Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
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DDR. Zur Beerdigung meines Großvaters und später<br />
zu einer weiteren Trauerfeier kamen unsere Verwandten<br />
aus Mecklenburg, und als sie erzählten, wie brutal<br />
sie von den DDR-Soldaten und der dortigen Polizei aus<br />
den Häusern vertrieben und in kleine Zimmer gesperrt<br />
worden waren, weil sie in der Grenzzone lebten, da<br />
wurde mir die ganze Brutalität dieses Systems deutlich.<br />
Wenn man dann sieht, wie eine alte Frau weint, weil sie<br />
ihr eigenes Haus nicht mehr betreten darf, dann geht<br />
einem das schon sehr nahe. Später traf ich auch DDR-<br />
Dissidenten, z.B. Havemann, obwohl ich ihn nicht hätte<br />
treffen dürfen. Daraufhin wurde ich „verbotener Abgeordneter“.<br />
Ich war der einzige Bundestagsabgeordnete,<br />
der einige Jahre nicht nach Ost-Berlin fahren durfte.<br />
Ethnischer Haß und Völkermord<br />
in Südeuropa<br />
W.W.: Nach Beendigung des Kalten Krieges hatte<br />
man gehofft, daß es zumindest in Europa keinen<br />
Völkermord mehr geben würde. Aber im ehemaligen<br />
Jugoslawien traten alte rassistische und nationalistische<br />
Gedanken und Handlungsweisen wieder<br />
in den Vordergrund. Warum lebten nach dem Ende<br />
des Kalten Krieges diese zerstörerischen Gedanken<br />
wieder auf? Wurden sie durch das kommunistische<br />
Regime in Schach gehalten, oder war es eine neue<br />
Entfachung?<br />
F. Duve: Es war eine neue Entfachung. Sehr viel von<br />
dieser Entfachung ist propagandistisch organisiert<br />
worden. Milosevic und andere Tito-Nachfolger haben<br />
die völkische Propaganda geschürt und die Probleme<br />
des Post-Tito-Jugoslawiens völkisch ideologisiert, und<br />
zwar exakt nach Goebbels’ Methoden. Sie ekelten<br />
schon in einer sehr frühen Phase alle führenden Offiziere<br />
der ehemaligen jugoslawischen Armee heraus,<br />
die nicht serbischer Abstammung waren. Schon nach<br />
kurzer Zeit gab es weder bosnische noch albanische<br />
oder kroatische Offiziere. Auf diese Weise hatten sie<br />
die Führung der jugoslawischen Armee in eine völkisch<br />
gelenkte serbische Armee verwandelt. In der Presse<br />
wurde dann das serbische Volk als leidendes Volk der<br />
Menschheitsgeschichte propagiert; das war genau das<br />
gleiche, wie es Hitler und Goebbels mit dem deutschen<br />
Volk gemacht hatten. Bis in die einzelnen Häuser wurde<br />
dieser ethnische Haß transportiert.<br />
Tudjman hat dies umgekehrt in Kroatien ebenso durchgeführt,<br />
nicht nur als Antwort auf die Serben, sondern<br />
auch aus eigener Ideologisierung heraus. Dann verfälschte<br />
man das Geschichtsbild über die Bosnier, Türken<br />
und Araber und behauptete, daß Bosnien von den<br />
Türken überrannt worden sei. Aber wenn man wirklich<br />
in die Geschichte schaut, z.B. mit den Juden in Sarajewo<br />
spricht, dann werden sie einem erzählen, daß die<br />
Menschen unter der türkischen Herrschaft oft mit Toleranz<br />
behandelt worden sind.<br />
W.W.: Warum war die völkische Propaganda der<br />
Serben so erfolgreich?<br />
F. Duve: Sie hatten die Radio- und Fernsehstationen<br />
unter Kontrolle. Als ich für den Bundestag in Begleitung<br />
einer wunderbaren Menschenrechtlerin durch<br />
Bosnien fuhr, übersetzte mir diese Frau einige der<br />
Radiosendungen. Das war richtige Nazipropaganda.<br />
W.W.: Warum hat man sich auf seiten der Linken,<br />
auch bei einigen Parteigenossen von Ihnen, so<br />
lange gegen die Anwendung des Begriffs Völkermord<br />
in bezug auf die serbischen Greuel gewehrt?<br />
F. Duve: Das war die innere Assoziation vieler Linker<br />
mit Tito. Wenn man schon nicht Moskau lieben durfte,<br />
dann griff man sich denjenigen heraus, der sich<br />
während des Kalten Krieges am meisten verselbständigt<br />
hatte. Und insofern ließ man an Jugoslawien,<br />
auch an Titos Nachfolger, nichts herankommen. Man<br />
machte einfach keine neuen Analysen. Ich persönlich<br />
bin auch mit meinen Publikationen und Reden im<br />
Bundestag sehr kritisiert worden.<br />
Mit der Völkermord-Definition habe ich mich fast<br />
mein ganzes Leben lang beschäftigt. Wegen der Verbrechen<br />
der Nazis wurde der Begriff Genozid gebildet<br />
– und plötzlich findet in den 90er Jahren wieder<br />
ein Genozid in Südeuropa statt! Und ich war sofort<br />
gewillt, gegen diesen Völkermord etwas zu unternehmen.<br />
W.W.: Mir wurde der serbische Faschismus sofort<br />
klar, als ich im Spiegel über die Rede las, die Milosevic<br />
im Juni 1989 auf dem Amselfeld hielt.<br />
F. Duve: Das war die entscheidende Rede. Ich wies<br />
auch im Bundestag immer wieder darauf hin, daß<br />
man diese Rede ganz genau lesen solle, da es eine<br />
absolut völkische war.<br />
W.W.: Woher stammt eigentlich die Lüge, daß Genscher<br />
der Urheber der Kriege in Jugoslawien sei,<br />
weil er Slowenien und Kroatien zur Unabhängigkeit<br />
gedrängt habe?<br />
F. Duve: Diese Propaganda ging vor allem von den<br />
Serben aus, und sie wurde zum Teil von der Linken,<br />
vor allem in Frankreich, aufgegriffen.<br />
W.W.: Sie waren mehrmals während des Völkermords<br />
in Ex-Jugoslawien, u.a. in Mostar und Tuzla.<br />
Was hat Sie veranlaßt zu helfen, und was konnten<br />
Sie bewirken?<br />
F. Duve: Zum einen war es mein biographischer<br />
Hintergrund, zum anderen mein Einsatz als verantwortlicher<br />
Deutscher gegen jede Form rassistischer<br />
Morde, vor allem in einem europäischen Land. Und<br />
so wurde ich offizieller Beauftragter des Bundestages<br />
für die Kriege in Bosnien und Kroatien.<br />
In meinem Wahlkreis in <strong>Hamburg</strong> – St.Georg wohnte<br />
eine sehr engagierte Intellektuelle, die aus Tuzla<br />
stammte und fast jeden Tag mit ihren Eltern telefonierte.<br />
Sie hat mich immer wieder angesprochen und<br />
mir von den Greueln erzählt. Ich flog dann mit ihr nach<br />
Split, wohin mir der Bürgermeister von Tuzla über die<br />
Berge ein Auto geschickt hatte, und so fuhren wir<br />
heimlich nach Tuzla. Ich war der erste Ausländer von<br />
außerhalb der Kriegsgebiete, der in Tuzla eintraf. Das<br />
war eine sehr gefährliche Reise, ausschließlich über<br />
Bergwege. Unten konnten wir nicht fahren, da dort<br />
fortwährend geschossen wurde. In dieser Zeit kamen<br />
auch viele islamische Kämpfer in das Land, die<br />
sich unter die Soldaten mischten. Aber das hat die<br />
bosnische Armee sehr weise geregelt. Die Bosnier<br />
brauchten das Geld der Araber, wollten aber nicht<br />
die Unterstützung durch arabische Kämpfer, und so<br />
brachten die bosnischen Soldaten die Araber in ein<br />
Feldlager, wo sie sich vorbereiten sollten. Dort waren<br />
sie zwar nicht wie in einem Gefängnis eingeschlossen,<br />
aber sie konnten auch nicht aktiv an den Kämpfen<br />
teilnehmen. Die Bosnier legten diese islamischen<br />
Kämpfer sozUSAgen auf Eis.<br />
Menschheitsverbrechen in<br />
Südamerika<br />
W.W.: Sie waren als Mitglied des Ausschusses für<br />
Menschenrechte auch in Lateinamerika. Welche Arbeit<br />
haben Sie dort geleistet?<br />
F. Duve: Ich bin im Auftrag des Bundestages und<br />
meiner Fraktion in verschiedenen Ländern, u.a. in Lateinamerika,<br />
Verbrechen nachgegangen.<br />
W.W.: Um welche Verbrechen ging es dabei?<br />
F. Duve: Das war z.B. der Massenmord an den Mayas<br />
in Guatemala. Ich fuhr durch die Dörfer, erlebte die<br />
Angst der Menschen und sah auch einige Leichen.<br />
Weiterhin war ich in Chile, besuchte die Menschen<br />
in den Gefängnissen, auch den jetzigen Präsidenten.<br />
Ich war in Paraguay und Argentinien und habe mich<br />
um die chilenischen und argentinischen Verbrechen<br />
– das Herauswerfen der Menschen aus den Flugzeugen<br />
– gekümmert. Natürlich mußte ich auch die<br />
USA kritisieren, da sie eng mit den Diktaturen Südamerikas<br />
zUSAmmenarbeiteten. Viele der Verbrecher<br />
aus Südamerika konnten verhaftet werden, und noch<br />
heute laufen verschiedene Prozesse. Aber dann bin<br />
ich aus der unmittelbaren Verantwortung herausgegangen,<br />
als ich Ende 1997 in Wien mein Amt bei der<br />
OSZE (Organisation für Sicherheit und ZUSAmmenarbeit<br />
in Europa) antrat.<br />
W.W.: Welche Aufgaben hatten Sie bei der OSZE?<br />
F. Duve: Ich war zuvor Mitglied des KSZE-Parlaments,<br />
als der Helsinki-Prozeß voll im Gange war und<br />
ich mich für Willy Brandt sehr engagierte. Vorübergehend<br />
war ich im Europarat, kam dann zur OSZE und<br />
wechselte dort in den Menschenrechtsausschuß.<br />
Die OSZE ist kein Dauerparlament, sondern man<br />
tagt ein- oder zweimal pro Jahr in verschiedenen<br />
Mitgliedsländern. Bei einer Sitzung in Kanada Mitte<br />
der 90er Jahre schlug man mich für den Vorsitz des<br />
Menschenrechtsausschusses vor. Als erstes richtete<br />
ich dort einen Preis für die Medien und den Journalismus<br />
ein. Dazu gab es dann jedes Jahr eine große<br />
Veranstaltung, und der erste Preisträger war Adam<br />
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