care tuareg - Afrika Tage
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CARE Deutschland e.V.<br />
Dreizehnmorgenweg 6 · 53175 Bonn<br />
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Herausgeber: Care Deutschland e.V.<br />
Text und Redaktion: Christine Harth, Christina Heitmann<br />
Photos: Christine Harth<br />
Layout: Medienagentur lgh · www.artplace.de<br />
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Was ist geschehen, dass sich das einstige Paradies der Tuareg in ein irdisches Inferno verwandelt<br />
hat und aus den ehemaligen Herren der Wüste verarmte Nomaden geworden sind? Die<br />
vorliegende Broschüre versucht die Gründe dieser Entwicklung aufzuzeigen und beschreibt die<br />
Veränderungen der Vergangenheit aber auch die Wege der Gegenwart und Zukunft für das Volk<br />
der Tuareg. Mit Hilfe der deutschen Entwicklungzusammenarbeit haben die Tuareg des Aïr-Gebirges<br />
die Chance erhalten, einen selbstbestimmten Entwicklungsweg einzuschlagen. Die Pfade<br />
der bisherigen Hilfsprogramme für Nomadenvölker werden verlassen und den Tuareg selbst die<br />
Verantwortung für ihre Entwicklung und deren Gestaltung übertragen. Mit geringen Mitteln<br />
kann Erstaunliches geleistet werden, wenn die Grundsätze einer selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung<br />
und Eigenverantwortlichkeit konsequent beachtet werden.<br />
Wir danken dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(BMZ) für die Unterstützung zur Erstellung der Ausstellung und der Broschüre aber vor allen für<br />
das Vertrauen in die Kraft und Kreativität der Menschen im Niger.<br />
CARE Deutschland e.V.<br />
3<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Die Tuareg des Aïr kämpfen um ihr Überleben<br />
Seit mehr als zweitausend Jahren haben die Tuareg in den Oasen und Gebirgsmassiven der<br />
unwirtlichen und menschenfeindlichen Wüste Sahara eine einzigartige Kultur entwickelt - als<br />
Brücke zwischen Nord- und Schwarzafrika, zwischen der Kultur des Mittelmeers und des subtropischen<br />
und tropischen <strong>Afrika</strong>s.<br />
Ihre Kultur ist heute bedroht. Langanhaltende Dürreperioden haben große Weideflächen zerstört<br />
und die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts<br />
ihre Lebensgrundlagen derart verändert, dass aus den ehemaligen Herren der Wüste eine verarmte<br />
Bevölkerungsgruppe geworden ist.<br />
Nach dem Bild der Landschaft, in der er lebt, hat sich der Tuareg<br />
geformt, er fordert sich Bescheidenheit ab, um zu überleben, aber<br />
auch Strenge und Stärke, um sich zu verteidigen. Er weiß, dass er sich<br />
der Wüste anpassen muß, sie verstehen, ihr zuhören muß, wenn er<br />
in ihr überleben will. Denn die Wüste wird immer stärker sein als der<br />
Mensch.
Die Kolonialisierung entzieht der<br />
Tuaregkultur ihre gesellschaftlichen und<br />
wirtschaftlichen Grundlagen<br />
Die Kultur der Tuareg gründet auf einer gemeinsamen Sprache, dem Tamashek, auf ihrer gemeinsamen<br />
Art des Lebens und des Wirtschaftens, ihre spezifische Ausprägung des Islam und ihrer an<br />
das harte Leben in der Wüste angepassten Sozialstruktur.<br />
Das Leben in der Wüste ist hart und entbehrungsreich. Die Nomaden haben sich ihm auf außergewöhnliche<br />
Weise angepasst. Trotz der Knappheit an Wasser und Weideland gelingt ihnen<br />
eine umweltschonende, ausgedehnte Zucht von Kamelen und Ziegen sowie der Anbau von Getreide<br />
und Früchten in Oasengärten. Das sichert ihnen das Überleben. Jahrhunderte lang war<br />
die Grundlage ihrer reichen Kultur der Transsahara-Karawanenhandel. Er ermöglichte einen<br />
regen und einträglichen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Nordafrika und<br />
Schwarzafrika. Die verschiedenen Regionalgruppen bildeten dafür eine Konföderation, die in<br />
dem riesigen Raum der Sahara das Zusammenleben, insbesondere den lebenswichtigen Handel<br />
erlaubte. Diese wirtschaftlich und politisch angepasste Struktur und der Zusammenhalt der<br />
Tuareg untereinander wurden durch die französische Kolonialisierung ab 1870 weitgehend zerstört,<br />
obwohl es fast 50 Jahre dauerte, bis die Franzosen den erbitterten Widerstand der Tuareg<br />
brechen konnten. Erst Ende der 20er Jahre war das Tuareggebiet befriedet und der „koloniale<br />
Friede“ gesichert.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg vollzog sich in den Tuareggebieten ein tiefgreifender Wandel, der allerdings<br />
zunächst kaum sichtbar wurden. Eine erste Veränderung war die Einschränkung der im Süden<br />
liegenden Viehweidegebiete durch Ackerbauern. Die wachsende seßhafte Bevölkerung brauchte<br />
neue Anbauflächen. Das traditionelle Weideland der Nomaden wurde in Felder umgewandelt.<br />
In den 50er Jahren, nach einer Reihe guter Regenjahre, nahm gleichzeitig der Viehbestand der<br />
Nomaden rasch zu. Es kam zur Überweidung der immer kleiner werdenden Weideflächen.<br />
Als die Unabhängigkeit der französischen Kolonien bevorstand, erhofften sich die Tuareg einen<br />
eigenen Staat. Dieser wurde ihnen jedoch von der Kolonialmacht Frankreich und der neuen politischen<br />
Elite Westafrikas nicht zugestanden. Statt dessen wurde ihr Lebensraum auf fünf Länder<br />
aufgeteilt: Algerien, Libyen, Mali, Niger, Burkina Faso.<br />
5<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Politische Ausgrenzung<br />
in der jungen Republik Niger<br />
In der 1960 unabhängig gewordenen Republik Niger fiel die politische Macht ausschließlich an<br />
Angehörige der Ethnien aus dem Süden des Landes. Die Tuareg waren in Regierung und Verwaltung<br />
nicht vertreten. Die Jahrhunderte alten Machtverhältnisse zwischen Viehzüchtern und<br />
Ackerbauern hatten sich umgekehrt. Die einstigen Herren der Wüste galten jetzt als rückständig<br />
und ungebildet, als ehemalige Sklavenhalter und Viehräuber. Sie und ihr Lebensraum wurden als<br />
nicht entwicklungsfähig deklariert. Vielmehr versuchte man, sie zwanghaft seßhaft zu machen.<br />
Viehzüchtende Nomaden in Trockengebieten, die zur Seßhaftigkeit gezwungen werden, werden<br />
aber zu Bettlern. Sie können kein Vieh mehr halten und verfügen auch nicht über eine Ausbildung<br />
um anderen Arbeiten nachzugehen, die ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.<br />
Als die Tuareg sich gegen die Seßhaftmachung wehrten, waren sie der Willkür der Militärs und<br />
Verwaltungsbeamten schutzlos ausgesetzt und wurden erbarmungslos unterdrückt. Sie wurden<br />
verfolgt und - wenn sie Widerstand leisteten - getötet, ihre Brunnen wurden vergiftet oder der<br />
Zugang zu ihnen vermint.<br />
Zwei Dürrekatastrophen<br />
verschlimmern die Lage zusätzlich<br />
Die große Dürre in den Sahelländern Westafrikas in den Jahren 1973-1974 und erneut 1984-<br />
1985 drohte den Tuareg den Todesstoß zu versetzen. Große Weideflächen verbrannten unter der<br />
gnadenlosen Sonne und verwandelten sich in nutzloses Ödland. Die Nomaden verloren fast ihren<br />
gesamten Viehbestand. Die für sie bestimmten Lieferungen der internationalen Hilfsorganisationen<br />
erreichten sie nicht, denn sie wurden vielfach von der Verwaltung veruntreut. Notgedrungen<br />
gaben viele ihr Nomadenleben auf. Tausende junge Männer flohen vor der Trockenheit auf der<br />
Suche nach Arbeit nach Algerien oder Libyen. Dort arbeiteten sie als Gastarbeiter in der Erdölindustrie<br />
oder in anderen modernen Berufen. Viele junge Männer verdingten sich auch als Söldner<br />
in der „Libyschen Islamischen Legion“ und kämpften für die fragwürdigen Interventionen des<br />
Diktators al-Gaddafi im Libanon und Tschad. Zehntausende andere suchten als Dürreflüchtlinge<br />
in den Elendsvierteln der Städte Zuflucht, wieder andere, vor allem Frauen und Kinder, endeten<br />
in Flüchtlingslagern.
Letzter Ausweg – Rebellion<br />
Wegen der wachsenden wirtschaftlichen Probleme in Libyen und Algerien aber auch aufgrund<br />
von Integrationsschwierigkeiten, wurden die Tuareg-Gastarbeiter 1990 in ihre Heimat zurückgeschickt.<br />
Den Rückkehrern wurde von den Vereinten Nationen Hilfe bei der Wiedereingliederung<br />
versprochen. 20.000 – 30.000 Tuareg entschlossen sich, in ihre Heimatländer Niger und Mali<br />
zurückzukehren. Dort aber wollte man sie trotz vorheriger Zusagen nicht wieder aufnehmen.<br />
Sie wurden notdürftig in Lagern untergebracht und von der Armee bewacht. Die versprochene<br />
internationale Hilfe verschwand in dunklen Kanälen und kam nie an.<br />
Es kam zu Protestaktionen und Verhaftungen. Im Mai 1990 befreiten einige Tuareg ihre festgenommenen<br />
Freunde aus dem Gefängnis in Tchin-Tabaradene, einem Ort im Nordwesten Nigers.<br />
Ein Wächter und ein Gefangener wurden getötet. Auf diesen Zwischenfall reagierte das von der<br />
Regierung entsandte Militär mit blindwütiger Gewalt. Innerhalb weniger Stunden zog das Militär<br />
um das Gebiet der Flüchtlingslager einen Ring und schritt zu den schlimmsten Demütigungen,<br />
zu Folter und Mord. Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern getötet, Männer wurden nackt und<br />
entwürdigend durch die Lager getrieben. Hunderte fielen nach Schätzungen diesen Massakern<br />
zum Opfer. Viele der Lagerinsassen flohen in die Wüste, um dort eher vor Durst zu sterben, als<br />
die Demütigungen und Verfolgungen weiter zu ertragen. Das Massaker von Tchin-Tabaradene<br />
bedeutete für das Selbstverständnis der Tuareg eine entscheidende Wende. Es war der Auslöser<br />
für die Tuaregrebellion.<br />
Im Juni 1990 begann unter Führung der kampf- und waffenerprobten ehemaligen Kämpfer der<br />
libyschen islamischen Legion ein bewaffneter Aufstand. Nach vierjährigen erbitterten Kämpfen,<br />
während derer sich die Lebensbedingungen der Tuareg-Bevölkerung weiter verschlechterten,<br />
kam es am 24.April 1995 durch Vermittlung der Nachbarstaaten und Frankreich zu einem Friedensvertrag<br />
zwischen der nigrischen Regierung und den Rebellen.<br />
7<br />
<strong>tuareg</strong><br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Die Ereignisse von Tchin-Tabaradene haben uns jede Hoffnung<br />
und alle Illusionen genommen, Demokratie und Gerechtigkeit<br />
durchzusetzen. So schuf menschlicher Wahnsinn eine<br />
revolutionäre Stimmung mit dramatischen Folgen für den<br />
Niger und das friedliche Zusammenleben seiner Volksstämme.<br />
Einige Tuareg beschlossen, zu den Waffen zu greifen, und sie<br />
zogen sich in die natürliche Festung, die das Aïr-Massiv bildet,<br />
zurück. Andere wollten an eine politische Lösung glauben.<br />
Damals habe ich schreckliche innere Kämpfe ausgefochten.<br />
Ich war hin und her gerissen zwischen den beiden Richtungen,<br />
die sich in unserer Gemeinschaft abzeichneten. Ich wußte,<br />
daß vom Niger in politischer Hinsicht nichts zu erhoffen<br />
war. Die Mentalität in diesem Land war keineswegs schon so<br />
weit, daß ein politisches System und eine Regierungsform<br />
akzeptiert worden wären, die allen Volksgruppen der Nation<br />
im Rahmen eines föderativen Staates Selbstverwaltung<br />
einräumten.<br />
Ich konnte mich jedoch nicht dazu durchringen, mich den<br />
Rebellen anzuschließen. Der Gedanke, Männer töten zu<br />
müssen und ihre Kinder zu Waisen zu machen, schockierte<br />
mich. Zudem wußte ich, daß der Kampf lange dauern würde<br />
und unser Volk entsetzlich leiden müßte. Aber wir mußten<br />
politische Veränderungen herbeiführen, die allerdings zu<br />
den politischen Strukturen der afrikanischen Länder in<br />
Widerspruch stehen würden. ...Unglücklicherweise war im<br />
Niger niemand bereit, solche politischen Projekte ernst<br />
zu nehmen. ...Das Wort »Föderalismus« war tabu, und<br />
jeder Tuareg, der davon sprach, war ein potentieller Rebell.<br />
Alle Diskussionen, die wir führen wollten, wurden, kaum<br />
begonnen, sogleich abgeklemmt oder rasch abgehakt. Wir<br />
fanden nicht einen einzigen Gesprächspartner, mit dem<br />
wir über das Problem der Minoritäten hätten sprechen<br />
können: über das Aufgeben aller wirtschaftlichen Projekte<br />
in Nomadengebieten, über die ungenügende oder<br />
zusammengebrochene medizinische Versorgung, über die<br />
im Norden und im Süden so unterschiedliche Verteilung der<br />
Schulen, über das Problem der Viehzucht.<br />
Mano Dayak: Geboren mit Sand in den Augen.<br />
Die Autobiographie des Führers der Tuareg-Rebellen.<br />
Zürich 1997 S. 171- 174
Bedingungen für einen Frieden<br />
Der Friedensvertrag enthielt vier wesentlichen Zusagen der Regierung an die Tuareg:<br />
� die Dezentralisierung der regional wichtigen politischen Entscheidungen<br />
� die Entwicklung der von der Rebellion betroffenen Gebiete<br />
� die Integration der Rebellen in Regierung, Militär, Polizei und Zoll<br />
� die Wiedereingliederung der ehemaligen Kämpfer in die nigrische Gesellschaft durch berufliche<br />
und wirtschaftliche Förderung<br />
Von den vertraglich vereinbarten Punkten ist die Integration von ca. 1.200 ehemaliger Rebellen<br />
in den öffentlichen Bereich erfolgt und die politische Dezentralisierung macht Fortschritte. Die<br />
wirtschaftliche und soziale Entwicklung der von der Rebellion betroffenen Gebiete steckt jedoch<br />
nach sechs Jahren Frieden noch in den Anfängen. Nur wenige Projekte konnten wirklich die<br />
Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. Die Zusage der Regierungen an die Tuareg, die<br />
Entwicklung ihres Lebensraums durch Schulen, Gesundheitszentren, Handwerksförderung und<br />
Tourismus zu unterstützen, harrt noch der Erfüllung. Manches hat sich seither verbessert; die<br />
Entwicklung des Aïr hat die Regierung des Niger aber weitgehend ausländischen Organisationen<br />
überlassen. Aus Deutschland beteiligen sich an dieser Entwicklungs- und Friedensarbeit die „Gesellschaft<br />
für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) und CARE Deutschland.<br />
Gegenwart, Zukunft und Entwicklung<br />
Die seit dem Friedensvertrag erfolgte Beendigung ihrer Ausgrenzung lässt die Hoffnung der<br />
Tuareg auf ihr Überleben wachsen. Die Rebellion hat nicht nur die politischen Rahmenbedingungen<br />
verbessert, sondern die Tuareg beginnen einzusehen, dass sie ihre Kultur und Identität nur<br />
bewahren können, wenn sie sich am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben beteiligen,<br />
wenn sie aktiv den Aufbau des Friedens und ihres Lebensraums mit gestalten.<br />
Wer könnte das besser als sie selbst. Die „Armen“ sind die besten Experten für die Gestaltung<br />
ihrer Zukunft. Von uns benötigen sie Partnerschaft, Solidarität, Vertrauen in ihre Fähigkeiten<br />
und Kräfte - und natürlich Geld. Viele junge Tuareg sind in der Zeit der Rebellion dem Rat ihrer<br />
politischen Führer gefolgt und haben im Ausland studiert. Daher gibt es heute mehr Tuareg, die<br />
verantwortungsvolle Führungspositionen einnehmen können als zu Zeiten der Unabhängigkeit.<br />
Einige haben sich zu Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen und sind fest entschlossen,<br />
die im Friedensvertrag vereinbarte Aufbauhilfe in die Tat umzusetzen. Die Organisation<br />
HED-Tamat, der Partner von CARE Deutschland, ist ein überzeugendes Beispiel davon, was die<br />
Tuareg zum Meistern ihrer Zukunft leisten können. Jede Bemühung um einen nachhaltigen Entwicklungsweg<br />
aus der Armut muss zunächst die richtigen Lehren aus der Vergangenheit ziehen.<br />
Sie muss die traditionellen sozioökonomischen und politischen Gegebenheiten berücksichtigen,<br />
auf den vorhanden Sozialstrukturen aufbauen und die Menschen zu einer selbst bestimmten<br />
Entwicklung motivieren.<br />
Bevor ein derartiger Weg im Detail beschrieben wird, soll zunächst eine Einführung in den Lebensraum<br />
und der aktuelle Lebensweise der Air Tuareg vorgenommen werden.<br />
9<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Die Wirtschaft der Tuareg im Aïr-Gebirge<br />
Das Aïr-Gebirge ist ein altes vulkanisches Gebirgsmassiv. Es ist<br />
von großen Sandwüsten im Norden, Osten und Westen umgeben,<br />
während sich im Süden der afrikanische Sahel anschließt.<br />
Im Vergleich mit der umgebenden Wüste sind die 50 bis 150<br />
Millimeter Niederschlag, die im Aïr jährlich in der Regenzeit<br />
(Juli bis September) fallen, viel. Der Regen ermöglicht nicht<br />
nur Viehwirtschaft, sondern speist auch das Grundwasser, das<br />
zum Gartenbau genutzt wird.<br />
Den Kern der Wirtschaft der Aïr-Tuareg bildet immer noch der<br />
Karawanenhandel und die Kamelzucht. Im Oktober ziehen die<br />
Karawaniers zunächst 500 km durch die extrem trockene Sandwüste<br />
Tenéré nach Osten, um in Bilma gegen Bargeld oder im<br />
Tausch gegen Hirse oder Gartenprodukte das dort gewonnene<br />
Salz und Datteln zu erwerben. Dann kehren sie ins Aïr zurück<br />
und ruhen dort einige Wochen aus, um im Dezember ins 600<br />
km entfernte Zinder aufzubrechen. Dort verkaufen sie Salz und<br />
Datteln und erwerben aus dem Erlös vor allem Hirse, aber auch<br />
Kleidung und andere Produkte. Eine große Kamelladung Hirse<br />
(180kg) genügt einer Person als Nahrung für ein Jahr. Spätestens<br />
im Mai kehren Sie von ihrer langen Reise zurück ins Aïr.<br />
Die für den Karawanenhandel erforderliche nomadische Kamelhaltung<br />
hat ihren eigenen jahreszeitlichen Rhythmus.<br />
Die Kamele weiden in der Regenzeit (Juli bis September) und<br />
ebenso während der kurzen Ruhepause nach ihrer Rückkehr<br />
aus Bilma (November) im Aïr. Nachdem die Karawane im Land<br />
der Ackerbauern angekommen ist, weiden sie dort während<br />
der kalten Trockenzeit (Dezember bis Februar), eventuell auch<br />
noch während der heißen Trockenzeit (April bis Juni) auf den<br />
abgeernteten Feldern.<br />
Die Ziegen bleiben dagegen das ganze Jahr über im Aïr und<br />
werden dort von den Frauen gehütet. Ihre Milch und der daraus<br />
gewonnene Käse sind wichtiger Bestandteil der Nahrung. Der<br />
Anbau von Gemüse und Zitrusfrüchten im Gartenbau ist bei den<br />
Aïr Tuareg dagegen relativ neu. Zwar blicken die Dattelpalmen-<br />
haine auf eine jahrhundertelange Tradition zurück, doch wurde<br />
die auf künstlicher Bewässerung beruhende Gartenwirtschaft,<br />
bei der vor allem Weizen, Mais und Zitrusfrüchte angebaut werden,<br />
erst vor achtzig Jahren in der Oase Timia eingeführt.<br />
Das Wirtschaftssystem der Tuareg ist besonders gut an die extremen<br />
Bedingungen der Region angepaßt: Zum einen bieten<br />
die vielfältigen Einnahmequellen Schutz. Wer am Karawanenhandel<br />
teilnimmt, Ziegen besitzt und zusätzlich noch einen<br />
Garten bewirtschaftet, hat eine größere Chance, Krisen durchzustehen,<br />
als ein reiner Gärtner oder Kamelbesitzer. Da Kamele<br />
und Ziegen nicht nur Gras, sondern auch Blätter und Zweige<br />
fressen, sind sie besser an Trockenheit angepaßt als Rinder<br />
und Schafe, die als reine Grasfresser einer Dürre schneller zum<br />
Opfer fallen. Da die Gärten im Aïr künstlich bewässert werden,<br />
können sie eine Trockenzeit eher überstehen als eine Landwirtschaft,<br />
die direkt vom Regen abhängt.<br />
Wasser ist Leben, Wasser ist die Seele, Wasser spendet Leben<br />
und alles hängt vom Wasser ab<br />
Aman Iman, Tuareg-Dichter
Nomadische und handwerkliche Kultur<br />
Der Einfluss der modernen Welt lässt sich auch für die Tuareg nicht aufhalten, viele werden in<br />
den Süden und in die Städte abwandern. Aber alle Tuareg, wo immer sie auch leben, bleiben<br />
ihrer Heimat und Kultur verbunden. Sie wollen ihre alte nomadische Kultur wenigstens im Kernbereich<br />
erhalten. Die nomadische Kultur der Aïr-Tuareg ist eng mit einer hohen handwerklichen<br />
Kunst verbunden, beeinflusst von der Kunst des islamischen Mittelmeerraumes. Ihre großen<br />
Lederzelte und Kuppelhütten aus geflochtenen Matten sind mit verschiedenen, holzgeschnizten<br />
Gegenständen ausgestattet. Das Bett besteht aus runden Holzlatten, die auf niedrigen Stützen<br />
ruhen. Links und rechts vom Bett befinden sich reich beschnitzte Holzpfosten zum Aufhängen<br />
von Wasser- und Kleidersäcken. Auf Gabelpfosten ruhen nicht benötigte, zusammengerollte Matten<br />
und lederne Reisesäcke. Holzmörser, Melkgefäße und Holzlöffel für die Mahlzeiten sind die<br />
typischen Gebrauchsgegenstände im Nomadenhaushalt.<br />
Während die Frauen unverschleiert sind, trägt der erwachsene Mann einen Gesichtsschleier, der<br />
die Mundpartie bedeckt. An Festtagen legt er blau-schwarz-schimmernde Indigo-Schleier und<br />
mit Amuletten geschmückte Turbanbänder an. Da das Indigo der blauen Schleier auf die Haut<br />
abfärbt, erhielten die Tuareg die Bezeichnung „Hommes bleus“ (blaue Männer).<br />
Jeder Mann besitzt traditionell einen reich mit Metallbeschlägen und mit grünem Leder verzierten<br />
Kamelsattel, außerdem ein Reitkamel und ein Schwert mit Kreuzgriff, das in einer feingearbeiteten<br />
Lederscheide steckt. Der Schmuck der Tuareg gehört zum schönsten in der ganzen Sahara:<br />
Armreifen, silberne Fingerringe, dreieckige silberne Anhänger als Mittel gegen den bösen<br />
Blick; Halsketten mit Kreuzanhängern (Kreuz von Agadez) sowie Amulette aus Leder und Metall.<br />
Die Männer schmücken sich mit Brustbeuteln, die man an Riemen auseinanderziehen kann. Im<br />
Aïr tragen sie Ringe aus Stein oder Holz, Silber- und Messingkapseln, die an Turbanbänder oder<br />
der Brust befestigt werden. Sie enthalten magische Schutzformeln, die der Marabout, der islamische<br />
Geistliche, auf ein Zettelchen schreibt. Die Frauen kleiden sich in hell-oder dunkelblaue<br />
Gewänder und bedecken den Kopf mit einem Tuch. Ihre hohe Stellung dokumentiert sich in<br />
ihrer, für eine traditionelle islamische Gesellschaft ungewöhnlich großen persönlichen Freiheit.<br />
Im Gegensatz zu den meisten anderen islamisierten Völkern in <strong>Afrika</strong> herrscht bei den Tuareg<br />
die Monogamie vor. Die Frauen verfügen nicht selten über ein eigenes persönliches Vermögen.<br />
Sie können aber kein Amt innehaben und kaum über den Bereich des Lagers bzw. Haushaltes<br />
hinaus Einfluß ausüben. Aber sie sind die Poeten und Musiker der Tuareggesellschaft. Kämpfe,<br />
Raubzüge, Heldentaten, Liebe, die Vorzüge und Nachteile bestimmter Personen und berühmter<br />
Kamele bilden die Themen der Lieder, die sie auf den Festen vorgetragen.<br />
Wohin er auch geht, der Nomade wird immer<br />
zu dem ersten Zeltlager seines Lebens zurückkehren<br />
Sprichwort der Tuareg<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER<br />
11<br />
TUAREG
Entwicklungszusammenarbeit für den Frieden<br />
Jahrzehntelang waren die Tuareg von der Entwicklung ausgeschlossen. Heute fehlt es an allem.<br />
Es gibt kaum Schulen, Gesundheitszentren, zu wenige Brunnen, kaum Ausbildungsmaßnahmen<br />
oder Ansätze zur Verbesserung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion.<br />
Die Tuareg Nomadengesellschaft eignet sich in besonderem Maße für eine selbstbestimmte<br />
Entwicklung, denn nur sie, die in der Wüste überleben können, wissen auch geeignete Lösungen<br />
für ihre Entwicklungsprobleme. Sie haben jahrzehntelang gegen Unterdrückung, staatliche<br />
Willkür und katastrophale Dürren gekämpft. Es ist ihnen schließlich gelungen einen Teil ihrer<br />
Forderungen, nämlich die bessere Integration in das nationale Leben und den Aufbau ihrer Siedlungsgebiete<br />
durchzusetzen. Ihre Führer haben eine Vision von Entwicklung, die den Wunsch der<br />
Nomaden, ihre Kultur und Identität zu erhalten, in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellt.<br />
Vieles wurde im Friedensvertrag von 1995 durch die Regierung versprochen, wenig gehalten.<br />
Aber dabei muß man bedenken, dass die Möglichkeiten der Regierung begrenzt und die Armut<br />
in den anderen Landesteilen groß ist. So ist es eine besondere Aufgabe der internationalen Entwicklungszusammenarbeit<br />
hier, zu helfen.<br />
Niger ist das zweit ärmste Land der Welt, es nimmt Platz 173 von 174<br />
auf dem Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen<br />
ein. Auf einer Fläche von 1, 267 000 qkm – größtenteils Wüste – leben<br />
11 Millionen Menschen. Das Pro-Kopfeinkommen beträgt 180 USD pro<br />
Jahr. 61,4 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.<br />
Die Analphabetenrate liegt für Männer bei 78, für Frauen bei 93%.<br />
80% der Bevölkerung sind Muslime, zwischen 8 und 9% sind Tuareg.
Potentiale erkennen und neue Wege gehen<br />
Das Entwicklungspotential der Nomadengebiete ist aufgrund der widrigen Klimabedingungen<br />
zwar begrenzt aber durchaus vorhanden. Natürlich ersetzte die Einführung des LKWs die Karawanen<br />
und somit weitgehend das Kamel als Transportmittel. Aber es gibt Möglichkeiten, die wegen<br />
der schwierigen klimatischen Bedingungen begrenzte Vieh- und Landwirtschaft zu erhalten und<br />
auch in geringem Umfang den Salzkarawanenhandel fortzuführen - wenn auch von ehemals bis<br />
zu 30.000 Kamelen heute nur noch bis zu 10.000 Kamele pro Jahr in der Wüste unterwegs sind.<br />
Ein großes Potential liegt in der Entwicklung des Sahara-Tourismus, der allerdings wegen Überfällen<br />
immer wieder Rückschläge erleidet.<br />
Es ist möglich, die einzigartige Kultur der Tuareg, ohne die unsere Welt ärmer wäre, durch geeignete<br />
Unterstützung zu verbessern und die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen in<br />
einer feindlichen Umwelt zu erleichtern. Dafür ist es essentiell, dass die Entwicklungsprojekte<br />
die eigenen Vorstellungen der Tuareg von Entwicklung und der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen<br />
zum Ausgangspunkt ihrer Hilfe machen. Es muss Ziel sein, die Gemeinschaften dabei zu<br />
unterstützen, sinnvolle Entwicklungsvorhaben selbstverantwortlich zu planen und durchzuführen<br />
und sie sozial so zu stärken, dass sie anerkannte Partner der dezentralisierten staatlichen<br />
Verwaltung werden.<br />
Das erfordert:<br />
� Die Übertragung der Verantwortung von Entwicklungsprogrammen an kompetente Nichtregierungsorganisationen,<br />
die von anerkannten Vertretern der Tuareg geführt werden,<br />
� Die Programme müssen offen für alle vorgebrachten Ideen sein, sie sollten alle relevanten<br />
Bereiche der Dorfentwicklung ansprechen: Bildung, Gesundheit, Ernährung, Einkommen<br />
� Die Mobilisierung der Bevölkerung und Unterstützung ihrer Organisationen bei der Formulierung<br />
von Entwicklungsprojekten,<br />
� Die Beteiligung aller Interessengruppen am Programm um Konflikte zu vermeiden und<br />
� Die Übergabe der Durchführung und Verantwortung für die jeweiligen Kleinprojekte an die<br />
Gemeinschaften der Zielgruppen<br />
Das vor drei Jahren von CARE Deutschland mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit, der Europäischen Kommission und Heidelberger Zement begonnene<br />
Dorfentwicklungsprogramm entspricht dieser Konzeption. CARE Deutschland arbeitet mit<br />
der Selbsthilfeorganisationen „HED-Tamat“, zusammen, deren Leiter ein früherer Widerstandskämpfer<br />
ist. Unterstützt werden Maßnahmen zur Verbesserung der Basisinfrastruktur und der<br />
landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion. Die Dorfgemeinschaften müssen dafür<br />
selbst einen erheblichen materiellen Beitrag leisten. Trotzdem beantragen immer mehr Dörfer<br />
und Selbsthilfegruppen bei HED-Tamat Unterstützung für Kleinprojekte, die ihren Bedürfnissen<br />
und Möglichkeiten entsprechen. In weniger als vier Jahren ist es gelungen, für die ganze Region<br />
des Aïr-Gebirges einen großen Schritt nach vorne zu gehen. Der Grund für diesen Erfolg ist, dass<br />
das Projekt dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der unmittelbar Betroffenen konsequent<br />
entspricht.<br />
13<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Der Alltag als Ausgangspunkt für eine angepasste Entwicklung<br />
Entsprechend dieser Eigenverantwortlichkeit lag der Schwerpunkt des Programms von CARE Deutschland in den letzten Jahren<br />
bei folgenden Kleinvorhaben, die von den Gemeinschaften für besonders dringlich gehalten werden. Sie zeigen, wie mit relativ<br />
geringen Mitteln die Wirtschaft und das Leben der Tuareg im Aïr verbessert werden kann.<br />
Bau von<br />
Trinkwasserbrunnen<br />
Viele Dorfgemeinschaften haben immer noch keine Trinkwasserbrunnen.<br />
Vielfach müssen die Frauen weite Strecken zurücklegen<br />
um qualitativ minderwertiges Trinkwasser zu holen. Der<br />
tägliche Wasserbedarf einer Nomadenfamilie von 6 Personen<br />
beträgt 150 Liter. Zusätzlich müssen die Tiere getränkt werden.<br />
Ein Esel braucht 30 l, eine Ziege oder ein Schaf 15 l am Tag.<br />
Wasserholen ist in <strong>Afrika</strong> traditionell die Aufgabe von Frauen<br />
und Kindern. An Juteseilen ziehen sie täglich bei großer Hitze<br />
viele schwere Wassereimer aus den 20 m tiefen Brunnen hoch.<br />
Seit einigen Jahren gibt es einfache hydraulische Räder, die auf<br />
den Trinkwasserbrunnen montiert werden. Mit diesen Rädern<br />
ist es ein Kinderspiel, das Wasser aus der Tiefe hervorzuholen.<br />
Auch kann bei Verwendung von Rädern der Brunnen völlig<br />
abdeckt werden, so dass keine Verunreinigungen das kostbare<br />
Wasser verschmutzen. Mit einem neuen Brunnen entfallen die<br />
weiten Wege und die große Kraftanstrengung. Die gewonnene<br />
Zeit und Kraft können sie nun für Ausbildungsmaßnahmen<br />
oder für Einkommen schaffende Maßnahmen verwenden.<br />
Bau von Bewässerungsbrunnen<br />
für den Gartenbau<br />
Der Gartenbau ist das Rückrat der Überlebensökonomie der Aïr-<br />
Tuareg, denn in Trockenperioden, kann mit Hilfe der Brunnen<br />
zumindest eine bescheidene Ernte eingebracht werden. In den<br />
letzen Jahren hat es im Aïr – Gebirge nicht genügend geregnet.<br />
Deshalb haben sich viele Dorfgemeinschaften im Rahmen des<br />
Projektes auf den Bewässerungsbrunnen für den Gartenbau<br />
konzentriert. Dabei kommt eine verbesserte Bautechnik zur<br />
Anwendung. Die im Aïr in traditioneller Art gebauten Brunnen<br />
wurden früher einfach in den Sand gegraben und mit Ästen und<br />
Baumstämmen stabilisiert. Die aus lockerem Sand bestehenden<br />
Schachtwände brachen jedoch in der Regenzeit immer wieder<br />
ein. Der Durchmesser des Brunnenschacht vergrößerte sich von<br />
Jahr zu Jahr. Große Holzmengen und tagelange Arbeit wurden<br />
benötigt, um den Brunnen immer wieder aufs Neue abzustützen.<br />
Durch die vom Projekt gegebene Hilfe hatten die Gartenbauer,<br />
die sich zu Gruppen zusammengeschlossen haben und in Nachbarschaftshilfe<br />
die Brunnen errichten, die Möglichkeit, die alte<br />
Technik zu ersetzen. Die Brunnenschächte können jetzt zementiert<br />
werden. Für die verbesserten Brunnen verwenden die<br />
Brunnenbauer Betonringe mit einer Höhe von 1 m und einem<br />
Durchmesser von 1,40 m, die aufeinandergesetzt werden. Einer<br />
der Vorteil dieser Bauweise ist, dass Brunnenvertiefungen im<br />
Vergleich zu einem gemauerten Brunnen einfach durchgeführt<br />
werden können. Durch die neue Technik wird auch das immer<br />
seltener und teurer werdende Holz geschont und damit ein Beitrag<br />
zum Ressourcenschutz geleistet. Die Gartenbauer können<br />
ihre Nutzflächen effizienter bewirtschaften.
Bau von Viehbrunnen<br />
Der Bau von Viehbrunnen erleichtert die Ziegen- und Schafzucht der Tuaregfrauen. Fruchtbare<br />
Weidegebiete ohne Viehbrunnen sind für die Nomadenfrauen nicht nutzbar, denn die Tiere können<br />
die langen Wege durch die trockene Wüstenlandschaft nicht überwinden. Die jungen Hirtinnen<br />
leben mit ihren Kindern und Tieren in den Weidegebieten des Aïr-Gebirges und ziehen in<br />
Gruppen von 15 Frauen von Weideplatz zu Weideplatz. Einfache Holzverschläge oder Mattenzelte<br />
sind ihr Zuhause. Den ganzen Tag sind sie auf der Suche nach Futter und Wasser für die Tiere. Mit<br />
langen Stengeln schlagen sie Blätter und Früchte aus den Akazienbäume, denn Ziegen mögen<br />
das eiweißreiche Baumfutter am liebsten. Oft liegen die Brunnen und die fruchtbaren Weideflächen<br />
weit auseinander. Die langen Wege von den Weidegründen zu den Lagerstätten zehren nicht<br />
nur an der Kraft der Frauen, auch die Tiere setzen nur langsam Fett an. Die Frauen tränken ihre<br />
Tiere am Morgen und wandern häufig mehr als 30 km täglich auf der Suche nach Futter. Seit die<br />
Viehbrunnen in Betrieb sind, sind die Hirtinnen nicht mehr so lange unterwegs. Die Brunnen<br />
wurden dort gegraben, wo sie von möglichst vielen Hirtinnen zu erreichen sind.<br />
Bau von Lagerhäusern für<br />
landwirtschaftliche Produkte<br />
Besonders schwierig ist die Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten zu angemessenen<br />
Preisen. Oft fehlt dafür eine Lagermöglichkeit, so dass die Bauern ihre Ernte an Händler<br />
direkt nach der Ernte zu niedrigen Preisen verkaufen müssen. Durch den Bau von Lagerhäusern<br />
können die Produkte mehrere Wochen sicher gelagert und schließlich zu einem höheren Preis<br />
verkauft werden. Somit erzielen die Kleinbauern höhere Einkommen.<br />
15<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Bau und Ausstattung von<br />
Dorfläden<br />
Die alltägliche Versorgung mit den einfachsten Grundnahrungsmitteln<br />
und Gebrauchsgütern wie Lebensmitteln (Getreide, Öl,<br />
Tee, Zucker, Salz etc.), Stoffen, Medikamenten, Gewürzen, Batterien,<br />
Taschenlampen, etc. stellt für die nomadische Bevölkerung<br />
wegen der Abgeschiedenheit des Aïr-Gebirges ein großes<br />
Problem dar. Insbesondere die Hirtinnen sind von der Versorgung<br />
mit den einfachsten Dingen des Alltags abgeschnitten.<br />
Die Versorgung der Nomadenbevölkerung mit Alltagsgütern<br />
kann durch Dorfläden wesentlich erleichtert werden.<br />
Installation<br />
von Getreidemühlen<br />
In den Oasengärten wird Weizen und Mais angebaut, die neben<br />
Hirse zu den Grundnahrungsmitteln der Bevölkerung gehören.<br />
Die Verarbeitung des Getreides zu Mehl ist eine schwere körperliche<br />
Arbeit. Mit der Installation von Getreidemühlen wird<br />
die Arbeit der Frauen sehr erleichtert. Für die Mühle wird ein<br />
Schutzhaus gebaut und eine Person zum Müller ausgebildet.<br />
Revolvierende Fonds für<br />
Karawaniers, Gartenbauer und<br />
Frauengruppen<br />
Ein revolvierender Fond ist eine Art Sparkasse, die von den<br />
Selbsthilfegruppen eigenverantwortlich verwaltet wird. Die<br />
einzelnen Mitglieder der Gruppen beantragen eine Art Kredit<br />
für eine ökonomische Aktivität, die sie selbst bestimmen. Sie<br />
zahlen nach einigen Monaten das geborgte Geld zusätzlich<br />
einiger Zinsen wieder in die Kasse zurück damit es anderen<br />
Gruppen oder Personen zur Verfügung steht.<br />
Zum Beispiel schützt der revolvierende Fonds den Tuareg-<br />
Karawanenhandel vor der ungleichen Konkurrenz mit großen<br />
Händlern, die den Salztransport mit Lastkraftwagen durchführen.<br />
Die Salzkarawane von Timia nach Bilma, ist die letzte<br />
noch bestehende Karawane der Sahara und stellt ein wichtiges<br />
Kulturelement der Saharanomaden dar. Die Karawaniersgruppen<br />
erhalten im Dezember von Ihrer langen Reise in den Süden<br />
einen Fond in Höhe von etwa 20 Euro pro Person. Hiermit kaufen<br />
sie nach ihrer Ankunft in Zinder sofort Hirse ein, bevor der<br />
Hirsepreis steigt. Sie können nun in Ruhe abwarten, bis der<br />
Salzpreis steigt. Ohne diesen Fond würden sie kein Einkommen<br />
erzielen.
Bau und Ausstattung von Handwerkszentren<br />
für Frauen<br />
Eine der Ursachen von Armut bei den Tuareg ist, dass das Einkommen aus der Landwirtschaft für<br />
das Leben der Familien nicht ausreicht. Insbesondere Frauen verfügen kaum über eigenes Einkommen.<br />
Ziel ist es, das Einkommen der Nomadenfrauen durch neue Aktivitäten zu erhöhen. Es<br />
werden einfache Handwerkszentren gebaut und ausgestattet sowie Aus- und Fortbildungen für<br />
Frauen im Schneidern, Nähen, Stricken und der Herstellung von Körben durchgeführt.<br />
Bau von Primarschulen<br />
Heute haben viele Tuareg den Wunsch, ihren Kindern eine moderne Schulausbildung zukommen<br />
zu lassen. Bis zur Rebellion waren viele Eltern, besonders aus dem nomadischen Milieu, der modernen<br />
Schule gegenüber ablehnend eingestellt, um eine monatelange Trennung der Familien<br />
und eine Entfremdung der Kinder von der Nomadenkultur zu vermeiden. Zudem waren viele<br />
Nomaden auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen. Diese ablehnende Haltung dem Schulbesuch<br />
gegenüber hat sich durch die Rebellion dramatisch geändert. In einigen Regionen haben sich die<br />
Anmeldungen zum Schulbesuch so vervielfacht, dass neue Schulen gegründet werden mußten.<br />
Dort, wo die staatliche Verwaltung diesem Bedarf nicht nachkommen kann, springt das Projekt<br />
ein.<br />
Bau von Gesundheitszentren<br />
und Ausbildung von Geburtenhelferinnen<br />
Die Gesundheitsversorgung in den Nomadengebieten ist miserabel. Obwohl die Menschen<br />
vergleichsweise robust und widerstandsfähig sind, benötigen sie doch eine geregelte Gesundheitsversorgung<br />
bei schwere Krankheiten wie Malaria, bei Unfällen und der Versorgung der<br />
Kleinkinder. Der Bau von Gesundheitszentren im Aïr war daher eine der ersten Prioritäten der<br />
Menschen. In den Zentren arbeiten ausgebildete Ärzte. Alleine die Sicherheit, eine vertrauensvolle<br />
Gesundheitsversorgung in der Nähe zu haben, gibt den Menschen das Gefühl nicht mehr<br />
ausgegrenzt zu sein.<br />
17<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Bau eines regionalen Handwerkszentrums für<br />
Tuaregschmuck<br />
Das neue Handwerkszentrum enthält Verkaufsboutiquen, ein Materialverkaufslager, zahlreiche<br />
Werkstätten und einen großen Innenhof mit einer Bühne für künstlerische Darbietungen. Es ist<br />
für alle Handwerker im Umkreis von 50 km zugänglich und liegt zentral an der Hauptverkehrsstraße<br />
durch das Aïr und somit für kauffreudige Touristen sehr gut zugänglich.<br />
Bislang hatten die Handwerker ihre kunsthandwerklichen Produkte und den berühmten Tuareg<br />
Silberschmuck auf Stoffen ausgelegt im Sand dargeboten. Gefertigt wurde vielfach in einfachen<br />
Werkstätten zu Hause. Der Materialkauf gestaltete sich kompliziert und kostspielig, da die Handwerker<br />
zum Teil ins 1200 km entfernte Niamey reisen mussten, um einfache Handwerksgeräte<br />
und Silber zu kaufen. Heute produzieren sie in vom Wind und Sonne geschützten Werkstätten,<br />
arbeiten zusammen, können sich gegenseitig inspirieren und unterstützen und verkaufen die<br />
Produkte zu festgelegten, realistischen Preisen. Die Kollektion des Handwerkszentrum wurde auf<br />
einer eigenen Internetwebseite veröffentlicht und ist dem internationalen Publikum zugänglich.<br />
Waren die Handwerker noch vor zwei Jahren ziemlich isoliert, sind sie heute den internationalen<br />
Markt angeschlossen.<br />
Ausbildungsangebot für Jugendliche<br />
Wie in allen afrikanischen Ländern ist ein Großteil der Bevölkerung jung und arbeitslos. Nicht<br />
alle jungen Tuareg möchten jedoch zu hundert Prozent der traditionellen Lebensweise nachgehen,<br />
sondern wünschen sich eine Ausbildung als Maurer, Automechaniker, Fahrer, Elektriker,<br />
Touristenführer etc. Auch die Nachfrage nach Computerkursen und Erste Hilfekursen ist sehr<br />
groß. Das Projekt organisiert Ausbildungskurse und unterstützt die jungen Menschen bei der<br />
Suche nach geeigneten Praktika.
Diese Beispiele zeigen, wie mit relativ einfachen Maßnahmen auf breiter Basis ein großer Beitrag<br />
zur Verbesserung der Lebenssituation geleistet werden kann.<br />
Die Unterstützung ist offen für alle möglichen Ideen. Sie schließt ganz bewusst alle Bereiche der<br />
Dorfentwicklung mit ein und ist offen für alle Interessengruppen. Das erfordert Kooperationsbereitschaft<br />
und Konsens, es wird Frieden und Demokratie geübt. Die bisherigen Maßnahmen haben<br />
nur ein kleines Gebiet im Lebensraum der Tuareg erreicht. Die Ausweitung der Projektarbeit<br />
auf andere Regionen ist dringend erforderlich, ein gangbarer Weg wurde aufgezeigt.<br />
Kulturstärkende Wirkung einer selbst bestimmten<br />
Entwicklung<br />
Aus Freude und Dank veranstalten die Tuaregfrauen einmal im Jahr ein großes Ahalfest zu dem<br />
alle am Projekt beteiligten Gruppen eingeladen sind. Von weit her kommen Zielgruppengemeinschaften,<br />
traditionelle Tuareg-Chefs, Vertreter der Dorf-Entwicklungskommittees, Vertreter der<br />
örtlichen Verwaltung und Projektmitarbeiter. Die Menschen nutzen die Gelegenheit, ihre Kultur<br />
zu leben. Die einzelnen Gemeinschaften lernen sich persönlich kennen, tauschen Ideen und<br />
Erfahrungen aus und präsentieren die in ihrer Gemeinschaft realisierten Kleinprojekte.<br />
Im letzten Jahr kamen mehr als 5.000 Tuareg-Nomaden mit bunt geschmückten Kamelen und<br />
Eseln und feierten den gemeinsamen Aufbruch in eine bessere Zukunft.<br />
19<br />
TUAREG<br />
NOMADEN DES AÏR-GEBIRGES IM NIGER
Die Tuareg gehörten einst zu den wohlhabendsten<br />
Völkern <strong>Afrika</strong>s. Sie haben unter schwierigsten<br />
klimatischen Bedingungen eine einzigartige Kultur<br />
entwickelt, die ihnen ein Überleben in der<br />
Wüste ermöglicht.<br />
Heute ist die Kultur der Tuareg bedroht.<br />
Das Nomadenvolk lebt an der Armutsgrenze.<br />
Die Broschüre versucht die Gründe dieser Entwicklung<br />
aufzuzeigen und beschreibt die Veränderungen der<br />
Vergangenheit aber auch die Wege der Gegenwart und<br />
Zukunft für das Volk der Tuareg.<br />
CARE Deutschland e.V.<br />
Dreizehnmorgenweg 6 · 53175 Bonn<br />
Telefon: 0228-975630<br />
Homepage: www.<strong>care</strong>.de<br />
Partenaire au Niger<br />
ONG - Homme Environnement Développement<br />
HED Tamat<br />
B.P.: 12879 Niamey<br />
Telefon/Fax: 00227-7546-52<br />
B.P.: 244 Agadez<br />
Telefon/Fax: 00227-440547<br />
eMail: hedtamat@intnet.ne<br />
Président Mano Aghali