern.<br />

z Klassifikation<br />

<strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

1. antibiotikaresistentes Fieber von über 5 Tagen Dauer;<br />

2. polymorphes Exanthem;<br />

3. Veränderungen an den Extremitäten: Erythem der Hand- und Fußsohlen,<br />

Ödem, membranöse Desquamation in der Rekonvaleszenz;<br />

4. bilaterale konjunktivale Injektion;<br />

5. Veränderungen im Mundbereich: rissige gerötete Lippen, Erdbeerzunge,<br />

Pharyngitis, Exanthem;<br />

6. akute, nichteitrige zervikale Lymphadenopathie.<br />

Beurteilung: Mindestens 5 der 6 <strong>Kriterien</strong> sollten zutreffen, wobei das Fieber<br />

obligat ist. Andere Erkrankungen sind auszuschließen. Patienten mit 4 <strong>Kriterien</strong><br />

können als Kawasaki-Syndrom diagnostiziert werden, wenn in der zweidimensionalen<br />

Echokardiografie oder der Koronarangiografie Aneurysmen<br />

nachweisbar sind.


z Weitere häufige Symptome<br />

z Kardiovaskuläre Komplikationen treten 12 bis 28 Tage nach Krankheitsbeginn<br />

bei 20 bis 35% der Fälle auf: Herzgeräusche, Galopprhythmus, Angina pectoris,<br />

EKG-Veränderungen, Kardiomegalie, Peri- und Myokarditis, Aneurysmen von<br />

Koronararterien, seltener von peripheren Arterien, Stenosen, Myokardinfarkte.<br />

z Gastrointestinale Symptome: Enteritis, abdominelle Schmerzen, Erbrechen,<br />

Ikterus, Hydrops der Gallenblase, Ileus.<br />

z Urethritis: Leukozyturie, Proteinurie.<br />

z Haut: Querrillen an den Fingernägeln.<br />

z Gelenke: Arthralgien und Schwellungen als Symptome einer Arthritis.<br />

z Respirationstrakt: Husten und Rhinorrhoe.<br />

z ZNS: Meningeale Reizung mit Pleozytose im Liquor, Krampfanfällen und<br />

transienter Fazialisparese.<br />

z Laborbefunde<br />

z Leukozytose, Thrombozytose, Anämie,<br />

z massive Akute-Phase-Reaktionen mit stark beschleunigter BSG und hohen<br />

CrP-Werten,<br />

z Serologie: Antiendothelzellantikörper (AECA) sind oft positiv, das IgE ist<br />

erhöht, ebenso die thrombozytenaggregierenden Faktoren und Immunkomplexe.<br />

Die Virus-, Streptokokken- und Kollagenoseserologie fällt negativ<br />

aus.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

z Scharlach,<br />

z akutes rheumatisches Fieber (betahämolysierende A-Streptokokken),<br />

z systemische juvenile chronische Arthritis (s. Kap. 3.3),<br />

z Masern,<br />

z Steven-Johnson-Syndrom,<br />

z infektiöse Mononukleose.<br />

z Literatur<br />

3.19 Morbus Kawasaki z 125<br />

1. Dillon MJ (1993) Primary vasculitis in children. In: Maddison PJ (ed) Oxford<br />

Textbook of Rheumatology. Oxford University Press, pp 889–894<br />

2. Hicks RV, Melish ME (1986) Kawasaki syndrome. Pediat Clin North America<br />

33:1151–1175<br />

3. Kawasaki T (1967) Acute febrile mucocutaneous syndrome with lymphoid involvement<br />

and with specific desquamation of the fingers and toes in children. Japanese<br />

J Allergy 16:178–222<br />

4. Levin M, Dillon MJ (1991) Kawasaki disease. In: Champion RH, Pye RJ (eds) Recent<br />

advances in dermatology. Churchill Livingstone, Edinburgh, pp 81–93<br />

5. Rieger C (1987) Vaskulitiden und seltene Autoimmunerkrankungen. In: Pädiatrische<br />

Allergologie und Immunologie. Fischer, Stuttgart New York, S 507–522


126<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.20 Wegener-Granulomatose<br />

(ICD-Nr. M 31.3, 177.6)<br />

z Synonyma. Rhinogene Granulomatose, Wegener’s (patherge) Granulomatose,<br />

Morbus Wegener.<br />

z Definition [2]<br />

Beim Vollbild der Wegener-Granulomatose (WG) findet sich eine granulomatöse<br />

Entzündung des Respirationstraktes und eine nekrotisierende Vaskulitis<br />

kleiner bis mittelgroßer Gefäße, z. B. der Kapillaren, Venolen, Arteriolen<br />

und Arterien sowie meist eine nekrotisierende Glomerulonephritis. Ablagerungen<br />

von Immundepots in situ fehlen („pauci-immune“ Vaskulitis).<br />

Beachte: Das Frühstadium der WG („Initialphase“/localized WG) kann<br />

auch ohne klinische Zeichen einer Vaskulitis auftreten.<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien der Amerikanischen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Rheumatologie</strong><br />

(ACR) [3]:<br />

1. Entzündung in Nase oder Mund (ulzerierend – hämorrhagisch – purulent);<br />

2. Infiltrationen der Lunge im Röntgenthoraxbild (Rundherde, Kavernen, „fixe“<br />

Infiltrationen);<br />

3. nephritisches Urinsediment (Erythrozyturie von mehr als 5 Erythrozyten<br />

pro Gesichtsfeld, Erythrozytenzylinder);<br />

4. histologisch granulomatöse Entzündung (in der Gefäßwand, peri- und extravaskulär).<br />

Beurteilung: Bei 2 von 4 <strong>Kriterien</strong> kann die Erkrankung als WG klassifiziert<br />

werden, wenn darüber hinaus Zeichen einer Vaskulitis gesichert sind.<br />

(cave: keine diagnostischen <strong>Kriterien</strong>)<br />

Bemerkungen<br />

z Für das Vollbild der WG (Generalisationsphase) geht man bei Anwendung<br />

der ACR-<strong>Kriterien</strong> [3] von einer Spezifität von 92% und einer Sensitivität<br />

von 88% aus.<br />

z Diese <strong>Kriterien</strong> sind diagnostisch wenig sensitiv <strong>für</strong> Frühformen (Initialphase).


z Diagnostisch hinweisende Frühsymptome sind z. B. charakterisiert durch<br />

die in den o. g. <strong>Kriterien</strong> unter 1. und 2. genannten Symptome vonseiten<br />

des oberen und unteren Respirationstraktes.<br />

z Immunologisch hinweisende Frühsymptome sind die mit der WG assoziierten<br />

antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörper (cANCA; im indirekten<br />

Immunfluoreszenztest an alkoholfixierten Granulozyten über 60% positiv).<br />

Ein Sicherungstest ist der Nachweis von Proteinase-3-Autoantikörpern<br />

(PR3-ANCA; gemessen im ELISA oder noch sensitiveren Capture-ELISA).<br />

z Weitere Symptome bzw. Organbeteiligungen<br />

Beschwerden sowie Krankheitszeichen finden sich<br />

z im gesamten Respirationstrakt einschließlich der Nasennebenhöhlen, des<br />

Mastoid, der Mundhöhle, im Subglottisbereich sowie in der Trachea und<br />

den Bronchien;<br />

z im ophthalmologischen Bereich mit Zeichen der Vaskulitis (Skleritis, Episkleritis,<br />

Retinavaskulitis usw.) und Granulommanifestation (Protrusio bulbi<br />

usw.);<br />

z in der Lunge mit granulomatösen Veränderungen (Rundherden, z. T. einschmelzend)<br />

sowie vaskulitischen Läsionen (z. B. Kapillaritis mit Haemoptysen);<br />

z in der Niere mit fokaler Glomerulonephritis (nephritisches Urinsediment),<br />

diffuser nekrotisierender Glomerulonephritis (zunehmende Nierenfunktionseinschränkung)<br />

und rapidprogressiver Glomerulonephritis (RPGN) mit<br />

rasch progredienter Niereninsuffizienz;<br />

z am Nervensystem überwiegend mit peripherer (Mononeuritis multiplex<br />

usw.) oder auch zentraler (intrazerebrales Granulom bzw. Kleingefäßvaskulitis)<br />

Beteiligung, selten auch meningeale Beteiligung;<br />

z als rheumatischer Beschwerdekomplex (Myalgie, Arthralgie z. T. übergehend<br />

in Oligo- bis Polyarthritis), nicht selten nach dem Manifestationstyp der<br />

Spondyloarthritiden (s. Kap. 3.3);<br />

z als Hautbeteiligung (leukozytoklastische Vaskulitis; Urtikariavaskulitis, Pyoderma<br />

gangraenosum usw.) sowie<br />

z in Form von Allgemeinsymptomen mit Gewichtsverlust, Nachtschweiß, subfebrilen<br />

Temperaturen („B-Symptomatik“).<br />

z Differenzialdiagnose<br />

3.20 Wegener-Granulomatose z 127<br />

Das Vollbild ist bei der dann im Vordergrund stehenden Vaskulitis von anderen<br />

(primären und sekundären) Vaskulitiden durch die charakteristische ELK-Manifestation<br />

(„WG-Trias“ – E=HNO-Region; L =Lunge; K = Niere) abzutrennen.<br />

Klinische Ähnlichkeit besteht mit den anderen ANCA-assoziierten Kleingefäßvaskulitiden<br />

(MPA – fehlender Granulomnachweis, MPO-ANCA-assoziiert;<br />

s. Kap. 3.22; CSS – Asthma, Eosinophilie, MPO- oder PR3-ANCA-assoziiert).<br />

Darüber hinaus kann das klinische Bild der Hepatitis-C-assoziierten Vaskulitis


128<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

ähneln (mit oder ohne Kryoglobulinnachweis; sorgfältige Erregerdiagnostik!<br />

Meist mit C-Verbrauch einhergehend; cave: auch gelegentlich ANCA-Nachweis).<br />

Selten werden WG-ähnliche Bilder auch bei Immundefekten beobachtet<br />

(z. B. TAP1-Defekt), die dann in aller Regel ANCA-negativ sind [4].<br />

Bei Frühfällen bzw. noch nicht voll ausgeprägtem Krankheitsbild stellt sich in<br />

aller Regel eine sehr breite Differenzialdiagnose, z. B.: Rundherd – Bronchialkarzinom<br />

– nekrotisierende Entzündung in der Nasenhaupthöhle – Granuloma<br />

gangraenescens – pulmorenales Syndrom – Goodpasture-Syndrom.<br />

z Literatur<br />

1. Gross WL (1999) Primär systemische Vaskulitiden Teil I/II. Der Internist<br />

40:779–794, 951–968<br />

2. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman<br />

GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es<br />

LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of<br />

an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

3. Leavitt RY, Fauci AS, Bloch DA, Michel BA, Hunder GG, Arend WP, Calabrese LH,<br />

Fries JF, Lie JT, Lightfoot RW, Masi AT, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB, Wallace<br />

SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for<br />

the classification of Wegener’s Granulomatosis. Arthr Rheum 33:1101–1107<br />

4. Moins-Teisserenc HT, Gadola SD, Cella M, Dunbar PR, Exley A, Blake N, Baykal<br />

C, Lambert J, Bigliardi P, Willemsen M, Jones M, Buechner S, Colonna M, Gross<br />

WL, Cerundolo V, Baycal C (1999) Association of a syndrome resembling Wegener’s<br />

granulomatosis with low surface expression of HLA class-I molecules. Lancet<br />

6, 354(9190):1598–1603


3.21 Churg-Strauss-Syndrom<br />

z Synonyma. Allergische granulomatöse Vaskulitis, allergische Granulomatose<br />

und Angiitis.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 30.1)<br />

Die Churg-Strauss-Vaskulitis ist eine eosinophilenreiche und granulomatöse<br />

Entzündung des Respirationstraktes und nekrotisierende Vaskulitis der kleinen<br />

bis mittelgroßen Gefäße, die mit Asthma und einer Bluteosinophilie assoziiert<br />

ist.<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:<br />

1. Asthmaanamnese,<br />

2. Eosinophilie von über 10% im Differenzialblutbild,<br />

3. Polyneuropathie oder Mononeuritis multiplex,<br />

4. flüchtige pulmonale Infiltrate,<br />

5. akute oder chronische Nasennebenhöhlenaffektionen,<br />

6. bioptischer Nachweis von Eosinophilen im extravaskulären Gewebe.<br />

Beurteilung: Bei Zutreffen von 4 dieser 6 <strong>Kriterien</strong> ist eine Vaskulitis als<br />

Churg-Strauss-Vaskulitis zu klassifizieren.<br />

Bemerkungen<br />

3.21 Churg-Strauss-Syndrom z 129<br />

z Diese <strong>Kriterien</strong> dienen als Unterscheidungshilfe innerhalb der Gruppe der<br />

Vaskulitiden.<br />

z Diagnostisch richtungsweisend ist der zeitliche Ablauf mit der Entwicklung<br />

einer systemischen Erkrankung bei Patienten mit langjähriger Anamnese<br />

von Allergien, Asthma, Sinusitis und/oder Bluteosinophilie, wobei dann die<br />

Atemwegssymptomatik häufig mehr in den Hintergrund tritt.<br />

z Der histologische Nachweis von Granulomen gelingt nur etwa in 10 bis 20%<br />

und ist nicht zur Diagnosestellung erforderlich.


130<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Zusätzliche Symptome<br />

z Allgemeinsymptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust,<br />

z Petechien, palpable Purpura, Hautulzerationen,<br />

z Thoraxschmerzen und Dyspnoe, Kardiomyopathie, Coronariitis<br />

z Abdominalschmerzen und Durchfälle, Infarzierungen von Abdominalorganen,<br />

z Glomerulonephritis (selten).<br />

z Laborbefunde<br />

z Eosinophilie mit Absolutwerten von über 1500/mm 3 ,<br />

z Erhöhung des Gesamt-IgE-Wertes,<br />

z Nachweis von pANCA (in der Minorität der Fälle), in Einzelfällen auch von<br />

cANCA.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Eine Differenzialdiagnostik zum Ausschluss eines Löffler-Syndroms oder anderer<br />

Ursachen der Eosinophilie bzw. sonstiger Vaskulitiden wie Polyarteriitis<br />

nodosa, Wegener-Granulomatose, mikroskopische Polyangiitis oder kutane<br />

leukozytoklastische Angiitis (s. Kap. 3.18, 3.20, 3.22, 3.23) ist im Einzelfall erforderlich.<br />

z Literatur<br />

1. Chumbley LC, Harrison EG Jr, DeRemee RA (1977) Allergic granulomatosis and<br />

angiitis (Churg-Strauss syndrome): Report and analysis of 30 cases. Mayo Clin<br />

Proc 52:477–484<br />

2. Churg J, Strauss L (1951) Allergic granulomatosis, allergic angiitis, and periarteritis<br />

nodosa. Am J Pathol 27:277–301<br />

3. Jennette JC, Palk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen C, Hoffman<br />

GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico A, Rees AJ, van Es<br />

LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of<br />

an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

4. Masi A, Hunder GG, Lie JT, Michel BA, Bloch DA, Arend WP, Calabrese LA, Edworthy<br />

SM, Fauci AS, Leavitt RY, Lightfoot RW Jr, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB, Wallace<br />

SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the<br />

classification of Churg-Strauss syndrome (allergic granulomatosis and angiitis).<br />

Arthr Rheum 33:1094–1100


3.22 Mikroskopische Polyangiitis<br />

z Synonyma. Mikroskopische Polyarteriitis, mikroskopisch erkennbare Periarteriitis.<br />

z Definition<br />

Die mikroskopische Polyangiitis (mPA) ist eine nekrotisierende Vaskulitis kleiner<br />

Gefäße (z. B. Kapillaren, Venolen, Arteriolen) mit keinen bzw. minimalen<br />

Immundepots in situ. Ferner besteht z. T. eine nekrotisierende Arteriitis der<br />

kleinen und mittelgroßen Arterien und meist eine nekrotisierende Glomerulonephritis<br />

sowie häufig eine pulmonale Kapillaritis [1].<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien der mPA gibt es nicht.<br />

z Klinik<br />

(ICD-Nr. M 31.9)<br />

3.22 Mikroskopische Polyangiitis z 131<br />

z Vollbild. Das lebensbedrohliche pulmorenale Vollbild, welches oft eine intensivtherapeutische<br />

Betreuung erfordert, beruht auf<br />

– der Kapillaritis der Lunge mit alveolärem Hämorrhagiesyndrom und<br />

– der Kapillaritis der Nieren, die sich morphologisch als nekrotisierende<br />

Glomerulonephritis mit Halbmondbildung und klinisch als rasch progredientes<br />

Nierenversagen durch die rapidprogressive Glomerulonephritis<br />

(RPGN) manifestiert.<br />

Beide Organfunktionseinschränkungen können isoliert auftreten.<br />

z Abortivformen. Zunehmend häufiger finden sich Krankheitsbilder, bei denen<br />

entweder nur eine leichte Lungenkapillaritis festzustellen ist, die dann<br />

zu Hämoptysen führt oder eine mehr fokal sich manifestierende Glomerulonephritis,<br />

die zu einer blanden Mikrohämaturie führt.<br />

z Vorläufersymptome. Häufig geht den vaskulitischen Bildern eine monatebis<br />

jahrelange Prodromalphase voraus, die z. T. durch HNO-Symptome –<br />

ähnlich der Wegener-Granulomatose (s. Kap. 3.20) – und z. T. durch einen<br />

uncharakteristischen Beschwerdekomplex vonseiten des Bewegungsapparates<br />

mit Myalgien und Myositiden, Arthralgien und auch Arthritiden charakterisiert<br />

ist.


132<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

Immunserologisch wegweisend sind ANCA (anti-Neutrophilen-Zytoplasma Antikörper)<br />

mit perinukleärem Fluoreszenzmuster (pANCA) in der indirekten<br />

Immunfluoreszenz und Nachweis von Myeloperoxidase (MPO) als Zielstruktur<br />

im ELISA (MPO-ANCA).<br />

z Differenzialdiagnose<br />

In erster Linie sind andere Kleingefäßvaskulitiden auszuschließen (kutane leukozytoklastische<br />

Angiitis, Kap. 3.25), ferner die Schönlein-Henoch-Purpura<br />

(Kap. 3.23), die Urtikariavaskulitis, die nekrotisierende Venulitis bei gemischter<br />

Kryoglobulinämie (Kap. 3.24) und die Purpura hyperglobulinaemica Waldenström.<br />

Weiterhin auszuschließen sind andere primäre (ANCA-assoziierte)<br />

Vaskulitiden, pANCA-assoziierte Autoimmunerkrankungen (SLE) und andere<br />

Ursachen eines pulmorenalen Syndroms. Kleingefäßvaskulitiden im Gefolge einer<br />

Virusinfektion (meist Hepatitis C- oder CMV-Infektion), medikamentös<br />

ausgelöste Vaskulitiden (Thyreostatika, Antirheumatika, Antibiotika, Antihypertensiva<br />

etc.) können ein der MPA klinisch ähnliches Bild machen.<br />

z Literatur<br />

1. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen C, Hoffman<br />

GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico A, Rees AJ, van Es<br />

LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of<br />

an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

2. Savage COS, Winearls CG, Evans DJ, Rees AJ, Lockwood CM (1985) Microscopic<br />

polyarteritis: presentation, pathology and prognosis. Quart J Med 220:467–483<br />

3. Guillevin L, Durand-Gasselin B, Cevallos R, Gayraud M, Lhote F, Callard P, Amouroux<br />

J, Casassus P, Jarrousse B (1999) Microscopic polyangiitis: clinical and laboratory<br />

findings in eighty-five patients. Arthr Rheum 42:421–430<br />

4. Jennette JC, Thomas DB, Falk RJ (2001) Microscopic polyangiitis (microscopic polyarteritis).<br />

Semin Diagn Pathol 18:3–13


3.23 Schönlein-Henoch-Purpura<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. 177.9)<br />

Es handelt sich um eine systemische Vaskulitis kleiner Gefäße (präkapilläre<br />

Arteriolen, Kapillaren, postkapilläre Venolen). Die Krankheit beginnt bevorzugt<br />

bei Knaben im Kindes- und Adoleszentenalter. Meist geht eine Infektion<br />

des Respirationstraktes voraus. Klinisch imponieren neben Fieber und schwerem<br />

Krankheitsgefühl vor allem eine distal betonte palpable Purpura, Arthralgien,<br />

Abdominalkoliken mit blutigen Stühlen und eine Nephritis mit Hämaturie<br />

und Proteinurie. 10 bis 20% der Kinder entwickeln ein nephrotisches Syndrom,<br />

5% eine terminale Niereninsuffizienz. In der Nierenbiopsie finden sich<br />

IgA-Ablagerungen ähnlich der IgA-Nephropathie. Die Ätiologie ist unklar, virale<br />

Auslöser werden bei immungenetischer Prädisposition diskutiert.<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:<br />

1. Palpable Purpura,<br />

2. Manifestationsalter vor dem 21. Lebensjahr,<br />

3. Angina abdominalis,<br />

4. bioptisch gesicherte leukozytoklastische Vaskulitis.<br />

Beurteilung: Eine Schönlein-Henoch-Purpura kann klassifiziert werden, wenn<br />

mindestens 2 der 4 <strong>Kriterien</strong> vorliegen. Die Sensitivität beträgt 87,1%, die Spezifität<br />

87,7%.<br />

Anmerkung: Die ACR-<strong>Kriterien</strong> differenzieren nicht gut gegen die kutane leukozytoklastische<br />

Angiitis, wenn nur Kriterium 1 und 4 positiv sind.<br />

z Zusätzliche klinische Symptome<br />

z Beginn oft in den Wintermonaten nach grippalem Infekt,<br />

z schweres Krankheitsgefühl mit Fieber,<br />

z Arthralgien/Myalgien,<br />

z transiente sensible Polyneuropathie,<br />

z blutige Durchfälle,<br />

z Glomerulonephritis.<br />

3.23 Schönlein-Henoch-Purpura z 133


134<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Laborbefunde<br />

z ausgeprägte Akute-Phase-Reaktionen (BSG, CrP),<br />

z oft isolierte Serum-IgA-Erhöhung,<br />

z Nachweis IgA-haltiger Immunkomplexe im Serum,<br />

z IgA-Ablagerungen in vaskulitischen Läsionen (Haut, Niere).<br />

z Differenzialdiagnose<br />

z kutane leukozytoklastische Angiitis (s. Kap. 3.25),<br />

z Urtikariavaskulitis,<br />

z Vaskulitis bei Kryoglobulinämie (s. Kap. 3.24),<br />

z medikamentenallergische Reaktionen (sekundäre Vaskulitis),<br />

z andere systemische Kleingefäßvaskulitiden.<br />

z Literatur<br />

1. Henoch EH (1874) Über eine eigenthümliche Form von Purpura. Berliner Klin<br />

Wschr 11:641–643<br />

2. Dillon MJ (1993) Primary vasculitis in children. In: Maddison PJ (ed) Oxford<br />

Textbook of Rheumatology. Oxford University Press, pp 889–894<br />

3. Gross WL (1996) Primäre Vaskulitiden. In: Peter HH, Pichler W (Hrsg) Klinik der<br />

Gegenwart. Urban & Schwarzenberg, München<br />

4. Mills JA, Michel BA, Bloch DA, Calabrese LH, Hunder GG, Arend WP, Edworthy<br />

SM, Fauci AS, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW Jr, Masi AT, McShane DJ, Stevens<br />

MB, Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990<br />

criteria for the classification of Henoch-Schönlein purpura. Arthr Rheum 33:<br />

1114–1121


z Definition<br />

Kryoglobulinämien oder Kryofibrinogenämien können zu vaskulitisch bedingten<br />

Multiorganerkrankungen führen mit meist akral betonten kutanen oder<br />

systemischen vaskulitischen Läsionen, Arthralgien, Myalgien, Glomerulonephritis,<br />

Polyneuropathie, kardialen und zerebralen Manifestationen, hervorgerufen<br />

durch kältelabile Bluteiweiße (Kryoglobuline, Kryofibrinogen), die insbesondere<br />

bei Abkühlung zu Viskositätserhöhung, Eiweißpräzipitation oder<br />

Gelifikation, Komplementaktivierung, Gerinnungsaktivierung und Endothelschädigung<br />

führen können.<br />

z Klassifikation<br />

Klassifikationskriterien:<br />

1. Akral betonte leukozytoklastische und/oder nekrotisierende kutane Läsionen;<br />

2. Auslösung oder Verstärkung durch Kälte;<br />

3. histologischer Nachweis einer Vaskulopathie kleiner Gefäße (Arteriolen, Kapillaren,<br />

Venolen);<br />

4. Nachweis eines deutlichen, kältelabilen Serum- oder Plasmaeiweißes (Kryoglobulin,<br />

Kryofibrinogen).<br />

Alle 4 <strong>Kriterien</strong> sollten <strong>für</strong> die sichere Diagnosestellung erfüllt sein.<br />

Klassifikation der kältelabilen Bluteiweiße<br />

z Kryoglobuline: Fallen im Serum bei unterschiedlichem Abkühlungsgrad<br />

(0 bis 30 8C) aus und lösen sich bei 37 8C wieder auf.<br />

z Kryofibrinogene: Fallen im Plasma bei unterschiedlichem Abkühlungsgrad<br />

(0–30 8C) aus und lösen sich bei 37 8C wieder auf.<br />

Klassifikation der Kryoglobuline<br />

3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serum- und Plasmaeiweiße z 135<br />

3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serumund<br />

Plasmaeiweiße (Kryoglobuline, Kryofibrinogen)<br />

(ICD-Nr. 177.9)<br />

Basierend auf der Eiweißzusammensetzung des Kryoglobulinpräzipitates in<br />

der Immunelektrophorese wurde folgende Einteilung der Kryoglobuline vorgeschlagen<br />

[3].<br />

z Typ 1. Monoklonale Immunglobuline, meist IgM, seltener IgG oder IgA. Sie<br />

kommen vor bei M. Waldenström, Myelom, B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom,<br />

monoklonalen Gammopathien unbestimmter Wertigkeit.


136<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Typ 2. Gemischte Kryoglobulinämie mit monoklonalem IgM-Rheumafaktor<br />

und polyklonalem IgG. Seltener sind monoklonale IgG- oder IgA-Rheumafaktoren<br />

im Präzipitat nachweisbar. Der Typ 2 kann eine schwere chronische<br />

Vaskulitis mit Purpura, Arthritis, Nephritis (= PAN-Syndrom) und<br />

Polyneuropathien verursachen und wird nach der Chapel-Hill-Consensus<br />

Conference [4] zu den primären Vaskulitiden gerechnet, soweit keine chronische<br />

HCV- oder HBV-Infektion zugrunde liegt.<br />

z Typ 3. Es handelt sich um polyklonales IgG plus polyklonales IgM oder IgA<br />

oder undefinierbares Protein X. Dieser Typ kommt besonders parainfektiös<br />

(u. a. HCV, HBV, HIV, Lues, Borreliose), bei Kollagenosen (SLE, Sjögren-<br />

Syndrom) und rheumatoider Arthritis mit hohem Rheumafaktortiter vor.<br />

Anmerkung: Persistierende HCV-Infektionen sind bei den Kryoglobulin-Typen<br />

2 und 3 in 30 bis 50% nachweisbar.<br />

z Krankheitsbilder mit Nachweis von Kryofibrinogenen [6]<br />

z essenzielle Kryofibrinogenämie,<br />

z Karzinome u. a. der Lunge, des Magens, des Pankreas, der Gallenblase, des<br />

Kolon; Fibrosarkom,<br />

z hämatopoetische und lymphatische Neoplasien: u.a. Myelom, chronische<br />

lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom, M. Hodgkin,<br />

z Infektionen<br />

z Medikamente: u.a. Ovulationshemmer, Isoniacid,<br />

z Schwangerschaft,<br />

z Fehltransfusion,<br />

z arterielle Verschlusskrankheit, venöse Thrombosen,<br />

z Kollagenosen,<br />

z Leberzirrhose,<br />

z metallische Fremdkörper.<br />

z Diagnostik<br />

Sie erfordert ein umfangreiches Laborprogramm.<br />

z Nachweis von Kryoglobulinen oder Kryofibrinogen. Technisch geht man wie<br />

folgt vor: Abnahme von 10 ml Nativblut und 10 ml Zitratblut; Transport bei<br />

37 8C ins Labor; Gewinnung von Serum und Plasma bei 37 8C; Inkubation<br />

von Serum- und Plasmaprobe im temperierten Wasserbad bei 37 8C, 20 8C<br />

und 0 8C <strong>für</strong> 2 und 24 Stunden, ggf. <strong>für</strong> 48 und 72 Stunden. Bei Auftreten<br />

einer Trübung, eines Präzipitates oder einer Gelifikation Abzentrifugieren<br />

des Präzipitates und Bestimmung des „Kryokrits“; Test auf Wärmereversibilität;<br />

Freiwaschen des Präzipitates durch wiederholtes Umfällen (Wiederauflösen<br />

bei 37 8C und nochmaliges Ausfällen bei 0 8C mit anschließendem<br />

Waschen); Bestimmung der Eiweißkomponenten im Präzipitat mittels Immunfixation.


z Komplementdiagnostik. Die Bestimmung von CH50, C3d, C3, C4 ist erforderlich,<br />

da ein Teil der Kryoglobuline – besonders Typ 2 und 3 – das Komplementsystem<br />

aktiviert.<br />

z Akute-Phase-Proteine. Fibrinogen, CrP, Elektrophorese.<br />

z Quantitative Bestimmung von IgG, IgA, IgM und IgE; Nachweis monoklonaler<br />

Immunglobuline.<br />

z ANA, ANCA, Rheumafaktoren. Bei Typ-2-Kryoglobulinämien ist der Rheumafaktor-Titer<br />

mit human-IgG typischerweise sehr hoch, im Waaler-Rose-<br />

Test eher niedrig bis normal.<br />

z Virustiter und Antigennachweis (HCV, HBV, HIV, EBV, CMV).<br />

z Borrelien- und Luesserologie, im Einzelfall auch Nachweis von Antikörpern<br />

gegen Protozoen und Parasiten, z. B. Leishmanien.<br />

z Literatur<br />

3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serum- und Plasmaeiweiße z 137<br />

1. Abel G, Zhang QX, Agnello V (1993) Hepatitis C virus infection in type II mixed<br />

cryoglobulinemia. Arthr Rheum 36:1341–1349<br />

2. Bartels M, Ellendorf C, Peter HH, Schedel I (1980) Hämorrhagische Diathese bei<br />

Kryofibrinogenämie. In: Schimpf K (Hrsg) Fibrinogen, Fibrin und Fibrinkleber.<br />

Schattauer, Stuttgart, S 175–183<br />

3. Brouet JC (1974) Biological and clinical significance of cryoglobulins. Am J Med<br />

57:775–788<br />

4. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman<br />

GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es<br />

LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of<br />

an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

5. Meltzer M, Franklin EC (1966) Cryoglobulinemia – a study of 29 patients. Am J<br />

Med 40:628–635<br />

6. Moroz LA, Rose B (1978) The cryopathies. In: Samter M (ed) Immunological<br />

Diseases, Vol I, 3rd ed. Little Brown, Boston, pp 570–591


138<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.25 Kutane leukozytoklastische Angiitis<br />

z Synonyma. Früher: Hypersensitivitätsangiitis, Vasculitis allergica.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. 177.9)<br />

Isolierte leukozytoklastische Angiitis der kleinen Hautgefäße (KLA) ohne systemische<br />

Vaskulitis oder Glomerulonephritis, die sich klinisch als nicht wegdrückbare,<br />

palpable Purpura äußert, manchmal im Zusammenhang mit Infektionen<br />

und/oder Medikamenteneinnahmen. Die Prognose ist in der Regel gut.<br />

z Klassifikationskriterien<br />

<strong>für</strong> die kutane leukozytoklastische Angiitis gibt es nicht!<br />

Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [2] <strong>für</strong> die Hypersensitivitäts-Angiitis:<br />

1. Alter bei Krankheitsmanifestation über 16 Jahre,<br />

2. Medikamenteneinnahme zur Zeit der Erstsymptome,<br />

3. palpable Purpura,<br />

4. makulopapulöses Exanthem,<br />

5. bioptisch nachweisbare leukozytoklastische Vaskulitis an kleinen Hautgefäßen<br />

(Arteriolen, Kapillaren, Venolen).<br />

Beurteilung: Mindestens 3 der 5 <strong>Kriterien</strong> sollten vorhanden sein, um die Diagnose<br />

zu stellen. Die Sensitivität beträgt 71%, die Spezifität 84%.<br />

Anmerkung: Die Abgrenzung gegenüber der Schönlein-Henoch-Purpura und<br />

einer leukozytoklastischen Vaskulitis im Rahmen von Kryoglobulinämien kann<br />

anhand der ACR-<strong>Kriterien</strong> schwierig sein. Die Chapel Hill Consensus Conference<br />

grenzt die KLA klar von der Purpura Schönlein-Henoch ab.<br />

z Weitere Symptome<br />

z Oft gehen akute virale Infekte mit entsprechenden Allgemeinsymptomen voraus<br />

(u. a. HSV, EBV, HIV, HBV, HCV).<br />

z Die Purpura ist distal betont, in schweren Fällen kann das ganze Integument<br />

betroffen sein. Schleimhäute sind in der Regel ausgespart.<br />

z Arthralgien/Myalgien kommen vor.<br />

z Systemische Manifestationen sind definitionsgemäß auszuschließen.


z Diagnostik<br />

Aus Gründen der Diagnostik und Differenzialdiagnostik sollten die folgenden<br />

Untersuchungen durchgeführt werden:<br />

z Erhebung einer genauen Medikamentenanamnese, evtl. Testung (RAST,<br />

Haut-Test),<br />

z Bestimmung von ANCA, ANA, Rheumafaktoren,<br />

z Ausschluss einer viralen Genese (z. B. HCV)<br />

z Nachweis kältelabiler Serumproteine (Kryoglobuline, Kryofibrinogen;<br />

s. Kap. 3.24),<br />

z Komplementdiagnostik (CH50, C3d, C3, C4).<br />

Hyperkomplementämische Formen treten bei Infekten oder im Rahmen von<br />

Medikamentenallergien auf; hypokomplementämische Formen finden sich bei<br />

SLE und Urtikariavaskulitis.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

z Schönlein-Henoch-Purpura (meist jüngere Patienten),<br />

z Leukozytoklastische Vaskulitis bei Kollagenosen und Kryoglobulinämien<br />

(s. Kap. 3.24),<br />

z Urtikariavaskulitis mit zusätzlich brennendem und juckendem urtikariellem<br />

Exanthem bei der Entstehung der Effloreszenzen,<br />

z Steven-Johnson-Syndrom,<br />

z Systemische juvenile chronische Arthritis (s. Kap. 3.3),<br />

z Andere Kleingefäßvaskulitiden.<br />

z Literatur<br />

3.25 Kutane leukozytoklastische Angiitis z 139<br />

1. Braverman IM (ed) (1970) Skin Signs of Systemic Diseases. Saunders, Philadelphia,<br />

pp 199–238<br />

2. Calabrese LH, Michel BA, Bloch DA, Arend WP, Edworthy SM, Fauci AS, Fries JF,<br />

Hunder GG, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW Jr, Masi AT, McShane DJ, Mills JA,<br />

Stevens MB, Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology<br />

1990 criteria for the classification of hypersensitivity vasculities. Arthr Rheum<br />

33:1108–1113<br />

3. Grattan CH (1993) Small vessel vasculitis. In: Maddison PJ, Oxford Textbook of<br />

Rheumatology. Oxford University Press, pp 860–863<br />

4. Gross WL (1994) Nicht ANCA-assoziierte Vaskulitiden. Klinik der Gegenwart.<br />

Urban & Schwarzenberg, München<br />

5. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman<br />

GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es<br />

LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of<br />

an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192<br />

6. Peter HH (1991) Vaskulitiden. In: Peter HH (Hrsg) Klinische Immunologie. Urban<br />

& Schwarzenberg, München, S 401–414


140<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.26 M. Behçet<br />

z Synonyma. M. Adamantiades-Behçet, Behçet-Syndrom.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 35.2)<br />

Der M. Behçet ist ein vaskulitisches Syndrom unbekannter Ätiologie mit<br />

Schleimhaut- und Hautbefall sowie häufiger Manifestation an Augen, Gelenken<br />

und/oder Muskulatur. Die Erkrankung weist die höchsten Prävalenzen in der<br />

Türkei, dem Iran und in Japan auf.<br />

z <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong> der International Study Group<br />

for Behçet’s Disease [2]<br />

Obligates Symptom: rezidivierende orale Aphthen (mindestens 3-mal jährlich)<br />

plus 2 der 4 folgenden <strong>Kriterien</strong>:<br />

1. genitale Ulzera (ca. 100%),<br />

2. Uveitis/Iritis mit Hypopyon, Retinitis (80%),<br />

3. Hautveränderungen (Erythema nodosum, Follikulitis, sterile Pusteln, 80%),<br />

4. positiver Pathergietest (25 bis 75%), d.h. Auftreten einer papulopustulösen<br />

Effloreszenz an der Stelle eines einfachen Nadelstiches in die Haut oder einer<br />

intrakutanen Injektion von Kochsalz nach einer Latenzzeit von 24 bis<br />

48 Stunden [1].<br />

In einem anderen <strong>Kriterien</strong>vorschlag [5] wurde unter die Hauptkriterien auch<br />

eine oberflächliche Thrombophlebitis, als Nebenkriterien eine Arthritis oder<br />

Arthralgien, eine Epididymitis, vaskuläre Symptome und eine ZNS-Beteiligung<br />

aufgenommen.<br />

z Zusätzliche Krankheitssymptome<br />

z Haut: extragenitale Ulzera, multiforme Erytheme.<br />

z Augen: Keratitis, Retinaexsudate und -blutungen.<br />

z Arthritiden: rekurrierende oder chronische Oligo- bzw. Polyarthritis (50%).<br />

Sie manifestieren sich meist Wochen, Monate oder Jahre nach Krankheitsbeginn;<br />

selten tritt eine Sakroiliitis auf.


z Vaskulitis (10 bis 40%): oberflächliche und tiefe Thrombophlebitiden, oft<br />

mit Verschluss der unteren und oberen Hohlvene, selten Aneurysmen der<br />

Pulmonalarterien, Vaskulitis kleiner Gefäße.<br />

z ZNS-Beteiligung (30%): sog. Neuro-Behçet u. a. mit Hirnstammsyndrom,<br />

Pyramidenzeichen, Meningoenzephalitis, anamnestischem Syndrom (Desorientiertheit<br />

usw.).<br />

z Gastrointestinal: Ulcus duodeni, Ösophagusulzerationen, intestinale Blutungen,<br />

Enteritis und Rektokolitis mit Ähnlichkeiten zum M. Crohn, weniger<br />

zur Colitis ulcerosa.<br />

z Sonstige: Epidydimitis, inguinale Lymphknotenschwellungen. In etwa je<br />

10% der Erkrankten tritt eine Glomerulonephritis bzw. Pneumonitis auf, in<br />

Einzelfällen kommt es zu Pleuritis, Perikarditis, Beteiligung der Muskulatur.<br />

Krankheitsspezifische Laborbefunde gibt es nicht. Die BSG ist meist, aber<br />

nicht immer beschleunigt. Die Entzündungsparameter gelten auch als Aktivitätskriterien<br />

[3]. Eine Assoziation mit HLA-B51 ist in den Endemieländern<br />

des Mittelmeerraumes und in Ostasien mit einem relativen Risiko von 4 bis 37<br />

enger als bei Mitteleuropäern.<br />

Beachte: Die einzelnen Symptome entwickeln sich oft episodisch in größeren<br />

Zeitabständen hintereinander, sodass die Erhebung einer gezielten<br />

Anamnese wichtig ist und ein Kriterium auch dann zählt, wenn es nur in<br />

der Vorgeschichte erfasst werden kann.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Reaktive Arthritiden (Reiter-Syndrom) – M. Crohn – Pemphigoid der Schleimhäute<br />

– Lichen planus – Hypereosinophiliesyndrom.<br />

z Literatur<br />

3.26 M. Behçet z 141<br />

1. Dilsen N, Konica M, Aral O, Öcal L, Inanc M, Gül A (1993) Comparative study of<br />

the skin pathergy test with blunt and sharp needles in Behçet’s disease: confirmed<br />

specifity but decreased sensitivity with sharp needles. An Rheum Dis 52:823–825<br />

2. International Study Group for Behçet’s Disease (1990) Criteria for diagnosis of<br />

Behçet’s disease. Lancet 335:1078–1080<br />

3. Lawton G, Chamberlain MA, Bhakta B, Tennant A (2002) The Behçet’s disease<br />

activity index (BDAI). 10th Internat Conf on Beh¸cet’s Disease, Berlin, Abstr No 009<br />

4. Lee S, Bang D, Lee E-S, Sohn S (2001) Behçet’s Disease. Textbook and Atlas. Springer,<br />

Berlin Heidelberg New York<br />

5. Shimizu T, Ehrlich GE, Inawa G, Hayashi K (1979) Behçet disease (Behçet syndrome).<br />

Semin Arthr Rheum 8:223–260<br />

6. Zouboulis ChC (1996) Morbus Adamantiades-Behçet in Deutschland: Historischer<br />

Rückblick und aktueller Kenntnisstand. Z Hautkr 71:491–501


142<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.27 Gicht<br />

(ICD-Nr. M 10)<br />

z Definition, Synonyma<br />

Die Gicht ist Folge einer entzündlichen Reaktion auf die Bildung von Uratkristallen<br />

bei bestehender Hyperurikämie. Das klinische Spektrum reicht von der<br />

akuten Kristallsynovialitis bis zur chronischen Arthropathie. Die Hyperurikämie<br />

ist in über 99% der Fälle durch eine familiär gehäuft vorkommende renale<br />

Ausscheidungsstörung, sehr selten durch einen Enzymdefekt bedingt.<br />

Gicht = Störung des Purinstoffwechsels als Allgemeinerkrankung.<br />

Arthritis urica = Gelenkentzündung, die durch Harnsäurekristalle verursacht<br />

wird.<br />

Hyperurikämie = Erhöhung der Harnsäurewerte über die Löslichkeitsgrenze<br />

im Plasmawasser von 6,4 mg/100 ml (= 380 lmol/l).<br />

Als Ergebnis epidemiologischer Studien wurden geschlechtsspezifische Referenzwerte<br />

festgelegt:<br />

Frauen = 6,2 mg/100 ml (= 360 lmol/l)<br />

Männer = 7,4 mg/100 ml (= 420 lmol/l)<br />

z Epidemiologische <strong>Kriterien</strong> zur Diagnostik der Arthritis urica<br />

(New York 1966)<br />

Die Diagnose der Arthritis urica kann gestellt werden bei einer Arthritis mit:<br />

1. chemischem oder mikroskopischem Nachweis von Harnsäurekristallen in<br />

der Synovialflüssigkeit oder Ablagerung von Uraten in den Geweben;<br />

2. Vorhandensein von 2 oder mehr der folgenden <strong>Kriterien</strong>:<br />

– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung von wenigstens 2 typischen<br />

Anfällen (s. u.) an den Extremitätengelenken;<br />

– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung von Podagra (= einer Attacke<br />

mit Befall der Großzehe);<br />

– klinisch nachgewiesene Tophi;<br />

– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung einer prompten Reaktion<br />

auf Colchicin, d.h. Verminderung der objektiven Entzündungszeichen innerhalb<br />

von 48 Stunden nach Therapiebeginn.<br />

Die Hyperurikämie wird hier nicht als Kriterium geführt. Dies bedeutet, dass<br />

bei Anwendung der <strong>Kriterien</strong> die Diagnose nicht schon nach dem ersten Anfall<br />

gestellt werden kann, wenn nicht die Großzehe befallen ist (was im Erstanfall<br />

nur bei 60% vorkommt), ein Kristallnachweis erfolgte und mit Colchicin<br />

behandelt wurde. Daher ist folgendes Vorgehen zu empfehlen.


z Wahrscheinlichkeitsdiagnose<br />

Sie wird gestellt bei typischem Anfall mit den 3 Kennzeichen<br />

z der Akuität (Entwicklung vom Beginn der Beschwerden bis zu ihrem Maximum<br />

innerhalb weniger Stunden),<br />

z des monartikulären Befalls (auch bei Angaben über eine polyartikuläre<br />

Arthritis im Erstanfall stellt sich bei genauer Befragung meist heraus, dass<br />

die Gelenke nacheinander betroffen waren) sowie<br />

z der Spontanremission (in der Mehrzahl der Fälle Rückbildung innerhalb<br />

von 1 bis 2 Wochen).<br />

Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose kann als abgesichert gelten, wenn zusätzlich<br />

mehrfach erhöhte Harnsäurewerte nachgewiesen werden oder eine prompte<br />

Colchicinwirkung eintritt; sie ist weitgehend gesichert bei eindeutigem Nachweis<br />

von (phagozytierten) Harnsäurekristallen in der Gelenkflüssigkeit oder<br />

im Gewebe (Tophi).<br />

z Zusätzliche diagnostische Regeln<br />

3.27 Gicht z 143<br />

z Eine Hyperurikämie ist im Gichtanfall nicht obligat. Bei mindestens 5% der<br />

Patienten werden Normwerte gefunden. Dazu kommt, dass viele Patienten<br />

mit Beginn der Beschwerden ein Medikament einnehmen, was schon vor<br />

der Blutentnahme den Harnsäurespiegel gesenkt haben kann. Die statistische<br />

Wahrscheinlichkeit, einen Gichtanfall zu erleiden, nimmt mit der Höhe<br />

des Harnsäurespiegels zu.<br />

z Der negative Kristallbefund im Gelenkpunktat schließt die Diagnose der<br />

Arthritis urica ebenfalls nicht völlig aus; insbesondere bei längerem Bestehen<br />

eines Ergusses können sich die Kristalle auflösen.<br />

z Eine akute Arthritis an der unteren Extremität beim Mann sollte bis zum<br />

Beweis des Gegenteiles als Verdachtsfall einer Arthritis urica betrachtet werden.<br />

z Bei Frauen kommt eine Arthritis urica vor der Menopause nur extrem selten<br />

vor.<br />

z Auslösende Ursache <strong>für</strong> den Anfall (reichliche Mahlzeiten, Alkoholgenuss,<br />

Überanstrengungen, Traumen) sind eher selten zu eruieren; zu den anfallsauslösenden<br />

Medikamenten gehören vor allem Saluretika, Urikosurika (in<br />

der Therapieeinleitungsphase) und Penicillin.<br />

z Die Gelenklokalisation bei der Erstattacke betrifft in über 80% der Fälle die<br />

untere Extremität (Großzehengrundgelenk 60%, Sprunggelenk 14%, Knie<br />

6%, Fußweichteile und übrige Zehen 2%). Der Rest der Erstlokalisationen verteilt<br />

sich etwa zu gleichen Teilen auf Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke.<br />

z Tophi (Prädilektionsstellen Ohren, Ellenbogen, Füße, Hände) sind nur sehr<br />

selten im Erstanfall nachweisbar. Ihre Häufigkeit erhöht sich bei über<br />

20-jährigem Krankheitsverlauf auf 70%, die mittlere Latenzzeit beträgt –


144<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

wie die der ersten röntgenologischen Knochen- und Weichteilveränderungen<br />

– 5 bis 7 Jahre.<br />

z Atypische Verläufe ohne Anfallscharakter (Weichteilschmerz, Arthralgie,<br />

akuter Rückenschmerz z. B. durch Befall der Iliosakralgelenke) werden gelegentlich<br />

beschrieben.<br />

z Sekundäre Gicht<br />

Als sekundäre Gicht bezeichnet man Zustände, bei denen die Hyperurikämie<br />

Folge einer Erkrankung außerhalb des Purinstoffwechsels oder einer medikamentösen<br />

Therapie ist. Sie führen selten zu einem typischen Gichtanfall. Als<br />

Erkrankungen kommen solche mit einem vermehrten Umsatz von Nukleoproteiden<br />

(Polyzythämien, Leukämien, Psoriasis), eine chronische Nephropathie<br />

oder Bleiintoxikation infrage. Medikamentös induzierte Hyperurikämien werden<br />

am häufigsten durch Saluretika und Zytostatika verursacht.<br />

z Sonstige Symptome und Begleiterkrankungen<br />

z Übergewicht (bei 75% der Fälle mindestens +25% des Normalgewichtes),<br />

z Nierensteine (7 bis 20%),<br />

z Nephropathie (bei langdauernden Verläufen klinisch bis 50%, autoptisch<br />

häufiger),<br />

z Diabetes mellitus (manifest 10 bis 25%),<br />

z Hyperlipoproteinämie (über 40%),<br />

z Leberveränderungen (Fettleber über 60%),<br />

z Hochdruck, frühzeitige Arteriosklerose (über 40%).<br />

Zur erweiterten Gichtdiagnostik gehören daher auch Maßnahmen zum Ausschluss<br />

dieser Begleiterkrankungen.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Auszuschließen sind alle akut beginnenden monartikulären Prozesse, die<br />

Chondrokalzinose (eher Befall großer Gelenke, andere Kristallform, s. Kap. 1.4,<br />

3.28), die Hydroxylapatitkristallarthropathie (bei Frauen mit akuter Entzündung<br />

im Großzehengrundgelenk), eine infektiöse oder reaktive Arthritis, eine<br />

Hallux-rigidus-Arthrose, statische Beschwerden, ein Erysipel, eine Phlegmone,<br />

Thrombophlebitis. Bei Veränderungen an den Fingerendgelenken handelt es<br />

sich fast immer um die Heberden-Arthrose, bei Frauen kann sich bei primärer<br />

Arthrose dort in seltenen Fällen auch eine Arthritis urica manifestieren.


z Primäre kindliche Gicht (Lesch-Nyhan-Syndrom)<br />

Es handelt sich um eine seltene, geschlechtsgebunden-rezessiv vererbte, ausschließlich<br />

das männliche Geschlecht betreffende, auf einem Mangel an Hypoxanthinphosphoribosyltransferase<br />

(HPRT) beruhende Erkrankung. Neben den<br />

Symptomen der Gicht (u. a. Nephrolithiasis, Tophi) finden sich charakteristische,<br />

aber variabel auftretende Zeichen vonseiten des ZNS: Choreaathetose,<br />

spastische Krämpfe, Automutilation, geistige Retardierung.<br />

z Literatur<br />

3.27 Gicht z 145<br />

1. Mertz DP (1993) Gicht, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart New York<br />

2. Pascual E (2000) Gout update: from lab to the clinic and back. Current Opin<br />

Rheumatol 12:211–212<br />

3. Schattenkirchner M, Gröbner W (2000) Arthropathia urica. In: Miehle W, Fehr K,<br />

Schattenkirchner M, Tillmann K (Hrsg) <strong>Rheumatologie</strong> in Praxis und Klinik.<br />

Thieme, Stuttgart New York<br />

4. Wallace SL, Robinson H, Masi AT, Decker JL, McCarty DJ, Yü T-F (1977) Preliminary<br />

criteria for the classification of the acute arthritis of primary gout. Arthr<br />

Rheum 20:895–900


146<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.28 Chondrokalzinose<br />

z Synonyma. Kalziumpyrophosphatdihydrat-(CPPD-)Kristallarthropathie, Pseudogicht,<br />

Pyrophosphatarthropathie<br />

z Definition<br />

Der Begriff der Chondrokalzinose beschreibt Verkalkungen des Gelenkknorpels,<br />

die mit bildgebenden Verfahren nachweisbar sind. Die Kalziumpyrophosphatdihydratkristallarthropathie<br />

umfasst alle klinischen Manifestationen, die<br />

mit der intraartikulären Kristallablagerung verbunden sind.<br />

Das Krankheitsbild tritt in 3 Formen auf:<br />

z hereditär (Endemiegebiete vor allem Slowakei, Chile, Niederlande),<br />

z sporadisch-idiopathisch,<br />

z sekundär (u. a. Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose, Hypothyreose,<br />

Amyloidose, Gicht, Hypomagnesiämie, Hypophosphatasie); auslösend wirkt<br />

oft ein Trauma.<br />

Die klinische Symptomatik ist sehr variabel, die wichtigsten Formen sind in<br />

der Tabelle 1 dargestellt.<br />

z Diagnose<br />

(ICD-Nr. M 11.2)<br />

Sie wird röntgenologisch oder über den Kristallbefund gestellt. Laborparameter<br />

besitzen keinen diagnostischen Wert, ggf. sind die als Primärerkrankungen<br />

bekannten Störungen auszuschließen.<br />

Röntgenbild<br />

Der röntgenologische Nachweis von Knorpel-, seltener Weichteilverkalkungen<br />

ist sehr von den technischen Aufnahmebedingungen abhängig. Er ist im positiven<br />

Fall beweisend. Typisch sind lineare und punktierte, „monstranzartige“<br />

Verschattungen parallel zur Knorpeloberfläche in den Knie- und/oder Schultergelenken<br />

sowie gröbere schollige oder streifige Ablagerungen im Faserknorpel<br />

der Menisken, der Disci articulares, im Anulus fibrosus der Disci intervertebrales<br />

sowie in der Synovialmembran, der fibrösen Gelenkkapsel, in Sehnen<br />

und Bändern.


Tabelle 1. Verlaufsformen und Häufigkeiten der artikulären Chondrokalzinose<br />

Verlaufsform Häufigkeit (%) Klinik<br />

Kristallnachweis<br />

3.28 Chondrokalzinose z 147<br />

Pseudoarthrose 50 Wie Gonarthrose oder Arthrose anderer<br />

Lokalisation; zu je der Hälfte der Fälle mit bzw.<br />

ohne akute Entzündungsschübe<br />

Pseudogicht 25 Akute o. subakute Mon- bzw. Oligoarthritis;<br />

oft Beginn in einem „Muttergelenk“ (50%=Knie)<br />

und Übergang auf „Tochtergelenke“<br />

Asymptomatisch 20 Röntgenologischer Zufallsbefund in<br />

zunehmender Frequenz bei Personen über<br />

55 Jahre<br />

Pseudorheumatoidarthritis 5 Akute oder chronische Polyarthritis mit<br />

Morgensteifigkeit<br />

Pseudoneuropathie


148<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Differenzialdiagnose<br />

Die Abgrenzung von der Arthritis urica erfolgt neben dem Kristallbefund<br />

durch die längere Anfallsdauer von 3 bis 4 Wochen oder den chronischen Verlauf,<br />

den vorwiegenden Befall größerer Gelenke und die nicht so prompte Reaktion<br />

auf Colchicin. Im Übrigen sind Arthrosen, die auch sekundär auftreten<br />

können [3], die rheumatoide Arthritis und je nach Klinik weitere Arthro- oder<br />

Spondylopathien (Spondarthritiden, reaktive, septische, neuropathische Arthritiden,<br />

akutes HWS-Syndrom), eine akute Tendinitis calcarea oder andere<br />

Kristallarthropathien (Hydroxylapatitkrankheit, Oxalatkristallarthritis) auszuschließen.<br />

z Literatur<br />

1. Dihlmann W (1987) Gelenke – Wirbelverbindungen, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart<br />

New York<br />

2. Keitel W (1993) Differentialdiagnostik der Gelenkerkrankungen, 4. Aufl. Fischer,<br />

Jena<br />

3. Jaovesidha K, Rosenthal AK (2002) Calcium crystals in osteoarthritis. Curr Opin<br />

Rheumatol 14:298–302<br />

4. Schneider M (2001) Sonstige Kristallarthropathien. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe<br />

F (Hrsg) Interdisziplinäre klinische <strong>Rheumatologie</strong>. Springer, Berlin Heidelberg


3.29 Infektiöse Arthritiden<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 00.0 bis .9)<br />

Die infektiöse Arthritis ist eine meist akute Entzündung eines oder mehrerer<br />

Gelenke, die durch Bakterien im Gelenk ausgelöst wird.<br />

z Klassifikation<br />

3.29 Infektiöse Arthritiden z 149<br />

International validierte Klassifikationskriterien existieren nicht. Die oben angegebene<br />

Definition wird allgemein akzeptiert. Eine infektiöse Arthritis liegt<br />

vor, wenn folgende <strong>Kriterien</strong> erfüllt sind:<br />

1. Arthritis eines oder mehrerer Gelenke,<br />

2. Nachweis von Bakterien im Gelenk (positive Bakterienkultur oder mikroskopischer<br />

Nachweis in der Synovialflüssigkeit).<br />

Bemerkungen:<br />

z Der Verdacht auf eine infektiöse Arthritis ist bei jeder akuten Arthritis bzw.<br />

jeder Arthritis bisher unklarer Ätiologie oder Zuordnung gegeben.<br />

z Prädisponierende Faktoren einer infektiösen Arthritis sind Diabetes mellitus,<br />

Alkoholkrankheit, intravenöser Drogenabusus, häufige Gelenkinjektionen<br />

(Gelenkoperationen), fortgeschrittene rheumatoide Arthritis, insbesondere<br />

unter immunsuppressiver Therapie, selten Immundefekte.<br />

z Die infektiöse Arthritis ist in der Regel eine akute Entzündung eines oder<br />

mehrerer Gelenke mit Schwellung, Rötung, Überwärmung, Ergussbildung<br />

und schmerzhafter Bewegungseinschränkung, häufig begleitet von Fieber<br />

und anderen Allgemeinerscheinungen. Akut entzündliche Erscheinungen<br />

können bei immunsuppressiv behandelten Patienten fehlen.<br />

z Labormedizinisch finden sich im Blut meist eine Leukozytose mit Linksverschiebung,<br />

eine hohe Blutsenkungsgeschwindigkeit und hohe Akute-Phase-<br />

Proteine (CrP meist über 100 mg/l).<br />

z Die Synovialflüssigkeit ist eitrig (Zellzahl meist über 50 000 mm 3 erhöht;<br />

überwiegend segmentkernige Granulozyten), im Grampräparat sind bei ca.<br />

50% der Fälle Bakterien nachweisbar. Die Bakterienkultur sollte zur Vermeidung<br />

falsch negativer Ergebnisse so rasch wie möglich angelegt werden<br />

(schneller Transport in Transportmedium). Aerobe und anaerobe Kultivierung<br />

sind erforderlich.<br />

z Das Erregerspektrum ist altersabhängig. Am häufigsten findet sich Staphylococcus<br />

aureus und Streptococcus pyogenes (Gruppe B), bei Säuglingen<br />

meist Haemophilus influenzae, im früheren Erwachsenenalter nicht selten<br />

auch Neisseria gonorrhoeae (oft zweizeitiger Verlauf).


150<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Röntgendiagnostik, Kernspintomografie oder Szintigrafie sind eventuell zur<br />

Beurteilung des Verlaufs (Gelenk- oder Knochendestruktion, Osteomyelitis,<br />

Abszedierung) erforderlich.<br />

z Die Differenzialdiagnose der infektiösen Arthritis umfasst alle Mon- oder<br />

Oligoarthritiden mit akutem Beginn (akute Kristallsynovitis durch Harnsäurekristalle,<br />

Kalziumpyrophosphatdihydratkristalle oder Apatitkristalle,<br />

reaktive Arthritis, Psoriasisarthritis, juvenile chronische Arthritis, rheumatoide<br />

Arthritis, Trauma u. a.).<br />

z Literatur<br />

1. Genth E (1989) Infektionsbedingte Arthritiden. Internist 30:664–672<br />

2. Hedström SA, Lidgren L (1994) Septic bone and joint lesions. In: Klippel JH,<br />

Dieppe PA (eds) Rheumatology. Mosby-Year Book Europe Limited, London,<br />

pp 3.1–3.10


3.30 Arthrosen der Hand<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. 15.1)<br />

Arthrosen an den Gelenken im Handbereich sind mit wenigen Ausnahmen<br />

primäre Erkrankungen des Gelenkknorpels mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen,<br />

die vorwiegend an den Fingerend- und -mittelgelenken, den<br />

Daumensattelgelenken, seltener an den Fingergrundgelenken, den Interkarpalund<br />

den Radiokarpalgelenken auftreten [2]. Handarthrosen entwickeln sich<br />

allmählich im Verlauf von Jahren aus einer klinisch asymptomatischen (stumme<br />

Arthrose) zur manifesten Arthrose, gelegentlich mit Begleitsynovialitis<br />

(aktivierte Arthrose).<br />

z Klassifikationskriterien<br />

3.30 Arthrosen der Hand z 151<br />

Klassifikation der Handarthrose [1]:<br />

1. Handschmerz, Beschwerden oder Steifigkeitsgefühl an den meisten Tagen<br />

des zurückliegenden Monats und<br />

2. harte Verdickung an 2 oder mehreren Gelenken von 10 * und<br />

3. weniger als 3 geschwollene Metakarpophalangealgelenke und entweder<br />

4 a. harte Verdickung an 2 oder mehreren distalen Interphalangealgelenken oder<br />

4 b. Fehlstellung von einem oder mehreren Gelenken von 10 *<br />

Die Sensitivität beträgt 93%, die Spezifität 97%.<br />

z Heberden-Arthrose (Arthrose der distalen Interphalangealgelenke)<br />

Es handelt sich um degenerative Veränderungen der distalen Interphalangealgelenke<br />

(DIP) mit Knotenbildung. Betroffen sind zumeist ältere Patienten<br />

(Frauen:Männer=4:1), häufig zuerst das distale Interphalangealgelenk des<br />

Zeigefingers. Eine familiäre Häufung als Hinweis auf eine genetische Prädisposition<br />

ist ausgeprägt; häufig assoziiert mit Gonarthrosen.<br />

z Klinische Symptomatik. Anfangs besteht ein Steifigkeits- und Spannungsgefühl<br />

in den DIP-Gelenken, ein Bewegungs-, selten ein Ruheschmerz. Die<br />

Beugung ist eingeschränkt, die „kleine Faust“ behindert. Gelegentlich treten<br />

lokale Entzündungszeichen mit Kapselschwellung und Druckschmerzhaftigkeit<br />

auf, zunehmend kommt es später zur harten Schwellung, zu Achsenfehlstellungen<br />

und Beugekontrakturen.<br />

* = II- und III-DIP; II- und III-PIP; I-Karpometakarpalgelenk an beiden Händen


152<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Röntgenbefunde. Sie manifestieren sich als subchondrale Sklerosierung,<br />

Verschmälerung des Gelenkspaltes, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern<br />

und Geröllzysten. Fehlstellungen treten nach medial (DIP II<br />

und III) oder lateral (DIP V) auf.<br />

z Differenzialdiagnose. Auszuschließen sind Psoriasisarthritis, selten rheumatoide<br />

Arthritis, die subluxierende Arthropathie bei Antisynthetasesyndrom<br />

sowie Trommelschlegelfinger bei hypertropher Osteoarthropathie.<br />

z Bouchard-Arthrose (Arthrose der proximalen Interphalangealgelenke)<br />

Sie ist seltener als die Heberden-Arthrose. Meist sind mehrere Mittelgelenke<br />

gleichzeitig befallen, oft und früh entwickelt sich eine Begleitsynovialitis.<br />

z Klinische Symptomatik. Es bestehen ein Steifigkeits- und Spannungsgefühl<br />

in den PIP-Gelenken, ein Bewegungs- und Ruheschmerz, oft lokale Entzündungszeichen<br />

(Druckschmerz). Später treten harte Schwellungen mit meist<br />

geringen Achsenfehlstellungen auf.<br />

z Röntgenbefunde. Es finden sich subchondrale Sklerosierungen, Verschmälerungen<br />

des Gelenkspaltes, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern<br />

und Geröllzysten. Fehlstellungen sind an PIP II und III häufig.<br />

z Differenzialdiagnose. Sie betrifft in erster Linie die rheumatoide Arthritis,<br />

Arthritiden bei Kollagenosen, seltener postinfektiöse Arthritiden und die<br />

Psoriasisarthritis.<br />

z Rhizarthrose<br />

(Arthrose der Karpometakarpalgelenke, Daumensattelgelenke)<br />

Sie tritt meist beidseitig, oft in Kombination mit der Heberden- und Bouchard-<br />

Arthrose, vorwiegend bei Frauen nach der Menopause und überwiegend primär,<br />

selten sekundär – nach Metacarpale-I-Basisfraktur (Rolando- und Bennet-Fraktur)<br />

– auf.<br />

z Klinische Symptomatik. Am Anfang besteht ein belastungsabhängiger<br />

Schmerz, besonders bei Oppositionsbewegungen des Daumens. Im weiteren<br />

Verlauf treten ein lokaler Druckschmerz, zunehmender Ruheschmerz<br />

(Nachtschmerz), Kapselschwellungen, Bewegungseinschränkungen und Adduktionskontrakturen<br />

(häufig mit Überstreckung im Daumengrundgelenk),<br />

Subluxationen und Krepitationen auf.<br />

z Röntgenbefunde. Charakteristisch ist eine subchondrale Sklerosierung mit<br />

Verschmälerung des Gelenkspaltes, später eine Subluxation der Basis des Os<br />

metacarpale I nach dorso-radial, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern<br />

und Geröllzysten. Oft entwickeln sich zusätzliche arthrotische<br />

Veränderungen zwischen Os trapezium und Os trapezoideum.<br />

z Differenzialdiagnose. Sie erfordert den Ausschluss einer isolierten Arthrose<br />

zwischen Os scaphoideum und trapezium bzw. trapezoideum (SST-Arthrose),<br />

einer Tendovaginitis de Quervain, Arthritis des Karpometakarpalgelen


kes und der Handwurzelgelenke im Rahmen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen<br />

(rheumatoide Arthritis, Kollagenosen u. a.) sowie von Kristallarthropathien<br />

(Chondrokalzinose u. a.).<br />

z Literatur<br />

3.30 Arthrosen der Hand z 153<br />

1. Altman R, Alarcon G, Appelrouth D, Bloch D, Borenstein D, Brandt K, Brown C,<br />

Cooke TD, Daniel W, Gray R, Greenwald R, Hochberg M, Howell D (1990) The<br />

American College of Rheumatology criteria for the classification and reporting of<br />

osteoarthritis of the hand. Arthr Rheum 33:1601–1610<br />

2. Buckland-Wright JC, Macfarlane DG, Clark B (1991) Osteophytes in the osteoarthritic<br />

hand: their incidence, size, distribution, and progression. Ann Rheum<br />

Dis 50:627–630


154<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.31 Coxarthrose<br />

z Synonyma. Arthrosis deformans oder Osteoarthrose des Hüftgelenkes.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 16.0/16.1)<br />

Die Arthrose des Hüftgelenks ist ein degenerativer, nichtentzündlich bedingter<br />

Gelenkdestruktionsprozess der Hüfte. Die primäre Coxarthrose findet sich in<br />

einem nur geringen Anteil aller Hüftgelenksarthrosen. In der überwiegenden<br />

Zahl handelt es sich um sekundäre Arthrosen mit nachweisbar gelenkspezifischer<br />

Ätiologie als häufige Folge sog. präarthrotischer Gelenkdeformitäten<br />

(residuelle Hüftdysplasie, Epiphyseolysis capitis femoris, M. Perthes, Hüftkopfnekrose,<br />

Coxitis, posttraumatisch etc.).<br />

z Klassifikation [1]<br />

Klinisch<br />

1. Hüftschmerz und<br />

2 a. Innenrotation unter 15 Grad und<br />

2 b. Blutsenkungsgeschwindigkeit unter 45 mm/Stunde<br />

(wenn BSG fehlt, (ersatzweise) Hüftbeugung unter 115 Grad) oder<br />

3 a. Innenrotation unter 15 Grad und<br />

3 b. Schmerz bei Innenrotation und<br />

3 c. Morgensteifigkeit unter 60 Minuten und<br />

3 d. Alter über 50 Jahre.<br />

Die Sensitivität beträgt 86%, die Spezifität 75%.<br />

Klinisch und radiologisch<br />

1. Hüftschmerz und<br />

mindestens 2 der 3 folgenden Merkmale:<br />

– BSG unter 20 mm/Stunde,<br />

– radiologisch Osteophyten (Kopf und Pfanne),<br />

– radiologisch Gelenkspaltverschmälerung (oben, lateral und/oder medial).<br />

Hier beträgt die Sensitivität 89%, die Spezifität 91%.


z Sonstige Symptomatik<br />

z Klinik. Anfänglich kommt es zu Ermüdungserscheinungen, Schweregefühl<br />

in der betroffenen Extremität, Schmerzen in der Endphase der Bewegung<br />

(Abduktion), muskulärer Beschwerdesymptomatik (hüftumgreifende Muskulatur;<br />

cave: pseudoradikuläre Symptomatik!), Bewegungseinschränkung<br />

<strong>für</strong> Streckung, Beugung, Abduktion, insbesondere Innenrotation. Im Verlauf<br />

treten Anlaufschmerzen auf, belastungsabhängiger Schmerz, später auch<br />

Ruheschmerz, gelegentlich Schmerzempfindung in der Knieregion. Später<br />

entwickelt sich eine zunehmende Insuffizienz der Glutealmuskulatur (Abduktion)<br />

mit positivem Trendelenburg-Zeichen und Duchenne-Hinken, gefolgt<br />

von progressiver Bewegungseinschränkung (Innenrotation), Beugekontraktur<br />

(Thomas-Handgriff) mit kompensatorischer Hyperlordosierung der<br />

Lendenwirbelsäule, funktioneller Beinverkürzung durch Kontrakturen.<br />

z Röntgenbefunde (s. Kap. 1.3). Die anfängliche Verschmälerung des Gelenkspaltes<br />

tritt konzentrisch (primäre Arthrose oder entzündliche Vorerkrankung)<br />

oder kraniolateral (Coxa valga, residuelle Hüftdysplasie – Dysplasiecoxarthrose)<br />

bzw. mediokaudal (Coxa vara – Protrusionscoxarthrose) betont<br />

bei biomechanisch induzierter Coxarthrose auf. Weitere Symptome sind eine<br />

subchondrale Sklerosierung (meist kraniolateral), Osteophyten (meist<br />

kraniolateral, weniger medial, frühzeitig in der Fovea centralis) sowie eine<br />

Wulstbildung an der Schenkelhalsbasis. Meist erst im Spätstadium kommt<br />

es zu einer subchondralen Zystenbildung.<br />

z Sonografie. Sie gestattet einen frühzeitigen Ergussnachweis im Gelenk, der<br />

ggf. ultraschallgesteuert punktiert werden kann.<br />

z Synovialflüssigkeit. Der Aspekt ist klar bis leicht trübe, farblos bis hellgelb,<br />

die Viskosität hoch. Die Leukozytenzahl liegt unter 1000/ll (Grenzwert<br />

3000/ll), der Granulozytenanteil unter 25%, der Eiweißgehalt unter 32 g/l.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Hier sind zu berücksichtigen die Insertionstendopathien am Trochanter major,<br />

Tuberossis ischii oder am Tuberculumpubicum, ferner eine Bursitis trochanterica,<br />

ein WurzelreizsyndromL1/L2, die Sakroiliitis und Coxitis. Schließlich sind vonFall<br />

zu Fall eine Hüftkopfnekrose, transitorische Osteoporose, ein Ermüdungsbruch<br />

des Schenkelhalses, eine Lumboischialgie (Wurzelreizsyndrom), pseudoradikulär<br />

ausstrahlende Schmerzsyndrome der Lendenwirbelsäule/Kreuzdarmbeingelenke,<br />

eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, eine Leistenhernie, ein Musculuspiriformis-Syndrom<br />

und eine Meralgia paraesthetica auszuschließen.<br />

z Literatur<br />

3.31 Coxarthrose z 155<br />

1. Altman RD, Alarcon G, Appelrouth D, Bloch D, Borenstein D, Brandt K, Brown C,<br />

Cooke TD, Daniel W, Feldmann D, Greenwald R (1991) The American College of<br />

Rheumatology criteria for the classification and reporting of osteoarthritis of the<br />

hip. Arthr Rheum 34:505–514


156<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.32 Gonarthrose<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 17.0/17.1)<br />

Die Gonarthrose ist ein degenerativer, nichtentzündlich bedingter Destruktionsprozess<br />

des Kniegelenkes, der klinisch durch Schmerzen (Anlaufschmerz,<br />

Belastungsschmerz), Bewegungseinschränkungen und Gehbehinderung gekennzeichnet<br />

ist und zur Instabilität, Fehlstellung und Begleitsynovitis (aktivierte<br />

Arthrose) führen kann. Die primäre Gonarthrose (unklare Ursache)<br />

wird von einer sekundären Gonarthrose z. B. bei Achsfehlstellungen (Genua<br />

vara/valga), nach Traumen (intraartikuläre Frakturen, Bandverletzungen, Meniskusschäden,<br />

Knorpelkontusionen), nach Entzündungen, nach aseptischen<br />

Knochennekrosen (M. Ahlbäck), bei metabolischen oder endokrinen Erkrankungen<br />

(Chondrokalzinose, Harnsäuregicht, Ochronose, Akromegalie) oder<br />

Hämophilie unterschieden.<br />

Im Vordergrund stehen die biomechanisch erklärbaren, auf dem Boden einer<br />

Achsfehlstellung (Genu varum, Genu valgum) entstandenen Gonarthrosen. Entsprechend<br />

den betroffenen Gelenkkompartimenten werden die mediale und laterale<br />

femorotibiale sowie die femoropatellare (Retropatellararthrose) von den<br />

Formen getrennt, die alle 3 Gelenkkompartimente betreffen (Pangonarthrose).<br />

z Klassifikation [1]<br />

Klinisch<br />

1. Knieschmerz und<br />

2 a. Krepitation an den meisten Tagen des zurückliegenden Monats und<br />

2 b. Morgensteifigkeit bei aktiver Bewegung unter 30 Minuten;<br />

2 c. Alter von über 37 Jahren oder<br />

3 a. Krepitation und<br />

3 b. Morgensteifigkeit von mindestens 30 Minuten und<br />

3 c. knöcherne Auftreibung oder<br />

4 a. keine Krepitation und<br />

4 b. knöcherne Auftreibung.<br />

Die Sensitivität beträgt 89%, die Spezifität 88%.<br />

Klinisch und radiologisch<br />

1. Knieschmerz an den meisten Tagen des zurückliegenden Monats und<br />

2. Osteophyten oder<br />

3 a. Synovialflüssigkeit typisch <strong>für</strong> Arthrose (klar, viskös, Zellzahl unter<br />

2000/ll) (wenn nicht vorhanden, (ersatzweise) Alter über 40 Jahre) und


3 b. Morgensteifigkeit von mindestens 30 Minuten und<br />

3 c. Krepitation bei aktiver Bewegung.<br />

Die Sensitivität beträgt 94%, die Spezifität 89%.<br />

z Sonstige Symptomatik<br />

z Klinik. Das Kniegelenk ist das am häufigsten arthrotisch veränderte große<br />

Gelenk; Frauen sind deutlich häufiger als Männer betroffen. Oft besteht ein<br />

bilateraler Befund. Der Beginn liegt meist im 5. Lebensjahrzehnt (nach Einsetzen<br />

der Menopause). Anfänglich besteht ein Steifigkeitsgefühl, ein<br />

endphasiger Bewegungsschmerz, später ein Belastungsschmerz. Bei aktivierten<br />

Arthrosen kommt es zu einer meist deutlichen Ergussbildung, Schwellung<br />

und Überwärmung bei starker Schmerzhaftigkeit. In fortgeschrittenen<br />

Stadien treten Schmerzen beim Treppensteigen (Retropatellararthrose), tastbare<br />

Krepitation, ein Instabilitätsgefühl, zunehmende Achsenfehlstellungen,<br />

eine Gangunsicherheit, Beugekontrakturen und Bewegungseinschränkungen<br />

auf. Häufig finden sich begleitende Insertionstendinosen (Lig. patellae, Pes<br />

anserinus) sowie Poplitealzysten (Baker-Zysten).<br />

z Röntgenbefunde (s. Kap. 1.3). Osteophyten treten in allen betroffenen Gelenkkompartimenten,<br />

der Patella, den Eminentiae intercondylicae, an der<br />

lateralen und medialen Tibia sowie an der Femurrolle auf. Weitere Veränderungen<br />

sind subchondrale Sklerosen, eine Gelenkspaltverschmälerung,<br />

die sog. Rauber-Konsole oder Geröllzysten.<br />

z Synovialflüssigkeit. Die Befunde entsprechen denen bei Coxarthrose, oft lassen<br />

sich Detritus, gelegentlich Kalziumpyrophosphatdihydratkristalle nachweisen.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Sie betrifft alle anderen Knieaffektionen, wie u.a. Meniskusläsionen, Innenoder<br />

Außenbandläsionen, ein femoropatellares Schmerzsyndrom, das Patellaspitzensyndrom,<br />

Insertionstendopathien (Pes anserinus u. a.), die Bursitis präpatellaris,<br />

die Chondromatose, Morbus Osgood-Schlatter, Gelenktumoren,<br />

Chondromatose, Osteochondrosis dissecans sowie ein Wurzelreizsyndrom L3<br />

bzw. die Meralgia paraesthetica nocturna (periphere Nervenkompression).<br />

z Literatur<br />

3.32 Gonarthrose z 157<br />

1. Altman R, Asch E, Bloch D, Bole G, Borenstein D, Brandt K, Christy W, Cooke<br />

TD, Greenwald R, Hochberg M, Howell D (1986) Development of criteria for the<br />

classification and reporting of osteoarthritis: classification of osteoarthritis of the<br />

knee. Arthr Rheum 29:1039–1049<br />

2. Berrett JP (1990) Correlation of roentgenographic patterns and clinical manifestations<br />

of symptomatic idiopathic osteoarthritis of the knee. Clin Orthop 253:179–<br />

183


158<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.33 Rückenschmerzsyndrome<br />

(ICD-Nr. M 54.4, M 54.6)<br />

z Definition und diagnostische <strong>Kriterien</strong><br />

Spontane und/oder provozierte Schmerzen in der Rückenregion:<br />

<strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong> im engeren Sinne existieren nicht. Probleme bestehen<br />

sowohl in der Definition der Begriffe „Rücken“ wie „Schmerzen“.<br />

Rückenschmerzen werden als „akut“ bezeichnet, wenn sie innerhalb weniger<br />

Stunden bis maximal eines Tages aus wenigstens 6-monatiger Schmerzfreiheit<br />

aufgetreten sind und noch nicht länger als 3 Monate bestehen ([4] Leitlinienclearingbericht<br />

ÄZQ).<br />

Rückenschmerzen gelten als „chronisch“, wenn sie „heute“ bestehen und<br />

täglich über einen Zeitraum von wenigstens 3 Monaten spürbar waren. Eine<br />

nichttemporale Definition von „chronisch“ orientiert sich an dem Grad der<br />

„Amplifizierung“ (s. u.) von Rückenschmerzen.<br />

Aus anatomischer Sicht umfasst das dorsum mit zahlreichen Regionen die<br />

gesamte Länge der hinteren Rumpffläche. Im englischen Sprachgebrauch wird<br />

unter dem „tiefen“ Rücken („low back“) die Region zwischen den Unterrändern<br />

der 12. Rippen und den Glutealfalten verstanden. Keine der anatomischen<br />

oder klinischen Definitionen wird von medizinischen Laien zuverlässig geteilt.<br />

Ärzte und Patienten müssen sich jeweils darüber verständigen, wo der Rücken<br />

eines Patienten liegt. Hierzu sind vorgegebene Bilder der ärztlichen „region of<br />

interest“ oder spontane Schmerzzeichnungen der Patienten hilfreich (Abb. 1, 2).<br />

In ihrem unteren Intensitätsbereich kann die Abgrenzung von Schmerzen<br />

gegenüber anderen Beschwerden (z. B. Steifigkeitsgefühl) Schwierigkeiten machen.<br />

Schmerzen werden nach der International Association of the Study of<br />

Pain (IASP) definiert als ein „unerfreuliches sensorisches und emotionales Erlebnis,<br />

das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung verbunden<br />

ist oder in entsprechenden Termini beschrieben wird“.<br />

Rückenschmerzen (RS) sollten zuerst als Symptom einer unter der Oberfläche<br />

liegenden Störung oder Krankheit aufgefasst und abgeklärt werden – s. u.<br />

„spezifische RS“ [6]. Dazu gehören auch extravertebrale Erkrankungen, die in<br />

den Rücken projizierte Schmerzen verursachen können, wie z. B. eine Nierenbeckenentzündung<br />

oder ein Aortenaneurysma.<br />

Allerdings lässt sich in der Mehrzahl der sich dem Primärarzt präsentierenden<br />

Fälle weder eine nosologische Diagnose stellen noch ein wesentlicher Pathomechanismus<br />

(Entzündung, Infiltration u. a.) oder die irritierte Struktur (Diskus,<br />

Muskulatur, Facettengelenk, Nervenwurzel u.a.) angeben. Die RS werden<br />

dann als „unspezifisch“ oder „idiopathisch“ bezeichnet.<br />

Bei einer solchen „Diagnose auf Widerruf“ müssen sie als eigenständiges<br />

Syndrom beschrieben und bewertet werden. Hierbei ist das Konzept der „erweiterten/amplified“<br />

RS hilfreich [7].


Abb. 1. Eine Region of interest-Zeichnung des tiefen Rückens<br />

3.33 Rückenschmerzsyndrome z 159<br />

Abb. 2. Eine Vorlage zu einer freien Schmerzzeichnung


160<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Spezifische Rückenschmerzen<br />

Spezifische RS lassen sich mit hinreichender Sicherheit auf eine definierte<br />

Krankheit, einen Pathomechanismus oder wenigstens eine irritierte Struktur<br />

zurückführen, sind also als z. B. diskogen, arthrogen, neurogen einzuordnen.<br />

Die im Einzelfall in Betracht kommenden zugrunde liegenden Störungen sind<br />

zu zahlreich, um hier auch nur aufgezählt zu werden. Eine „hinreichende Sicherheit“<br />

ergibt sich aus einer hohen Spezifität eines diagnostischen Tests bzw. aus<br />

einer Likelihood-Ratio von wenigstens 10. Für viele diagnostische Tests stehen<br />

solche Daten nicht in ausreichender Qualität und Menge zur Verfügung.<br />

Dies gibt dem Ausschluss möglicherweise gefährlicher Erkrankungen eine<br />

hohe Bedeutung. Hierzu kommt es, bei möglichst sensitiven Tests, auf negative<br />

Testergebnisse an.<br />

Warnsignale <strong>für</strong> möglicherweise gefährliche Erkrankungen<br />

z Alter bei Erstmanifestation über 50 Jahre.<br />

z Anamnestische Hinweise auf rezentes Trauma; bestehende bakterielle, virale<br />

(HIV), idiopathisch-entzündliche, metabolische oder maligne Erkrankung,<br />

Immunsuppression; Drogenabhängigkeit; allgemeines Krankheitsgefühl, Gewichtsverlust.<br />

z Fieber, Blässe, schlechter Allgemeinzustand.<br />

z Spezifische viszerale und/oder neurologische Symptome (s. u. „Notfälle“).<br />

z Systemische Steroidmedikation oder bekannte Osteoporose.<br />

z Besondere Abgrenzung bedarf der entzündliche Rückenschmerz (< 40 LJ<br />

Beginn, nächtliche bzw. morgendlich betont, Besserung bei Bewegung) mit<br />

hohem prädiktiven Wert <strong>für</strong> eine Erkrankung aus dem Formenkreis der<br />

Spondyloarthritiden.<br />

Röntgenaufnahmen<br />

Diese bedürfen einer besonderen Indikation. Nach den Leitlinien u. a. des<br />

Royal College of Radiologists (London 1993) und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Allgemeinmedizin 1 sind Standardaufnahmen der BWS/LWS in einer oder 2<br />

Ebenen routinemäßig weder bei akuten noch bei chronischen RS indiziert. In<br />

weniger als 1% der Fälle sind klinisch relevante Befunde zu erwarten [4].<br />

Mögliche physische, psychische und verhaltensmäßige Nebenwirkungen von<br />

unkritisch verordneten Untersuchungen sind nicht zu vernachlässigen (u. a.<br />

somatische Fixierung von Patient und Arzt). Wirbelsäulenaufnahmen sind eine<br />

der Hauptquellen iatrogener ionisierender Strahlung.<br />

1 Die DEGAM hat ihre Leitlinie „Kreuzschmerzen“ veröffentlicht (www.degam.de). Sie<br />

ist die erste evidenzbasierte und breit konsentierte deutsche Leitlinie zu diesem<br />

Thema. Eine Übersicht über weitere nationale und internationale Leitlinien geben<br />

die Leitlinienclearingberichte „Akuter Rückenschmerz“ und „chronischer Rückenschmerz“<br />

der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (www.azq.de). Eine nationale<br />

Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz wird 2007 erscheinen.


Daher sind sie bei akuten RS erst nach 4-wöchiger Persistenz, bei Vorliegen<br />

der o. g. Warnsignale aber selbstverständlich sofort angezeigt. Verlaufsröntgenaufnahmen<br />

bei chronischen RS sollten dann durchgeführt werden, wenn die<br />

Beschwerden zunehmen, sich der Schmerzcharakter ändert oder sich Zusatzsymptome<br />

(z. B. Hinweise auf extravertebrale Erkrankungen) ergeben.<br />

Die konventionelle Skelettszintigrafie und/oder ein modernes Schnittbildverfahren<br />

wie die Computertomografie oder Kernspintomografie sind wenigstens<br />

dann zu fordern, wenn bei unauffälligen Standardröntgenaufnahmen der<br />

BWS/LWS der dringende Verdacht auf eine maligne Erkrankung oder bakterielle<br />

Infektion fortbesteht. Auch bei ausgeprägter neurologischer Symptomatik<br />

ist ein CT oder NMR indiziert.<br />

Laboruntersuchungen<br />

Suchtests wie BSG, Blutbild, Elektrophorese sind ohne die o. g. Warnsignale<br />

erst nach 4- bis 8 Wochen indiziert.<br />

z Notfälle<br />

Ein dringliches, sofortiges Handeln erfordern alle Verdachtsfälle auf Caudaequina-Syndrom,<br />

bakterielle Spondylodiszitis, maligne Infiltration der Wirbelsäule<br />

sowie akuter und symptomatischer Wirbelkörperzusammenbrüche bei<br />

Osteoporose [1].<br />

Weitere Untersuchungsverfahren<br />

Von verschiedenen Seiten werden apparative Verfahren (Ultraschall, Kraftmessungen)<br />

propagiert, um reversible oder irreversible Haltungs- oder Funktionsstörungen<br />

als Ursache, Risiko- oder Prognosefaktoren von Rückenschmerzen<br />

zu identifizieren und quantifizieren, die sämtlich jedoch nicht ausreichend<br />

evaluiert sind.<br />

z Unspezifische Rückenschmerzen als Syndrom<br />

3.33 Rückenschmerzsyndrome z 161<br />

Bei unspezifischen Rückenschmerzen sind zu erfassen:<br />

z Topografie (s. o.) einschließlich ihrer Ausstrahlung in Leiste, Gesäß, Beine<br />

(mit Differenzierung ob bis oberhalb oder unterhalb des Knies);<br />

z Schmerzintensität (z. B. durch eine numerische Ratingskala zwischen 0 = keine<br />

Schmerzen und 10 = unerträgliche Schmerzen);<br />

z zeitliche Verhältnisse: Akuität der Beginnsituation; Dauer der aktuellen Episode;<br />

Dauer der gesamten Vorgeschichte, Zahl RS-belasteter Tage im letzten<br />

Jahr, Verlaufsmuster (episodisch, intermittierend, remittierend, persistierend,<br />

progredient) und Tagesgang. Manche Patienten berichten von „immer“<br />

oder „fortwährend“ bestehenden RS;<br />

z schmerzmodulierende Faktoren (z. B. besondere Belastungen, Haltungen).


162<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

RS gehen fast immer mit einer Reihe weiterer Schmerzen, Beschwerden und<br />

Symptome einher. Zu ihnen gehören vorzugsweise:<br />

z Schmerzen in benachbarten (Nacken, Schulter, Hüfte), aber auch entfernten<br />

Regionen (Kopf, Extremitäten...); manche Patienten geben Schmerzen<br />

„überall“ an;<br />

z Morgensteifigkeit, Schweregefühle (gestörte Propriozeption);<br />

z unspezifische körperliche Beschwerden (vitale Erschöpfung, Schwäche,<br />

Müdigkeit, Schwindel);<br />

z seelische Gleichgewichtsstörungen (z. B. Angst, depressive Verstimmung, katastrophisierende<br />

Kognitionen);<br />

z subjektive Behinderung (Fragebogen zu Aktivitäten des täglichen Lebens,<br />

z. B. Funktionsfragebogen Hannover/Rücken) [5];<br />

z generalisierte Hyperalgesie bzw. Allodynie durch Palpation oder Druckalgometrie<br />

im Bereich der „tender points“ nach der Fibromyalgieklassifikation<br />

des American College of Rheumatology;<br />

z Krankheitsverhalten (Arztbesuche, Gebrauch von Analgetika, Sedativa, Hypnotika,<br />

Arbeitsunfähigkeitszeiten, laufende/abgeschlossene Rentenverfahren,<br />

sozialrechtliche Verfahren, z. B. um Schwerbehindertenstatus/GdB).<br />

Je mehr dieser Dimensionen durch Befunde besetzt und je stärker sie ausgeprägt<br />

sind, desto „amplifizierter“ chronifizierter und prognostisch ungünstiger<br />

sind die unspezifischen RS. Um so dringlicher wird auch die Konsultation von<br />

psychologisch oder psychotherapeutisch Ausgebildeten oder die Einleitung<br />

einer multimodalen-multidisziplinären Therapie, z. B. im Rahmen einer stationären<br />

oder ambulanten Rehabilitation.<br />

z Literatur<br />

1. Arzneimittelkommission der <strong>Deutsche</strong>n Ärzteschaft (Hrsg) (2000) Kreuzschmerzen.<br />

Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft,<br />

2. Aufl.<br />

2. Banzer D, Greitemann B, Güttler K, Hankemeier U, Hasenbring M et al (2005)<br />

Leitlinien-Clearingbericht „Chronischer Rückenschmerz“. Bd. 19 der Schriftenreihe<br />

des Ärztlichen Zentrums <strong>für</strong> Qualität in der Medizin (Hrsg)<br />

3. Bigos S, Bowyer O, Braen G et al (1994) Acute low back problems in adults. Clinical<br />

practice guidelines No 14. AHCPR Publication No. 95-0642. Rockville MD:<br />

Agency for Health Care Policy and Research. Public Health Service, U.S. Department<br />

of Health and Human Services<br />

4. Brune K, Hasenbring M, Krämer J, Niebling W, Raspe H et al (2001) Leitlinien-<br />

Clearing-Bericht „Akuter Rückenschmerz“. Bd. 7 der Schriftenreihe der Zentralstelle<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Ärzteschaft zur Qualitätssicherung in der Medizin (Hrsg)<br />

Zuckschwerdt, München<br />

5. Kohlmann T, Raspe H (1996) Der Funktionsfragebogen Hannover zur alltagsnahen<br />

Diagnostik der Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen (FFbH-R). Die<br />

Rehabilitation 35(1):I–VIII<br />

6. Mau W, Mahrenholtz M, Zeidler H (1994) Kreuzschmerzen – Diagnostik aus internistischer<br />

Sicht. <strong>Deutsche</strong>s Ärzteblatt 91:C-441–C-452<br />

7. Raspe H (2002) How epidemiology contributes to the management of spinal disorders.<br />

Best Pract Res Clin Rheumatol 16/1:9–21


3.34 Fibromyalgiesyndrom<br />

z Synonyme. Fibromyalgie, generalisierte Fibromyalgie, generalisierte Tendomyopathie.<br />

z Definition<br />

(ICD-Nr. M 79.0)<br />

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) gehört zum weiten und heterogenen Spektrum<br />

der weichteilrheumatischen Störungen und Krankheiten (engl.: „soft-tissue<br />

rheumatism“). Es ist gekennzeichnet durch chronische, ausgedehnte, spontane<br />

Schmerzen vorwiegend in der Muskulatur, im Verlauf von Sehnen und Sehnenansätzen.<br />

Die Schmerzschwelle auf Druck ist erniedrigt (sekundäre Hyperalgesie,<br />

erhöhte Druckschmerzhaftigkeit), welche an einer Vielzahl anatomisch definierter<br />

Schmerzpunkte („tender points“) überprüfbar ist. Gelegentlich findet<br />

sich Hypermobilität des Patienten. Häufig assoziiert sind eine Vielzahl vegetativer<br />

Funktionsstörungen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände und psychopathologische<br />

und neuropsychiatrische Symptome.<br />

z Klassifikation<br />

3.34 Fibromyalgiesyndrom z 163<br />

Beim FMS stellen umschriebene Druckschmerzen ein wesentliches Kriterium<br />

<strong>für</strong> die Diagnose dar. Über Anzahl und Lokalisation dieser Punkte als diagnostisches<br />

Kriterium konnte noch keine endgültige Einigung erzielt werden.<br />

Klassifikationskriterien des ACR [12]<br />

z Anamnese generalisierter Schmerzen<br />

Definition: Schmerzen mit der Lokalisation linke und rechte Körperhälfte,<br />

Ober- und Unterkörper und im Bereich des Achsenskelettes (Halswirbelsäule,<br />

vordere Thoraxwand, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule) werden als generalisiert<br />

bezeichnet.<br />

Bei dieser Definition wird der Schulter- und Beckengürtelschmerz als<br />

Schmerz der jeweiligen Körperhälfte betrachtet.<br />

z Schmerzen an 11 von 18 definierten „tender points“ auf Fingerdruck mit<br />

einer Kraft von etwa 4 kg.<br />

Definition: Bei digitaler Palpation muss Schmerz in mindestens 11 von 18 der<br />

folgenden „tender points“ (9 auf jeder Körperhälfte) vorhanden sein:<br />

1. Ansätze der subokzipitalen Muskeln,<br />

2. Querfortsätze der Halswirbelsäule C5 bis C7,<br />

3. M. trapezius (Mittelpunkt der Achsel),<br />

4. Supraspinatus (am Ansatz oberhalb der Spina scapulae),


164<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

5. Knochen-Knorpel-Grenze der 2. Rippe,<br />

6. Epicondylus radialis (2 cm distal),<br />

7. Regio glutaea (oberer äußerer Quadrant),<br />

8. Trochanter major,<br />

9. Fettpolster des Kniegelenkes medial, proximal der Gelenklinie.<br />

Bewertung: Für die Klassifikation einer Fibromyalgie müssen beide <strong>Kriterien</strong><br />

erfüllt sein. Der Nachweis einer weiteren klinischen Erkrankung schließt die<br />

Diagnose einer Fibromyalgie nicht aus.<br />

<strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong> nach Müller und Lautenschläger [10]:<br />

z spontane Schmerzen in der Muskulatur, im Verlauf von Sehnen und Sehnenansätzen<br />

mit typischer stammnaher Lokalisation, die über mindestens<br />

3 Monate in 3 verschiedenen Regionen vorhanden sind,<br />

z Druckschmerzhaftigkeit an mindestens der Hälfte der typischen Schmerzpunkte<br />

(Druckdolorimetrie oder digitale Palpation mit ca. 4 kp/cm 2 , sichtbare<br />

Schmerzreaktion),<br />

z Kontrollpunkte ohne solche Schmerzreaktion,<br />

z begleitende vegetative und funktionelle Symptome inkl. Schlafstörungen,<br />

z psychopathologische Symptome,<br />

z normale Befunde wichtiger diagnostischer Maßnahmen.<br />

Bewertung: Für die Diagnose des FMS sollen mindestens je 3 der folgenden<br />

vegetativen Symptome und funktionellen Störungen nachweisbar sein:<br />

Vegetative Symptome:<br />

z kalte Akren (Hände),<br />

z trockener Mund,<br />

z Hyperhidrosis (Hände),<br />

z Dermographismus,<br />

z orthostatische Beschwerden (lage- und lagewechselabhängiger Schwindel),<br />

z respiratorische Arrhythmie,<br />

z Tremor (Hände).<br />

Funktionelle Störungen:<br />

z Schlafstörungen,<br />

z gastrointestinale Beschwerden (Obstipation, Diarrhoe),<br />

z Globusgefühl,<br />

z funktionelle Atembeschwerden,<br />

z Par-(Dys-)ästhesien,<br />

z funktionelle kardiale Beschwerden,<br />

z Dysurie und/oder Dysmenorrhoe.<br />

z Differenzialdiagnose<br />

Die Abgrenzung von anderen generalisierten Schmerzkrankheiten des Weichteilgewebes<br />

und besonders zur „anhaltenden somatoformen Schmerzstörung“ nach<br />

F45.4 (ICD-10), ist klinisch oft schwierig. Hilfreich dabei kann die zusätzliche


Untersuchung sog. Kontrollpunkte (z. B. Hypothenarmuskulatur, Fingermittelphalanx,<br />

dorsovolar, Stirnhöcker u.a.) sein. Abzugrenzen sind weiterhin<br />

entzündliche Muskelerkrankungen (s. Kap. 3.14), endokrinologisch-metabolisch<br />

und medikamentös-toxisch bedingte Myopathien, Myalgien im Rahmen eines<br />

Parkinson- und paraneoplastischen Syndroms sowie bei Virusinfekten und Osteoporose,<br />

die Prodromalstadien der Kollagenosen, schließlich das chronische<br />

Müdigkeitssyndrom. Wichtige diagnostische Maßnahmen sollten die internistische,<br />

rheumatologische, neurologische und psychiatrische Untersuchung und<br />

den Ausschluss von Drogenmissbrauch oder Nebenwirkungen (chronisch) verabreichter<br />

Medikamente beinhalten. Das Krankheitsbild kann parallel zu anderen<br />

Erkrankungen oder Störungen, wie Hypermobilität, auftreten. Die Trennung<br />

in eine primäre und sekundäre Form wird heute überwiegend abgelehnt.<br />

z Literatur<br />

3.34 Fibromyalgiesyndrom z 165<br />

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166<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

3.35 Osteoporose<br />

z Definition<br />

Die Osteoporose ist eine Systemerkrankung des Skeletts mit verminderter<br />

Knochenmasse, Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes<br />

und der Folge erhöhter Knochenbrüchigkeit.<br />

z Klassifikation<br />

(ICD-10: M80.-, M81.-)<br />

Validierte internationale Klassifikationskriterien existieren nicht. Eine Stadieneinteilung<br />

wurde von der WHO veröffentlicht (s. Tabelle 1).<br />

Wesentliche diagnostische <strong>Kriterien</strong> sind<br />

z Frakturen bei inadäquatem Trauma,<br />

z signifikante Verminderung der Knochenmasse auf der Grundlage der WHO-<br />

Definition (DXA T-Wert < –2,5) mit erhöhtem Frakturrisiko,<br />

z evtl. Nachweis einer osteoporosetypischen gestörten Knochenstruktur,<br />

z Fehlen anderer Ursachen der Fraktur (z. B. adäquates Trauma, Malignom)<br />

und/oder der verminderten Knochendichte (z. B. Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus;<br />

s. Differenzialdiagnose).<br />

Das Vorgehen in der Diagnostik ist in der Leitlinie zur „Prophylaxe, Diagnostik<br />

und Therapie der Osteoporose bei Frauen ab der Menopause, bei Männern<br />

ab dem 60. Lebensjahr“ und der „glukokortikoidinduzierten Osteoporose“ beschrieben<br />

(www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo/index.php).<br />

Tabelle 1. WHO-Stadieneinteilung der Osteoporose<br />

Grad 0 Osteopenie Knochenmineralgehalt vermindert<br />

(T-Score: –1 bis –2,5), keine Frakturen<br />

Grad 1 Osteoporose Knochenmineralgehalt vermindert (T-Score:


Frakturnachweis<br />

Wichtigstes Kriterium der manifesten Osteoporose ist die Fraktur, insbesondere<br />

die Wirbelfraktur. Typischerweise kommt es im Bereich der Brustwirbelsäule<br />

zu keilförmigen Wirbelkörperverformungen, im Bereich der Lendenwirbelsäule<br />

eher zu bikonkaven Eindellungen oder Einbrüchen, den sog. Fischwirbeln.<br />

Der Wirbelbruch ist entweder Folge eines einzeitigen heftigen Frakturereignisses<br />

oder Resultat mehrzeitiger unterschwelliger mechanischer Einwirkungen.<br />

Letzteres wird als Sinterung oder Kriechverformung bezeichnet. Ab<br />

einer im Röntgenbild ausmessbaren Höhenminderung der anterioren, mittleren<br />

oder posterioren Wirbelkörperhöhe von 20% oder weniger im Vergleich<br />

zu noch intakten Höhen des gleichen Wirbels oder eines intakten Nachbarwirbels<br />

wird von Wirbelfraktur gesprochen. Durch Höhenausmessungen von<br />

BWK 4 bis LWK 5 kann ein Wirbeldeformitätsscore angegeben werden, der<br />

ein Ausmaß des Schweregrades manifester Osteoporosen darstellt.<br />

Weitere typische Osteoporosefrakturen sind die distale Radius- und proximale<br />

Femurfraktur. Auch alle anderen Lokalisationen extravertebraler Frakturen<br />

können mit der Osteoporose assoziiert sein. Die Anteile von Trauma<br />

und vorbestehender Osteopenie am Frakturgeschehen sind bei extravertebralen<br />

Frakturen anamnestisch oft schwer zu trennen.<br />

Nachweis der verminderten Knochendichte<br />

Verschiedene densitometrische Messtechniken sind verfügbar. Das empfohlene<br />

Messverfahren ist Dual-X-Ray-Absorptiometrie (DXA). Empfohlene Messorte<br />

sind die LWS (L1–L4) und der proximale Femur (Gesamtfemurregion „total<br />

hip“); international akzeptiert ist auch der distale Radius. Jeder erniedrigte<br />

Messwert korreliert mit einem statistisch erhöhten Frakturrisiko insgesamt<br />

und speziell mit dem Frakturrisiko am jeweiligen Messort. Die Messgenauigkeit<br />

liegt je nach Messprinzip und -gerät heute meistens zwischen 1–3%.<br />

Messwiederholungen im Abstand von weniger als 12 Monaten sind daher nur<br />

in Ausnahmefällen sinnvoll. Das Messergebnis wird bei der Photonenabsorption<br />

(DXA, SPA) in g/cm 2 angegeben. Die Absolutwerte der Knochendichten <strong>für</strong><br />

Osteopenie betragen < 0,970 g/cm 2 , <strong>für</strong> Osteoporose


168<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

z Risikofaktoren <strong>für</strong> Osteoporose<br />

Verschiedene allgemeine, krankheits- oder therapiebedingte Faktoren erhöhen<br />

das Risiko <strong>für</strong> eine Osteoporose und ihrer Folgen. Zum klinischen Risikoprofil<br />

tragen folgende Faktoren bei:<br />

z weibliches Geschlecht,<br />

z Lebensalter,<br />

z atraumatische und niedrigtraumatische Wirbelkörperfrakturen,<br />

z periphere Frakturen nach einem Bagatelltrauma,<br />

z Anamnese einer proximalen Femurfraktur bei Vater oder Mutter,<br />

z multiple Stürze,<br />

z Nikotinkonsum,<br />

z Untergewicht.<br />

Die DVO-Leitlinie 2006 empfiehlt auf der Grundlage eines geschätzten Zehnjahresrisikos<br />

von 20% und mehr eine Basisdiagnostik bei folgenden Risikoprofilen:<br />

1. bei 50- bis 60-jährigen Frauen oder 60- bis 70-jährigen Männern mit osteoporosetypischen<br />

Wirbelkörperfrakturen, im Einzelfall auch bei peripherer<br />

Fraktur nach Bagatelltrauma,<br />

2. bei 60- bis 70-jährigen Frauen oder 70- bis 80-jährigen Männern mit osteoporosetypischen<br />

Wirbelkörperfrakturen oder bei Vorliegen einer peripheren<br />

Fraktur nach Bagatelltrauma, einer proximalen Femurfraktur eines Elternteils,<br />

Immobilität, Nikotinkonsum, multiplen Stürzen oder Untergewicht,<br />

3. bei Frauen älter als 70 Jahre oder Männern älter als 80 Jahre.<br />

Zu den wichtigsten Formen einer sekundären Osteoporose zählen endokrine<br />

Störungen wie ein Hyperkortisolismus, ein Hypogonadismus oder ein Hyperparathyreoidismus,<br />

die systemische Anwendung von Glukokortikosteroiden, eine<br />

höhergradige Niereninsuffizienz, ein Diabetes mellitus Typ I, eine Malassimilation,<br />

die Einnahme von Antiepileptika, die Anorexia nervosa und entzündlich-rheumatische<br />

Krankheiten wie die rheumatoide Arthritis, die ankylosierende<br />

Spondylitis und evtl. andere entzündlich-rheumatische Krankheiten<br />

mit anhaltend hoher Entzündungsaktivität.<br />

Das altersadjustierte Risiko (odds ratio) <strong>für</strong> eine Osteoporose ist bei postmenopausalen<br />

Frauen mit rheumafaktorpositiver rheumatoider Arthritis mit<br />

OR = 3,5 und bei postmenopausalen Frauen mit rheumafaktornegativer rheumatoider<br />

Arthritis mit OR =2,6 deutlich erhöht. Im Alter von 61–70 Jahren<br />

kann bei Frauen mit rheumatoider Arthritis mit oder ohne Langzeitglukokortikoidtherapie<br />

im Bereich des Schenkelhalses in 30% bzw. 12%, im Bereich<br />

der Lendenwirbelkörper 37% bzw. 22% eine Osteoporose nachgewiesen<br />

werden. Patienten mit rheumatoider Arthritis weisen ein erhöhtes relatives<br />

Risiko (RR) <strong>für</strong> Schenkelhalsfrakturen (RR = 2,5) sowie <strong>für</strong> Beckenfrakturen<br />

(RR =2,6) auf. Hauptlokalisationen der osteoporotischen Frakturen sind Wirbelsäule,<br />

Unterarm, Hüfte und Becken.<br />

Risikofaktoren <strong>für</strong> Osteoporose und osteoporotische Frakturen bei rheumatoider<br />

Arthritis sind: Alter, Geschlecht, niedriger Body-Mass-Index, Schwere


grad der Erkrankung, erhöhte Morgensteife, Krankheitsdauer, niedrige Funktionskapazität,<br />

verminderte Griffstärke, verminderte körperliche Aktivität,<br />

Muskelschwäche und Muskelatrophie und Langzeitglukokortikoidbehandlung.<br />

Frauen im höheren Lebensalter mit immobilisierender rheumatoider Arthritis<br />

unter Glukokortikoidtherapie sind eine Hochrisikogruppe <strong>für</strong> Osteoporose und<br />

osteoporotische Frakturen.<br />

Auch bei der ankylosierenden Spondylitis ist die Häufigkeit von verminderter<br />

Knochendichte und von Frakturen erhöht.<br />

Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Spondylitis ankylosans kann<br />

bei starken Schmerzen im Rahmen der Grundkrankheit eine osteoporotische<br />

Fraktur klinisch unbemerkt bleiben und wird häufig nur zufällig im durchgeführten<br />

Röntgenbild nachgewiesen.<br />

Die Langzeitglukokortikosteroidtherapie ist eindeutig ein Risikofaktor <strong>für</strong><br />

Frakturen vorwiegend an der Wirbelsäule. Erhöhte Frakturraten finden sich<br />

schon nach 3 Monaten. Eine „sichere“ Schwellendosis, unterhalb der systemisch<br />

angewandte Glukokortikosteroide keinen Einfluss auf die Knochendichte<br />

haben, gibt es nach derzeitiger Erkenntnis nicht. Tagesdosen über 7,5 mg sind<br />

bei der rheumatoiden Arthritis und anderen Krankheiten mit einem deutlich<br />

erhöhten Osteoporoserisiko verbunden. Bei der rheumatoiden Arthritis zeigen<br />

jedoch mehrere Studien mit Low-dose-Glukokortikoidtherapie (< 7,5 mg Prednisonäquivalent/Tag)<br />

keine Zunahme der Knochendichteminderung. Der Einfluss<br />

der kumulativen Steroiddosis wird kontrovers diskutiert.<br />

Die DVO-Leitlinie 2006 zur glukokortikoidinduzierten Osteoporose empfiehlt<br />

eine Basisdiagnostik bei folgenden Situationen:<br />

z systemische Glukokortikoidtherapie über mindestens 3 Monate,<br />

z neu aufgetretene osteoporosetypische Frakturen peripher oder an den Wirbelkörpern,<br />

z bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren,<br />

z hohe Krankheitsaktivität,<br />

z sehr niedriges Körpergewicht (BMI 10% seit der letzten Messung,<br />

z hohes Sturzrisiko (2 oder mehr häusliche Stürze im letzten Halbjahr),<br />

z Alter über 70 Jahre,<br />

z stark eingeschränkte Mobilität,<br />

z Postmenopausenstatus/sekundäre Amenorrhö bei Frauen bzw. Hypogonadismus<br />

bei Männern.<br />

z Basisdiagnostik<br />

3.35 Osteoporose z 169<br />

Bei allen Personen, bei denen auf Grund ihres klinischen Risikoprofils eine<br />

hohe Frakturrate zu erwarten ist, wird eine Basisdiagnostik empfohlen<br />

(www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo/index.php).


170<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

1. Anamnese und Befunde<br />

– Vorgeschichte/Anamnese der Grundkrankheit einschließlich Glukokortikoidmedikation,<br />

Fraktur- und Sturzanamnese,<br />

– aktuelle Beschwerden: neue Rückenschmerzen? Allgemeinzustand? Funktionsbeeinträchtigungen?<br />

– Osteoporoseprophylaxe?<br />

– körperliche Untersuchung, Messen von Körpergröße und -gewicht (BMI).<br />

2. Laboruntersuchung<br />

– Blutbild, Blutsenkung/C-reaktives Protein,<br />

– im Serum: Kalzium, Phosphat, Kreatinin, alkalische Phosphatase, Gamma-GT,<br />

TSH; Eiweißelektrophorese<br />

3. Knochendichtemessung<br />

– empfohlene Methode: DXA,<br />

– Messorte: LWS und „total hip“. Für die Beurteilung ist der niedrigste<br />

Messwert der Gesamtareale ausschlaggebend.<br />

Einfache Funktionstests wie der „Timed-up-and-go-Test“ oder der „Chair-raising-Test“<br />

geben einen Anhalt über die Sturzgefährdung.<br />

z Ergänzende Hinweise zur Diagnostik<br />

Konventionelle Röntgendiagnostik<br />

Ziel von Röntgenaufnahmen der Brust-/Lendenwirbelsäule ist der Nachweis<br />

von osteoporotischen Frakturen oder osteoporotischen Wirbelkörperdeformitäten.<br />

Die Abnahme der Strahlentransparenz und betonte Grund- und Deckplatten<br />

sind unsichere, wenig reproduzierbare und späte Zeichen einer Osteoporose.<br />

Empfohlen wird die Röntgenaufnahme in 2 Ebenen bei akuten, neu<br />

aufgetretenen starken und/oder anhaltenden umschriebenen Rückenschmerzen<br />

und bei bisher nicht abgeklärten Rückenschmerzen. Osteoporotische Keiloder<br />

Kompressionswirbel werden über die Höhenminderung der vorderen<br />

und/oder mittleren und hinteren Wirbelkörperhöhe morphometrisch definiert.<br />

Röntgenaufnahmen sind in der Osteoporosediagnostik bei noch fehlenden<br />

Frakturen <strong>für</strong> ein Osteoporosescreening zu wenig sensitiv, sind aber unerlässlich<br />

in der Diagnostik und Verlaufskontrolle von osteoporotischen Frakturen,<br />

insbesondere der Wirbelkörper.<br />

Duale Röntgenabsorptiometrie<br />

Messorte bei Frauen bis 75 Jahre (DVO-Leitlinien):<br />

z zuerst Lendenwirbelsäule, bei T-Score >–2,5 SD zusätzlich Messung des Femur<br />

(Gesamtareal).<br />

z Frauen älter als 75 Jahre: zuerst Femur (Gesamtareal). Bei T-Sore >–2,5 SD<br />

zusätzlich Messungen an der LWS.


Bei Patienten unter Glukokortikoidtherapie und älter als 75 Jahre sollte bei<br />

prävalenten Patientinnen (Patienten mit Behandlung mit 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent<br />

seit mindestens 6 Monaten) bei T-Score am Femur zwischen<br />

–1,0 SD und > –2,5 SD und bei inzidenten Patientinnen (Patienten mit erstmaliger<br />

oder nach 1-jähriger Pause erneut eingeleiteter Therapie mit > 7,5 mg/<br />

Tag Prednisolonäquivalent <strong>für</strong> voraussichtlich wenigstens 6 Monate oder mit<br />

neu aufgetretenen klinisch apparenten Frakturen) mit T-Score am Femur zwischen<br />

–1,0 SD > –1,5 SD auch Messungen an der Lendenwirbelsäule durchgeführt<br />

werden, um nicht eine Osteoporose an der Lendenwirbelsäule zu übersehen.<br />

Häufig muss eine DXA-Messung an der Lendenwirbelsäule wegen Spondylose,<br />

Osteochondrose oder Skoliose der Lendenwirbelsäule im höheren Lebensalter<br />

entfallen und auf eine selektive Spongiosamessung der Lendenwirbelkörper<br />

mit QCT zurückgegriffen werden.<br />

z Quantitative Computertomografie (QCT). Die QCT-Messung der Wirbelkörperspongiosa<br />

hat ihre besondere Bedeutung bei Patienten mit ausgeprägten degenerativer<br />

Veränderungen der Wirbelkörper, bei denen eine integrierte DXA-<br />

Knochendichtemessung wegen degenerativer Ossifikationen falsch erhöhte<br />

Knochendichtewerte liefern würde.<br />

Knochenbiospsie und histologische Beurteilung<br />

Die Knochenbiopsie wird eingesetzt zur weiteren Diagnostik seltener sekundärer<br />

Formen der Osteoporose, zur Klassifizierung einer Osteoporose in Highoder<br />

Low-turnover-Osteoporose und zur Diagnostik von Osteopathien. Die<br />

Entnahme von morphometrisch auswertbaren Knochenbiopsiezylindern erfolgt<br />

bevorzugt durch eine vertikale Hohlfräsenbiopsie des Beckenkamms. Der<br />

25 ´ 4 mm messende, in Formalin oder Carnoy fixierte Knochenzylinder wird<br />

im osteopathologischen Speziallabor unentkalkt in Metakrylat eingebettet. Am<br />

Dünnschnitt erfolgt nach Spezialfärbung z. B. nach Cossa die semiquantitative<br />

Beurteilung bzw. quantitative Auswertung der Knochenstrukturen. Wesentliche<br />

morphometrische Parameter sind: trabekuläre Knochenmasse, trabekulärer<br />

Vernetzungsgrad, Fläche und Volumen der Osteoidoberfläche, Fläche und Tiefe<br />

der Resorptionsoberfläche, Zahl und Form der Osteoblasten und Osteoklasten,<br />

Zellularität und Volumen des Knochenmarks.<br />

Nach Tetrazyklindoppelmarkierung können in der Fluoreszenzmikroskopie<br />

bei normaler Knochenneubildung und Mineralisation zwei, durch einen messbaren<br />

Abstand getrennte Fluoreszenzlinien nachgewiesen werden. Mineralisationsstörungen<br />

und fehlende Knochenneubildung liefern klassische pathologische<br />

Fluoreszenzbilder mit flächiger Tetrazyklinablagerung oder nur einfacher<br />

oder fehlender Fluoreszenzlinie.<br />

Labormedizinische Diagnostik<br />

3.35 Osteoporose z 171<br />

Die Labordiagnostik dient vor allem zum Ausschluss verschiedener Formen<br />

der sekundären Osteoporose und von differenzialdiagnostisch in Frage kom-


172<br />

z 3 <strong>Diagnostische</strong> <strong>Kriterien</strong><br />

menden Osteopathien, z. B. der Osteomalazie. Erhöhte Parameter des Knochenabbaus<br />

(tartratresistente saure Phosphatase (Osteoklasten), freie Pyridinoline<br />

oder Deoxypyridinoline, Typ-1-Kollagen, N- oder C-Telopeptide (Knochendegradation))<br />

im Blut und/oder Urin haben sich als unabhängige Risikofaktoren<br />

<strong>für</strong> Frakturen erwiesen. Die mangelnde Standardisierung dieser Parameter<br />

unter klinischen Alltagsbedingungen und die fehlende Evaluation im<br />

Kontext anderer Risikofaktoren führt in den Leitlinien noch zu keiner generellen<br />

Empfehlung <strong>für</strong> die Routinediagnostik.<br />

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