Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Michnik aus Polen. Seine Schriften hatte ich veröffentlicht,<br />
als er wegen seiner Solidarnosc-Aktivitäten<br />
im Gefängnis saß. Daraufhin wurde dieser Preis jedes<br />
Jahr verliehen, z.B. an die Witwen von ermordeten<br />
baskischen und ukrainischen Journalisten.<br />
Etwas später schlug ich der deutschen Bundesregierung<br />
unter Kohl vor, erstmals in der UNO-Geschichte<br />
– die OSZE ist eine Regionalorganisation der UNOo<br />
– ein Amt zum Schutz des professionellen Journalismus<br />
und der Schriftsteller zu gründen. Dieser Vorschlag<br />
wurde dann von der Bundesregierung übernommen,<br />
und Außenminister Kinkel schlug mich für<br />
den Vorsitz dieses Amtes in Wien vor. Damals war<br />
mein Bundestagsmandat fast ausgereift, und außer<br />
mir sah man niemanden bei der OSZE, der mehrheitsfähig<br />
gewesen wäre. Denn die Schwachstelle<br />
der OSZE besteht darin, daß einstimmig beschlossen<br />
werden muß. Diesen Posten habe ich bis 1998<br />
parallel zu meinem Bundestagsmandat ausgefüllt<br />
und bin dann aber sechs Jahre ganz nach Wien gegangen.<br />
Aus diesem Amt heraus habe ich u.a. meine<br />
Aktivitäten auf dem Balkan gestaltet, z.B. das mobile<br />
Kindergymnasium.<br />
Die Jugend nach dem<br />
Krieg<br />
W.W.: Können Sie diese fahrende gymnasiale<br />
Werkstatt noch ein wenig darstellen?<br />
F. Duve: Es handelte sich um 16 mobile Container,<br />
die zu einem großen „Zelt“ zUSAmmengestellt werden<br />
konnten – mit einem abnehmbaren Dach. Das<br />
bot den jungen Menschen auf dem Balkan eine Unterrichtsform<br />
auch für die Einübung ihrer Zukunft. Für<br />
jeweils einige Wochen zogen diese Container durch<br />
Kroatien, Bosnien und Jugoslawien, später auch<br />
durch den Kosovo, und boten den Jugendlichen des<br />
Balkans ein Forum zur grenzüberschreitenden Diskussion.<br />
Dieses <strong>Projekt</strong> wurde von Deutschland, Holland,<br />
Norwegen und der Schweiz finanziert.<br />
W.W.: Wurden die Kinder unterrichtet?<br />
F. Duve: Nein, es waren vor allem Gesprächsforen,<br />
aber auch künstlerische Aktivitäten. Die Schulen des<br />
Balkans waren alle ziemlich kaputt und die Eltern<br />
und Lehrer meist Haßprediger, die die jeweils anderen<br />
Ethnien als Verbrecher brandmarkten. Die 14- bis<br />
18jährigen <strong>Schüler</strong> kamen vormittags um 11 Uhr, und<br />
dann gab es thematische Gesprächsrunden. Die Aktivitäten<br />
dieser Organisation, „Verteidigung unserer<br />
Zukunft“, wurden z.B. in dem Buch „Balkan – die<br />
Jugend nach dem Krieg“ (Bozen 2002) veröffentlicht.<br />
Geleitet hat diese Gespräche neben mir vor allem<br />
Achim Koch, ein ehemaliger Theaterleiter aus <strong>Hamburg</strong>,<br />
ansonsten wirkten dort verantwortlich junge<br />
Akademiker aus der Region mit, die als Kinder den<br />
Krieg erlebt hatten. Dieses <strong>Projekt</strong> lief von 2000 bis<br />
zum Jahre 2004.<br />
Organisierter<br />
Tschetschenien-Haß<br />
W.W.: Welche Aktivitäten haben Sie außerdem bei<br />
der OSZE durchgeführt?<br />
F. Duve: Ein weiteres Problemfeld war der Kaukasus.<br />
Dort führte ich ähnliche Aktivitäten in Georgien<br />
und mit geflohenen tschetschenischen Kindern in<br />
Inguschetien durch. Leider war dieses <strong>Projekt</strong> nicht<br />
so fruchtbar, weil der Tschetschenien-Haß von Moskau<br />
organisiert wurde und weil es auf tschetschenischer<br />
Seite die bekannten Reaktionen gab. Schon<br />
bei Puschkin kommen die Tschetschenen als Feinde<br />
vor. Dieser Tschetschenien-Haß hat ähnlich wie der<br />
Antisemitismus uralte Wurzeln. Bei meinen Besuchen<br />
in Moskau sprach ich immer wieder mit tschetschenischen<br />
Akademikern, die darunter litten, daß sie als<br />
„anders-rassisch“ diffamiert wurden. Auf tschetschenischer<br />
Seite gibt es mittlerweile eine gefährliche<br />
islamistisch geprägte Unabhängigkeitsbewegung,<br />
aber in Wahrheit interessiert die Mehrheit der Tschetschenen<br />
der Islam immer sehr viel weniger als die<br />
Frage, in welcher Form sie in einer russischen Föderation<br />
existieren können. Andere Themen meines<br />
Amtes waren z.B. die Unfreiheit der Journalisten in<br />
Weißrußland und die zunehmende Zerstörung der<br />
hervorragenden journalistischen Aufbruchstimmung<br />
in Moskau. Bei diesen Aktivitäten mußte ich häufig<br />
Putin kritisieren, vor allem wegen seiner Tschetschenien-Politik,<br />
aber auch wegen der zunehmenden Einschränkung<br />
der journalistischen Freiheit. Rußland ist<br />
nach Kolumbien mittlerweile zu dem Land mit der<br />
zweithöchsten Anzahl von Morden an Journalisten<br />
aufgestiegen. Dieses Mandat führte ich bis Ende 2003<br />
mit Freude aus, vor allem deshalb, weil mein Mandat<br />
zum Entsetzen mancher Staatschefs in seiner Kritikberechtigung<br />
sehr weit reichte. Dies betraf aber auch<br />
die Staatschefs der Partnerstaaten der OSZE, Israel,<br />
Libanon, Ägypten, Tunesien und Marokko.<br />
Deutsche Vergangenheitsbewältigung<br />
W.W.: Wie haben Sie in diesen Tagen den 60. Jahrestag<br />
des Kriegsendes erlebt? Wie sehen Sie<br />
die Rolle Deutschlands bis heute? Lügt man sich<br />
über die eigene Verantwortung für die Verbrechen<br />
an den Juden und die Verbrechen durch den Krieg<br />
noch etwas in die Tasche, oder hat man sich der<br />
Verantwortung der Vergangenheit weitgehend gestellt?<br />
F. Duve: Deutschland hat unter schwierigen Prozessen<br />
die Vergangenheitsverbrechen in sein Geschichtsbewußtsein<br />
eingebaut, was ich für eine große Leistung<br />
halte. Stolz sollten wir darauf zwar nicht sein, da diese<br />
Verbrechen keinen Stolz erlauben, aber andererseits<br />
gibt es kein Land auf der Welt, in dem es nicht<br />
auch irgendwelche Verbrechen der Herrschenden<br />
gegeben hat. Fahren Sie einmal nach Wien oder Paris,<br />
dann sehen Sie, daß dort immer nur die Heldentaten<br />
des Volkes oder einzelner Herrschaften verewigt<br />
werden. Die Heldenverehrung als Teil der nationalen<br />
Geschichte ist ein immanentes Element des Nationalstolzes.<br />
In Deutschland hat man es geschafft, sich<br />
ein anfängliches Nationalbewußtsein zu erarbeiten,<br />
aber mit Einschluß der negativen Seiten der Vergangenheit.<br />
Dies ist weitgehend gelungen, und ich freue<br />
mich, durch meine Arbeit einen kleinen Beitrag dazu<br />
geleistet zu haben.<br />
Chile, das mittlerweile wieder eine Demokratie ist, hat<br />
sich diesen Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit<br />
zum Vorbild für die Aufarbeitung der eigenen<br />
Verbrechen genommen.<br />
W.W.: Ein ähnlich positives Beispiel ist Südafrika.<br />
F. Duve: Genau, auch hier hat man sich ganz vorbildlich<br />
der eigenen Geschichte gestellt. Vor allem<br />
Desmond Tutu, den ich verlegt hatte und der der<br />
südafrikanischen Kommission zur Aufarbeitung der<br />
Apartheid-Verbrechen vorstand, hat an vorderster<br />
Front mitgewirkt, die Geschichte der staatlichen Verbrechen<br />
Südafrikas in aller Öffentlichkeit aufzuarbeiten.<br />
Diese südafrikanische Kommission, zu der ich<br />
von Nelson Mandela eingeladen wurde, hieß „Truth<br />
and Reconciliation“, Wahrheit und Versöhnung. Auch<br />
für die Südafrikaner war es ein Vorbild, wie die Deutschen<br />
mit ihrer Vergangenheit umgegangen sind.<br />
Eine derartige Debatte hat es in Deutschland erst<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Während der<br />
Weimarer Republik gab es keine Debatten über die<br />
Verbrechen der Kolonialgeschichte. Diese Debatte<br />
gab es in Deutschland erst in den 60er Jahren, während<br />
sie in England schon in den 20er Jahren geführt<br />
wurde.<br />
Japanische und chinesischeMenschenrechtsverbrechen<br />
W.W.: Deutschland, Chile und Südafrika sind drei<br />
Beispiele gelungener Vergangenheitsbewältigung.<br />
Aber in den meisten anderen Ländern sieht dies<br />
ganz anders aus. Gerade gab es in China Unruhen<br />
wegen eines japanischen Schulbuchs, welches<br />
die japanischen Kriegsgreuel während der japanischen<br />
Besatzung in China leugnet. Warum sieht<br />
man in Japan nicht der Wahrheit ins Gesicht?<br />
F. Duve: Gegenüber Japan war ich immer äußerst<br />
kritisch eingestellt. Für Fragen der Vergangenheitsbewältigung<br />
gibt es in Japan keinerlei Pluralismus.<br />
In Japan herrschte immer ein monolithisches Bewußtsein,<br />
auch bei der Modernisierung des Staates.<br />
Aber eine Debatte über die eigenen Fehler der Vergangenheit<br />
hat es in Japan bisher nicht gegeben. Die<br />
GraUSAmkeit der japanischen Besetzung in China<br />
war ungeheuer. Es war ein Massenmord an der chinesischen<br />
Bevölkerung durch das japanische Militär.<br />
Und die Unruhen im April dieses Jahres entstanden<br />
bei den Chinesen, wenn auch staatlich gelenkt, weil<br />
die Japaner diese Verbrechen nicht nur ignorieren,<br />
sondern z.B. in dem besagten Schulbuch als Heldengeschichte<br />
verklären.<br />
Auch wird in China teilweise immer noch Mao verehrt.<br />
Die europäischen Firmen investieren in China, aber es<br />
gibt keine Kritik an den Menschenrechtsverbrechen<br />
in China. China seinerseits benutzt die japanischen<br />
Verbrechen zur modernen Stabilisierung und zur Unterdrückung<br />
der Kritik an der chinesischen Modernisierungsdiktatur.<br />
Das sieht man z.B. daran, daß alle<br />
Konflikte und Unruhen der westlichen Regionen Chinas<br />
verschwiegen und unterdrückt werden. Dort gibt<br />
es Kämpfe, Reisebeschränkungen dramatischer Art,<br />
dort herrschen Armut und Stammeskriege, und nur<br />
ganz selten dürfen Journalisten aus dem Westen diese<br />
Region besuchen und Kritisches schreiben. China<br />
hat als Wachstumsland enorme Strukturprobleme,<br />
und solche Probleme werden in der Regel durch Härte<br />
gegen Menschen verdrängt.<br />
Das türkische Schweigen<br />
W.W.: Auch der türkische Völkermord an den Armeniern<br />
jährte sich in diesen Tagen, in diesem Fall<br />
zum 90. Mal. Wie ist es möglich, daß der größte<br />
Teil der türkischen Gesellschaft – vom einfachen<br />
Bürger bis hinein in die Regierung – dieses Verbrechen,<br />
das immerhin ca. 1,5 Millionen Menschen<br />
das Leben gekostet hat, leugnet?<br />
F. Duve: Das hängt mit der Entstehung des postislamischen<br />
Nationalstaats in der Türkei zUSAmmen. In<br />
der Türkei nach Atatürk gibt es die Ambivalenz zwischen<br />
der Modernisierung – Trennung von Staat und<br />
Religion – auf der einen Seite und der rassistischen<br />
Verfolgung bestimmter Gruppen auf der anderen Seite.<br />
Dieses System hat zur Verfestigung der sich als<br />
Demokratie verstehenden Türkei geführt. Ich war oftmals<br />
für den Bundestag in der Türkei, u.a. auch in der<br />
kurdischen Stadt Diyarbakir, und habe immer wieder<br />
auch auf türkische Parlamentarier eingewirkt, daß<br />
man den Kurden ihre Rechte gibt oder wenigstens<br />
ihre Sprache zuläßt. Es gab z.B. Karten der Türkei bis<br />
in die 80er Jahre, auf denen überhaupt keine „kurdischen“<br />
Regionen erwähnt werden durften. In der<br />
Frage der Kurden gibt es mittlerweile Fortschritte.<br />
Aber der Massenmord an den Armeniern wird gerade<br />
jetzt ganz besonders durch die türkische Gesellschaft<br />
ausgeblendet. Allerdings gibt es zum ersten Mal in<br />
der Türkei literarische Stimmen, nicht zuletzt durch<br />
Orhan Pamuk, den Träger des Friedenspreises des<br />
Deutschen Buchhandels aus diesem Jahr, die Licht<br />
in diese Verbrechen zu bringen versuchen.<br />
W.W.: Wie steht es mit dem Völkermord in Kambodscha?<br />
Vor 30 Jahren haben die Roten Khmer<br />
die Macht übernommen und in den Folgejahren<br />
44 45