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Kurt Hans Staub. Unter Mitarbeit von André Horch - Gutenberg ...

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Der Bibliothekar als Detektiv<br />

Die Erschließung der<br />

Mainzer Inkunabelbestände


Vorbemerkung<br />

Die Ausstellung „Der Bibliothekar als Detektiv“, die im<br />

vergangenen Jahr (2006) in den Monaten Juli und August im<br />

<strong>Gutenberg</strong>-Museum Mainz gezeigt wurde, gab Einblicke in die<br />

Erschließungsarbeiten des Inkunabelbestandes des <strong>Gutenberg</strong>-<br />

Museums. Sie fand ein großes Interesse. Bemerkenswert war die<br />

Zahl auswärtiger Besucher, dafür waren die Sommermonate Juli<br />

und August besonders günstig. Es gibt offenbar immer mehr<br />

Menschen, die eine Ferienreise durch Deutschland machen, und<br />

wenn Mainz zu den Reisezielen gehört, dann ganz offensichtlich<br />

auch das <strong>Gutenberg</strong>-Museum. Bei Führungen und Gesprächen<br />

am Rande konnte festgestellt werden, daß nicht wenige schon<br />

mit Hilfe <strong>von</strong> entsprechenden Websites im Internet sich auf den<br />

Besuch im <strong>Gutenberg</strong>-Museum vorbereitet hatten und daher<br />

bereits <strong>von</strong> der Ausstellung wußten. Zusätzlich wurde innerhalb<br />

des Museums mit Hilfe einer Powerpoint Präsentation auf die<br />

Ausstellung aufmerksam gemacht. Es waren Besucher <strong>von</strong><br />

Füssen im Allgäu bis Bremen, selbstredend auch aus dem<br />

Ausland, darunter Lehrer, Bibliothekare, Professoren,<br />

Studenten. Wegen des exemplarischen und dokumentarischen<br />

Wertes der Ausstellung haben wir uns entschlossen, den Katalog<br />

hier in einer revidierten Fassung wiederzugeben, es ergaben sich<br />

kleinere Modifikationen und Ergänzungen, vor allem<br />

hinsichtlich der Einbandwerkstätten, und zwar infolge der<br />

strikten Nutzung der Einbanddatenbank (EBDB) für die<br />

Einbandbestimmung.<br />

Für den Nibelungenbinder (Fall 2), den Buchschmuck mit<br />

„Monstrous Clowns“ (Fall 8) und Bücher aus dem Besitz <strong>von</strong><br />

Johannes Ugelnheymer (Fall 7) wurden weitere Exemplare<br />

nachgewiesen, die alle hier aufgeführt werden.<br />

Inzwischen wurden <strong>von</strong> fast allen Bänden der Sammlung<br />

summarisch exemplarspezifische Daten gesammelt und in eine<br />

Datei eingegeben, die intern und für Auskunftszwecke genutzt<br />

wird, sie sind aber auch Grundlage und Materialsammlung für<br />

eine fortschreitende Tiefenerschließung des Bestandes.<br />

2


Die Datei enthält Angaben zu Provenienzen/Vorbesitzern,<br />

Einbänden, Buchschmuck, Makulatur etc. Neu bei den<br />

Provenienzen sind außer Mainzer Klöstern auch Klöster<br />

außerhalb <strong>von</strong> Mainz wie Worms oder Bensheim, zum ersten<br />

Mal werden Personen als Vorbesitzer notiert, darunter nicht<br />

wenige historisch belegbare. Nennen könnte man den<br />

Frankfurter Humanisten und Politiker Philip Fürtsenberg (1497<br />

– 1540) oder den Heidelberger Johannes Virdung aus Haßfurt,<br />

Mathematiker und Astrologe, Verfasser <strong>von</strong> vielen gedruckten<br />

Praktika. Der Band aus seinem Besitz hat zahlreiche<br />

Annotationen und handschriftliche Tabellen. Es sind Bücher,<br />

die erst über einen Zwischenbesitzer an Mainzer geistliche<br />

Institutionen kamen, bevor sie zur Zeit der Säkularisation in<br />

öffentlichen Besitz übergingen. Es wurden außerdem alle<br />

spätgotischen Einbände registriert, ferner alle Drucke mit<br />

auffälligem Buchschmuck, darunter Initialen mit Gold, Bände<br />

mit Handschriftenfragmenten (in Latein, Deutsch und<br />

Hebräisch), ebenso Druckmakulatur in den Spiegeln; erstaunt<br />

hat die relativ hohe Zahl <strong>von</strong> Bänden, die lediglich Abklatsche<br />

überliefern. Inhalt, Alter und Schrift zeigen, daß die Verluste auf<br />

Männer zurückgehen, die um den literarischen und kulturhistorischen<br />

Wert ihrer Beute wußten.<br />

An der Datenerhebung waren beteiligt außer <strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>:<br />

Christian Richter, <strong>André</strong> <strong>Horch</strong> und Zeynep Yildiz.<br />

3


Der Bibliothekar als Detektiv.<br />

Die Erschließung der Mainzer Inkunabelbestände. Fundstücke.<br />

Eine Ausstellung im <strong>Gutenberg</strong>-Museum Mainz<br />

(1.7.-3.9. 2006)*<br />

Texte <strong>von</strong><br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong> unter Mitwirkung <strong>von</strong> Christian Richter.<br />

Einbandbestimmung:<br />

Zeynep Yildiz.<br />

Ausstellungskonzeption und Gestaltung:<br />

Claus Maywald und <strong>André</strong> <strong>Horch</strong>.<br />

Erstellung der Datenbank, Internet- und Videopräsentation:<br />

<strong>André</strong> <strong>Horch</strong>.<br />

Im Auftrag der Direktorin des <strong>Gutenberg</strong>-Museums,<br />

Eva-Maria Hanebutt-Benz.<br />

4


Vorbemerkung zu Fall 1 bis 16<br />

Grundlage der Ausstellung sind Funde und Beobachtungen, die<br />

K. H. <strong>Staub</strong> bei seinen Erschließungsarbeiten der Mainzer<br />

Inkunabelbestände im <strong>Gutenberg</strong>-Museum in den vergangenen<br />

Jahren gemacht hat. Die gezeigten Inkunabeln werden ergänzt<br />

durch einige Leihgaben der folgenden Bibliotheken: ULB<br />

Darmstadt, UB Freiburg im Br., Martinus-Bibliothek Mainz,<br />

Stadtbibliothek Mainz und Nicolaus-Matz-Bibliothek<br />

(Kirchenbibliothek) Michelstadt.<br />

Die wiedergegebenen Bilder stellen eine Auswahl dar.<br />

Die endgültigen Erschließungsergebnisse werden in eine<br />

Datenbank<br />

www.gutenberg-bibliothek.de/staub<br />

eingegeben.<br />

Die Website ist gedacht als Informationsmöglichkeit für ein<br />

Fachpublikum: Mediaevisten, Buch- und Bibliothekswissenschaftler<br />

aber ebenso für allgemein an Kunst und kultureller<br />

Überlieferung Interessierte.<br />

5


Einleitung<br />

Das alte Buch enthält weit mehr als nur einen gedruckten oder<br />

handgeschriebenen Text. Sehen wir uns das Buch genauer an,<br />

<strong>von</strong> außen oder blättern wir in ihm, dann begeben wir uns auf<br />

eine Entdeckungsfahrt. Nicht selten stoßen wir auf unserer Reise<br />

auf wirkliche Kriminalfälle, zu deren Lösung es detektivischen<br />

Spürsinnes bedarf.<br />

Das Buch hat einen alten Einband. Er besteht aus Holzdeckeln,<br />

die mit Leder überzogen sind, in das Leder sind Schmuckelemente<br />

eingeprägt, Metallbuckel oder Eckbeschläge sollen das<br />

Leder vor Abnutzung schützen. Schließen sollen verhindern, daß<br />

<strong>Staub</strong> eindringt. Vorrichtungen zur Anbringung einer Kette an<br />

der Deckelkante sollen vor Diebstahl schützen.<br />

Auf den Rücken, den Vorderdeckel oder den Buchschnitt sind<br />

alte Standortsignaturen oder Kurztitel des Buchinhaltes<br />

geschrieben.<br />

Schlagen wir das Buch auf, dann stoßen wir auf Fragmente alter<br />

Handschriften, die auf die Innendeckel geklebt worden sind, wir<br />

finden Vorbesitzereinträge, Kaufpreisangaben, Bücherflüche,<br />

chronikalische Einträge, eine Devise, eine Sentenz oder ein<br />

Sprichwort. Wir entdecken Buchschmuck, mitunter prachtvolle<br />

Initialen und bemalte Ränder, mit Tinte geschriebene<br />

Randbemerkungen, Textkorrekturen, die <strong>von</strong> einem<br />

aufmerksamen Leser stammen.<br />

Man stößt auf Kuriositäten aller Art, die aber durchaus in<br />

bestimmten Zusammenhängen für die Erforschung des Buches<br />

ihre Bedeutung haben können:<br />

Mäusefraß, Gänge <strong>von</strong> Bücherwürmern in den Holzdeckel oder<br />

quer durch den Buchblock, tote Fliegen und sonstiges Ungeziefer,<br />

Getreidekörner, Kräuterbeigaben gegen Schädlinge,<br />

ausgediente Lesezeichen wie gepresste Strohhalme oder Spuren<br />

<strong>von</strong> Flüssigkeiten, die vor Jahrhunderten auf den Blättern<br />

verschüttet wurden. Selbst die <strong>Gutenberg</strong>bibel bildet da keine<br />

Ausnahme.<br />

Eine Erfassung dieser Daten, die wir in einem bestimmten<br />

Exemplar finden, ist Grundvoraussetzung für eine weitere<br />

Erschließung des Bandes. Es sind exemplarspezifische Daten,<br />

die das eine Exemplar <strong>von</strong> allen anderen unterscheiden.<br />

6


Wenn wir jetzt die unterschiedlichen Beobachtungen mit<br />

Phantasie und detektivischem Spürsinn miteinander verknüpfen<br />

und kritisch bewerten, dann erhalten wir mitunter aufregende<br />

Einblicke in eine längst verflossene Zeit, Totes wird lebendig,<br />

Vergangenheit wird Gegenwart.<br />

Wir müssen uns nur daranmachen, Verstaubtes vom <strong>Staub</strong>e zu<br />

befreien, dann stoßen wir z. B. auf bisher unbekannte Blätter aus<br />

einer zerstörten mittelalterlichen Handschrift, die im 9. Jahrhundert<br />

in einem Mainzer Scriptorium geschrieben wurde, oder<br />

auf unbekannte Zeugnisse Mainzer Buchmalerei aus dem 15.<br />

Jahrhundert. – In einem anderen Band verrät uns ein Kleriker so<br />

viel über die Stationen seines Lebens, daß wir uns ein lebendiges<br />

Bild <strong>von</strong> ihm machen können und uns nicht auf die spärlichen<br />

Angaben in einer Universitätsmatrikel beschränken müssen.<br />

Besonders spannend ist es, wenn der Bearbeiter nachweisen<br />

kann, daß ein Buch oder Fragment vor mehr als 200 Jahren<br />

gestohlen wurden, und er obendrein den Namen des Diebes<br />

herausbekommt, und dies allein mit ein wenig kriminalistischem<br />

Sachverstand und ganz ohne Zuhilfenahme moderner Gentechnik.<br />

Für den Bibliothekar, der den historischen Buchbestand<br />

erforscht, sind Zettelkästen und Karteischränke früherer Zeiten<br />

passé. Selbst das moderne Buch als Hilfsmittel und Nachschlagewerk<br />

hat seine zentrale Bedeutung eingebüßt; an seine<br />

Stelle sind Computer und Internet getreten, die Ergebnisse<br />

seiner Forschungen hält er nicht mehr auf handgeschriebenen<br />

Zetteln fest, sondern er gibt sie gleich in eine Datenbank. Mit<br />

Wissenschaftlern und Kollegen kommuniziert er nicht mehr<br />

umständlich auf dem Postwege sondern via E-Mail.<br />

So hat sich das Bild vom verstaubten Bibliothekar und Buchforscher<br />

grundlegend gewandelt. Trotz dieser vielfältigen und<br />

beschleunigten Forschungsmöglichkeiten wird die Arbeit nicht<br />

weniger.<br />

7


Literatur:<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Mainzer Frühdrucke – was sie uns verraten.<br />

Quellenmaterial für viele Sparten der Wissenschaft /Daten werden<br />

erfaßt. In: Mainz. Vierteljahreshefte für Kultur, Wirtschaft,<br />

Geschichte 20 (2000) Nr. 2, S. 48-52<br />

Ursula Rautenberg, Artikel „exemplarspezifische Besonderheiten“, in:<br />

Reclams Sachlexikon des Buches, 2. Auflage, Stuttgart: Reclam 2003.<br />

8


Zu Fall 1 - 3<br />

Abklatsche <strong>von</strong> Literaturdenkmälern in den Einbänden Mainzer<br />

Inkunabeln und das Schicksal der Originale. Zu Abklatch<br />

allgemein s. am Schluß des Kataloges.<br />

Auf der Suche nach Literaturdenkmälern deutscher Vergangenheit.<br />

Zur Zeit der Romantik fühlten sich viele national gesinnte<br />

Deutsche dazu berufen, volkstümliche Literatur zu sammeln und<br />

zu bearbeiten, in der Absicht, die schöpferischen Kräfte des<br />

deutschen „Volksgeistes“ zu wecken.<br />

Die Finder gingen mit ihrer Beute recht sorglos, ja skrupellos<br />

um. Originalblätter <strong>von</strong> makulierten Handschriften, die sie<br />

fanden, nahmen sie an sich, verliehen sie oder verschenkten Teile<br />

da<strong>von</strong>, die <strong>von</strong> den neuen Besitzern wiederum verschenkt<br />

wurden. Viele da<strong>von</strong> sind spurlos verschwunden.<br />

In Mainz fühlten sich zu solcher Sammeltätigkeit u.a. berufen<br />

die Gelehrten und Bibliothekare:<br />

Gotthelf Fischer v. Waldheim (1771 – 1853)<br />

Franz Josef Bodmann (1754 – 1820).<br />

Die säkularisierten Buchbestände der Klöster boten ein reiches<br />

Betätigungsfeld für ihre Erkundungsreisen, die mitunter in<br />

Raubzüge ausarteten, besonders dann, wenn ihnen die<br />

klösterlichen Hinterlassenschaften ex Officio anvertraut waren.<br />

Einer der Fundorte waren die Einbände <strong>von</strong> Inkunabeln, frühen<br />

Drucken und mittelalterlichen Handschriften.<br />

Von drei solchen Fällen, auf die der Bearbeiter im Laufe seiner<br />

Erfassung der Mainzer Inkunabeln stieß, soll hier berichtet<br />

werden. Sie gehen alle auf das Konto der bereits genannten<br />

Fischer und Bodmann. Es sind Fragmente aus mittelalterlichen<br />

Handschriften und frühen Drucken, die die Täter <strong>von</strong> den<br />

Einbanddeckeln abgelöst haben. Die originalen Stücke sind ohne<br />

Ausnahme aus Mainz verschwunden, aber sie haben in den<br />

Trägerbänden als Abklatsche ihre Spuren hinterlassen.<br />

9


Zur Entschuldigung der Täter sei gesagt, daß ihnen wohl ein<br />

Unrechtsbewusstsein fehlte. Unser Verständnis stößt allerdings<br />

an Grenzen, wenn, wie geschehen, einer der beiden (Fischer)<br />

seine Beutestücke auf eigene Rechnung und unter falschem<br />

Namen verkaufte.<br />

Aber auch einige Zeitgenossen empfanden Fischers Verhalten<br />

als verwerflich. Er rühmte sich, 2000 Bände aus dem Pariser<br />

Literaturdepot ausgewählt und die Rückführung nach Mainz<br />

organisiert zu haben. Er dokumentierte dies mit einem<br />

gedruckten und eingeklebten Schildchen mit der Aufschrift:<br />

„Tiré du Dépot litteraire des école secondaire par G. Fischer.<br />

Professeur et Bibliothecaire“. Auf einem dieser Schildchen (in<br />

stb ink 133) fand sich der handschriftliche Zusatz: „unter dessen<br />

Klauen es (das Buch) stark gelitten hat“. Und tatsächlich wurde<br />

mindestens ein Druck aus diesem Sammelband recht unsanft<br />

herausgetrennt und entfernt. Verbleib unbekannt.<br />

Während Fischer aber niemals für seine Untaten zur Rechenschaft<br />

gezogen wurde, weil er 1804 einem Ruf des Zaren zur<br />

Errichtung eines naturhistorischen Museums in Moskau folgte,<br />

verbunden mit seiner Erhebung in den Adelsstand, wurde<br />

Bodmann 1814 seines Amtes als Bibliothekar enthoben und<br />

mußte für die entwedeten oder beschädigten Bücher soweit<br />

möglich aus seiner Privatbibliothek Ersatz leisten.<br />

A Kaiserchronik<br />

B Nibelungenlied<br />

C Donatgrammatik<br />

In allen drei Fällen waren Abklatsche (Leimabdrücke) auf den<br />

Holzdeckeln der Einbände verräterisch. Sie führten auf die Spur<br />

der Delinquenten.<br />

10


Fall 1<br />

Signatur: stb ink 1763<br />

Fragmente und Abklatsche <strong>von</strong> Blättern aus einer Handschrift<br />

(Mitte 12. Jahrhundert) mit Text aus der deutschen<br />

Kaiserchronik<br />

Die aus der Inkunabel herausgelösten Originalblätter wurden<br />

<strong>von</strong> Franz Josef Bodmann veruntreut und 1865 <strong>von</strong> der UB<br />

Freiburg aus dessen Nachlass angekauft. Sie wurden uns <strong>von</strong> der<br />

Freiburger Universitätsbibliothek freundlicher Weise für diese<br />

Ausstellung zur Verfügung gestellt.<br />

Die Inkunabel selbst (der Trägerband) wurde Ende des 15.<br />

Jahrhundert in Mainz gebunden und gehörte zur Bibliothek der<br />

Mainzer Kartause.<br />

Weitere Abklatsche aus diesem Codex sind in den Deckeln der<br />

Mainzer Handschrift I 127 enthalten. Die Originalblätter sind<br />

ebenfalls verschollen.<br />

Die Handschrift I 127, der Trägerband der verloren gegangenen<br />

Blätter, wurde Ende des 15. Jahrhunderts in Mainz geschrieben<br />

und in der berühmten Mainzer Werkstatt „M mit Krone“<br />

eingebunden.<br />

Beides zusammengenommen beweist, daß die ältere Handschrift<br />

des 12. Jahrhunderts mit dem Text der deutschen Kaiserchronik<br />

zum Zeitpunkt, als sie makuliert wurde, in Mainz für den<br />

Buchbinder greifbar war.<br />

Auch Fischer v. Waldheim besaß Blätter aus diesem zerschnittenen<br />

und makulierten Codex. Er verlieh sie an den<br />

Germanisten <strong>von</strong> der Hagen (1780-1856), der sie wiederum an<br />

den Dichter des Deutschlandliedes, Hoffmann <strong>von</strong> Fallersleben<br />

(1798-1874) weitergab. Von da an verliert sich jede Spur.<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes:<br />

Humbertus de Romanis, Expositio regulae S. Augustini.<br />

deutsch. [Ulm : Konrad Dinckmut, um 1488]<br />

(BSB-Ink H-0440)<br />

11


Bild 1: Abklatsch aus der deutschen Kaiserchronik, ungespiegelt<br />

Bild 2: Abklatsch aus der deutschen Kaiserchronik, gespiegelt<br />

12


Fall 2<br />

Signatur: stb ink 1634<br />

Abklatsche aus der Handschrift L des Nibelungenliedes<br />

37 mittelalterliche Handschriften, beginnend mit dem frühen<br />

13. Jahrhundert, überliefern uns das Nibelungenlied. Eine da<strong>von</strong><br />

erhielt den Namen „L“, <strong>von</strong> der wir hier traurige Trümmer<br />

zeigen.<br />

L entstand um 1350 im Rheinfränkischen. Sie wurde Ende des<br />

15. Jahrhunderts hier in Mainz zerschnitten und blattweise <strong>von</strong><br />

einem Buchbinder zum Binden <strong>von</strong> neuen Büchern verarbeitet.<br />

Die Geschichte der Wiederentdeckung <strong>von</strong> einzelnen Blättern<br />

oder auch gar nur Teilen da<strong>von</strong> begann 1816. Sie ist bis auf den<br />

heutigen Tag spannend und abenteuerlich und vermutlich noch<br />

nicht abgeschlossen.<br />

Die bis jetzt bekannten Überreste <strong>von</strong> L:<br />

a) Berlin, Staatsbibliothek, jetzt kriegsbedingt Krakau,<br />

Biblioteka Jagiellonska:<br />

1816 <strong>von</strong> Joseph Görres in Heidelberg gefunden, zwischenzeitlich<br />

in den Händen <strong>von</strong> Wilhelm Grimm, August Wilhelm<br />

Schlegel, Karl Lachmann, seit 1850 königliche Bibliothek<br />

Berlin.<br />

b) Mainz, Martinus-Bibliothek (ehemals Priesterseminar),<br />

Funde um 1910 <strong>von</strong> dem schwedischen Bibliothekar Isaak<br />

Collijn.<br />

c) Mainz, Martinus-Bibliothek, schmale Streifen, gefunden 1988<br />

<strong>von</strong> K. H. <strong>Staub</strong>. Die <strong>von</strong> Collin und <strong>Staub</strong> entdeckten Bruchstücke<br />

enstammen demselben Trägerband.<br />

d) Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum, Juni 2003 die hier gezeigten<br />

Abklatsche, ebenfalls gefunden <strong>von</strong> K. H. <strong>Staub</strong>.<br />

Die Blätter selbst wurden vermutlich <strong>von</strong> Fischer oder Bodmann<br />

herausgelöst, sie sind verschwunden.<br />

13


Kurztitelaufnahme <strong>von</strong> « b »/ »c »<br />

Mainz, Martinus-Bibliothek, Inc 712 :<br />

Bernardinus Senensis: Quadragesimale de christiana religione.<br />

[Basel : Johann Amerbach, nicht nach 1489] 2 0<br />

GW 3882. HC 2834. BSB-Ink B-298 .<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes <strong>von</strong> „d“ (insgesamt drei Drucke):<br />

Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum, stb ink 1634 :<br />

Johannes, Johannis, Concordantiae bibliae et canonum. Köln :<br />

Joh. Koelhoff d. Ä. , 1482 (BSB-Ink I-0603), ferner ein<br />

weiterer Druck <strong>von</strong> Koelhoff und ein Straßburger <strong>von</strong> Joh.<br />

Herolt, um 1478.<br />

Die Trägerbände in der Martinus-Bibliothek und im<br />

<strong>Gutenberg</strong>-Museum stammen aus dem Mainzer Kloster St.<br />

Jakob.<br />

Die beiden Einbände sind das Werk eines anonymen Meisters,<br />

der in Mainz oder der näheren Umgebung tätig war. Ihm wurde<br />

der Notname „Nibelungenbinder“ gegeben. Alle Bände sind mit<br />

nur zwei Stempeln verziert: Einem Schriftband „S mari“ und<br />

einer Lilie in der Raute.<br />

Bild 3:Schwenke/Schunke Schrift 192a<br />

Inzwischen sind weitere 12 Bände aus dieser Werkstatt bekannt<br />

geworden. In keinem fanden sich neue Fragmente aus L.<br />

14


Verzeichnis der 12 weiteren Bände:<br />

1. Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum: stb ink 245 (BSB-Ink H-31).<br />

Siehe K.H. <strong>Staub</strong> in: Nibelungen Schnipsel. Hrsg. <strong>von</strong> Helmut<br />

Hinkel, Mainz 2004, S. 51.<br />

2. Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum: stb ink 1507 (BSB-Ink G-<br />

182[3]; BSB-Ink C-728)<br />

3. Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum: stb ink 1910 (BSB-Ink G-<br />

182[2]; BSB-Ink I-363<br />

4. Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum: stb ink 2334 (BSB-Ink H-401;<br />

BSB-Ink C-113)<br />

5. Bamberg, Staatsbibliothek: D I 2 (BSB-Ink K-30)<br />

6. Frankfurt am Main, UB: Inc. qu. 1280 = Ohly-Sack Nr. 1204<br />

(pars 4) (BSB-Ink G-182)<br />

7. Frankfurt am Main, UB: Inc. qu. 1747 = Ohly-Sack Nr. 1747<br />

(BSB-Ink K-30)<br />

8. Leipzig, Deutsches Buch- und Schriftmuseum: Alte Klemm<br />

Signatur: II: 896, jetzt: II, 1, 5a (BSB-Ink K-30)<br />

9. München, BSB: 2 0 Inc.s.a. 239 a (BSB-Ink-30)<br />

10. Stuttgart, WLB: Inc. fol. 3727 (BSB-Ink-30)<br />

11. Würzburg, UB: Inc. Fol.I.t.f. 961 = Hubay 1009, 25,<br />

Werkstatt : Lore Sprandel-Krafft S. 298 (Egg. I.t.f. 961)<br />

12. Giessen, UB: Das Exemplar, das durch Schwenke/Schunke<br />

(Schrift 192a) bekannt wurde (Inc V 136), ist im Bestand nicht<br />

nachweisbar.<br />

15


Literatur:<br />

Joachim Heinzle u. <strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Neue Bruchstücke der<br />

Handschrift L. des „Nibelungenliedes“. In: Zeitschrift für deutsches<br />

Altertum und deutsche Literatur 132, Heft 4 (2003), S. 443-452.<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Bruchstücke der Nibelungenhandschrift L. Auf der<br />

Suche nach weiteren Fragmenten. In: Einband-Forschung. 13, 2003,<br />

S. 49 –52.<br />

Nibelungen Schnipsel. Neues vom alten Epos zwischen Mainz und<br />

Worms, hrsg. <strong>von</strong> Helmut Hinkel. Mainz: <strong>von</strong> Zabern, 2004,<br />

(Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz, Sonderband).<br />

Mit Arbeiten <strong>von</strong> Joachim Heinzle, Helmut Hinkel, Klaus Klein,<br />

Annette Lang-Edwards und <strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>.<br />

16


Bild 4: Abklatsch des Fragmentes aus der Handschrift L des Nibelungenliedes,<br />

gespiegelt<br />

17


Bild 5: Abklatsch des Fragmentes aus der Handschrift L des Nibelungenliedes,<br />

ungespiegelt<br />

18


Fall 3<br />

Signaturen: stb ink 1784 u. 2322 (zweibändiges Werk unter zwei<br />

verschiedenen Signaturen). Für beide Bände: w000134 (s011123,<br />

s011113, s011122) und w000910 (s001852)<br />

Abklatsche aus einem Donat, gedruckt in der Type der 42<br />

zeiligen Bibel <strong>Gutenberg</strong>s.<br />

Zu den begehrten Objekten der damaligen Trophäenjäger<br />

gehörten Denkmäler der frühen Druckkunst <strong>von</strong> <strong>Gutenberg</strong> und<br />

seiner Zeit. Es war naheliegend, im Mainzer Buchbestand zu<br />

suchen, und die Suche der Sammler wurde belohnt.<br />

Zu den ältesten Druckerzeugnissen zählt die Grammatik des<br />

Donat, gesetzt und gedruckt in den Typen <strong>Gutenberg</strong>s. Die<br />

Donate waren Schulbücher für den Lateinunterricht, die viel<br />

benutzt wurden und in der Hand <strong>von</strong> Schülern damals wie heute<br />

leicht verschlissen. „Sie erreichten niemals den rettenden Hafen<br />

einer Bibliothek. Ihre Karriere endete bestenfalls bei einem<br />

Buchbinder“ (Severin Corsten). Reste da<strong>von</strong> fand man und<br />

findet sie immer noch in Bucheinbänden der damaligen Zeit.<br />

Teile der Originalblätter der hier gezeigten Abklatsche liegen in<br />

einer Bibliothek in St. Petersburg. Sie wurden <strong>von</strong> Fischer v.<br />

Waldheim entwendet und einem russischen Grafen „geschenkt“.<br />

Andere Teile sind verschwunden. Die Chance, sie wiederzufinden,<br />

ist sehr gering.<br />

Kurztitelaufnahme der Trägerbände:<br />

S. Bonaventura, Opuscula, 2 Bände. Straßburg: [Georg Husner]<br />

1495 (GW 4648). Provenienz: Mainzer Jesuiten.<br />

Literatur:<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong> u. Alexandra Wiebelt, Neue Funde eines<br />

26zeiligen Donats in der B 42 Type. Leimabklatsche in Mainzer<br />

Inkunabeleinbänden. In: <strong>Gutenberg</strong>-Jahrbuch 2005, S. 106-112.<br />

19


Bild 6: Donatabklatsche in stb ink 1784, ungespiegelt<br />

Bild 7: Donatabklatsche in stb ink 1784, gespiegelt<br />

20


Fall 4<br />

Signatur: stb ink 379<br />

Reste (Fragmente) eines Druckes in einem Einband ermöglichen<br />

die Datierung eines unfirmierten (undatierten) Druckes<br />

Der Einband umschließt einen unfirmierten Ulmer Druck <strong>von</strong><br />

Konrad Dinckmut: (Humbertus de Romanis, Auslegung der<br />

Regel des hl. Augustinus.) In der Druckforschung wird<br />

angenommen, daß das Buch um 1487/88 in der Ulmer Offizin<br />

gedruckt wurde (BSB-Ink H-0440)<br />

Die Innendeckel des Einbandes sind mit Druckmakultur<br />

beklebt. Es sind Blätter aus einem datierten Druck der<br />

dinckmutschen Offizin, Blätter aus dem „deutschen Gart der<br />

Gesundheit“ mit Druckangabe 1487 (Hain 8952).<br />

„Ausschussblätter“ dieser datierten Ausgabe könnten 1487/88<br />

zur Verfügung gestanden haben. Ihre Verwendung für einen<br />

Einband mit einem undatierten Druck erlaubt Rückschlüsse auf<br />

die Entstehungszeit des Druckes ohne Druckdatum. In unserem<br />

Falle würde das bedeuten, daß der Druck des Humbertus de<br />

Romanis durchaus in dem folgenden Jahr 1488 oder um 1488<br />

erfolgt sein könnte.<br />

Dinckmut betrieb nicht nur eine eigene Druckerei sondern er<br />

band auch Teile seiner Produktion selber oder ließ sie in<br />

Werkstätten der Stadt einbinden. Was in Ulm selber nicht<br />

gebunden wurde, verkaufte er in losen Bögen.<br />

Es wäre naheliegend zu vermuten, daß wir in unserem Falle<br />

einen sogenannten Verlegereinband vor uns hätten, doch deuten<br />

die Rollen, mit denen die Einbanddecken verziert wurden, eher<br />

auf einen Nürnberger Einband (Augustiner?) (EBDB r000171;<br />

w000090). Der Titelaufdruck auf dem Vorderdeckel erinnert an<br />

die Koberger Einbandwerkstatt Kyriß 83. Wir haben hier den<br />

Fall, daß Druckmakulatur nicht am Ort des Druckes (Ulm) für<br />

einen Einband verwendet wurde, sondern in einem entfernteren<br />

Ort (Nürnberg). Provenienz unbekannt.<br />

21


Bild 8: Blatt aus dem Gart der Gesundheit, datiert<br />

22


Bild 9: Blatt 1 des undatierten Druckes<br />

23


Bild 10: Nürnberger Einband<br />

24


Fall 5<br />

Signatur: stb ink 229<br />

Zwei Blätter einer römischen Rechtshandschrift (Corpus Iuris<br />

civilis) als Spiegel im Vorder- und Hinterdeckel einer Inkunabel.<br />

Hier: Institutiones, Teile <strong>von</strong> Liber 1, Tit. 15,16 und 20.<br />

Die Ende des 15. Jahrhunderts zerschnittene Handschrift<br />

entstand um 1300. Der Gesetzestext, geschrieben in einer nicht<br />

sehr sorgfältigen Textualis, nimmt zweispaltig die Mitte des<br />

Blattes ein. Der Standardkommentar (die sogenannte Glossa<br />

ordinaria) umschließt den Gesetzestext klammerartig. Die<br />

Schrift, ebenfalls nicht sehr sorgfältig, ist eine Notula. Vereinzelt<br />

Glossen, die später hinzugefügt wurden.<br />

Zum Einband: EBDB w002176 (s014267)/Köln, Kartäuser<br />

Kloster, s.a. Kyriss 16, Nr. 2 und Schwenke/Schunke, Schwan<br />

Nr. 7 und w000134 (s011113).<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes:<br />

Guilelmus Alvernus, De sacramentis.<br />

[Nürnberg, Georg Stuchs, nicht nach 1497]<br />

(BSB-Ink G-0472).<br />

25


Bild 11: Das Fragment im Vorderdeckel<br />

26


Fall 6<br />

Signatur: stb ink 2210<br />

Ein venezianischer Druck, in Mainz zu Hause.<br />

Mit Mainzer Buchmalerei und Blättern aus einer Mainzer<br />

Handschrift um 1000.<br />

Die Inkunabel, 1479 in Venedig gedruckt, ist schon bald danach<br />

in Mainz nachweisbar und dort geblieben. Da<strong>von</strong> zeugen die<br />

Spuren, die der Band uns hinterlassen hat. Der Buchschmuck,<br />

insbesondere die hier gezeigte Initiale mit Verwendung <strong>von</strong><br />

Gold, ist ein Beispiel für die hohe Qualität Mainzer Buchmalerei<br />

im 15. Jahrhundert.<br />

Die Fragmente, die uns als Spiegel in dem Mainzer Einband<br />

erhalten sind, wurden nach dem Urteil <strong>von</strong> Hartmut Hoffmann<br />

“in Mainzer Schrift ca. 1000 geschrieben. Dafür sehr typisch die<br />

Hand, die im Vorderdeckel Sp. 2 Z. 5 Bene – Z. 11 geschrieben hat.<br />

Die andere Hand, die auf dem vorderen Spiegel zu sehen ist, könnte<br />

identisch sein mit der des Fragments in Koblenz, Landeshauptarchiv,<br />

Best. 701 Nr. 759,50 (siehe Hoffmann, Buchkunst und Königtum S.<br />

241). Es ist sogar möglich, daß das Mainzer Inkunabelfragment und<br />

das Koblenzer Fragment aus demselben Codex stammen; Zeilen- und<br />

Spaltenzahl und anscheinend auch die Größe stimmen überein. Die<br />

Blattzahl im Mainzer Rückendeckel ist vermutlich <strong>von</strong> derselben<br />

spätmittelalterlichen Hand geschrieben worden wie die Blattzahl des<br />

Koblenzer Fragments“ (Freundliche Mitteilung <strong>von</strong> Hartmut<br />

Hoffmann, Göttingen, vom 7.11.05).<br />

Der Codex enthielt Texte aus Werken <strong>von</strong> Ps. Leo dem Großen<br />

(gest. 461) und Beda Venerabilis (gest. 735). Der Text im<br />

Vorderspiegel: Ps. Leo Magnus, Migne PL 54,477 Asqq., im<br />

Hinterspiegel: Beda , Hom. Ev. 2, 18. I. 70-103 (Corp. Christ.<br />

122).<br />

Der Band gehörte zunächst dem Dominikanerkloster in Mainz<br />

(s. den Besitzeintrag auf dem <strong>Unter</strong>rand („Iste liber est<br />

conventus Moguntinensis ordinis Praedicatorum“) mit der<br />

Bibliothekssignatur E 14.<br />

27


Weitere Besitzeinträge: Mainz, Minoriten/Franziskaner und ein<br />

Personenname: Johannes Scheubel.<br />

Scheubel war Besitzer 5 weiterer Inkunabeln bzw. Postinkunabeln:<br />

stb ink 1023, stb ink 995, stb ink 1226, stb ink<br />

2145, stb ink 2379. Er bezeichnet sich Vicarius Maguntinus<br />

(Vikar) mit Nennung der Jahreszahlen: 1604 und 1621.<br />

Kurztitelaufnahme:<br />

Antoninus Florentinus, Summa theologica. Venedig: Nicolaus<br />

Jenson 1479 (Pars 2) (BSB-Ink A-0595, GW 2185).<br />

28


Bild 12: Mainzer Scriptorium um 1000<br />

29


Bild 13: Mainzer Scriptorium um 1000<br />

30


Bild 14: Mainzer Buchmalerei, nicht vor 1479<br />

31


Fall 7<br />

Zwei Gruppen <strong>von</strong> Inkunabeln, gedruckt in Venedig 1479/80<br />

<strong>von</strong> Nicolaus Jenson, mit unterschiedlichen Mainzer<br />

Schicksalen, alles Teile <strong>von</strong> GW 2185 (Antoninus Florentinus,<br />

Summa theologica)<br />

Erste Gruppe aus Fall 7<br />

Signatur: stb Ink 2159, 2212 und Darmstadt Inc IV 421 Bd 3.<br />

Der Darmstädter Band gehört zu insgesamt etwa 120<br />

Inkunabeln und 10 Handschriften, die Fischer <strong>von</strong> Waldheim<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts in Mainz veruntreute und an den<br />

Landgrafen <strong>von</strong> Hessen-Darmstadt unter falschem Namen verkaufte.<br />

Die drei Bände haben Mainzer Initialschmuck und wurden in<br />

der bekannten Mainzer Einbandwerkstatt mit dem Notnamen<br />

„M mit Krone“ (Kyriß 160) gebunden und gehörten zuletzt dem<br />

Mainzer Kapuzinerkloster.<br />

Alle drei Bände tragen einen Besitzeintrag <strong>von</strong> Johannes<br />

Ugelnheymer und einem Philips Kennicken (1619).<br />

Johannes Ugelnheymer ist kein Unbekannter: Er studierte in<br />

Leipzig (1460) und in Mainz (1477, 1479), war dann in Frankfurt<br />

zunächst Vikar und seit 1481 Kanoniker des Bartolomaeusstifts.<br />

Er starb 1502. Von Johannes Ugelnheymer sind bis jetzt<br />

neun weitere Bände mit Drucken und einer <strong>Hans</strong>chrift bekannt<br />

geworden:<br />

32


A. Einer in Darmstadt:<br />

Inc III ((BSB-Ink V-57 (?) und BSB-Ink M-341)).<br />

B. Vier im <strong>Gutenberg</strong> – Museum Mainz:<br />

stb ink 355 (BSB-Ink R-170);<br />

stb ink 1063 (BSB-Ink A-701);<br />

stb ink 1767(BSB-Ink A-798).<br />

C. Einer in Giessen UB:<br />

Ink V 10105 (BSB-Ink C 497) siehe Schüling Nr. 306<br />

D. Vier in Frankfurt/Main UB:<br />

Inc oct 62 (HC 8410 und BSB-Ink G-140), siehe Ohly-Sack<br />

Nr. 2645/1215;<br />

Inc fol 319 (BSB-Ink G-314) siehe Ohly-Sack Nr. 1288;<br />

Inc qu 635 (BSB-Ink P-451) siehe Ohly-Sack Nr. 2359;<br />

Inc qu 1219 (BSB-Ink T-266), siehe Ohly-Sack Nr. 2725; mit<br />

biographischer Notiz S. 721.<br />

Ferner eine Handschrift in Frankfurt/Main: Ms.Barth. 138<br />

(Theologica, 15. Jh. Mitte) s. Powitz-Buck: Handschriftenkatalog<br />

UB Frankfurt/M 2, S. 315-318.<br />

und eine Handschrift in Mainz, Stadtbibliothek: Hs I 45<br />

(0rigenes / Hieronymus, 15. Jh. Ende)<br />

s. List-Powitz: Handschriftenkatalog StB Mainz 1, S. 92f.<br />

Johannes Ugelnheymer war der Bruder des weitaus bekannteren<br />

Peter Ugelnheymer. Peter Ugelnheymer, gest. 1487 (1489?) in<br />

Mailand, war seit 1473 mit Nicolas Jenson geschäftlich verbunden<br />

und war Gesellschafter und Geschäftsführer der 1480 in<br />

Venedig gegründeten Verlags- und Buchhandelsgesellschaft.<br />

(Wertvolle Hinweise verdanke ich Lotte Hellinga und Gerh.<br />

Powitz.)<br />

33


Bild 15: Besitzeintrag <strong>von</strong> Johannes Ugelnheymer, stb ink 2212<br />

34


Bild 16: Mainzer Buchmalerei, nicht vor 1479, stb ink 2159<br />

Zweite Gruppe<br />

Signatur: stb ink 1908, 2617 und 2616<br />

Die drei Bände sind in einer unbekannten Mainzer Werkstatt<br />

gebunden, haben aber einen einheitlichen Mainzer<br />

Buchschmuck. Der dritte Band (stb ink 2617) ist noch zusätzlich<br />

mit einer Goldinitiale ausgestattet. Sie gehörten zuletzt dem<br />

Mainzer Karmeliterkloster.<br />

Die Fragmente in den Deckeln (Spiegel) stammen aus ein und<br />

derselben Handschrift, alle drei Bände waren angekettet (libri<br />

olim catenati).<br />

35


Bild 17: Goldinitiale R, Mainzer Buchmalerei, nicht vor 1479,<br />

stb ink 2617<br />

36


Fall 8<br />

Signatur: stb ink 560 und 1745<br />

Mainzer Buchmalerei, die Werkstatt “Monstrous Clowns”<br />

Mit dem Beginn <strong>von</strong> Buchdruck und Buchhandel gab es für<br />

Buchmaler und Buchillustratoren ein neues Betätigungsfeld.<br />

Auch in Mainz wurden die in den Drucken dafür vorgesehenen<br />

Stellen mit farbigen Initialen oder Miniaturen gefüllt.<br />

Einer dieser durchweg unbekannten Mainzer Maler hat den<br />

Namen „Monstrous Clowns“ erhalten. Charakteristisch sind die<br />

karnevalesken Figuren, die in die Initialen hineingemalt wurden.<br />

Der Name stammt <strong>von</strong> der Frühdruckforscherin Lotte Hellinga.<br />

Die hier gezeigten Beispiele kannte die Forscherin nicht, weil sie<br />

erst durch die augenblicklichen Erschließungsarbeiten verfügbar<br />

geworden sind.<br />

Zu stb ink 560: Auf den <strong>Unter</strong>rand <strong>von</strong> Blatt a2 ist ein<br />

bürgerliches Wappen eingemalt (noch nicht identifiziert). Sein<br />

letzter Aufenthaltsort war bis zur Säkularisation das Mainzer<br />

Kapuzinerkloster.<br />

Gebunden wurde die Inkunabel in der Mainzer Werkstatt mit<br />

dem Notnamen „M mit Krone“ (Kyriß 160).<br />

Die Werkstatt ist in der Fachliteratur seit Jahrzehnten bekannt;<br />

vor allem durch Arbeiten <strong>von</strong> Vera Sack und Lotte Hellinga; im<br />

Mainzer Inkunabelbestand gibt es eine bemerkenswerte Anzahl<br />

<strong>von</strong> Einbänden, die in dieser Werkstatt gebunden wurden, die<br />

aber größtenteils, weil noch unerschlossen, <strong>von</strong> der Forschung<br />

nicht wahrgenommen wurden.<br />

Kurztitelaufnahme des Bandes:<br />

Jodocus, Vocabular. Speyer: Peter Drach d.Ä.1478 (BSB-Ink<br />

I-0260)<br />

37


Zu stb ink 1745: Die Inkunabel stammt aus dem Karmeliterkloster<br />

Mainz.<br />

Zwischenbesitzer war u.a. der Jurist Dionysius Campius JVD, um<br />

1600. Campius nennt sich in insgesamt 18 Bänden. Zur Person:<br />

Universität Bologna 1606, Disputation pro licentia 1606 in<br />

Mainz, s. Filippo Ranieri u. Karl Härter, Biographisches<br />

Repertorium der Juristen im alten dt. Reich, Frankfurt/Main<br />

1997 (Ius-commune-CD-ROM , 1)<br />

Zum Einband: EBDB: w002881 (Werkstatt Ornament frei<br />

eiförmig / Süddeutschland), (s022821, s022825, s022826,<br />

s022831, s022836)<br />

Kurztitelaufnahme des Bandes:<br />

Homiliarius doctorum de tempore et de sanctis. [Köln] Konrad<br />

Winters [um 1478] (BSB-Ink H-0323)<br />

Weitere Nachweise <strong>von</strong> Monstrous Clowns, die mittlerweile<br />

bekannt wurden:<br />

Mainz, <strong>Gutenberg</strong>-Museum: stb ink 1894 auf Blatt a2 recto a.<br />

Vorbesitzer der Inkunabel, ehemals ein Kettenband (liber olim<br />

catenatus), waren die Mainzer Minoriten.<br />

Makulatur: In den Innendeckeln zwei Blätter aus einer Bibelhandschrift<br />

des 13. Jahrhunderts (Anfang) mit Interlinear- und<br />

Marginalglossen auf allen vier Rändern. Sie überliefern vorn den<br />

Text <strong>von</strong> Hiob 34, 20 Nocte bis Hiob 34, 37 inter nos in-, hinten<br />

<strong>von</strong> Hiob 39, 2 tempus partus earum bis Hiob 39, 22 super.<br />

Die beiden Blätter erinnern an Fragmente in der Frankfurter<br />

Universitätsbibliothek: Fragm. lat X 28, die aus dem Einband<br />

einer Inkunabel stammen, die zuvor nach einem Besitzeintrag<br />

aus dem 18. Jh. den Mainzer Dominikanern gehörte. (Den<br />

Hinweis verdanke ich Gerh. Powitz, s. seinen Katalog „mittelalterl.<br />

Fragmente in der Stadt- und Universitätsbibliothek<br />

Frankfurt“, 1994 S. 144 und Ohly-Sack Nr. 128.<br />

Kurztitelaufnahme des Mainzer Druckes:<br />

Capreolus, Johannes. Defensiones theologiae Thomae de<br />

Aquino in 4 libr. Sent. Nur pars 4. Venedig; Octavianus Scotus<br />

1483 – 1484 (BSB-Ink C-0101).<br />

38


Mainz, Stadtbibliothek: Hs III 25 in einer N-Initiale am<br />

Anfang, Provinzialstatuten der Diözese Mainz, Pergament, 15.<br />

Jh. Zur Geschichte der Handschrift: Vorbesitzer: Ursprünglich<br />

der Wormser Bisch. Johann v. Dalberg, dann: „Ex Bibl. Roemer<br />

JUD, Georg Kloß Frankfurt“, Sammlung Thomas Phillips, <strong>von</strong><br />

Gustav Binz am 7. III. 1916 <strong>von</strong> Ludwig Rosenthal in München<br />

für die Stadt Mainz gekauft.<br />

Lit: Peter Walter. In: Der Wormser Bischof Johann v. Dalberg<br />

(1482-1503) und seine Zeit, hrsg. <strong>von</strong> Gerold Bönnen und<br />

Burkard Keilmann. Mainz 2005, S. 136. mit Abb.<br />

Bild 18a: Bildvorlage: Der Wormser Bischof Johann v. Dalberg (1482-1503)<br />

und seine Zeit, hrsg. <strong>von</strong> Gerold Bönnen und Burkard Keilmann. Mainz 2005<br />

39


Bild 18b: Aus dem Privatbesitz <strong>von</strong> Dr. D. Mauss, Wiesbaden. Vorbesitzer:<br />

Solms-Laubach. Siehe Antiquariat Wölfle, München, Katalog 75, Nr. 151.<br />

Literatur:<br />

Lotte Hellinga, Illustration of fifteenth-century books. In: Bulletin du<br />

bibliophilie 1991, S. 58 mit Nennung der benutzten Inkunabeln und<br />

S. 59 mit Abb.<br />

40


Bild 19: Abbildung aus stb ink 560


Bild 20: Abbildung aus stb ink 1745<br />

42


Bild 21: Fragment in der Saliceto-Type<br />

Fall 9<br />

Signatur: stb ink 1231<br />

43<br />

Reste eines frühen niederländischen<br />

Druckes<br />

Der entscheidende und wichtigste<br />

Gewinn bei der Erfassung dieser<br />

Inkunabel war die Entdeckung<br />

weniger Pergamentschnipsel in der<br />

Lagenmitte. Es sind Bruchstücke aus<br />

einem frühen niederländischen Druck<br />

der Donatgrammatik in der sogenannten<br />

Saliceto-Type (Notname).<br />

Das Verbreitungsgebiet früher niederländischer<br />

Drucke war u.a. der Kölner<br />

Raum.<br />

Wo dieser Band gebunden wurde,<br />

läßt sich entgegen einer ersten Annahme<br />

„Köln“ nicht erweisen.<br />

Recherchen mit Hilfe der Einbanddatenbank<br />

ergab die sehr unspezifische<br />

Bezeichnung „Süddeutschland“:<br />

Ananas II, w003014“. Nachgewiesene<br />

Stempel: s024282, s024283, s024281,<br />

s024285, s024284, s024286.<br />

Der unscheinbare Fund ist ein weiteres<br />

Mosaiksteinchen in der Geschichte der<br />

niederländischen Prototypographie,<br />

die noch mancherlei Probleme offen<br />

läßt.<br />

Ein Vorbesitzer des Bandes: Johannes<br />

Rhall. Der Band kommt aus der<br />

Mainzer Kartause.<br />

Zwischenbesitzer war ein gewisser Johannes Rhall. Das bezeugt<br />

ein eigenhändiger Vermerk. Nach diesem wurde er in Aach im<br />

Landkreis Konstanz geboren und war Vikar am Konstanzer<br />

Münster. Der Eintrag erfolgte am 16. Mai 1571.


Ein zweites Mal erfahren wir Daten aus seinem Leben, ebenfalls<br />

eigenhändig, aus einer Darmstädter Inkunabel (Inc IV 345 d),<br />

die die Mainzer Eintragungen bestätigen und erweitern. So<br />

erhalten wir über diese Vermerke und Notizen ein Gerüst <strong>von</strong><br />

Lebensdaten eines bis jetzt unbekannten Mannes.<br />

Kurztitelaufnahme:<br />

Augustinus, Opuscula. Venedig: Octavianus Scotus 1483<br />

(BSB-Ink A-0895, GW 2863).<br />

Bild 22: Besitzeintrag des Johannes Rhall<br />

44


Bild 23: Einband Süddeutschland ? , stb ink 1231<br />

45


Fall 10<br />

Signatur: stb ink 2622<br />

Fragment einer mittelalterlichen Versdichtung: Marbod <strong>von</strong><br />

Rennes<br />

Auf einem schmalen Pergamentstreifen (13./14. Jhd.) zwischen<br />

Buchblock und Deckelkante werden Verse des Dichters und<br />

Schriftstellers Marbod <strong>von</strong> Rennes (um 1035 – 1123) aus seiner<br />

Versdichtung „De ornamentis verborum“ überliefert. Es ist ein<br />

Lehrgedicht für den Grammatikunterricht und es gehörte zu<br />

dem didaktischen Repertoire mittelalterlicher Schulen.<br />

Ob die Handschrift, aus der dieser Streifen stammt, das ganze<br />

Werk enthielt, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden.<br />

Die Identifizierung solcher Fetzen aus einem größeren Werk<br />

wird im Gegensatz zu früher, als das oft sehr schwierig war,<br />

heute mit Hilfe <strong>von</strong> Datenbänken und Internet wesentlich<br />

erleichtert.<br />

Der Einband der 1490 in Straßburg gedruckten Inkunabel<br />

deutet auf eine Erfurter Werkstatt: EBDB w000124 (Erfurt,<br />

Johannes-Johannes I, s010144, s010125, s010129, s010133,<br />

s010138, s010136, s010132, s010134, s010135, s010131,<br />

s010130)<br />

Provenienz: Mainz, Jesuiten, Geschenk des Mainzer Erzbischofs<br />

Daniel Brendel <strong>von</strong> Homburg, geb. 1522, gest. 1582, Erzb. 1555<br />

bis 1582. Exlibris im Vorderdeckel (siehe Bild Nr. 25).<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes:<br />

Thomas de Argentina, Scripta super quattuor libros<br />

sententiarum. Straßburg: Martin Flach 1490 (BSB-Ink T-<br />

0332).<br />

Bild 24: Marbod <strong>von</strong> Rennes, Fragment aus „De ornamentis verborum“<br />

46


Bild 25: Vorbesitzer 1) der Mainzer Erzbischof Daniel Brendel <strong>von</strong><br />

Homburg, 2) Jesuiten<br />

47


Fall 11<br />

Signatur: stb ink 1204a u. stb ink 32<br />

Koberger-Nachdruck der Fust und Schöfferschen 48 zeiligen<br />

Bibel<br />

Zu den berühmtesten Drucken <strong>von</strong> Fust und Schöffer gehört die<br />

48 zeilige Bibel (B 48) <strong>von</strong> 1462.<br />

13 Jahre später, 1475, druckte der geschäftstüchtige Nürnberger<br />

Drucker und Verleger Anton Koberger die Mainzer Ausgabe<br />

seitengetreu nach, offenbar mit viel Erfolg.<br />

Das hier gezeigte Exemplar des Nachdruckes ist mit üppiger<br />

Initialornamentik reich ausgestattet, teilweise unter Verwendung<br />

<strong>von</strong> Gold.<br />

Der Einband, mit Hilfe der Stuttgarter Einbandstempeldatenbank<br />

identifiziert, ist entstanden in der Werkstatt<br />

mit dem Notnamen „Erdbeere frei“. Der Meister der Werkstatt<br />

war vermutlich im süddeutschen Raum tätig. Dann würde auch<br />

der Buchmaler dort zu suchen sein, denn die Ausschmückung<br />

des Druckes erfolgte vor der Bindung. EBDB w003116<br />

(s025271, s025273, s025267, s025265, s025264, s025266,<br />

s025272, s025269, s025268, s025274).<br />

Dazu passt die Provenienz unserer Inkunabel:<br />

Frühester nachweisbarer Vorbesitzer waren die Heidelberger<br />

Jesuiten, dann die Bibliothek des Mainzer Noviziat und<br />

schließlich die alte Mainzer Universitätsbibliothek. Der Bestand<br />

<strong>von</strong> Frühdrucken im Mainzer <strong>Gutenberg</strong>-Museum aus<br />

Jesuitischen Besitz ist außerordentlich hoch. Von Brendel<br />

stammen mindestens 165 Bände.<br />

Kurztitelaufnahme der beiden Exemplar:<br />

Biblia. Nürnberg: Anton Koberger, 1475 (BSB-Ink B-0420,<br />

GW 4218)<br />

Biblia. Mainz: Joh. Fust u. Peter Schöffer, 1462 (BSB-Ink B-<br />

0410, GW 4204).<br />

48


Bild 26: Mainzer Exemplar der 48zeiligen Bibel <strong>von</strong> Fust u. Schöffer<br />

mit Mainzer Buchmalerei<br />

49


Bild 27: Koberger Nachdruck der 48zeiligen Bibel. Buchmalerei:<br />

Süddeutschland<br />

50


Fall 12<br />

Signatur: stb ink 238<br />

Gebunden in Seligenstadt am Main, gewandert nach Mainz.<br />

Die Einbandwerkstatt der Seligenstädter Benediktinerabtei<br />

Die Benediktiner in Seligenstadt am Main haben ihre Bücher in<br />

einer eigenen Hausbuchbinderei selbst gebunden. Nur wenige<br />

dieser Bände haben das Kloster verlassen, einer da<strong>von</strong> ist der hier<br />

gezeigte Band, denn er hat einen späteren Besitzeintrag der<br />

Mainzer Kartause. Warum der Band gewandert ist, das wissen<br />

wir nicht. Ein Kaufvermerk mit dem Datum 1715 (s.u.) in einer<br />

der drei aufgefundenen Inkunabeln läßt vermuten, dass die<br />

Kartause alle vier Bände erst zu diesem späten Zeitpunkt<br />

erworben hat.<br />

Die Bibliothek der Seligenstädter Benediktiner kam im Zuge der<br />

Säkularisation <strong>von</strong> 1803 nach Darmstadt und wurde<br />

verschmolzen mit der damaligen Hofbibliothek (jetzt<br />

Universitäts- und Landesbibliothek).<br />

Sie bot genug Material, um die Seligenstädter Einbandwerkstatt,<br />

die zwischen etwa 1480 und der Mitte des 16. Jahrhunderts<br />

gearbeitet hat, zu erforschen. Vor allem kennt man die insgesamt<br />

34 Blindstempel, mit denen die Mönchsbuchbinder der<br />

Seligenstädter Werkstatt ihre Einbände verziert haben. Die<br />

Ergebnisse wurden 1980 <strong>von</strong> K. H. <strong>Staub</strong> veröffentlicht.<br />

Aufgrund der Forschungsergebnisse kann man neu auftauchende<br />

Bände wie diesen hier gezeigten leicht identifizieren.<br />

In den Spiegeln dieses Seligenstädter Einbandes werden zwei<br />

Blätter eines zerschnittenen Codex überliefert. Das Besondere an<br />

diesen Blättern ist, daß es Palimpseste sind, d.h. die<br />

Erstbeschriftung wurde mit Milch, Bimstein oder dem<br />

Schabmesser getilgt, um einer Zweitbeschriftung Platz zu<br />

machen; dazu ist es aber nicht gekommen.<br />

So viel man mit bloßem Auge erkennen kann, war die<br />

Handschrift zweispaltig angelegt, die Schrift deutet auf 12./13.<br />

Jahrhundert, und auch Reste einer farbigen Initiale sind<br />

zurückgeblieben.<br />

Der Inhalt deutet auf einen Bibeltext.<br />

51


Grund für die Wanderung könnte sein, dass große Teile der<br />

Bestände der Seligenstädter Bibliothek im 30jährigen Krieg<br />

zerstreut wurden.<br />

Kurztitelaufnahme:<br />

Postilla Nicolai de Lyra super Bibliam. Memmingen: Albrecht<br />

Kunne 1492 (BSB-Ink R-0135).<br />

Literatur:<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Die Einbandwerkstatt der Benediktinerabtei<br />

Seligenstadt am Main im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert. In:<br />

Hellinga-Festschrift. Amsterdam 1980, S. 467-480 mit Abb. aller<br />

Stempel.<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Die Hausbuchbinderei der Benediktiner in<br />

Seligenstadt am Main (Zu S-S II, 238/239). In: Einband-<br />

Forschung, Heft 16, 2005, S. 57 – 59 mit Abb. aller Stempel.<br />

Nach Beendigung der Ausstellung wurden im Inkunabelbestand<br />

des <strong>Gutenberg</strong>-Museums drei weitere in Seligenstadt gebundene<br />

Frühdrucke gefunden, Vorbesitzer war die Mainzer Kartause.<br />

A: stb ink 603 (BSB-Ink G-525)<br />

B: stb ink 1178 (BSB-Ink B-1016). In den Spiegeln zwei Blätter<br />

aus einem Lektionar. Aus derselben Handschrift Blätter in der<br />

Darmstädter Inkunabel Inc III 171 sowie die Fragmente Hs<br />

4109 aus Seligenstadt. 9./10. Jhd., Anfang 10. Jhd ? Enstehung:<br />

Südwestdeutschland, Weißenburg? s. Bernh. Bischoff, Katalog<br />

der festländischen Handschriften des 9. Jhds. Wiesbaden 1998,<br />

S.215, Nr. 994 u. Hartmut Hoffmann, Schreibschulen des 10. u.<br />

11. Jahrhunderts im Südwesten des Dt.Reiches, Hannover 2004,<br />

S. 299.<br />

C: stb ink 2279 (BSB-ink A-535) mit Kaufvermerk aus dem<br />

Jahre 1715. Die Inkunabel hat einigen bemerkenswerten<br />

Buchschmuck: Initialen mit Verwendung <strong>von</strong> Gold, wohl in<br />

Seligenstadt selbst gemalt.<br />

52


Bild 28: Blindstempel der Seligenstädter Hausbuchbinderei Nr. 1-13,<br />

verkleinert<br />

53


Bild 29: Blindstempel der Seligenstädter Hausbuchbinderei Nr. 14-26,<br />

verkleinert<br />

54


Bild 30: Blindstempel der Seligenstädter Hausbuchbinderei Nr. 27-34,<br />

verkleinert<br />

55


Bild 31: Palimpsestblatt im Spiegel<br />

56


Fall 13<br />

Zeugen karolingischer Schreibtätigkeit in Mainz<br />

Wie so viele Klöster in karolingischer Zeit, beispielsweise<br />

Lorsch, Fulda, Würzburg (um nur die nächsten zu nennen), so<br />

hatte auch Mainz ein Scriptorium, in dem Texte kopiert wurden,<br />

die in Klöstern, Domschulen oder zur Verrichtung des Gottesdienstes<br />

gebraucht wurden.<br />

Wir kennen Handschriften, die in Mainz hergestellt wurden und<br />

heute über die Bibliotheken Europas und der Welt verstreut<br />

sind. Neue unbekannte Mainzer Handschriften werden kaum<br />

noch auftauchen, wohl aber wurden bis in jüngste Zeit<br />

Fragmente zerstörter Codices aufgefunden.<br />

Drei solcher Funde aus den letzten Jahrzehnten, bzw. Jahren<br />

(das letzte Fragment wurde vor gut einem Jahr entdeckt), werden<br />

hier gezeigt. Die Handschriften, <strong>von</strong> denen die Fragmente als<br />

traurige Trümmer übriggeblieben sind, wurden in der ersten<br />

Hälfte des 9. Jahrhunderts in einem Mainzer Scriptorium geschrieben.<br />

Alle drei Fragmente sind uns als Makulatur in Einbänden der<br />

Frühdruckzeit erhalten geblieben.<br />

A: Das Darmstädter Fragment in der Universitäts- und<br />

Landesbibliothek, Hs 4271<br />

Willibald, Vita S. Bonifatii, Fragment, Mainz um 820:<br />

57


Bild 32: Darmstädter Fragment, obere Hälfte des Doppelblattes<br />

Die Vita ist die älteste und bekannteste Lebensbeschreibung des<br />

heiligen Bonifaz, verfasst um 760 <strong>von</strong> dem Mainzer Kleriker <strong>von</strong><br />

St. Viktor Willibald.<br />

Literatur zum Fragment: <strong>Kurt</strong> <strong>Hans</strong> <strong>Staub</strong>, Ein neu aufgefundenes<br />

Fragment der Bonifatiusvita <strong>von</strong> Willibald in der Hessischen<br />

Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt. In: Von der<br />

Klosterbibliothek zur Landesbibliothek. Beiträge zum<br />

zweihundertjährigen Bestehen der Hessischen Landesbibliothek<br />

Fulda. Stuttgart: Hiersemann 1978. S. 164-171 mit Transkription<br />

u. Abb.<br />

58


B: Das Mainzer Fragment in der Stadtbibliothek, Hs frag 1<br />

Beda Venerabilis, Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum,<br />

Fragment, Mainz, 2. Viertel des 9. Jahrhunderts.<br />

Die Werke des großen angelsächsischen Benediktiners,<br />

Theologen und Kirchenschriftstellers Beda Venerabilis (gest.<br />

735) fanden auf dem europäischen Festland schnell eine große<br />

Resonanz. Der heilige Bonifaz bat in Briefen an seine Freunde<br />

in England um Übersendung <strong>von</strong> Werken Bedas.<br />

59


Bild 33 : Bildvorlage: Philobiblon 42 (1988)<br />

Literatur zum Fragment: Annelen Ottermann, Das Beda-Fragment<br />

Hs frag 1 in der Stadtbibliothek Mainz: Ein Beitrag zum Mainzer<br />

Scriptorium des 9. Jahrhunderts. In: Philobiblon 42 (1998) S. 301 –<br />

307 mit Transkription u. Abb.<br />

60


C: Das Mainzer Fragment in der Martinus-Bibliothek, Inc 334.<br />

Eugippius, Excerpta ex operibus Sancti Augustini, Fragment,<br />

Mainz, 2. Viertel des 9. Jahrhunderts, allenfalls 2. Drittel.<br />

Eugippius, Abt des Severinsklosters bei Neapel, gest. nach 532.<br />

Bekannter als seine Auszüge aus den Werken des heiligen<br />

Augustinus ist seine Lebensbeschreibung des christlichen<br />

Asketen Severin in der römischen Provinz Noricum (östlich des<br />

Inns, heute etwa Österreich). Sie ist eine unschätzbare Quelle für<br />

die Zustände in Noricum in der Zeit der Völkerwanderung und<br />

des untergehenden Römischen Reiches.<br />

Für die Überlieferung seiner Excerpta hält das Mainzer<br />

Fragment seinen Wert, weil es die an sich schmale<br />

Überlieferungsbasis um einen weiteren Textzeugen vermehrt.<br />

Noch nicht veröffentlicht.<br />

(Bild 34: Mainz, Martinus Bibliothek, in Inc 334)<br />

61


Fall 14<br />

Signatur: stb ink 914<br />

Eine Schedula officiorum aus dem Mainzer Kloster St. Jakob<br />

Schedula, lateinisch, zu deutsch: ein Blättchen Papier.<br />

Ein solches Blatt oder Blättchen Papier diente damals wie heute<br />

für flüchtige Notizen oder kurze Mitteilungen, die nur<br />

vorübergehend <strong>von</strong> Bedeutung waren. Was danach, sozusagen<br />

nach dem Verfallsdatum, achtlos weggeworfen oder wie hier<br />

vom Buchbinder als Makulatur weiterverwendet wurde, kann für<br />

uns heute zur Quelle historischen Wissens werden.<br />

Unser Papierblättchen, jetzt im Einband einer in Mainz, vermutlich<br />

im St. Jakobskloster gebundenen Inkunabel überliefert<br />

eine Liste mit Namen <strong>von</strong> Mönchen, die für die liturgischen<br />

Dienste in der Karwoche eingeteilt waren. Einige Male wird<br />

auch die Herkunft der Personen angegeben: Mainz, Gerau,<br />

Oppenheim. Es ist uns bis heute keine weitere Schedula mit<br />

dieser Zweckbestimmung bekannt, so daß unser Blättchen Papier<br />

auch für die Liturgiegeschichte <strong>von</strong> Interesse ist.<br />

Dieser Fund, so unscheinbar er wirkt, dokumentiert eindringlich,<br />

ja handgreiflich die Bedeutung der exemplarspezifischen<br />

Erschließung <strong>von</strong> Drucken eines historischen Buchbestandes,<br />

hier der Mainzer Inkunabeln.<br />

Alle in dieser Austellung behandelten Fälle zeigen aber, daß es<br />

in einem historischen Buchbestand die sogenannten Dubletten<br />

nicht gibt, und man sollte deshalb entsprechend vorsichtig beim<br />

Verkauf oder der Abgabe <strong>von</strong> Zweitexemplaren sein.<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes:<br />

Johannes de Bitonto, Sermones dominicales per totum annum.<br />

Straßburg: Johann Grüninger 1496 (BSB-Ink A-0624).<br />

Literatur: Helmut Hinkel, Eine Schedula officiorum aus dem Mainzer<br />

Kloster St. Jakob, In: Mainzer Zeitschrift 100 (2005) S.183-<br />

187.<br />

62


Bild 35: Das Blatt im Vorderspiegel<br />

63


Fall 15<br />

Signatur: stb inc 1911<br />

Identifizierung mit Hilfe einer Datenbank<br />

Von der verschwundenen Originalseite ist auf dem Deckel wenig<br />

brauchbarer Text zurückgeblieben. Auch mit allen Kniffen<br />

digitaler Photographie ist es nicht gelungen, den Text zu<br />

identifizieren.<br />

So viel kann man aber sagen: es handelt sich um einen<br />

geistlichen Traktat, vielleicht eine Predigt.<br />

Die Seite ist wohl überlegt eingerichtet, zwei Spalten,<br />

Schriftspiegel ausgewogen, die Schrift eine sorgfältige Textualis,<br />

Mitte des 14. Jahrhunderts. All das deutet darauf hin, daß es sich<br />

um einen gewichtigen literarischen Text handelt, der in einem<br />

professionellen Scriptorium kopiert wurde.<br />

Ein Möglichkeit der Textidentifizierung ergibt sich mit Hilfe<br />

des Marburger Repertoriums deutschsprachiger Handschriften<br />

des 14. Jhs.<br />

Die Datenbank beruht darauf, daß bestimmte Daten eingegeben<br />

werden, die einem Dritten eine gezielte Recherche ermöglichen,<br />

wenn er ein ähnlich beschaffenes Dokument vor sich hat. Es<br />

sind: Blattgröße, Schriftspiegel, Zeilenzahl, Anzahl der Spalten,<br />

die Schreibsprache und ein Foto.<br />

Kurztitelaufnahme des Trägerbandes:<br />

Petrus de Herenthals, Collectarius sive expositio super librum<br />

psalmorum. [Köln] Johann Koelhoff d. Ältere 1487 (BSB-Ink<br />

P-0349).<br />

64


Bild 36: Der Abklatsch, ungespiegelt<br />

65


Bild 37: Der Abklatsch, gespiegelt<br />

66


Fall 16<br />

Signaturen: stb ink 1653, 2219 u. 2474<br />

Eberhardus Bethuniensis (Eberhardt <strong>von</strong> Béthune), Graecismus.<br />

Mit Interlinear- und Marginalglossen.<br />

Beeindruckende Fragmente aus einer Handschrift des 14.<br />

Jahrhunderts als Spiegel in den Einbänden einer dreibändigen<br />

Straßburger Ausgabe der Werke <strong>von</strong> Johannes Gerson.<br />

Gebunden wurde der Band in Ulm <strong>von</strong> Konrad Dinckmut:<br />

EBDB w000059 (Ulm: Konrad Dinckmut (s003747, s003748,<br />

s003784, s003786 s003785, s0021466)<br />

Provenienz: Mainz, Karmeliter.<br />

Kurztitelaufnahme der Trägerbände:<br />

Gerson, Johannes: Opera. 3 Bände [Straßburg: Johann Grüninger, z.T. mit<br />

Typen des Johann Prüss und Martin Flach] 1488 (BSB-Ink G-0183,<br />

GW 10714).<br />

67


Bild 38: Eberhardus Bethuniensis, Graecismus, stb ink 1653<br />

68


Bild 39: Eberhardus Bethuniensis, Graecismus, stb ink 1653<br />

69


Erklärung „Was ist ein Abklatsch?“<br />

Ein Abklatsch, auch Leimabdruck genannt, besteht aus<br />

spiegelbildlich erhaltenen Abdrücken eines Originaldokumentes,<br />

wie z.B. einer Handschrift, eines Druckes oder einer Zeichnung.<br />

Ein Abklatsch entsteht immer dann, wenn man ein<br />

beschriebenes oder bedrucktes Blatt, das auf einen Holz- oder<br />

Pappdeckel aufgeklebt ist, ablöst. Beim Ablösen bleiben, je nach<br />

Beschaffenheit des Deckels, der Tinte, der Druckerschwärze<br />

oder des Leimes Schriftreste des Textes spiegelschriftlich zurück.<br />

Mit Hilfe eines Spiegels kann man den noch verbliebenen Text<br />

entziffern. Den Buchbindern des 15./16. Jahrhunderts standen<br />

zahlreiche ausgesonderte mittelalterliche Handschriften oder<br />

Druckmakulatur zur Verfügung, mit denen sie blattweise die<br />

Innendeckel ihrer Einbände verkleideten. Ist nun das abgelöste<br />

Blatt auf immer verschwunden (was sehr häufig der Fall ist),<br />

dann muss der Abklatsch das Original ersetzen.<br />

Der Abklatsch tritt also an die Stelle des Originals. Dabei muss<br />

man aber bedenken, daß uns in solchen Fällen des Blattverlustes<br />

nur die eine Seite des verlorenen Blattes ersatzweise als<br />

Abklatsch erhalten bleibt, die uns zugewandte Textseite bleibt<br />

für immer verloren (<strong>Staub</strong>/<strong>Horch</strong>).<br />

Finis<br />

70

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