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GESEllScHAft<br />

Ein Junge! Nach dem Kaiserschnitt<br />

zeigt Dr. Katrin Scheuer den Eltern<br />

ihr Kind: Vincent Alexander<br />

48 WISSEN<br />

682.514 Kinder kamen 2008 in<br />

Deutschland zur Welt. Ein Jahr zuvor waren<br />

es noch 2348 Babys mehr


Es ist schon Milliarden Mal passiert – und doch ist<br />

jede Geburt wie ein Wunder. HÖRZU WISSEN<br />

besuchte eine BaBystation in Hamburg-Altona<br />

<strong>Willkomme</strong>n im<br />

Leben<br />

GynäkoLoGe<br />

Dr. Thorsten Mohr<br />

(37) mit Carla<br />

GynäkoLoGin<br />

Dr. Katrin Scheuer<br />

(45) mit Aron Kjell<br />

Mit einem Schrei ist das Glück da.<br />

Pfirsichweiche Haut, zarter Flaum,<br />

zehn Finger, zwei Arme, zwei Beine,<br />

ein neues Leben auf unserer<br />

Erde: Vincent Alexander ist geboren und blinzelt<br />

um 9.30 Uhr dem Licht entgegen. Ein<br />

Bündel von 3740 Gramm, dem die Zukunft<br />

gehört. Kaum ein Ereignis ist so bewegend<br />

und alltäglich zugleich wie eine Geburt.<br />

Die Faszination hält sich seit Beginn der<br />

Hebamme<br />

Ilis nostionse Gesine Grabichler tin vel<br />

utp ate (32) dolorer mit Vincent aci<br />

blametumsan Alexander he Ilis<br />

Hebamme<br />

Maria Hager (25)<br />

mit Hannah<br />

Menschheit, der medizinische Fortschritt hat<br />

sich im neuen Jahrtausend rasant entwickelt.<br />

Wie geht es auf einer Babystation zu? Spürt<br />

man das Glück? Wann wird es hektisch? Ein<br />

Besuch in der Asklepios Klinik Altona.<br />

Operationssaal 1. Die Minuten, in denen<br />

Vincent Alexander auf die Welt kam: Das<br />

Kind muss per Kaiserschnitt geholt werden.<br />

Diagnose Steißlage. Die Mutter Frauke<br />

Gentzsch hat keine Wehen, der Termin ist �<br />

WISSEN 49


Kurze Pause nach zwei<br />

Geburten: Dr. Scheuer<br />

im Frühstücksraum<br />

Gut und sicher in ein<br />

neues Leben<br />

seit Tagen fix. Am Operationstisch läuft alles<br />

erstaunlich schnell und ästhetisch ab. Zügig<br />

schneidet die Gynäkologin Dr. Katrin Scheuer<br />

mit dem Skalpell die betäubte Bauchdecke<br />

zwölf Zentimeter auf. Dann arbeitet sie sich<br />

mit den Fingern ins tiefrote Innere vor. Keine<br />

zwei Minuten später greift sie dem Baby unter<br />

den Bauch, zieht es aus seiner wohlig warmen<br />

Höhle an die Luft. Zur Begrüßung streckt<br />

Vincent Alexander ihr den Po entgegen.<br />

Die Ärzte und Hebammen lächeln gerührt<br />

hinter ihrem Mundschutz. Das verraten ihre<br />

glänzenden Augen. „Eine Geburt ist auch für<br />

uns jedes Mal ein emotionaler, intimer Moment“,<br />

sagt die Hebamme Gesine Grabichler.<br />

Sie arbeitet in einem Team mit 19 Ärzten<br />

und 40 Hebammen, das täglich etwa sieben<br />

Babys auf die Welt holt. Damit ist Altona<br />

die fünftgrößte Entbindungsstation Deutschlands.<br />

„Die Geburt von Vincent Alexander war<br />

ein sanfter Kaiserschnitt“, erklärt Dr. Scheuer.<br />

„Wir schneiden wenig, um Gewebe zu schonen,<br />

und dehnen dafür stärker. Das mindert<br />

Schmerzen, und die Mütter sind nach dem<br />

ersten Tag schon wieder auf den Beinen.“ Heute<br />

kommt jedes dritte Kind so zur Welt. Die<br />

Zahl der Kaiserschnitte hat sich in den letzten<br />

15 Jahren in Deutschland verdoppelt.<br />

50 WISSEN<br />

Entscheiden sich immer mehr Frauen bewusst<br />

für die Geburt per Operation? In Zeitschriften<br />

liest man von Heidi Klum, Birgit<br />

Schrowange oder Verona Pooth. Ist das ein<br />

Lifestyle-Trend? Die Zahlen sprechen dagegen:<br />

Nur zwei Prozent der Kaiserschnitte sind<br />

ein ausdrücklicher Wunsch der Schwangeren,<br />

ergab die Umfrage einer Krankenkasse.<br />

WoHLfüHLLicHt und<br />

PaLmen im kreisssaaL<br />

„In den meisten Fällen hat es medizinische<br />

Gründe“, sagt Prof. Volker Ragosch, Leiter der<br />

Gynäkologie und Geburtshilfe an der Asklepios<br />

Klinik Hamburg-Altona. „Zum einen<br />

sind Kinder heute größer und schwerer, was<br />

an der gesunden Ernährung der Mütter liegt.<br />

Zurzeit sind fünf Babys auf der Station, die<br />

alle ein Geburtsgewicht von über 4400<br />

Gramm hatten.“ Durchschnitt sind 3900<br />

Gramm. Während Ragosch erzählt, huscht<br />

Hebamme Gesine an ihm vorbei, lächelt<br />

flüchtig. Sie hat zu tun: In Kreißsaal 4 liegt<br />

eine Frau in den Presswehen. „Saugglocke“,<br />

flüstert sie ihrem Chef zu. „Das übernimmt<br />

Dr. Mohr“, antwortet er kurz und ist sofort<br />

wieder beim Thema Kaiserschnitt. Eine<br />

weitere Erklärung für die gestiegene Zahl<br />

Vor der OP: Frauke<br />

Gentzsch hört die<br />

Herztöne ihres Sohnes<br />

sei, dass das Alter der Erstgebärenden seit<br />

1991 um drei Jahre auf durchschnittlich<br />

29,8 gestiegen ist. „Reifere Frauen sind ängstlicher<br />

und haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis.<br />

Auch das ist in einigen Fällen<br />

ein Anlass für einen Kaiserschnitt.“<br />

Machen Frauen sich heute schneller verrückt,<br />

oder ist eine Geburt noch ein Risiko?<br />

Fortschritte in der Medizin haben es bei<br />

natürlichen und operativen Geburten minimiert:<br />

Die Gefahr, dass eine Mutter stirbt,<br />

liegt in Deutschland rein statistisch gesehen<br />

bei etwa eins zu 24 000. In den Neunzigerjahren<br />

war sie noch doppelt so hoch. Feinere<br />

Operati onstech niken, bessere Überwachungs-<br />

Wo waren 2008 die<br />

meisten Geburten?<br />

1. Die Berliner Charité ist Spitzenreiter<br />

in Deutschland mit 3477 Geburten<br />

2. Vivantes Klinikum, Berlin-<br />

Neukölln Hier wurden insgesamt<br />

3414 Kinder geboren<br />

3. Rotkreuzklinikum München<br />

Hier starteten 3078 Babys ins Leben<br />

4. Asklepios Klinik Hamburg-<br />

Barmbek Das Klinikteam hat 2838<br />

Säuglinge im Kreißsaal begrüßt<br />

5. Asklepios Klinik Hamburg-<br />

Altona Die Hebammen holten 2770<br />

Mädchen und Jungen auf die Welt


Vorm Kaiserschnitt:<br />

Dr. Pfad bereitet die<br />

Spinalanästhesie vor<br />

geräte und eine gründlichere Voruntersuchung<br />

stehen heutigen Eltern zur Verfügung.<br />

In der Geburtsmedizin ist eine neue Zeit<br />

angebrochen. Professor Ragosch: „Ich möchte<br />

den Frauen die Entbindung so angnehm<br />

wie möglich machen. Das Ziel ist eine Wohlfühlgeburt.“<br />

Wie passt dieser Wellness-Gedanke<br />

zu den Schmerzen, die eine Frau ertragen<br />

muss? „Ein Kind zu bekommen gehört<br />

zu den größten Momenten des Lebens. Auch<br />

wenn es ein Kraftakt ist – es gibt viele Möglichkeiten,<br />

ihn zu erleichtern.“ Auf den zartgelb<br />

getünchten Fluren der Babystation in<br />

Altona stört nur der hellbraune PVC-Boden,<br />

ansonsten herrscht Hotelatmosphäre. In sogenannten<br />

Perinatalzentren wie diesem ist<br />

alles unter einem Dach: Entbindungsstation,<br />

Operationssaal und eine Neugeborenen-Intensivstation.<br />

Die Kreißsäle gleichen Wellness-Oasen,<br />

sogar an grüne Stoffpalmen und<br />

angenehmes Licht haben Innenarchitekten<br />

gedacht: Es kann je nach Stimmung von<br />

grell auf gemütlich eingestellt werden. Der<br />

Schmerz lässt sich damit allerdings noch<br />

nicht herunterdimmen.<br />

unter scHmerzen Gebären?<br />

der arzt rät zur sPritze<br />

Dafür gibt es Anästhesisten wie Dr. Clauspeter<br />

Pfad. „Wehen sind heftig, aber heute<br />

muss eine Frau Schmerzen nur bis zu einem<br />

gewissen Grad aushalten. Ich rate, rechtzeitig<br />

um eine Betäubung zu bitten und nicht unnötig<br />

die Zähne aufeinanderzubeißen. Die<br />

Mittel, die wir spritzen, schaden weder Mutter<br />

noch Kind.“ Eine extrem schmerzhafte<br />

Niederkunft tue beiden nicht gut. Es sei<br />

erwiesen, dass es länger dauere, bis sie<br />

sich erholt hätten. Für die natürliche<br />

Geburt gibt es die PDA, das Kürzel steht<br />

für Periduralanästhesie. „Das ist eine<br />

rückenmarksnahe Spritze, die besser ist<br />

als ihr Ruf“, sagt Dr. Pfad. Sie sei nicht<br />

gefährlich oder schwierig. Für den Kaiserschnitt<br />

wird meist die Spinalanästhesie<br />

eingesetzt, die den Körper bis<br />

oberhalb der Brust betäubt.<br />

1980 hätte die Mutter von Vincent<br />

Alexander seine Geburt unter Vollnarkose<br />

verschlafen, 2009 ist sie konzentriert<br />

dabei: Nur ein grünes Tuch nahm<br />

Frauke Gentzsch die Sicht, sie konnte<br />

die nervöse Hand ihres Lebensgefährten<br />

Dennis (28) fühlen, spürte ab und<br />

zu einen leichten Druck am Körper.<br />

Hörte ein leises Brabbeln der Ärzte,<br />

zwischendurch das Röcheln einer Maschine,<br />

die das Fruchtwasser absaugt.<br />

Dank der Spritze war das alles, was sie<br />

von dem Eingriff mitbekommen hat.<br />

Danach erlebte sie den lang ersehnten Moment:<br />

das erste Mal das eigene Kind sehen.<br />

Es streicheln, riechen, küssen, fühlen und<br />

endlich zu ihm sprechen.<br />

Nie wusste man vor dem ersten Anblick so<br />

viel über ein Neugeborenes wie heute. Das<br />

Geheimnis lüftet die neue Ultraschalltechnik:<br />

Die Aufnahmen eines 3-D-Geräts sind deutlicher<br />

als mit einem Feinultraschall. Einzelne<br />

Organe und Körperpartien können genau �<br />

GESEllScHAft<br />

Tochter Janou wog<br />

nur 890 Gramm<br />

Babys werden nur<br />

abgetupft, nicht<br />

gebadet. Die Käseschmiere<br />

schützt<br />

„Ich bin so<br />

dankbar, dass<br />

meine Tochter<br />

Janou lebt.“<br />

Svenja Stoffers, 22<br />

WISSEN<br />

51


GESEllScHAft<br />

Fünf kleine Wunder:<br />

Neugeborene in der<br />

Asklepios Klinik<br />

52 WISSEN<br />

3900<br />

Gramm bringt ein<br />

neugeborenes Kind<br />

im Durchschnitt<br />

auf die Waage


Das Wunder<br />

der Geburt<br />

inspiziert werden. Zum Beispiel Herzfehler<br />

werden noch im Mutterleib entdeckt, eingeschätzt<br />

und sofort nach der Geburt operiert.<br />

„Ich kann es gar nicht fassen“, sagt die 38-jährige<br />

Simone Günther, die vor einer Stunde<br />

ihren Sohn bekommen hat – er ist ihr drittes<br />

Kind. „Mein Aron Kjell sieht exakt so aus wie<br />

auf dem 3-D-Ultraschallbild, das wir kürzlich<br />

von meinem Gynäkologen bekommen haben.<br />

Sogar die Falte über der Nase war zu<br />

sehen.“ Überraschungen sind selten geworden,<br />

dafür gibt es mehr Schutz.<br />

Die moderne Medizin ist der Lebensretter<br />

für Kinder wie Janou Emma. 890 Gramm,<br />

34 Zentimeter. Das sind Zahlen, die wehtun.<br />

Dr. Mohr rettete das Mädchen aus dem Bauch<br />

der Mutter Svenja Stoffers. Die 22-Jährige<br />

hatte einen Blasensprung in der Mitte ihrer<br />

Schwangerschaft. In der 23. Woche. Ein paar<br />

Tage eher, und das winzige Mädchen hätte<br />

keine Chance gehabt. Einzig und allein durch<br />

die Geräte hat sie es geschafft. Jeder Herzschlag<br />

wird aufgezeichnet und piept über<br />

einen Lautsprecher durch den Raum, es ist<br />

gemütlich warm. Seit der Geburt liegt Janou<br />

auf einem der 15 Beatmungsplätze der Neugeborenen-Intensivstation,<br />

neben ihr ein<br />

Auf der Geburtenstation<br />

arbeiten 24 Ärzte<br />

und 40 Hebammen<br />

Minischnuller in Rosa. So richtig scheint sie<br />

noch nicht auf dieser Welt zu sein.<br />

babystation – ort der<br />

freude und der HoffnunG<br />

„Die Grenze zur Überlebensfähigkeit ist trotz<br />

aller uns zur Verfügung stehenden modernsten<br />

Techniken erst mit der 23. Woche erreicht“,<br />

sagt Dr. Mohr. Mädchen hätten grundsätzlich<br />

bessere Chancen als Jungen, weil sie<br />

weiter entwickelt seien. Oft spielt die Frage<br />

lebensretter Nabelschnurblut?<br />

JuNge stAMMzelleN siNd MillioNeNfACH iM Blut deR NABelsCHNuR eNt-<br />

HAlteN. Sie gelten als Reparaturtrupp unseres Körpers, als biologische Versicherung.<br />

Es gibt die Möglichkeit, dieses Blut zu spenden oder es für den Eigenbedarf einzulagern.<br />

Erkrankt ein Kind zum Beispiel an Krebs, könnte es mit seinen eigenen Zellen geheilt<br />

werden. Deshalb lassen immer mehr Eltern das Blut ihrer Kinder einfrieren. Das kostet<br />

etwa 2600 Euro für 20 Jahre Einlagerung. sinnvoll oder Abzocke? „Stammzellen von<br />

Neugeborenen sind unverbraucht und hervorragend geeignet, um neues Gewebe wie<br />

Muskeln, Haut- oder Nervenzellen zu züchten“, sagt Prof. Joachim Dudenhausen, Leiter<br />

der Geburtsmedizin der Berliner Charité. „Deshalb ist eine Nabelschnurblutspende<br />

sinnvoll. Wer es aber einlagern lässt, sollte an den Fortschritt der Wissenschaft glauben.<br />

Die Erfolgsaussichten sind nicht ausreichend erforscht. Noch ist unklar, wie viele Jahre<br />

Stammzellen ihre Wirkung behalten.“ so wird es aufbewahrt: Das Blut wird mit minus<br />

196 Grad kaltem Stickstoff schockgefroren und in Kühltanks gelagert.<br />

Die erste Unter-<br />

suchung: Kinderarzt<br />

Dr. Nils Heppeler<br />

mit, welches Leben lebenswert ist. Heute<br />

kommen sieben von 100 Kindern in Deutschland<br />

vor der 37. Schwangerschaftswoche zur<br />

Welt, also mindestens drei Wochen früher als<br />

normal. Die Überlebenschance für Neugeborene<br />

unter 1000 Gramm liegt in Deutschland<br />

bei 80 bis 90 Prozent. Dagegen schaffen es<br />

von den Frühgeborenen mit weniger als 500<br />

Gramm nur 20 bis 30 Prozent.<br />

Atmet die kleine Janou noch? Halten ihre<br />

Lungen das aus? Bleiben ihr Hirnblutungen<br />

erspart? Wird sie später sehen können? Diese<br />

Fragen haben sich im Kopf von Svenja Stoffers<br />

wie in einem Netz verfangen. Aber eines<br />

weiß sie: Wenn keine Komplikationen auftreten,<br />

wird sie der kleinen Kämpferin Janou nach<br />

vier Monaten endlich ihr Zuhause zeigen.<br />

Unter normalen Umständen verlassen �<br />

Keine Hektik auf dem<br />

Flur in Altona. Es<br />

heißt: Ruhe bewahren<br />

WISSEN<br />

53


GESEllScHAft<br />

Da bin ich: Aron<br />

Kjell wurde um<br />

9.13 Uhr geboren<br />

Babyduft – das beste<br />

Parfum der WeLt<br />

54 WISSEN<br />

Melina und<br />

Schwester<br />

Hannah<br />

„Ich habe<br />

endlich eine<br />

Schwester!“<br />

Melina, 4<br />

Mütter die Wochenstation im Schnitt bereits<br />

drei bis vier Tage nach der Geburt.<br />

Eine Babystation ist ein Ort, wo Hoffnung<br />

und Angst, Freude und Sorge sich in die<br />

Augen schauen. 684 862 Kinder wurden 2007<br />

in Deutschland geborenen, 664 454 davon in<br />

Krankenhäusern, die wenigsten in Geburtshäusern<br />

oder als Hausgeburten. Kliniken wie<br />

die in Altona wehren sich gegen den Ruf, steril<br />

und anonym zu sein. Sie tun alles dafür,<br />

dass die Ankunft des neuen Erdenbürgers<br />

zum Familien-Happening wird. „Wir wollen<br />

das Rundum-sorglos-Paket liefern“, sagt Prof.<br />

Ragosch. „Heute gehört es dazu, ein umfassendes<br />

Programm zu bieten, wenn man konkurrenzfähig<br />

bleiben will.“ Die ganze Familie<br />

ist lange vor den ersten Wehen willkommen:<br />

Auf Infoabenden für Großeltern wird Oma<br />

und Opa schonend vermittelt, dass heute<br />

nicht mehr alles so ist wie vor 30 Jahren. Sie<br />

bekommen Infos und Tipps.<br />

Auch für die Geschwister ist gesorgt: Um<br />

sie auf das neue Familienmitglied vorzubereiten,<br />

bietet das Team von Prof. Ragosch<br />

einmal im Monat eine Geschwisterschule an.<br />

In dem zweistündigen Kurs wird Mädchen<br />

und Jungen ab drei Jahren behutsam erklärt,<br />

woher das Baby kommt und wie eine Geburt<br />

abläuft. Sie besuchen einen Kreißsaal und ein<br />

Kerngesund: Clara<br />

wird untersucht, ihre<br />

Eltern schauen zu<br />

Neugeborenes auf der Station und sehen, wie<br />

man sein Brüderchen oder Schwesterchen im<br />

Arm hält, badet, wickelt, anzieht.<br />

Damit nicht genug: Bis zu einer Woche<br />

kann sich die gesamte Familie nach der Geburt<br />

im Patientenhotel „Storchennest“ einnisten,<br />

dort gibt es sechs Apartments. „Viele<br />

frischgebackene Eltern sind noch unsicher<br />

und können sich dort an die neue Situation<br />

gewöhnen“, sagt Prof. Ragosch, der selbst<br />

zweifacher Vater ist. „Wir bieten regelmäßige<br />

Visiten und Betreuung durch das Pflegepersonal<br />

an.“ Kosten pro Tag: 93 Euro für Mutter<br />

und Kind, mit Vater 129 Euro. Die Angebote<br />

lesen sich manchmal wie in einem Urlaubskatalog.<br />

Ist es wirklich erst 30 Jahre her, dass<br />

ein Vater gleich nach Hause geschickt wurde,<br />

nachdem er seine Frau mit Wehen in die<br />

Klinik gebracht hatte?<br />

yoGa für scHWanGere,<br />

akuPunktur für babys<br />

Das erweiterte Angebot hat nichts daran geändert,<br />

dass Mamis weiterhin im Mittelpunkt<br />

des Perinatalzentrums stehen. Sie entscheiden,<br />

wie sie ihr Kind bekommen: im Wasser,<br />

im Bett, auf dem Hocker, an Schlaufen. Hebammen<br />

sind Wochen vor dem errechneten<br />

Termin in Sprechstunden für sie da, bei Komplikationen<br />

stehen Mediziner auf der angeschlossenen<br />

Station für Pränataldiagnostik<br />

bereit, wo das Kind im Mutterleib untersucht<br />

wird. Die Liste der Annehmlichkeiten scheint<br />

unendlich: Yoga, Stillkurse, Babymassage,<br />

Osteopathie, Akupunktur. Alles Hokuspokus?


FotoS: KaRiN GERDES FüR HöRZu WiSSEN<br />

Endlich da! Eine natürliche<br />

Geburt dauert im<br />

Schnitt 13 Stunden<br />

Wie wichtig sind Väter im Kreißsaal?<br />

90 Prozent der Männer sind bei der Geburt dabei. Ein Interview<br />

mit dem Hamburger Gynäkologen Prof. Volker Ragosch<br />

Prof. Volker Ragosch,<br />

Asklepios Klinik<br />

Hamburg-Altona<br />

HÖRZU WISSEN:<br />

Gehören Väter in<br />

den Kreißsaal?<br />

Prof. Ragosch: Ich<br />

finde es problematisch,<br />

dass es fast zur<br />

Pflicht geworden ist,<br />

dass Männer dabei<br />

sind. Im Laufe der<br />

Jahre bin ich Vätern<br />

begegnet, die extreme<br />

Schwierigkeiten<br />

damit hatten. Eine<br />

Geburt gemeinsam zu erleben, kann sehr<br />

schön sein, wenn beide es wollen. Die<br />

Entscheidung muss das Paar allerdings<br />

gemeinsam treffen.<br />

Wie kann ein Mann die Frau bei der<br />

Entbindung unterstützen?<br />

Seine Rolle ist eher passiv. Es geht darum,<br />

dass er einfach da ist. Eine nahe Bezugsperson<br />

gibt Sicherheit und beruhigt. Vielleicht<br />

kann er den Rücken massieren.<br />

Haben Sie in Ihrer Laufbahn schon mal<br />

einen Vater vor die Tür geschickt?<br />

Das kommt immer wieder vor. In Notfallsituationen,<br />

auch bei Saugglocken- oder<br />

Zangengeburten. Das würden die Männer<br />

Jetzt wächst er nur<br />

noch: ein Fußabdruck<br />

als Erinnerung<br />

nur schwer aushalten, es wäre zu traumatisierend.<br />

Genauso, wenn wir Dammverletzungen<br />

behandeln. Auch da gehört ein<br />

Mann nicht in den Kreißsaal. Ich habe<br />

allerdings auch schon Herren vor die Tür<br />

gesetzt, die sich in unsere Arbeit ein-<br />

gemischt haben.<br />

Wie verändert sich die Beziehung nach<br />

einer gemeinsam erlebten Geburt?<br />

Das Paar kann durch diese intensive Erfahrung<br />

noch enger zusammenwachsen.<br />

Einige unterschätzen aber, dass es auch<br />

ein Schock sein kann, wenn der Partner<br />

seine Frau unter Schmerzen erlebt – das<br />

kann auch die Sexualität beeinträchtigen.<br />

Übrigens ist es völlig normal, wenn Frauen<br />

in den ersten sechs bis zwölf Monaten<br />

nach der Entbindung keine besondere Lust<br />

im Bett empfinden. Das wird leider immer<br />

noch viel zu selten thematisiert.<br />

Wie haben sich Mütter im Laufe<br />

der Generationen verändert?<br />

Sie sind gut informiert, manchmal übertrieben<br />

gut. Ich wünschte mir, sie würden<br />

mehr auf ihren Körper hören – der ihnen<br />

sagt, was sie brauchen – als auf Ratgeberbücher<br />

oder Halbwissen aus dem Internet.<br />

Das verunsichert eher, als dass es hilft.<br />

Tests zeigen, dass die Geburt im Schnitt um<br />

eine Stunde kürzer ist, wenn die Mutter mit<br />

den feinen Nadeln behandelt wird – der Muttermund<br />

wird weicher. Bei Säuglingen wird<br />

Osteopathie eingesetzt: „Wir lösen Verspannungen<br />

bei Kindern, die im Bauch immer auf<br />

derselben Seite lagen und deshalb nur aus<br />

einer Brust trinken“, sagt Stillberaterin Angelika<br />

Redepenning. „Stillen ist wieder im<br />

Trend. Nichts ist gesünder als Muttermilch.“<br />

Auch beim Stillen werden Schmerzen inzwischen<br />

gelindert: Feine Risse in der Brust oder<br />

auch Dammschnitte werden in Altona seit<br />

Kurzem gelasert. Es gibt kaum Entzündungen,<br />

heilt besser, tut weniger weh.<br />

Die Geburtsmedizin hat einen großen Satz<br />

nach vorn gemacht. Wer nun noch ein Geburtshaus<br />

auf dem Klinikgelände vermisst<br />

oder ein Zentrum für Reproduktionsmedizin,<br />

der muss sich nicht mehr lange gedulden:<br />

2010 soll es auch das in Altona geben. Vielleicht<br />

wird Vincent Alexander das alles irgendwann<br />

begutachten, wenn er erfährt, wo<br />

er geboren wurde. Nun schläft er zufrieden,<br />

atmet tief und duftet nach dem besten Parfum<br />

der Welt: nach Baby.<br />

Seine Mutter hält den<br />

Jungen fest im Arm. Sie<br />

weiß jetzt, wie sich Glück<br />

anfühlt – und was es<br />

wiegt: 3740 Gramm.<br />

MiRJA RuMpf<br />

Aron Kjell nach der Geburt<br />

im Arm von HÖRZU-WISSEN-<br />

Reporterin Mirja Rumpf<br />

WISSEN<br />

55

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