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Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung / This catalogue is published<br />

on the occasion of the exhibition<br />

Looping Memories – Arbeiten aus einer Schweizer Videokunstsammlung / Works from<br />

a Swiss Video Art Collection<br />

Progr_ Zentrum für Kulturproduktion, Bern; 24.11.–19.12.09<br />

Art Karlsruhe 2010, Deutschland, 4.–7.3.2010<br />

Katalog & Ausstellung / catalogue & exhibition<br />

Bernhard Bischoff


Looping Memories – Arbeiten aus einer Schweizer Videokunstsammlung<br />

Bernhard Bischoff<br />

Kunst raubt den Schlaf<br />

Meistens habe ich einen guten Schlaf;<br />

ich lege mich ins Bett, Licht aus, Augen<br />

zu – und weg bin ich. Manchmal ist alles<br />

anders: Dann liege ich im Bett und wälze<br />

Gedanken. Pläne entstehen aus dem<br />

Nichts, Ideen nehmen Form an, Wünsche<br />

formulieren sich aus wolkigen Phantasien.<br />

Oft sind es auch kürzlich vorgefallene<br />

Situationen, die sich, wie ein Film, vor<br />

dem inneren Auge abspulen, immer und<br />

immer wieder, bis der Film endlich reisst<br />

und das «In-sich-hinein-und-immerwieder-neu-Denken»<br />

endlich vom Schlaf<br />

übermannt wird. Dieses Gedankenwälzen<br />

nennt man im Englischen «Looping<br />

Memories», was so viel wie immer<br />

wiederkehrende, kreisende Erinnerungen<br />

bedeutet. Sind es bei mir meist<br />

anstehende Aufgaben, an deren Lösung<br />

ich arbeite, eine nächstens zu treffende<br />

Entscheidung oder persönliche Erlebnisse,<br />

die so vor dem Schlaf verarbeitet<br />

werden, kann das Ganze ins Pathologische<br />

kippen, etwa bei Menschen mit<br />

Nahtoderfahrung, Überlebende von Katastrophen<br />

oder furchtbaren Erlebnissen,<br />

wie Entführungen, Vergewaltigungen<br />

oder Kriegssituationen. Letztere «Looping<br />

Memories» sind sehr belastend und<br />

bedürfen professionell-psychologischer<br />

Hilfe. Ich möchte nicht einen Essay<br />

über diese schwere Form von «Looping<br />

Memories» schreiben, sondern einen<br />

speziellen Sonderfall herauspicken, dem<br />

ich auch immer wieder selbst erliege: die<br />

Entscheidung, ob man ein Kunstwerk<br />

erwerben soll oder nicht. Was für «Nicht-<br />

Kunstsammelnde» völlig kurios klingen<br />

mag, nimmt für KunstsammlerInnen oft<br />

existenzielle Dimensionen an, nämlich<br />

die Liebe auf den ersten Blick zu einem<br />

Werk und der Prozess des Erwerbs.<br />

Nun, es gibt SammlerInnen, die zücken<br />

nach Erblicken eines Werkes gleich das<br />

Scheckbuch – und verleiben das gekaufte<br />

Werk ihrer Sammlung ein. Die Mehrheit<br />

der SammlerInnen jedoch sieht ein Werk<br />

und wägt dann lange ab, ob dieses überhaupt<br />

in die eigene Sammlung passt.<br />

Dazu wird ein innerer Dialog geführt mit<br />

anderen Werken; es ist beinahe so, als<br />

ob die Sammlung kundtut, ob das neu ins<br />

Auge gefasste Objekt der Begierde den<br />

bisherigen Bestand positiv beeinflusst<br />

und bereichert – oder eben nicht. Dann<br />

kommt die finanzielle Komponente hinzu:<br />

Kann man sich das Werk überhaupt<br />

leisten? Dann die räumliche: Hat es<br />

genügend Platz in der Sammlung, oder<br />

muss man sich von einem anderen Werk<br />

trennen? Dann die emotionale: Wird<br />

man sich wohl fühlen mit dem neuen<br />

Ding – oder wird der erste «Coup-decœur»<br />

rasch abflauen? Und zuletzt die<br />

alles entscheidende Frage: Wird man das<br />

Werk bald schon langweilig finden – und<br />

5


damit gar an der eigenen Sammlungskompetenz<br />

zweifeln? Dieser Prozess des<br />

Erwägens verläuft bei allen Sammelnden<br />

anders, ist aber für alle nicht nur<br />

psychisch eine Belastung, sondern auch<br />

physisch. Ich erlebe sowohl bei KundInnen,<br />

als auch bei mir immer die gleichen<br />

Muster: Innere Unruhe, leichtes Zittern<br />

der Stimme und der Hände, ein schnellerer<br />

Augenaufschlag, bei manchen zucken<br />

gar die Augenwinkel, und oft kriegt man<br />

leicht verschwitzte Hände. Muss man<br />

sich nicht sofort entscheiden, sondern<br />

hat nach dem Besuch einer Ausstellung,<br />

eines Ateliers oder nach Erhalt eines<br />

Auktionskatalogs Zeit zum Überdenken,<br />

so dauern diese Erwägungen längere<br />

Zeit an. Ja, und man nimmt sie auch mit<br />

ins Bett – und überlegt dann unter der<br />

Daunendecke weiter, geht immer wieder<br />

die oben genannten Fragen durch – und<br />

schon ist man mitten drin in den «Looping<br />

Memories». Alles dreht sich ums<br />

Werk, das Dafür und das Dawider, hin<br />

und her – und Heilung gibt’s erst dann,<br />

wenn man sich definitiv für oder gegen<br />

einen Kauf entschieden hat. Die Menschen,<br />

die die Arbeiten, die in diesem<br />

Katalog vorgestellt werden, erworben<br />

haben, haben sicherlich unzählige derartiger<br />

«Looping Memories» durchgemacht.<br />

Doch das langjährige Leiden war<br />

nicht umsonst: Die Ausstellung ist der<br />

Lohn für all die durchwachten Stunden.<br />

Sammlung Carola und Günther<br />

Ketterer-Ertle<br />

Ich kenne Carola Ertle Ketterer und<br />

Günther Ketterer nun schon etliche<br />

Jahre und habe dabei auch das Anwachsen<br />

ihrer Sammlung miterlebt. Familiär<br />

vorbelastet 1 , hat sich das Ehepaar<br />

Ketterer-Ertle früh für Kunst interessiert<br />

und in den 1980er-Jahren mit dem<br />

gemeinsamen Sammeln begonnen.<br />

Natürlich war es zuerst das Interesse<br />

an den deutschen Expressionisten, dann<br />

kamen, als logische Konsequenz, die als<br />

postexpressionistisch zu bezeichnenden<br />

Strömungen der 1980er-Jahre dazu,<br />

deren Werke Eingang in die Sammlung<br />

fanden 2 . Neben dieser klar erkennbaren<br />

Linie, waren es aber immer wieder<br />

KünstlerInnenfreundschaften, die die<br />

Sammlung stetig wachsen liessen.<br />

Dabei legten sie vor allem Wert darauf,<br />

die Kunstschaffenden, mit wenigen<br />

Ausnahmen vorwiegend aus dem Espace<br />

Mittelland stammend 3 , persönlich<br />

kennen zu lernen. Der direkte Austausch<br />

war stets Grundlage für die Sammlungstätigkeit.<br />

Haben KünstlerInnen einmal<br />

Eingang in die Sammlung gefunden, so<br />

blieb das Sammlerpaar diesen meistens<br />

über Jahre hinweg treu und kaufte<br />

regelmässig neue Werke an. So gibt es<br />

etliche Kunstschaffende, die mit mehreren<br />

Werken aus verschiedenen Schaffensphasen<br />

in der Sammlung vertreten<br />

sind. Sukzessive haben sie so über die<br />

Jahre hinweg eine umfangreiche Sammlung<br />

zusammengetragen, deren Zusammensetzung<br />

mit Fug und Recht wohl als<br />

einzigartig bezeichnet werden kann 4 . Es<br />

waren nie die klingenden Namen, die den<br />

Ausschlag für einen Ankauf gaben. Viele<br />

Karrieren haben denn auch mit einem<br />

Verkauf an die Sammlung Carola und<br />

Günther Ketterer-Ertle begonnen. Waren<br />

es zu Beginn ausschliesslich zweidimen-<br />

sionale Arbeiten, kamen im Laufe der<br />

Zeit auch Skulpturen, Objekte, KünstlerInnenbücher<br />

und seit 1996 Videokunst<br />

dazu 5 . Seither kaufen Carola Ertle Ketterer<br />

und Günther Ketterer immer noch<br />

breit gefächert Kunst, haben aber einen<br />

besonderen Sammlungsschwerpunkt auf<br />

die Videokunst gelegt. Im Laufe der Zeit<br />

haben sie ihre Sammlung ausgebaut und<br />

auch begonnen, interaktive Medienprojekte<br />

zu sammeln, zum Teil auch grosse<br />

Installationen. Im Gegensatz zu vielen<br />

GrosssammlerInnen «leben» sie mit<br />

ihrer Kunst. In eigens umgebauten Lofts<br />

präsentieren sie dauernd eine Auswahl<br />

ihrer Arbeiten, durchaus auch mal neben<br />

gewaschener Wäsche oder einer reich<br />

gedeckten Tafel. Es ist die sich mit Kunst<br />

dauernd ändernde Atmosphäre, die tagtäglich<br />

herausfordert und bewegt, die sie<br />

interessiert. Ihr Lebensraum gleicht eher<br />

einem SammlerInnenatelier, als einer<br />

Wohnung. Kunst ist omnipräsent und<br />

prägt auch das Leben neben dem Beruf.<br />

Beide sind mannigfaltig involviert in kulturelle<br />

Projekte, genannt seien etwa die<br />

Zusammenarbeit mit der Hochschule der<br />

Künste Bern, das Engagement für die<br />

Kunsthalle Bern – oder und vor allem die<br />

Initiative Videokunst.ch 6 . Der Aufenthalt<br />

in den Privaträumen des Sammlerpaars<br />

ist sehr bereichernd, mischen sich doch<br />

Spitzenwerke aus der ersten Hälfte des<br />

20. Jahrhunderts mitunter mit unbekannten<br />

Produktionen aus der Gegenwart.<br />

Wie selbstverständlich stehen sich<br />

dann etwa Videoprojektionen mit Gemälden<br />

Ernst Ludwig Kirchners gegenüber.<br />

Die Technik hat vieles in Zusammenhang<br />

mit dem Sammeln von Videokunst<br />

erleichtert. Die Arbeiten können zentral<br />

auf einem Rechner gespeichert und per<br />

Mausklick aufgerufen werden. Videokunst<br />

kann also rasch und unkompliziert<br />

digital «umgehängt» werden. Ein klassisches<br />

Bild, das nicht der aktuellen Laune<br />

entspricht, hängt man nicht einfach so<br />

schnell mal um. Eine neue DVD hingegen<br />

schiebt man einfach rasch ins Lesegerät<br />

– und schon passt die Kunst zum Gemütszustand.<br />

Leben mit Kunst hat etwas<br />

sehr Beruhigendes; sie ist da, bereichert<br />

den Raum, ja erweitert den Raum, auch,<br />

wenn dieser von oben bis unten förmlich<br />

zugepflastert erscheint. Carola Ertle<br />

Ketterers und Günther Ketterers Räume<br />

sind zugepflastert, am Boden stehen<br />

zudem Werke herum, die sich erst<br />

bewähren müssen; und im Lager ruhen<br />

Schätze, die in regelmässigen Abständen<br />

wieder ans Licht geholt werden. Auf den<br />

ersten Blick franst die Sammlung in verschiedene<br />

Richtungen 7 aus; doch gerade<br />

dieses Ausfransen hat das Sammlerpaar<br />

zur Maxime seines Sammelns erklärt.<br />

Videokunst? Videokünste!<br />

Eine Definition von Videokunst fällt<br />

schwer, ist das bewegte Bild doch meistens<br />

einfach das technische Medium, um<br />

eine Idee zu transportieren. Es wäre wohl<br />

angebrachter, von Videokünsten zu sprechen,<br />

die sich in zahlreiche, auch ganz<br />

unterschiedliche Gebiete auffächern,<br />

wie etwa narrative, dokumentarische,<br />

experimentelle, konzeptuelle, performative<br />

oder computeranimierte Arbeiten;<br />

aber ebenso Videoskulpturen, passive<br />

oder interaktive Installationen und gar<br />

Internetprojekte umfassen. Durch die<br />

6 7


Vielfalt der Medien ist man meist dazu<br />

übergegangen, von Medienkunst zu sprechen,<br />

um damit alle Felder abzudecken.<br />

Als langjähriger «Videokunstaktivist» 8<br />

habe ich selber eine eher enge Definition<br />

von Videokunst; und die deckt sich recht<br />

genau mit der von Carola Ertle Ketterer<br />

und Günther Ketterer. «Videokunst» hat<br />

zahlreiche Nachbarn: etwa Film, Dokumentarfilm,<br />

Kurzfilm, Musikclip, Animationen,<br />

Computerspiele oder das Fernsehen.<br />

Allen ist gemein, dass es sich um<br />

bewegte Bilder handelt. Imitiert nun aber<br />

Videokunst eines der oben genannten<br />

Medien 9 , so wird sie es immer schwierig<br />

haben, liegen doch die unterschiedlichen<br />

Produktionsbudgets meist meilenweit<br />

auseinander. Darum scheitern Videoarbeiten<br />

in fast allen Fällen von vorneherein,<br />

wenn sie sich zu nahe an Film & Co<br />

anlehnen. Ein, wenn auch mit Liebe und<br />

in stundenlanger Arbeit, hergestelltes<br />

Animationsvideo kann nie konkurrenzieren<br />

mit Disney oder Pixar – und professionelle<br />

Dokumentarfilme kosten Millionenbeträge,<br />

sind professionell mit einem<br />

grossen Team und fundiert gemacht;<br />

da hilft auch der verwackelte Charme<br />

einer KünstlerInnenvideokamera nichts.<br />

Zudem hat mittlerweile jedes Handy eine<br />

Filmfunktion; ein bisschen Nightshot, die<br />

Farben verändert – und schon ist man<br />

selber VideokünstlerIn. War die Postproduktion<br />

bis in die 1990er-Jahre hinein<br />

nur ein paar eingeweihten KünstlerInnen<br />

geläufig, gibt es nun auf jedem Rechner<br />

vorinstallierte Videoprogramme, die erst<br />

noch kinderleicht zu bedienen sind. Nun,<br />

ich glaube trotzdem an die Videokunst,<br />

denn ihr grosser Trumpf ist es, dass<br />

man (fast) ohne Budget, aber mit einer<br />

tollen Idee, spannende Arbeiten am Puls<br />

der Zeit machen kann. Nur wünsche<br />

ich mir, dass sich die Videokunst quasi<br />

«zurückemanzipiert» zu einer einfachen,<br />

aber bestechenden Sprache. Nun, um es<br />

vorwegzunehmen, Carola Ertle Ketterer<br />

und Günther Ketterer sammeln viel –<br />

aber eben nicht alles. Sie interessieren<br />

sich stark für politisch motivierte Arbeiten;<br />

es findet sich aber zum Beispiel<br />

keine einzige dokumentarische Arbeit in<br />

ihrer Sammlung; nicht, weil die soziopolitische<br />

Relevanz solcher Arbeiten das<br />

sozial sehr engagierte Ehepaar nicht<br />

interessieren würde – aber sie finden,<br />

dass das Genre «Dokumentarfilm»<br />

die Themen viel besser abdeckt. Auch<br />

suchen sie eher Clip-artige Arbeiten, die<br />

in etwa fünf Minuten dauern. Längere<br />

Arbeiten fielen oft auseinander, so die<br />

SammlerInnen. Und zudem möchten<br />

sie selber entscheiden können, wann<br />

sie eine Blackbox verlassen – ohne sich<br />

dem Diktat zu beugen, eine Stunde oder<br />

länger eine Arbeit anschauen zu müssen.<br />

Der Kulturphilosoph Dr. Gerhard<br />

Johann Lischka, der die Entwicklung der<br />

Medienkunst von Anfang an mitverfolgt<br />

und -geprägt hat sowie Herausgeber<br />

zahlreicher Texte und Kompilationen zu<br />

Medienkunst ist, hat mir im Gespräch<br />

einmal gesagt, man sehe bereits nach<br />

ein paar Sekunden, ob eine Arbeit spannend<br />

sei oder nicht. Als Gründer des<br />

Berner Videofestivals kann ich dem nur<br />

beipflichten: Ich habe damals weit über<br />

tausend Arbeiten visioniert und das Gleiche<br />

festgestellt: nur selten musste eine<br />

Arbeit ganz gesehen werden, um an der<br />

subjektiven, ersten Wahrnehmung und<br />

Einstellung etwas zu ändern. Eine Arbeit<br />

interessierte von Beginn weg; oder gar<br />

nicht. Objektiv gesehen, und durch diese<br />

Brille muss man in einer Jury natürlich<br />

schauen, musste man zwingend alle Arbeiten<br />

bis zum Schluss gesehen haben;<br />

subjektiv hat sich aber selten etwas am<br />

ersten Eindruck geändert. Ich habe mir<br />

das immer mit dem Blick auf Tafelbilder<br />

zu erklären versucht. Wie oft bin ich<br />

schon durch Museen und Ausstellungen<br />

spaziert, habe mal links, mal rechts<br />

geschaut, ja, die Werke eigentlich mehr<br />

gescannt, als geschaut – und doch blieben<br />

meine Augen immer wieder an jenen<br />

Werken hängen, die mich auf Grund des<br />

schnellen, visuellen Abtastens angesprochen<br />

haben. Natürlich ändert sich der<br />

Blick mit den Jahren; und was vor Jahrzehnten<br />

relevant erschien, ist heute nicht<br />

mehr der Rede wert. Ich meine aber,<br />

dass das geschulte Auge Vorlieben sehr<br />

rasch entdeckt, ja, sogar den Blick aktiv<br />

auf das uns Interessierende lenkt. Es gibt<br />

SammlerInnen, die beschäftigen mehrere<br />

BeraterInnen aus verschiedenen<br />

Fachgebieten, so dass diese ihnen, unabhängig<br />

vom eigenen Geschmack, die Rosinen<br />

aus dem Kunstmarkt herauspicken<br />

und vermeintlich “komplette“ Sammlungen<br />

zusammenstellen. Carola Ertle<br />

Ketterer und Günther Ketterer gehen<br />

anders vor: Sie lassen ihre Sammlung<br />

zwar professionell betreuen, wählen aber<br />

immer persönlich und gemeinsam aus.<br />

Mal sieht Carola Ertle Ketterer was und<br />

schickt zur Bestätigung Günther Ketterer<br />

hin, mal umgekehrt. Es kam auch schon<br />

vor, dass sich die beiden das Gleiche<br />

zu Weihnachten schenken wollten. Die<br />

Schulung ihres Geschmacks liess ihre<br />

Interessen herauskristallisieren; und die<br />

liegen bis jetzt nun einmal nicht bei rein<br />

narrativen, und noch weniger bei Arbeiten<br />

mit dokumentarischem Charakter.<br />

Und darum fehlen solche Arbeiten auch<br />

fast vollständig in der Sammlung und<br />

dementsprechend in der Ausstellung.<br />

Zur Ausstellung<br />

Die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle<br />

umfasst bis heute gegen 70<br />

Videoarbeiten – von unlimitierten Editionen<br />

bis grossen, aufwendigen Videoinstallationen.<br />

Für die Ausstellung «Looping<br />

Memories» habe ich eine ganz persönliche<br />

Auswahl getroffen, die aber sehr<br />

gut den aktuellen Sammlungsbestand<br />

wiedergibt. Es ist genau dieser Mix von<br />

Arbeiten, der die Sammlung auszeichnet:<br />

Offen sein für Neues, keine Berührungsängste<br />

haben, sammeln nicht nach Namen.<br />

Ich habe ausschliesslich Arbeiten<br />

zusammengestellt, die sich mit Erinnerungen<br />

und dem Ablauf von Zeit befassen.<br />

Darstellungen von Traum und Wirklichkeit,<br />

bzw. das Wandeln dazwischen,<br />

waren inhaltliche Leitplanken, die meine<br />

Auswahl beeinflussten. Manche Arbeiten<br />

sind ernst, andere melancholisch oder<br />

ironisch und manchmal sogar humorvoll.<br />

Alle Arbeiten sind als «Loops» konzipiert,<br />

also als Werke, die in Endlosschlaufen<br />

gezeigt werden. Diese dauernden Wiederholungen,<br />

die Repetition des immer<br />

Gleichen führt auch wieder zurück zum<br />

Titel der Ausstellung. Entstanden ist eine<br />

Mischung von ungefähr 30 Arbeiten von<br />

19 KünstlerInnen, verteilt über die ganze<br />

Ausstellungszone im PROGR_Zentrum<br />

für Kulturproduktion. Manche Arbeiten<br />

8 9


stehen solitär im Raum, manche werden<br />

zu Gruppen zusammengefasst. Die ungewöhnliche,<br />

dichte Präsentation drängte<br />

sich wegen der knappen Platzverhältnisse<br />

förmlich auf. Man darf eintauchen,<br />

durch die Ausstellung mäandrieren,<br />

genau hin- und auch bewusst wegschauen.<br />

Die einzelnen Werke weben einen<br />

Teppich des Erinnerns und laden ein zum<br />

neugierigen Erkunden von gut 10 Jahren<br />

Videokunst. Eigene Erinnerungen werden<br />

zwangsläufig mit den gebotenen visuellen<br />

Bildern verschmelzen. Fragen werden<br />

auftauchen, und die Suche nach Antworten<br />

wird beginnen – und schon sind<br />

sie wieder da, die «Looping Memories».<br />

10<br />

1) Günther Ketterers Vater war der Auktionator<br />

Roman Norbert Ketterer (1911–2002); seine<br />

Schwester Ingeborg leitet mit ihrem Gatten,<br />

Dr. Wolfgang Henze, die in Wichtrach/Bern<br />

ansässige Galerie Henze & Ketterer, an der<br />

Günther Ketterer beteiligt ist.<br />

2) Junge Wilde, etwa Helmut Middendorf, Rainer<br />

Fetting, Salomé oder Elvira Bach.<br />

3) Die geografische Verortung ist nicht zwingend;<br />

doch meistens der Fall. Ab und zu werden Werke<br />

auch auf Messen oder bei Galeriebesuchen gekauft,<br />

und der Kontakt zu den KünstlerInnen erst im<br />

Nachhinein hergestellt.<br />

4) Ausstellung «SOME FROM BERN, SOME FROM<br />

ELSEWHERE Die Sammlung Carola und Günther<br />

Ketterer-Ertle» im Museum Liner, Appenzell,<br />

28.1. – 29.4.2007.<br />

5) Nach einem Besuch der Ausstellung «Der<br />

dritte Ort. Le troisième lieu», im Centre PasquArt,<br />

Biel, 17.2.–7.4.1996, zusammen mit dem Künstler<br />

Franticek Klossner ist der Funke übergesprungen.<br />

Auch ein Vortrag von Prof. Boris Groys am<br />

25.5.2000 an der Universität Bern mit dem Titel<br />

«Das bewegte Bild und der bewegte Betrachter» hat<br />

das Interesse an Videokunst nachhaltig geprägt.<br />

7) Gegründet 2005 zusammen mit den Galerien<br />

Henze & Ketterer und Bernhard Bischoff & Partner.<br />

www.videokunst.ch versteht sich als Plattform<br />

für die Vernetzung von Videokunstschaffenden,<br />

KunstvermittlerInnen und dem Publikum.<br />

8) Zum Teil erkennt man grobe Linien; dann wiederum<br />

taucht auch ein singuläres Werk auf, das<br />

erst an die Sammlung angedockt werden muss.<br />

Gründer des Videofestivals “V.I.D.“ in Bern,<br />

“white clube & back box“ in der tonimolkerei<br />

Zürich, zahlreiche Vorträge und Artikel zu<br />

Schweizer Videokunst, verschiedene Ausstellungen<br />

zu und mit Videokunst.<br />

9) Und zwar nicht ironisch, wie ein Christian<br />

Jankowski oder Yan Duyvendak.<br />

11


Looping Memories – Works from a Swiss Video Art Collection<br />

Bernhard Bischoff<br />

Art robs me of my sleep<br />

Usually I sleep very well; I get into bed,<br />

turn out the light, close my eyes and off<br />

I go. But sometimes things are different:<br />

I then lie in bed, awake, and churn<br />

thoughts around in my mind. Plans evolve<br />

from nothing, ideas take shape, wishes<br />

emerge from nebulous fantasies. Often<br />

my thoughts turn to situations that occurred<br />

only a few days ago, making them<br />

flicker past my mind’s eye like a film loop,<br />

again and again, until the screen finally<br />

blacks out and their constant over and<br />

over repetition is at long last overcome<br />

by deep slumber. We call this endless<br />

turning over of thoughts and situations<br />

“looping memories”. While in my own particular<br />

case they are usually unresolved<br />

tasks and problems, decisions that still<br />

have to be taken or just personal experiences<br />

that call for a bit of thought before<br />

falling asleep, with some individuals the<br />

whole thing can take a pathological turn<br />

– with those of us, for example, who have<br />

had what are called “near-death experiences”,<br />

or are survivors of catastrophes or<br />

such terrifying experiences as kidnapping,<br />

rape or war. “Looping memories” in such<br />

cases cause extreme emotional strain<br />

and call for professional psychiatric help.<br />

However, it is not my intention to write an<br />

essay on such serious cases but to pick<br />

out a special case of “looping memory” to<br />

which I myself fall victim again and again:<br />

it is always the nagging decision as to<br />

whether or not I should buy a particular<br />

work of art. What might seem curiously<br />

insignificant to non-collectors of art often<br />

assumes existential proportions for the<br />

art collector, namely his falling in love<br />

with a work of art at first sight and the<br />

subsequent process of acquiring it. Now<br />

there are collectors who pull their cheque<br />

books out of their pockets immediately<br />

as they set their eyes on a work – and<br />

then simply add it willy-nilly to the other<br />

works of their collection. The majority of<br />

collectors, however, spend a long time<br />

thinking about whether a work they have<br />

seen will in fact fit in with their collection.<br />

Indeed, they conduct an inner dialogue, as<br />

it were, with the other works; it is almost<br />

as though the collection itself decides<br />

whether this most recent object of desire<br />

will positively influence and enrich its<br />

existing works – or not. Then there is the<br />

question of money: can I even afford it?<br />

And then the question of space: is there<br />

still enough room in the collection or<br />

shall I have to part with some other work?<br />

And then the emotional question: shall I<br />

continue to be happy with the new addition<br />

– or will the initial “coup-de-cœur”<br />

soon wane? And, finally, the all-decisive<br />

question: shall I soon get bored with the<br />

work and, by the same token, cast doubt<br />

on my own competence as a collector?<br />

While this process of reflection differs<br />

from one collector to the next, it is always<br />

a strain, both mentally and physically.<br />

The behavioural pattern is always the<br />

same, not only with my own self but also,<br />

I notice, with my customers: inward agitation,<br />

a slight quivering of the voice and the<br />

hands, a repeated upward cast of the eyes<br />

and, in some cases, even a twitching of<br />

the corners of the eyelids, not infrequently<br />

accompanied by a sweating of the hands.<br />

If we do not have to decide immediately<br />

but have time to think things over after<br />

visiting an exhibition or studio or receiving<br />

an auction catalogue, this process of<br />

reflection is an ongoing one. Indeed, we<br />

take it to bed with us – and continue to<br />

brood under the bedclothes, pondering<br />

over the aforementioned questions and,<br />

before we know it, landing smack bang<br />

in the middle of our “looping memories”.<br />

And the loop goes round and round, to-ing<br />

and fro-ing us through the pros and cons,<br />

not letting up until we finally decide one<br />

way or another. The works presented in<br />

this catalogue are sure to have triggered<br />

such “looping memories” in their buyersto-be.<br />

But the mental and physical torment<br />

was not in vain: this exhibition is the<br />

reward for all their many sleepless nights.<br />

The Carola and Günther Ketterer-<br />

Ertle Collection<br />

I have known Carola Ertle Ketterer and<br />

Günther Ketterer for a great many years<br />

and have also witnessed, and been<br />

involved in, the gradual growth of their<br />

collection. Not least by reason of their<br />

family history 1 , Carola Ertle Ketterer and<br />

Günther Ketterer took an early interest in<br />

art and together began collecting in the<br />

1980s. As was only to be expected, their<br />

main interest was initially in the German<br />

Expressionists, but then, quite logically,<br />

it was the Neo-Expressionist works of<br />

the 1980s that soon found their way into<br />

the collection 2 . But besides this clearly<br />

recognizable trend, Carola Ertle Ketterer<br />

and Günther Ketterer also augmented<br />

their collection with the works of artists<br />

whom they had come to know personally<br />

– they attached great importance to this –<br />

and who came, with only a few exceptions,<br />

from the Mittelland region of Switzerland 3 .<br />

This direct exchange between artists and<br />

collectors has always been a prerequisite<br />

for inclusion in the collection. And once an<br />

artist’s works found their way into the collection,<br />

the collectors would remain loyal<br />

to him or her for many years to come and<br />

purchase their works at regular intervals.<br />

Thus it is that many artists are represented<br />

in the collection by works from various<br />

phases of their careers. Over the years<br />

the collection has grown vastly and, in<br />

terms of its constituent works, may surely<br />

be considered unique 4 . It was never the<br />

name that clinched the purchase, and so<br />

many an artist’s career could begin with a<br />

sale of his or her work to the Carola and<br />

Günther Ketterer-Ertle Collection. While<br />

in the beginning they collected only twodimensional<br />

works, other genres were<br />

added in the course of time: sculptures,<br />

objects, artists’ books and, since 1996,<br />

video art 5 . Since then, Carola Ertle Ketterer<br />

and Günther Ketterer have still been<br />

collecting art on a broad scale, but the<br />

actual focal point of the collection is now<br />

video art. Over recent years, this genre<br />

has grown enormously and now includes<br />

interactive media projects and even large<br />

12 13


installations. Unlike many large-scale collectors,<br />

Carola Ertle Ketterer and Günther<br />

Ketterer “live” with their art, permanently<br />

presenting a selection of works in specially<br />

converted lofts, often amidst freshly<br />

washed laundry or around an elegantly<br />

laid table. An atmosphere that continually<br />

changes through art, an atmosphere<br />

that challenges and motivates day in,<br />

day out – that’s what keeps their interest<br />

alive. Their living environment is more<br />

like a collector’s studio than a home. Art<br />

is omnipresent and makes its mark both<br />

on their professional and on their private<br />

lives. Both of them are involved in a<br />

great many cultural projects – take, for<br />

example, their collaboration with Berne<br />

University of the Arts, their dedicated<br />

work for the Kunsthalle in Berne or, and<br />

above all, their initiative as co-founders of<br />

Videokunst.ch 6 . Anyone lucky enough to<br />

spend some in the private rooms of their<br />

residence is richly rewarded, for it is there<br />

that classic works of the first half of the<br />

20th century mingle with unknown works<br />

of the present. Seemingly as a matter of<br />

course, for example, video projections<br />

stand opposite paintings of Ernst Ludwig<br />

Kirchner. Technology has done much to<br />

facilitate the collecting of video art. The<br />

works can be stored on a central computer<br />

and retrieved at the click of a mouse.<br />

This digital facility permits a “rehanging”<br />

of works of video art in a jiffy. Any classic<br />

painting that is out of keeping with<br />

your present mood cannot be rehung so<br />

readily. A new DVD, on the other hand, can<br />

simply be inserted into the DVD reader<br />

and you’ve already matched your mood!<br />

There is something very calming about<br />

living with art; it is there, it enriches the<br />

room, indeed it expands it, even though<br />

its walls may be quite literally papered<br />

over with art from top to bottom. Carola<br />

Ertle Ketterer’s and Günther Ketterer’s<br />

rooms are no exception, and even the<br />

floors are dotted with works that have<br />

yet to prove themselves; and lying at<br />

rest in the darkness of the storeroom<br />

are treasures that are brought back into<br />

the daylight at regular intervals. At first<br />

glance, the collection seems to straggle<br />

in different directions 7 , but it is precisely<br />

this straggling that is the very essence<br />

of the concept behind the collection.<br />

Video art? Video arts!<br />

Video art is difficult to define, for in most<br />

cases the moving image is nothing more<br />

than the technical means by which the<br />

idea behind the work is conveyed. It would<br />

be more apt to speak of video arts, for<br />

there are so many different categories,<br />

e.g. narrative, documentary, experimental,<br />

conceptual, performative, computer-animated<br />

etc., and not forgetting video sculptures,<br />

passive or interactive installations<br />

or even internet projects. This multitude<br />

of categories has led to the use of the<br />

all-embracing term “media art”. I myself,<br />

as a “video art activist” of many years’<br />

standing 8 , have adopted a much narrower<br />

definition of video art, and one that exactly<br />

matches Carola Ertle Ketterer’s and<br />

Günther Ketterer’s own definition. “Video<br />

art” has a great many “neighbours”, such<br />

as feature films, short films, documentary<br />

films, music clips, animated films,<br />

computer games and television. Common<br />

to all of them is the moving image, but if<br />

a video artist attempts to imitate any one<br />

of the above-mentioned media 9 , he or she<br />

will always be up against insurmountable<br />

difficulties, not least on account of the<br />

vast difference in production budgets. This<br />

is why video artworks are almost always<br />

doomed from the very outset whenever<br />

they venture into any of these neighbouring<br />

domains. No matter how much time,<br />

effort and loving attention to detail go into<br />

its production, an animated video film can<br />

never compete with Disney or Pixar – and<br />

professional documentaries cost millions<br />

and are made by teams of experts<br />

that really know their stuff. Not even the<br />

human warmth and appeal of an artist’s<br />

shaky videocam can offset that. Moreover,<br />

almost every mobile phone now has<br />

a video function – just a few night shots<br />

with alienated colours and you’re already<br />

a video artist! And while postproduction<br />

techniques were the reserve of only a few<br />

initiated video artists well into the 1990s,<br />

every computer is today equipped with<br />

video software that couldn’t be easier to<br />

use. Nonetheless, I still put all my faith<br />

in video art, for its one great trump card<br />

is the fact that, with a fantastic idea and<br />

(almost) no money, one can produce<br />

exciting works at the cutting edge of the<br />

time. My only wish is that video art could<br />

perhaps “emancipate itself back”, as it<br />

were, to a language of form and content<br />

that is able to captivate the viewer through<br />

its very simplicity. Now – and this is where<br />

I am coming to the point – Carola Ertle<br />

Ketterer and Günther Ketterer collect a lot<br />

of video art, but not everything. While they<br />

are deeply interested in politically motiv-<br />

ated videos, there is not one single documentary<br />

video in their collection – not that<br />

they would not be interested in the sociopolitical<br />

relevance of such videos, for they<br />

are themselves socially committed to a<br />

high degree, but they hold the opinion<br />

that such issues are better covered by the<br />

genre of the “documentary film”. They<br />

also prefer to collect clip-like works that<br />

have a duration of five minutes or so, as<br />

relatively long works often tend, they say,<br />

to fall apart. And besides, they themselves<br />

wish to be able to leave the “black box”<br />

whenever they like, without being obliged<br />

to continue watching a work that might<br />

still last a good hour or more. The cultural<br />

philosopher Dr. Gerhard Johann Lischka,<br />

who has been following, and been involved<br />

in, the development of media art since its<br />

inception, and who also has numerous<br />

publications on media art to his credit,<br />

once said to me in conversation that one<br />

can tell after only a few seconds whether<br />

a work of video art is exciting or not. As<br />

the founder of the Berne Video Festival I<br />

could not agree more. After viewing thousands<br />

of videos, I came to the same conclusion:<br />

only seldom was it necessary to<br />

change one’s initial subjective impression<br />

after viewing a video all the way through.<br />

Either a work was interesting from the<br />

very beginning or not at all. Objectively, of<br />

course, it is imperative – and not least for<br />

the jury – to view all works from beginning<br />

to end; subjectively, however, one’s<br />

initial impression hardly ever changes. I<br />

have always tried to explain this by drawing<br />

an analogy with paintings. How often<br />

I must have walked through museums<br />

and exhibitions, simply glancing to the<br />

right and to the left, just skimming over<br />

the paintings rather than looking at them,<br />

and yet my eyes would then come to rest<br />

14 15


again and again on those works that had<br />

appealed to me at my first fleeting glance.<br />

Naturally, this glance changes its preferences<br />

as years go by, and what seemed<br />

relevant decades ago is no longer worthy<br />

of mention today. But be that as it may, it<br />

is the trained eye that can quickly pick out<br />

what is preferred; indeed it is the trained<br />

eye that can even actively steer our gaze<br />

to what actually interests us. Some collectors<br />

avail themselves of the services<br />

of consultants from various special fields<br />

who, quite independently of one’s own<br />

taste, can pick the cherries out of the art<br />

market cake and put together what are<br />

supposedly “complete” collections. Carola<br />

Ertle Ketterer and Günther Ketterer do<br />

things differently: although they have their<br />

collection managed professionally, they<br />

always choose the works personally, and<br />

always together. Sometimes Carola Ertle<br />

Ketterer will find something and then<br />

send her husband to view and confirm,<br />

or vice versa. At times they have even<br />

wanted to give each other the same thing<br />

for Christmas. It is out of this continual<br />

exercise in choice that their common taste<br />

and interest have emerged, and so far<br />

there has been no noticeable leaning towards<br />

purely narrative works and still less<br />

a leaning towards works of a documentary<br />

character. Hence the almost complete<br />

absence of such works in the collection<br />

and, by the same token, in the exhibition.<br />

About the exhibition<br />

The Carola and Günther Ketterer-Ertle<br />

Collection today comprises approximately<br />

70 video works – from small, unlimited<br />

editions to large, complex video installations.<br />

For the exhibition “Looping Memories”<br />

I have made an altogether personal<br />

selection, but one that entirely reflects<br />

the collection’s present status. Indeed,<br />

it is precisely the mix of works exhibited<br />

that distinguishes this collection: open<br />

to things new, not afraid of contact, not<br />

influenced by names. I have focused my<br />

choice exclusively on works that have to<br />

do with memory and the passage of time.<br />

Representations of dream and reality<br />

and the transitional states in-between<br />

were the guiding influences behind my<br />

choice of content. Many of the works<br />

are serious; others are melancholic,<br />

ironic and sometimes even humorous.<br />

All works take the form of endless loops,<br />

their repetition of the same thing over and<br />

over again bringing us back to my opening<br />

words and to the title of the exhibition.<br />

The chosen exhibits comprise a mixture<br />

of around 30 works by 19 artists distributed<br />

over the entire exhibition zone of the<br />

PROGR_Zentrum für Kulturproduktion.<br />

Many works are stand-alones, while<br />

others are gathered together in groups,<br />

the unusually dense form of their presentation<br />

being due not least to the prevailing<br />

shortage of space. Visitors can quite<br />

literally plunge into their midst, meander<br />

where they like, look at what they like or<br />

even look away if they like. The exhibited<br />

works together weave a fabric of memories<br />

and invite the more curious among<br />

us to explore a good ten years of video<br />

history and allow our own memories to<br />

merge with the images offered. Questions<br />

inevitably crop up and the search<br />

for answers begins – and then there they<br />

are, yet again, those “looping memories”.<br />

1 ) Günther Ketterer’s father was the auctioneer<br />

Roman Norbert Ketterer (1911 – 2002); his sister<br />

Ingeborg and her husband Dr. Wolfgang Henze<br />

own and manage the Galerie Henze & Ketterer<br />

in Wichtrach/Berne, in which Günther Ketterer also<br />

holds an interest.<br />

2 ) “Junge Wilde”, typical examples being Helmut<br />

Middendorf, Rainer Fetting, Salomé and Elvira Bach.<br />

3 ) The geographical location is not imperative,<br />

but it is mostly the case. Works are occasionally<br />

purchased at fairs or galleries and the contact<br />

with the artists then established subsequently.<br />

4 ) “SOME FROM BERNE, SOME FROM ELSEWHERE<br />

Die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle”<br />

at the Museum Liner, Appenzell, 28.1. – 29.4.2007.<br />

5 ) Their interest in video art was sparked by a visit<br />

to the exhibition “Der dritte Ort – Le troisième lieu”<br />

at the Centre PasquArt, Biel (17.2. – 7.4.1996)<br />

together with the artist Franticek Klossner. A lecture<br />

delivered by Prof. Boris Groys on 25.5.2000 at the<br />

University of Berne entitled “Das bewegte Bild und<br />

der bewegte Betrachter” had an additional sustaining<br />

influence on their interest in video art.<br />

6 ) Founded in 2005 in association with the galleries<br />

Henze & Ketterer and Bernhard Bischoff & Partner,<br />

www.videokunst.ch serves as a networking platform<br />

for video artists, art dealers and members<br />

of the public.<br />

7 ) Some lines of direction are roughly discernible,<br />

but then occasionally one comes across an isolated<br />

work that has yet to be linked to the collection in<br />

some way.<br />

8 ) Founder of the video festival “V.I.D.” in Berne;<br />

organizer of “white clube & back box” at the<br />

Toni Molkerei Zürich; numerous lectures and<br />

articles on Swiss video art; various exhibitions on<br />

and with video art.<br />

9 ) Other than ironically à la Christian Jankowski<br />

or Yan Duyvendak.<br />

16 17


Peter Aerschmann<br />

*1969 Fribourg CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH<br />

Das Bildmaterial zu seinen Arbeiten<br />

fängt Peter Aerschmann mit der Kamera<br />

auf Strassen und Plätzen ein – mitten<br />

im Alltag, im pulsierenden Leben. Er<br />

isoliert einzelne Motive, wie Menschen,<br />

Vögel, Autos oder Pflanzen, aus ihrem<br />

ursprünglichen Umfeld, und baut sich<br />

mit diesen digital veränderten Versatzstücken<br />

ein visuelles Inventar seiner<br />

Umgebung auf. Aus diesem Fundus<br />

komponiert er fiktive Bildwelten, deren<br />

Kompositionen nichts mit einem Film zu<br />

tun haben, sondern vielmehr animierte<br />

Standbilder darstellen, die er als archetypische<br />

Stillleben unserer Zeit imaginiert.<br />

Er konstruiert virtuell ein Abbild<br />

der Realität, quasi die Simulation einer<br />

Welt, wie wir sie zu kennen meinen. Sein<br />

kompositorisches Vorgehen darf man<br />

ruhig als digitale Malerei bezeichnen. Die<br />

Bilder befremden, weil die Schnittstellen<br />

zur realen Welt schonungslos und<br />

immer wieder aufbrechen. Die ständige<br />

Wiederholung von Bewegungen ist nicht<br />

frei von Komik, und der absurde, stetig<br />

ablaufende Trott irritiert; man wird an<br />

Roboter erinnert oder an fremd gesteuerte<br />

Wesen. Zudem fehlt eine eigentliche<br />

Geschichte, eine Narration. Ansätze davon<br />

werden bei den interaktiven Arbeiten<br />

auch immer jäh durch den Knopfdruck<br />

der BetrachterInnen unterbrochen.<br />

Peter Aerschmann finds the material for<br />

his works among the hustle and bustle of<br />

streets and squares. With his camera he<br />

captures scenes of everyday life, isolating<br />

and digitally altering individual motifs<br />

such as people, birds, cars or plants, to<br />

add them to his visual archive of things<br />

– a rich fund for composing ficticious<br />

worlds that have nothing to do with film,<br />

but are very much like animated film<br />

stills the artist presents to us as some<br />

sort of archetypal still lives of our times.<br />

Thus Aerschman composes virtual images<br />

of reality, or simulations of a world<br />

as we seem to know it, using a method<br />

which may truly be called “digital painting”.<br />

His images irritate, on the one<br />

hand by relentlessly pulling us back to<br />

the real world, but also by their constant<br />

repetition of movements, which is<br />

comical and absurd, but also makes the<br />

figures appear like externally controlled,<br />

robot-like beings. Furthermore, there is<br />

no real story or narration. Indeed, in his<br />

interactive works the visitors can disrupt<br />

any suggestion of narrative by pressing<br />

a button provided for halting the image.<br />

Theatrum Mundi, 2007<br />

Software auf CD-ROM / Software on CD-ROM, Ed. 8<br />

18 19


Peter Aerschmann<br />

Eyes, 2006<br />

DVD, 12‘00‘‘, Ed. 5<br />

City Walking, 2005<br />

DVD, 00‘09‘‘, Ed. 3<br />

Raben, 2005<br />

DVD, 07‘00‘‘, Ed. 3<br />

Möwen, 2005<br />

DVD, 15’00’’, Ed. 3<br />

20 21


Pavel Büchel<br />

*1952 Prag CZ, lebt und arbeitet / lives and works in Manchester GB<br />

Der in der Tschechoslowakei aufgewachsene<br />

und heute in Grossbritannien lebende<br />

Pavel Büchler gehört zu den ersten<br />

VertreterInnen von Konzeptkunst im ehemaligen<br />

Osteuropa. Es waren Abbildungen<br />

von Ausstellungen aus dem Westen,<br />

die seine Kunstentwicklung wesentlich<br />

beeinflussten. Das so Gesehene mischte<br />

er mit den vorherrschenden Tendenzen<br />

im Osten. Er nimmt nichts als gegeben<br />

an und hinterfragt grundsätzlich jede<br />

Behauptung, sei sie nun politisch oder<br />

auch kulturell. Seine subtilen Eingriffe<br />

in Systeme wirken auf den ersten Blick<br />

harmlos, umso mehr, als er sich dabei<br />

oftmals älterer Technologien bedient.<br />

Dass er damit umso schonungsloser das<br />

vermeintlich Gute, da Akzeptierte, als<br />

Gehaltlos entlarvt, wird erst beim zweiten<br />

Hinschauen offensichtlich. Immer<br />

wieder nutzt er auch leicht manipulierte<br />

Fundstücke, um einen vordergründig<br />

als erwiesen angesehenen Beweis,<br />

hintergründig gleich hinfällig werden zu<br />

lassen. Das Spiel des doppelten Bodens<br />

beherrscht er vortrefflich; bleibt seinen<br />

Prinzipien dabei aber immer treu. Seine<br />

Nähe zur Literatur und deren Schöpfern<br />

liefert ihm immer wieder einen wunderbaren<br />

Nährboden für vielschichtige<br />

Interventionen und Interpretationen.<br />

22<br />

Pavel Büchler, who grew up in then<br />

Czechoslovakia but now lives in the UK,<br />

belongs to the first group of conceptual<br />

artists active in the former eastern<br />

Europe. Strongly influenced by pictures of<br />

exhibitions from the West, he mixed what<br />

he saw with trends prevalent in the East.<br />

Büchel is an artist who never accepts<br />

anything as a given truth, questioning<br />

any statement, political or cultural. At<br />

first his subtle interventions into systems<br />

seem harmless, especially so as he often<br />

draws on the effects of old technological<br />

devices. Only a second glance reveals<br />

that this is just how he ruthlessly exposes<br />

the shallowness of what seems good<br />

merely by being accepted. Again and<br />

again he also uses slightly manipulated<br />

found objects to debunk an apparently<br />

proven truth. Büchel is a master of dual<br />

meanings, but one who never abandons<br />

his own convictions. A further rich source<br />

of inspiration for his multifaceted inter-<br />

ventions and interpretations is literature,<br />

for which Büchel has a special affinity.<br />

Nodds, 2006<br />

Videoinstallation / video installation, Zwei Monitore / two monitors<br />

DVD, je / each 00’30’’, Ed. 3<br />

23


Costantino Ciervo<br />

*1961 Neapel IT, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin DE<br />

Constantino Ciervo sucht in seinen<br />

Arbeiten kritisch nach Antworten auf<br />

fundamentale Fragen der modernen Gesellschaft.<br />

Die zum Teil sehr provokativen<br />

und politisch die Grenzen auslotenden<br />

Inhalte verpackt er in perfekt konzipierte<br />

Videoobjekte und -installationen. Ein<br />

besonderes Augenmerk legt er auf die<br />

materielle Umsetzung der Ideen; unübersehbar<br />

ist dabei seine Nähe zur italienischen<br />

«Arte Povera». Alte Technikteile<br />

kombiniert er gekonnt mit neusten technischen<br />

Errungenschaften und schafft<br />

damit eine wunderbare Symbiose von Alt<br />

und Jung. Er baut so eine Brücke von der<br />

physischen Ausgestaltung der Werke zu<br />

seinen Inhalten, also den zum Teil unangenehmen<br />

Fragen, die die Menschen<br />

bereits seit Generationen beschäftigen.<br />

Seine Arbeiten machen weder vor alten,<br />

noch vor neuen Symbolen halt und hinterfragen<br />

auch manches Tabu. Er will nie<br />

belehren und verpackt seine Botschaften<br />

oft mit Witz und Ironie; so erreicht<br />

er, dass deren vielschichtiger Gehalt<br />

gerade mehrfach offensichtlich wird.<br />

Er versteht die Kunst als Aktions-, bzw.<br />

Reaktionsform auf die ihn umgebende<br />

Welt, und nicht selten werden BetrachterInnen<br />

ins Bild gesetzt, um sich dann<br />

beim Betrachten selber zuzuschauen.<br />

Constantino Ciervo’s works constitute a<br />

critical search for answers to fundamental<br />

questions in our society. His at times<br />

strongly provocative contents teetering<br />

on the brink of political incorrectness<br />

are conveyed through carefully designed<br />

video objects and installations, which<br />

reveal his close attention to the application<br />

of materials, and his obvious vicinity<br />

to the Italian movement of Arte Povera.<br />

He skillfully combines parts of old technological<br />

equipment with new inventions,<br />

thus creating a wonderful symbiosis of<br />

old and new, as well as building a bridge<br />

between the physical appearance of his<br />

works and their contents. His works<br />

neither avoid using old or new symbols,<br />

nor do they shirk away from touching on<br />

taboos - yet they have nothing schoolmasterly<br />

about them. Instead, his messages<br />

are couched in wit and irony and<br />

thus lend themselves to being interpreted<br />

in many different ways. He considers<br />

art a way to react to the things going on<br />

around us, and sometimes integrates<br />

the visitors into his works, so that they<br />

can obverse themselves being observed.<br />

Global Gene, 2007<br />

Sieben-Kanal-Videoinstallation / seven-channel video installation,<br />

7 Monitore / monitors, DVD, je / each ca. 20’00’’<br />

24 25


Costantino Ciervo<br />

26<br />

Alphabetically, 2005<br />

Videoobjekt/video object, alte Schreibmaschine, Bewegungsmelder, Monitor /<br />

Old typing machine, motion detector, monitor, 54 x 40 x 48 cm<br />

Terror, 2002<br />

Videoobjekt/video object, alte Schreibmaschine, Bewegungsmelder, Monitor /<br />

Old typing machine, motion detector, monitor, 51 x 30 x 35 cm<br />

27


Collectif_fact<br />

Annelore Schneider *1979 in Les Fontaines CH<br />

Swann Thommen *1979 in Saint-Imier CH<br />

Claude Piguet *1977 in Neuchâtel CH<br />

Zusammenarbeit seit / collaboration since 1999<br />

lebt und arbeitet / live and work in Genève CH<br />

Das Genfer collectif-fact befasst sich mit<br />

computergenerierter Kunst und überzeugt<br />

im virtuosen Umgang mit fliessend<br />

ineinander übergehenden Bild-Raumkonstellationen,<br />

die auf realen Fotos von<br />

Strassen, Häuserzeilen, Signalisationen,<br />

Autos oder Menschen im urbanen Umfeld<br />

einerseits sowie auf programmierten<br />

Piktogrammen andererseits aufbauen.<br />

Die virtuellen Kamerafahrten erzeugen<br />

einen Wahrnehmungsfluss, den wir im<br />

Zeitalter medial vermittelter Splitterästhetik,<br />

die uns die Umwelt fragmentarisch<br />

dekodieren lässt, als «real»<br />

und zeitgenössisch erleben. So fliegen<br />

etwa in «bubble cars» Autos durch eine<br />

nächtliche Strassenszene, Kuhglocken<br />

bimmeln, und ab und zu flackert unverhofft<br />

eine Laterne – eine surreale Szene<br />

à la Alice im Wunderland. Der urbane<br />

Raum wird dabei konstant hinterfragt<br />

und digital neu definiert. Andere Arbeiten<br />

wirken wie «aufgeklappte Videobilder»:<br />

Aus dem zweidimensionalen<br />

Raum werden die Szenen in die virtuelle<br />

Dreidimensionalität transferiert. Das<br />

Vorstellungsvermögen der BetrachterInnen<br />

wird stark herausgefordert, muss<br />

sich dieses doch abrupt an wechselnde<br />

Innen- und Aussensichten gewöhnen und<br />

den Raum stets aufs Neue erfassen.<br />

Collectif-fact, a group of artists from<br />

Geneva, work with computer-generated<br />

images based on real photos of streets,<br />

houses, traffic signs, cars or people and<br />

programmed pictogrammes, which convince<br />

by expertly and seamlessly merging<br />

visual and spatial aspects. Virtual camera<br />

pans create a flow of visual perception<br />

that in an age of medially conveyed and<br />

fragmented imagery tends to regarded<br />

as real. In “Bubble Cars” for example,<br />

a street scene by night, we see cars<br />

flying past accompanied by the tinkling<br />

of cowbells, lamps flickering unexpectedly<br />

every now and then. It is a surreal<br />

scene, reminiscent of Alice in Wonderland,<br />

in which urban space is constantly<br />

scrutinized and digitally redefined. Other<br />

works look like video images that have<br />

been flipped open as it were, so that<br />

the two-dimensional scenes become<br />

three-dimensional ones. The beholders<br />

imagination is strongly challenged,<br />

as they have to get used to abruptly<br />

changing interior and exterior views<br />

and ever changing spacial concepts.<br />

Circus, 2003<br />

DV/DVD, 3D Animation, 02’10’, Ed. 10<br />

Sound: Jean-Jacques Duclaux<br />

28 29


Collectif_fact<br />

30<br />

Bubblecars, 2004<br />

DV/DVD, 3D Animation, 06’28’, Ed. 10<br />

31


Erik Dettwiler<br />

*1970 in Helsinki FI, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH und Berlin DE<br />

Die Suche nach dem «Peripheren» in<br />

Kunst und Leben ist das Hauptthema von<br />

Erik Dettwiler. Das «überall Jetzt» lässt<br />

Metropolen unbedeutend werden, Randgebiete<br />

jedoch unvermittelt ins Zentrum<br />

des Interesses schnellen. Genau solche<br />

Randgebiete, vermeintliche Nullorte<br />

sind es, die den Künstler anziehen. Es<br />

ist Langsamkeit vermengt mit Hektik,<br />

Leere aufgefüllt mit unerwarteten<br />

Inhalten, und es sind die verblichenen<br />

Zeichen urbaner Struktur, die zu parallelen<br />

Bühnen für seine Arbeiten werden.<br />

Er sucht nach «Grauzonen» urbanen<br />

Lebens und verdichtet die visuell teils<br />

absurden Momente zu zeitlosen Collagen<br />

aus Geschichte und Geschichten. Die<br />

BetrachterInnen werden auf verborgene<br />

Schleichwege entführt, nehmen damit<br />

unmittelbar an seinen «Intimperformances»<br />

teil, deren Spannungsbogen<br />

immer wieder zwischen lebendigstem<br />

Leben und totestem Tod zu oszillieren<br />

scheint. So hat er etwa die seit Sergei<br />

Eisensteins Film «Panzerkreuzer Potemkin»<br />

in die Filmgeschichte eingegangene<br />

Treppe in Odessa zur Bühne einer seiner<br />

tollsten «Intimperformances» erklärt.<br />

Mittels der schon in den Anfängen des<br />

Stummfilms verwendeten «Stoptrick-<br />

Technik» ist ein verblüffendes Kurzvideo<br />

entstanden: Der Künstler kann fliegen!<br />

Erik Dettwiler’s main subject is the<br />

search for the periphery in art and life.<br />

“Everywhere now” renders big cities<br />

insignificant, but moves the periphery<br />

abruptly centre stage - those peripheral<br />

areas or “non-sites” that appeal<br />

to Dettwiler. Slowness coupled with<br />

hectic activity, emptiness filled with<br />

unexpected contents, faded signs of<br />

urban structures: meet the protagonists<br />

of Dettwiler’s works. The artist scours<br />

places for the “grey zones” of urban life<br />

and condenses at times visually quite<br />

absurd moments to timeless collages<br />

of stories and history. The beholder is<br />

invited to go down hidden paths, thus<br />

immediately taking part in the artist’s<br />

“intimate performances”, which<br />

again and again seem to oscillate between<br />

life at its liveliest and death at<br />

its deadest, for example by making the<br />

world-famous stairs featuring in Sergei<br />

Eisenstein’s film “Battleship Potemkin”<br />

into the stage of one of his most brilliant<br />

“intimate performances”. Here he has<br />

created a baffling short video by means<br />

of stop-motion, a technique that was also<br />

used in silent films: the artist can fly!<br />

Levitation, 2001<br />

DVCAM-Pal/DVD, 3‘20‘‘, Ed. 3<br />

32 33


Erik Dettwiler<br />

Potemkin’sche, 2001<br />

DVCAM-Pal/DVD, 3‘20‘‘, Ed. 3<br />

Kamera / camera: M.-A. Chiarenza<br />

34 35


Diana Dodson<br />

*1963 in Zürich CH, lebt und arbeitet / lives and works in Basel und Bern CH<br />

Die Künstlerin thematisiert in ihren<br />

Arbeiten die hintergründige Welt des<br />

Wohnens; aber auch die Flucht aus<br />

diesem vertraut-idyllischen Terrain. Die<br />

Werke werden zur unmittelbaren Projektionsfläche<br />

für Sehnsüchte, unterdrückte<br />

Wünsche, Hoffnungen oder Träume. Die<br />

Suche nach Geborgenheit im Wohnlichen<br />

einerseits, und die Flucht davor<br />

andererseits prägen fast alle Arbeiten.<br />

Diese Gegenpole menschlichen Lebens<br />

untersucht Diana Dodson in aufwendigen<br />

Installationen, Objekten, Bildern oder Videoarbeiten.<br />

Letztere zeigt sie oft als Teil<br />

komplexer Accrochagen oder als grosse<br />

Projektionen im Raum. Auch unkonventionelle<br />

Präsentationsformen, wie Projektionen<br />

auf den Boden oder durch Schablonen<br />

hindurch erzeugen sphärische<br />

Raumsituationen. In «Ultra-marin», einer<br />

als Triptychon inszenierten Videoarbeit,<br />

bewegen sich Synchronschwimmerinnen<br />

mit verlangsamten Gesten unter Wasser.<br />

Man denkt sofort an Wassernymphen<br />

oder Meerjungfrauen, und das blaue, alles<br />

verbindende Fluidum wird zum Spiegel<br />

des Ichs und entführt unweigerlich<br />

in eine unerreichbare Traumwelt. Eine<br />

«Insel» ist Sehnsuchts- und Fluchtort<br />

per se; deshalb steht eine gleichnamige<br />

Arbeit auch am Schluss der Ausstellung,<br />

quasi als Ausklang und Aufbruch.<br />

36<br />

Diana Dodson’s works thematize the enigmatic<br />

world of habitation - and the wish<br />

to escape from this familiar and idyllic<br />

place. This duality characterises almost<br />

all of her works, which also become projection<br />

screens for desires, suppressed<br />

wishes, hopes and dreams, and consist of<br />

elaborate installations, objects, paintings<br />

or videos (the videos are sometimes<br />

integrated into complex installations<br />

or shown as huge space projections).<br />

Unconventional forms of presentation,<br />

as when she projects onto floors<br />

or through stencils, also help create<br />

spheric spatial situations. “Ultra-marin”,<br />

a video presented as a triptych, shows<br />

the slow-motion movements of synchronised<br />

swimmers under water, which<br />

instantly remind us of water nymphs or<br />

mermaids, and the blue liquid becomes<br />

a mirror of one’s self, so that one is<br />

inevitably carried away to an inaccessible<br />

world of dreams. As islands are the<br />

epitome of a place where one simultaneously<br />

longs to be and wants to get away<br />

from a work called “Island” is placed<br />

at the end of the exhibition, as a sort of<br />

simultaneous conclusion and departure.<br />

Insel, 2002/08<br />

DV-Pal/DVD, 13‘24‘‘, Ed. 3<br />

37


Quynh Dong<br />

*1982 in Hai Phong VN, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH<br />

Die im Spannungsfeld zweier Kulturen<br />

aufgewachsene Quynh Dong untersucht<br />

in ihren Arbeiten das Fremdsein, bzw.<br />

das «Nirgends-zu-Hause-Sein» von sich<br />

selbst und ihres unmittelbaren Umfelds.<br />

Schonungslos legt sie Bruchstellen in<br />

der eigenen Biographie offen und verarbeitet<br />

ihre asiatische Herkunft in sehr<br />

direkten Performances oder eindrücklichen<br />

Installationen. Althergebrachte,<br />

zum Teil seltsam anmutende Traditionen<br />

und Zeremonien transferiert sie behutsam<br />

in die westliche Welt und hinterfragt<br />

damit vielschichtig ihre Existenz. Sie tut<br />

dies einerseits, um auf kulturelle Differenzen<br />

und Missverständnisse hinzuweisen,<br />

andererseits aber auch, um sich diese,<br />

für sie selber als verloren geglaubten,<br />

Handlungen in Erinnerung zu rufen, ja,<br />

sie überhaupt erst richtig bewusst wahrzunehmen.<br />

Sie durchleuchtet ihr Leben<br />

konsequent und wählt daraus einzelne<br />

Episoden aus, um diese mit den kollektiven<br />

Erinnerungen aus der Familien- und<br />

Weltgeschichte zu verweben. Ihr nahe<br />

stehende Menschen werden zu wichtigen<br />

Referenzpunkten in ihrem sich aufbauenden<br />

und gleichzeitig auflösenden Beziehungsgeflecht,<br />

nicht zuletzt, weil sie als<br />

eine Art unmittelbare Zeugen Schlüsselrollen<br />

in Dongs Arbeiten übernehmen.<br />

Quynh Dong, who grew up caught between<br />

two cultures, analyses in her work<br />

the subject of being foreign, of never<br />

being at home, with respect to her own<br />

person and her immediate family. Mercilessly<br />

she points out breaks in her own<br />

biography, staging very direct performances<br />

and impressive installations to<br />

help her understand her Asian origins.<br />

She carefully transfers ancient customs<br />

and ceremonies, some of which have<br />

a certain strangeness about them, to<br />

our western society, thereby scrutinizing<br />

their very existence. With this she<br />

aims at pointing out cultural differences<br />

and misunderstandings, but it is also<br />

a way of retrieving own memories of<br />

seeminlgy long forgotten events - indeed<br />

of perceiving them properly for the first<br />

time. She stringently scrutinizes her<br />

own life, selecting individual episodes<br />

she then interweaves with collective<br />

memories from her family’s history and<br />

indeed the world’s: a simultaneously<br />

growing and diminishing mesh of connections<br />

in which people close to her<br />

become important points of reference<br />

and have key roles in Dong’s works by<br />

being immediate witnesses as it were.<br />

Das Aquarium, 2007<br />

Video- und Toninstallation mit Tisch und Aquarium / video & sound installation<br />

with table and aquarium, DVD, 05‘20‘‘, Ed. 3<br />

38 39


Heinrich Gartentor<br />

*1965 in Schafmatt CH, lebt und arbeitet / lives and works in Thun und Horrenbach CH<br />

Heinrich Gartentor ist ein Pseudonym, ja,<br />

mehr noch eine fiktiv-reale Person. Die<br />

Identität von Heinrich Gartentor ist durch<br />

seine in Buchform erschienene Autobiografie<br />

sogar untermauert. Und trotzdem<br />

ist Gartentor, der Künstler, als Figur nur<br />

schwer fassbar. Das Spiel mit den zahlreichen<br />

Identitäten und Rollen ist nicht<br />

immer einfach zu durchschauen; man<br />

weiss nie genau, ob man selber Teil einer<br />

seiner Aktionen ist, oder, ob man ihn<br />

«ernst» nehmen darf. Als Kulturpolitiker<br />

wurde er zum ersten inoffiziellen Kulturminister<br />

der Schweiz gewählt, er ist Präsident<br />

des Berufsverbands visuelle Kunst<br />

(visarte) und immer wieder als Moderator<br />

oder Kolumnist zu hören und zu lesen.<br />

Er hat sein Leben zur Kunst erklärt, ein<br />

LKW (Lebenskunstwerk), das seine alte<br />

Identität immer mehr verdrängt. Heinrich<br />

Gartentor ist bekannt für unkonventionellen<br />

Kunstaktionen; er nennt diese auch<br />

«freundliche Attentate». Er schliesst sich<br />

in Bunker ein, reist ans Nordkap oder<br />

«produziert» sogar zwei eigene Kinder.<br />

Sport hat sich in den letzen Jahren als<br />

eines seiner Hauptinteressensgebiete<br />

herausgestellt. Sei es Seilhüpfen, Fussball<br />

oder Golf, immer wieder zwingt er<br />

sich selbst und seine MitstreiterInnen, an<br />

die physische Leistungsgrenze zu gehen.<br />

40<br />

Heinrich Gartentor is a pseudonym. Or<br />

rather, Heinrich Gartentor is a person<br />

at once real and fictitious. But although<br />

Gartentor’s identity is in fact supported<br />

by an autobiography, Gartentor as an artist<br />

remains enigmatic, the elusivness of<br />

his person due to a play with numerous<br />

identities and personas, so that it is not<br />

easy to tell if he can be taken seriously<br />

or if one is just part of one of his performances.<br />

A figure involved in cultural<br />

politics, he not only became the first inofficial<br />

minister of culture of Switzerland,<br />

but he is the president of visarte, the<br />

professional association of visual artists,<br />

and can frequently be seen and read<br />

as a presenter and columnist. Gartentor<br />

is known for his unconventional art<br />

actions he, among other things, calls<br />

“friendly attacks”, and which include him<br />

being locked away in a bunker, travelling<br />

to the North Cape, and even fathering<br />

two children. In recent years, sport<br />

has become one of his main subjects<br />

of interest. No matter whether this is<br />

rope skipping, playing soccer or golf, he<br />

keeps pushing his own, as well as his<br />

fellow contestants’ physical boundaries.<br />

Gartentor Golf, 2006<br />

Video-Installation / video installation, Diverse Materialien /<br />

various materials, 120 x 80 x 400 cm<br />

41


Franticek ˘ Klossner<br />

*1960 Grosshöchstetten BE, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH<br />

Mittels Hochleistungskameras aus<br />

Wissenschaft und Medizin oder Spiegelverzerrungen<br />

versteht es Franticek ˘<br />

Klossner, seinen Arbeiten eine magische<br />

Komponente einzuhauchen. Die Grenzen<br />

der visuellen Wahrnehmung werden<br />

neu formuliert, und es entstehen körperliche<br />

Statements von faszinierender<br />

Direktheit. So entstanden Videoarbeiten<br />

in Superzeitlupe, etwa «Mess Up Your<br />

Mind», sich bewegende Lippen, die zu<br />

wallenden «Fleischbergen» werden, oder<br />

«Augenblick und Ewigkeit» bei der jeder<br />

einzelne Splitter eines zerbrechenden<br />

Spiegels festgehalten wurde. In einigen<br />

Werken wird auch die Interaktion zu einem<br />

integralen Bestandteil. Die BetrachterInnen<br />

können direkt Einfluss nehmen<br />

auf die gezeigten Bilder und etwa mit<br />

ihrer Stimme eine Gruppe strammstehender<br />

Soldaten auf den Boden fallen<br />

lassen. Immer wieder sind es komplexe<br />

Gesamtinszenierungen und das gekonnte<br />

Zusammenfügen verschiedenster Techniken<br />

und Materialien, die die Arbeiten<br />

des Künstlers auszeichnen, sie zeitlos<br />

aktuell machen. Häufig arbeitet er mit<br />

Selbstporträts, die zu Sinnbildern für<br />

die ständige Veränderung mediatisierter<br />

Bilder werden. Er bringt es auf den<br />

Punkt: «Die Welt beschreibt dein Gesicht<br />

– Dein Gesicht beschreibt die Welt.»<br />

High-performance cameras as used in<br />

science and medicine or mirror distortions:<br />

these are Franticek ˘ Klossner’s<br />

means with which he imbues his works<br />

with a certain magical moment. By filming<br />

videos in super slow-motion, such as<br />

“Mess Up Your Mind”, in which moving<br />

lips are turned into huge billowing lumps<br />

of meat, or “Augenblick und Ewigkeit”<br />

(instant and eternity) that arrests in<br />

time the single pieces of a breaking<br />

mirror he redefines visual perception<br />

and creates corporeal statements of<br />

fascinating directness. Some works are<br />

interactive, and the visitors can influence<br />

the flow of images e.g. by using<br />

their voice to have a group of soldiers<br />

standing at attention fall to the ground.<br />

His work, again and again characterised<br />

by complex installations and skillful<br />

combination of various techniques and<br />

materials, is both timeless and topical.<br />

Often he works with self-portraits,<br />

which become metaphors for the constant<br />

change of mediated images, succinctly<br />

summarised by the artist when<br />

he states: “The world describes your<br />

face – your face describes the world.”<br />

Total Narziss, 1996<br />

Video Hi8 / VHS, 03’30’’<br />

42 43


Franticek ˘ Klossner<br />

Inter Media Kiss (eine kleine Kunstgeschichte der Sehnsucht), 1997<br />

Video SVHS, 04’09’’, Performance: Manuel Espinoza & Franticek ˘<br />

Klossner<br />

Musik / music: Mina Mazzini / GSU Lugano<br />

44 45


Reto Leibundgut<br />

*1966 in Büren zum Hof CH, lebt und arbeitet / lives and works in Basel und Thun CH<br />

Reto Leibundgut ist ein Meister in Sachen<br />

Verwertung alter Materialien. Seit Beginn<br />

seiner künstlerischen Tätigkeit befasst er<br />

sich ausschliesslich mit vermeintlichem<br />

«Abfallmaterial». Meistens verarbeitet er<br />

alte Werkstoffe, wie Holz, Leder, Plastik<br />

oder Textilien und stellt sie in einen<br />

neuen Kontext. Dabei interessiert ihn<br />

vor allem der Aspekt, wie vordergründig<br />

«schäbiges» Material in einem «liebevollen»<br />

Umwandlungsprozess eine Staunen<br />

erzeugende Präsenz erfahren kann.<br />

Beim Umzug in ein neues Atelier blieb<br />

viel Material übrig, für das er keine Verwendung<br />

mehr hatte. Und so hat er seine<br />

umfangreiche Sammlung farbiger Holzplanken<br />

an die Wand genagelt, und den<br />

Prozess dauernd festgehalten. Nackte<br />

Bretter fanden dabei ebenso Verwendung<br />

wie ältere Arbeiten oder Materialskizzen<br />

dazu, so dass man den Videoclip auch als<br />

einen Schnellparcours durch Leibundguts<br />

Arbeiten ansehen kann. Rhythmisch<br />

auf die – eigens von Dieter Seibt, Beat<br />

und Ernesto Feller konzipierte – Musik<br />

abgestimmt, wächst eine Wand aus<br />

Holzbrettern. Entstanden ist eine Art<br />

Collage, ein performatives «Work-in-Progress-Werk»<br />

par «Exellence» – und eine<br />

wunderschöne, ephemere, da mittlerweile<br />

zerstörte Wandstruktur/-skulptur.<br />

Reto Leibundgut is a master at recycling<br />

old materials. Since the beginning of his<br />

career he has been working exclusively<br />

with what appears to be waste material,<br />

mostly discarded wood, leather, plastic or<br />

fabrics, which he then recontextualises.<br />

What inspires him first and foremost is<br />

the idea how seemingly shabby material<br />

can create an amazing presence<br />

when it is subjected to a “loving process<br />

of transformation” by the artist. When<br />

Leibundgut moved to a new studio, he<br />

was left with a lot of material he no<br />

longer needed. So he nailed his collection<br />

of painted planks on one of his studio<br />

walls and captured it on video. Unused<br />

pieces of wood were as much part of this<br />

action as were old works or sketches,<br />

so that Leibundgut’s video becomes a<br />

quick viewing of his œuvre. The images<br />

of this growing wall are rhythmically<br />

coordinated to music conceived especially<br />

for this purpose by Dieter Seibt,<br />

Beat Feller and Ernesto Feller. The result<br />

is a sort of collage, and a performative<br />

work in progress par excellence – as well<br />

as a wonderful and ephemeral, since<br />

destroyed, wall structure/sculpture.<br />

Wandstück, 2007<br />

DV-Pal/DVD 04‘42‘‘, Schnitt / editing: Diana Dodson<br />

Musik / music: Dieter Seibt, Beat & Ernesto Feller<br />

46 47


Zilla Leutenegger<br />

*1968 in Zürich CH, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH<br />

Zilla Leutenegger arbeitet mit verschiedensten<br />

Medien; am bekanntesten<br />

wurde sie wohl mit ihren Zeichnungen,<br />

die zuerst nur Zeichnungen waren, dann<br />

aber sukzessive auch zu animierten<br />

Videoarbeiten wurden. Oft steht sich die<br />

Künstlerin selber Modell; die Arbeiten<br />

kreisen um die Positionierung des Selbst<br />

in einem wechselnden Umfeld. Daraus<br />

entstehen analytische Beobachtungen<br />

in einer wirklichen, aber auch selbst<br />

definierten Welt. Meistens sind die dargestellten<br />

Menschen auf sich alleine gestellt,<br />

trotzen der Situation, in der sie sich<br />

gerade befinden – oder geben ihr nach.<br />

Feine Gesten, wie ein flatternder Schal<br />

oder eine brennende Zigarette, knüpfen<br />

feine Erzählstränge, die sich zum Teil<br />

auch über mehrere Werkgruppen hinweg<br />

beobachten lassen. Manchmal sind die<br />

Arbeiten laut und direkt, dann wiederum<br />

geheimnisvoll und leise. Und doch ist es<br />

diese Konzentration auf eine Handlung<br />

oder auf eine Person, die die Arbeiten mit<br />

einer ungeheuren Kraft auflädt. Das Wandeln<br />

in verschiedenen Welten wird auch<br />

in der Arbeit «Quicksilver» zum Thema<br />

gemacht. Die Künstlerin steht in einer<br />

silbernen Pfütze, wird wie magisch von<br />

einem Löffel hochgehoben und «tropft»<br />

zurück in die Pfütze; immer und immer<br />

wieder, wie im endlosen Strudel der Zeit.<br />

Zilla Leutenegger uses different media,<br />

although she is probably best known for<br />

her drawings, which at first were indeed<br />

just drawings, but gradually became<br />

animated videos. Frequently Leutenegger<br />

is her own model, and her works<br />

center around the question of positioning<br />

one’s self in a changing environment,<br />

resulting in analytic observations placed<br />

both in the real world and in worlds<br />

she creates herself. Mostly the people<br />

depicted have to rely on themselves,<br />

braving the situation they happen to<br />

find themselves in – or relenting to it.<br />

Subtle gestures, such as a shawl fluttering<br />

in the wind or a burning cigarette,<br />

create fine strands of narrative that<br />

weave themselves through several of<br />

her works. Sometimes her works are<br />

loud and direct, then again enigmatic<br />

and hushed, yet her concentration on a<br />

single action or person never fails to give<br />

them an incredible energy. Leutenegger’s<br />

work “Quicksilver”, too, thematises the<br />

motif of walking in different worlds. The<br />

artist, standing in a silver pool, is magically<br />

lifted up by a spoon, only to “drip<br />

back” into the pool, again and again,<br />

as if caught in an endless time-loop.<br />

Quicksilver, 2002<br />

DVD Pal, 01‘00‘‘, Ed. 10<br />

48 49


Sabine Linse<br />

*1966 in Eckernförde DE, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin und Kiel DE<br />

Ihre stets perfekt in Szene gesetzten Sabine Linse uses photography to cap-<br />

Motive hält Sabine Linse mittels verture her perfectly staged motifs, but as<br />

schiedener Techniken, wie Langzeit- und she uses various techniques such as time<br />

Mehrfachbelichtung, Projektion oder exposure, multiple exposure, projection<br />

Überlagerung mehrerer Bilder fest. Die and superimposition of images she is<br />

Fotografie steht im Zentrum, deren Gren- constantly testing out and expanding the<br />

zen werden aber von der Künstlerin dau- limits of her medium. On a sort of metaernd<br />

ausgelotet und erweitert. Auf einer level her creations are fairy worlds locat-<br />

Art «Metaebene» erschafft sie sich eine ed between imagination and reality. They<br />

Märchenwelt zwischen Imagination und consist of unconventional sequences that<br />

Realität. Es entstehen eigenwillige are highly irresistible, but so whimsical<br />

Sequenzen, denen man sich kaum<br />

it almost defies description. It is difficult<br />

entziehen kann, die jedoch skurriler fast to place her phantastic creatures in the<br />

nicht sein könnten. Die Verortung der real world, and yet, her stories seem<br />

phantastischen Geschöpfe in der Wirk- to be rooted in a here and now, as in<br />

lichkeit ist schwierig; und doch leben the video “Im Grünen” (in the country):<br />

die erzählten Geschichten irgendwie im three people are buried in the ground of<br />

Hier und Jetzt. In der Videoarbeit «Im a meadow with nothing but their heads<br />

Grünen» sind drei Menschen zu sehen, sticking out, luscious high grass in the<br />

die, umgeben von einer saftigen Wiese background. Their being planted there<br />

und hohem Gras, bis auf den Kopf im seems perfectly natural, and together<br />

Boden eingegraben sind. Als ob es das they sing the well-known German canon<br />

Normalste der Welt wäre, wirken sie “He, ho, spann den Wagen an” – calmly<br />

wie natürlich eingepflanzt und singen and cheerfully, without stopping once.<br />

im Kanon das bekannte Erntelied «He, The repetitiveness of the singing and the<br />

ho, spann den Wagen an» – ruhig und perfectly idyllic scenery with sunshine,<br />

fröhlich und ohne Unterbruch. Das Repe- light breeze and twittering of birds makes<br />

titive im Gesang sowie die perfekte Idylle one think of childhood memories, but<br />

der Szenerie mit Sonnenschein, leichter<br />

Brise und Vogelgezwitscher sind Reminiszenzen<br />

an die Kindheit – und zugleich<br />

eine absurd-surreale Traumsituation.<br />

also of an absurd and surreal dream.<br />

Im Grünen, 2005<br />

DV-Pal/DVD, 38‘00‘‘, Ed. 12, Sänger / singer: Nataly Hocke,<br />

Alexander Laudenberg, Mike Pritchard<br />

50 51


Andrea Loux<br />

*1969 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern/CH und Berlin DE<br />

Andrea Loux’ Arbeiten wirken oft wie<br />

Bühnenbilder, in denen sich ProtagonistInnen<br />

der letzten Jahrzehnte des 20.<br />

Jahrhunderts tummeln. In Wohnkatalogen<br />

der 70er- und 80er-Jahre fahndet sie<br />

nach Motiven, die sie gekonnt überarbeitet<br />

und daraus eine überraschende und<br />

verblüffende Szenerie schafft. Die Bilder<br />

sind uns allen vertraut, auch wenn sie oft<br />

bloss Reminiszenzen an vergangene Tage<br />

sind. In den grossen Videoinstallationen<br />

gelingt es der Künstlerin, mit komplexen<br />

Überarbeitungen von vorgefundenem<br />

Bildmaterial versponnene Geschichten zu<br />

erzählen. Daneben entstehen immer wieder<br />

kleinere Projekte, die sie als Skizzen<br />

versteht, aus denen einmal eine grosse<br />

Arbeit entstehen kann. Spannend sind<br />

die eigens konzipierten, mehrteiligen<br />

Arbeiten, die sie in Bilderrahmen präsentiert<br />

und «domestizierte Videoinstallationen»<br />

nennt. Dort setzt sie auch immer<br />

wieder Landschaftsmotive ein. Eines der<br />

Hauptwerke der letzten Zeit ist sicher die<br />

Arbeit «Nebelwelten», ein wunderbar poetisches<br />

Porträt einer sich wandelnden<br />

Landschaft. Die präzisen Kameraeinstellungen<br />

und die feinen Überblendungen<br />

vermischen sich zu einem traumhaften<br />

Zustand, bei dem Bewusstsein und Unterbewusstsein<br />

eins zu werden scheinen.<br />

Andrea Loux’ works often resemble stage<br />

settings filled with people that look as if<br />

lifted from the last decades of the 20th<br />

century. She searches old interior design<br />

catalogues of the 70s and 80s for motifs<br />

she skilfully overworks, turning them into<br />

surprising sceneries which, although just<br />

reminiscences of bygone days, appear<br />

very familiar. Her large video installations<br />

succeed in narrating intricate<br />

stories by means of complex reworkings<br />

of found footage. Loux also works on<br />

small projects she calls sketches, which<br />

one day might become the starting point<br />

of some bigger work. Very fascinating<br />

are her “domesticated video installations”,<br />

consisting of several parts and<br />

presented in frames. Here, too, she often<br />

uses landscapes as motifs. Her work<br />

“Nebelwelten” (misty worlds), doubtlessly<br />

one of her best works of recent years,<br />

depicts a wonderfully poetic portrait of a<br />

changing landscape. Precise camera settings<br />

and subtle cross-fades blend into a<br />

dreamlike state in which conscious and<br />

sub-conscious seem to merge into one.<br />

Wechselrahmen (Domestizierte Videoinstallation), 2004–2006<br />

DVD, Monitor, Holzrahmen / DVD, monitor, wooden frame, 27 x 332 x 5 cm, Ed. 5<br />

(Wie ein Fisch im Wasser, 2004, Einpassung, 2004, Stille Wasser, 2004)<br />

52 53


Andrea Loux<br />

54<br />

Nebelwelten, 2006<br />

DVD Pal, 07’40’’, Ed. 3, Konzeption & Video / design & video: Andrea Loux,<br />

Musik / music: Samuel Rohrer (Claudio Puntin: B-Klarinette/B-clarinet,<br />

Gerdur Gunnarsdóttir: Violine/violin, Samuel Rohrer: Perkussion/percussion)<br />

55


Pia Maria Martin<br />

*1974 in Altdorf DE, lebt und arbeitet / lives and works in Stuttgart DE<br />

In ihren dem Trickfilm verwandten Videoarbeiten<br />

beschäftigt sich Pia Maria Martin<br />

mit vermeintlich unbedeutenden Gegenständen<br />

oder Objekten des Alltags. Diese<br />

werden zu HauptdarstellerInnen ihrer<br />

Arbeiten und, als Animationen, die aus<br />

Tausenden von Einzelbildern komponiert<br />

wurden, unverhofft zum Leben erweckt.<br />

Es entstehen animierte Stillleben, die sich<br />

an verschiedene Genres der klassischen<br />

Malerei anlehnen. Nur sind die Stillleben<br />

eben nicht still, sondern verändern sich,<br />

Mal schnell und heftig, Mal langsam und<br />

ruhig. Die perfekte Choreographie von<br />

Bild und Ton verblüfft stets aufs Neue.<br />

Die im Bildgedächtnis gespeicherten<br />

Motive fügen sich zu kleinen, narrativen<br />

Episoden mit ungewissem Ausgang, denn<br />

die Gegenstände entwickeln unerwartet<br />

ein kurioses Eigenleben, formieren sich<br />

und gehen wieder auseinander. Für ihr<br />

Triptychon «Vivace» brachte sie drei klassische<br />

Motive aus der Kunstgeschichte<br />

zusammen: einen Blumenstrauss, eine<br />

Küchenszene sowie eine Vanitas-Darstellung.<br />

Die einzelnen Bilder mutieren<br />

und verändern sich zum Erstaunen der<br />

BetrachterInnen mit jedem Blick mehr.<br />

Die zum Teil surreal-komischen Handlungsabläufe<br />

sind treffende Metaphern<br />

für die Zeit – und damit auch für die Zyklen<br />

von Leben, Vergänglichkeit und Tod.<br />

Pia Maria Martin’s videos centre around<br />

trivial, everyday objects unexpectedly<br />

brought to life by stringing together<br />

thousands of single frames. The results<br />

are animated still lives that take their<br />

origins from classical painting. Unlike<br />

in painting, however, Martin’s still lives<br />

are not still as they undergo constant<br />

change, which sometimes is fast and<br />

furious, sometimes slow and calm. The<br />

perfect choreography of sound and image<br />

is amazing and never stops to impress<br />

us. Her motifs, once they are committed<br />

to our visual memory, come to be assembled<br />

to short narrative episodes whose<br />

ending is unclear: the objects unexpectedly<br />

develop a strange life of their own<br />

as they weave in and out of each other.<br />

For her triptych “Vivace” Martin brought<br />

together three classical motifs from art<br />

history: a bunch of flowers, a kitchen<br />

scene and a memento mori. To our<br />

surprise the images transform, increasingly<br />

so each time we look at them.<br />

The sequences, which have something<br />

surreal and comical about them, are<br />

striking metaphors for time – and thus<br />

also for life, transience and death.<br />

Vivace I, 2006<br />

16mm Film auf DVD / 16mm film<br />

on DVD, 3‘03‘‘, Ed. 5<br />

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Pia Maria Martin<br />

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Vivace III, 2006<br />

16mm Film auf DVD/16mm film on DVD, 3‘26‘‘, Ed. 5<br />

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Franziska Megert<br />

*1950 in Thun CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH und Düsseldorf DE<br />

Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich<br />

Franziska Megert hauptsächlich mit<br />

Videoprojekten und untersucht dazu den<br />

reichen Fundus der Kulturgeschichte.<br />

Waren es zu Beginn Fragen nach Geschlecht,<br />

Transitionen in der Gesellschaft<br />

oder Körperlichkeit, die sie mittels unnahbaren<br />

Porträts in ihren stelenhaften<br />

Videoskulpturen auslotete, wurden mit<br />

der Zeit tradierte Mythen immer wichtiger,<br />

denen sie in aufwendigen Recherchen<br />

auf den Grund ging. Auch fanden<br />

zusehends Computeranimationen Eingang<br />

in ihr Œuvre, was ihr ermöglichte,<br />

gross angelegte Panoptica eines Themas<br />

raumgreifend und freskenhaft auszuformulieren.<br />

Ihre Projektionen werden<br />

stets zu äusserst lebendigen «Tableaux<br />

Vivants», die in sich nicht abgeschlossen<br />

sind, mannigfaltige Anknüpfungspunkte<br />

für den eigenen Erfahrungsschatz<br />

bieten und zur dauernden Reflektion<br />

einladen. Das Spiel von Materialität<br />

und immateriellen Umsetzungen beherrscht<br />

die Künstlerin vortrefflich;<br />

BetrachterInnen werden förmlich eingesogen<br />

in das virtuelle Labyrinth,<br />

dessen Raumstrukturen ständig neu<br />

definiert werden müssen. Mal rasant,<br />

dann wieder wie eingefroren präsentiert<br />

uns die Künstlerin verblüffende, paradoxe<br />

und doch klar lesbare Bildwelten.<br />

Since the 1980s Franziska Megert has<br />

mainly worked with video to analyse the<br />

wealth of subjects offered by cultural<br />

history. Whereas at first she dealt with<br />

questions of gender, transitions within<br />

society and the body – questions she<br />

formulated via inaccessible-looking portraits<br />

and video sculptures resembling<br />

steles – she has gradually shifted her<br />

interest and extensive research to myths.<br />

Moveover, by introducing the technique<br />

of computer animation into her work, she<br />

has found a way to express themes by<br />

means of installations that have the feel<br />

of murals. Her projections are invariably<br />

like incredibly animated “Tableaux<br />

Vivants” which, as they are not selfcontained,<br />

offer various possibilities how<br />

to relate them to one’s own experiences,<br />

thus presenting a constant invitation<br />

for reflection. Megert has mastered the<br />

play between materiality and immaterial<br />

realization unlike any other: Looking<br />

at her works feels like being sucked<br />

into a virtual labyrinth whose spatial<br />

structures keep shifting. The artist succeeds<br />

in presenting us with images,<br />

fast-paced one minute, as if frozen in<br />

time the other, that are bafflingly paradoxical,<br />

as well as clear and conclusive.<br />

HOMMeAGE, 1996<br />

DVD Pal, 3D Animation, 03’30’’<br />

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Chantal Michel<br />

*1968 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Kiesen, Thun und Bern CH<br />

Mittels ihrer umfangreichen Kleider- und<br />

Accessoiresammlung inszeniert sich<br />

Chantal Michel als organischer Teil ihrer<br />

Umgebung und wird damit selbst zum<br />

Ausstattungsstück. Die Orte ihrer Inszenierung<br />

erfahren unweigerlich einen<br />

Massstabswechsel und schrumpfen auf<br />

die vermeintlich kleine Dimension eines<br />

Puppenhauses. Sie bringt sich meisterhaft<br />

in einen vorgegebenen Kontext ein,<br />

wird zu einer Art Puppe, zum Spielball<br />

ihrer selbst in einem skurrilen Umfeld.<br />

Die Künstlerin arbeitet an der Schnittstelle<br />

von Videokunst, Fotografie und<br />

Performance und versteht es, stets das<br />

passende Medium für den passenden<br />

Ort zu finden. Immer wieder verblüfft<br />

sie durch ihre Spontaneität, etwa bei<br />

den ortspezifischen Performances, oder<br />

durch ihre Offenheit, sich in die Realität<br />

anderer Kulturkreise einzufügen.<br />

Basierten die frühen Videoarbeiten auf<br />

einfachen; aber effektvollen Performances,<br />

arbeitet sie im aktuellen Schaffen in<br />

der Postproduktion vermehrt mit Eingriffen,<br />

wie Spiegeleffekten oder Überblendungen.<br />

Das Märchenhafte bleibt<br />

erhalten; Chantal Michel ist immer noch<br />

die verwunschene Prinzessin oder das<br />

vergessene Dekorationsobjekt – einzig<br />

im Spiel mit sich selbst begriffen.<br />

Drawing on her own large collection of<br />

clothes and accessories Chantal Michel<br />

likes to stage herself as a an organic<br />

element of her surroundings, a pro<br />

-cess during which she becomes no less<br />

than part of the furniture. The settings<br />

for her performances thereby inevitably<br />

undergo a change of scale and seem<br />

to shrink to the size of a doll’s house.<br />

She skillfully assimilates herself to the<br />

given surroundings, turning into a doll<br />

of sorts, which she uses to play with in a<br />

rather bizarre location. Michel works at<br />

the interface between video, photography<br />

and performance, masterfully matching<br />

medium and place. Again and again she<br />

amazes us by her spontaneity, for example<br />

in ther site-specific performances,<br />

or her readiness to integrate herself into<br />

the realities of foreign cultures. When her<br />

early videos used to be based on simple<br />

but effective performances, she has<br />

started to spend more time on postproduction<br />

and applies effects such as mirroring<br />

and cross-fading. Yet, the fairy-tale<br />

character remains, and Chantal Michel is<br />

still an enchanted princess, or a forgotten<br />

decorative object, playfully self-absorbed.<br />

Das Geheimnis, 2006<br />

DVD endlos / looped, Ed. 3<br />

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Dominik Stauch<br />

*1962 London GB, lebt und arbeitet / lives and works in Thun CH<br />

Dominik Stauch ist einer der Pioniere<br />

interaktiver, webbasierter Kunstprojekte<br />

(www.stau.ch) und arbeitete in den<br />

letzten Jahren an einer konsequenten<br />

«Erweiterung» seiner Malerei, indem<br />

er unterschiedlichste Medien (Ölmalerei,<br />

digitale Prints, Computeranimationen,<br />

Installationen oder Skulpturen)<br />

kombinierte; dabei aber den Farb- und<br />

Formtheorien stets treu blieb. Kunstgeschichte,<br />

Literatur und Musiktheorie<br />

des 20. Jahrhunderts bilden das nötige<br />

Fundament, um seinen Arbeiten die vielschichtige<br />

Tiefe zu geben. Nicht durcheinander<br />

wirbelnde Effekthascherei ist sein<br />

Thema, sondern wohlüberlegte, durchkomponierte<br />

Umsetzungen einer Idee.<br />

Seine Videos bestechen einerseits durch<br />

klar durchdachte Geometrien und eine<br />

«genial-einfache» Formensprache,<br />

andererseits durch zitierende, oft ironische<br />

Sequenzen, in denen er selber<br />

als Hauptperson agiert. Oft unterstützt<br />

er die Arbeiten mit Sound, etwa durch<br />

selbst komponierte und gespielte Musiksequenzen.<br />

Die Arbeiten werden so<br />

zu optisch-akustischen, rhythmischen<br />

Umsetzungen von geometrischen oder<br />

inhaltlichen Konzepten. Manchmal sind<br />

sie ruhig und meditativ, manchmal<br />

aggressiv oder nachdenklich stimmend.<br />

Dominik Stauch, one of the pioneers of<br />

interactive, web-based art projects (www.<br />

stau.ch), has also put rigorous effort into<br />

expanding the medium of painting. When<br />

combining different media (oil painting,<br />

digital prints, computer animation,<br />

installation or sculpture), he nevertheless<br />

remains true to theories of colour and<br />

form. Art history, literature and 20th century<br />

music theory constitute the essential<br />

components from which his works draw<br />

their complex depth. Stauch is not interested<br />

in causing higgeldy-piggeldy sensations,<br />

rather his main concern lies in<br />

pursuing and implementing carefully considered<br />

and composed ideas. His videos<br />

captivate, on the one hand, by their well<br />

thought out geometrical structures and<br />

ingeniously simple vocabulary of forms,<br />

but also by sequences that, often ironically,<br />

make use of quotation and in which<br />

the main character is played by the artist<br />

himself. Often his works are accompanied<br />

by sound, for example sequences of music<br />

Stauch composes and plays himself.<br />

His works thus become optical-acoustic<br />

and rhythmic realisations of geometrical<br />

as well as content-oriented concepts.<br />

Sometimes these are calm and meditative,<br />

sometimes aggressive and thoughtprovoking.<br />

Study for a Billboard, 2006<br />

DVD, 01’04’’, Ed. 6, Animation und Sound / animation<br />

and sound: Dominik Stauch<br />

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Dominik Stauch<br />

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Don‘t Let Me Down, 2006<br />

Konzept und Performance / concept and performance: Dominik Stauch,<br />

Regie, Kamera und Schnitt / director, camera, editor: Peter Eberhard, DVD, 04’20’’, Ed. 6,<br />

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Brigitte Zieger<br />

*1959 in Neuhofen DE, lebt und arbeitet / lives and works in Paris FR<br />

Im Zentrum von Brigitte Ziegers Video-<br />

und Fotoarbeiten steht das Verhältnis von<br />

Fiktion und Realität. Meist sind es die<br />

Künstlerin selbst oder ihr «Alter Ego», die<br />

in den Arbeiten zu sehen sind und so zu<br />

einer kontinuierlchen Wahrnehmungsverschiebung<br />

beitragen. Das Zitieren ist<br />

ein wichtiges Mittel; und doch kokettiert<br />

die Künstlerin immer damit. Waren die<br />

früheren Videoarbeiten durch die Beschäftigung<br />

mit Modelllandschaften oder<br />

eine simple Spielzeugästhetik entstanden,<br />

weisen die neusten in eine andere<br />

Richtung. Die Serie der «Wallpapers»<br />

nimmt die weit verbreitete Tradition der<br />

französischen Tapetenproduktion aufs<br />

Korn («Toile de Jouy»). Pastorale Szenen<br />

zierten unzählige Wohnräume und<br />

fehlten in keinem Kinderzimmer. Die<br />

oft überidyllischen Motive beflügelten<br />

denn schon manche Kinderphantasie;<br />

und genau diesen Effekt des Erinnerns<br />

und Erkennens einer vertrauten Umgebung<br />

macht sich die Künstlerin zu<br />

Nutze: Projiziert, sehen die Tapeten wie<br />

normale Tapeten aus; doch unvermittelt<br />

lösen sich anmutige Figuren aus<br />

den Motiven heraus, bewegen sich auf<br />

die BetrachterInnen zu und schiessen<br />

schliesslich in den Raum. Das Idyll ist<br />

zerstört, übrig bleiben die Trümmer einer<br />

verklärten, vermeintlich besseren Welt.<br />

The relation between fiction and reality is<br />

at the centre of Brigitte Zieger’s videos<br />

and photographs. More often than not<br />

what we see in her works is the artist<br />

herself or her alter ego, thus bringing<br />

about a constant shift of perception.<br />

Quotation is one of her important means<br />

of expression, but she only flirts with<br />

it. When in her early works she used<br />

model landscapes and a simple aesthetics<br />

of toys, her more recent works move<br />

in a different direction. With her series<br />

“Wallpapers” she mocks the widespread<br />

use of French wallpaper (“Toile de Jouy”):<br />

Numerous living rooms are decorated<br />

by pastoral scenes, and few kid’s rooms<br />

can do without them. The exaggeratedly<br />

idyllic motifs have indeed inspired<br />

many a child’s imagination, and it is<br />

exactly this effect of recognising and<br />

remembering a familiar environment<br />

Zieger draws on. When projected these<br />

wallpapers look quite real, until elegant<br />

figures break away, move towards the<br />

on-lookers and start to shoot into the<br />

room. The idyll is instantly destroyed.<br />

What remains are the remnants of a<br />

transfigured, seemingly better world.<br />

Shooting Wallpaper, 2006<br />

Animation ab digitalen Daten / animation<br />

from digital data, 07‘45‘‘, Ed. 5<br />

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Roman Zürcher<br />

*1982 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin DE<br />

Der Berner Künstler Ramon Zürcher ist<br />

ein Geschichtenerzähler, der mit überraschenden<br />

Schnitten und aufwendigen<br />

Bildbearbeitungen seine surrealen<br />

Welten inszeniert. Die Personen in den<br />

geschaffenen Räumen sind StatistInnen<br />

und ProtagonistInnen zugleich, werden<br />

sie doch manchmal eher durch die Episoden<br />

geleitet, als dass sie agieren würden.<br />

Die Bilder pendeln zwischen schönen<br />

Traumphantasien und Albträumen,<br />

führen nahtlos vom einen Ausschnitt zum<br />

nächsten und verschachteln sich dabei<br />

immer mehr. Zahlreiche Rätsel werden<br />

aufgegeben; manchmal werden sie<br />

gelöst, meistens bleiben jedoch mehrere<br />

Möglichkeiten zum Ausgang der Geschichte<br />

offen. Diese Offenheit zelebriert<br />

der Künstler, indem er gleichzeitig verschiedene<br />

Bedeutungsebenen aufzeichnet,<br />

und diese immer wieder in neue<br />

Kontexte rückt. Er erzählt umfangreiche<br />

Geschichten – und erzählt eigentlich<br />

doch nichts. Und trotzdem wartet man<br />

gespannt auf die Fortsetzung der sich vor<br />

einem ausbreitenden Handlung, auch,<br />

wenn sie sich als blosses Hirngespinst<br />

entpuppt. Es sind am Schluss doch einzig<br />

die Bilder, die sich einprägen und die<br />

haften bleiben, dies nicht zuletzt, weil<br />

der vollständige Verzicht auf Ton eine<br />

Konzentration aufs Visuelle klar vorgibt.<br />

Bernese artist Ramon Zürcher is a<br />

story-teller who creates surreal worlds<br />

by means of unexpected film cuts and<br />

extensive image editing. The figures<br />

peopling his fictive spaces are both protagonist<br />

and extra, as often they seem to<br />

be guided through the various episodes<br />

rather than acting in them. The images<br />

oscillate between beautiful dream and<br />

frightening nightmare, one detail leading<br />

seamlessly to the next, but getting more<br />

and more interlaced. Numerous riddles<br />

are created on the way, which sometimes<br />

can be solved, but most of the time we<br />

are left with several possibilities as to the<br />

the story’s ending. Zürcher celebrates<br />

this openness by creating various levels<br />

of interpretation, and constantly putting<br />

them into new contexts. He tells elaborate<br />

stories – which, as a matter of fact,<br />

tell us nothing at all. And still we can’t<br />

wait to find out how the story will evolve,<br />

no matter if it turns out to be mere fantasy.<br />

It is the pictures that edge themselves<br />

onto our memories, aided by the<br />

fact that Zürcher does completely without<br />

sound, concentrating on the visual.<br />

Der Giesser, 2004<br />

DVD, 03’04’’, Ed. 5<br />

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Dank / Acknowledgments<br />

Herzlichen Dank zuerst an Carola und<br />

Günther fürs Vertrauen, mich mit der Organisation<br />

der Ausstellung zu betrauen.<br />

Wir kennen uns mittlerweile sehr gut und<br />

arbeiten schon lange in gemeinsamen<br />

Projekten zusammen; aber es ist immer<br />

aufs Neue spannend und bereichernd!<br />

Für mich sind die Ausstellungsräume<br />

fast euer erweitertes Wohnzimmer!<br />

Dann möchte ich verschiedenen Menschen<br />

danken, die zum Gelingen der Ausstellung<br />

beigetragen haben. Zuerst allen<br />

KünstlerInnen – denn ohne KünstlerInnen<br />

gibt es keine Kunst und ohne Kunst<br />

keine Ausstellung: so einfach ist’s! Dann<br />

gebührt ein ganz grosses Dankeschön der<br />

Kuratorin der Sammlung Carola und Günther<br />

Ketterer-Ertle, Annick Haldemann;<br />

sie leitete das Ausstellungssekretariat,<br />

leistete also die eigentliche Knochenarbeit,<br />

während ich mich eher dem Schöngeistigen<br />

zuwenden durfte; merci Annick!<br />

Nicht vergessen möchte ich meinen<br />

technischen Assistenten Simon Stalder,<br />

der nach all den Jahren der Zusammenarbeit<br />

weiss, «wie» ich «was»<br />

haben will und meine fordernde Art beim<br />

Aufbau stets erträgt. Vielen Dank auch<br />

Dominik Stauch, der immer wieder Rat<br />

und Tat zur visuellen Umsetzung einer<br />

Idee bietet; dann der Videocompany,<br />

die das Unmögliche machbar macht;<br />

und zuletzt auch vielen Dank der ganzen<br />

PROGR-Crew, Beate Engel, Eva<br />

Winkler, Martin Waldmeier und Jymy<br />

Ochsenbein – ihr habt uns toll unterstützt<br />

und wart wunderbare Gastgeber.<br />

First of all I wish to thank Carola and<br />

Günther for having entrusted me with<br />

the organization of the exhibition. We<br />

have become good friends over the years<br />

and have been working together on joint<br />

projects for a long time. Even so, every<br />

new project is as exciting and rewarding<br />

as ever! For me, your exhibitions are almost<br />

like an extension of your living room!<br />

I then wish to thank various people for<br />

their contribution to the success of the exhibition.<br />

Firstly, the artists themselves, for<br />

without artists there would be no art, and<br />

without art there would be no exhibitions<br />

– it’s as simple as that! A big thank-you<br />

also goes to Annick Haldemann, the curator<br />

of the Carola and Günther Ketterer-<br />

Ertle Collection. She has handled all the<br />

secretarial work for the exhibition, all the<br />

gruelling work in other words, while I have<br />

been able to devote myself almost entirely<br />

to more aesthetic concerns. Thank<br />

you Annick! Someone who must not go<br />

unmentioned is my technical assistant<br />

Simon Stalder, who after all the years we<br />

have been working together knows exactly<br />

the “whats, whys and wherefores” of my<br />

needs and somehow manages to put up<br />

with my impossibly demanding manner<br />

whenever I’m in the final throes of assembling<br />

an exhibition. My thanks, too,<br />

go to Dominik Stauch, who never fails<br />

to come up with “just the ticket” when it<br />

comes to realizing an idea visually. And<br />

then there’s the Videocompany, which<br />

has made the impossible possible, and,<br />

last but not least, the whole PROGR crew:<br />

Beate Engel, Eva Winkler, Martin Waldmeier<br />

and Jymy Ochsenbein – you were<br />

a fantastic help and wonderful hosts.<br />

Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer danken Bernhard Bischoff für<br />

die langjährige Begleitung der gemeinsamen Interessen und Projekte.<br />

Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer wish to thank Bernhard Bischoff<br />

for many years of shared interests and joint projects.<br />

Publikation / Publication<br />

Herausgeber / edited by: Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle<br />

Katalog, Texte, Redaktion / catalogue, texts, editing: Bernhard Bischoff<br />

Koordination / coordination: Annick Haldemann<br />

Übersetzungen / translations: John Brogden, Sylvia Rüttimann<br />

Lektorat / proofreading: Paul Le Grand<br />

Gestaltung / design: Dominik Stauch<br />

Fotografie / photographs: Dominique Uldry (Seite / Pages 1, 4, 11, 17, 19, 20/21,<br />

27, 33, 39, 41, 53, 72/73, 74 /75, 76 /77, 80), Pavel Büchler (Seite / Page 23)<br />

Lithografien / photo lithographs: Atelier Altmeier<br />

Druck und Herstellung / printing and production: Vetter Druck AG, Thun<br />

Auflage / edition: 700<br />

Abbildungen / figures<br />

Ausstellungsansichten / exibition view: Seiten / pages 20/21, 72/73, 74/75, 76/77,<br />

Umschlag / Cover; Sammlung / collection Carola und Günther Ketterer-Ertle:<br />

Seiten / pages 1, 4, 11, 17, 80<br />

Verlag Galerie Henze & Ketterer- Wichtrach/Bern<br />

ISBN 978-3-906128-39-9<br />

© 2009 Autor & KünstlerInnen / author & artists<br />

Keine Veröffentlichung von Texten und Bildern ohne Einwilligung der UrheberInnen.<br />

No texts or images may be reprinted or reproduced without the permission<br />

of the copyright holders.

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