Polarstation: Princess Elisabeth - Mikado
Polarstation: Princess Elisabeth - Mikado
Polarstation: Princess Elisabeth - Mikado
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Ingenieurholzbau<br />
<strong>Polarstation</strong><br />
<strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />
Premiere im Eis: <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong>, die erste<br />
Null-Energie-Emissions-Forschungsstation, wurde im<br />
Südsommer, zwischen November 2007 und März<br />
2008, errichtet – ganz und gar aus Holz.<br />
28 mikado 6.2009<br />
▾ Die Crew auf<br />
dem Dach<br />
der Basis: Hier<br />
am Südpol<br />
betreiben die<br />
Wissenschaftler<br />
ökologische<br />
und klimatische<br />
Forschungen
Ingenieurholzbau<br />
Konnte nicht schlafen. Zu aufgeregt.<br />
Bis in die Nacht hinein<br />
haben wir noch geputzt und gewienert.<br />
Die <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong> soll blitzen,<br />
wenn die VIPs morgen anreisen,<br />
um unsere <strong>Polarstation</strong> offiziell<br />
zu eröffnen.“ Nicht nur für die Wissenschaftler,<br />
die seit Anfang dieses<br />
Jahres in der Null-Energie-Emissions-Forschungsstation<br />
in der Antarktis<br />
wohnen und forschen – und<br />
ihre Mitmenschen über Blogs an ihren<br />
Erlebnissen in der Eiswüste teilnehmen<br />
lassen –, war der 15. Februar<br />
2009 ein besonderer Tag. Auch die<br />
restliche Welt horchte auf: An diesem<br />
Termin wurde die erste Solarbasis in<br />
der Antarktis eingeweiht, die vollständig<br />
mit erneuerbaren Energien<br />
betrieben wird. Sozusagen ein gebauter<br />
Beweis dafür, dass die Herstellung<br />
von Solar- und Windenergie<br />
auch im eisigen Klima der Pole<br />
möglich ist.<br />
Gewappnet gegen alle Extreme<br />
Ein Vierteljahrhundert lang wird die<br />
futuristische Wohn- und Forschungskapsel<br />
Sommersitz von bis zu 20<br />
Wissenschaftlern sein. Jedes Jahr von<br />
November bis März werden Expertinnen<br />
und Experten aus aller Welt<br />
sie als Basis nutzen, um ihre ökologischen<br />
und klimatischen Untersuchungen<br />
voranzutreiben. Voraussetzung<br />
für das Überleben der Crew<br />
mitten in der Eiswüste ist unter anderem<br />
das zukunftsweisende Energieerzeugungskonzept<br />
der Station. Voraussetzung<br />
ist aber auch die Station<br />
selbst, ein futuristischer Holzbau, der<br />
dank ausgeklügelter Bau- und Materialtechnik<br />
den extremen Unbilden<br />
der Antarktis standhält.<br />
Selbst im Sommer übersteigen die<br />
Temperaturen die Null-Grad-Grenze<br />
nur selten. Im Winter fällt das Thermometer<br />
bisweilen auf –50 Grad Celsius.<br />
Das Jahresmittel liegt bei –20<br />
Grad Celsius. Wenn allerdings die<br />
Sonne an klaren Tagen auf die metallische<br />
Außenhaut der <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />
brennt, werden dort im Extremfall<br />
+50 Grad Celsius gemessen.<br />
Arktische Winde stürmen mit Geschwindigkeiten<br />
von bis zu 125 km/h<br />
auf das Bauwerk ein, Böenspitzen<br />
▸ Selbst im<br />
Sommer<br />
übersteigen am<br />
Südpol die<br />
Temperaturen die<br />
0-°C-Grenze<br />
nur selten. Das<br />
Jahresmittel<br />
liegt bei –20 °C<br />
▸ Das Traggerippe<br />
der Wohnund<br />
Arbeitskapsel<br />
bestehen aus<br />
Schichtholzfachwerkträgern<br />
aus Tannen- und<br />
Fichtenholz<br />
Auch Stahl spielt<br />
▸<br />
eine tragende<br />
Rolle:<br />
34 Stahlstützen<br />
verankern<br />
den Holzskelettbau<br />
im Fels<br />
www.mikado-online.de 29
Ingenieurholzbau<br />
erreichen sogar über 300 km/h, die<br />
daraus resultierenden Sogkräfte 20<br />
kN/m². Und wenn die mit Eiskristallen<br />
geschwängerte Luft in solch einem<br />
Tempo auf die Edelstahlhülle<br />
prallt, droht ein Abrieb, der größer<br />
ist als bei einem Sandsturm.<br />
Als daher die belgische Regierung<br />
die von Alain Hubert und den<br />
Professoren André Berger (UCL)<br />
und Hugo Decleir (VUV) gegründete<br />
International Polar Foundation<br />
(IPF) mit dem Bau einer neuen Forschungsstation<br />
beauftragte, hatten<br />
alle zunächst ein bewährtes Modell<br />
im Sinn: einen Stahlbau. Schließlich<br />
basieren sämtliche bisher errichteten<br />
<strong>Polarstation</strong>en auf diesem<br />
Schnitt<br />
30 mikado 6.2009<br />
Konstruktionskonzept. Doch in diesem<br />
Fall führte die gängige Konstruktionsidee<br />
in eine Sackgasse, da es<br />
extrem schwierig ist, einen Stahlskelettbau<br />
ohne Wärmebrücken zu realisieren.<br />
Genau das aber war eine der<br />
wichtigsten Voraussetzungen eines<br />
Null-Energie-Bauwerks.<br />
Daraufhin schlug Architekt Philippe<br />
Samyn eine Holzkonstruktion<br />
vor und brachte die Hauptprotagonisten<br />
des Projekts, Alain Hubert und<br />
Johan Berte, mit dem auf Holzbau,<br />
Dach- und Innenausbau spezialisierten<br />
Generalunternehmer Prefalux<br />
SA zusammen. Zusammen mit Hermann<br />
Blumer vom Schweizer Ingenieurbüro<br />
Création Holz entwickelte<br />
Generalprobe<br />
▴<br />
bestanden:<br />
Funktionsgerecht<br />
und standfest<br />
muss die Polar-<br />
station sein<br />
die in Luxemburg ansässige Gesellschaft<br />
für den schlüsselfertigen Roh-<br />
und Ausbau der Forschungskapsel<br />
ein Konzept, das auf einem Holzskelett<br />
mit einer hölzernen Außenhaut<br />
basiert.<br />
Funktionsgerecht, standfest, bauphysikalisch<br />
sowohl an die Extrembedingungen<br />
der Antarktis als auch<br />
an die klimatischen Bedürfnisse der<br />
darin lebenden Menschen angepasst<br />
und darüber hinaus noch schön anzusehen:<br />
Die Nutzungsanforderungen<br />
an die 700 m² Nutzfläche umfassende<br />
<strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong> füllten eine<br />
lange Liste. Weil die vorgefertigten<br />
Elemente der Station per Schiff und<br />
mit Schlitten an den Zielort transportiert<br />
wurden, musste die Konstruktion<br />
auch transport- und montagetechnische<br />
Gründe berücksichtigten. Die<br />
Einzelteile durften nicht zu schwer<br />
sein und nicht zu breit respektive zu<br />
lang, damit sie in den nur 20 Fuß<br />
langen Transportcontainern Platz<br />
fanden. Zudem musste der unproblematische<br />
Aufbau am Zielort gewährleistet<br />
sein. Und nicht zuletzt<br />
galt es auch noch einen begrenzten<br />
Kostenrahmen von 6,4 Mio. Euro einzuhalten.<br />
Holzbau mit Raffinesse<br />
Stahl spielt bei dem letztlich gewählten<br />
Konzept der <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />
nur noch eine untergeordnete<br />
Rolle, allerdings eine tragende:<br />
Blechformteile verankern den Holzskelettbau<br />
sicher mit dem tragenden<br />
Fundament der Station: 34 im<br />
Fels verankerten Stahlstützen. Das
Ingenieurholzbau<br />
Traggerippe der eigentlichen Wohn-<br />
und Arbeitskapsel formen hingegen<br />
verleimte Schichtholzfachwerkträger<br />
aus Tannen-/Fichtenholz. Die sich in<br />
den Gebäudeachsen kreuzenden Balken<br />
und Bögen verleihen dem Bauwerk<br />
seine dreidimensionale Struktur.<br />
Sämtliche Pfosten und Balken<br />
sind mit Hilfe von Holz-Metallverbindungen<br />
(BSB-System) respektive<br />
Stabdübeln mit innen liegenden<br />
Stahlblechen, eingeleimten Gewindestangen<br />
und traditionellen Verschraubungen<br />
miteinander verbunden,<br />
sodass die <strong>Polarstation</strong> schnell<br />
montiert, demontiert und wieder aufgebaut<br />
werden kann.<br />
Die Dachhaut der <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />
garantiert Schutz gegen Pulverschnee<br />
und Wind. Sie ist darüber<br />
hinaus luft- und dank Dampfsperre<br />
dampfdicht sowie mit einer Dachstütze<br />
aus Edelstahl ausgestattet.<br />
Um der Station genügend Lebensraum<br />
zu sichern, durfte die Rumpfdicke<br />
der vorgefertigten Dachelemente<br />
maximal 55 cm betragen. Der U-Wert<br />
musste laut Berechnung 0,05 W/m²<br />
betragen. Weil herkömmliche Isolierstoffe<br />
wie Mineralwolle oder Holzfaser<br />
den erforderlichen Dämmwert jedoch<br />
nur mit einer außergewöhnlich<br />
dicken Materialstärke erreicht hätten,<br />
fiel die Wahl auf ein von Swisspor<br />
produziertes grafithaltiges Styropor<br />
mit einem von 0,029 W/(m²K).<br />
Eigens durchgeführte Tests bestätigen,<br />
dass das Material alle Eigenschaften<br />
aufweist, die von einer den<br />
Extrembedingungen der Antarktis<br />
ausgesetzten Isolierschicht erwartet<br />
werden.<br />
▴▸ Schiffe und<br />
Schlitten<br />
transportierten<br />
die Elemente<br />
an ihren Zielort.<br />
Deshalb musste<br />
die Konstruktion<br />
zahlreiche<br />
transport- und<br />
montagetechnische<br />
Vorgaben<br />
erfüllen<br />
Holz setzte sich<br />
▾<br />
durch, da es<br />
extrem schwierig<br />
ist, eine<br />
Stahlskelettkonstruktion<br />
ohne Wärme-<br />
brücken<br />
zu realisieren<br />
Die Basis der vorgefertigten Dachelemente<br />
bilden zwei 42 mm beziehungsweise<br />
74 mm dicke mehrschichtige<br />
Platten aus Tanne/Fichte,<br />
die ähnlich wie Leitern mit je neun<br />
40 mm dicken Buchenholzbolzen<br />
pro m 2 verbunden sind. Die Verbindungstechnik<br />
reduziert die thermischen<br />
Brücken auf ein Minimum von<br />
nur einem Prozent der Fläche und<br />
gewährleistet zugleich die räumliche<br />
Steifigkeit der Konstruktion.<br />
Zwischen den Platten isoliert eine<br />
40 cm dicke Schicht aus dem Hochleistungswärmedämmstoff<br />
XPS mit<br />
Graphit. Die Innenplatte ist darüber<br />
hinaus mit Kraftpapier und einer<br />
Dampfsperre aus Aluminium<br />
belegt, auf der wiederum mit Klettverschluss<br />
eine abschließende Wollstofffilzschicht<br />
befestigt ist. Auf der<br />
Außenseite schützt eine 3 mm dicke<br />
EPDM-Silikon-Abdichtungsmembran<br />
gegen eindringende Luft und<br />
Pulverschnee. Ein auf einem 5 mm<br />
dicken Schaum mit geschlossenen<br />
Poren verlegtes 1,5 mm starkes Edelstahlblech<br />
deckt die Konstruktion<br />
ab. Überbrückungsstreifen koppeln<br />
die einzelnen Schichten der in Elementen<br />
angelieferten Station miteinander.<br />
Sie wurden erst nach dem<br />
Verlegen der Elemente – vor Ort –<br />
eingebracht.<br />
Kein Bau ohne Generalprobe<br />
Die in den vorgefertigten Modulen<br />
integrierten Fenster verfügen jeweils<br />
über zwei Doppelverglasungen.<br />
Die erste verläuft in der Ebene<br />
des Dachbelags aus Edelstahl, die<br />
zweite in der Ebene der Dampfsperre.<br />
Zwischen die Außenfenster und<br />
die inneren Fenster schiebt sich ein<br />
400 mm dicker Luftzwischenraum.<br />
Das aus dreischichtigem Verbundglas<br />
mit insgesamt 24 mm Dicke zusammengesetzte<br />
Außenfenster ist darüber<br />
hinaus mit einem Hitzeschutzfilm<br />
gegen allzu starke Sonneneinstrahlung<br />
geschützt.<br />
Insgesamt setzt sich die Station<br />
aus 168 verschiedenen Modulen<br />
und 40 Modellen zusammen. Aufgrund<br />
des engen Produktionszeitraums<br />
musste die Konfektionierung<br />
www.mikado-online.de 31
Steckbrief<br />
Ingenieurholzbau<br />
der Dämmelemente und der peripheren<br />
Mehrschichtplatten an zwei<br />
unterschiedliche Herstellungspartner<br />
vergeben werden. Während der<br />
Schweizer Hersteller Swisspor die auf<br />
Bauvorhaben:<br />
Neubau einer Null-Energie-<br />
Emissions-Forschungsstation in<br />
der Antarktis<br />
Bauweise: Holzskelett<br />
Bauzeit: Januar bis Februar 2008<br />
Baukosten: 6,4 Mio. Euro<br />
Nutzfläche: 200 m²<br />
Bauherr: International Polar<br />
Foundation, IPF<br />
Architekten:<br />
Philippe Samyn & Partners<br />
Architekten und Ingenieure<br />
B-1180 Brüssel<br />
www.samynandpartners.be<br />
Bauphysik und aktive Systeme: 3E<br />
Strömungstechnik: Dr. D. Olivari<br />
Aerodynamik: von Karman Institute<br />
Holzbau:<br />
Prefalux SA<br />
L-6117 Junglinster<br />
www.prefalux.lu<br />
Mehrschichtplatten:<br />
Lignotrend Produktions GmbH<br />
D-79809 Weilheim-Bannholz<br />
www.lignotrend.com<br />
32 mikado 6.2009<br />
CNC-Maschinen passgenau gefertigte<br />
Isolierung just in time an Prefalux<br />
lieferte, produzierte Lignotrend<br />
die Mehrschichtplatten der Außen-<br />
und Innenschale. Im Werk von Prefalux<br />
in Junglingster in Luxemburg<br />
setzten Fachkräfte die einzelnen Bestandteile<br />
der Außenhaut schließlich<br />
zusammen.<br />
Um sämtliche Eventualitäten auszuschließen<br />
und die <strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />
schon vor der Inbetriebnahme<br />
der Weltöffentlichkeit vorstellen<br />
zu können, einigten sich die Verantwortlichen<br />
auf einen Probeaufbau<br />
der binnen zwei Monaten vorgefertigten<br />
Elemente am 5. September<br />
2007 in Brüssel. Das ermöglichte umfangreiche<br />
Tests am Objekt. Mit Hilfe<br />
von Windkanalversuchen und thermo-<br />
und hydrodynamischen Simulationen<br />
– anhand der in den letzten<br />
50 Jahren gesammelten Wetterdaten<br />
– ermittelten Fachleute eventuelle<br />
Schwachpunkte und optimierten<br />
Bauteile. Auch die Metallkonstruktion<br />
wurde überarbeitet, damit der<br />
ohne Toleranzen geplante Holzbau<br />
passgenau mit den Stützen verbunden<br />
und die Standfestigkeit der Station<br />
gewährleistet werden konnte.<br />
Nach Anpassungen und Änderungen<br />
demontierten die Holzbauer die Kapsel<br />
wieder. Nummeriert und aufgelistet<br />
verschifften die Fachkräfte die<br />
Bauteile Ende Oktober in über 125<br />
◂ Ein Vierteljahrhundert<br />
lang<br />
ist die Wohn- und<br />
ForschungskapselSommersitz<br />
von<br />
bis zu 20 Wissenschaftlern<br />
▴ Die Dachhaut<br />
schützt gegen<br />
Pulverschnee und<br />
Wind<br />
▾ Am 15. Februar<br />
2009 feierte<br />
Dänemark die<br />
Einweihung<br />
der Solarbasis. Sie<br />
ist die erste,<br />
die vollständig mit<br />
erneuerbaren<br />
Energien betrieben<br />
wird<br />
Containern mit dem Eisbrecher in die<br />
Crown Bay mitten in der Antarktis.<br />
Riesige Schlitten zogen die Container<br />
im Anschluss zur 180 km von der<br />
Küste entfernten Baustelle.<br />
Dort nahm sie das Personal von<br />
Prefalux im Januar 2008 in Empfang,<br />
um in den nächsten zwei Monaten<br />
bei Schnee, Eis und eisigen Temperaturen<br />
aus den Einzelelementen<br />
eine <strong>Polarstation</strong> zu errichten. Am<br />
13. Februar war das letzte Dachmodul<br />
verlegt. Am 5. März wurde das<br />
Camp ausgeflogen und überließ die<br />
<strong>Princess</strong> <strong>Elisabeth</strong> ihrem ersten Winter<br />
in der Einsamkeit der Arktis.<br />
Christine Ryll, München ▪<br />
IPF – PREFALUx S.A.