Sabine Kuegler, würdest du deine Kinder im Dschunge - Explora.ch
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INTERVIEW<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong>, <strong>würdest</strong> <strong>du</strong> <strong>deine</strong> <strong>Kinder</strong><br />
Texte und Fotos: © Droemer Knaur Verlag und <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong><br />
Geboren 1972 in Nepal, kam <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong> (34) mit<br />
fünf Jahren in den <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l von West-Papua, wo ihre<br />
Eltern, deuts<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler, einen neuen<br />
Wirkungskreis gefunden hatten. Zusammen mit ihren<br />
beiden Ges<strong>ch</strong>wistern verlebte sie dort ihre Kindheit und<br />
Jugend fernab der Zivilisation, bei einem unerfors<strong>ch</strong>ten<br />
Stamm von sogenannten «Kannibalen». Bis sie siebzehn<br />
war, kannte sie keine Autos, kein Fernsehen und<br />
keine Ges<strong>ch</strong>äfte. Sie spielte ni<strong>ch</strong>t mit Puppen, sondern<br />
s<strong>ch</strong>wamm mit Krokodilen <strong>im</strong> Fluss – und erlebte s<strong>ch</strong>on<br />
früh die alten Rituale des Tötens. Die Natur war ihr Spielplatz,<br />
der <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l ihre He<strong>im</strong>at, der H<strong>im</strong>mel ihr Da<strong>ch</strong>.<br />
Mit 17 Jahren kam <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong> na<strong>ch</strong> Europa, in<br />
ein Internat in Montreux, und erlebte jahrelang einen<br />
grotesken Kulturs<strong>ch</strong>ock. Sie studierte dann Wirts<strong>ch</strong>aft,<br />
arbeitete <strong>im</strong> Hotelfa<strong>ch</strong> und in der Marktfors<strong>ch</strong>ung und<br />
bekam vier <strong>Kinder</strong>.<br />
Anfang 2005 ers<strong>ch</strong>ien ihr erstes Bu<strong>ch</strong> «<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>lkind»,<br />
über ihre Kindheit <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l, das inzwis<strong>ch</strong>en rund<br />
300000 mal auf Deuts<strong>ch</strong> verkauft und in viele Spra<strong>ch</strong>en<br />
übersetzt wurde. Im Herbst 2005 kehrte sie für einige<br />
Wo<strong>ch</strong>en zurück na<strong>ch</strong> Westpapua, worauf sie ihr zweites<br />
Bu<strong>ch</strong> «Ruf des <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>ls» s<strong>ch</strong>rieb, das <strong>im</strong> September<br />
2006 ers<strong>ch</strong>ien und seither auf den Bestsellerlisten ers<strong>ch</strong>eint.<br />
Wo fühlst <strong>du</strong> di<strong>ch</strong><br />
zuhause, <strong>im</strong><br />
<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l oder in<br />
Europa?<br />
I<strong>ch</strong> weiss ni<strong>ch</strong>t, wo mein<br />
Zuhause ist, i<strong>ch</strong> weiss es<br />
einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> glaube,<br />
i<strong>ch</strong> lebe zwis<strong>ch</strong>en zwei<br />
Welten, zwei Kulturen. Ein<br />
Teil von mir fühlt si<strong>ch</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l zuhause, aber<br />
ein anderer Teil hat si<strong>ch</strong><br />
einfa<strong>ch</strong> an das Luxus-Leben<br />
hier gewöhnt, fliessend<br />
warmes Wasser, Autos,<br />
Ges<strong>ch</strong>äfte. I<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong><br />
fast zerrissen, weiss ni<strong>ch</strong>t,<br />
wo i<strong>ch</strong> hingehöre, wo i<strong>ch</strong><br />
mi<strong>ch</strong> wohler fühle. I<strong>ch</strong><br />
weiss es einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />
Was empfindest <strong>du</strong>,<br />
wenn <strong>du</strong> nun «<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>lshows»<br />
<strong>im</strong> Fernsehen<br />
siehst?<br />
(la<strong>ch</strong>t) <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>lshows,<br />
na ja! Ein wenig unrealistis<strong>ch</strong>.<br />
Also, i<strong>ch</strong> habe es mir<br />
einmal anges<strong>ch</strong>aut, und es<br />
ist ni<strong>ch</strong>t das, was i<strong>ch</strong> kenne.<br />
Das einzige, was typis<strong>ch</strong><br />
ist, sind die Tiere, die<br />
30<br />
Insekten, die überall herums<strong>ch</strong>wirren.<br />
Und die Hitze.<br />
Man merkt den Leuten ja<br />
an, dass es heiss ist. Aber<br />
es ist ni<strong>ch</strong>t das <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l-<br />
Leben, das i<strong>ch</strong> kenne.<br />
Würdest <strong>du</strong> <strong>deine</strong><br />
<strong>Kinder</strong> <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l<br />
aufwa<strong>ch</strong>sen lassen?<br />
Ja, würde i<strong>ch</strong>. Wenn i<strong>ch</strong> die<br />
Wahl hätte, würde i<strong>ch</strong> alle<br />
meine <strong>Kinder</strong> <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l<br />
aufwa<strong>ch</strong>sen lassen. Natürli<strong>ch</strong><br />
ist es s<strong>ch</strong>wierig, wenn<br />
man si<strong>ch</strong> dann hier wieder<br />
einfügen muss. Aber wenn<br />
i<strong>ch</strong> rückblickend über meine<br />
Kindheit na<strong>ch</strong>denke, glaube<br />
i<strong>ch</strong>, es ist ein so ungewöhnli<strong>ch</strong>es<br />
Erlebnis gewesen und<br />
es hat mir so viel Positives<br />
gegeben. I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong><br />
hier nie ri<strong>ch</strong>tig eingelebt,<br />
aber i<strong>ch</strong> würde meinen<br />
<strong>Kinder</strong>n gerne die Freiheit<br />
geben, die i<strong>ch</strong> hatte, die<br />
Unbes<strong>ch</strong>wertheit. <strong>Kinder</strong><br />
werden hier mit Situationen<br />
konfrontiert, die kannten<br />
wir <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l gar ni<strong>ch</strong>t.<br />
Ja, i<strong>ch</strong> würde meine <strong>Kinder</strong><br />
Freunde für’s Leben: Tuare, Bare und i<strong>ch</strong>, einst und jetzt.<br />
in Westpapua grossziehen.<br />
Do<strong>ch</strong> wir haben nun<br />
hier unser Lebensumfeld,<br />
i<strong>ch</strong> habe hier meine<br />
berufli<strong>ch</strong>en Aufgaben.<br />
Waren dir als Kind die<br />
Gefahren des <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>ls<br />
bewusst? Wovor<br />
hattest <strong>du</strong> Angst?<br />
Ob i<strong>ch</strong> das Gefühl hatte,<br />
dass der Urwald gefährli<strong>ch</strong><br />
ist – absolut ni<strong>ch</strong>t! Es war<br />
eher Respekt als Angst. I<strong>ch</strong><br />
kann mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erinnern,<br />
dass i<strong>ch</strong> jemals da<strong>ch</strong>te<br />
«Oh, das ist gefährli<strong>ch</strong>». Im<br />
Gegenteil, i<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong><br />
sehr, sehr si<strong>ch</strong>er gefühlt,<br />
und sehr geborgen. Es<br />
gab natürli<strong>ch</strong> Gefahren,<br />
es gab S<strong>ch</strong>langen, es gab<br />
Wilds<strong>ch</strong>weine, die aus<br />
dem Urwald kamen, dann<br />
mussten wir auf die Bäume<br />
klettern, weil sie sehr<br />
aggressiv werden konnten.<br />
Wir hatten natürli<strong>ch</strong><br />
Malaria. Aber das haben<br />
wir ni<strong>ch</strong>t als Bedrohung<br />
angesehen. Und es gab<br />
Stammeskriege. Au<strong>ch</strong> davor<br />
hatten wir keine Angst.<br />
Angst ums Leben oder <strong>im</strong><br />
Sinne von «Oh, mir passiert<br />
etwas», hatten wir nie.<br />
Angst habe i<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong><br />
erst kennen gelernt, als i<strong>ch</strong><br />
hierher na<strong>ch</strong> Europa kam,<br />
Angst vor dem Unbekannten,<br />
vor Situationen,<br />
wo i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wusste, wie<br />
i<strong>ch</strong> darauf reagieren soll.<br />
Wel<strong>ch</strong>e Spiele habt ihr<br />
<strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l gespielt?<br />
Als wir dort hinkamen,<br />
kannten die Fayu-<strong>Kinder</strong><br />
keine Spiele. Wegen der<br />
vielen Kriege hatten sie<br />
nie gelernt zu spielen.<br />
Das haben wir natürli<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>nell gemerkt. Wir<br />
haben ihnen Fussball<br />
beigebra<strong>ch</strong>t, sind viel zum<br />
S<strong>ch</strong>w<strong>im</strong>men gegangen,<br />
haben Wilds<strong>ch</strong>weinjagen<br />
gespielt und ihnen gezeigt,<br />
wie man etwas konstruiert.<br />
Im Gegenzug haben sie<br />
uns gezeigt, wie man ohne<br />
Strei<strong>ch</strong>hölzer Feuer ma<strong>ch</strong>t,
<strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l aufwa<strong>ch</strong>sen lassen?<br />
wie man jagt, wie man mit<br />
Pfeil und Bogen umgeht,<br />
wel<strong>ch</strong>e Pflanzen und Tiere<br />
giftig und wel<strong>ch</strong>e essbar<br />
sind oder wie man eine<br />
Hütte baut. Es war ein<br />
gegenseitiges Beibringen<br />
und Lernen. Sie haben uns<br />
das Leben <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l<br />
gezeigt, wir haben ihnen<br />
beigebra<strong>ch</strong>t zu spielen.<br />
Zuerst haben sie gela<strong>ch</strong>t,<br />
Spiele waren für sie sinnlos.<br />
Aber später haben sie<br />
sehr, sehr gerne gespielt.<br />
Wie ist es, mit dem<br />
Gefühl aufzuwa<strong>ch</strong>sen,<br />
anders zu sein als die<br />
anderen <strong>Kinder</strong>?<br />
I<strong>ch</strong> habe bei den Fayu<br />
niemals das Gefühl gehabt,<br />
ni<strong>ch</strong>t dazu zu gehören oder<br />
anders zu sein. Von Anfang<br />
an, seit i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> erinnern<br />
kann, waren wir ein Teil<br />
ihres Lebens. Sie haben uns<br />
angesehen wie sie andere<br />
Fayu angesehen haben.<br />
Das Gefühl, irgendwo ni<strong>ch</strong>t<br />
dazuzugehören, habe i<strong>ch</strong><br />
erst kennen gelernt, als<br />
i<strong>ch</strong> hierher na<strong>ch</strong> Europa<br />
kam. Die Fayu haben<br />
mi<strong>ch</strong> niemals auf meine<br />
Augen- oder Haar- oder<br />
Hautfarbe angespro<strong>ch</strong>en.<br />
Wir waren einfa<strong>ch</strong> ein<br />
Teil von ihnen, so wie<br />
sie ein Teil von unserer<br />
Lebenserfahrung waren.<br />
Gibt es rückblickend<br />
etwas, das <strong>du</strong> in <strong>deine</strong>r<br />
Kindheit vermisst hast?<br />
Als <strong>Kinder</strong> haben wir<br />
viel davon gespro<strong>ch</strong>en,<br />
best<strong>im</strong>mte Sa<strong>ch</strong>en zum<br />
Essen zu haben: Eiscreme,<br />
S<strong>ch</strong>okolade, Süssigkeiten,<br />
Bröt<strong>ch</strong>en, e<strong>ch</strong>te Mil<strong>ch</strong>,<br />
e<strong>ch</strong>te Butter… Aber es ist<br />
komis<strong>ch</strong>: Als wir dann in Europa<br />
waren, haben wir uns<br />
zwar die ersten Wo<strong>ch</strong>en<br />
damit vollgestopft, dann<br />
mo<strong>ch</strong>ten wir die Sa<strong>ch</strong>en<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr. Mil<strong>ch</strong> mo<strong>ch</strong>ten<br />
wir ni<strong>ch</strong>t, wir kannten nur<br />
Mil<strong>ch</strong>pulver, au<strong>ch</strong> keine<br />
Butter, wir hatten nur Margarine<br />
in diesen Dosen. Als<br />
<strong>Kinder</strong> haben wir viel von<br />
diesen Dingen geträumt,<br />
aber als es dann soweit<br />
war, war es gar ni<strong>ch</strong>t so<br />
toll. Wirkli<strong>ch</strong> vermisst, dass<br />
wir da<strong>ch</strong>ten «das hat mir<br />
gefehlt», haben wir ni<strong>ch</strong>ts.<br />
Na<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>en<br />
Vorstellungen würde<br />
man den Fayu-Stamm<br />
als brutal bezei<strong>ch</strong>nen.<br />
Hast <strong>du</strong> das ebenso<br />
empfunden?<br />
Nein, <strong>im</strong> Gegenteil, i<strong>ch</strong><br />
finde das Leben in Europa<br />
viel brutaler. I<strong>ch</strong> glaube,<br />
das hat etwas damit zu tun,<br />
dass <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l alles<br />
s<strong>ch</strong>warz und weiss, d.h. die<br />
Situation klarer ist. Man ist<br />
«böse» – oder «gut». Man<br />
ist Freund – oder Feind.<br />
Hier ist es viel brutaler, man<br />
weiss nie, wer Freund und<br />
wer Gegner ist. Ja, es gab<br />
Stammeskriege, in diesem<br />
Sinne war es brutal. Aber<br />
man wusste, sie waren da,<br />
und man konnte si<strong>ch</strong> mit<br />
der Situation zure<strong>ch</strong>tfinden.<br />
S<strong>ch</strong>auen Sie mal, was hier<br />
passiert: <strong>Kinder</strong> werden<br />
entführt, Mens<strong>ch</strong>en werden<br />
sinnlos ermordet, weil<br />
jemand gestresst ist oder<br />
genervt. Man hat die Gefahren<br />
von Verkehrsunfällen.<br />
Man steht psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> unter<br />
einem enormen Druck.<br />
Das gab es dort ni<strong>ch</strong>t.<br />
Was <strong>würdest</strong> <strong>du</strong> gerne<br />
wieder ma<strong>ch</strong>en?<br />
I<strong>ch</strong> würde gerne wieder<br />
barfuss laufen, gerne<br />
wieder die Vögel und die<br />
Insekten hören. I<strong>ch</strong> würde<br />
gerne wieder die Sonne<br />
spüren, es ist ja eine extrem<br />
heisse Sonne dort. Au<strong>ch</strong><br />
gerne wieder s<strong>ch</strong>w<strong>im</strong>men<br />
gehen <strong>im</strong> Fluss, einfa<strong>ch</strong><br />
unges<strong>ch</strong>minkt sein, irgend-<br />
Ein Junge kommt zu unserer Begrüssung angerudert.<br />
wel<strong>ch</strong>e Sa<strong>ch</strong>en anhaben,<br />
egal ob sie passen oder<br />
ni<strong>ch</strong>t. Einfa<strong>ch</strong> die Natur<br />
um mi<strong>ch</strong> herum geniessen,<br />
diese s<strong>ch</strong>wüle Hitze dort,<br />
Fahrten mit dem Boot auf<br />
dem Fluss, der Wind, die<br />
vielen Vögel… Oder die<br />
Sonnenuntergänge, die sind<br />
einfa<strong>ch</strong> traumhaft dort. Jeden<br />
Abend haben wir den<br />
Sonnenuntergang bewusst<br />
erlebt. Oder der Mond. All<br />
die Erfahrungen, die i<strong>ch</strong> als<br />
Kind so geliebt habe, die<br />
vermisse i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on sehr.<br />
Was fehlt dir in Europa<br />
am meisten?<br />
Eine Sa<strong>ch</strong>e, die i<strong>ch</strong> sehr<br />
vermisse, ist das warme<br />
Wetter. I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong> nie<br />
an die Kälte gewöhnen<br />
können. Was i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />
vermisse, ist das Essen.<br />
Und i<strong>ch</strong> vermisse die Ruhe.<br />
Hier ist <strong>im</strong>mer so viel los,<br />
es gibt so viel Hektik, man<br />
hetzt ständig von einem<br />
Termin zum nä<strong>ch</strong>sten. Das<br />
ist au<strong>ch</strong> etwas, das i<strong>ch</strong><br />
sehr vermisse: Einfa<strong>ch</strong> aufzuwa<strong>ch</strong>en<br />
und zu wissen,<br />
man hat einen s<strong>ch</strong>önen<br />
langen Tag vor si<strong>ch</strong> – und<br />
ni<strong>ch</strong>t aufzuwa<strong>ch</strong>en und<br />
zu denken: «Meine Güte,<br />
i<strong>ch</strong> bin s<strong>ch</strong>on wieder spät<br />
dran.» I<strong>ch</strong> glaube, das ist<br />
es, was i<strong>ch</strong> am meisten<br />
vermisse: zu spüren,<br />
wie alles viel, viel<br />
langsamer läuft.<br />
Z um neuen Bu<strong>ch</strong> «Ruf des <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>ls»:<br />
In der Abges<strong>ch</strong>lossenheit des<br />
<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>ls von West-Papua<br />
war sie das «<strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>lkind»<br />
Als sie mit 17 Jahren auf ein Internat<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz kam, war<br />
es für <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong>, als<br />
würde sie aus dem Paradies<br />
verstossen. Seither hat sie das<br />
He<strong>im</strong>weh gespürt, eine Sehnsu<strong>ch</strong>t,<br />
die ständig in ihr brannte.<br />
Nun kehrt sie zurück zu den<br />
Fayu, zurück in das Paradies<br />
ihrer Kindheit, um für si<strong>ch</strong> herauszufinden:<br />
Wo gehöre i<strong>ch</strong><br />
hin? Wer bin i<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong>?<br />
Bei der Ankunft A nku nft <strong>im</strong> <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>l Ds<strong>ch</strong>u l weiss w eis sie: Hier ist meine He<strong>im</strong>at.<br />
Na<strong>ch</strong> langer Zeit kann sie endli<strong>ch</strong> wieder mit den Freunden ihrer<br />
Kindheit am Feuer sitzen, endli<strong>ch</strong> kann sie wieder das ursprüngli<strong>ch</strong>e<br />
Leben führen, das sie so s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong> vermisst hat.<br />
Aber das Land, in das sie he<strong>im</strong>kehrt, hat si<strong>ch</strong> verändert, das abges<strong>ch</strong>iedene<br />
Leben der Fayu ist bedroht, und ni<strong>ch</strong>t nur das der Fayu,<br />
sondern das aller Papua. Mens<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>winden, Mens<strong>ch</strong>en sterben.<br />
Verzweifelt kämpft ein Volk um seine Freiheit. Es ist ein Kampf<br />
gegen mä<strong>ch</strong>tige Interessen, ein Kampf gegen einen überlegenen<br />
Feind, der keine Gnade kennt, ein Kampf, der s<strong>ch</strong>on seit Jahrzehnten<br />
tobt und von dem die Welt ni<strong>ch</strong>ts wissen will.<br />
Als Kind hat <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong> davon ni<strong>ch</strong>ts mitbekommen. Und do<strong>ch</strong>:<br />
Es gibt eine Erinnerung an die Zeit <strong>im</strong> Paradies, die lange vers<strong>ch</strong>üttet<br />
war. Se<strong>ch</strong>s Jahre war <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong> alt, als sie mitansehen<br />
musste, wie drei Männer ers<strong>ch</strong>ossen wurden. Niemand hat je darüber<br />
gespro<strong>ch</strong>en. Es gab keine Fragen. Keine Antworten.<br />
Heute, als erwa<strong>ch</strong>sene Frau, kann <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong> die Augen ni<strong>ch</strong>t<br />
davor vers<strong>ch</strong>liessen, was in West-Papua ges<strong>ch</strong>ieht, sie will sie ni<strong>ch</strong>t<br />
vers<strong>ch</strong>liessen. Sie hat viele Fragen. Und sie will die Antworten wissen.<br />
Alle. Und so ma<strong>ch</strong>t sie si<strong>ch</strong> auf die gefahrvolle Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> der<br />
Wahrheit.<br />
Ruf des <strong>Ds<strong>ch</strong>unge</strong>ls erzählt eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, in der si<strong>ch</strong> Trauer und<br />
Wut unter das Glück mis<strong>ch</strong>en, endli<strong>ch</strong> he<strong>im</strong>gekehrt zu sein. Es ist<br />
zuglei<strong>ch</strong> eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te voller Hoffnung und Mut. Sie handelt vom<br />
Kampf der Fayu ums Überleben und zuglei<strong>ch</strong> von <strong>Sabine</strong> <strong>Kuegler</strong>s<br />
Kampf um ihren Platz in dieser Welt.<br />
©Globetrotter Club, Bern<br />
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