12.02.2013 Aufrufe

care tuareg - Afrika Tage

care tuareg - Afrika Tage

care tuareg - Afrika Tage

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

CARE Deutschland e.V.<br />

Dreizehnmorgenweg 6 · 53175 Bonn<br />

Telefon: 0228-975630<br />

Homepage: www.<strong>care</strong>.de<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Care Deutschland e.V.<br />

Text und Redaktion: Christine Harth, Christina Heitmann<br />

Photos: Christine Harth<br />

Layout: Medienagentur lgh · www.artplace.de<br />

Druck: Druckerei Rautenberg Multipress-Verlag KG<br />

Spendenkonto<br />

Konto 44 040, Sparkasse Bonn, BLZ 380 500 00<br />

Online-Spenden unter www.<strong>care</strong>.de


Was ist geschehen, dass sich das einstige Paradies der Tuareg in ein irdisches Inferno verwandelt<br />

hat und aus den ehemaligen Herren der Wüste verarmte Nomaden geworden sind? Die<br />

vorliegende Broschüre versucht die Gründe dieser Entwicklung aufzuzeigen und beschreibt die<br />

Veränderungen der Vergangenheit aber auch die Wege der Gegenwart und Zukunft für das Volk<br />

der Tuareg. Mit Hilfe der deutschen Entwicklungzusammenarbeit haben die Tuareg des Aïr-Gebirges<br />

die Chance erhalten, einen selbstbestimmten Entwicklungsweg einzuschlagen. Die Pfade<br />

der bisherigen Hilfsprogramme für Nomadenvölker werden verlassen und den Tuareg selbst die<br />

Verantwortung für ihre Entwicklung und deren Gestaltung übertragen. Mit geringen Mitteln<br />

kann Erstaunliches geleistet werden, wenn die Grundsätze einer selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung<br />

und Eigenverantwortlichkeit konsequent beachtet werden.<br />

Wir danken dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

(BMZ) für die Unterstützung zur Erstellung der Ausstellung und der Broschüre aber vor allen für<br />

das Vertrauen in die Kraft und Kreativität der Menschen im Niger.<br />

CARE Deutschland e.V.<br />

3<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Die Tuareg des Aïr kämpfen um ihr Überleben<br />

Seit mehr als zweitausend Jahren haben die Tuareg in den Oasen und Gebirgsmassiven der<br />

unwirtlichen und menschenfeindlichen Wüste Sahara eine einzigartige Kultur entwickelt - als<br />

Brücke zwischen Nord- und Schwarzafrika, zwischen der Kultur des Mittelmeers und des subtropischen<br />

und tropischen <strong>Afrika</strong>s.<br />

Ihre Kultur ist heute bedroht. Langanhaltende Dürreperioden haben große Weideflächen zerstört<br />

und die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts<br />

ihre Lebensgrundlagen derart verändert, dass aus den ehemaligen Herren der Wüste eine verarmte<br />

Bevölkerungsgruppe geworden ist.<br />

Nach dem Bild der Landschaft, in der er lebt, hat sich der Tuareg<br />

geformt, er fordert sich Bescheidenheit ab, um zu überleben, aber<br />

auch Strenge und Stärke, um sich zu verteidigen. Er weiß, dass er sich<br />

der Wüste anpassen muß, sie verstehen, ihr zuhören muß, wenn er<br />

in ihr überleben will. Denn die Wüste wird immer stärker sein als der<br />

Mensch.


Die Kolonialisierung entzieht der<br />

Tuaregkultur ihre gesellschaftlichen und<br />

wirtschaftlichen Grundlagen<br />

Die Kultur der Tuareg gründet auf einer gemeinsamen Sprache, dem Tamashek, auf ihrer gemeinsamen<br />

Art des Lebens und des Wirtschaftens, ihre spezifische Ausprägung des Islam und ihrer an<br />

das harte Leben in der Wüste angepassten Sozialstruktur.<br />

Das Leben in der Wüste ist hart und entbehrungsreich. Die Nomaden haben sich ihm auf außergewöhnliche<br />

Weise angepasst. Trotz der Knappheit an Wasser und Weideland gelingt ihnen<br />

eine umweltschonende, ausgedehnte Zucht von Kamelen und Ziegen sowie der Anbau von Getreide<br />

und Früchten in Oasengärten. Das sichert ihnen das Überleben. Jahrhunderte lang war<br />

die Grundlage ihrer reichen Kultur der Transsahara-Karawanenhandel. Er ermöglichte einen<br />

regen und einträglichen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Nordafrika und<br />

Schwarzafrika. Die verschiedenen Regionalgruppen bildeten dafür eine Konföderation, die in<br />

dem riesigen Raum der Sahara das Zusammenleben, insbesondere den lebenswichtigen Handel<br />

erlaubte. Diese wirtschaftlich und politisch angepasste Struktur und der Zusammenhalt der<br />

Tuareg untereinander wurden durch die französische Kolonialisierung ab 1870 weitgehend zerstört,<br />

obwohl es fast 50 Jahre dauerte, bis die Franzosen den erbitterten Widerstand der Tuareg<br />

brechen konnten. Erst Ende der 20er Jahre war das Tuareggebiet befriedet und der „koloniale<br />

Friede“ gesichert.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg vollzog sich in den Tuareggebieten ein tiefgreifender Wandel, der allerdings<br />

zunächst kaum sichtbar wurden. Eine erste Veränderung war die Einschränkung der im Süden<br />

liegenden Viehweidegebiete durch Ackerbauern. Die wachsende seßhafte Bevölkerung brauchte<br />

neue Anbauflächen. Das traditionelle Weideland der Nomaden wurde in Felder umgewandelt.<br />

In den 50er Jahren, nach einer Reihe guter Regenjahre, nahm gleichzeitig der Viehbestand der<br />

Nomaden rasch zu. Es kam zur Überweidung der immer kleiner werdenden Weideflächen.<br />

Als die Unabhängigkeit der französischen Kolonien bevorstand, erhofften sich die Tuareg einen<br />

eigenen Staat. Dieser wurde ihnen jedoch von der Kolonialmacht Frankreich und der neuen politischen<br />

Elite Westafrikas nicht zugestanden. Statt dessen wurde ihr Lebensraum auf fünf Länder<br />

aufgeteilt: Algerien, Libyen, Mali, Niger, Burkina Faso.<br />

5<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Politische Ausgrenzung<br />

in der jungen Republik Niger<br />

In der 1960 unabhängig gewordenen Republik Niger fiel die politische Macht ausschließlich an<br />

Angehörige der Ethnien aus dem Süden des Landes. Die Tuareg waren in Regierung und Verwaltung<br />

nicht vertreten. Die Jahrhunderte alten Machtverhältnisse zwischen Viehzüchtern und<br />

Ackerbauern hatten sich umgekehrt. Die einstigen Herren der Wüste galten jetzt als rückständig<br />

und ungebildet, als ehemalige Sklavenhalter und Viehräuber. Sie und ihr Lebensraum wurden als<br />

nicht entwicklungsfähig deklariert. Vielmehr versuchte man, sie zwanghaft seßhaft zu machen.<br />

Viehzüchtende Nomaden in Trockengebieten, die zur Seßhaftigkeit gezwungen werden, werden<br />

aber zu Bettlern. Sie können kein Vieh mehr halten und verfügen auch nicht über eine Ausbildung<br />

um anderen Arbeiten nachzugehen, die ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.<br />

Als die Tuareg sich gegen die Seßhaftmachung wehrten, waren sie der Willkür der Militärs und<br />

Verwaltungsbeamten schutzlos ausgesetzt und wurden erbarmungslos unterdrückt. Sie wurden<br />

verfolgt und - wenn sie Widerstand leisteten - getötet, ihre Brunnen wurden vergiftet oder der<br />

Zugang zu ihnen vermint.<br />

Zwei Dürrekatastrophen<br />

verschlimmern die Lage zusätzlich<br />

Die große Dürre in den Sahelländern Westafrikas in den Jahren 1973-1974 und erneut 1984-<br />

1985 drohte den Tuareg den Todesstoß zu versetzen. Große Weideflächen verbrannten unter der<br />

gnadenlosen Sonne und verwandelten sich in nutzloses Ödland. Die Nomaden verloren fast ihren<br />

gesamten Viehbestand. Die für sie bestimmten Lieferungen der internationalen Hilfsorganisationen<br />

erreichten sie nicht, denn sie wurden vielfach von der Verwaltung veruntreut. Notgedrungen<br />

gaben viele ihr Nomadenleben auf. Tausende junge Männer flohen vor der Trockenheit auf der<br />

Suche nach Arbeit nach Algerien oder Libyen. Dort arbeiteten sie als Gastarbeiter in der Erdölindustrie<br />

oder in anderen modernen Berufen. Viele junge Männer verdingten sich auch als Söldner<br />

in der „Libyschen Islamischen Legion“ und kämpften für die fragwürdigen Interventionen des<br />

Diktators al-Gaddafi im Libanon und Tschad. Zehntausende andere suchten als Dürreflüchtlinge<br />

in den Elendsvierteln der Städte Zuflucht, wieder andere, vor allem Frauen und Kinder, endeten<br />

in Flüchtlingslagern.


Letzter Ausweg – Rebellion<br />

Wegen der wachsenden wirtschaftlichen Probleme in Libyen und Algerien aber auch aufgrund<br />

von Integrationsschwierigkeiten, wurden die Tuareg-Gastarbeiter 1990 in ihre Heimat zurückgeschickt.<br />

Den Rückkehrern wurde von den Vereinten Nationen Hilfe bei der Wiedereingliederung<br />

versprochen. 20.000 – 30.000 Tuareg entschlossen sich, in ihre Heimatländer Niger und Mali<br />

zurückzukehren. Dort aber wollte man sie trotz vorheriger Zusagen nicht wieder aufnehmen.<br />

Sie wurden notdürftig in Lagern untergebracht und von der Armee bewacht. Die versprochene<br />

internationale Hilfe verschwand in dunklen Kanälen und kam nie an.<br />

Es kam zu Protestaktionen und Verhaftungen. Im Mai 1990 befreiten einige Tuareg ihre festgenommenen<br />

Freunde aus dem Gefängnis in Tchin-Tabaradene, einem Ort im Nordwesten Nigers.<br />

Ein Wächter und ein Gefangener wurden getötet. Auf diesen Zwischenfall reagierte das von der<br />

Regierung entsandte Militär mit blindwütiger Gewalt. Innerhalb weniger Stunden zog das Militär<br />

um das Gebiet der Flüchtlingslager einen Ring und schritt zu den schlimmsten Demütigungen,<br />

zu Folter und Mord. Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern getötet, Männer wurden nackt und<br />

entwürdigend durch die Lager getrieben. Hunderte fielen nach Schätzungen diesen Massakern<br />

zum Opfer. Viele der Lagerinsassen flohen in die Wüste, um dort eher vor Durst zu sterben, als<br />

die Demütigungen und Verfolgungen weiter zu ertragen. Das Massaker von Tchin-Tabaradene<br />

bedeutete für das Selbstverständnis der Tuareg eine entscheidende Wende. Es war der Auslöser<br />

für die Tuaregrebellion.<br />

Im Juni 1990 begann unter Führung der kampf- und waffenerprobten ehemaligen Kämpfer der<br />

libyschen islamischen Legion ein bewaffneter Aufstand. Nach vierjährigen erbitterten Kämpfen,<br />

während derer sich die Lebensbedingungen der Tuareg-Bevölkerung weiter verschlechterten,<br />

kam es am 24.April 1995 durch Vermittlung der Nachbarstaaten und Frankreich zu einem Friedensvertrag<br />

zwischen der nigrischen Regierung und den Rebellen.<br />

7<br />

<strong>tuareg</strong><br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Die Ereignisse von Tchin-Tabaradene haben uns jede Hoffnung<br />

und alle Illusionen genommen, Demokratie und Gerechtigkeit<br />

durchzusetzen. So schuf menschlicher Wahnsinn eine<br />

revolutionäre Stimmung mit dramatischen Folgen für den<br />

Niger und das friedliche Zusammenleben seiner Volksstämme.<br />

Einige Tuareg beschlossen, zu den Waffen zu greifen, und sie<br />

zogen sich in die natürliche Festung, die das Aïr-Massiv bildet,<br />

zurück. Andere wollten an eine politische Lösung glauben.<br />

Damals habe ich schreckliche innere Kämpfe ausgefochten.<br />

Ich war hin und her gerissen zwischen den beiden Richtungen,<br />

die sich in unserer Gemeinschaft abzeichneten. Ich wußte,<br />

daß vom Niger in politischer Hinsicht nichts zu erhoffen<br />

war. Die Mentalität in diesem Land war keineswegs schon so<br />

weit, daß ein politisches System und eine Regierungsform<br />

akzeptiert worden wären, die allen Volksgruppen der Nation<br />

im Rahmen eines föderativen Staates Selbstverwaltung<br />

einräumten.<br />

Ich konnte mich jedoch nicht dazu durchringen, mich den<br />

Rebellen anzuschließen. Der Gedanke, Männer töten zu<br />

müssen und ihre Kinder zu Waisen zu machen, schockierte<br />

mich. Zudem wußte ich, daß der Kampf lange dauern würde<br />

und unser Volk entsetzlich leiden müßte. Aber wir mußten<br />

politische Veränderungen herbeiführen, die allerdings zu<br />

den politischen Strukturen der afrikanischen Länder in<br />

Widerspruch stehen würden. ...Unglücklicherweise war im<br />

Niger niemand bereit, solche politischen Projekte ernst<br />

zu nehmen. ...Das Wort »Föderalismus« war tabu, und<br />

jeder Tuareg, der davon sprach, war ein potentieller Rebell.<br />

Alle Diskussionen, die wir führen wollten, wurden, kaum<br />

begonnen, sogleich abgeklemmt oder rasch abgehakt. Wir<br />

fanden nicht einen einzigen Gesprächspartner, mit dem<br />

wir über das Problem der Minoritäten hätten sprechen<br />

können: über das Aufgeben aller wirtschaftlichen Projekte<br />

in Nomadengebieten, über die ungenügende oder<br />

zusammengebrochene medizinische Versorgung, über die<br />

im Norden und im Süden so unterschiedliche Verteilung der<br />

Schulen, über das Problem der Viehzucht.<br />

Mano Dayak: Geboren mit Sand in den Augen.<br />

Die Autobiographie des Führers der Tuareg-Rebellen.<br />

Zürich 1997 S. 171- 174


Bedingungen für einen Frieden<br />

Der Friedensvertrag enthielt vier wesentlichen Zusagen der Regierung an die Tuareg:<br />

� die Dezentralisierung der regional wichtigen politischen Entscheidungen<br />

� die Entwicklung der von der Rebellion betroffenen Gebiete<br />

� die Integration der Rebellen in Regierung, Militär, Polizei und Zoll<br />

� die Wiedereingliederung der ehemaligen Kämpfer in die nigrische Gesellschaft durch berufliche<br />

und wirtschaftliche Förderung<br />

Von den vertraglich vereinbarten Punkten ist die Integration von ca. 1.200 ehemaliger Rebellen<br />

in den öffentlichen Bereich erfolgt und die politische Dezentralisierung macht Fortschritte. Die<br />

wirtschaftliche und soziale Entwicklung der von der Rebellion betroffenen Gebiete steckt jedoch<br />

nach sechs Jahren Frieden noch in den Anfängen. Nur wenige Projekte konnten wirklich die<br />

Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. Die Zusage der Regierungen an die Tuareg, die<br />

Entwicklung ihres Lebensraums durch Schulen, Gesundheitszentren, Handwerksförderung und<br />

Tourismus zu unterstützen, harrt noch der Erfüllung. Manches hat sich seither verbessert; die<br />

Entwicklung des Aïr hat die Regierung des Niger aber weitgehend ausländischen Organisationen<br />

überlassen. Aus Deutschland beteiligen sich an dieser Entwicklungs- und Friedensarbeit die „Gesellschaft<br />

für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) und CARE Deutschland.<br />

Gegenwart, Zukunft und Entwicklung<br />

Die seit dem Friedensvertrag erfolgte Beendigung ihrer Ausgrenzung lässt die Hoffnung der<br />

Tuareg auf ihr Überleben wachsen. Die Rebellion hat nicht nur die politischen Rahmenbedingungen<br />

verbessert, sondern die Tuareg beginnen einzusehen, dass sie ihre Kultur und Identität nur<br />

bewahren können, wenn sie sich am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben beteiligen,<br />

wenn sie aktiv den Aufbau des Friedens und ihres Lebensraums mit gestalten.<br />

Wer könnte das besser als sie selbst. Die „Armen“ sind die besten Experten für die Gestaltung<br />

ihrer Zukunft. Von uns benötigen sie Partnerschaft, Solidarität, Vertrauen in ihre Fähigkeiten<br />

und Kräfte - und natürlich Geld. Viele junge Tuareg sind in der Zeit der Rebellion dem Rat ihrer<br />

politischen Führer gefolgt und haben im Ausland studiert. Daher gibt es heute mehr Tuareg, die<br />

verantwortungsvolle Führungspositionen einnehmen können als zu Zeiten der Unabhängigkeit.<br />

Einige haben sich zu Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen und sind fest entschlossen,<br />

die im Friedensvertrag vereinbarte Aufbauhilfe in die Tat umzusetzen. Die Organisation<br />

HED-Tamat, der Partner von CARE Deutschland, ist ein überzeugendes Beispiel davon, was die<br />

Tuareg zum Meistern ihrer Zukunft leisten können. Jede Bemühung um einen nachhaltigen Entwicklungsweg<br />

aus der Armut muss zunächst die richtigen Lehren aus der Vergangenheit ziehen.<br />

Sie muss die traditionellen sozioökonomischen und politischen Gegebenheiten berücksichtigen,<br />

auf den vorhanden Sozialstrukturen aufbauen und die Menschen zu einer selbst bestimmten<br />

Entwicklung motivieren.<br />

Bevor ein derartiger Weg im Detail beschrieben wird, soll zunächst eine Einführung in den Lebensraum<br />

und der aktuelle Lebensweise der Air Tuareg vorgenommen werden.<br />

9<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Die Wirtschaft der Tuareg im Aïr-Gebirge<br />

Das Aïr-Gebirge ist ein altes vulkanisches Gebirgsmassiv. Es ist<br />

von großen Sandwüsten im Norden, Osten und Westen umgeben,<br />

während sich im Süden der afrikanische Sahel anschließt.<br />

Im Vergleich mit der umgebenden Wüste sind die 50 bis 150<br />

Millimeter Niederschlag, die im Aïr jährlich in der Regenzeit<br />

(Juli bis September) fallen, viel. Der Regen ermöglicht nicht<br />

nur Viehwirtschaft, sondern speist auch das Grundwasser, das<br />

zum Gartenbau genutzt wird.<br />

Den Kern der Wirtschaft der Aïr-Tuareg bildet immer noch der<br />

Karawanenhandel und die Kamelzucht. Im Oktober ziehen die<br />

Karawaniers zunächst 500 km durch die extrem trockene Sandwüste<br />

Tenéré nach Osten, um in Bilma gegen Bargeld oder im<br />

Tausch gegen Hirse oder Gartenprodukte das dort gewonnene<br />

Salz und Datteln zu erwerben. Dann kehren sie ins Aïr zurück<br />

und ruhen dort einige Wochen aus, um im Dezember ins 600<br />

km entfernte Zinder aufzubrechen. Dort verkaufen sie Salz und<br />

Datteln und erwerben aus dem Erlös vor allem Hirse, aber auch<br />

Kleidung und andere Produkte. Eine große Kamelladung Hirse<br />

(180kg) genügt einer Person als Nahrung für ein Jahr. Spätestens<br />

im Mai kehren Sie von ihrer langen Reise zurück ins Aïr.<br />

Die für den Karawanenhandel erforderliche nomadische Kamelhaltung<br />

hat ihren eigenen jahreszeitlichen Rhythmus.<br />

Die Kamele weiden in der Regenzeit (Juli bis September) und<br />

ebenso während der kurzen Ruhepause nach ihrer Rückkehr<br />

aus Bilma (November) im Aïr. Nachdem die Karawane im Land<br />

der Ackerbauern angekommen ist, weiden sie dort während<br />

der kalten Trockenzeit (Dezember bis Februar), eventuell auch<br />

noch während der heißen Trockenzeit (April bis Juni) auf den<br />

abgeernteten Feldern.<br />

Die Ziegen bleiben dagegen das ganze Jahr über im Aïr und<br />

werden dort von den Frauen gehütet. Ihre Milch und der daraus<br />

gewonnene Käse sind wichtiger Bestandteil der Nahrung. Der<br />

Anbau von Gemüse und Zitrusfrüchten im Gartenbau ist bei den<br />

Aïr Tuareg dagegen relativ neu. Zwar blicken die Dattelpalmen-<br />

haine auf eine jahrhundertelange Tradition zurück, doch wurde<br />

die auf künstlicher Bewässerung beruhende Gartenwirtschaft,<br />

bei der vor allem Weizen, Mais und Zitrusfrüchte angebaut werden,<br />

erst vor achtzig Jahren in der Oase Timia eingeführt.<br />

Das Wirtschaftssystem der Tuareg ist besonders gut an die extremen<br />

Bedingungen der Region angepaßt: Zum einen bieten<br />

die vielfältigen Einnahmequellen Schutz. Wer am Karawanenhandel<br />

teilnimmt, Ziegen besitzt und zusätzlich noch einen<br />

Garten bewirtschaftet, hat eine größere Chance, Krisen durchzustehen,<br />

als ein reiner Gärtner oder Kamelbesitzer. Da Kamele<br />

und Ziegen nicht nur Gras, sondern auch Blätter und Zweige<br />

fressen, sind sie besser an Trockenheit angepaßt als Rinder<br />

und Schafe, die als reine Grasfresser einer Dürre schneller zum<br />

Opfer fallen. Da die Gärten im Aïr künstlich bewässert werden,<br />

können sie eine Trockenzeit eher überstehen als eine Landwirtschaft,<br />

die direkt vom Regen abhängt.<br />

Wasser ist Leben, Wasser ist die Seele, Wasser spendet Leben<br />

und alles hängt vom Wasser ab<br />

Aman Iman, Tuareg-Dichter


Nomadische und handwerkliche Kultur<br />

Der Einfluss der modernen Welt lässt sich auch für die Tuareg nicht aufhalten, viele werden in<br />

den Süden und in die Städte abwandern. Aber alle Tuareg, wo immer sie auch leben, bleiben<br />

ihrer Heimat und Kultur verbunden. Sie wollen ihre alte nomadische Kultur wenigstens im Kernbereich<br />

erhalten. Die nomadische Kultur der Aïr-Tuareg ist eng mit einer hohen handwerklichen<br />

Kunst verbunden, beeinflusst von der Kunst des islamischen Mittelmeerraumes. Ihre großen<br />

Lederzelte und Kuppelhütten aus geflochtenen Matten sind mit verschiedenen, holzgeschnizten<br />

Gegenständen ausgestattet. Das Bett besteht aus runden Holzlatten, die auf niedrigen Stützen<br />

ruhen. Links und rechts vom Bett befinden sich reich beschnitzte Holzpfosten zum Aufhängen<br />

von Wasser- und Kleidersäcken. Auf Gabelpfosten ruhen nicht benötigte, zusammengerollte Matten<br />

und lederne Reisesäcke. Holzmörser, Melkgefäße und Holzlöffel für die Mahlzeiten sind die<br />

typischen Gebrauchsgegenstände im Nomadenhaushalt.<br />

Während die Frauen unverschleiert sind, trägt der erwachsene Mann einen Gesichtsschleier, der<br />

die Mundpartie bedeckt. An Festtagen legt er blau-schwarz-schimmernde Indigo-Schleier und<br />

mit Amuletten geschmückte Turbanbänder an. Da das Indigo der blauen Schleier auf die Haut<br />

abfärbt, erhielten die Tuareg die Bezeichnung „Hommes bleus“ (blaue Männer).<br />

Jeder Mann besitzt traditionell einen reich mit Metallbeschlägen und mit grünem Leder verzierten<br />

Kamelsattel, außerdem ein Reitkamel und ein Schwert mit Kreuzgriff, das in einer feingearbeiteten<br />

Lederscheide steckt. Der Schmuck der Tuareg gehört zum schönsten in der ganzen Sahara:<br />

Armreifen, silberne Fingerringe, dreieckige silberne Anhänger als Mittel gegen den bösen<br />

Blick; Halsketten mit Kreuzanhängern (Kreuz von Agadez) sowie Amulette aus Leder und Metall.<br />

Die Männer schmücken sich mit Brustbeuteln, die man an Riemen auseinanderziehen kann. Im<br />

Aïr tragen sie Ringe aus Stein oder Holz, Silber- und Messingkapseln, die an Turbanbänder oder<br />

der Brust befestigt werden. Sie enthalten magische Schutzformeln, die der Marabout, der islamische<br />

Geistliche, auf ein Zettelchen schreibt. Die Frauen kleiden sich in hell-oder dunkelblaue<br />

Gewänder und bedecken den Kopf mit einem Tuch. Ihre hohe Stellung dokumentiert sich in<br />

ihrer, für eine traditionelle islamische Gesellschaft ungewöhnlich großen persönlichen Freiheit.<br />

Im Gegensatz zu den meisten anderen islamisierten Völkern in <strong>Afrika</strong> herrscht bei den Tuareg<br />

die Monogamie vor. Die Frauen verfügen nicht selten über ein eigenes persönliches Vermögen.<br />

Sie können aber kein Amt innehaben und kaum über den Bereich des Lagers bzw. Haushaltes<br />

hinaus Einfluß ausüben. Aber sie sind die Poeten und Musiker der Tuareggesellschaft. Kämpfe,<br />

Raubzüge, Heldentaten, Liebe, die Vorzüge und Nachteile bestimmter Personen und berühmter<br />

Kamele bilden die Themen der Lieder, die sie auf den Festen vorgetragen.<br />

Wohin er auch geht, der Nomade wird immer<br />

zu dem ersten Zeltlager seines Lebens zurückkehren<br />

Sprichwort der Tuareg<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER<br />

11<br />

TUAREG


Entwicklungszusammenarbeit für den Frieden<br />

Jahrzehntelang waren die Tuareg von der Entwicklung ausgeschlossen. Heute fehlt es an allem.<br />

Es gibt kaum Schulen, Gesundheitszentren, zu wenige Brunnen, kaum Ausbildungsmaßnahmen<br />

oder Ansätze zur Verbesserung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion.<br />

Die Tuareg Nomadengesellschaft eignet sich in besonderem Maße für eine selbstbestimmte<br />

Entwicklung, denn nur sie, die in der Wüste überleben können, wissen auch geeignete Lösungen<br />

für ihre Entwicklungsprobleme. Sie haben jahrzehntelang gegen Unterdrückung, staatliche<br />

Willkür und katastrophale Dürren gekämpft. Es ist ihnen schließlich gelungen einen Teil ihrer<br />

Forderungen, nämlich die bessere Integration in das nationale Leben und den Aufbau ihrer Siedlungsgebiete<br />

durchzusetzen. Ihre Führer haben eine Vision von Entwicklung, die den Wunsch der<br />

Nomaden, ihre Kultur und Identität zu erhalten, in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellt.<br />

Vieles wurde im Friedensvertrag von 1995 durch die Regierung versprochen, wenig gehalten.<br />

Aber dabei muß man bedenken, dass die Möglichkeiten der Regierung begrenzt und die Armut<br />

in den anderen Landesteilen groß ist. So ist es eine besondere Aufgabe der internationalen Entwicklungszusammenarbeit<br />

hier, zu helfen.<br />

Niger ist das zweit ärmste Land der Welt, es nimmt Platz 173 von 174<br />

auf dem Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen<br />

ein. Auf einer Fläche von 1, 267 000 qkm – größtenteils Wüste – leben<br />

11 Millionen Menschen. Das Pro-Kopfeinkommen beträgt 180 USD pro<br />

Jahr. 61,4 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.<br />

Die Analphabetenrate liegt für Männer bei 78, für Frauen bei 93%.<br />

80% der Bevölkerung sind Muslime, zwischen 8 und 9% sind Tuareg.


Potentiale erkennen und neue Wege gehen<br />

Das Entwicklungspotential der Nomadengebiete ist aufgrund der widrigen Klimabedingungen<br />

zwar begrenzt aber durchaus vorhanden. Natürlich ersetzte die Einführung des LKWs die Karawanen<br />

und somit weitgehend das Kamel als Transportmittel. Aber es gibt Möglichkeiten, die wegen<br />

der schwierigen klimatischen Bedingungen begrenzte Vieh- und Landwirtschaft zu erhalten und<br />

auch in geringem Umfang den Salzkarawanenhandel fortzuführen - wenn auch von ehemals bis<br />

zu 30.000 Kamelen heute nur noch bis zu 10.000 Kamele pro Jahr in der Wüste unterwegs sind.<br />

Ein großes Potential liegt in der Entwicklung des Sahara-Tourismus, der allerdings wegen Überfällen<br />

immer wieder Rückschläge erleidet.<br />

Es ist möglich, die einzigartige Kultur der Tuareg, ohne die unsere Welt ärmer wäre, durch geeignete<br />

Unterstützung zu verbessern und die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen in<br />

einer feindlichen Umwelt zu erleichtern. Dafür ist es essentiell, dass die Entwicklungsprojekte<br />

die eigenen Vorstellungen der Tuareg von Entwicklung und der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen<br />

zum Ausgangspunkt ihrer Hilfe machen. Es muss Ziel sein, die Gemeinschaften dabei zu<br />

unterstützen, sinnvolle Entwicklungsvorhaben selbstverantwortlich zu planen und durchzuführen<br />

und sie sozial so zu stärken, dass sie anerkannte Partner der dezentralisierten staatlichen<br />

Verwaltung werden.<br />

Das erfordert:<br />

� Die Übertragung der Verantwortung von Entwicklungsprogrammen an kompetente Nichtregierungsorganisationen,<br />

die von anerkannten Vertretern der Tuareg geführt werden,<br />

� Die Programme müssen offen für alle vorgebrachten Ideen sein, sie sollten alle relevanten<br />

Bereiche der Dorfentwicklung ansprechen: Bildung, Gesundheit, Ernährung, Einkommen<br />

� Die Mobilisierung der Bevölkerung und Unterstützung ihrer Organisationen bei der Formulierung<br />

von Entwicklungsprojekten,<br />

� Die Beteiligung aller Interessengruppen am Programm um Konflikte zu vermeiden und<br />

� Die Übergabe der Durchführung und Verantwortung für die jeweiligen Kleinprojekte an die<br />

Gemeinschaften der Zielgruppen<br />

Das vor drei Jahren von CARE Deutschland mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit, der Europäischen Kommission und Heidelberger Zement begonnene<br />

Dorfentwicklungsprogramm entspricht dieser Konzeption. CARE Deutschland arbeitet mit<br />

der Selbsthilfeorganisationen „HED-Tamat“, zusammen, deren Leiter ein früherer Widerstandskämpfer<br />

ist. Unterstützt werden Maßnahmen zur Verbesserung der Basisinfrastruktur und der<br />

landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion. Die Dorfgemeinschaften müssen dafür<br />

selbst einen erheblichen materiellen Beitrag leisten. Trotzdem beantragen immer mehr Dörfer<br />

und Selbsthilfegruppen bei HED-Tamat Unterstützung für Kleinprojekte, die ihren Bedürfnissen<br />

und Möglichkeiten entsprechen. In weniger als vier Jahren ist es gelungen, für die ganze Region<br />

des Aïr-Gebirges einen großen Schritt nach vorne zu gehen. Der Grund für diesen Erfolg ist, dass<br />

das Projekt dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der unmittelbar Betroffenen konsequent<br />

entspricht.<br />

13<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Der Alltag als Ausgangspunkt für eine angepasste Entwicklung<br />

Entsprechend dieser Eigenverantwortlichkeit lag der Schwerpunkt des Programms von CARE Deutschland in den letzten Jahren<br />

bei folgenden Kleinvorhaben, die von den Gemeinschaften für besonders dringlich gehalten werden. Sie zeigen, wie mit relativ<br />

geringen Mitteln die Wirtschaft und das Leben der Tuareg im Aïr verbessert werden kann.<br />

Bau von<br />

Trinkwasserbrunnen<br />

Viele Dorfgemeinschaften haben immer noch keine Trinkwasserbrunnen.<br />

Vielfach müssen die Frauen weite Strecken zurücklegen<br />

um qualitativ minderwertiges Trinkwasser zu holen. Der<br />

tägliche Wasserbedarf einer Nomadenfamilie von 6 Personen<br />

beträgt 150 Liter. Zusätzlich müssen die Tiere getränkt werden.<br />

Ein Esel braucht 30 l, eine Ziege oder ein Schaf 15 l am Tag.<br />

Wasserholen ist in <strong>Afrika</strong> traditionell die Aufgabe von Frauen<br />

und Kindern. An Juteseilen ziehen sie täglich bei großer Hitze<br />

viele schwere Wassereimer aus den 20 m tiefen Brunnen hoch.<br />

Seit einigen Jahren gibt es einfache hydraulische Räder, die auf<br />

den Trinkwasserbrunnen montiert werden. Mit diesen Rädern<br />

ist es ein Kinderspiel, das Wasser aus der Tiefe hervorzuholen.<br />

Auch kann bei Verwendung von Rädern der Brunnen völlig<br />

abdeckt werden, so dass keine Verunreinigungen das kostbare<br />

Wasser verschmutzen. Mit einem neuen Brunnen entfallen die<br />

weiten Wege und die große Kraftanstrengung. Die gewonnene<br />

Zeit und Kraft können sie nun für Ausbildungsmaßnahmen<br />

oder für Einkommen schaffende Maßnahmen verwenden.<br />

Bau von Bewässerungsbrunnen<br />

für den Gartenbau<br />

Der Gartenbau ist das Rückrat der Überlebensökonomie der Aïr-<br />

Tuareg, denn in Trockenperioden, kann mit Hilfe der Brunnen<br />

zumindest eine bescheidene Ernte eingebracht werden. In den<br />

letzen Jahren hat es im Aïr – Gebirge nicht genügend geregnet.<br />

Deshalb haben sich viele Dorfgemeinschaften im Rahmen des<br />

Projektes auf den Bewässerungsbrunnen für den Gartenbau<br />

konzentriert. Dabei kommt eine verbesserte Bautechnik zur<br />

Anwendung. Die im Aïr in traditioneller Art gebauten Brunnen<br />

wurden früher einfach in den Sand gegraben und mit Ästen und<br />

Baumstämmen stabilisiert. Die aus lockerem Sand bestehenden<br />

Schachtwände brachen jedoch in der Regenzeit immer wieder<br />

ein. Der Durchmesser des Brunnenschacht vergrößerte sich von<br />

Jahr zu Jahr. Große Holzmengen und tagelange Arbeit wurden<br />

benötigt, um den Brunnen immer wieder aufs Neue abzustützen.<br />

Durch die vom Projekt gegebene Hilfe hatten die Gartenbauer,<br />

die sich zu Gruppen zusammengeschlossen haben und in Nachbarschaftshilfe<br />

die Brunnen errichten, die Möglichkeit, die alte<br />

Technik zu ersetzen. Die Brunnenschächte können jetzt zementiert<br />

werden. Für die verbesserten Brunnen verwenden die<br />

Brunnenbauer Betonringe mit einer Höhe von 1 m und einem<br />

Durchmesser von 1,40 m, die aufeinandergesetzt werden. Einer<br />

der Vorteil dieser Bauweise ist, dass Brunnenvertiefungen im<br />

Vergleich zu einem gemauerten Brunnen einfach durchgeführt<br />

werden können. Durch die neue Technik wird auch das immer<br />

seltener und teurer werdende Holz geschont und damit ein Beitrag<br />

zum Ressourcenschutz geleistet. Die Gartenbauer können<br />

ihre Nutzflächen effizienter bewirtschaften.


Bau von Viehbrunnen<br />

Der Bau von Viehbrunnen erleichtert die Ziegen- und Schafzucht der Tuaregfrauen. Fruchtbare<br />

Weidegebiete ohne Viehbrunnen sind für die Nomadenfrauen nicht nutzbar, denn die Tiere können<br />

die langen Wege durch die trockene Wüstenlandschaft nicht überwinden. Die jungen Hirtinnen<br />

leben mit ihren Kindern und Tieren in den Weidegebieten des Aïr-Gebirges und ziehen in<br />

Gruppen von 15 Frauen von Weideplatz zu Weideplatz. Einfache Holzverschläge oder Mattenzelte<br />

sind ihr Zuhause. Den ganzen Tag sind sie auf der Suche nach Futter und Wasser für die Tiere. Mit<br />

langen Stengeln schlagen sie Blätter und Früchte aus den Akazienbäume, denn Ziegen mögen<br />

das eiweißreiche Baumfutter am liebsten. Oft liegen die Brunnen und die fruchtbaren Weideflächen<br />

weit auseinander. Die langen Wege von den Weidegründen zu den Lagerstätten zehren nicht<br />

nur an der Kraft der Frauen, auch die Tiere setzen nur langsam Fett an. Die Frauen tränken ihre<br />

Tiere am Morgen und wandern häufig mehr als 30 km täglich auf der Suche nach Futter. Seit die<br />

Viehbrunnen in Betrieb sind, sind die Hirtinnen nicht mehr so lange unterwegs. Die Brunnen<br />

wurden dort gegraben, wo sie von möglichst vielen Hirtinnen zu erreichen sind.<br />

Bau von Lagerhäusern für<br />

landwirtschaftliche Produkte<br />

Besonders schwierig ist die Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten zu angemessenen<br />

Preisen. Oft fehlt dafür eine Lagermöglichkeit, so dass die Bauern ihre Ernte an Händler<br />

direkt nach der Ernte zu niedrigen Preisen verkaufen müssen. Durch den Bau von Lagerhäusern<br />

können die Produkte mehrere Wochen sicher gelagert und schließlich zu einem höheren Preis<br />

verkauft werden. Somit erzielen die Kleinbauern höhere Einkommen.<br />

15<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Bau und Ausstattung von<br />

Dorfläden<br />

Die alltägliche Versorgung mit den einfachsten Grundnahrungsmitteln<br />

und Gebrauchsgütern wie Lebensmitteln (Getreide, Öl,<br />

Tee, Zucker, Salz etc.), Stoffen, Medikamenten, Gewürzen, Batterien,<br />

Taschenlampen, etc. stellt für die nomadische Bevölkerung<br />

wegen der Abgeschiedenheit des Aïr-Gebirges ein großes<br />

Problem dar. Insbesondere die Hirtinnen sind von der Versorgung<br />

mit den einfachsten Dingen des Alltags abgeschnitten.<br />

Die Versorgung der Nomadenbevölkerung mit Alltagsgütern<br />

kann durch Dorfläden wesentlich erleichtert werden.<br />

Installation<br />

von Getreidemühlen<br />

In den Oasengärten wird Weizen und Mais angebaut, die neben<br />

Hirse zu den Grundnahrungsmitteln der Bevölkerung gehören.<br />

Die Verarbeitung des Getreides zu Mehl ist eine schwere körperliche<br />

Arbeit. Mit der Installation von Getreidemühlen wird<br />

die Arbeit der Frauen sehr erleichtert. Für die Mühle wird ein<br />

Schutzhaus gebaut und eine Person zum Müller ausgebildet.<br />

Revolvierende Fonds für<br />

Karawaniers, Gartenbauer und<br />

Frauengruppen<br />

Ein revolvierender Fond ist eine Art Sparkasse, die von den<br />

Selbsthilfegruppen eigenverantwortlich verwaltet wird. Die<br />

einzelnen Mitglieder der Gruppen beantragen eine Art Kredit<br />

für eine ökonomische Aktivität, die sie selbst bestimmen. Sie<br />

zahlen nach einigen Monaten das geborgte Geld zusätzlich<br />

einiger Zinsen wieder in die Kasse zurück damit es anderen<br />

Gruppen oder Personen zur Verfügung steht.<br />

Zum Beispiel schützt der revolvierende Fonds den Tuareg-<br />

Karawanenhandel vor der ungleichen Konkurrenz mit großen<br />

Händlern, die den Salztransport mit Lastkraftwagen durchführen.<br />

Die Salzkarawane von Timia nach Bilma, ist die letzte<br />

noch bestehende Karawane der Sahara und stellt ein wichtiges<br />

Kulturelement der Saharanomaden dar. Die Karawaniersgruppen<br />

erhalten im Dezember von Ihrer langen Reise in den Süden<br />

einen Fond in Höhe von etwa 20 Euro pro Person. Hiermit kaufen<br />

sie nach ihrer Ankunft in Zinder sofort Hirse ein, bevor der<br />

Hirsepreis steigt. Sie können nun in Ruhe abwarten, bis der<br />

Salzpreis steigt. Ohne diesen Fond würden sie kein Einkommen<br />

erzielen.


Bau und Ausstattung von Handwerkszentren<br />

für Frauen<br />

Eine der Ursachen von Armut bei den Tuareg ist, dass das Einkommen aus der Landwirtschaft für<br />

das Leben der Familien nicht ausreicht. Insbesondere Frauen verfügen kaum über eigenes Einkommen.<br />

Ziel ist es, das Einkommen der Nomadenfrauen durch neue Aktivitäten zu erhöhen. Es<br />

werden einfache Handwerkszentren gebaut und ausgestattet sowie Aus- und Fortbildungen für<br />

Frauen im Schneidern, Nähen, Stricken und der Herstellung von Körben durchgeführt.<br />

Bau von Primarschulen<br />

Heute haben viele Tuareg den Wunsch, ihren Kindern eine moderne Schulausbildung zukommen<br />

zu lassen. Bis zur Rebellion waren viele Eltern, besonders aus dem nomadischen Milieu, der modernen<br />

Schule gegenüber ablehnend eingestellt, um eine monatelange Trennung der Familien<br />

und eine Entfremdung der Kinder von der Nomadenkultur zu vermeiden. Zudem waren viele<br />

Nomaden auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen. Diese ablehnende Haltung dem Schulbesuch<br />

gegenüber hat sich durch die Rebellion dramatisch geändert. In einigen Regionen haben sich die<br />

Anmeldungen zum Schulbesuch so vervielfacht, dass neue Schulen gegründet werden mußten.<br />

Dort, wo die staatliche Verwaltung diesem Bedarf nicht nachkommen kann, springt das Projekt<br />

ein.<br />

Bau von Gesundheitszentren<br />

und Ausbildung von Geburtenhelferinnen<br />

Die Gesundheitsversorgung in den Nomadengebieten ist miserabel. Obwohl die Menschen<br />

vergleichsweise robust und widerstandsfähig sind, benötigen sie doch eine geregelte Gesundheitsversorgung<br />

bei schwere Krankheiten wie Malaria, bei Unfällen und der Versorgung der<br />

Kleinkinder. Der Bau von Gesundheitszentren im Aïr war daher eine der ersten Prioritäten der<br />

Menschen. In den Zentren arbeiten ausgebildete Ärzte. Alleine die Sicherheit, eine vertrauensvolle<br />

Gesundheitsversorgung in der Nähe zu haben, gibt den Menschen das Gefühl nicht mehr<br />

ausgegrenzt zu sein.<br />

17<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Bau eines regionalen Handwerkszentrums für<br />

Tuaregschmuck<br />

Das neue Handwerkszentrum enthält Verkaufsboutiquen, ein Materialverkaufslager, zahlreiche<br />

Werkstätten und einen großen Innenhof mit einer Bühne für künstlerische Darbietungen. Es ist<br />

für alle Handwerker im Umkreis von 50 km zugänglich und liegt zentral an der Hauptverkehrsstraße<br />

durch das Aïr und somit für kauffreudige Touristen sehr gut zugänglich.<br />

Bislang hatten die Handwerker ihre kunsthandwerklichen Produkte und den berühmten Tuareg<br />

Silberschmuck auf Stoffen ausgelegt im Sand dargeboten. Gefertigt wurde vielfach in einfachen<br />

Werkstätten zu Hause. Der Materialkauf gestaltete sich kompliziert und kostspielig, da die Handwerker<br />

zum Teil ins 1200 km entfernte Niamey reisen mussten, um einfache Handwerksgeräte<br />

und Silber zu kaufen. Heute produzieren sie in vom Wind und Sonne geschützten Werkstätten,<br />

arbeiten zusammen, können sich gegenseitig inspirieren und unterstützen und verkaufen die<br />

Produkte zu festgelegten, realistischen Preisen. Die Kollektion des Handwerkszentrum wurde auf<br />

einer eigenen Internetwebseite veröffentlicht und ist dem internationalen Publikum zugänglich.<br />

Waren die Handwerker noch vor zwei Jahren ziemlich isoliert, sind sie heute den internationalen<br />

Markt angeschlossen.<br />

Ausbildungsangebot für Jugendliche<br />

Wie in allen afrikanischen Ländern ist ein Großteil der Bevölkerung jung und arbeitslos. Nicht<br />

alle jungen Tuareg möchten jedoch zu hundert Prozent der traditionellen Lebensweise nachgehen,<br />

sondern wünschen sich eine Ausbildung als Maurer, Automechaniker, Fahrer, Elektriker,<br />

Touristenführer etc. Auch die Nachfrage nach Computerkursen und Erste Hilfekursen ist sehr<br />

groß. Das Projekt organisiert Ausbildungskurse und unterstützt die jungen Menschen bei der<br />

Suche nach geeigneten Praktika.


Diese Beispiele zeigen, wie mit relativ einfachen Maßnahmen auf breiter Basis ein großer Beitrag<br />

zur Verbesserung der Lebenssituation geleistet werden kann.<br />

Die Unterstützung ist offen für alle möglichen Ideen. Sie schließt ganz bewusst alle Bereiche der<br />

Dorfentwicklung mit ein und ist offen für alle Interessengruppen. Das erfordert Kooperationsbereitschaft<br />

und Konsens, es wird Frieden und Demokratie geübt. Die bisherigen Maßnahmen haben<br />

nur ein kleines Gebiet im Lebensraum der Tuareg erreicht. Die Ausweitung der Projektarbeit<br />

auf andere Regionen ist dringend erforderlich, ein gangbarer Weg wurde aufgezeigt.<br />

Kulturstärkende Wirkung einer selbst bestimmten<br />

Entwicklung<br />

Aus Freude und Dank veranstalten die Tuaregfrauen einmal im Jahr ein großes Ahalfest zu dem<br />

alle am Projekt beteiligten Gruppen eingeladen sind. Von weit her kommen Zielgruppengemeinschaften,<br />

traditionelle Tuareg-Chefs, Vertreter der Dorf-Entwicklungskommittees, Vertreter der<br />

örtlichen Verwaltung und Projektmitarbeiter. Die Menschen nutzen die Gelegenheit, ihre Kultur<br />

zu leben. Die einzelnen Gemeinschaften lernen sich persönlich kennen, tauschen Ideen und<br />

Erfahrungen aus und präsentieren die in ihrer Gemeinschaft realisierten Kleinprojekte.<br />

Im letzten Jahr kamen mehr als 5.000 Tuareg-Nomaden mit bunt geschmückten Kamelen und<br />

Eseln und feierten den gemeinsamen Aufbruch in eine bessere Zukunft.<br />

19<br />

TUAREG<br />

NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER


Die Tuareg gehörten einst zu den wohlhabendsten<br />

Völkern <strong>Afrika</strong>s. Sie haben unter schwierigsten<br />

klimatischen Bedingungen eine einzigartige Kultur<br />

entwickelt, die ihnen ein Überleben in der<br />

Wüste ermöglicht.<br />

Heute ist die Kultur der Tuareg bedroht.<br />

Das Nomadenvolk lebt an der Armutsgrenze.<br />

Die Broschüre versucht die Gründe dieser Entwicklung<br />

aufzuzeigen und beschreibt die Veränderungen der<br />

Vergangenheit aber auch die Wege der Gegenwart und<br />

Zukunft für das Volk der Tuareg.<br />

CARE Deutschland e.V.<br />

Dreizehnmorgenweg 6 · 53175 Bonn<br />

Telefon: 0228-975630<br />

Homepage: www.<strong>care</strong>.de<br />

Partenaire au Niger<br />

ONG - Homme Environnement Développement<br />

HED Tamat<br />

B.P.: 12879 Niamey<br />

Telefon/Fax: 00227-7546-52<br />

B.P.: 244 Agadez<br />

Telefon/Fax: 00227-440547<br />

eMail: hedtamat@intnet.ne<br />

Président Mano Aghali

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!