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Gespräch mit Claude Nobs - Montreux Jazz Festival

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I. Die Instanz – Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch im <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong><br />

friedenstellte: <strong>Nobs</strong> wusste, dass Berry gerne fi scht, also hat er ihm<br />

ein Boot organisiert und gleich noch ein paar Fische dazugelegt,<br />

die Berry dann als seine Beute vorzeigen konnte. Oder wie er <strong>mit</strong><br />

Paul Simon hoch über <strong>Montreux</strong> vor dem Chalet sass und langsam<br />

unruhig wurde, weil das Konzert bald beginnen sollte. Und<br />

Simon ihm andeutete, er wolle erst noch dem Sonnenuntergang<br />

zusehen – weshalb das Konzert eine Stunde später begann. Und<br />

wie enttäuscht er von Sly Stone war, den er in den 1960ern in<br />

New York gesehen hatte und den er verehrt. Wie dieser dann völlig<br />

zugedröhnt auf die Bühne wankte und diese bereits nach zwanzig<br />

Minuten wieder verliess. «If you don’t like it, too bad», rief <strong>Nobs</strong><br />

darauf dem tief enttäuschten Publikum zu. «Das war», kommentiert<br />

er heute, «mein grösster Fehler, das hätte ich nie machen dürfen.»<br />

Dann wieder erzählt er von den Abenden in der Künstlerkolonie<br />

Woodstock in Upstate New York, als er bei Albert Grossman wohnte,<br />

damals Manager von Bob Dylan, Janis Joplin und The Band.<br />

Und wie dort ein gewisser Jimi Hendrix aufkreuzte. So reihen sich<br />

Erinnerungen und Anekdoten aneinander, und man muss aufpassen,<br />

ihnen nicht zu erliegen. Denn das ist nur die eine Seite von<br />

<strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong>, sozusagen die romantische. Dabei hat gerade er<br />

auch die andere Seite erlebt, das Showbusiness als tönende Rechenmaschine,<br />

als Kartell, zu dem er selber auch gehört.<br />

Das Musikgeschäft ist gleichermassen rücksichtslos und<br />

heuch lerisch. Wie hast du das erlebt?<br />

Natürlich ist dieses Geschäft heuchlerisch. Die Leute sagen dir nie<br />

direkt, was sie von dir halten. Ich spiele das Spiel <strong>mit</strong>, aber ich hasse<br />

es auch. Deshalb gehe ich auch immer weniger an offi zielle Anlässe<br />

und Partys.<br />

Einerseits bist du von der Musik begeistert, zugleich trittst du<br />

als knallharter Manager auf.<br />

Ich kann <strong>mit</strong> vielen Leuten den grössten Krach bekommen, aber<br />

das geht bei mir schnell vorbei, denn ich bin nicht nachtragend.<br />

Meistens erinnere ich mich nicht einmal an den letzten Streit, den<br />

ich <strong>mit</strong> jemandem hatte. Es gibt Leute, die mich absichtlich sehr<br />

ver letzt haben, aber das ist mir egal. Auch ich verliere oft die Beherrschung,<br />

das hat vor allem <strong>mit</strong> der langen Dauer des <strong>Festival</strong>s zu<br />

tun: dass ich irgendwann gegen die Müdigkeit ankämpfe.<br />

Es gibt noch einen anderen, zentralen Widerspruch bei dir,<br />

von dem wir bereits gesprochen haben: Du liebst die<br />

Musik, schaust die Konzerte aber nur auf Video an. Warum<br />

hast du die Aufnahme lieber als das Konzert?<br />

Es stimmt, dass ich bei mir zu Hause überall Bildschirme aufgestellt<br />

habe. Aber ich muss euch etwas gestehen: Ich höre die Musik<br />

nur, ich schaue nicht zu. Am liebsten höre ich Musik ohne Bild.<br />

Und am liebsten höre ich noch LPs auf exzellenten Plattenspielern.<br />

Ich höre dann die Musik und lese vielleicht die Liner Notes auf der<br />

Plattenhülle. Ich habe zwar DVD, Bluray und all die anderen neuen<br />

Technologien öffentlich immer verteidigt. Aber im Grunde interes-<br />

30<br />

sieren sie mich überhaupt nicht. Das Visuelle ist für mich höchstens<br />

ein Gewürz, das man beimengen kann oder auch nicht. Ich bin da<br />

sehr altmodisch. Früher hörte ich die alten 78er-Platten von Duke<br />

Ellington – das war auch mein Übername, als ich sehr jung war –,<br />

die wurden analog <strong>mit</strong> einem Mikrofon aufgenommen, das klingt<br />

für mich nach Magie. Ich höre auch etwas schlechter als früher, weil<br />

ich an einem milden Tinnitus leide. Aber es stört nicht, wenn ich<br />

nicht daran denke.<br />

Du propagierst also ein Medium, das dich gar nicht interessiert?<br />

Die Technik fasziniert mich durchaus, ich habe ja auch einen Hang zu<br />

Gadgets aller Art. Und ich glaube an das Medium als Form der Kommunikation,<br />

auch an das Internet. Aber ich möchte selber nicht auf<br />

diese Weise Musik erleben; ich will sie nicht sehen, ich will sie hören.<br />

Du sagst, du wolltest aufhören. Aber du hattest immer grosse<br />

Mühe, loszulassen und Verantwortung zu delegieren. Könnte<br />

das da<strong>mit</strong> zu tun haben, dass du dir alles selber aufgebaut hast,<br />

und dass du denkst, ohne dich geht nichts?<br />

Nein, überhaupt nicht. Mir ist es egal, ein Bäckerssohn zu sein, der<br />

als Koch begonnen hat. Ich habe einen Ehrendoktortitel der<br />

Lausanner ETH, habe aber nie studiert. Es stimmt, dass ich in den<br />

1980er-Jahren glaubte, einen Nachfolger gefunden zu haben,<br />

Emmanuel Gétaz. Der ist dann im Streit gegangen, weil er fand,<br />

ich liesse ihn nicht arbeiten. Vermutlich tragen wir beide eine<br />

Mitschuld daran. Allerdings muss ich auch sagen, dass Emmanuel,<br />

der die Miles Davis Hall programmierte, dabei fast jedes Jahr ein<br />

Defi zit von einer Million Franken machte. Ich glich das damals <strong>mit</strong><br />

den Profi ten aus dem Auditorium Stravinski aus, aber fand dann<br />

doch, man könne so nicht weitermachen. Wir haben uns längst<br />

wieder versöhnt, er will jetzt sogar einen Film über mich machen.<br />

Es stimmt, dass ich bis heute keinen offi ziellen Nachfolger präsentieren<br />

kann. Aber es gibt mehrere Leute in meinem Team, die<br />

meine Arbeit kennen und sehr gut weiterführen könnten.<br />

Eine Stunde war uns zugestanden, es wurden vier daraus. Danach<br />

ist zwar noch lange nicht alles beantwortet, aber vieles gefragt.<br />

<strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong> stellt sicher, dass jemand uns zum Bahnhof fährt, er<br />

will nichts davon wissen, dass wir ein Taxi rufen. Er bringt uns zur<br />

Tür, verabschiedet sich, dreht sich um und geht gebückt in sein<br />

Haus zurück – allein. <<br />

<strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong>, geboren 1936, ist Mitbegründer und seit 43 Jahren Leiter des<br />

<strong>Montreux</strong> <strong>Jazz</strong> <strong>Festival</strong>. 1973 wurde <strong>Nobs</strong> Schweizer Direktor der Plattenfi rma<br />

Warner Music Group. Im April 2010 teilte <strong>Nobs</strong> <strong>mit</strong>, dass er die operative<br />

Leitung des <strong>Montreux</strong> <strong>Jazz</strong> <strong>Festival</strong> an seinen Nachfolger Mathieu Jaton abtritt,<br />

die strategische Leitung aber beibehält.<br />

Philippe Dudouit, geboren 1977, erhielt als Fotograf verschiedene Auszeichnungen,<br />

darunter den Kiefer Hablitzel Kunstpreis. Dudouit ist zweifacher Gewinner<br />

eines World-Press-Photo-Awards.

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