Der niedergelassene Arzt - Dr. med. Matthias Thöns
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46<br />
Medizin SPEZIAL der <strong>niedergelassene</strong> arzt 3/2010<br />
Stationär oder ambulant?<br />
Vorbereitung zur ambulanten Kinderoperation<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>.<br />
<strong>Matthias</strong> <strong>Thöns</strong><br />
<strong>Arzt</strong> für Anästhesiologie,<br />
spez.<br />
Schmerztherapie<br />
Notfall-& Palliativ<strong>med</strong>izin,<br />
Bochum<br />
In kaum einem Bereich der operativen<br />
Medizin hat die ambulante<br />
Operation stationäre Eingriffe in<br />
einem Maße ersetzt, wie in der<br />
Kinderchirurgie.<br />
Mittlerweile werden zirka 80 Prozent<br />
der Eingriffe bei Kindern ambulant<br />
durchgeführt, Tendenz steigend. Dies<br />
kommt dem hohen Bedürfnis der Kinder<br />
nach Geborgenheit in ihrer vertrauten<br />
Umgebung und dem gleichartigen<br />
Wunsch der Eltern entgegen. <strong>Der</strong> betreuende<br />
Kinder- oder Hausarzt bahnt dabei<br />
die Entscheidung ob stationär oder<br />
ambulant, er wird nach einer Empfehlung<br />
für eine operative Einrichtung gefragt<br />
und muss notwendige Voruntersuchungen<br />
durchführen. Darüber hinaus gibt er<br />
fundierte Informationen und reduziert<br />
irrationale Ängste bei Eltern und Kindern.<br />
Umgang mit Kindern und Eltern<br />
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen,<br />
gleichwohl sollten wir ihnen mit dem<br />
gleichen Respekt begegnen. Dazu gehört<br />
die ehrliche kindgerechte Aufklärung genauso<br />
wie – soweit wie möglich – die<br />
Gabe von Entscheidungsfreiheit. Kindern<br />
hilft es schon, wenn man etwa vor<br />
einer Venenpunktion Wahlmöglichkeiten<br />
gibt: „Möchtest Du das rosa Stauband<br />
oder das mit den Mäusen?“. Begeben<br />
Sie sich möglichst auf Augenhöhe,<br />
lassen Sie Kuscheltiere zu und lügen Sie<br />
niemals: Dies rächt sich spätestens beim<br />
nächsten <strong>Arzt</strong>besuch.<br />
Wohin zur Operation?<br />
Eltern wünschen nicht selten eine Empfehlung<br />
zu einer Operationseinrichtung,<br />
„Wo ist mein Kind sicher aufgehoben?“.<br />
Hier sollte der betreuende <strong>Arzt</strong> nur Einrichtungen<br />
empfehlen, die sich an aktuelle<br />
Sicherheitsstandards halten und<br />
regelmäßig Eingriffe bei Kindern durchführen:<br />
Ärzte mit weniger als 100 Kindernarkosen<br />
pro Jahr haben fünfmal<br />
mehr Narkosekomplikationen als erfahrenere<br />
Ärzte. 1,2<br />
Wichtig ist auch, dass der Narkosearzt<br />
das Kind nicht erst kurz vor der<br />
Maskeneinleitung sehen kann, sondern<br />
eine Vorgesprächssprechstunde eingerichtet<br />
ist. Die Ausrüstung der Operationseinrichtung<br />
muss den Standards für<br />
einen Narkosearbeitsplatz entsprechen,<br />
wie es etwa die zuständige Fachgesellschaft<br />
DGAI definiert hat und zumindest<br />
die Überwachung der Atemgase (Kapnometrie,<br />
Oximetrie) sowie eine kindgerechte<br />
Ausrüstung umfassen. Im Aufwachraum<br />
muss an jedem Bett eine<br />
kontinuierliche alarmgesicherte Oximetrieüberwachung<br />
vorgehalten werden.<br />
Studien zufolge ließ sich so die Sterblichkeit<br />
nach Narkosen um 93 Prozent (!)<br />
senken 3 . Darüber hinaus muss für die<br />
Überwachung nach den Narkosen protokollführendes<br />
qualifiziertes Pflegepersonal<br />
vorhanden sein, Operateur und<br />
Anästhesist müssen 24 Stunden telefonisch<br />
erreichbar sein. Richtig ist es zwar,<br />
Eltern in den Aufwachraum hinzuzubitten,<br />
inakzeptabel ist es allerdings, sich alleinig<br />
auf ihre Überwachung zu verlassen.<br />
Hier wirkt sich der zunehmende<br />
„Kostendruck“ höchst negativ auf das<br />
Sicherheitsniveau aus 4 . Viele Todesfälle<br />
bei ambulanten Narkosen, die in den<br />
letzten Monaten durch die Presse gingen,<br />
ließen entsprechend übereinstimmende<br />
Mängel erkennen. Qualität ist sichtbar<br />
etwa an einer Zertifizierung der Einrichtung,<br />
letztlich kann man aber auch die<br />
Patienten befragen, die man bereits vormals<br />
in die Einrichtungen schickte.<br />
Wann geht es nicht ambulant?<br />
Zunächst einmal besteht bis heute kein<br />
Konsens, ab welchem Kindesalter eine<br />
ambulante Narkose sicher durchführbar<br />
ist. Hier wird aber die Ansicht vertreten,<br />
Säuglinge nur unter besonderen Voraussetzungen<br />
ambulant operieren zu lassen.<br />
Wenngleich es nur einzelne Fallberichte<br />
von Apnoen im Zusammenhang mit Allgemeinanästhesien<br />
gibt, so besteht im<br />
ersten Lebensjahr stets die Möglichkeit<br />
des plötzlichen Kindstodes.<br />
Kindgerecht aufklären, nicht schwindeln!<br />
Findet eine solche Katastrophe in zeitlichem<br />
Zusammenhang zu einer Narkose<br />
statt, wird man sich nur schwer gegen<br />
Vorwürfe verteidigen können.<br />
Bei Kindern mit chronischen Erkrankungen<br />
hingegen ist bei stabiler klinischer<br />
Situation eine ambulante Operation<br />
möglich. Demgegenüber gehören<br />
instabile Kinder, insbesondere aber auch<br />
bei unsicherem sozialen Umfeld oder erheblichen<br />
Verständigungsproblemen
Ohne Angst bessere Anästhesie und besseres<br />
Aufwachen.<br />
perioperativ in die Klinik. Auch größere<br />
Eingriffe – insbesondere bei gewisser<br />
Transfusionswahrscheinlichkeit – werden<br />
ausschließlich in speziellen kinderchirurgischen<br />
Abteilungen stationär<br />
durchgeführt.<br />
OP verschieben?<br />
Eine elektive Operation sollte bei Fieber<br />
über 38,5 °C, eitrigem Auswurf oder<br />
spastischer Bronchitis verschoben werden.<br />
<strong>Der</strong> Abstand zu Impfungen mit inaktiven<br />
Todimpfstoffen beträgt mindestens<br />
drei Tage, mit Lebendimpfstoffen<br />
14 Tage zur geplanten Operation. Eine<br />
laufende Nase stellt bei vielen Eingriffen<br />
(z.B. HNO-Eingriff bei „Rotznase“)<br />
allerdings keine Kontraindikation dar. 5<br />
Bedeutend zur Operationsplanung<br />
kann der Kontakt zu anderen Kindern<br />
mit Infektionskrankheiten sein. Eine<br />
elektive Operation innerhalb einer möglichen<br />
Inkubationszeit von Scharlach<br />
(zwei bis sieben Tage) oder Varizellen<br />
(zehn bis 20 Tage) ist zu vermeiden, gegen<br />
viele andere Infektionskrankheiten<br />
wird nach möglichem Kontakt der Impfschutz<br />
hinterfragt.<br />
Ungewollte stationäre Aufnahmen<br />
nach ambulanten Operationen sind mit<br />
deutlich weniger als 1 Prozent sehr selten,<br />
dabei waren die Hauptgründe anhaltendes<br />
Erbrechen und Wechsel des<br />
operativen Verfahrens.<br />
Vorbereitung<br />
Entgegen landläufiger Meinung gehört<br />
ein Routineprogramm an technischen<br />
der <strong>niedergelassene</strong> arzt 3/2010 Medizin SPEZIAL 47<br />
und laborchemischen Untersuchungen<br />
nicht zur heute üblichen Vorbereitung<br />
zu einer Operation in Narkose. Lediglich<br />
die gewissenhafte Anamneseerhebung<br />
und klinische Untersuchung sind unabdingbar.<br />
Weiterführende Untersuchungen<br />
sind nur dann notwendig, wenn der<br />
betreuende <strong>Arzt</strong> sie auch sonst für wichtig<br />
erachtet. Bei fast der Hälfte der Kinder<br />
sind zusätzliche Herzgeräusche auskultierbar,<br />
auch hier ist weiterführende<br />
Diagnostik nur bei entsprechender Anamnese<br />
sinnvoll und geboten. 6<br />
Viele Fachgesellschaften – insbesondere<br />
auch die HNO-Ärzte – haben sich<br />
darauf geeinigt, klinisch gesunden Kindern<br />
vor einer ambulanten Operation<br />
eine Blutuntersuchung zu ersparen. 7 Das<br />
Blutungsrisiko sollte dabei routinemäßig<br />
anamnestisch erfragt werden. Hierzu<br />
haben sich spezielle Fragebögen – sogenannte<br />
„Nichtpieksbögen“ durchgesetzt<br />
(www.der-schlafdoktor.de/aktuelles).<br />
Gute Untersuchungen haben gezeigt,<br />
dass durch ein Routinelaborprogramm<br />
die Sicherheit nicht erhöht wird. Da Laboruntersuchungen<br />
fakultativer Leistungsbestandteil<br />
im EBM sind, führt der<br />
Kinderarzt sie auch noch umsonst durch.<br />
Während man früher recht großzügig<br />
eine Endokarditisprophylaxe bei verschiedenen<br />
Herzvitien empfahl, erwähnen<br />
die aktuell gültigen Empfehlungen<br />
nurmehr größere Herzoperationen,<br />
überstandene Endokarditis oder schwerste<br />
zyanotische Herzfehler. 8<br />
Bereits der voruntersuchende <strong>Arzt</strong> sollte<br />
die Eltern auf die Wichtigkeit der präoperativen<br />
Nahrungskarenz hinweisen.<br />
Speisen, Milch und fruchtfleischhaltige<br />
Flüssigkeiten dürfen sechs Stunden vor<br />
der Operation zuletzt eingenommen werden,<br />
klare Flüssigkeiten sind bis zwei<br />
Stunden vorher erlaubt. Nur für Säuglinge<br />
gibt es hier eine Erleichterung: Sie dürfen<br />
bis zu vier Stunden vor dem Eingriff Muttermilch<br />
oder Milchnahrung zu sich nehmen.<br />
Eine Dauer<strong>med</strong>ikation ist in aller<br />
Regel fortzusetzen, Tabletten dürfen auch<br />
vor der Operation mit einem kleinen<br />
Schluck Wasser eingenommen werden.<br />
Viel Aufwand, der lohnt<br />
Gut vorbereitete Eltern und Kinder haben<br />
ein geringeres Angstniveau. Neuere<br />
Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die<br />
besonders ängstlich oder tobend in die<br />
Narkose hineingehen, auch so wieder<br />
herauskommen. Gerade die häufig auftretenden<br />
postoperativen Erregungszustände<br />
sind nicht nur für Eltern und das<br />
ganze Team belastend, sie gefährden<br />
auch das operative Ergebnis (zum Beispiel<br />
HNO Nachblutung, Nahtinsuffizienz<br />
durch Bauchpresse nach Leistenbruch).<br />
Rundum gute Kontrolle der kleinen Patienten<br />
beim ambulanten Eingriff.<br />
Die Mühe wird durch extrabudgetär<br />
berechnungsfähige EBM Ziffern belohnt<br />
(EBM 31010 = 29,30 Euro), obligate<br />
Leistungsbestandteile sind Beratung,<br />
Aufklärung, Auswahl, Untersuchung<br />
und <strong>Arzt</strong>brief – nicht aber Labor oder<br />
weitere technische Untersuchungen.<br />
Über den Ablauf von Narkosen informieren<br />
verschiedene Internetseiten,<br />
selbstverständlich wird hier die Michelegeschichte<br />
empfohlen (www.der-schlafdoktor.de/michelegeschichte).<br />
1Auroy Y. Anaesth Analg 84 (1997) 234<br />
2Jöhr Anästhesie & Intensiv<strong>med</strong>izin 46 (2005) 358<br />
3Tinker et al: Role of monitoring devices in prevention<br />
of anesthetic mishaps: a closed claims analysis 71<br />
(1989) 541<br />
4Schulte-Sasse, Uwe: Fehler durch Kostendruck: Keine<br />
rechtlichen Konsequenzen bei „Managerpfusch“.<br />
Dtsch <strong>Arzt</strong>ebl 2009; 106(42): A-2061 / B-1763 / C-<br />
1727<br />
5Becke. Anästh & Intensiv<strong>med</strong> 48 (2007) S62<br />
6Becke. Anästh & Intensiv<strong>med</strong> 48 (2007) S62<br />
7Erberl: Gerinnungsstörungen, auf die Anamnese<br />
kommt es an. Deutsches Ärzteblatt 103 (2006) 1948.<br />
8<strong>Thöns</strong>, Germing, Mügge: Endocarditis-Prophylaxe<br />
nur noch bei Hochrisikopatienten. <strong>Der</strong> Hausarzt 9<br />
(2008) 50<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Matthias</strong> <strong>Thöns</strong>, Anästhesiepraxis<br />
<strong>Thöns</strong>-Müller-Berge GbR<br />
58452 Witten