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Unterhaching in der NS-Zeit

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1<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Stand Mai 2010<br />

„Tote, die man nicht bewe<strong>in</strong>t, kommen als Gespenst wie<strong>der</strong>.“<br />

(türkisches Sprichwort)<br />

C: Dietrich Grund<br />

82024 Taufkirchen


Inhalt<br />

Vorgeschichte<br />

Parteien<br />

Gleichschaltung des Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ates<br />

Bürgermeister Fladt<br />

Bürgermeister Prenn<br />

Die Ortsgruppenleiter<br />

<strong>NS</strong>- Unrecht<br />

Rassehygiene<br />

Antisemitismus<br />

Aufmärsche und Feiern<br />

Schwester Pia<br />

Krieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat<br />

Wi<strong>der</strong>stand<br />

<strong>NS</strong>DAP- Filiale Taufkirchen<br />

Neubeg<strong>in</strong>n<br />

Zusammenfassung<br />

Anhang<br />

Kurzzeichen für die Archive<br />

HA Hauptstaatsarchiv München<br />

SA Staatsarchiv München<br />

SM Stadtarchiv München<br />

DA Diözesanarchiv München<br />

OA Archiv des Bezirks Oberbayern<br />

GU Geme<strong>in</strong>dearchiv <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

2<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong><br />

2<br />

3<br />

4<br />

6<br />

8<br />

11<br />

16<br />

21<br />

28<br />

30<br />

35<br />

41<br />

42<br />

45<br />

50<br />

52<br />

55<br />

58


Vorgeschichte<br />

3<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> erlebte <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>ts zahlreiche tief-<br />

gehende Brüche und Wandlungen. In <strong>der</strong> äußerlich friedvollen Pr<strong>in</strong>zregentenzeit<br />

(1885- 1912) profitierte das Dorf als Lebensmittellieferant von <strong>der</strong> Prosperität <strong>der</strong> nahen<br />

Landeshauptstadt München; im Dorf hatten noch unangefochten die 15 reichsten Bau-<br />

ern das Sagen.<br />

Die Friedenszeit g<strong>in</strong>g Ende Juli 1914 abrupt zu Ende. Bald schon zeigten sich auch <strong>in</strong><br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> die Auswirkungen des ersten totalen Krieges. Aus dem 1000- Seelen-<br />

Dorf mussten 132 Männer ausrücken, von denen je<strong>der</strong> Vierte nicht zurückkehrte.<br />

Im November 1918 erzwangen kriegsmüde Soldaten und Arbeiter die Beendigung des<br />

s<strong>in</strong>nlosen Mordens und damit auch das Ende <strong>der</strong> Monarchie <strong>in</strong> Bayern und ganz<br />

Deutschland. Im Zuge <strong>der</strong> damaligen Revolution traten auch <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> sozialde-<br />

mokratische Arbeiter erstmals als „Parteigruppe“ und als Arbeiter- und Bauernrat <strong>in</strong> Er-<br />

sche<strong>in</strong>ung. Bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>knüppelung <strong>der</strong> Revolution und <strong>der</strong> Ermordung von 4 Sozia-<br />

listen aus dem Dorf durch Freikorpskämpfer im Mai1919 erlebte <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s E<strong>in</strong>woh-<br />

nerschaft schockiert, was politische, hier faschistische Gewalt ausrichtet.<br />

Die Zwanziger Jahre waren im Ort geprägt durch den Bau zahlreicher Wohnhäuser und<br />

starken Zuzug von Neubürgern. Die „Soziologie“ des Dorfes verän<strong>der</strong>te sich grundle-<br />

gend, so dass bei <strong>der</strong> Kommunalwahl 1929 nicht mehr die bäuerlich- konservativen<br />

Gruppierungen son<strong>der</strong>n die Liste <strong>der</strong> „Siedler“ die meisten Stimmen erhielt.<br />

Not und Unruhe <strong>der</strong> Weimarer Republik führten bis 1931 zur Etablierung von nicht we-<br />

niger als sechs Parteiortsgruppen. Nur 2 Jahre später hatte aber die „nationalsozialisti-<br />

sche Revolution“ dafür gesorgt, dass die <strong>NS</strong>DAP zur alle<strong>in</strong>igen und „allmächtigen Insti-<br />

tution“ (Felzmann) 1 geworden war. Es folgte Diktatur und Krieg.<br />

Das Ende <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong> Nazis und des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945, stellt<br />

e<strong>in</strong>en weiteren tiefen E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ortsgeschichte dar.<br />

Wie sich <strong>der</strong> Nazismus <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> darstellte, soll im Folgenden anhand <strong>der</strong> erhal-<br />

tenen Dokumente anschaulich gemacht werden. Wobei es nach wie vor schwierig ist,<br />

die Frage von Joachim Fest auch für das Dorf zu beantworten: Wie konnten so viele so<br />

bedenkenlos mitmachen?<br />

1 <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, e<strong>in</strong> Heimatbuch, S. 100


Parteien<br />

Bis zu <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>, als die Revolution 1918 die Monarchie <strong>in</strong> Bayern beendete, gab es im<br />

4<br />

Dorf <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> ke<strong>in</strong>e Parteigruppierungen. Im Februar 1919, nach Ermordung des<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten Eisner, tun sich erstmals Sozialisten zusammen und bestimmen als<br />

Arbeiter- und Bauernrat für etliche Wochen die Geschicke <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de. In e<strong>in</strong>em<br />

Brief werden sie bezeichnet als „sozialdemokratische Parteigruppe“, ergänzt durch den<br />

Zusatz „Sektion Neubiberg“, was auf die Siedlungen im Bereich des Bahnhofs Neubi-<br />

berg als Treffpunkt verweist.<br />

Aber bereits bei <strong>der</strong> Landtagswahl im Januar 1919, <strong>in</strong> <strong>der</strong> kurzen Regierungszeit Eis-<br />

ners, hatte die SPD bemerkenswerterweise die meisten Stimmen im Dorf erhalten,<br />

nämlich 320 o<strong>der</strong> 49 %. (SPD-Anteil <strong>in</strong> Oberbayern und Gesamtbayern: 35,4 und 33<br />

%). Es folgten die BVP mit 319, die Deutsche Volkspartei mit 11 Stimmen und <strong>der</strong> Bau-<br />

ernbund mit e<strong>in</strong>em Votum.<br />

Als eigentliches Gründungsjahr des SPD- Ortsvere<strong>in</strong>s gilt freilich das Jahr 1921 und<br />

als ihr Grün<strong>der</strong> und Leiter <strong>der</strong> Arbeiter Wilhelm Kloiber. 1924 ist die SPD erstmals im<br />

Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at vertreten, während sie 1919 an <strong>der</strong> Kommunalwahl nicht teilnahm. Ab<br />

1928 leitete Kloiber e<strong>in</strong>e getrennte SPD- Sektion für Ottobrunn/ Neubiberg, während<br />

<strong>der</strong> Bäcker Erhard Süß zum Vorsitzenden im Dorf gewählt wurde 2 .<br />

Wilhelm Kloiber, <strong>der</strong> seit 1901 SPD- Mitglied war 3 , war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Revolutionszeit Vorsitzen-<br />

<strong>der</strong> des ABR <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und leitete gleichzeitig e<strong>in</strong>e Ortsgruppe <strong>der</strong> Unabhängi-<br />

gen Sozialdemokraten <strong>in</strong> München- Au 4 . Die USPD konnte aber <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> nicht<br />

Fuß fassen.<br />

Im Jahr 1919 tritt auch erstmals e<strong>in</strong> Kommunist <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung: <strong>der</strong> Kunstmaler Eugen<br />

Vitalowitz 5 . Er wurde wie drei weitere Dorfbewohner, Opfer <strong>der</strong> sogenannten „Weißen<br />

Garde“ bei <strong>der</strong> Gegenrevolution im Mai 1919 6 .<br />

In <strong>der</strong> politisch aufgewühlten Notzeit anfangs <strong>der</strong> 1930er Jahre gab es e<strong>in</strong>e außerge-<br />

wöhnlich große Zahl von Parteigruppen, nämlich Ortsgruppen <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP (ungefähre<br />

Mitglie<strong>der</strong>zahl: 45) im Dorf und <strong>in</strong> Ottobrunn, SPD im Dorf (20), <strong>in</strong> Ottobrunn (70), BVP<br />

(20) , Bauern- und Mittelstandspartei im Dorf (20) und Reichsbanner Schwarz- Rot-<br />

Gold (40) <strong>in</strong> Ottobrunn. 7<br />

2<br />

Chronik <strong>der</strong> SPD <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> 1996 („SPD- Chronik“), S.18<br />

3<br />

SPD- Chronik, S.12<br />

4<br />

„Neue <strong>Zeit</strong>ung“ Nr. 6, Jan 1919<br />

5<br />

GU 00/3<br />

6<br />

Bericht des Bürgermeisters von <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> aus dem Juni 1919<br />

7 SA LRA 108761


E<strong>in</strong>e KPD- Ortsgruppe wird 1931 gegründet 8 . Bei <strong>der</strong> Reichstagswahl am 5.3.1933<br />

5<br />

wählten 12 % <strong>der</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Bürger diese Partei (nur 11,7 % die SPD) 9 . Sie hat-<br />

ten u. A. e<strong>in</strong>en Erwerbslosenausschuss und die Rote Hilfe gebildet , das heißt e<strong>in</strong>e voll<br />

entwickelte Parteiorganisation. 10 Im Geme<strong>in</strong>deparlament präsent war die KPD aber erst<br />

sehr viel später: von 1946 bis 1952 stellte sie e<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at 11 .<br />

Der 1929 gewählte Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at sah jedoch noch an<strong>der</strong>s aus. In ihm waren vertreten:<br />

SPD: Wilhelm Kloiber, Erhard Süß (2 Räte) 12<br />

Bürgerliche E<strong>in</strong>heit:<br />

He<strong>in</strong>z Hoffmann, Korb<strong>in</strong>ian Stumpf, Karl Kottmüller, Johann Hacker, Jakob<br />

Hofbauer, Hans Trapp (6 Räte (?))<br />

Siedler & gleichges<strong>in</strong>nte Ortsbewohner:<br />

(5 Räte?) 13 .<br />

Josef Fenzl, Phillip Mertzlufft, Carl Stengel, Oskar Albert, Wilhelm Schmelz<br />

1. Bürgermeister war Josef Prenn, 2. Bürgermeister <strong>der</strong> Architekt Carl Stengel. Letzte-<br />

rer war <strong>in</strong> <strong>der</strong> evangelischen Geme<strong>in</strong>de aktiv, die damals erst 300 Mitglie<strong>der</strong> hatte. Er<br />

entwarf die Heilandskirche und beteiligte sich durch Spende und Darlehen an dem<br />

1938 e<strong>in</strong>geweihten Bau. 14<br />

1933 wurden zunächst KPD und SPD verboten, später mussten sich auch die an<strong>der</strong>en<br />

Parteien auflösen. Die <strong>NS</strong>DAP war also jetzt „die Partei“. Sie brachte es auf e<strong>in</strong>en Mit-<br />

glie<strong>der</strong>stand von 220 Personen. 15<br />

Und <strong>der</strong> örtliche „SA- Trupp“ (er gehörte zum „Sturm Neubiberg“) wuchs bald auf Zug-<br />

stärke an. Hitlerjugend und BDM (Bund Deutscher Mädchen) waren aktiv. 16<br />

8 SA (Staatsarchiv München) LRA 108761<br />

9 Umrechnung <strong>der</strong> Stimmenzahlen aus SPD- Chronik, S.19<br />

10 SA LRA 131699, Schutzhaftkartei, s. die angegebenen Funktionsbezeichnungen<br />

11 SPD-Chronik, S.26/27<br />

12 SPD- Chronik, S. 18, lt. <strong>der</strong> unvollständige Wahlnie<strong>der</strong>schrift hatte aber Paul Bunge 1 Stimme mehr als Süß und<br />

Hans Panzer mehr Stimmen als Kloiber. Haben beide die Wahl nicht angenommen?<br />

13 GU, GR- Protokoll Jan. 1930. Die Wahlnie<strong>der</strong>schrift im GU ist unvollständig: es geht nicht klar daraus hervor, wer<br />

gewählt wurde. Ansche<strong>in</strong>end hatten die Wähler (die Rede ist von 75+346+450 =871 abgegebenen gültigen Stimmzetteln)<br />

je 20 Stimmen zum Panaschieren. Aber Hans Trapp war nur Nr. 12 lt. <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift !?<br />

14 Volker Herbert: „1938-1988, 50 Jahre Evang.-luth. Heilandskirche <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>“<br />

15 Handakten Felzmann, undatiertes Mitglie<strong>der</strong>verzeichnis <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP Ortsgruppe<br />

16 Heimatbuch, S. 94


Gleichschaltung des Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ates<br />

6<br />

Im Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Oberbayern heißt es unter dem<br />

12.1.1933 , dass die <strong>NS</strong>DAP <strong>in</strong> Oberbayern ihre Werbetätigkeit wie<strong>der</strong> aufgenommen<br />

habe. Wörtlich dann: „Im Amtsbezirk München- Land erschöpfte sich die Tätigkeit <strong>in</strong> ei-<br />

ner Wehrsportübung des [SA-]Sturmes 5 <strong>in</strong> Stärke von 40-50 Mann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe von<br />

Feldmoch<strong>in</strong>g und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Propagandamarsch des Sturmes 25/2 und 24/2 von Fasan-<br />

garten- <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>- Taufkirchen nach Deisenhofen. An dem Propagandamarsch<br />

nahmen etwa 60 Leute <strong>in</strong> Uniform teil.“ 17<br />

Im gleichen Monat ereignete sich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die „Machtergreifung“ und stufenweise wur-<br />

den die Grundrechte außer Kraft gesetzt. [Im März] übernahm Ritter von Epp [<strong>in</strong> Bay-<br />

ern] die vollziehende Gewalt. Der neue starke Mann [aber] war Gauleiter Adolf Wagner,<br />

e<strong>in</strong> wüten<strong>der</strong> Antisemit und Fe<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Kirche ... 18 “<br />

Die letzte freie Wahl, die Reichstagswahl am 5. März 1933, hatte im Dorf schon e<strong>in</strong>en<br />

Erdrutschsieg <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- Partei erbracht, die offensichtlich für viele zum Hoffnungsträger<br />

aus Zukunftsangst und Resignation geworden war. Sie erhielt 48,6 Prozent <strong>der</strong> Stim-<br />

men. 19<br />

In <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> wird die „Machtübernahme“ von <strong>NS</strong>DAP und SA mit e<strong>in</strong>em Fackelzug-<br />

und <strong>der</strong> Zerstörung des Ebert- Denkmals- „gefeiert“ 20 .<br />

Das Dorf wird sofort von allen bekannten Kommunisten „gesäubert“: sie werden aus ih-<br />

ren Wohnungen geholt, <strong>in</strong>s Gefängnisse geworfen und im KZ Dachau gequält.<br />

Auch <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at- er besteht aus Vertretern <strong>der</strong> Listen „Bürgerliche E<strong>in</strong>heit“ und<br />

„Siedler und gleichges<strong>in</strong>nte Ortsbewohner“und 2 Sozialdemokraten- bleibt nicht untätig:<br />

Er nimmt den „freiwilligen Rücktritt“ des jüdischen SPD- Ortsvorsitzenden Süß an und<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t auch die Weiterarbeit des Ottobrunner SPD- Chefs Wilhelm Kloiber.<br />

In vorauseilendem Gehorsam beschließt die frei gewählte Volksvertretung unter Füh-<br />

rung von Bürgermeister Prenn die Umbenennung des Pitt<strong>in</strong>gerplatzes <strong>in</strong> Adolf- Hitler-<br />

Platz. Auch die Herren Gör<strong>in</strong>g, von Epp, Adolf Wagner und H<strong>in</strong>denburg werden auf<br />

Schil<strong>der</strong>n von Straßen o<strong>der</strong> Plätzen geehrt.<br />

Das s<strong>in</strong>d die letzten Entscheidungen des freien Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ates. Die Nazis s<strong>in</strong>d nicht<br />

mehr zu bremsen. Mit dem Gesetz zur Gleichschaltung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> mit dem Reich neh-<br />

men sie sich das Recht heraus, putschartig <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>dedemokratie e<strong>in</strong>zugreifen.<br />

Man verlangt die Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äte entsprechen <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Reichstagswahl vom<br />

5.3.1933 „umzubesetzen“. „Marxistischen Parteien“ (SPD, KPD usw) wurde die Mitwir-<br />

17 HA, MA 106670<br />

18 Friedrich Pr<strong>in</strong>z: „Die Geschichte Bayerns“ München1997, S.411<br />

19 Manfred Bialucha: „Streiflichter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e dunkle <strong>Zeit</strong>“, Eigenverlag Landkreis München 1979 S.14<br />

20 SPD- Chronik, S.21


kung generell verboten. Der alte, noch aus zwei Gruppierungen zusammengesetzte<br />

7<br />

Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at wird <strong>in</strong> die Wüste geschickt und durch neue (nicht gewählte) Männer aus<br />

nur 2 Parteien ersetzt. Dabei billigte <strong>NS</strong>DAP sich selbst 6 Mandate zu und gewährte<br />

<strong>der</strong> BVP (e<strong>in</strong>stweilen) 4 Sitze.<br />

Die Nazis bestimmten jetzt auch, wer 1. Bürgermeister zu se<strong>in</strong> hat. Der gewählte Bür-<br />

germeister, Josef Prenn, wird se<strong>in</strong>es Amtes beraubt und <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppenlei-<br />

ter Dr. Fladt auf den Schild gehoben.<br />

Prenn reagiert auf diesen Gesetzesbruch <strong>in</strong>dem er mit Nummer 1 928 995 selbst Mit-<br />

glied <strong>der</strong> Nazi- Partei wird und als Zweiter Bürgermeister se<strong>in</strong>en Dienst versieht. Es sei<br />

erwähnt, dass beispielsweise Bürgermeister Josef Beil <strong>in</strong> Sauerlach an<strong>der</strong>s entschied:<br />

er verzichtete auf das Amt, als man ihn vor die Wahl stellte „<strong>der</strong> Partei bei- o<strong>der</strong> zurück-<br />

zutreten“! 21<br />

Schon wenige Wochen später endet die „große Koalition“: die <strong>NS</strong>DAP beansprucht die<br />

ganze Macht und vollendet im Sommer 1933 auf Dorfebene ihre Alle<strong>in</strong>herrschaft, <strong>in</strong>dem<br />

sie die 4 BVP- Vertreter durch eigene „Parteigenossen“ (PG) ersetzt.<br />

Am 3.1.1935 sendet Josef Prenn, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen wie<strong>der</strong> zum 1. Bürgermeister aufge-<br />

rückt ist, e<strong>in</strong>e Liste <strong>der</strong> auf Dorfebene ausgewählten Parteigenossen mit <strong>der</strong> Bitte um<br />

Bestätigung als Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äte zur <strong>NS</strong>-Kreisleitung nach München. Bei <strong>der</strong> Gelegenheit<br />

wird nach neuen Bestimmungen die Zahl <strong>der</strong>- nur noch beratend tätigen- Räte von 7<br />

auf 12 erhöht.<br />

Der Hitlerdiktatur gel<strong>in</strong>gt auch die politische Gleichschaltung <strong>der</strong> Bevölkerung: Rudolf<br />

Felzmann berichtet über das Abstimmungsverhalten <strong>der</strong> Bürger <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s im Jahr<br />

1934. Damals stimmten 2418 Bürger dafür und 264 (=10 Prozent) dagegen, dass Hitler<br />

Reichspräsident und zugleich Kanzler wird, wobei „die Partei“ für e<strong>in</strong>e 99,8- prozentige<br />

Wahlbeteiligung gesorgt hatte. Lediglich 7 von 2762 Wahlberechtigten hatten nicht an<br />

<strong>der</strong> Abstimmung teilgenommen!<br />

21 Sauerlach, das Tor zum Bayerischen Oberland, Heimatbuch, Sauerlach 2000


8<br />

Stimmzettel und H<strong>in</strong>weise <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP zur Wahl am 12.11.1933<br />

Dann heißt es im Heimatbuch: „Wie sehr die nationalsozialistische Bewegung die Wäh-<br />

lermassen zu fasz<strong>in</strong>ieren wusste, zeigt auch die [endgültig] letzte Reichstagswahl vom<br />

10.4.1938: Inklusive Ottobrunn stimmten 3050 für und 4 [=1,3 Promille] gegen die<br />

[<strong>NS</strong>-] Wahlvorschlagsliste 22 “.<br />

Bürgermeister Fladt<br />

„Dr. Wilhelm Leonhardt, genannt Fladt [nach se<strong>in</strong>en Pflegeeltern], geb. am 19.7.1889 <strong>in</strong><br />

Sao Paulo/ Brasilien, war 1926 bayrischer Staatsangehöriger geworden und hatte sich<br />

22 <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, e<strong>in</strong> Heimatbuch, S. 96


<strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> als Zahnarzt nie<strong>der</strong>gelassen. Er trat 1931 <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP bei und wurde<br />

bald Ortsgruppenführer“ 23 . Die Gründung des Ortsvere<strong>in</strong>s war 1925 erfolgt 24 .<br />

Im April1933 kürt <strong>der</strong> aus Mitglie<strong>der</strong>n von <strong>NS</strong>DAP und BVP bestehende Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at<br />

9<br />

Dr. Fladt zum Ersten Bürgermeister. Am 9. November wird er mit allen Bürgermeistern<br />

<strong>der</strong> bayrischen Geme<strong>in</strong>den vor <strong>der</strong> Feldherrnhalle <strong>in</strong> München vereidigt.<br />

E<strong>in</strong>e Wahl mit fatalen Folgen: Der Bauunternehmers Ludwig Bayer erstattet bereits<br />

zwei Monate nach <strong>der</strong> Wahl Anzeige bei <strong>der</strong> „Politischen Polizei“ gegen Dr. Fladt we-<br />

gen Beleidigung: Bayer war unzufrieden mit Bauarbeitern, die ihm <strong>der</strong> Zweite Bürger-<br />

meister Prenn zugewiesen hatte. Fladt ließ kurzerhand die Arbeiten e<strong>in</strong>stellen, drohte<br />

dem Bauunternehmer mit „Dachau“ und nannte ihn „e<strong>in</strong>en Lackl und unehrlichen Men-<br />

schen“. 25 .<br />

Im Juli 1933 folgte e<strong>in</strong>e Anzeige gegen Dr. Fladt und gegen neun SA- Männer wegen<br />

Körperverletzung: In e<strong>in</strong>er Wirtschaft hatte <strong>der</strong> betrunkene SA- Mann H. Radau ge-<br />

macht und über Bürgermeister Fladt geschimpft, weil er se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zu wenig<br />

Unterstützung für se<strong>in</strong>e 8 K<strong>in</strong><strong>der</strong> erhalte. Er lies sich durch gutes Zureden nicht beruhi-<br />

gen; da versuchte e<strong>in</strong> Handwerksmeister ihn durch e<strong>in</strong>e Backpfeife zur Raison zu br<strong>in</strong>-<br />

gen. Stunden später holen SA- Leute den Meister aus dem Bett und schlugen ihn brutal<br />

zusammen. 26<br />

Anfang August zeigte die Gendarmeriestation (1933 war die Polizei noch nicht He<strong>in</strong>rich<br />

Himmler unterstellt!) den Bürgermeister an, weil er die Schutzleute „Waschlappen und<br />

Feigl<strong>in</strong>ge“ genannt hatte. Kurz darauf entzog die Landkrankenkasse München Dr. Fladt<br />

die Zulassung für se<strong>in</strong>e Zahnarztpraxis, da er nicht erbrachte Leistungen abgerechnet<br />

hatte. Geschäftsführer <strong>der</strong> Landkrankenkasse war e<strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Landwirt und<br />

PG. Dieser beschwerte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge, dass „Dr. Fladt mich immer angreift und mit<br />

Dachau droht“ und gibt an: „In <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> hat je<strong>der</strong> für se<strong>in</strong> Leben zu fürchten.“ 27<br />

Nach <strong>der</strong> Praxissperrung schlug die SA- Führung 28 vor, die Gauleitung solle Fladt als<br />

Ortsgruppenleiter und Bürgermeister entlassen. Der Gauleiter tut dies auch, entsendet<br />

aber dann den Stellv. Kreisleiter Trepte nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, um „die ganzen Angriffe<br />

gegen Dr. Fladt nochmals e<strong>in</strong>gehend nachzuprüfen“. Trepte versammelt die Parteimit-<br />

glie<strong>der</strong> um sich, wobei er for<strong>der</strong>t: „Es darf auch ke<strong>in</strong>en geben, <strong>der</strong> mit irgend e<strong>in</strong>er An-<br />

schuldigung h<strong>in</strong>ter dem Berge hält, denn es ist Pflicht unter Kameraden, sich offen aus-<br />

zusprechen.“ Nach längerem H<strong>in</strong> und Her und erst auf wie<strong>der</strong>holte Auffor<strong>der</strong>ung des<br />

Pg. Trepte, äußert sich <strong>der</strong> Pg. Meyer: „Me<strong>in</strong>e Anschuldigungen gegen Dr. Fladt,<br />

23<br />

SPD- Chronik, S.21<br />

24<br />

GU, Amtsblatt vom 2.11.1935<br />

25<br />

SA, LRA 17853<br />

26<br />

SA, o.a.O. Die SA<br />

27<br />

SA, o.a.O.<br />

28<br />

Röhm hatte bis 1936 noch die Oberhand gegenüber <strong>der</strong> SS Himmlers, die danach abgetrennt wurde


10<br />

hauptsächlich wegen me<strong>in</strong>er Familie s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>art groß, dass ich sie von Gerichts wegen<br />

weiter untersuchen lassen werde ... Es ist Sache genug, wenn man mich immer im<br />

Schmutz herumgezogen hat, dass ich e<strong>in</strong> Betrüger und Verleum<strong>der</strong> b<strong>in</strong>“ ...<br />

Danach kommen zur Sprache Streitsachen des OGL mit dem Bürgermeister von Tauf-<br />

kirchen (dem Ersterer Unfähigkeit vorwarf) und mit dem SA- Führer von Neubiberg.<br />

Ferner geht es um die Berechtigung für die Sperrung e<strong>in</strong>es Geschäftes und e<strong>in</strong>er Wirt-<br />

schaft. E<strong>in</strong> Bauer beklagt, das die Landwirte vom OGL wegen e<strong>in</strong>er Milchpreiserhöhung<br />

als Blutsauger beschimpft wurden.<br />

Pg. Trepte versucht die Streitpunkte als unwesentlich h<strong>in</strong>zustellen und schließt mit den<br />

Worten: „Wir haben das Wesentliche beendet ... Pochen Sie sich an die Brust und be-<br />

denken Sie, was unser Führer geleistet hat und wie oft er h<strong>in</strong>tan gesetzt wurde und<br />

nicht von <strong>der</strong> Stange gewichen ist und wenn wir ihn nicht hätten, wer weiß, wie es uns<br />

gegangen wäre.. Dass Dr. Fladt für den Sieg des Guten und Edlen arbeitet, ist heute<br />

vollständig unbestritten geblieben ...“<br />

Kurze <strong>Zeit</strong> nach dieser Krisensitzung trifft sich die „gleichgeschaltete“ Geme<strong>in</strong>devertre-<br />

tung und „spricht dem ersten Bürgermeister se<strong>in</strong> volles une<strong>in</strong>geschränktes Vertrauen<br />

aus“. Unter Führung des Zweiten Bürgermeisters Prenn hatte <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at zuvor<br />

schon für Dr. Fladt geworben und auf dessen soziales Handeln h<strong>in</strong>gewiesen: Er habe<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Volksschule und Johannisheim kostenlos untersucht.<br />

Da die Kassenzulassung des Dr. Fladt gesperrt wurde und er sich selbst als „vollstän-<br />

dig verarmt“ bezeichnete, zahlte ihm die Geme<strong>in</strong>de nun monatlich 150 RM Gehalt und<br />

100 RM Aufwandsentschädigung. Wegen dieses Zugeständnisses führten jedoch e<strong>in</strong>-<br />

zelne Geme<strong>in</strong>debürger Beschwerde bei <strong>der</strong> Kreisleitung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP. Der Zweite Bür-<br />

germeister Prenn spr<strong>in</strong>gt wie<strong>der</strong> für Dr. Fladt <strong>in</strong> die Breche und argumentiert, dass die<br />

Verwaltungskosten <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de trotz <strong>der</strong> Zahlungen immer noch unter denen ver-<br />

gleichbarer Geme<strong>in</strong>den lägen.<br />

Im März 1934 waren <strong>der</strong> Führer Adolf Hitler und zahlreiche M<strong>in</strong>ister nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

und Taufkirchen gekommen, um mit großer Geste den Auftakt für den Bau <strong>der</strong> Auto-<br />

bahn München- Salzburg zu geben. - E<strong>in</strong>ige Wochen später wandte sich die Kant<strong>in</strong>en-<br />

wirt<strong>in</strong> Stiedel aus Ottobrunn, die zusammen mit ihrem Ehemann acht K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu versor-<br />

gen hatte, an M<strong>in</strong>ister Goebbels mit <strong>der</strong> Beschwerde, Dr. Fladt habe zwei Kioske auf<br />

<strong>der</strong> Autobahnbaustelle genehmigt, die ihr starke Konkurrenz machten. Es wurde <strong>in</strong> Ber-<br />

l<strong>in</strong> festgestellt, dass <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff des Bürgermeisters unzulässig war und dass für Abhilfe<br />

im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Kant<strong>in</strong>enwirt<strong>in</strong> zu sorgen sei.


11<br />

Dr. Fladt wurde im April 1934 wegen „fortgesetztem Betrug“ hart, nämlich zu vier Mona-<br />

ten Gefängnis bestraft. Er hatte zahnärztliche Leistungen für e<strong>in</strong>en Schre<strong>in</strong>er auf den<br />

Krankensche<strong>in</strong>e von dessen Eltern abgerechnet. Die Strafe wird ihm aber gegen Zah-<br />

lung von 300 Mark und Schadenersatz „bed<strong>in</strong>gt erlassen“.<br />

Im Juni 1934 erstellte <strong>der</strong> ortsansässige Sanitätsstandartenführer, PG und Blutordens-<br />

träger Dr. Furch e<strong>in</strong> ärztliches Attest, <strong>in</strong> dem er diagnostizierte, Dr. Fladt sei <strong>in</strong>folge ei-<br />

nes Herzklappenfehlers arbeitsunfähig 29 . Vier Monate später endete dieses Kapitel <strong>der</strong><br />

Ortsgeschichte, denn Dr. Fladt „zog ohne Abschied am 1. Oktober nach Obernzell bei<br />

Passau 30 .“<br />

Bürgermeister Prenn<br />

Der Landwirt Josef Prenn (1879- 1975) gehörte von 1906 bis 1919 dem „Geme<strong>in</strong>deaus-<br />

schuss“ an, dem Vorgänger des Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ates. Er verwaltete jahrelang ehrenamtlich<br />

mehrere Kassen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de (Geme<strong>in</strong>dekasse, Wasserleitungskasse und Schulkas-<br />

se). 31 Kurz nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>der</strong> Räterepublik, im Juni 1919, wurde er von den<br />

E<strong>in</strong>wohnern zum Bürgermeister gewählt.<br />

Zu se<strong>in</strong>en ersten Aufgaben gehörte die Berichterstattung über die Revolutionsereignis-<br />

se im Dorf für den Chef <strong>der</strong> Regierung von Oberbayern Ritter von Kahr. Prenn erledigt<br />

dies <strong>in</strong> völlig e<strong>in</strong>seitiger Weise unter <strong>der</strong> Überschrift „Räte- und Kommunistenherr-<br />

schaft“. Die Sozialdemokraten, die damals den Arbeiter- und Bauernrat bestimmten, dif-<br />

famiert er pauschal als Kommunisten und Terroristen. Die Ermordung von 4 Geme<strong>in</strong>de-<br />

bürgern durch rechtsradikale Freikorpskämpfer bezeichnet er herzlos als „Unschädlich-<br />

machung“.<br />

Prenns Wirken als Dorfoberhaupt wird von <strong>der</strong> Bürgerschaft goutiert, so dass sie ihn bei<br />

den Kommunalwahlen 1924 und 1929 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Position bestätigen.<br />

Die „Machtergreifung“ im Jahr 1933 führte, wie beschrieben, dazu, dass die Nationalso-<br />

zialisten den Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at für sich okkupierten und für ihren Ortsgruppenleiter Dr. Fladt<br />

den Posten des Ersten Bürgermeisters beanspruchten. Um Zweiter Bürgermeister zu<br />

werden, entschließt sich Prenn aus dem Bayerischen Bauernbund aus- und <strong>in</strong> die <strong>NS</strong>D-<br />

AP e<strong>in</strong>zutreten. Damit tut er <strong>der</strong> „Partei“ e<strong>in</strong>en großen Gefallen, die sich natürlich freut,<br />

dass <strong>der</strong> tüchtige und beliebte Altbürgermeister <strong>in</strong> ihre Reihen tritt.<br />

Dies gilt beson<strong>der</strong>s auch für die Folgezeit. Denn die <strong>NS</strong>DAP ist <strong>in</strong> Verlegenheit als nur<br />

e<strong>in</strong> Jahr später, nach zahlreichen Skandalen Dr. Fladt zurücktritt und dem Dorf den<br />

Rücken kehrt. Nun läßt sich Josef Prenn vom Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at wie<strong>der</strong> zum Ersten Bürger-<br />

29 SA o.a.O.<br />

30 SPD- Chronik, S.21<br />

31 SA, LRA 108812, Visitationen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> 1904-1935


12<br />

meister ausrufen. Der neue <strong>NS</strong>- Ortsgruppenleiter Schnei<strong>der</strong> wird Zweiter Bürgermeis-<br />

ter.<br />

Zur Amtse<strong>in</strong>führung Prenns richtet das Bezirksamt und die <strong>NS</strong>-Kreisleitung e<strong>in</strong>e Feier<br />

aus. Nach den Ansprachen heißt es: „Der neue und alte 1. Bürgermeister dankte hier-<br />

auf <strong>in</strong> sichtlich bewegten Worten für das ihm von <strong>der</strong> Bewegung und von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de<br />

entgegengebrachte Vertrauen und er gab <strong>der</strong> Versicherung Ausdruck, dass er im S<strong>in</strong>ne<br />

des Führers und <strong>der</strong> hohen ethischen Verpflichtung des Eides <strong>der</strong> treue Sachwalter <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>de se<strong>in</strong> werde. Er stellte fest, dass die Geme<strong>in</strong>de im W<strong>in</strong>ter 1932/33 vor dem fi-<br />

nanziellen Zusammenbruch gestanden habe und nur <strong>der</strong> von Gott gesandte Führer<br />

habe es vermocht, <strong>der</strong> Misswirtschaft des früheren Systems mit starker Faust e<strong>in</strong> Ende<br />

zu bereiten. So könne die Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Zuversicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Epoche se<strong>in</strong>er(!) Ge-<br />

schichte h<strong>in</strong>überblicken...“ „Der Schluss klang <strong>in</strong> das(!) Gelöbnis aus, dem Führer und<br />

dem Volke unverbrüchlich die Treue zu halten und die aus ehrlichem Herzen entsprun-<br />

genen Glückwünsche <strong>der</strong> Anwesenden bekräftigten das Gefühl, dass die Worte auf<br />

fruchtbaren Boden gefallen s<strong>in</strong>d.“ 32<br />

Parteigenosse Prenn leitet nun also- unter <strong>der</strong> politischen Kontrolle <strong>der</strong> „Partei“ mit ih-<br />

ren zahlreichen örtlichen und überörtlichen Repräsentanten- die Geschicke Unterha-<br />

ch<strong>in</strong>gs.<br />

Im Mai 1934 hatte sich Prenn, damals noch als Zweiter Bürgermeister, e<strong>in</strong>er unange-<br />

nehmen Aufgabe gestellt: Die Geme<strong>in</strong>de soll 8000 Mark Unterstützungsgel<strong>der</strong> an das<br />

Arbeitsamt zurückzahlen, die Kasse ist aber leer, da <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> für e<strong>in</strong>e neue Volks-<br />

schule 225 000 Mark ausgegeben hat.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> ungünstigen Wirtschaftsentwicklung hat sich außerdem zwischen 1930<br />

und 1932 die Zahl <strong>der</strong> „Wohlfahrtserwerbslosen“, die von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de unterstützt<br />

werden, von 0 auf 120 erhöht. <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> muß nun 68 % ihrer Ausgaben für Fürsor-<br />

geleistungen aufwenden.<br />

Prenn schil<strong>der</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an das Arbeitsamt <strong>in</strong> drastischen Worten, dass die Hilfs-<br />

appelle an verschiedene „Staatsbehörden“ vergeblich waren und dass <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

die Ausgaben für Notstandsarbeiten zur Arbeitsbeschaffung (hauptsächlich Wasserlei-<br />

tungs- und Straßenbaumaßnahmen) e<strong>in</strong>geschränkt werden mussten und Anträge auf<br />

„Wohlfahrtserwerbslosenunterstützung“ nur noch <strong>in</strong> den dr<strong>in</strong>gendsten Fällen positiv ent-<br />

schieden werden können.<br />

Prenn vermutet, radikale Elemente, welche er im Erwerbslosenausschuss <strong>der</strong> örtlichen<br />

KPD zu erkennen glaubt, hätten die notleidende Arbeiterschaft gegen ihn aufgehetzt.<br />

Das deckt sich mit dem Halbmonatsbericht des Regierungspräsidiums von Oberbayern<br />

vom 12.1.1933 <strong>in</strong> dem es heißt: „Der Kommunismus versteht es, die bestehende trost-<br />

lose Lage <strong>der</strong> Landwirtschaft gut zu nutzen... In Erwerbslosenversammlungen wird ge-<br />

32 GU, Protokoll <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atssitzung vom 15.11.1934


13<br />

for<strong>der</strong>t, Ausschüsse von Erwerbslosen sollten die For<strong>der</strong>ungen an den maßgebenden<br />

Stellen vertreten. E<strong>in</strong>zelne Diskussionsteilnehmer kritisierten noch lebhaft das Verhal-<br />

ten verschiedener Bürgermeister und das mangelnde Verständnis für die Not <strong>der</strong> Er-<br />

werbslosen. 33<br />

Bürgermeister Prenn schreibt: „Der Höhepunkt <strong>der</strong> Verhetzung wurde am 28.8.32 er-<br />

reicht, dem Auszahlungstag <strong>der</strong> Erwerbslosen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Turnhalle zu <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, an<br />

welchem Tage die erste Kürzung <strong>der</strong> Unterstützung erfolgte. Der Unterzeichnete wurde<br />

von <strong>der</strong> Straße weggeholt <strong>in</strong> die Turnhalle, wo cirka 400 Erwerbslose versammelt wa-<br />

ren, mit Sprechchören wie >Hunger- Arbeit- Brot< empfangen u. musste unter dieser<br />

aufgehetzten Menge Rede u. Antwort stehen, was die Geme<strong>in</strong>de zur L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Not<br />

zu tun gedenkt.“ 34<br />

Auch <strong>in</strong> Taufkirchen kam es zu Protesten <strong>der</strong> Arbeitslosen, die von e<strong>in</strong>em „Überfallkom-<br />

mando“ beendet wurden. 35<br />

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen <strong>der</strong> Hitler- Regierung zeitigten schnell positive<br />

Wirkungen; die Arbeitslosigkeit sank <strong>in</strong> Bayern von 6,5 % 1932 auf 3 % <strong>in</strong> 1934. 36 In ei-<br />

nem Brief <strong>der</strong> Kreisleitung München- Ost <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP an Innenm<strong>in</strong>ister Wagner vom<br />

Herbst 1933 wird e<strong>in</strong> schneller Erfolg <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> allerd<strong>in</strong>gs noch dem Wirken des<br />

umstrittenen Bürgermeisters Fladt gutgeschrieben und behauptet, dieser hätte zwi-<br />

schen März und Oktober 1933 die Zahl <strong>der</strong> Arbeitslosen von 400 auf 200 halbiert. 37<br />

Wie beschrieben ist Prenn ab November 1934 wie<strong>der</strong> 1. Bürgermeister. Er hat den Ge-<br />

me<strong>in</strong><strong>der</strong>at jetzt nach dem Führerpr<strong>in</strong>zip zu leiten- die Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äte haben nur noch<br />

beratende Funktion. So beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Beschluss nun z. B. jetzt mit <strong>der</strong> Klausel: „Nach<br />

Beratung mit den Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äten beschließt <strong>der</strong> Bürgermeister vorbehaltlich <strong>der</strong> Zu-<br />

stimmung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP und <strong>der</strong> Genehmigung <strong>der</strong> Aufsichtsbehörde“.<br />

Schon im folgenden Jahr gibt Bürgermeister Prenn bei verbesserter Kassenlage be-<br />

kannt, dass <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten wie<strong>der</strong> geöffnet wird. 38<br />

Im November 1935 gibt es <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> ke<strong>in</strong>e Arbeitslosen mehr, bis auf die weni-<br />

gen „Volksgenossen, die wegen beschränkter Arbeitsfähigkeit noch nicht vermittelt wer-<br />

den konnten.“ 39<br />

33 HA, MA 106670<br />

34 Handakten Felzmann, Briefdurchschlag vom 28.5.1934 an das Arbeitsamt München<br />

35 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentliches Manuskript<br />

36 Rumschöttel, Ziegler (Hrsg) „Staat und Gaue <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong>, Bayern 1933- 1945“ Beck, München 2004<br />

37 SA, LRA 17853<br />

38 GU, Amtsblatt vom 2.11.1935<br />

39 wie vor


14<br />

Im E<strong>in</strong>klang mit <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-Rassenideologie schlägt <strong>der</strong> Bürgermeister im Jahr 1936 vor,<br />

e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach „vollkommen geistesgestörte“ Frau zu sterilisieren. 40<br />

Im Februar 1937 ersche<strong>in</strong>t Pg. Sprenger, <strong>der</strong> Beauftragter <strong>der</strong> Kreisleitung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP,<br />

<strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, da die Amtszeit von Bürgermeister Prenns zu Ende geht. Nachdem<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at se<strong>in</strong>e „volle Zufriedenheit mit <strong>der</strong> Amtsführung des bisherigen Bürger-<br />

meisters“ zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt, hat auch die Kreisleitung ke<strong>in</strong>e Bedenken gegen e<strong>in</strong>e<br />

erneute Beauftragung Prenns. Sie macht aber unmissverständlich klar, dass <strong>der</strong> Bür-<br />

germeister bei se<strong>in</strong>er Arbeit stets „nationalsozialistische Grundsätze“ zu beachten<br />

habe 41 . Demgemäß lauten dann z. B. e<strong>in</strong>e Entschließung des Bürgermeisters: „Der <strong>NS</strong>-<br />

DAP ... wird vom 1. August 1938 an das Obergeschoss des Geme<strong>in</strong>deanwesens Haus<br />

Nr. 3 ½ kostenlos zur Verfügung gestellt“ 42 .<br />

Im August 1939 wird Josef Prenn 60 Jahre alt. Die Partei lässt sich die Gelegenheit<br />

nicht entgehen, den beliebten Bürgermeister zu feiern. Der Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Son<strong>der</strong>sitzung vom Ortsgruppenleiter Bock, dem Bürgermeisterstellvertreter Schnei<strong>der</strong><br />

und dem 1. Beigeordneten Dr. Furch mit dem zuvor gefassten Beschluss vertraut ge-<br />

macht, dass „die bisherige Kirchenstraße umbenannt wird <strong>in</strong> Bürgermeister- Prenn-<br />

Straße. Ferner wird Herrn Bürgermeister Prenn <strong>in</strong> Anerkennung se<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en<br />

Verdienste um die Geme<strong>in</strong>de … das Ehrenbürgerrecht verliehen.“<br />

Die Bevölkerung erfährt die Neuigkeit dann durch das Geme<strong>in</strong>deblatt, <strong>in</strong> dem es erläu-<br />

ternd heißt: „Im engeren Rahmen fanden sich ... Männer von Partei, Staat und Wehr-<br />

macht zu e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Feier zusammen. Nach e<strong>in</strong>leiten<strong>der</strong> Musik ergriff Kreis<strong>in</strong>spek-<br />

teur Pg. Hackenberger des Kreises München das Wort. Er streifte die großen Verdiens-<br />

te des Jubilars und überreichte demselben im Auftrage des Kreisleiters e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Le<strong>der</strong><br />

gebundene Ausgabe des Werkes unseres Führers >Me<strong>in</strong> KampfBürgermeister-<br />

Prenn- Strasse< zeigten am Ehrentage reichen Flaggenschmuck 43 .“<br />

Es wurde stets gut darauf geachtet, das Prenn Politik „im S<strong>in</strong>ne des Führers“ machte.<br />

Als er dann e<strong>in</strong>mal an e<strong>in</strong>er Fronleichnamsprozession teilnahm, musste er sich im<br />

Münchner Rathaus e<strong>in</strong>en Rüffel <strong>der</strong> Partei abholen. 44<br />

40 SA, Gesundheitsämter 5077<br />

41 GU Beschlussbuch, Sitzung vom 22.2.1937, 1935 werden alle Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äte Beamte (ohne Bezüge),<br />

seit 1936 werden Ersatzleute für den Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at, z. B. wenn jemand wegzieht, durch die Kreisleitung<br />

bestimmt<br />

42 GU, GR v.22.7.1938<br />

43 GU, Amtsblatt vom 5.8.1939<br />

44 DA, Fragebogen B, Nationals. Verfolgung kath. Laien, <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, St. Korb<strong>in</strong>ian


Am 1. September 1939 löste das <strong>NS</strong>- Regime den Zweiten Weltkrieg aus, <strong>in</strong> dessen<br />

Verlauf dann die Amtszeit <strong>der</strong> Mandatsträger unbefristet verlängert wurde. Bis 1945<br />

wurde nun alles den Erfor<strong>der</strong>nissen des Krieges untergeordnet und zentral geregelt.<br />

Beschlüsse <strong>der</strong> Bürgermeister waren offenbar kaum noch gefragt.<br />

1940 und 1941 werden Kriegsgefangene im Dorf untergebracht und zur Arbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

15<br />

Landwirtschaft und bei <strong>der</strong> Reichsbahn e<strong>in</strong>geteilt. Im Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at gibt es wegen E<strong>in</strong>-<br />

berufungen und Umzügen häufige Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

Die Geme<strong>in</strong>deverwaltung ist während <strong>der</strong> Dauer des Krieges stark beschäftigt, die Ver-<br />

teilung von Lebensmitteln und Brennstoffen aber z. B. auch von Baustoffen für die Re-<br />

paratur von „Fliegerschäden“ über Bezugssche<strong>in</strong>e zu organisieren.<br />

Bei Kriegsende wird plötzlich <strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Weise über das Geme<strong>in</strong>deoberhaupt berichtet:<br />

„[Der E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> Amerikaner] vollzog sich am 1. Mai, 9 Uhr vormittags, <strong>in</strong> aller<br />

Ruhe. Herr Bürgermeister Josef Prenn... hat alles daran gesetzt, dass <strong>der</strong> Volkssturm<br />

ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>stand leistete, dass die Panzersperren entfernt wurden...“ 45<br />

Mehr über Josef Prenn im Kapitel Neubeg<strong>in</strong>n.<br />

Hier noch e<strong>in</strong> Blick auf die Stellvertretung des Bürgermeisters: Die Partei führte 1935<br />

anstelle des 2. Bürgermeisters zwei Stellvertreter e<strong>in</strong>, die aber nur noch „Beigeordnete“<br />

genannt wurden. Anstelle von Otto Schnei<strong>der</strong> wurde <strong>der</strong> praktische Arzt Dr. Erich Furch<br />

erster Stellvertreter; als 2. Beigeordneter fungierte Georg Herrmann.<br />

Erich Furch war 1894 <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen geboren worden und 1933 nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> die<br />

Sommerstrasse gezogen. Schon 1923 und dann wie<strong>der</strong> seit 1930 war er Mitglied <strong>der</strong><br />

<strong>NS</strong>DAP. In <strong>der</strong> SA wurde er Standartenführer. Als studentischer Sanitäter hatte er<br />

beim „Marsch auf die Feldherrnhalle“ <strong>in</strong> Bereitschaft gestanden, was ihm den „Blutor-<br />

den“ e<strong>in</strong>brachte.<br />

Im 2. Weltkrieg diente er als Feldarzt. Bei Kriegende beschlagnahmte die US- Armee<br />

se<strong>in</strong> Haus. Er musste fast 3 Jahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Internierungslager verbr<strong>in</strong>gen. Er wurde im<br />

Spruchkammerverfahren als „m<strong>in</strong><strong>der</strong>belastet“ e<strong>in</strong>gestuft- und damit erstaunlicherweise<br />

schlechter bewertet als <strong>der</strong> Bürgermeister- und mit e<strong>in</strong>er Sühneleistung von 2000 RM<br />

bestraft.<br />

Die Landpolizei hatte über ihn geurteilt, Dr. Furch habe den beim Bombenangriff auf<br />

den Marxhof verletzten Ordensschwestern unter E<strong>in</strong>satz se<strong>in</strong>es Lebens Erste Hilfe ge-<br />

leistet. Er sei aber e<strong>in</strong> Fanatiker gewesen, <strong>der</strong> bis zum Schluss an den Endsieg ge-<br />

glaubt habe. 46<br />

45 Peter Pfister (Hrsg.): „Die Kriegs- und E<strong>in</strong>marschberichte“, Verlag Schnell und St. Regensburg, 2005<br />

46 SA, Spruchkammerakten, Karton 474, Erich Furch


Die Ortsgruppenleiter<br />

16<br />

Es gab <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>en außergewöhnlich häufigen Wechsel <strong>der</strong> Ortsgruppenlei-<br />

ter. Verursacht wurde das durch Umzüge, E<strong>in</strong>berufungen zum Kriegsdienst aber auch<br />

wohl, weil die Kreisleitung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP gelegentlich unzufrieden war mit <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong><br />

von ihr e<strong>in</strong>gesetzten PG. Die meiste <strong>Zeit</strong> über war <strong>der</strong> OGL im Dorf auch für den Orts-<br />

teil Ottobrunn und für Taufkirchen zuständig, manchmal gab es dort aber auch eigene<br />

Parteichefs.<br />

Die ersten Ortsparteichefs waren Hauptmann a. D. Luzian Igel im Dorf und Rudolf<br />

We<strong>in</strong>beer <strong>in</strong> Ottobrunn (schon bei <strong>der</strong> Gründung 1925?). Ansonsten ist nur bekannt,<br />

dass Luzian Igel vor 1932 durch Dr. Feld abgelöst wurde.<br />

In <strong>der</strong> folgenden Tabelle s<strong>in</strong>d Angaben über die OGL <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> ab 1932 e<strong>in</strong>-<br />

schließlich <strong>der</strong> E<strong>in</strong>gruppierung <strong>in</strong> den späteren Entnazifizierungsverfahren (soweit fest-<br />

stellbar) zusammengefasst.<br />

<strong>Zeit</strong>raum<br />

etwa ´32- 6.´34<br />

10.34 – 4.35<br />

5.35 – 12.36<br />

1.37 - 8.39<br />

1.40 – 5.44<br />

6.44 – 7.44<br />

8.44 – 4.45<br />

Name<br />

Wilhelm Fladt<br />

Otto Schnei<strong>der</strong><br />

Hans Horn<br />

Max Brock<br />

Anton Kandler<br />

Georg Müller<br />

Otto Veit<br />

Beruf<br />

Zahnarzt<br />

Inspektor<br />

Zollrat a. D.<br />

Händler<br />

Glaser<br />

Schre<strong>in</strong>er<br />

Gruppe/Bezeichnung<br />

IV Mitläufer<br />

IV Mitläufer<br />

III M<strong>in</strong><strong>der</strong>belasteter<br />

IV Mitläufer<br />

II Belasteter<br />

Die Dokumente, die über das Wirken <strong>der</strong> OGL berichten, s<strong>in</strong>d nicht sehr zahlreich. Die<br />

meisten Informationen stammen aus den Entnazifizierungs- o<strong>der</strong> Spruchkammerakten.<br />

Hier s<strong>in</strong>d naturgemäß nur Angaben über mögliche strafwürdige Handlungen und ande-<br />

rerseits entlastende Erklärungen, im Volksmund „Persilsche<strong>in</strong>e“ genannt, enthalten.<br />

Im Falle des Wilhelm Fladt (s. o.) gibt es zusätzlich e<strong>in</strong>igen Schriftverkehr, da er gleich-<br />

zeitig Bürgermeister war und Schreiben wegen se<strong>in</strong>er vielen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Personen anfielen.


Die <strong>NS</strong>DAP-Kreisleitung setzte Otto Schnei<strong>der</strong> als Nachfolger des Dr. Fladt e<strong>in</strong>.<br />

17<br />

Schnei<strong>der</strong>, geb. am 1.11.1889 <strong>in</strong> München, nahm am Ersten Weltkrieg von Anfang bis<br />

zum Schluss teil. In se<strong>in</strong>em Lebenslauf schreibt er: „Im Jahr 1920 hörte ich zum ersten<br />

Mal unseren Führer Adolf Hitler sprechen und nun wusste ich, woh<strong>in</strong> ich gehöre. Ich<br />

kam von Hitler nicht mehr los.“<br />

<strong>NS</strong>DAP- Mitglied war er <strong>in</strong> den Jahren 1921-23 und 1932-45. Im Entnazifizierungsver-<br />

fahren gab <strong>der</strong> Nachkriegsbürgermeister Sedlmeyer zu Protokoll: „ Schnei<strong>der</strong> spielte<br />

sich als OGL groß auf. Er war wegen se<strong>in</strong>er Drohungen gefürchtet.“ Er lebte von 1927<br />

bis 1940 <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>. Dann zog er nach München, wo er <strong>in</strong> Untergies<strong>in</strong>g nochmals<br />

2 Jahre lang e<strong>in</strong>e Ortsgruppe leitete.<br />

Zunächst schlechter e<strong>in</strong>gruppiert, wurde er 1949, nach zweijähriger Internierung <strong>in</strong><br />

Dachau und Moosburg schließlich <strong>in</strong> die Gruppe <strong>der</strong> Mitläufer e<strong>in</strong>gereiht und musste<br />

200 DM Sühneleistung aufbr<strong>in</strong>gen. 47<br />

Die <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> war 1934 bereits stark angewachsen und schon<br />

<strong>in</strong> 2 „Zellen“ geteilt. Zum Stab des Ortsgruppenleiters gehören jetzt e<strong>in</strong>:<br />

• Kassenleiter<br />

• Propagandaleiter<br />

• Ortswalter <strong>der</strong> Deutschen Arbeitsfront<br />

• Bauernschaftsführer<br />

• Jugendbildner (wohl zuständig für „Schuljugend, Jungvolk, HJ, BDM“)<br />

• und 2 Zellenleiter.<br />

Später kommt e<strong>in</strong>e „Frauenschaftsführer<strong>in</strong>“ dazu. Bauernschaftsführer war <strong>der</strong> Landwirt<br />

Korb<strong>in</strong>ian Stumpf. Die Bauernschaftsführer o<strong>der</strong> Ortsbauernführer hatten seit 1937<br />

weitreichende Kompetenzen: Sie kontrollierten die vorgeschriebenen Anbauarten aller<br />

Höfe durch Flurbegehungen und konnten bei Verstößen Bußgel<strong>der</strong> verhängen. Sie<br />

führten Sprechtage und Werbemaßnahmen durch und überwachten den E<strong>in</strong>satz von<br />

ausländischen Arbeitskräften. 48<br />

Am 1. Mai 1935 wird OGL Schnei<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kreisleitung aber bereits wie<strong>der</strong> abgelöst.<br />

Der neue Mann ist <strong>der</strong> ehemalige Zollamtsrat und Major Hans Horn, geb. 1972 aus<br />

Taufkirchen. Dieser hat im Juni sogleich se<strong>in</strong>en großen Auftritt als es wegen <strong>der</strong> Auto-<br />

bahnbaustelle zum zweiten Mal heißt: Der Führer kommt! 49<br />

Die Organisation <strong>der</strong> örtlichen Partei ist sche<strong>in</strong>bar jetzt voll entfaltet: sie glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong><br />

2 Zellen <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und je e<strong>in</strong>e Zelle <strong>in</strong> Taufkirchen und Ottobrunn.<br />

47 SA, Spruchkammerakten, Karton 1673, Otto Schnei<strong>der</strong><br />

48 Rumschöttel, Ziegler (Hrsg) „Staat und Gaue <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong>, Bayern 1933- 1945“ Beck, München 2004<br />

49 Handakten Felzmann, Aufruf vom 27.6.1935.


18<br />

Der Ortsgruppenführer befielt militärisch knapp: „Da die Eröffnung dieser Strecke weit<br />

über die Grenzen des Gaues h<strong>in</strong>aus Bedeutung hat, werden alle Partei- und Volksge-<br />

nossen durch Spalierbildung sich beteiligen.“ Mit Fahnen und Musik ziehen die Unter-<br />

hach<strong>in</strong>ger „Volksgenossen“ zur waldgesäumten Autobahn und jubeln zusammen mit<br />

vielen Hun<strong>der</strong>tschaften von Parteiorganisationen, Polizei und Belegschaften von Groß-<br />

betrieben aus München und Umgebung Adolf Hitler zu.<br />

Zwei Monate später werden die Arbeiter Ott und Kneißl im gleichen Wald brutal miss-<br />

handelt. Nach Feststellung <strong>der</strong> Gendarmeriestation <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> waren die Täter: <strong>der</strong><br />

Parteigeschäftsführer Engelberth und <strong>der</strong> Ortsgruppenleiter Horn 50 (E<strong>in</strong>zelheiten s. im<br />

Kapitel Wi<strong>der</strong>stand).<br />

Im Januar 1937 übernimmt <strong>der</strong> junge Max Brock (geb. 1905 <strong>in</strong> München) die Leitung<br />

<strong>der</strong> Ortsgruppe, während Horn OGL von Taufkirchen wird. Brock fand schon als Schü-<br />

ler des Münchner Ludwigsgymnasiums zur Nazibewegung. Er beteiligte sich 1923 als<br />

Wachmann am Hitlerputsch, so dass er den „Blutorden“ erhielt. 1927/28 versuchte er<br />

sich als Getreidehändler und war dann 2 Jahre lang arbeitslos. Die Partei stellte ihn nun<br />

für Archivarbeiten im „Braunen Haus“ an.<br />

Bei Kriegsbeg<strong>in</strong>n wurde er e<strong>in</strong>gezogen. Er stieg auf zum Kompaniechef und war <strong>NS</strong>-<br />

Führungsoffizier e<strong>in</strong>es Bataillions. Im März 1945 erlitt Brock e<strong>in</strong>e Kriegsverwundung; er<br />

kam <strong>in</strong>s Lazarett zunächst <strong>in</strong> Possenhofen dann <strong>in</strong> Rosenheim.<br />

Im Juli des gleichen Jahres wurde er verhaftet und bis 1947 im Internierungslager<br />

Moosburg festgehalten. Er wurde als „M<strong>in</strong><strong>der</strong>belasteter“ (Gruppe III) e<strong>in</strong>gestuft und kam<br />

mit e<strong>in</strong>er Sühneleistung von 100 DM davon. 51 E<strong>in</strong> bekannter <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Hand-<br />

werksmeister hatte von Brock gesagt: „Er war e<strong>in</strong> fanatischer Nazi, <strong>der</strong> je<strong>der</strong>zeit für die<br />

Ideen des Nationalsozialismus e<strong>in</strong>trat aber er war e<strong>in</strong> anständiger Mensch.“<br />

Der Glasermeister Anton Kandler, geb 1893, wurde 1940 zum Nachfolger Brocks er-<br />

nannt. 1943 schreibt er mehrmals an den Hauptschulrektor Engellän<strong>der</strong> und führt Be-<br />

schwerde wegen des schlechten Besuchs <strong>der</strong> Jungmädchen- und Jungvolkstunden.<br />

(Der langjährig erfahrene Schulmann Engellän<strong>der</strong> war auch Organist und Leiter des Kir-<br />

chenchores. Er versuchte, obwohl nom<strong>in</strong>elles Parteimitglied, „Nazie<strong>in</strong>flüsse aus dem<br />

Schulwesen stillschweigend auszuschalten.“ Er stand mit dem jüdischen Bürger Ri-<br />

chard Stern, Holbe<strong>in</strong>straße 1, <strong>in</strong> freundschaftlichen Kontakt. Deshalb wurde er ange-<br />

zeigt und von <strong>der</strong> Gestapo e<strong>in</strong>em quälenden Verhör unterzogen. 52 )<br />

Kandler wird aber als im Allgeme<strong>in</strong>en tolerant beschrieben. Es heißt, er hätte e<strong>in</strong> ent-<br />

spanntes Verhältnis zu Kirche gehabt und Opfern von Fliegerangriffen tatkräftig gehol-<br />

50 SA, LRA 58164. Genau genommen ist im Polizeibericht nur von Misshandlung des Kneißl die Rede<br />

aber die exakte Aussage des Ott bei <strong>der</strong> Polizei beweist, dass damals Ott und Kneißl geschlagen wurden<br />

und sich gegenseitig misshandeln mussten.<br />

51 SA, Spruchkammerakten, Karton 201, Max Brock<br />

52 SA, Spruchkammerakten, Karton 365, Karl Engellän<strong>der</strong>


19<br />

fen. Er setzte sich sogar für Josef Bleib<strong>in</strong>ger (s.u.) e<strong>in</strong>, als bei diesem e<strong>in</strong>e kommunisti-<br />

sche Parteizeitung gefunden worden war.<br />

Bei <strong>der</strong> Kreisleitung sei er als „flauer Ortsgruppenleiter“ angesehen worden. In e<strong>in</strong>em<br />

Spitzelbericht des SD, des Geheimdienstes <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP vom Mai 1944, heißt es: „Der<br />

jetzige Ortsgruppenleiter, Glaser, Drogerist und Kle<strong>in</strong>warenhändler, will sich se<strong>in</strong> Ge-<br />

schäft [durch E<strong>in</strong>treten für die Partei] nicht ver<strong>der</strong>ben. [Er] ist energisch gegen alte<br />

Leute, bei jungen hübschen Frauen und gefährlichen Leuten ist er nicht so scharf.“ Au-<br />

ßerdem wird geurteilt: „Die politischen Leiter s<strong>in</strong>d unzuverlässig.“ 53<br />

Anton Kandler war außer OGL auch noch „Ortsamtsleiter“ <strong>der</strong> <strong>NS</strong>V. Er blieb OGL bis er<br />

1944 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>V zum Kreisamtsleiter aufstieg.<br />

Im Entnazifizierungsverfahren hielt man ihm vor, er habe e<strong>in</strong>en Handwerker verraten,<br />

<strong>der</strong> sich abfällig über den Führer geäußert hatte. Er wurde aber lediglich als Mitläufer<br />

e<strong>in</strong>gestuft, musste aber 1500 RM und 150 DM Sühneleistung bezahlen. 54<br />

Für nur 2 Monate war Georg Müller Ortsvorstand <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP bis im August 1944 <strong>der</strong><br />

Schre<strong>in</strong>ermeister Otto Veit als letzter OGL verpflichtet wurde. Otto Veit, geb. 1902 <strong>in</strong><br />

München, leitete die Möbelfabrik „Werkhaus Veithof“, e<strong>in</strong>en <strong>NS</strong>- Musterbetrieb, <strong>der</strong> die<br />

<strong>NS</strong>- Prom<strong>in</strong>enz e<strong>in</strong>schließlich des „Führers“ mit „Stilmöbeln“ versorgte.<br />

Unter an<strong>der</strong>en beschäftigte Veit den holländischen Zwangsarbeiter van Dongen und<br />

dessen Frau <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Betrieb. Veit zeigte van Dongen wegen e<strong>in</strong>es Streites um die<br />

Arbeitsleistung an. Daraufh<strong>in</strong> wurde <strong>der</strong> Höllan<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Woche lang bei <strong>der</strong> Gestapo <strong>in</strong><br />

Moosach gequält. Er erlitt e<strong>in</strong>en Zusammenbruch und musste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik behandelt<br />

werden. Auch se<strong>in</strong>e Frau wurde kurzzeitig <strong>in</strong>haftiert.<br />

Van Dongen berichtete: „<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> bebte, als Veit bewaffnet... die Runde machte<br />

und was er da die Deutschen überall angeschnauzt hat, das war schon nicht mehr<br />

schön.“ In e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Bericht heißt es, <strong>der</strong> OGL habe mit <strong>der</strong> Pistole <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand<br />

von Militärs die Herausgabe e<strong>in</strong>es gefangenen, aus e<strong>in</strong>em Flugzeug abgesprungenen,<br />

amerikanischen Soldaten verlangt, sei aber se<strong>in</strong>erseits mit Gewehren bedroht und von<br />

se<strong>in</strong>em Vorhaben abgebracht worden. 55<br />

Im Entnazifizierungsverfahren machte man Veit <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zum Vorwurf, dass er,<br />

bevor er OGL wurde, als V- Mann für den Parteigeheimdienst SD Spitzeldienste geleis-<br />

tet hatte. Leittragende dabei waren vor allem die Gastwirtsfrau Forster aus Taufkirchen-<br />

Bergham und ihre Tochter Magdalena Kölbl. Von Frau Kölbl heißt <strong>in</strong> Veits Berichten<br />

dass sie regelmäßig „Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong>“ höre. Frau Forster wurde vorgeworfen, dass sie<br />

e<strong>in</strong>e Pol<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Familie aufgenommen und sich mehrfach staatsfe<strong>in</strong>dlich geäußert<br />

habe.<br />

53 SA, Spruchkammerakten, Karton 221, Johann Bücherl<br />

54 SA, Spruchkammerakten, Karton 834, Anton Kandler<br />

55 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt


20<br />

Als auch noch e<strong>in</strong> Nachbar Frau Forster wegen e<strong>in</strong>er hitlerkritischen Äußerung anzeig-<br />

te, wurde gegen sie Haftbefehl erlassen. Gendarmeriemeister Schranner von <strong>der</strong> Orts-<br />

polizei verschleppte aber absichtlich die Ausführung, die dann wegen des Kriegsendes<br />

nicht mehr zustande kam.<br />

(Foto: Staatsarchiv München) Ortsgruppenleiter Otto Veit<br />

Otto Veit wurde nach Kriegsende 2 Jahre lang <strong>in</strong> Regensburg <strong>in</strong>terniert. Von <strong>der</strong><br />

Spruchkammer wurde er 1950 als „Belasteter“ e<strong>in</strong>gestuft und se<strong>in</strong> Vermögen bis auf die<br />

„notwendigsten Gebrauchsgegenstände“ zur Wie<strong>der</strong>gutmachung e<strong>in</strong>gezogen. 56<br />

Aus dem Ortsteil Ottobrunn ist noch zu berichten: In e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atsprotokoll<br />

taucht 1939 e<strong>in</strong> OGL Reisewitz auf. Möglicherweise war parallel zur Abtrennung von<br />

Taufkirchen auch <strong>in</strong> Ottobrunn wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e eigene Parteiformation <strong>in</strong>stalliert worden.<br />

Reisewitz wird von SPD- Chef Wilhelm Kloiber als parteipolitischer „Quälgeist ersten<br />

Ranges“ bezeichnet. Beson<strong>der</strong>s arbeitete er gegen den Pfarrer und die treuen Kirch-<br />

gänger. Er wird zur Wehrmacht e<strong>in</strong>gezogen und ist gefallen.<br />

1942 übernimmt <strong>der</strong> Lehrer Fritz Schollwöck das Amt des OGL. Schollwöck, geb. 1900<br />

<strong>in</strong> Oberd<strong>in</strong>g, trat 1933 <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP bei und wurde bald Mitglied im <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Ge-<br />

me<strong>in</strong><strong>der</strong>at. Von ihm wird Gegensätzliches berichtet: E<strong>in</strong>erseits äußerte er sich gegen<br />

die Kirche und die „Heidenmission“ und „überlieferte die Schule aus Angst vor Nachtei-<br />

len dem Nationalsozialismus“ (Pfarrer Anton Ferstl) an<strong>der</strong>erseits bewahrte er verschie-<br />

dene Bürger unter ihnen e<strong>in</strong>en, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Juden versteckt hielt, vor <strong>der</strong> Verfolgung<br />

durch die Gestapo. Auch er kommt nach Kriegsende mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stufung als „Mitläufer“<br />

davon. Er musste aber 20 Tage Son<strong>der</strong>arbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweige Ottobrunn leisten. 57<br />

Zusätzliches zur „<strong>NS</strong>- Filiale“ Taufkirchen s. das eigene Kapitel.<br />

56 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit<br />

57 SA, Spruchkammerakten, Karton 1690, Fritz Schollwöck


<strong>NS</strong>- Unrecht<br />

21<br />

Am 9. März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten putschartig die Macht <strong>in</strong> Bayern.<br />

Der „Reichsführer SS“ He<strong>in</strong>rich Himmler wurde Polizeipräsident <strong>in</strong> München- er be-<br />

wohnte damals e<strong>in</strong> „bescheidenes Anwesen <strong>in</strong> Waldtru<strong>der</strong><strong>in</strong>g“ 58 - und Chef <strong>der</strong> „Bayri-<br />

schen Politischen Polizei“ 59 .<br />

Bereits 4 Tage später, wurden Bürger verhaftet und <strong>in</strong> Gefängnissen und <strong>in</strong> dem neuen<br />

Konzentrationslager Dachau erniedrigt und gefoltert. Im Staatsarchiv München f<strong>in</strong>det<br />

sich e<strong>in</strong> anonymes „Verzeichnis <strong>der</strong> 10.3.33- 15.10.33 <strong>in</strong> Schutzhaft bef<strong>in</strong>dlichen Per-<br />

sonen“ außerdem e<strong>in</strong>e „Schutzhaftkartei“. Diese <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er E<strong>in</strong>wohner s<strong>in</strong>d dar<strong>in</strong><br />

z. B. aufgeführt 60 :<br />

Der Schre<strong>in</strong>er Josef Bleib<strong>in</strong>ger, geb.16.2.1905 <strong>in</strong> Traunste<strong>in</strong>. 61 Als Haftgrund wird ange-<br />

geben: „OGF KPD, Agitator, Führer des Erwerbslosen- Ausschusses, Rote Hilfe“. Fünf<br />

Monate lang wird er im KZ Dachau gequält 62 , 1941 nochmals zwei Monate lang wegen<br />

angeblichem Hochverrat 63 .<br />

Mit Schreiben vom 30.9.1941 bittet die GESTAPO die Kreisleitung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP während<br />

<strong>der</strong> Haftzeit die Betreuung <strong>der</strong> Angehörigen zu übernehmen („B. hat zwei m<strong>in</strong><strong>der</strong>j. Pfle-<br />

gek<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haushalt“). Es gab dazu e<strong>in</strong>e Anweisung Himmlers, <strong>der</strong> verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

wollte, dass sich Angehörige <strong>in</strong> ihrer Not an Religiöse o<strong>der</strong> kommunistische Organisa-<br />

tionen wenden. Nach <strong>der</strong> Entlassung wird die Ortsfrauenschaftsleiter<strong>in</strong> angewiesen, die<br />

„Nachbetreuung“ durchzuführen.<br />

Bleib<strong>in</strong>ger wird im Mai 1945 <strong>in</strong> den provisorischen Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at berufen und im Januar<br />

1946 zum e<strong>in</strong>zigen KPD- Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at gewählt.<br />

Der Mechaniker Franz Drexler, geb. am 27.1.1883 <strong>in</strong> München, kommt für zwei Jahre<br />

nach Dachau („Zelle 5/2“) 64 . Auch ihm wird vorgeworfen, er sei OGL <strong>der</strong> KPD gewesen<br />

und „<strong>der</strong> radikalste Kommunist von <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und Hetzer“. Er wird ebenfalls beim<br />

Neubeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> den provisorischen Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at delegiert.<br />

58 Willibald Karl (Hrg.): „Tru<strong>der</strong><strong>in</strong>g, Waldtru<strong>der</strong><strong>in</strong>g, Riem“, Buchendorfer Verlag, München 2000<br />

59 1934 wurde Himmler Leiter <strong>der</strong> Politischen Polizei auf Reichsebene und 1936 Chef <strong>der</strong> gesamten deutschen<br />

Polizei. Vgl. Hartmut Mehr<strong>in</strong>ger „Wi<strong>der</strong>stand und Emigration“ dtv, München 1997.<br />

60 SA, LRA 148581 u. LRA 131699<br />

61 Angabe Gem. <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Sept. 2005<br />

62 SA, Schutzhaft 8130000214<br />

63 GU, GR- Sitzung am 12.5.1945<br />

64 Angabe Archiv KZ- Gedenkstätte Dachau vom 7.9.2005 und Gem. <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Sept. 2005, Drexler<br />

war SPD- Mitglied 1912-1930, s. <strong>NS</strong> des GR vom 12.5.1945


22<br />

Auch Johann Ott, geb. 10.10.1904 <strong>in</strong> Wies/ Miesbach 65 , wird 1933 und später noch zwei<br />

Mal <strong>der</strong> Schutzhaft ausgesetzt. Die Vorwürfe gegen ihn lauten „vor Jahren OGF <strong>der</strong><br />

KPD, <strong>in</strong> <strong>NS</strong>DAP e<strong>in</strong>getreten um >Spionage< zu treiben, wollte Kampfbund gg. faschist.<br />

Gefahr gründen, Redner“. Zwei Arbeiter sagten bei <strong>der</strong> Politischen Polizei aus, Ott hätte<br />

sich als Leiter <strong>der</strong> illegalen KPD <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s bezeichnet.<br />

Die GESTAPO schreibt am 12.12,1938 an die Gaufrauenschaftsleitung und daraufh<strong>in</strong><br />

die <strong>NS</strong>- Frauenschaft an die Ortsfrauenleiter<strong>in</strong>, dass man sich um die Familie kümmern<br />

soll. 66<br />

Insgesamt waren 1933 zehn Bürger wegen ihrer Mitgliedschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> KPD <strong>in</strong> Haft. Der<br />

schlichte Kommentar von Rudolf Felzmann bei <strong>der</strong> Entlassung: „Alle bewahrten über<br />

ihre Behandlung eisernes Schweigen 67 .“<br />

Ab dem 10.5.1935 ist Georg Eicheld<strong>in</strong>ger als politischer Gefangener im KZ Dachau <strong>in</strong><br />

Haft. Se<strong>in</strong>e Frau ersucht im Februar 1937 vergeblich um se<strong>in</strong>e Entlassung (s. Anhang).<br />

1938, im Jahr vor dem Kriegsbeg<strong>in</strong>n, wird Johann Ott wie<strong>der</strong>um verhaftet. Und<br />

dies geschieht mit <strong>in</strong>sgesamt 31 Geme<strong>in</strong>debürgern unter ihnen vier Frauen! 68<br />

Was man ihnen vorwirft und ihre Haftdauer s<strong>in</strong>d nicht überliefert.<br />

E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gefangenen war offenbar aufgrund e<strong>in</strong>er Anzeige des Bürgermeisters im KZ.<br />

Im Beschlussbuch des Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>ates heißt es : „Vom Schreiben des Landrates Mün-<br />

chen vom 11.2.39 sowie <strong>der</strong> Kommandantur des Konzentrationslagers Dachau vom<br />

1.2.39 wurde Kenntnis genommen. [Herbert Schmidt, Name geän<strong>der</strong>t] bef<strong>in</strong>det sich seit<br />

10.12.38 im K- Lager Dachau als Arbeitszwangsgefangener und wurde ursprüngl. auf 3<br />

Monate e<strong>in</strong>gewiesen. Nachdem se<strong>in</strong>e Führung schlecht ist, wird dem Antrage des La-<br />

gerkommandanten des KLD stattgegeben und e<strong>in</strong>er Verlängerung von neun Monaten<br />

zugestimmt. Die festgesetzten Kosten werden von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>dekasse <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

übernommen.“ 69<br />

Herbert Schmidt muss also jetzt mit dem Segen von Bürgermeister und Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at<br />

„Erziehungsmaßnahmen“ im KZ Dachau und im KZ Mauthausen bei L<strong>in</strong>z erleiden, wo-<br />

h<strong>in</strong> man ihn noch verlegt.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Schutzhäftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> Deutschland hatte 1933 50.000 betragen, war mit <strong>der</strong><br />

Konsolidierung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- Herrschaft bereits 1934 auf 3.000 zurückgegangen und dann<br />

bis 1937 wie<strong>der</strong> auf 7.500 gestiegen. Während politische Haftgründe an Bedeutung ver-<br />

loren, wurden ab 1937/38 verstärkt Menschen als Volksschädl<strong>in</strong>ge denunziert und we-<br />

gen Pseudodelikten <strong>in</strong>haftiert, so dass Ende 1938,nach <strong>der</strong> „Reichskristallnacht“, wie-<br />

<strong>der</strong> 60.000 Menschen e<strong>in</strong>saßen. Entsprechend den Richtl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> bayrischen Politi-<br />

65 Angabe Gem. <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Sept. 2005<br />

66 SA, Schutzhaftakten 8130000215<br />

67 Heimatbuch, S.94<br />

68 „Die Anfänge <strong>der</strong> Braunen Barbarei“, Bay. Landeszentrale für pol. Bildung, München 2004<br />

69 GU, GR- Sitzung vom 17.2.1939, 1939-1945 galt reichse<strong>in</strong>heitlich <strong>der</strong> „Landkreis“ und <strong>der</strong> „Landrat“,<br />

s. Deut<strong>in</strong>ger et. al. (Hrsg.): „Die Regierungspräsidenten von Oberbayern“, München, 2005


schen Polizei umfasste <strong>der</strong> Begriff „Volksschädl<strong>in</strong>g“ Bettler, Landstreicher, Zigeuner,<br />

23<br />

Arbeitsscheue, Müßiggänger, Prostituierte, Querulanten, Gewohnheitstr<strong>in</strong>ker, Raufbol-<br />

de, Psychopaten und Geisteskranke. 70<br />

E<strong>in</strong> lediger Handwerker aus Taufkirchen wurde ebenfalls 1938 (wegen unzureichen<strong>der</strong><br />

Arbeitsdiszipl<strong>in</strong>) e<strong>in</strong>gesperrt und zwar h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> die KZ Buchenwald und Maut-<br />

hausen. Da er nach 4 Jahren noch nicht entlassen war, setzten sich OGL Horn und<br />

Bürgermeister Bücherl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an den Landrat für ihn. Er wurde daraufh<strong>in</strong> im De-<br />

zember 1942 zur Wehrmacht e<strong>in</strong>gezogen. 71<br />

Bei <strong>der</strong> GESTAPO- Leitstelle München war Ende 1939 Andreas Kneißl e<strong>in</strong>en Monat<br />

lang <strong>in</strong> Haft, weil er auf e<strong>in</strong>er Baustelle (wohl aus Unzufriedenheit mit <strong>der</strong> Entlohnung)<br />

geäußert hatte: „Heil, me<strong>in</strong> Führer, wir werden alle Tage dürrer“ 72<br />

Kneißl war 1935 vom Ortsgruppenleiter und vom Geschäftsführer <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP brutal<br />

misshandelt worden (s. u.).<br />

Nach Beg<strong>in</strong>n des Krieges gegen Russland 1941musst Klaus Hagen (Name geän<strong>der</strong>t)<br />

aus Taufkirchen wegen „ant<strong>in</strong>ationalsozialistischer und defaitistischer Reden“ m<strong>in</strong>des-<br />

tens 12 Tage im Gefängnis verbr<strong>in</strong>gen. 73<br />

Briefzensur<br />

Ab Herbst 1934 erhielt die <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Gendarmerie von Bayrischen Politischen Po-<br />

lizei den Befehl, Briefe vor <strong>der</strong> Zustellung von <strong>der</strong> Post <strong>in</strong> Empfang zu nehmen, fachge-<br />

recht zu öffnen, auf verdächtige Inhalte zu prüfen und zurück zu geben. Von <strong>der</strong> Zen-<br />

surmaßnahme waren 14 Personen betroffen. Der prom<strong>in</strong>enteste war Baron Nikolaus<br />

von Gagern, geb. 18.6.1875, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en jugoslawischen Pass hatte. Wegen se<strong>in</strong>er Aus-<br />

landskontakte traute man ihm nicht, obwohl er mit den Nazis sympathisierte. Es hieß<br />

sogar, er habe Hitlers „Me<strong>in</strong> Kampf“ <strong>in</strong>s „Jugoslawische“ übersetzt.<br />

Brisante Inhalte im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Nationalsozialisten wurden wohl bei ke<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Über-<br />

wachten gefunden, so dass ke<strong>in</strong>e weiteren Repressionsmaßnahmen berichtet werden.<br />

Die Kirchen<br />

Misstrauisch wurden kirchliche Aktivitäten beobachtet. Die Gendarmeriestation Otto-<br />

brunn hörte am 23.9.1934 die Predigt des Pfarrers Bomhardt aus Perlach <strong>in</strong> <strong>der</strong> evan-<br />

gelischen Kirche ab und schreibt <strong>der</strong> Abteilung mit Polizeiaufgaben beim Bezirksamt<br />

München: „Die Überwachung außerhalb <strong>der</strong> Kirche war sehr schwer durchzuführen.<br />

70 Comite Internationale de Dachau (Hrsg.):Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1945, München 2005<br />

71 SA, Spruchkammerakten, Karton 221, Hans Bücherl<br />

72<br />

SA, Staw 9459<br />

73 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt


Der Herr Pfarrer sprach sehr leise, so dass die meisten Worte überhaupt nicht mehr<br />

24<br />

verstanden werden konnten. Im übrigen s<strong>in</strong>d die Teilnehmer so spät zu Kirche gegan-<br />

gen, dass manchmal e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Predigt überhaupt nicht angehört werden konnte, um<br />

nicht allzu auffällig zu se<strong>in</strong>. Aus diesem Grund war e<strong>in</strong>e gute Abhörung nicht möglich.<br />

Die Predigt machte auch nicht den E<strong>in</strong>druck, dass gegen die Reichskirchenregierung<br />

[geme<strong>in</strong>t ist sicher die Leitung <strong>der</strong> „deutschen Christen“] Stellung genommen werden<br />

sollte. 74 “<br />

Die Pfarrer Faustner (St. Korb<strong>in</strong>ian) und Erhard (ab 1941 Seelsorger bei St. Alto) erhiel-<br />

ten von Parteistellen mehrmals Verwarnungen wegen <strong>der</strong> Durchführung bzw. <strong>der</strong> Ter-<br />

m<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong> Christenlehre. 75<br />

Im August 1941 verfügte das Kultusm<strong>in</strong>isterium, dass die Kruzifixe aus den Schulen zu<br />

entfernen s<strong>in</strong>d. Dies führte zu großer Erregung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landbevölkerung. Unter Führung<br />

von Frau W. die daraufh<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Gestapo verwarnt wurde, zogen 60 Frauen zum Sitz<br />

des <strong>NS</strong>- Ortsgruppenleiters und verlangten die „Zurückbr<strong>in</strong>gung des Kreuzes“. 76 E<strong>in</strong>e<br />

<strong>NS</strong>V- Beauftragte hatte aus dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartensaal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule das Kruzifix entfernt.<br />

„Als Herr Josef Prenn [es erfuhr], brachte [er] das Kreuz selbst an se<strong>in</strong>en alten Platz<br />

zurück.“ 77 Der Erlaß zur Entfernung <strong>der</strong> Kruzifixe wurde aufgrund zahlreicher Proteste<br />

später tatsächlich wie<strong>der</strong> zurückgenommen. 78<br />

„Das kirchliche Leben hatte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit <strong>in</strong> Ottobrunn viel zu leiden.“ berichtet <strong>der</strong><br />

Priester Anton Ferstl. „Bis 1941 war e<strong>in</strong> ausgesprochen scharfer Ortsgruppenleiter<br />

hier...1940 sagte er zu mir: >Von den 180 Parteigenossen gehen nur noch e<strong>in</strong> paar <strong>in</strong><br />

die Kirche und diesen werde ich es noch austreiben!< Jeden Sonntag beobachtete er<br />

vom gegenüberliegenden Schulhaus aus, wer die Kirche besucht und bei <strong>der</strong> Fronleich-<br />

namsprozession g<strong>in</strong>g er noch eigens e<strong>in</strong> Stück nebenher, um alle Teilnehmer aufzu-<br />

schreiben. Wenn auch se<strong>in</strong> Wunsch, den Pfarrer <strong>in</strong>s KZ zu br<strong>in</strong>gen nicht <strong>in</strong> Erfüllung<br />

g<strong>in</strong>g... so brachte er es doch mit Hilfe e<strong>in</strong>es Lehrerehepaares fertig, durch Briefe an<br />

den Gauleiter Wagner das Schulverbot über den Pfarrkuraten verhängen zu lassen.“<br />

Die Nationalsozialisten verwehrten den Klöstern ihre Weiterarbeit im Schulsektor. Das<br />

Bezirksamt München berichtete 1939 an die Reg. von Oberbayern: „Im Landkreis wird<br />

an ke<strong>in</strong>er Stelle Unterricht durch e<strong>in</strong>e klösterliche Lehrkraft erteilt. Soweit an e<strong>in</strong>er<br />

74 SA, LRA 20037 zit. n. «Streiflichter…»<br />

75 DA, Fragebogen A, Nationals. Verfolgung kath. Geistlicher<br />

76 DA, Fragebogen B, Nationals. Verfolgung kath. Laien<br />

77 SA, Spruchkammerverfahren Josef Prenn, Eidesstalliche Erklärung Johann Recher<br />

78 Bayrische Landesanstalt für politische Bildungsarbeit: „Die Geschichte des mo<strong>der</strong>nen Bayern“, 2000


Schule vor e<strong>in</strong>iger <strong>Zeit</strong> noch klösterliche Lehrkräfte tätig waren, wurden diese <strong>in</strong>zwi-<br />

25<br />

schen abgebaut. Lediglich im St. Johannishaus <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d klösterliche Lehr-<br />

kräfte tätig [und blieben es wohl auch]. Das St. Johannishaus ist e<strong>in</strong>e Anstalt für schwer<br />

erziehbare (schwachs<strong>in</strong>nige) Knaben.“ 79<br />

Das Son<strong>der</strong>gericht beim Landgericht München 1 verurteilte im 2. Kriegsjahr e<strong>in</strong>en 39<br />

Jahre alten Mann aus Ottobrunn wegen Abhörens ausländischer Rundfunksen<strong>der</strong> zu<br />

sieben Monaten Gefängnis. Zwei junge Büroangestellte erhielten später wegen des<br />

gleichen „Verbrechens“ Strafen von e<strong>in</strong>em und e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren Zuchthaus! 80<br />

Zwangsarbeit<br />

Im Oktober 1940 beschließt <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at die Turnhalle zur Unterbr<strong>in</strong>gung von<br />

Kriegsgefangenen gegen 0,10 RM Benutzungsgebühr pro Nacht und Mann zur Verfü-<br />

gung zu stellen, die im Geme<strong>in</strong>degebiet Zwangsarbeit verrichten sollen. Im Folgejahr<br />

wurden zusätzlich 150 „Kriegsgefangenen <strong>der</strong> Deutschen Reichsbahn“ aufgenommen. 81<br />

1942 verrichten <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> etwa 450 Menschen Zwangsarbeit. Sie kommen aus<br />

Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Holland, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Po-<br />

len, Serbien, <strong>der</strong> Slowakei, Tschechien, <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e, manche s<strong>in</strong>d staatenlos o<strong>der</strong> wer-<br />

den summarisch als „Ostarbeiter“ bezeichnet. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gesetzt <strong>in</strong> Haushalten, bei<br />

Bauern, <strong>in</strong> mehreren Betrieben und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luftfahrtforschungsanstalt Ottobrunn 82 . Sie<br />

hatten die Bedrückungen <strong>der</strong> unfreiwilligen Arbeit im fremden Land zu erdulden.<br />

E<strong>in</strong> holländischer ziviler Zwangsarbeiter und se<strong>in</strong>e Ehefrau waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Möbelfabrik<br />

des OGL Otto Veit beschäftigt. Wegen e<strong>in</strong>es Streites um die Arbeitsleistung wurde die<br />

Frau mehrere Tage und <strong>der</strong> Mann e<strong>in</strong>e Woche lang bei <strong>der</strong> Gestapo gequält. Der Hol-<br />

län<strong>der</strong> erlitt e<strong>in</strong>en Zusammenbruch und musste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krankenhaus behandelt wer-<br />

den. 83<br />

In Taufkirchen wurde e<strong>in</strong> Monat nach Kriegsende e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohner von e<strong>in</strong>em Polen er-<br />

schossen, als er sich schützend vor se<strong>in</strong>e Frau stellte, die angeblich e<strong>in</strong>e polnische<br />

Zwangsarbeiter<strong>in</strong> schlecht behandelt hatte. 84<br />

Es gab aber auch Beispiele für e<strong>in</strong>e gute Behandlung <strong>der</strong> Fremden. 85 Ab Mitte 1943<br />

konnten sich französische Kriegsgefangene <strong>in</strong> den zivilen Status überführen lassen,<br />

was ihnen e<strong>in</strong>ige Erleichterungen brachte. „Die sogenannten >Fremdarbeiter< aus den<br />

besetzten östlichen Gebieten lebten [dagegen] unter erschwerten Bed<strong>in</strong>gungen.“ 86 Felz-<br />

79 SA, LRA 18859<br />

80 “Streiflichter” S. 103<br />

81 GU, GR vom 20.10.1940 und 20.7.1941<br />

82 Handakten Felzmann, Schreiben <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> an Landratsamt München v. 10.11.1942<br />

83 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit<br />

84 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt<br />

85 Altbürgermeister Knapek <strong>in</strong> <strong>der</strong> SZ LKS, 31.5.08 und Ehrenbürger Kris, s. Anhang<br />

86 M. Hamm und W. Bude (Hrsg.): „Die Herrschaft Aschau und das Priental“, Aschau im Ch. 2003


mann berichtet von Plün<strong>der</strong>ungen durch Zwangsarbeiter nach Kriegsende, was nicht<br />

26<br />

auf e<strong>in</strong> gutes E<strong>in</strong>vernehmen zwischen ihnen und den bisherigen Arbeitgebern schlie-<br />

ßen lässt. 87<br />

Strafarrest<br />

Aus dem Januar 1945 ist <strong>der</strong> Entwurf e<strong>in</strong>es Schreibens <strong>der</strong> Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>der</strong> Partei- Feuerwehr an den Landrat München- Land erhalten geblieben, <strong>in</strong> dem es<br />

u.a. heißt: „In <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> wurden 4 Löschgruppen von <strong>der</strong> Partei aufgestellt und mit<br />

TS 8 Spritzen ausgerüstet. Die Spritzen mussten ... mit Jugendlichen bemannt werden.<br />

Es hat sich gezeigt, dass von diesen die anständigen Kerle immer bei Übung und E<strong>in</strong>-<br />

satz anwesend s<strong>in</strong>d, während e<strong>in</strong>e Reihe von Drückebergern entwe<strong>der</strong> überhaupt nie<br />

o<strong>der</strong> nur selten erschienen s<strong>in</strong>d. Heute ist <strong>der</strong> Mannschaftsstand durch E<strong>in</strong>berufungen<br />

so gelichtet, so dass es auf jeden Mann ankommt.<br />

Die pflichtgemäßen Jungmänner sagen sich aber nun auch schon, warum sie immer<br />

die Dummen se<strong>in</strong> sollten, während die Schwe<strong>in</strong>e sich immer von je<strong>der</strong> Anstrengung<br />

und Gefahr drücken könnten ... Wir haben ke<strong>in</strong>e Handhabe, gegen diese Kerle vorzu-<br />

gehen. Deshalb ersuchen Ortsgruppenleiter und E<strong>in</strong>satzleiter, <strong>der</strong> Landrat möge über<br />

die drei Jungmänner Arreststrafe über Samstag-Sonntag verhängen und dem Polizei-<br />

meister entsprechenden Auftrag geben...“ 88<br />

Handschriftlich ist ergänzt: „An O.Gru.Lei. übergeben am 8.1.45. Der O.Gr.L. will die<br />

Sache selbst weiterleiten u. strafrechtlich verfolgen lassen.“<br />

KZ Ottobrunn<br />

Von Mai 1944 bis Mai 1945 bestand im Osten <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s e<strong>in</strong>e KZ- Außenstelle mit<br />

400 bis 600 Gefangenen. Über Ihre Behandlung heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von Schülern erstell-<br />

ten Dokumentation u. A.:<br />

„Die Häftl<strong>in</strong>ge wurden <strong>in</strong> Viehwaggons ... nach Ottobrunn gebracht. Die Reise dauerte<br />

vierundzwanzig Stunden ...Schläge und Dritte waren im Ottobrunner Lager zur <strong>Zeit</strong> und<br />

Unzeit üblich. Im Außenlager Ottobrunn [des KZ Dachau] strafte man mit ... Schlägen<br />

und Peitschenhieben, dem Pfahlhängen und Bunkerarresten. ...Beim Pfahlhängen be-<br />

kam <strong>der</strong> Bestrafte die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und wurde dann<br />

daran aufgehängt. ... Beson<strong>der</strong>s grausam war <strong>der</strong> Arrest im Stehbunker. Der Raum war<br />

so niedrig, das <strong>der</strong> Bestrafte nicht aufrecht stehen konnte. E<strong>in</strong>e Eisenstange verh<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />

te das Sitzen. Manche Häftl<strong>in</strong>ge verbrachten ihren Arrest im Stehbunker oft tagelang <strong>in</strong><br />

gebückter Haltung, ohne dass sie <strong>in</strong> dieser Stellung hätten schlafen können...<br />

Die Gefangenen halfen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie beim Bau <strong>der</strong> LFM [Luftfahrtforschungsanstalt<br />

München]...Sie waren <strong>in</strong> verschiedenen Betrieben <strong>in</strong> [<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>-] Ottobrunn, den<br />

87 Heimatbuch, S. 107<br />

88<br />

GU, A 000/ 4


27<br />

Nachbargeme<strong>in</strong>den und <strong>in</strong> München beschäftigt...In Ottobrunner Häusern verlegten sie<br />

Stromleitungen...In <strong>der</strong> Nachbargeme<strong>in</strong>de Hohenbrunn errichteten sie e<strong>in</strong> Wohnhaus<br />

für den Bürgermeister.<br />

Über die Zustände im Lager sprachen die Internierten nicht... Sie fürchteten, dass die<br />

Dienstherren die versuchte Kontaktaufnahme an die SS melden würden“.<br />

An e<strong>in</strong>em Gefangenen, <strong>der</strong> vergeblich versucht hatte zu fliehen, statuierte die Lagerlei-<br />

tung e<strong>in</strong> Exempel: „Als wir [Gefangene nach e<strong>in</strong>em Arbeitse<strong>in</strong>satz] am Abend <strong>in</strong>s Lager<br />

kamen, er<strong>in</strong>nere ich mich daran, das dieser Italiener auf e<strong>in</strong>em Stuhl vor dem Lagertor<br />

stand und nur e<strong>in</strong> Hemd an hatte. Er stand auf e<strong>in</strong>em Stuhl. Er war geschlagen worden<br />

und das Blut lief ihm aus Nase und Mund, und er hatte e<strong>in</strong> Schild vor se<strong>in</strong>er Brust hän-<br />

gen: „Ich b<strong>in</strong> wie<strong>der</strong> da...“ Am nächsten Tag saßen wir beim Essen und die Mithäftl<strong>in</strong>ge<br />

riefen mich zum Fenster und sagten: „Weißbach, komm rüber. E<strong>in</strong> Italiener ist gerade<br />

aufgehängt worden.“ Ich g<strong>in</strong>g zum Fenster und sah [Arnt, Name geändet], <strong>der</strong> zusam-<br />

men mit e<strong>in</strong>em grünen Gefangenen namens [Hirsch, Name geändet] die Arme des Itali-<br />

eners o<strong>der</strong> Russen auf se<strong>in</strong>em Rücken zusammen banden und ihn dann an e<strong>in</strong>en<br />

Baum o<strong>der</strong> Balken banden... Dann banden sie e<strong>in</strong>en Felsen ... an se<strong>in</strong>e Füße. Bevor<br />

sie g<strong>in</strong>gen, trat Hirsch gegen den Häftl<strong>in</strong>g, um ihn zum Schaukeln zu br<strong>in</strong>gen. Nach ei-<br />

niger <strong>Zeit</strong> kam Arnt wie<strong>der</strong> ... er schaukelte ihn wie<strong>der</strong> an und <strong>der</strong> Italiener schrie vor<br />

Schmerzen. Da g<strong>in</strong>g ich, weil ich das nicht länger mit ansehen konnte, und ich weiß<br />

nicht wie lang er da h<strong>in</strong>g. Danach kam er noch <strong>in</strong> den Stehbunker.“<br />

„Über den Kapo [Kraus, Name geän<strong>der</strong>t] berichtet e<strong>in</strong> Anwohner, er habe Häftl<strong>in</strong>ge ><br />

so geprügelt ..., dass sie geschrien haben. Da war so e<strong>in</strong>e Halle, da hat er sie <strong>in</strong> die<br />

Halle h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, und da hat er sie so geschlagen, dass sie gebrüllt haben, dass wir es<br />

[draußen] noch gehört haben< 89 “<br />

Über die Kenntnisse des Außenwelt stellt die Schülerarbeit fest: „Das Außenlager war<br />

den Ottobrunner Bürgern bekannt, nachdem es am Rand e<strong>in</strong>er größeren Wohnsiedlung<br />

lag.“<br />

Zum Ende des Konzentrationslagers heißt es:“Kurz vor dem E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> Amerikaner<br />

wurde <strong>der</strong> größte Teil [<strong>der</strong> Gefangenen] noch nach dem Süden abtransportiert. Die ver-<br />

bliebenen Häftl<strong>in</strong>ge befreiten sich selbst“. 90<br />

An den Transport nach Süden, <strong>der</strong> auch als „Todesmarsch“ bezeichnet wird er<strong>in</strong>nert z.<br />

B. <strong>in</strong> Grünwald e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>drucksvolle Plastik. Die Männer mussten wohl am 30.4.1945<br />

von Ottobrunn aus über Brunnthal, Hofold<strong>in</strong>g, Dietramszell, Kirchbichl, Ellbach, Bad<br />

Tölz, Greil<strong>in</strong>g, Reichersbeuern bis Waakirchen marschieren, wobei von <strong>der</strong> SS unter-<br />

wegs m<strong>in</strong>destens 15 Menschen (aus Ottobrunn o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Lagern) erschossen wur-<br />

89 Mart<strong>in</strong> Wolf: „Im Zwang für das Reich“, Ottobrunn, 1997<br />

90 Peter Pfister (Hrsg.): „Die Kriegs- und E<strong>in</strong>marschberichte“, Regensburg, 2005


28<br />

den. Am 1. Mai wurden die Gefangenen wahrsche<strong>in</strong>lich bei Waakirchen von amerikani-<br />

schen Soldaten befreit. 91<br />

Rassehygiene<br />

Hitler und die <strong>NS</strong>DAP hielten die „Re<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Rasse“ für ihre wichtigste Mission.<br />

Sie waren <strong>der</strong> Überzeugung, den Volkskörper durch rechtzeitige staatliche E<strong>in</strong>griffen,<br />

wie Sterilisationen, vor erblich bed<strong>in</strong>gten geistigen und körperlichen Krankheiten schüt-<br />

zen zu müssen. Gedanken, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhun<strong>der</strong>t (und seit Dar-<br />

w<strong>in</strong> und Mendel) überall, vor allem auch <strong>in</strong> den USA, populär waren. Die Nazis beließen<br />

es aber nicht bei Sterilisationen, son<strong>der</strong>n praktizierten auch die „Vernichtung lebensun-<br />

werten Lebens“ (was 1920 schon zwei deutsche Hochschullehrer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch gefor-<br />

<strong>der</strong>t hatten).<br />

Josef Prenn, <strong>der</strong> Bürgermeister von <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, gab <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fall, entsprechend <strong>der</strong><br />

oben beschriebenen <strong>NS</strong>- Mission, den Anstoß: Unter dem Betreff „Unfruchtbarma-<br />

chung“ schrieb er im Januar 1936 an das Staatliche Gesundheitsamt München- Land:<br />

„Die Familie [Aussig, Name geän<strong>der</strong>t] <strong>in</strong> Ottobrunn... hat <strong>in</strong> ihrer Familie schwere<br />

Krankheiten aufzuweisen, die den Verdacht rechtfertigen, dass es sich um erbliche<br />

Krankheiten handelt. E<strong>in</strong>e 26-jährige Tochter ist vollkommen geistesgestört, e<strong>in</strong>e 25-<br />

jährige [Tochter hat e<strong>in</strong>e] Rückgraterkrankung und e<strong>in</strong> 12-jähriger Sohn [hat] Knochen-<br />

markeiterung .. Ich halte dafür, dass Sie <strong>in</strong> dieser Angelegenheit e<strong>in</strong>mal diesbezügliche<br />

Untersuchungen e<strong>in</strong>leiten.“ 92<br />

Der Bezirksarzt beim Bezirksamt München beantragte auch sogleich die Sterilisation<br />

<strong>der</strong> Frida Aussig aufgrund des „Gesetzes zur Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung erbkranken Nachwuchses<br />

vom 14.7.1933“ (nicht aber Maßnahmen gegen ihre Geschwister).<br />

Die <strong>NS</strong>- Justiz hatte zum Vollzug dieses Gesetzes beim Amtsgericht München e<strong>in</strong> spe-<br />

zielles Erbgesundheitsgericht geschaffen. Die mit e<strong>in</strong>em Berufsrichter und 2 Ärzten be-<br />

setzte Erste Kammer beschloss im Mai 1936 <strong>in</strong> <strong>der</strong> üblichen Geheimsitzung die Un-<br />

fruchtbarmachung <strong>der</strong> Frida Aussig anzuordnen. Man stützte sich dabei auf die Diagno-<br />

se „Schizophrenie“ und postulierte: „Nach den Erfahrungen <strong>der</strong> ärztlichen Wissenschaft<br />

ist mit großer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit zu erwarten, daß ihre Nachkommen an schweren<br />

geistigen Erbschäden leiden werden.“ Der operative E<strong>in</strong>griff wurde dann im August im<br />

Schwab<strong>in</strong>ger Krankenhaus durchgeführt. Der standardisierte ärztliche Bericht dazu gibt<br />

91 Andreas Wagner: „Todesmarsch“, www.a-wagner-onl<strong>in</strong>e.de, Geretsried 2001<br />

92 SA, LRA 20287


die falsche Diagnose „angeborener Schwachs<strong>in</strong>n“ an, was zeigt, wie grobschlächtig<br />

man arbeitete.<br />

29<br />

Frau Aussig verstarb 1940 bei ihren Eltern <strong>in</strong> Ottobrunn; die eigentliche Todesursache<br />

ist nicht überliefert 93 .<br />

Auch die Eheleute Stelter (Name geän<strong>der</strong>t) aus Taufkirchen, beide über 40 und, wie es<br />

heißt, leicht geistig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, wurde abgeholt und sterilisiert. „Nach diesem schlimmen<br />

Ereignis s<strong>in</strong>d sie dann bald verstorben.“ 94<br />

Frau Eva Ste<strong>in</strong>le<strong>in</strong> (Name geän<strong>der</strong>t) war 6 Jahre lang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anstalt Eglf<strong>in</strong>g- Haar unter-<br />

gebracht. Am 24.1.1941 kam sie mit e<strong>in</strong>em Transport <strong>in</strong>s österreichische Schloss Hart-<br />

heim, wo sie mit Giftgas getötet wurde 95 Der Witwer erhielt 2 Wochen später „die Mit-<br />

teilung, dass se<strong>in</strong>e Frau ... am 7.2. 1:30h gestorben sei“. Bereits am folgenden Tag<br />

war ihr Leichnam ohne Benachrichtigung <strong>der</strong> Familie e<strong>in</strong>geäschert worden. Die Urne<br />

traf kurze <strong>Zeit</strong> später <strong>in</strong> München e<strong>in</strong> und wurde auf dem Friedhof am Perlacher Forst<br />

beigesetzt. 96<br />

E<strong>in</strong> weiters Euthanasieopfer ist offenbar Herr Ullrich Ste<strong>in</strong> (Name geän<strong>der</strong>t). Zunächst<br />

kam er <strong>in</strong> die klösterliche Pflegeanstalt Schönbrunn bei Dachau. Am 17.6.1941 wurde<br />

er nach Haar gebracht. 3 Tage später transportiert man den Patienten <strong>in</strong> „e<strong>in</strong>e Reichs-<br />

anstalt“, wahrsche<strong>in</strong>lich auch die Euthanasieanstalt Hartheim, wo er umkam.<br />

Im Schloss Hartheim wurden etwa 30.000 Kranke mit Giftgas ermordet. Für ganz<br />

Deutschland schätzt man die Zahl <strong>der</strong> getöteten beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> unheilbar Kranken<br />

auf 80.000. 97<br />

Nach Protesten aus <strong>der</strong> Bevölkerung wurde die erste, zentral aus Berl<strong>in</strong> gelenkte<br />

Euthanasieaktion im August 1941 abgebrochen. Danach kam es zu dezentralen Tö-<br />

tungsaktionen <strong>in</strong> den Heilanstalten. Die Opfer wurden jetzt durch systematischen Nah-<br />

rungsreduktion, nach dem „Hungerkosterlaß“ des Reichs<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums vom No-<br />

vember 1942, so weit geschwächt, dass sie an Krankheiten starben.<br />

Zu diesen gehört wahrsche<strong>in</strong>lich Frau Ida Ernst (Name geän<strong>der</strong>t) aus Ottobrunn. Sie<br />

war an Schizophrenie erkrankt.<br />

93 SA, Gesundheitsämter Nr. 5077<br />

94 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933-1945)“, unveröffentliches Manuskript<br />

95 Mitteilung des Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim vom 4.4.2008<br />

96 SA, Amtsgericht München Nr. 1954/ 2172<br />

97 Deutsches Hygienemuseum Dresden (Hrgb.): „Tödliche Mediz<strong>in</strong> im Nazionalsozialismus“, Böhlau-Ver-<br />

lag, Köln 2008


30<br />

(Foto: Archiv des Bezirks Oberbayern) Ida Ernst aus <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>- Ottobrunn <strong>in</strong> Haar<br />

Der zuständige Bezirksarzt berichtete: „[Ida Ernst] wurde durch die Heil- und Pflegean-<br />

stalt Eglf<strong>in</strong>g – Haar am 4.1.35 unfruchtbar gemacht.“<br />

1938 wurde sie erneut <strong>in</strong> Haar e<strong>in</strong>geliefert, wo sie 6 Jahre später, auf 31 Kilogramm ab-<br />

gemagert starb; Diagnose: „Lungentuberkulose“. 98<br />

E<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong>ung berichtete kürzlich: „Die Ärzte im Kl<strong>in</strong>ikum Haar machten sich während<br />

des Nationalsozialismus mitschuldig an <strong>der</strong> Tötung tausen<strong>der</strong> psyschisch Kranker...<br />

Der Direktor des Kl<strong>in</strong>ikums, Herrmann Pfannmüller, galt als aktiver Vorkämpfer <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Rassenideologie. Als ... das >Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses< verab-<br />

schiedet wurde, veranlasste er , dass 1700 Patienten sterilisiert und mehr als 3000 Pa-<br />

tienten durch Deportation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Vernichtungsanstalt, durch Vergiftung mit Medikamen-<br />

ten und <strong>in</strong> Hungerstationen ihr Leben lassen mussten. Darunter waren auch 332 K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong>... Auch 2029 Erwachsene mussten direkt durch Pfannmüllers Begutachtungen, die<br />

er <strong>in</strong> Haar durchführte, sterben.“ 99<br />

Antisemitismus<br />

Die Ablehnung alles Jüdischen wird ersichtlich aus e<strong>in</strong>em Beschluß des örtlichen Ge-<br />

me<strong>in</strong><strong>der</strong>ates vom Herbst 1938: Mit sofortiger Wirksamkeit wird die Auerbachstraße <strong>in</strong><br />

„Hochäckerstraße“ umbenannt. Begründung: „Die Erhebungen haben ergeben, dass<br />

98 OA, Heil-und Pflegeanstalt Eglf<strong>in</strong>g/ Haar, Patientenakte 6006, SA LRA 20263, SA AG München, Erbgesundheitsgericht<br />

1934/ 252<br />

99 Süddeutsche <strong>Zeit</strong>ung , Landkreisausgabe Süd vom 23./24.8.2008


31<br />

die ursprüngliche Straßenbezeichnung auf e<strong>in</strong>en Juden zurückzuführen ist.“ 100 Das war<br />

folgerichtig, nachdem im Geme<strong>in</strong>deblatt ja festgestellt worden war: „Der Jude hasst<br />

dieses neue, starke, selbstbewusste und schöne nationalsozialistische Deutschland wie<br />

sonst nichts auf <strong>der</strong> Welt...“<br />

In e<strong>in</strong>er Anordnung zur Reichtagswahl im Jahr 1936 wird bestimmt: „Juden s<strong>in</strong>d nicht<br />

wahlberechtigt“. Aus dem bayerischen Oberland berichtet man: „Am Sonntag dem 5.<br />

August [1935] zog e<strong>in</strong>e große Gruppe unter Vorantritt e<strong>in</strong>er Musikkapelle durch ganz<br />

Tölz unter Mitführung e<strong>in</strong>es Transparents: >Juden s<strong>in</strong>d hier unerwünscht, Bad Tölz will<br />

ke<strong>in</strong>e Juden


32<br />

Als „Stand“ des Schnurmann wird <strong>in</strong> den amtlichen Unterlagen nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> angege-<br />

ben (und damit se<strong>in</strong> schrittweiser gesellschaftlicher Abstieg gekennzeichnet): „Kunst-<br />

historiker, Gutsbesitzer, Gärtner, Zwangsarbeiter“ 105<br />

Emil Schnurmann (Foto: Stadtarchiv München)<br />

Der Nazistaat steckte riesige Geldmengen <strong>in</strong> die Aufrüstung, die großteils über Kredite<br />

f<strong>in</strong>anziert wurden. Als dies an erste Grenzen stieß, kam man auf die Idee, die Lücken<br />

mit dem Geld <strong>der</strong> jüdischen Bürger zu schließen. Die Verordnung vom 26.4.1938<br />

„zwang die Juden, ihr gesamtes Vermögen detailliert gegenüber den F<strong>in</strong>anzämtern zu<br />

deklarieren, sofern es 500 Reichsmark überschritt.“ 106<br />

Emil Schnurmann gab den Wert se<strong>in</strong>es Anwesens, Tegernseer Landstraße 106 (heute<br />

Münchner Straße 8) mit 20.000 RM und se<strong>in</strong> Gesamtvermögen mit rund 22.000 RM<br />

an. Das F<strong>in</strong>anzamt München- Land errechnete daraus die „Judenvermögensabgabe“<br />

von 20 % also 4.400 RM. Kurze <strong>Zeit</strong> später wurde die Vermögensabgabe um weitere 5<br />

Prozentpunkte erhöht, d.h. weitere 1100 Mark wurden fällig. Schnurmann erreichte aber<br />

e<strong>in</strong>e Abm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, da se<strong>in</strong>e „jüdische“ Immobilie <strong>in</strong>zwischen im Marktwert von 20.000<br />

auf 15.000 RM gefallen war. Der Logik zum Trotz, wurde aber von Schnurmann jetzt<br />

noch die neu erfundenen „Wertzuwachssteuer“ verlangt : zu zahlen waren weitere<br />

3.000 Mark.<br />

Auch bekommt Schnurmann jetzt Besuch von <strong>der</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Polizei, um nachzu-<br />

schauen, ob er vielleicht Vermögenswerte verschwiegen habe. Bei <strong>der</strong> Gelegenheit äu-<br />

ßerte Schnurmann, dass er nach England o<strong>der</strong> Argent<strong>in</strong>ien auswan<strong>der</strong>n möchte.<br />

105 SM, Auskunft aus <strong>der</strong> Datenbank über die Opfer des Holocaust; SA (Hrsg.): „Biographisches Er<strong>in</strong>nerungsbuch<br />

Münchner Juden 1933- 1945“, München 2007<br />

106 Götz Aly: „Hitlers Volksstaat“, S Fischer, Frankfurt 2005


33<br />

Um das Geld aufzubr<strong>in</strong>gen, dass das F<strong>in</strong>anzamt im Auftrag des Staates von ihm ver-<br />

langt, entschließt sich <strong>der</strong> jüdische Mitbürger se<strong>in</strong> Anwesen an se<strong>in</strong>en freundlichen<br />

Nachbarn Bertram (Name geän<strong>der</strong>t) zu verkaufen.<br />

Hier nun greift Josef Prenn e<strong>in</strong>: Er berichtet im Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at: „Herr Bürgermeister gab<br />

zu Kenntnis von dem Grundverkauf des Juden Schnurmann an Herrn [Bertram] unter<br />

Umgehung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de. Im E<strong>in</strong>vernehmen mit <strong>der</strong> Kreisleitung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP konnte<br />

<strong>der</strong> Kauf rückgängig gemacht werden und besteht die Aussicht, das Gebäude nebst<br />

Grundstück <strong>der</strong> <strong>NS</strong>V zu vermitteln...“<br />

Zwei Monate später beschließt man: „Das Anwesen des Juden Emil Israel Schnur-<br />

mann <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Tegernseerlandstraße 106 wird von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

käuflich erworben. Der Kaufpreis von 15 000 RM sowie die notwendigen Nebenkosten<br />

werden genehmigt... Das Anwesen ... wird voraussichtlich als K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenheimstätte<br />

umgebaut... “ 107<br />

Der K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten wurde dann auch e<strong>in</strong>gerichtet, Eigentümer wurde aber die National-<br />

sozialistische Volksfürsorge (<strong>NS</strong>V). Herr Ganter, <strong>der</strong> ehemalige Kreisarchivpfleger, ver-<br />

mutet, die <strong>NS</strong>V habe aus ideologischen Gründen nicht direkt mit e<strong>in</strong>em Juden Geschäf-<br />

te machen wollen und habe daher die Geme<strong>in</strong>de „vorgeschickt“.<br />

Ab Juni 1945 übernahm die Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> dann (wahrsche<strong>in</strong>lich kostenlos<br />

nach Liquidierung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>V) das Anwesen und den K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten. 1952 wurde sie dann<br />

auch grundbuchamtlich Eigentümer<strong>in</strong> <strong>der</strong> Immobilie, welche sie 2 Jahre später an e<strong>in</strong>en<br />

privaten Käufer veräußerte. Der von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de aus dem Verkauf <strong>der</strong> „jüdischen“<br />

Immobilie erzielte Gew<strong>in</strong>n wurde nicht veröffentlicht 108<br />

Nach dem Verlust se<strong>in</strong>e Wohnstatt und ohne Arbeitsmöglichkeit –nach Erlass <strong>der</strong> Ver-<br />

ordnung zur Ausschaltung <strong>der</strong> Juden aus dem Wirtschaftsleben am 12.11.1938 waren<br />

ihnen fast alle Berufe verschlossen- bestreitet Schnurmann nun se<strong>in</strong>en Lebensunterhalt<br />

„auf das e<strong>in</strong>fachste durch den Verkauf [<strong>der</strong>] Möbel...“. Da <strong>der</strong> Kaufpreis für se<strong>in</strong> Haus<br />

auf e<strong>in</strong> Sperrkonto kam, konnte er nicht aus Deutschland ausreisen, da ihm das Geld<br />

für die Fahrt und für die dann anfallende perfide „Reichsfluchtsteuer“ nicht zur Verfü-<br />

gung stand.<br />

Aufgrund des Gesetzes über die Mietverhältnisse <strong>der</strong> Juden vom 30.4.1939 ist Schnur-<br />

mann im Mai 1940 gezwungen <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> zu verlassen und <strong>in</strong> das „Judenhaus“ <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Frauenstraße 24 <strong>in</strong> München zu ziehen. Es gab <strong>in</strong> München etwa 30 solche Miets-<br />

häuser, die jüdischen Bürgern gehörten, die gezwungen wurden, an<strong>der</strong>en Juden <strong>in</strong><br />

großer Zahl Unterkunft zu geben. Dies war die Vorstufe zur angestrebten >judenfreien<br />

Stadt


In Berg am Laim und Milbertshofen wurden nun Zwangslager e<strong>in</strong>gerichtet. Schnur-<br />

34<br />

mann wird <strong>in</strong> das beschönigend „Heimanlage“ genannte Getto <strong>in</strong> Berg am Laim e<strong>in</strong>ge-<br />

wiesen, dass er nur zur Zwangsarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gärtnerei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Isman<strong>in</strong>ger Straße ver-<br />

lassen durfte. Die Insassen mussten Ihre Ausweise abgeben und waren damit aus <strong>der</strong><br />

sozialen Existenz ausgestoßen.<br />

Das Lager Berg am Laim war <strong>in</strong> 2 Stockwerken im Klostergebäude <strong>der</strong> Barmherzigen<br />

Schwestern errichtet worden. „320 jüdische Menschen [waren dort] auf engstem Raum<br />

zusammengepfercht, unten im Erdgeschoß die Männer, im ersten Stock die Frauen.“<br />

Die Lager mussten unter Naziaufsicht von <strong>der</strong> Israelitischen Kultusgeme<strong>in</strong>de betrieben<br />

werden.<br />

Nachdem Proteste gegen die Gewaltmaßnahmen völlig wirkungslos geblieben waren,<br />

verzichtete die Kultusgeme<strong>in</strong>de darauf. Der Historiker Erich Kasberger kommentiert:<br />

„Diese Züge <strong>der</strong> Resignation <strong>der</strong> Kultusgeme<strong>in</strong>de haben sicherlich auf tragische Weise<br />

den reibungslosen Weg <strong>der</strong> Münchner Juden <strong>in</strong> die Deportation erleichtert“ Und: „Das<br />

H<strong>in</strong>wegsehen <strong>der</strong> Bevölkerung [bedeutete] letztlich E<strong>in</strong>verständnis mit den Verhältnis-<br />

sen.“ 110<br />

Frau Dr. Else Behrend- Rosenfeld und 3 Männer wurden als Heimleitung bestimmt. Sie<br />

versuchte das beengte Zusammenleben <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> möglichst geordnete Bahnen<br />

zu lenken. 111 Die Gefangenen müssen für „Kost und Logie“ selber aufkommen: Sie ha-<br />

ben 10 Pf pro Essen und 50 Pf für die Übernachtung aufzubr<strong>in</strong>gen, notfalls muss die jü-<br />

dische Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen, die auch die Möbel zu beschaffen hatte.<br />

Im November 1941 wird Schnurmann <strong>in</strong> das Lager überführt, das Juden <strong>in</strong> Zwangsar-<br />

beit <strong>in</strong> Milbertshofen errrichtet hatten. Dort wird vom geprüften Gerichtsvollzieher beim<br />

Amtsgericht München ermittelt, dass se<strong>in</strong> Besitz jetzt nur noch 3.100 RM beträgt. (Der<br />

Erlös für se<strong>in</strong> Haus auf den Sperrkonnto wird ihm ansche<strong>in</strong>end schon gar nicht mehr<br />

zugerechnet!)<br />

Der <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er erhält im Lager die Verfügung zugestellt, dass se<strong>in</strong> Besitz auf-<br />

grund des „Gesetzes über die E<strong>in</strong>ziehung volks- und staatsfe<strong>in</strong>dlichen Vermögens“<br />

vom 14.3.1933 dem deutschen Staat anheimfällt, sobald er deutschen Boden ver-<br />

lässt. 112 Dies geschieht am 20.11.1941: Schnurmann war e<strong>in</strong>er von den 980 Menschen,<br />

die damals <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Deportation aus München nach Litauen „evakuiert“ wurden. 113<br />

Die Bahnfahrt dauerte 3 Tage. Männer, Frauen und K<strong>in</strong><strong>der</strong> sperrte man <strong>in</strong> Kaunas <strong>in</strong><br />

die dortige alte Festung e<strong>in</strong>.<br />

110 Knauer, Kasberger: „Berg am Laim“ Volksverlag, München 2007<br />

111 Erich Kasberger et.al. im Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags, Buchendorfer Vlg. 1987<br />

112 SA, FA 19245, Of<strong>in</strong>D 7268, die 11. VO zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 bestimmte, dass bei<br />

jeden Grenzübertritt das Vermögen von Juden dem Staat verfällt.<br />

113 Orphis Wiesen: „Die jüdischen Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Bayern“. Aus 16 Städten im „Altreich“ und <strong>der</strong> CSR<br />

wurden im Spätherbst 1941etwa 50.000 Juden „<strong>in</strong> die Gegend von Riga und M<strong>in</strong>sk abgeschoben.“


35<br />

Tags darauf wurden die Menschen auf e<strong>in</strong>em Feld, wo Erdgruben ausgehoben waren,<br />

mit Masch<strong>in</strong>engewehren erschossen. Ingesamt wurden am 25.11.1941 <strong>in</strong> Kaunas fast<br />

3.000 Juden getötet. Die Gesamtzahl <strong>der</strong> <strong>in</strong> Kaunas Ermordeten wird auf 50.000 ge-<br />

schätzt. Es heißt: „Hier vollzog sich im Sommer 1941- zu e<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong> also, als noch kei-<br />

nes <strong>der</strong> Vernichtungslager se<strong>in</strong>en tödlichen Betrieb aufgenommen hatte- <strong>der</strong> Übergang<br />

von pogromartigen Ausschreitungen zum systematischen Völkermord.“ 114<br />

Die Deutsche Bank, Filiale München schrieb e<strong>in</strong> halbes Jahr später an den Herrn Ober-<br />

f<strong>in</strong>anzpräsident, Dienststelle für Vermögensverwertung: „Wir gestatten uns darauf h<strong>in</strong>-<br />

zuweisen, dass uns bisher von e<strong>in</strong>er Evakuierung des Genannten [Emil Schnurmann]<br />

nichts bekannt war, und bitten Sie uns dies <strong>der</strong> Ordnung halber zu bestätigen.“<br />

Emil Schnurmann h<strong>in</strong>terließ ke<strong>in</strong>e Nachkommen. Entschädigungsanträge nach dem<br />

e<strong>in</strong>schlägigen Bundesgesetz wurden nicht gestellt. 115<br />

E<strong>in</strong> dritter Bürger jüdischer Abstammung war <strong>der</strong> SPD- Vorsitzende und Bäckermeister<br />

Erhard Süß. Er wurde im Frühjahr 1933 aus dem Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at h<strong>in</strong>ausgedrängt. Weite-<br />

res über se<strong>in</strong> Schicksal war nicht zu ermitteln. Vielleicht ist es ihm gelungen, sich au-<br />

ßerhalb Deutschlands rechtzeitig <strong>in</strong> Sicherheit zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Im August 1936 vermerkt das Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atsprotokoll, dass <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>depfarrer von<br />

sich aus anbietet: „die Kirchenbücher für die Sippenforschung auszuwerten.“ Übertreibt<br />

Mart<strong>in</strong> Gailus, wenn er dies als „kirchliche Amtshilfe bei <strong>der</strong> Judenverfolgung im >Drit-<br />

ten Reich< charakterisiert“? 116<br />

Aufmärsche und Feiern<br />

Die <strong>NS</strong>DAP entwickelte e<strong>in</strong>e große Fertigkeit dar<strong>in</strong>, auch <strong>in</strong> den Dörfern Veranstaltun-<br />

gen durchzuführen, um die Menschen für sich und ihre Ziele zu gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

Aufmärsche und Feiern <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> ist <strong>in</strong> den Dokumenten belegt. Das die Werbe-<br />

wirkung gegeben war, lässt sich belegen durch die hohen Zustimmungsraten bei den<br />

Volksabstimmungen; <strong>in</strong>wieweit sich Verdruss e<strong>in</strong>stellte, wegen e<strong>in</strong>es Zuviel an Aktio-<br />

nen, ist nicht mehr feststellbar.<br />

Dass Hitlers Machtergreifung im Dorf gefeiert wurde, ist weiter oben bereits nachzule-<br />

sen. E<strong>in</strong> Großereignis f<strong>in</strong>det im August 1933 <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> statt: e<strong>in</strong> „Staatsbegräb-<br />

114 G.R. Ueberschär (Hrgb.): „Orte des Grauens, Verbrechen im 2. Weltkrieg“ Primus Vl. Darmstadt 2003<br />

115 Zuletzt Auskunft <strong>der</strong> Bundeszentralkartei bei <strong>der</strong> Bezirksregierung <strong>in</strong> Düsseldorf im April 2006<br />

116 Manfred Gailus: „Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche und die Judenverfolgung im Dritten Reich“, Verlag<br />

Vandenhoeck und Ruprecht, Gött<strong>in</strong>gen 2008


36<br />

nis“ für den Hitlerjungen Walter Pröbstle, <strong>der</strong> bei e<strong>in</strong>em Unwetter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeltlager <strong>der</strong><br />

HJ auf <strong>der</strong> Theresienwiese <strong>in</strong> München gestorben war.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong>ung berichtet: „Vom Krankenhaus Schwab<strong>in</strong>g aus [überführte man die Leiche<br />

des Walter Pröbstle] <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Heimatfriedhof nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, wo man ihm am<br />

Nachmittag des Mittwochs auf Staatskosten e<strong>in</strong> feierliches Begräbnis bereitete. Unter-<br />

hach<strong>in</strong>gs Häuser hatten zur Abschiedsstunde ihre Fahnen halbstock gesetzt und mit<br />

Trauerwimpeln geschmückt. ...<br />

Staatsm<strong>in</strong>ister [Gauleiter] Adolf Wagner trat dann vor. ...: > Wir stehen am Grabe e<strong>in</strong>es<br />

jungen deutschen Soldaten. Er ist gefallen um Deutschland. Alles hatte die Gebietsfüh-<br />

rung getan, um die Sorge für die Jungen tragen zu können. Trotzdem wollte das Ge-<br />

schick, dass e<strong>in</strong>er fallen musste und e<strong>in</strong>e Reihe von Jungens heute noch verwundet im<br />

Krankenhaus liegen(!). Wir wollen nicht ha<strong>der</strong>n mit dem Geschick. Wir wollen mutig das<br />

Geschick tragen, wie es Soldatenart ist.<br />

Wir wollen uns beugen unter dem, was <strong>der</strong> Herrgott uns schickt, wissend dass es im-<br />

mer recht und gut ist. Wir wollen Soldaten bleiben, die notwendig s<strong>in</strong>d, damit das Werk<br />

vollendet werden kann, dass uns das Schicksal auferlegt hat. Zwei Millionen mussten<br />

im Feld fallen, rund 300 Kameraden fielen <strong>in</strong> den letzten 14 Jahren.<br />

Zwei Hitler- Jungens hat das Schicksal aus unseren Reihen herausgelöst. So musste<br />

es se<strong>in</strong> und wir wollen starke Menschen se<strong>in</strong> und uns rüsten, Ihr von <strong>der</strong> S.A. und Ihr<br />

Männer und Frauen, für unseren Teil bereit zu se<strong>in</strong>, wenn das Geschick von uns das<br />

gleiche for<strong>der</strong>n sollte... Wir wollen würdig se<strong>in</strong> <strong>der</strong> großen Vorbil<strong>der</strong>. Und Ihr Jungens,<br />

seit würdig dem(!) toten Kameraden, <strong>der</strong> hier liegt. Es geht um Deutschland und um<br />

Deutschland ist ke<strong>in</strong> Opfer zu schade...<<br />

In schier unendlicher Reihe traten nach Adolf Wagner die Kameraden zum letzten Ab-<br />

schied an. ... Im Namen <strong>der</strong> O. Gr. <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> <strong>der</strong> N.S.D.A.P. nahm <strong>der</strong>en Führer Dr.<br />

Fladt Abschied ... Der Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> Kranz legte zweiter Bürgermeister<br />

Prenn nie<strong>der</strong> ...<br />

Hitler-Jungen, Jungvolk, S.A. und S.A.R., S.S. und Stahlhelmkameradschaft, Deutsche<br />

Mädels, die S.A.- Führung „Hochland“, die S.A.- Brigade München- Oberbayern, die<br />

N.S.D.A.P.- Frauenschaft, die Braunen Schwestern, die N.S.D.A.P.- Kriegsopfer, die<br />

Gendarmeriebeamten des Bezirks, alt und jung traten zum letzten Gruße an und alle<br />

h<strong>in</strong>zogen. 117 “ brachten Blumen, während die letzten Abschiedsweisen über die Stätte<br />

des Friedens<br />

Der mächtige Gauleiter Wagner macht sich den Tod des <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Jungen zunut-<br />

ze: Aus dem Sterben im Gewittersturm macht er Kriegsgeschehen. Der Tote wird fast <strong>in</strong><br />

die Reihe gestellt mit den Parteimärtyrern vom „Marsch auf die Feldherrnhalle“ des Jah-<br />

res 1923. Hier wird schon sichtbar die offenbar systemimmanente Verklärung des To-<br />

117 MNN Nr. 230, vom 25.8.1933


37<br />

des und des toten Helden. E<strong>in</strong> ehemaliger Hitlerjunge berichtete, dass am E<strong>in</strong>gang des<br />

„Hochlandlagers“ <strong>der</strong> HJ bei Königsdorf plakatiert war: „Wir s<strong>in</strong>d zum Sterben für<br />

Deutschland geboren“. 118 Und Hellsichtige konnten aus solchen Äußerungen 1933<br />

schon die Überzeugung gew<strong>in</strong>nen, dass Hitler Krieg bedeutet- und haben es auch ge-<br />

tan, wie beispielsweise aus den Aufzeichnungen <strong>der</strong> im November 2007 verstorbenen<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Sozialdemokrat<strong>in</strong> Maxi Besold hervorgeht. 119<br />

Der Toten des Putschversuches von 1923 wird nun jährlich mit e<strong>in</strong>em pompösen<br />

„Staatsakt“ <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP auf dem Münchner Odeonsplatz gedacht, 1933 verbunden mit<br />

<strong>der</strong> Vereidigung „<strong>der</strong> Herrn Bürgermeister sämtlicher Bayer. Geme<strong>in</strong>den“ also auch des<br />

Wilhelm Fladt. 120 In se<strong>in</strong>er dortigen Rede führte <strong>der</strong> Reichsstatthalter und angebliche<br />

Besieger <strong>der</strong> Roten Armee Ritter von Epp u. a. aus: „In <strong>der</strong> zurückliegenden <strong>Zeit</strong> war es<br />

ja an dem, dass <strong>der</strong> Bürgermeister <strong>der</strong> Spielball <strong>der</strong> Parteien war... Wir wollen, dass<br />

<strong>der</strong> Führergedanke <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> dem 1. Bürgermeister... zum Ausdruck kommt, und<br />

ihm, dem ersten Führer, die an<strong>der</strong>n zu Willen zu se<strong>in</strong> haben bei <strong>der</strong> Neue<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong><br />

Verhältnisse.“ 121<br />

Im März 1934 kommt Reichskanzler Hitler zum offiziellen Baubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Reichsauto-<br />

bahn München- Salzburg nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und Taufkirchen (Vorarbeiten begannen<br />

schon im November 1933). Er wird begleitet von se<strong>in</strong>em Stellvertreter von Papen. Au-<br />

ßerdem erschienen: Goebels, drei weitere M<strong>in</strong>ister und <strong>der</strong> Reichsstatthalter von Epp.<br />

Gauleiter Wagner heißt die Gäste willkommen und betont schließlich: „Wir grüßen den<br />

Führer als Schöpfer <strong>der</strong> deutschen E<strong>in</strong>heit, als den, <strong>der</strong> als wahrhafter Sozialist den<br />

deutschen Volksgenossen wie<strong>der</strong> Arbeit und Brot gab.“<br />

Hitler markiert den Start <strong>der</strong> „Arbeitsschlacht“ mit den vom Rundfunk übertragenen<br />

Worten: „Das Ziel ist uns gesetzt, deutsche Arbeiter fanget an!“<br />

Es werden wenig Masch<strong>in</strong>en aber viele Arbeiter e<strong>in</strong>gesetzt: Ende des Jahres s<strong>in</strong>d es<br />

auf <strong>der</strong> 100 km langen Baustelle München- Siegsdorf fast 12.000. Es wird geschätzt,<br />

dass durch den Autobahnbau 250.000 Menschen Beschäftigung fanden, also immerh<strong>in</strong><br />

4,2 Prozent <strong>der</strong> 6 Millionen Erwerbslosen.<br />

Doch die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d hart. Die beteiligten Münchner Baufirmen (von Hoch-<br />

tief bis Karl Stöhr) zahlen weniger als 80 Pf/Std, so dass etliche Arbeiterfamilien zusätz-<br />

liche Unterstützungsleistungen benötigen. Die Firmen können die Arbeiter, welche teil-<br />

weise hierher zwangsverpflichtet wurden, bei Schlechtwetter o<strong>der</strong> bei angeblicher Un-<br />

tauglichkeit o<strong>der</strong> bei Protesten mit <strong>der</strong> Androhung von Geld- o<strong>der</strong> Gefängnisstrafen dis-<br />

118 Dr. Rothhaus <strong>in</strong> „Grünwald Chronik“<br />

119 Freundeskreis Maxi Besold (Hrgb.): „Mit Zivilcourage Zeichen gesetzt“, Selbstverlag, München 2008<br />

120 SA, Schreiben des Bezirksamt München an die Bürgermeister, LRA 17818<br />

121 <strong>Zeit</strong>genössischer <strong>Zeit</strong>ungsbericht, zitiert nach Manfred Bialucha: „Streiflichter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e dunkle <strong>Zeit</strong>“


zipl<strong>in</strong>ieren o<strong>der</strong> kurzerhand entlassen 122 . Es war damals unter menschenunwürdigen<br />

38<br />

Bed<strong>in</strong>gungen Schwerstarbeit zu verrichten. 123 So wurde beispielsweise verlangt, dass<br />

e<strong>in</strong> Arbeiter auch bei schwierigen Bodenverhältnissen pro Tag 8 m³ Erde auszuheben<br />

hat.<br />

Bereits e<strong>in</strong> Jahr später heißt es bei <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> erneut:<br />

„Der Führer kommt !“ „Am Samstag, 29.Juni abends 6 Uhr f<strong>in</strong>det die Eröffnung <strong>der</strong><br />

Reichsautobahnstrecke München- Holzkirchen statt... Da die Eröffnung weit über die<br />

Grenzen des Gaues h<strong>in</strong>aus Bedeutung hat, werden alle Partei- und Volksgenossen<br />

durch Spalierbildung sich beteiligen...<br />

Volksgenossen und Volksgenoss<strong>in</strong>nen, viele haben durch die Reichsautobahn Arbeit<br />

und Brot bekommen. Dies müssen wir <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie unserem Führer Adolf Hitler ver-<br />

danken. Wir wollen daher auch zeigen, dass wir mit dem Führer e<strong>in</strong>ig s<strong>in</strong>d und uns<br />

restlos zur Verfügung stellen. Es ist für uns bereits e<strong>in</strong> Bedürfnis geworden, den Führer<br />

persönlich zu sehen und begrüßen zu dürfen. Um unsere enge Verbundenheit zum<br />

Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen, erwarte ich daher, dass sämtliche Deutsche Männer und Frauen<br />

sowie die Deutsche Jugend geschlossen antritt.“<br />

Alle Dorfbewohner müssen sich, flankiert von <strong>der</strong> SS, <strong>in</strong> Marschkolonnen zur Baustelle<br />

begeben, sogar Gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te werden zum Jubeln dorth<strong>in</strong> geschafft. 124<br />

Ende April 1935 veröffentlicht das „Amts- Blatt <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>- Ottobrunn“<br />

folgenden Appell: „Der Führer hat den 1. Mai, den „Tag <strong>der</strong> Nationalen Arbeit“, zum Fei-<br />

ertag des gesamten deutschen, schaffenden Volkes erhoben. Der 1. Mai ist also De<strong>in</strong><br />

Feiertag, <strong>der</strong> Dich daran er<strong>in</strong>nert, dass Dir De<strong>in</strong> Führer die gleichberechtigte Stellung<br />

im deutschen Volke gegeben hat, die Dir als schaffen<strong>der</strong>, deutscher Volksgenosse zu-<br />

steht ... Der 1. Mai muß aber auch wirklich von jedem Volksgenossen durch persönli-<br />

che Beteiligung mitgefeiert werden. Der Führer ruft Dich an diesem Tage, um wie<strong>der</strong> zu<br />

Dir zu sprechen. Zeige, dass Du e<strong>in</strong> Glied <strong>der</strong> deutschen Volksgeme<strong>in</strong>schaft bist: Kom-<br />

me, um De<strong>in</strong>en Führer zu ehren und zu hören.“<br />

Es folgt das Programm mit Umzug, Maitanz und geme<strong>in</strong>samem Anhören <strong>der</strong> „Führerre-<br />

de“ 125<br />

Auch die gleichgeschalteten Vere<strong>in</strong>e trieben politische Propaganda. So schreibt z. B.<br />

<strong>der</strong> „Vere<strong>in</strong>sführer“ des Turnvere<strong>in</strong>s Hach<strong>in</strong>ger Tal endend mit „Gut Heil- Heil Hitler“:<br />

„An die Bevölkerung von <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und Taufkirchen!: Der Turnvere<strong>in</strong> Hach<strong>in</strong>ger Tal<br />

führt am Sonntag, dem 2.Juni 1935, die pflichtgemäße Olympia- Werbung [für die Spie-<br />

le im Jahr 1936] durch und zeigt … turnerische Vorführungen.“<br />

122 Jürgen Bauer „Arbeit und Brot, E<strong>in</strong> Bericht über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des<br />

Baus <strong>der</strong> Autobahn München- Salzburg im Südosten Bayerns“, Facharbeit, Ottobrunn 1995<br />

123 Richard Vahrenkamp <strong>in</strong> „Die Chiemseeautobahn“, Hist. Vere<strong>in</strong> von Oberbayern, 130. Band, 2006<br />

124 Handakten Felzmann, Schreiben <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> vom 27.6.1935<br />

125 GU, Amtsblatt v. 27.4.1935


39<br />

„Deutsche Männer, Frauen und Jugend zeigt Euer Interesse durch regste Teilnahme an<br />

dieser für deutsches Volkstum werbenden Veranstaltung! Treibt Turnen und Sport- zu<br />

Eurem und des Vaterlandes Wohl! 126<br />

Die <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> plakatiert zum 23./24.Juni 1935 e<strong>in</strong>en „Aufruf<br />

zur Sonnwendfeier“. Den „Volksgenossen und Volksgenoss<strong>in</strong>nen“ wird e<strong>in</strong>geschärft :<br />

„Der Sonnwendtag ist e<strong>in</strong> Freudenfest unserer Jugend, die sich <strong>in</strong> Spiel, Wettkämpfen<br />

und Feiern die Kraft holt, <strong>der</strong>e<strong>in</strong>st unsere Fahne weiterzutragen. Das ganze Volk fühlt<br />

sich an diesem Tage mit <strong>der</strong> Jugend verbunden und wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>mütiger Geschlossen-<br />

heit die errungene Volksgeme<strong>in</strong>schaft bekennen!<br />

Besucht deshalb die Wettkämpfe und Veranstaltungen! Es wird e<strong>in</strong> weiterer Fortschritt<br />

zu dem Ziel se<strong>in</strong>, dessen Programm heißt: Adolf Hitler!“<br />

Sonntags abends formiert sich daraufh<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Turnhalle e<strong>in</strong> Festzug zu <strong>der</strong> Feier, die<br />

<strong>in</strong> Taufkirchen- W<strong>in</strong>n<strong>in</strong>g abgehalten wird.<br />

Am 6. Oktober1935 lädt die Partei im „Amts- Blatt“ wie<strong>der</strong> zum Feiern e<strong>in</strong>: Es geht zum<br />

„ERNTEDANK-FEST: Die Reichsflagge heraus! Schmückt die Häuser! Der deutsche<br />

unerschütterliche Lebenswille wird morgen Sonntag, dem Erntedanktag 1935, zum<br />

Ausdruck gebracht durch den Nährstand, den Wehrstand, den Schaffenden <strong>der</strong> Faust<br />

und <strong>der</strong> Stirn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie- unter e<strong>in</strong>em Führer.<br />

Bauern und Soldaten s<strong>in</strong>d die Garanten für die Sicherung von Blut und Boden, weshalb<br />

<strong>in</strong> diesem Jahr das Erntedankfest im Zeichen <strong>der</strong> Wehrhaftmachung des deutschen<br />

Reiches steht ...<br />

Aufstellung des Festzuges beim Gasthaus zur Post ... Zugordnung: HJ, JV, BDM,<br />

Schuljugend, Politische Leiter, Bauernschaft, SA, SAR, SAL, DAF, <strong>NS</strong>KOV [<strong>NS</strong>-Kriegs-<br />

opferverband], Vere<strong>in</strong>e ...<br />

Abmarsch zur Turnhalle um 12.30 Uhr ... Übertragung <strong>der</strong> Feierlichkeiten vom Bücke-<br />

berg: Es spricht <strong>der</strong> Reichsbauernführer und <strong>der</strong> Führer ... 127 “<br />

Auf dem Bückeberg bei Hameln <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen wurde 1933- 1938 (im Krieg dann<br />

nicht mehr) das Reichserntedankfest zelebriert.<br />

Anfang November 1935 heißt es im „Amts- Blatt“: „ZEHN JAHRE KAMPF! Am<br />

[16.u.17.11.] feiert die Ortsgruppe <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP, <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> ihr 10jähriges Bestehen.<br />

Die Volksgenossen wollen heute schon ihre ganze Aufmerksamkeit den anlässlich die-<br />

ser Feier stattf<strong>in</strong>denden Veranstaltungen zuwenden.“ 128<br />

126 TSV <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Festschrift zum 90jährigen Bestehen, Selbstverlag <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> 2000<br />

127 GU, Amtsblatt v. 5.10.1935<br />

128 GU, Amtsblatt v. 2.11.1935


40<br />

Der „Heldengedenktag“ wurde damals im Frühjahr begangen. Darüber wird berichtet:<br />

„Die Heldenfeier vollzog sich <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> unter stärkster Anteilnahme <strong>der</strong> Parteifor-<br />

mationen und –Glie<strong>der</strong>ungen, <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>e und <strong>der</strong> Bevölkerung am Kriegerdenkmal...<br />

Der Geist des Dritten Reiches gab ihnen die gebührende Ehre und hat ihre Opfer ge-<br />

adelt... Der Geist des November- Deutschland und des Pazifismus war die schnödeste<br />

Antwort auf den Opfertod <strong>der</strong> Soldaten des Großen Krieges. Es ist wie<strong>der</strong> schön ge-<br />

worden, <strong>in</strong> Deutschland zu leben und wir s<strong>in</strong>d stolz und frei und glücklich geworden.“ 129<br />

Das Kriegerdenkmal war im Juni 1925 im Rahmen e<strong>in</strong>e pompösen Feier e<strong>in</strong>geweiht<br />

worden. Es mahnte und mahnt noch heute deutlich: „Gedenket <strong>der</strong> Toten und bewah-<br />

red den Frieden.“<br />

Am 30.1.1937 wird von <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP für den nächsten Tag e<strong>in</strong>geladen und gefor<strong>der</strong>t:<br />

„Beflaggt Eure Häuser! An diesem denkwürdigen Jahrestag <strong>der</strong> Machtergreifung spricht<br />

um 13 Uhr <strong>der</strong> Führer ...Die Rede des Führers wird im Schulhaus, sowie <strong>in</strong> sämtlichen<br />

Gastwirtschaften <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> durch Lautsprecher übertragen. Se<strong>in</strong> Wort ist das <strong>der</strong><br />

Deutschen Nation... 130 “<br />

Im August 1939 berichtet das Amtsblatt, dass jetzt mit e<strong>in</strong>em Hakenkreuzemblem ge-<br />

schmückt ist, über die Feier mit Repräsentanten <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP, des Staates und <strong>der</strong><br />

Wehrmacht anlässlich <strong>der</strong> Ernennung des Josef Prenn zum Ehrenbürger(s.oben). Au-<br />

ßerdem werden noch Term<strong>in</strong>e für die Musterung und Aushebung von Wehrpflichtigen<br />

bekannt gegeben. Auch an dem Tag, den Hitler für den Kriegsbeg<strong>in</strong>ns mit dem Überfall<br />

auf Polen bestimmt hat, am 1.9.1939, f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Aushebung <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Männern<br />

statt...<br />

Im März 1940, nach den Anfangserfolgen <strong>der</strong> deutschen Truppen, organisiert die örtli-<br />

che <strong>NS</strong>DAP e<strong>in</strong>en TAG DER WEHRMACHT im Dorf und lockt: „Sie können sich ohne<br />

Fleischmarken zum Preis von 0,50 RM. zu Gunsten des Kriegs- WHW [W<strong>in</strong>terhilfswerk]<br />

e<strong>in</strong> Wehrmachts- E<strong>in</strong>topf- Essen sichern, wenn Sie rechtzeitig e<strong>in</strong>en Gutsche<strong>in</strong> bei Ih-<br />

rem Blockleiter erwerben. Die Bevölkerung wird gebeten sich zahlreich zu beteiligen<br />

und zeigt dadurch die Verbundenheit <strong>der</strong> Heimat mit <strong>der</strong> Front.“<br />

Die Bekanntmachung im Amtsblatt schließt mit <strong>der</strong> Parole: “Deutsche! Für den Sieg ist<br />

ausschlaggebend, welches Volk sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat am festesten mit <strong>der</strong> Front verbun-<br />

den fühlt. Auch hier werden wir Deutsche im Kriegs- WHW [W<strong>in</strong>terhilfswerk] 1939/40<br />

stärker se<strong>in</strong>, als unsere Fe<strong>in</strong>de es sich vorzustellen vermögen “ 131<br />

129 GU, Amtsblatt v. 14.3.1936<br />

130 GU, Amtsblatt v. 30.1.1937<br />

131 GU, Amtsblatt v. 16.3.1940


41<br />

Im Mai wurde jährlich <strong>der</strong> Muttertag begangen. An diesem Tag wurden Frauen, die vier<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> geboren hatten, mit dem Mutterkreuz geehrt. Im Jahr 1941 berichtete die <strong>NS</strong>D-<br />

AP, Ortsgruppe <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Amt für Volkswohlfahrt, an die Kreisleitung <strong>der</strong> Partei<br />

über den ungebührlichen Kommentar e<strong>in</strong>es Bürgers zur durchgeführten Mutterehrung:<br />

„Am Montag, den 19. ds. äußerte sich [Horst Helfrich, Name geän<strong>der</strong>t] <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofs-<br />

wirtschaft <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> wörtlich: >Wenn me<strong>in</strong>e Frau zum Zuchloasen- Vere<strong>in</strong> gehen<br />

kann, dann kann ich mir auch e<strong>in</strong>ige Mass Bier kaufen.< Der Ausdruck ´Zuchtlaosen-<br />

vere<strong>in</strong>´ bedeutet soviel wie ´Zuchsauenvere<strong>in</strong>´... Sie können sich vorstellen, dass da-<br />

durch die k<strong>in</strong><strong>der</strong>reichen Mütter <strong>in</strong> begreiflicher Aufregung s<strong>in</strong>d...“ Helfrich wurde „belehrt<br />

und verwarnt“ und zur Wehrmacht e<strong>in</strong>gezogen. 132<br />

Die Inszenierung von Massenveranstaltungen- e<strong>in</strong> Charakteristikum mo<strong>der</strong>ner Diktatu-<br />

ren- gelang des Nationalsozialisten beson<strong>der</strong>s gut. Wenn dann „Politstars“ wie Hitler<br />

und Goebels angekündigt wurden, für die man die Dörfer herausputzte und (mehr o<strong>der</strong><br />

weniger freiwillig) Spalier stand, kannte die Begeisterung ke<strong>in</strong>e Grenzen. Durch „rituelle<br />

Formen <strong>der</strong> Teilnahme“ (Joachim Fest) erreichte man Mobilisierung, B<strong>in</strong>dung und Weg-<br />

nahme von Zukunftsängsten, wobei das Schicksal bedrängter M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten völlig aus<br />

dem Blickfeld <strong>der</strong> Menschen geriet.<br />

Schwester Pia<br />

Eleonore Baur (geb. Mayr), genannt Schwester Pia, geb. 1885 <strong>in</strong> Kirchdorf bei Aibl<strong>in</strong>g,<br />

war 1919/20 als Sanitäter<strong>in</strong> bei verschiedenen Freikorpse<strong>in</strong>sätzen im Balikum, Ober-<br />

schlesien und Württemberg aktiv geworden. Als Elfte wurde sie Mitglied <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP<br />

und nahm 1923 am „Marsch zur Feldherrnhalle“ teil, was ihr als e<strong>in</strong>ziger Frau den<br />

„Blutorden“ e<strong>in</strong>brachte. He<strong>in</strong>rich Himmler bestellte sie später als Fürsorgeschwester <strong>der</strong><br />

SS im Rang e<strong>in</strong>er SS- Oberführer<strong>in</strong>. Sie hatten direkten Zugang zum „Führer“, was ihr<br />

e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Prestige verschaffte.<br />

Es gelang ihr zusätzlich zu ihrer Wohnung <strong>in</strong> München- Schwab<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> großes Grund-<br />

stück <strong>in</strong> Oberhach<strong>in</strong>g- Furth zu erwerben. Hier ließ sie sich mit Hilfe von Gefangenen<br />

des KZ Dachau e<strong>in</strong> Holzhaus errichten, wobei sie sich Baumaterial aber auch Lebens-<br />

mittel, später Möbel im KZ „besorgte“. Während sie gelegentlich Gefangene <strong>in</strong> Dachau<br />

mit Liebesgaben und Gefälligkeiten bedachte, machte es ihr nichts aus, Zeuge von un-<br />

menschlichen mediz<strong>in</strong>ischen Versuchen im Lager zu werden.<br />

Auf ihrer Baustelle, wo die Häftl<strong>in</strong>ge von SS- Männern bewacht wurden, quälte sie Ge-<br />

fangene. Diese mussten nahezu alle 14 Tage die Abortgrube leer schöpfen und mit<br />

132 SA, Sta München I 6399


42<br />

Bürste und Seife schrubben. Sie terrorisierte ihre Nachbarn und drohte immer wie<strong>der</strong><br />

mit „Dachau“.<br />

E<strong>in</strong> Häftl<strong>in</strong>g aus Wien erklärte später an Eides statt: „In <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> gibt es verschie-<br />

dene Leute, die sie nach Dachau gebracht hat.“ 133<br />

E<strong>in</strong>mal verfolgte Schwester Pia e<strong>in</strong>e junge Frau, die „staatsgefährdend“ sei bis nach<br />

Taufkirchen, weil sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zufälligen Gespräch mit ihr den Führer und die Wehr-<br />

macht beleidigt habe. Bürgermeister Hans Bücherl, obwohl selbst PG, versteckte die<br />

Fliehende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus vor <strong>der</strong> wütenden Verfolger<strong>in</strong>. 134<br />

Schwester Pia wurde 1949 von <strong>der</strong> Spruchkammer als „Hauptschuldige“ e<strong>in</strong>gereiht und<br />

zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt. Sie wurde aber bereits e<strong>in</strong> Jahr später aufgrund ei-<br />

nes Krankheitszeugnisses entlassen und lebte bis 1981, von Gleichges<strong>in</strong>nten wegen ih-<br />

rer „Verdienste um Deutschland“ verehrt, <strong>in</strong> Oberhach<strong>in</strong>g.<br />

Krieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat<br />

Rudolf Felzmann berichtet: „Während bei den ersten [Luft-] Angriffen zwischen 1940<br />

und 1943 ... nur leicht Schäden angerichtet wurden, fielen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom 6./7.9.1943<br />

Bomben auf die Forstdiensthütte im Perlacher Forst. Zwei Menschen wurden dabei ge-<br />

tötet. E<strong>in</strong> Tagesangriff am 2. sowie am 8.10.1943 richtete ziemliche Schäden an Häu-<br />

sern an, desgleichen e<strong>in</strong> Nachtangriff am 25.4.1944...<br />

Bei e<strong>in</strong>em Tagesangriff am 9.6.1944 gab es erstmals 8 Verletzte... E<strong>in</strong> Großangriff am<br />

[13.] Juni 1944 vormittags auf München...hatte ganz böse Folgen: E<strong>in</strong> Bombenvolltref-<br />

fer auf das Gut <strong>der</strong> Barmherzigen Schwestern...tötete von den 30 Schwester 11 sofort,<br />

vier starben noch an den Folgen...“<br />

Französische Kriegsgefangene, die bei den Schwestern Zwangsarbeit verrichteten, hat-<br />

ten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Erdbunker das Bombardement schadlos überstanden. In Ottobrunn wur-<br />

den am gleichen Tag 3 Menschen durch Splitterbomben getötet. 135<br />

Dreizehn <strong>der</strong> im Erholungsheim Marxhof getöteten Schwestern wurden 4 Tage später<br />

im Münchner Waldfriedhof beigesetzt. In <strong>der</strong> überlieferten Grabrede des Domkapitular<br />

Grassl ist von furchtbaren Katastrophen und bitterernsten Kriegsopfern die Rede, die<br />

Frage nach Ursache und Schuld wird nicht gestellt.<br />

Am 12. und 13. Juli zerstörten o<strong>der</strong> beschädigten Fliegerbomben zahlreiche Gebäude,<br />

34 Personen verloren ihr Obdach. „Bomben fielen noch am 19.7.,16.11.und 22.11.1944<br />

sowie am 7.1.1945 mit kle<strong>in</strong>eren Schäden.“ 136<br />

133 SA, SpKa, Karton 75, Bauer Eleonore<br />

134 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933-1945)“, unveröffentlichtes Manuskript<br />

135 Peter Pfister (Hrsg.) Die Kriegs- und E<strong>in</strong>marschberichte, Regensburg, 2005<br />

136 Heimatbuch S. 100, 101


43<br />

Man versuchte, die Gebäudeschäden so gut es g<strong>in</strong>g zu beheben. Baumaterialien waren<br />

allerd<strong>in</strong>gs rar. So schrieb die Gauarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Dachdeckerbetriebe an den<br />

Bürgermeister, dass die meisten Dachziegelwerke wegen Kohlenmangel „schon stillge-<br />

legt s<strong>in</strong>d“. Man solle jemanden zum Ziegelwerk Me<strong>in</strong>dl nach Dorfen senden, „<strong>der</strong> dort<br />

an Ort und Stelle feststellt, ob und wann die Dachziegeabgabe möglich ist“.<br />

Beim Bürgermeister und Pelztierzüchter Josef Prenn waren zahlreiche Silberfüchse ge-<br />

tötet worden. Prenn wurde vom Landrat e<strong>in</strong>e Entschädigungssumme zuerkannt.<br />

Klaus Tenfelde schreibt über diese <strong>Zeit</strong> 137 : „Die Mobilisierung <strong>der</strong> Bevölkerung … war<br />

total. Sammlungen für Kriegszwecke, für das Rote Kreuz und ähnliches, >Kampfspen-<br />

dentotalen Kriegse<strong>in</strong>satz< zielende Versammlungswelle <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<br />

DAP über [das Land]. Anfang November 1944 fand e<strong>in</strong> erster >Kriegsappell <strong>der</strong> wehrfä-<br />

higen Männer


44<br />

Standrecht über Südbayern verkündet und von Gauleiter Giesler <strong>in</strong> München e<strong>in</strong> Stand-<br />

gericht errichtet... Auch <strong>in</strong> Neubiberg stellte man noch e<strong>in</strong> Volkssturmbataillion auf. 139<br />

Um die Wende zum April 1945 wurden schließlich die Aktivitäten jener letzten Geister-<br />

truppe des Hitler- Regimes, des Wehrwolfs, bekannt. Im Radio war e<strong>in</strong> >Wehrwolfsen-<br />

<strong>der</strong>< zu hören, <strong>der</strong> aufrief, >h<strong>in</strong>ter dem Rücken des Fe<strong>in</strong>des den Kampf für Freiheit und<br />

Ehre unseres Volkes fortzusetzen


45<br />

Die grobe Bilanz des Krieges: An <strong>der</strong> Front und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat verloren etwa 250 Unter-<br />

hach<strong>in</strong>ger Geme<strong>in</strong>debürger ihr Leben. 143 Das Dorf musste bis 1954 fast 3000 Flüchtl<strong>in</strong>-<br />

ge aufnehmen. 144<br />

Wi<strong>der</strong>stand<br />

In letzter <strong>Zeit</strong> wird unter Historikern <strong>der</strong> Begriff Wi<strong>der</strong>stand weit ausgelegt, also nicht<br />

nur auf aktive Handlungen son<strong>der</strong>n auch beispielsweise angewendet, wenn jemand sei-<br />

ne Skepsis gegenüber dem <strong>NS</strong>- Regime dadurch manifestiert, dass er „Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong>“<br />

abhört. So soll hier auch vorgegangen werden, denn immerh<strong>in</strong> bedurfte es persönlichen<br />

Mutes und <strong>der</strong> Risikofreude selbst für diesen „kle<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>stand“.<br />

In diesem S<strong>in</strong>n ist auch e<strong>in</strong> Ansatz von Wi<strong>der</strong>stand ist zu vermuten beim Jubiläumsheft<br />

„50 Jahre St. Otto“, <strong>in</strong> dem es heißt: „Am 7. Februar 1933 rief Expositus O. Mayer den<br />

kath. Männervere<strong>in</strong> Ottobrunn <strong>in</strong>s Leben mit <strong>der</strong> Begründung, dass es ><strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en Zusammenschlüsse <strong>der</strong> Organisationen auch e<strong>in</strong>e Front <strong>der</strong> kath. Männer<br />

geben müssenach wenigen Jahren geriet dieser Vere<strong>in</strong> mehr und mehr <strong>in</strong> die Kon-<br />

trolle <strong>der</strong> Nationalsozialistischen Arbeiterpartei


46<br />

vor <strong>der</strong> Wohnungstüre, von denen zwei me<strong>in</strong>e Wohnküche betraten ... E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> e<strong>in</strong>ge-<br />

tretenen Männer zeigte mir flüchtig e<strong>in</strong>en Ausweis und sagte: > Politische Polizei


47<br />

Ende November wird er <strong>in</strong>s KZ Dachau verbracht, wo er für se<strong>in</strong>en politischen Kampf<br />

drei Jahre lang büßen muss. 150<br />

Der Maurer Andreas Kneißl (* 1884 <strong>in</strong> Kreith) wurde 1939 e<strong>in</strong>en Monat lang <strong>in</strong> Gestapo-<br />

haft gehalten, weil er auf e<strong>in</strong>er Baustelle geäußert hatte: „Heil me<strong>in</strong> Führer, wir werden<br />

alle Tage dürrer“ 151<br />

Die Gendarmeriestation berichtete am 16.8.1935 an das Bezirksamt als Polizeibehörde<br />

unter dem Betreff: „Verschmieren von Wänden und Plakaten mit beleidigenden (!) In-<br />

halt auf die Regierung am Bahnhof <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>“, dass von Unbekannten die folgen-<br />

den Sätze auf die Bahnhofswand und zwei Propagandaplakate geschrieben worden<br />

waren 152 :<br />

„Hier grüßt man mit dem Deutschen Gruß! Heil Hitler! Schwuli Sau.“ „Das ist alles<br />

Krampf und Schmei!“ „Euch schlagen wir das Kreuz noch ab!“<br />

Der naive Nazigegner blieb unerkannt.<br />

E<strong>in</strong>e Frau aus Ottobrunn wurde an die Behörden verraten, weil sie auf die Melodie des<br />

Horst- Wessel- Liedes sang:<br />

„Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen,<br />

zum Scheißen s<strong>in</strong>d wir alle schon bereit.<br />

Es flattert Scheißpapier <strong>in</strong> allen Ecken,<br />

nur Geduld, es dauert nur noch kurze <strong>Zeit</strong>. 153<br />

Am 19.7.1939 veranstaltete die örtliche SA e<strong>in</strong>e lautstarke Demonstration vor dem<br />

Haus des Holzhändlers Hans Schober (Name geän<strong>der</strong>t), weil dem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mechaniker-<br />

werkstatt herausgerutscht war : “Saubande verreckte, erleben möchte ich noch, bis <strong>der</strong><br />

Hitler und se<strong>in</strong>e ganze Bande verreckt!“ 154<br />

Die Polizei <strong>in</strong> Ottobrunn zeigt im März 1936 e<strong>in</strong>e Frau an, weil sie <strong>in</strong> Ihren Haus Zusam-<br />

menkünfte abhielt und berichtet: „Zur Sache ist zu bemerken, dass Frau Sauber (Name<br />

geän<strong>der</strong>t) sich um den Kirchenchor angenommen hat und sich auch sonst um kirchli-<br />

che Sachen kümmert. Aus diesen Gründen ist sie sehr häufig mit Herrn Pfarrkurat<br />

Mayer beisammen. Herr Pfarrkurat Mayer wird hier als e<strong>in</strong>e Person betrachtet, die ge-<br />

gen das jetzige Regime ist, wie so viele an<strong>der</strong>e katholische Geistliche... 155 “<br />

150 Laut Angabe Archiv KZ Gedenkstätte Dachau vom 7.9.2005<br />

151 SA, Staw 9459<br />

152 SA, LRA 58120<br />

153 SA, LRA 58188, zit. nach „100 Jahre Siedlungsraum Ottobrunn“, S. 17<br />

154 SA, Staw 5063<br />

155 SA, LRA 58200


48<br />

In e<strong>in</strong>em Bericht <strong>der</strong> Reg. v. Oberbayern an die Polizeiorgane aus dem Juni 1938 f<strong>in</strong>-<br />

den sich die Sätze: „Beim Patronatsfest <strong>in</strong> Ottobrunn malte <strong>der</strong> Prediger e<strong>in</strong> Bild von<br />

Pest, Hunger und Krieg ... Wenn auch vom Frieden gesprochen würde, so rüste doch<br />

jedes Land auf und die Gefahr des Krieges sei gegenwärtig sehr groß. Der Prediger<br />

(Otto Mayer) erwähnte auch die Kirchenaustritte ... und erklärte, dass <strong>der</strong> Unglaube,<br />

<strong>der</strong> früher e<strong>in</strong>e private Angelegenheit gewesen sei, heute organisiert werde ... 156 “<br />

In e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atsprotokoll heißt es wohl daher: „Im Siedlungsgebiet Ottobrunn<br />

war als Geme<strong>in</strong>dewaisenrat Herr Expositus Mayer tätig. Infolge se<strong>in</strong>er politischen E<strong>in</strong>-<br />

stellung ist <strong>der</strong>selbe für die Zukunft untragbar geworden. Auf se<strong>in</strong>e weitere Mitarbeit<br />

wird verzichtet. Mit sofortigen Wirkung wird auf Vorschlag des Ortsgruppenleiters <strong>der</strong><br />

<strong>NS</strong>DAP, Pg. Reisewitz, Herr Hans Huber (Name geän<strong>der</strong>t) <strong>in</strong> Ottobrunn zum Geme<strong>in</strong>-<br />

dewaisenrat für Ottobrunn ernannt.“ 157<br />

Otto Mayer war von 1929 bis 1939 Seelsorger <strong>in</strong> Ottobrunn. In se<strong>in</strong>e Amtszeit fiel <strong>der</strong><br />

Bau und die E<strong>in</strong>weihung <strong>der</strong> Kirche St. Otto (1937). Auch se<strong>in</strong> Nachfolger, Pfarrkurat<br />

Anton Ferstl- er amtierte bis 1950- hatte Probleme mit den Nazis: 158 Ferstl war bereits<br />

im Jahr 1933 <strong>in</strong> Rosenheim 7 Stunden lang festgesetzt, mit e<strong>in</strong>er Pistole bedroht und<br />

von SS- Leuten geschlagen worden, weil er mit Jugendlichen e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung unter-<br />

nommen hatte. 159<br />

(Fotos: Geme<strong>in</strong>de St. Otto) Die Seelsorger Otto Mayer und Anton Ferstl<br />

1940 zeigte die <strong>NS</strong>DAP den Priester Ferstl wegen e<strong>in</strong>es Vorkommnisses im Religions-<br />

unterricht bei <strong>der</strong> GESTAPO an: „Er soll die Geschichte vom barmherzigen Samariter <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Weise <strong>in</strong> die Jetztzeit übertragen haben, dass e<strong>in</strong> Deutscher, dann e<strong>in</strong> Pfarrer und<br />

dann e<strong>in</strong> politischer Leiter an dem Verletzten vorüber gegangen seien; zuletzt sei e<strong>in</strong><br />

156 HA, MA 106 671<br />

157 GU, GR-Sitzung vom 17.2.1939<br />

158 Festschrift 50 Jahre St. Otto, Ottobrunn 1987<br />

159 DA, Fragebogen A, Nationals. Verfolgung kath. Geistlicher, Anton Ferstl


49<br />

Pole gekommen, <strong>der</strong> sich des Verletzten angenommen habe .“ 160 Das Untersuchungs-<br />

verfahren wurde jedoch nach „sehr unangenehmen Vernehmungen“ 161 des Beschuldig-<br />

ten „aufgrund <strong>der</strong> dürftigen Beweislage e<strong>in</strong>gestellt“ 162 . Pfarrer Ferstl wurde aber mit<br />

„Schulverbot“ belegt.<br />

August Melchner versteckte ab Mai 1944 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus den jüdischen Rechtsanwalt<br />

Dr. Benno Schüle<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus, Ottobrunn, Rosenheimer Landstraße 63. Der OGL<br />

und Lehrer Fritz Schollwöck hat dies stillschweigend gedeckt. 163 Melchner gehörte 1945<br />

dem provisorischen Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at und 1946-48 für die CSU <strong>der</strong> gewählten Geme<strong>in</strong>de-<br />

vertretung an, die ihn zum 2. Bürgermeister bestimmt.<br />

Die Gastwirtsfrau Forster <strong>in</strong> Taufkirchen- Bergham wurde denunziert, da sie mit ihrer<br />

Tochter „Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong>“ im Radio gehört hatte. Außerdem soll sie nach dem Attentat auf<br />

Hitler im Juli 1944 folgende Aussagen gewagt haben:<br />

„Ist denn da gar ke<strong>in</strong>er da, <strong>der</strong> diesen Bazi umbr<strong>in</strong>gt?“ „Wenn die Amerikaner e<strong>in</strong>mal<br />

kommen, dann stelle ich ihnen gern me<strong>in</strong> Schlachthaus zur Verfügung!“ „Wie <strong>der</strong> Kai-<br />

ser gesehen hat, dass <strong>der</strong> Krieg verloren ist, ist er wenigstens gegangen, aber <strong>der</strong> Bazi<br />

geht nicht.“ 164<br />

Fluchthilfe<br />

Die junge Sekräter<strong>in</strong> Barbara Urban aus München- Harlach<strong>in</strong>g verhalf am 23. 3. 1945<br />

e<strong>in</strong>em KZ- Gefangenen zur Flucht. Nach Bombardierung ihres Hauses <strong>in</strong> Harlach<strong>in</strong>g<br />

waren Barbara Urban und ihre Eltern <strong>in</strong> ihr Wochenendhaus <strong>in</strong> Brunnthal umgezogen.<br />

Dorth<strong>in</strong> setzte sich <strong>der</strong> polnische politische Gefangene Valent<strong>in</strong> Drygas bei e<strong>in</strong>em Au-<br />

ßene<strong>in</strong>satz ab. Drygas wechselte die Kleidung und wurde dann von Barbara Urban auf<br />

dem Fahrrad nach Harlach<strong>in</strong>g transportiert, wo er sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hausru<strong>in</strong>e bis zum E<strong>in</strong>-<br />

marsch <strong>der</strong> Amerikaner versteckte.<br />

Als Fräule<strong>in</strong> Urban zu ihren Eltern zurück kam, erfuhr sie, dass die SS zwischenzeitlich<br />

das Wochenendhaus zweimal durchsucht hatte, ohne die Sträfl<strong>in</strong>gskleidung zu f<strong>in</strong>den,<br />

die im Gebüsch versteckt war. 165<br />

Bei Kriegsende ist nochmals von Pfarrer Anton Ferstl zu berichten, <strong>der</strong> über sich (<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

dritten Person) schrieb: „Schon e<strong>in</strong> halbes Jahr vorher sammelte <strong>der</strong> Pfarrer um sich<br />

mutige Männer, von denen ke<strong>in</strong>er von den an<strong>der</strong>n wusste. Als die Freiheitsaktion Bay-<br />

160 HA, o.a.O<br />

161 100 Jahre Siedlungsraum Ottobrunn, 2002, S. 75<br />

162 Bösl, Kramer, L<strong>in</strong>s<strong>in</strong>ger: „Auslän<strong>der</strong>e<strong>in</strong>satz im Landkreis München“, S. 154<br />

163 SA, Spruchkammerakten, Karton 1690, Fritz Schollwöck<br />

164 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit<br />

165 Interwiew von Ra<strong>in</strong>er Gränzer, Neubiberg, mit Frau Urban (Gesprächsnotiz vom 22.2.2006)


ern [des Hauptmann Gerngroß am 24. 4. 1945] begann, war das Signal zur Zusam-<br />

50<br />

menkunft gegeben. Der Pfarrer überließ dann die weitere Arbeit diesen Männern. Sie<br />

halfen mit, die KZler zu befreien, stellten Wachen an Häusern gefährlicher Nazis und<br />

nahmen e<strong>in</strong>ige fest.<br />

Oberleutnant Schmitt und [NN] g<strong>in</strong>gen am Abend des 30. April 1945 <strong>in</strong> den Fliegerhorst<br />

Neubiberg, wo abends 8 Uhr die Amerikaner angekommen waren, um mit ihnen wegen<br />

<strong>der</strong> Übergabe von Ottobrunn zu verhandeln. Diese sicherten auch e<strong>in</strong>e kampflose E<strong>in</strong>-<br />

nahme zu, wenn alle Häuser die weiße Fahne zeigen würden. Nachts gab <strong>der</strong> Pfarrer<br />

noch selber an die Leute die Weisung, weiße Fahnen zu hissen...“ 166<br />

Im nachfolgenden Kapitel wird u. A. auch über e<strong>in</strong>en unerwarteten Fall von Wi<strong>der</strong>stand<br />

berichtet.<br />

<strong>NS</strong>DAP- Filiale Taufkirchen<br />

Das Nachbardorf Taufkirchen- es hatte Ende <strong>der</strong> 30er Jahre nur e<strong>in</strong> Sechstel <strong>der</strong> E<strong>in</strong>-<br />

wohner- stand <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong> stark unter dem E<strong>in</strong>fluss <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s. Viele Jahre bil-<br />

dete <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> und Taufkirchen e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same <strong>NS</strong>DAP- Ortsgruppe. Der Orts-<br />

gruppenleiter- er war letztlich mächtiger als <strong>der</strong> Bürgermeister- konnte auch <strong>in</strong> Taufkir-<br />

chen e<strong>in</strong>greifen. Allerd<strong>in</strong>gs war es für ihn und die Partei nicht ganz leicht sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> ge-<br />

schlossenen bäuerlich- katholischen Welt des Dorfes durchzusetzen. In e<strong>in</strong>em Bericht<br />

des SD (das ist <strong>der</strong> von <strong>der</strong> SS betriebene Sicherheitsdienst <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP) aus dem W<strong>in</strong>-<br />

ter 1945 heißt es über die E<strong>in</strong>wohnerschaft: „Ursprünglich gutmütig, wenn auch <strong>in</strong>do-<br />

lent, schwarz, konservativ, heute 80% Gegner [des Regimes] 15% lau, 5% willig.“ 167<br />

Als 1937 Max Brock das Amt des OGL <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> übernahm, musste Hans Horn<br />

sich mit <strong>der</strong> Zuständigkeit für Taufkirchen begnügen, dessen Zelle zu e<strong>in</strong>er getrennten<br />

Ortsgruppe wurde. Horn, geb. 1872, ist früher Zollamtsrat und im 1. Weltkrieg Major <strong>der</strong><br />

Landwehr gewesen. Als ehemaliger Offizier und Beamter hob er sich ab von den übri-<br />

gen, eher kle<strong>in</strong>bürgerlichen Parteigenossen. Als Vorstand des Kriegervere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Taufkir-<br />

chen nahm er, obwohl evangelisch, an <strong>der</strong> Fronleichnamsprozession teil. Trotzdem<br />

wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dorfgeme<strong>in</strong>schaft als fremd und unbeliebt empfunden. Da er oft mit Ruck-<br />

sack unterwegs war, wurde er heimlich <strong>der</strong> Hamsterei beschuldigt.<br />

Die Partei nahm ihm übel, dass er gegenüber dem Stellvertreter des mächtigen Gaulei-<br />

ters Wagner Zweifel an <strong>der</strong> Judenpolitik geäußert hatte, <strong>in</strong>dem er berichtete, dass e<strong>in</strong><br />

Kamerad jüdischen Glaubens ihm im Weltkrieg das Leben gerettet habe.<br />

166 Peter Pfister (Hrsg.) Die Kriegs- und E<strong>in</strong>marschberichte, Regensburg, 2005. Auch die Mitglie<strong>der</strong> des<br />

GR Benno von Gagern und Josef Weiss geben am 12.5.1945 an, an <strong>der</strong> FAB beteiligt gewesen zu se<strong>in</strong>.<br />

167 SA, SpuchkammerA K 221, Brief <strong>der</strong> SD- Hauptaussenstelle München an den OGL Veit (ohne Datum)


51<br />

1942 entfernte <strong>der</strong> Hauptlehrer Anton Schwarz auf Parteibefehl die Kruzifixe aus den<br />

beiden Klassenräumen. Im bereits zitierten Bericht des SD heißt es über ihn: „Der<br />

Hauptlehrer, Pg. ist gleichzeitig Organist und Kantor, sehr schwarz.“ Die Maßnahme<br />

löste e<strong>in</strong>en Sturm <strong>der</strong> Entrüstung aus. Auch Horn distanzierte sich davon.<br />

Die Landwirte beschlossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stürmischen Versammlung das W<strong>in</strong>terhilfswerk zu<br />

boykottieren, wenn die Kreuze nicht wie<strong>der</strong> aufgehängt würden. Man sprach von e<strong>in</strong>er<br />

Bauernrevolte. Die Gestopo erschien und verhörte die Teilnehmer. Mehrere von ihnen<br />

mussten e<strong>in</strong>en Geldbetrag h<strong>in</strong>terlegen, um ihr Wohlverhalten zu garantieren. Die Ange-<br />

legenheit war <strong>der</strong> Anstoß, dass Horn entmachtet, die Ortsgruppe Taufkirchen aufgelöst<br />

und wie<strong>der</strong> nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>gereiht wurde. In dem Bericht des SD wird Horn be-<br />

schuldigt für die <strong>NS</strong>- Bewegung geradezu schädlich gewesen zu se<strong>in</strong>.<br />

Hans Horn wurde nach dem Krieg von <strong>der</strong> Spruchkammer als „Mitläufer“ e<strong>in</strong>gestuft und<br />

musste zur Sühne 500 RM bezahlen. 168<br />

1933 setzte die <strong>NS</strong>DAP den Landwirt Johann Riedmaier als Bürgermeister e<strong>in</strong>. Er wur-<br />

de aber abgesetzt, als man se<strong>in</strong>e fortdauernde Sympathie für die <strong>in</strong>zwischen verbotene<br />

Bayerische Volkspartei und und e<strong>in</strong> Parteibuch jener Gruppierung bei ihm feststellte.<br />

Der Bäckermeister Johann Bücherl, geb. 1900 <strong>in</strong> München, <strong>der</strong> zuvor Zellenleiter <strong>der</strong><br />

<strong>NS</strong>DAP für Taufkirchen gewesen war, übernahm im Oktober 1935 das Bürgermeister-<br />

amt. In den umfangreichen Akten zur Entnazifizierung heißt es später Bücherl sei zu-<br />

nächst überzeugter Nazi gewesen, habe aber seit 1935 von <strong>der</strong> Sache nicht mehr viel<br />

wissen wollen. Der SD besche<strong>in</strong>igt ihm <strong>in</strong> dem bereits zitierten Brief: „Der Bürgermeis-<br />

ter, Bäcker und Konditor, drückt sich von e<strong>in</strong>er Betätigung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Partei so gut er kann.<br />

Stark konfessionelle E<strong>in</strong>stellung, geht <strong>in</strong> Uniform mit übergezogenem Zivilmantel <strong>in</strong> die<br />

Kirche, lässt sich dann draußen die Uniformmütze nachbr<strong>in</strong>gen.“<br />

Von Johann Bücherl s<strong>in</strong>d zahlreiche Handlungen überliefert, die man als Wi<strong>der</strong>stand<br />

charakterisieren kann! So sorgte er für die menschliche Behandlung <strong>der</strong> im Dorf tätigen<br />

Kriegsgefangenen (60 Franzosen schliefen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Turnhalle) und Zwangsarbeiter. Er<br />

veranlasste, das 7 notgelandete Amerikaner nicht <strong>in</strong> die Hände <strong>der</strong> SS fielen, <strong>in</strong>dem er<br />

sie <strong>der</strong> Gendarmerie <strong>in</strong> Oberhach<strong>in</strong>g übergab. Zwei entlaufene englische Kriegsgefan-<br />

gene brachte er aus gleichem Grund auf Bitten des Wachtmeisters Egl von <strong>der</strong> Unter-<br />

hach<strong>in</strong>ger Polizei <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Auto <strong>in</strong> das Gefangenenlager nach München zurück.<br />

Er beherbergte e<strong>in</strong>e jüdische Familie vor ihrer Flucht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus und erlaubte den<br />

Zuzug des jüdischen Justizrates Julius Prohownik aus Donauwörth.<br />

168 SA, Spruchkammerakten, Karton 765, Hans Horn


52<br />

Trotzdem wurde Bücherl 1945 se<strong>in</strong>es Amtes enthoben und im Entnazifizierungsverfah-<br />

ren als Mitläufer e<strong>in</strong>gereiht. 169<br />

Neubeg<strong>in</strong>n<br />

Nach <strong>der</strong> Besetzung Bayerns „schritten die Amerikaner [umgehend] zum Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

<strong>der</strong> Verwaltung, <strong>in</strong>dem sie Bürgermeister, Landräte und Regierungspräsidenten ihres<br />

Vertrauens e<strong>in</strong>setzten“ 170 – aber wohl auch Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äte. Der Ottobrunner Priester<br />

Ferstl berichtet: „Die jetzige politische Lage ist für den Pfarrer durch die Mitwirkung bei<br />

<strong>der</strong> Aufstellung des Bürgermeister[-Kandidaten August Melchner 171 ] gekennzeichnet.<br />

Da dieser bisher wenig bekannt war, wurde <strong>der</strong> Pfarrer anfangs für alles angegan-<br />

gen.“ 172<br />

Bereits am 12. Mai tagte dann <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong> zwölfköpfiger, provisorischer Ge-<br />

me<strong>in</strong><strong>der</strong>at , dem auch noch Prenn angehörte. Dieses Gremium gab geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e<br />

Erklärung für die Militärregierung über das Verhältnis se<strong>in</strong>er Mitglie<strong>der</strong> zum <strong>NS</strong>- Staat<br />

und zur <strong>NS</strong>DAP heraus.<br />

Daraus ergibt sich, dass früher <strong>in</strong> l<strong>in</strong>ken und bürgerlichen Parteien gebunden gewesen<br />

waren:<br />

• Josef Bleib<strong>in</strong>ger und Franz Drexler <strong>in</strong> <strong>der</strong> KPD<br />

• Wilhelm Kloiber, Otto Rittel und Leonhard Sedlmeyer <strong>in</strong> <strong>der</strong> SPD<br />

• August Melchner und Franz Kastner <strong>in</strong> <strong>der</strong> BVP<br />

Mehrere Räte erwähnen ihre KZ- Strafen und e<strong>in</strong>ige ihre Teilnahme an <strong>der</strong> „Freiheitsak-<br />

tion Bayern“ <strong>in</strong> den letzten Kriegstagen. 4 Mitglie<strong>der</strong> gaben an, nie Parteimitglied gewe-<br />

sen zu se<strong>in</strong>, ausdrücklich auch nicht bei <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP. Bei e<strong>in</strong>em von ihnen, Benno von<br />

Gagern (Sohn des Nikolaus von Gagern s.o.), wun<strong>der</strong>t dies, da er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mitglie<strong>der</strong>-<br />

verzeichnis als Nr. 48 aufgeführt ist. 173 Von Gagern wird im Juni 1945 wegen se<strong>in</strong>er<br />

Englischkenntnisse als Geme<strong>in</strong>debeamter zur Zusammenarbeit mit den Besatzungsbe-<br />

hörden e<strong>in</strong>gestellt (während auf Anordnung <strong>der</strong> Militärbehörden vier <strong>NS</strong>- belastete An-<br />

gestellte entlassen werden müssen). Im Dezember zieht er nach Österreich um.<br />

Prenns Beitrag zu <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Erklärung hat folgenden Wortlaut: „Bürgermeister<br />

Prenn, Mitglied des [Bayerischen] Bauernbundes bis 1933. Prenn wurde [se<strong>in</strong>erzeit] im<br />

Amt des berufsmäßigen Bürgermeisters belassen. Als solcher musste er Mitglied <strong>der</strong><br />

169 SA, Spruchkammerakten Karton 221, Johann Bücherl<br />

170 Lothar Altmann: „Vom neuen zum mo<strong>der</strong>nen Bayern“, Verlag Schell & Ste<strong>in</strong>er, Regensburg 2006<br />

171 Lt. Chronik des SPD Unterach<strong>in</strong>gs von 1996 wurde Melchner vom GR zum 2. Bürgermeister gewählt<br />

172 Anton Ferstl: Pfarrei St. Otto, Ottobrunn, Neujahrsbericht über die Jahre 1944/45<br />

173 Handakten Felzmann, Undatiertes Mitglie<strong>der</strong>verzeichnis <strong>der</strong> <strong>NS</strong>PAP- Ortsgruppe


<strong>NS</strong>DAP werden. Trotz dieses Beitrittes zur <strong>NS</strong>DAP ist Prenn stets se<strong>in</strong>er alten politi-<br />

schen Überzeugung treu geblieben.“ 174<br />

Wer die Vorgänge um das H<strong>in</strong>ausdrängen und Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>setzen Prenns kennt, <strong>der</strong><br />

53<br />

weiß, dass er 1933 von den Nazis gerade nicht im Amt des 1. Bürgermeisters belassen,<br />

son<strong>der</strong>n zunächst vom <strong>NS</strong>-OGL verdrängt wurde (s.o.)! Und wie er später als PG unter<br />

PGs se<strong>in</strong>er bauernbündlerischen Überzeugung- wie immer man diese def<strong>in</strong>iert- treu<br />

geblieben se<strong>in</strong> will, bleibt rätselhaft.<br />

Aber Josef Prenn wurde bald klar, dass er an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de doch unhaltbar<br />

geworden war und so sah er sich Ende Mai „veranlasst ... se<strong>in</strong> Amt nie<strong>der</strong> zu legen“.<br />

Womit er e<strong>in</strong>er Entlassungsverfügung <strong>der</strong> amerikanischen Militärregierung zuvor<br />

kam. 175<br />

Im folgenden Jahr beg<strong>in</strong>nt im Rahmen <strong>der</strong> „Entnazifizierung“ das Spruchkammerverfah-<br />

ren gegen den bisherigen Bürgermeister. In e<strong>in</strong>en Fragebogen trägt Prenn e<strong>in</strong>, dass er<br />

auch Kreistagsmitglied war und <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP vom 1.5.1933 bis 1.5.1945 angehörte. Die<br />

Frage, zu welcher Gruppe von Belasteten er sich selbst zählt, beantwortete er so:<br />

„Nach Buchstabe K, Ziffer 8 <strong>der</strong> Anlage zum Gesetz [zur Befreiung vom Nationalsozia-<br />

lismus und Militarismus] gehöre ich <strong>in</strong> Klasse II [Belastete] sonst war ich Mitläufer“ - e<strong>in</strong><br />

Bürgermeister als Mitläufer!<br />

Tatsächlich gel<strong>in</strong>gt es Prenn so viele positive, schriftliche Aussagen („Persilsche<strong>in</strong>e“)<br />

beizubr<strong>in</strong>gen, dass er als „Mitläufer“ e<strong>in</strong>gestuft wird und mit e<strong>in</strong>er Sühnezahlung von<br />

e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t Mark plus Verwaltungskosten davonkommt.<br />

Der Inhalt <strong>der</strong> zu se<strong>in</strong>en Gunsten abgegebenen Erklärungen ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat bee<strong>in</strong>dru-<br />

ckend. Sie s<strong>in</strong>d nicht durchgehend unglaubwürdig. So mag stimmen, was <strong>der</strong> Installa-<br />

teur Georg Thoma (Name geän<strong>der</strong>t) ihm besche<strong>in</strong>igte, er habe „niemals parteiför<strong>der</strong>n-<br />

de Reden gehalten“. Das konnte er den Funktionsträgern <strong>der</strong> „Partei“ überlassen.<br />

Dass er dem Ortsbauernvorsteher empfahl, se<strong>in</strong> Geld lieber zu vertr<strong>in</strong>ken, als es für<br />

den Parteibeitrag auszugeben, kann nur aus <strong>der</strong> Spätzeit <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP, kurz vor Kriegs-<br />

ende, stammen, als nur noch wenige Fanatiker an <strong>der</strong> Endsieg glauben konnten (und<br />

Prenn hautnah durch Bombenschäden an se<strong>in</strong>e Pelztierzucht F<strong>in</strong>gerzeige bekommen<br />

hatte.)<br />

Bürgermeister Prenn hat sich für das Wohl <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de und e<strong>in</strong>zelner Bürger e<strong>in</strong>ge-<br />

setzt- aber die Bürger hatten nicht alle Informationen. Und die Spruchkammer, die ihn<br />

als „Mitläufer“ durchgehen lies, hatte es versäumt, selbst die leicht zugänglichsten Do-<br />

kumente z. B. die Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atsprotokolle zu würdigen, die e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Bild ergeben!<br />

174 GU, GR- Sitzung vom 12.5.1945<br />

175 SA, Spruchkammerakten, Karton 1350, Prenn Josef, <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Arbeitsblatt v. 10.3.1947


Prenn hatte also den Weg für e<strong>in</strong>en Neuanfang freigemacht und so wählte <strong>der</strong> kom-<br />

54<br />

misarische Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at Ende Mai 1945 den sozialdemokratischen Pflasterermeister<br />

Leonhard Sedlmeyr zum Interimsbürgermeister. 176 Und die Militärregierung gab ihre Zu-<br />

stimmung. 177<br />

Die amerikanische Regierung wünschte, dass die <strong>NS</strong>- Parteigänger nicht ungeschoren<br />

blieben. Demgemäß protokollierte <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atunter dem 9.12.1945 folgende Straf-<br />

maßnahme gegen die „Nazis“: „Auf Befehl <strong>der</strong> Militärregierung s<strong>in</strong>d alle Aktivisten<br />

sonntäglich zum Arbeitsdienst e<strong>in</strong>zusetzen. Der Militärregierung s<strong>in</strong>d 180 Aktivisten be-<br />

kannt.“ 178 Später heißt es zusätzlich, dass die schlimmsten <strong>NS</strong>DAP- Mitglie<strong>der</strong> zu „nie-<br />

<strong>der</strong>n Arbeiten“ heranzuziehen s<strong>in</strong>d. Und: „Sechs leitende Parteileute wurden 1945 zeit-<br />

weise <strong>in</strong>terniert.“ 179<br />

Die Geme<strong>in</strong>de musste nun Unterkünfte für etwa 250 Besatzungssoldaten beschaffen.<br />

Dazu wurde das Schulhaus zweckentfremdet und Häuser prom<strong>in</strong>enter Nazis beschlag-<br />

nahmt. Bei rund 200 PG musste <strong>der</strong> neue Bürgermeister für die Militärverwaltung den<br />

Bestand an Möbeln für die Unterkünfte „erfassen“.<br />

Wie beurteilten die Pfarrer die Lage <strong>in</strong> den letzten Kriegs- und ersten Friedensjahren?<br />

Mart<strong>in</strong> Faustner berichtet aus St. Korb<strong>in</strong>ian u. A: „Nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil <strong>der</strong> Katholiken ist<br />

religiös eifrig. Für Bibelstunden herrscht sehr wenig Interesse. K<strong>in</strong><strong>der</strong>zahl meist ger<strong>in</strong>g.<br />

Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sich vielfach selbst überlassen und streunen viel herum auf <strong>der</strong> Straße.<br />

Die Mädchenwelt ist großenteils leichts<strong>in</strong>nig und oberflächlich. Die Amerikaner <strong>in</strong> Neu-<br />

biberg haben auch hier ihre Mädchen darunter auch untreue Frauen.“<br />

Überraschend fügt Faustner 180 <strong>in</strong> den Seelsorgebericht die Feststellung e<strong>in</strong>,das E<strong>in</strong>ver-<br />

nehmen mit den geme<strong>in</strong>dlichen Behörden (wo nur PG regierten) sei sehr gut gewesen.<br />

Das haben Faustners Kollegen, die Pfarrer Mayer und Ferstl aus Ottobrunn, sicher an-<br />

<strong>der</strong>s gesehen!<br />

Ferstl von <strong>der</strong> Ottokirche konstatiert h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Seelsorge: „Der religiöse Stand des<br />

Familienlebens ist erschreckend niedrig... Schon die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wissen um viele Eheskan-<br />

dalgeschichten... H<strong>in</strong>zu kommt e<strong>in</strong>e weitgehende Zerstörung des Eigentumsbegriffs<br />

(Ottobrunner E<strong>in</strong>brecherbanden).“<br />

Pfarrer Peter Erhard von St. Alto schreibt: „Die Auswirkungen des Krieges s<strong>in</strong>d schwer<br />

spürbar. Sehr viele Männer s<strong>in</strong>d noch nicht zurückgekehrt, viele Familien s<strong>in</strong>d zerris-<br />

sen. Außerdem wurde die sog. Agfasiedlung mit 36 Familien von <strong>der</strong> Besatzungsmacht<br />

176 GU, GR- Sitzung vom 27.5.1945<br />

177 HS, OMGBy 13/110-2/008<br />

178 GU, GR- Sitzung vom 9.12.1945<br />

179 Heimatbuch, S. 96<br />

180 Se<strong>in</strong> Vorgänger Stemmer (von 1929-39) hatte angeboten „die Kirchenbücher für die Sippenforschung<br />

auszuwerten“. GU, GR-Sitzung vom 13.8.1936


55<br />

beschlagnahmt. Dann haben die Amerikaner e<strong>in</strong>en Club e<strong>in</strong>gerichtet. Diese Maßnahme<br />

und die damit verbundenen Begleitersche<strong>in</strong>ungen wirken sich nicht vorteilhaft auf die<br />

Seelsorge aus. Die Naturfreunde s<strong>in</strong>d stark und aktiv am Werke“.<br />

Im Gegensatz zu se<strong>in</strong>en Kollegen stellte Peter Erhard fest, das religiöse Leben sei <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Pfarrei nicht zurückgegangen, im Gegenteil: „Viele haben wie<strong>der</strong> das Beten ge-<br />

lernt.“ 181<br />

Zusammenfassung<br />

Es ist festzustellen, dass die Nazi- Herrschaft im Dorf <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> mit außerordentlich<br />

viel Gewalt verbunden war. Die Zerstörung des Denkmals für den sozialdemokratischen<br />

Reichstagspräsidenten Ebert war für die Nazis e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten „Amtshandlungen“.<br />

Wenige Tage nach <strong>der</strong> putschartigen „Machtübernahme“ <strong>der</strong> Nationalsozialisten <strong>in</strong> Bay-<br />

ern wurden auch <strong>in</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong> Dutzend E<strong>in</strong>wohner, meist als Kommunisten gel-<br />

tende Männer, verhaftet und monate-, manchmal jahrelang <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Schutzhaft“ gedemü-<br />

tigt und gequält.<br />

1938 saßen rund 30 Dorfbewohner <strong>in</strong> Gefängnissen o<strong>der</strong> Konzentrationslagern . Unter-<br />

hach<strong>in</strong>g erhielt 1944 selbst e<strong>in</strong> KZ- Außenlager, wo entwürdigende und unmenschliche<br />

Behandlung <strong>der</strong> Gefangenen genügend oft vorkam.<br />

Es gab m<strong>in</strong>destens zwei Fälle, <strong>in</strong> denen die jeweiligen Führer <strong>der</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er <strong>NS</strong>D-<br />

AP Männer krankenhausreif prügelten. Die Drohung mit „Dachau“, selbst gegenüber<br />

„Parteigenossen“, wurde fast alltäglich ebenso die Postzensur. Gegenüber Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

s<strong>in</strong>d Sterilisierungen und Morde bezeugt.<br />

Obwohl nur wenige jüdische Bürger im Dorf wohnten, gab es den staatlich verordneten<br />

Antisemitismus: Der Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at gab e<strong>in</strong>er jüdisch kl<strong>in</strong>genden Straße e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en<br />

Namen und er stieß den Bürger und SPD- Vorsitzenden Erhard Süß aus se<strong>in</strong>en Rei-<br />

hen. E<strong>in</strong>e Achtzigjährige starb kurz nach <strong>der</strong> „Schutzhaft“, ihr Sohn wurde se<strong>in</strong>es Besit-<br />

zes beraubt und getötet.<br />

Trotz <strong>der</strong> allgegenwärtigen Gewaltdrohungen trauten sich e<strong>in</strong>ige Mutige Wi<strong>der</strong>stands-<br />

handlungen auszuführen: Kurz vor Etablierung <strong>der</strong> Naziherrschaft gründeten Bürger<br />

noch e<strong>in</strong>en „Kampfbund gegen die faschistische Gefahr“, e<strong>in</strong>ige hörten „Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong>“.<br />

Zwei Priester <strong>in</strong> Ottobrunn zeigten <strong>in</strong> Gleichnissen ihre Abgrenzung zum Unrechtsstaat.<br />

E<strong>in</strong>e junge Angestellte verhalf unter Lebensgefahr e<strong>in</strong>em KZ- Gefangenen <strong>in</strong> Ottobrunn<br />

zur Flucht. Schließlich sammelte wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> Ottobrunn e<strong>in</strong> Geistlicher heimlich <strong>NS</strong>-<br />

Gegner um sich, die sich im April 1945 an <strong>der</strong> Freiheitsaktion Bayern beteiligten.<br />

181 DA, Seelsorgeberichte St. Korb<strong>in</strong>ian, St. Alto, St. Otto 1944-45, 1946 und 1947


56<br />

Wie ist die Haltung <strong>der</strong> <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>er Bevölkerung zum Regime zu bewerten? Bei <strong>der</strong><br />

letzten relativ freien Wahl gab 1933 etwa je<strong>der</strong> Zweite <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP se<strong>in</strong>e Stimme. Die<br />

unbestreitbaren politischen und wirtschaftlichen Anfangserfolge <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

waren dann wohl Ursache für die übergroße Zustimmung <strong>der</strong> Bevölkerung zu Hitlers<br />

Politik <strong>in</strong> den Volksabstimmungen. Zusätzlich führten vielerlei Zwangs- und Überwa-<br />

chungsmaßnahmen dazu, dass nur Wenige sich entzogen.<br />

Aber wie ist das Verhalten des Geme<strong>in</strong>deoberhauptes, des Bürgermeisters Josef<br />

Prenn, während <strong>der</strong> <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong> zu bewerten? Annemarie Schäfer- Schmidl berichtet, dass<br />

Bürgermeister Prenn bescheiden aufgetreten und dass er je<strong>der</strong>zeit ansprechbar gewe-<br />

sen sei. Auch sei er <strong>der</strong> Kirche treu geblieben und nur zögernd <strong>NS</strong>DAP- Mitglied gewor-<br />

den. 182<br />

Er war 1919 erstmals gewählt worden und hatte se<strong>in</strong>e Sache offenbar so gut gemacht,<br />

dass er 1924 selbst von <strong>der</strong> SPD auf dem Wahlzettel als Bürgermeisterkandidat erschi-<br />

en. So wurde er im Jahr 1924 und 1929 jeweils wie<strong>der</strong>gewählt.<br />

Nach dem kurzen Intermezzo des Dr. Fladt stellte Prenn sich <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP wie<strong>der</strong> als 1.<br />

Bürgermeister zur Verfügung.<br />

Ansche<strong>in</strong>end hielt Prenn bewusst o<strong>der</strong> unbewusst e<strong>in</strong> wenig Distanz zur Partei und ih-<br />

ren Bonzen und wurde auch deshalb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung geschätzt. Geme<strong>in</strong>debürger<br />

erhielten Unterstützung <strong>in</strong> Wohnungs- und Arbeitsplatzangelegenheiten auch wenn sie<br />

nicht PG waren. Der erklärte Kommunist Franz Xaver Drexler gab zu Protokoll, dass<br />

Prenn se<strong>in</strong>e Frau während se<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong> im KZ großzügig unterstützte.<br />

Aber spricht se<strong>in</strong> politisches Handeln auch für diese Distanz zur <strong>NS</strong>- Politik? Hier s<strong>in</strong>d<br />

Zweifel angebracht. Bei se<strong>in</strong>er Amtse<strong>in</strong>führung schwor Prenn se<strong>in</strong> Amt im S<strong>in</strong>ne des<br />

von Gott gesandten Führers Adolf Hitler zu leiten. Später nahm er neuen Beigeordne-<br />

ten und Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äten selber den Schwur ab, dem Führer treu und gehorsam zu se<strong>in</strong>.<br />

Prenns unterstützte die Arbeit „<strong>der</strong> Partei“ u. A. durch die kostenfreie Bereitstellung von<br />

Büroräumen. Im Amtsblatt <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de, das Prenn herausgab, wird festgestellt, „dass<br />

wir stolz s<strong>in</strong>d, weil wir den Führer Adolf Hitler unser [eigen] nennen dürfen.“ Mit den an-<br />

<strong>der</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>äten stimmt Prenn dem „freiwilligen“ Amtsverzicht des sozialdemokrati-<br />

schen, jüdischen Bäckers Erhard Süß zu.<br />

Josef Prenn konnte <strong>in</strong>s Feld führen, dass er machtlos war, wenn die Polizei Geme<strong>in</strong>de-<br />

bürger verhaftete und für lange <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong>s KZ sperrte. Als aber die Dachauer SS-Lager-<br />

kommandantur nachfragte, ob e<strong>in</strong> Bürger noch länger gefangen bleiben solle, gaben<br />

Bürgermeister und Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at ihr Ja! 183 Ebenso war Prenn führend beteiligt an dem<br />

182 Annemarie Schäfer Schmidl: „Hach<strong>in</strong>g, Geschichten von gestern und vorgestern“ Gem.U. 2004<br />

183 GU, GR vom 17.2.1939


Vorhaben, e<strong>in</strong>em bedrängten jüdischen Mitbürger se<strong>in</strong> Haus und Grundstück für die<br />

57<br />

Geme<strong>in</strong>de unter Wert abzukaufen. M<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fall unterstützte er aktiv die<br />

<strong>NS</strong>- Politik <strong>der</strong> Rassenhygiene.<br />

Prenn vollzog <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Amtsführung die Vorgaben des <strong>NS</strong>- Staates. Nur <strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>-<br />

gem Maße getraute er sich Abweichungen von <strong>der</strong> Parteil<strong>in</strong>ie.


Anhang<br />

Anhang 1<br />

58<br />

Gespräche mit dem <strong>Zeit</strong>zeugen Christian Kriz<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>, Sept. 2007<br />

Christian Kriz wurde im Dezember 1929 geboren.<br />

Se<strong>in</strong> Vater war erfolgreicher Kunstmaler und Mitarbeiter des „Simplizissimus“.<br />

Obwohl unpolitisch, geriet er e<strong>in</strong>mal wegen e<strong>in</strong>es Bildes, auf dem e<strong>in</strong>e <strong>NS</strong>- Fah-<br />

ne dargestellt war, mit den Nazis <strong>in</strong> Konflikt und wurde 6 Wochen lang e<strong>in</strong>ge-<br />

sperrt.<br />

Als Christian Kriz 6 Jahre erreicht hatte, kam er <strong>in</strong> die Schule und wurde gleich-<br />

zeitig M<strong>in</strong>istrant, was er blieb, bis er 12 war. Vorbereitungsstunden und Mess-<br />

dienst machten ihm Spaß und das Geld, dass man bei Hochzeiten und an<strong>der</strong>en<br />

Feiern erhaschen konnte, war auch nicht zu verachten.<br />

Kris hat den Seelsorger Josef Stemmer (er amtierte von 1929-39) als guten<br />

Pfarrer <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Anschließend kam Pfarrer Mart<strong>in</strong> Faustner. Er erkannte<br />

den kritischen Geist des Christian Kriz und charakterisierte ihn mit den Worten:<br />

„Du bist e<strong>in</strong> Suchen<strong>der</strong>“.<br />

(Kris hat auch Pfarrer Hobmair aus Oberhach<strong>in</strong>g <strong>in</strong> guter Er<strong>in</strong>nerung: dieser fuhr<br />

e<strong>in</strong>mal mit nach Birkenste<strong>in</strong> bei Fischbachau, um e<strong>in</strong> Paar zu trauen, dem die<br />

Eltern den Segen verweigert hatten.)<br />

Mit 10 wurde Christian „Pimpf“ im „Jungvolk“. Öfter überschnitten sich jetzt die<br />

Term<strong>in</strong>e. Kriz und se<strong>in</strong>e Freunde suchten sich dann heraus, wo sie h<strong>in</strong>wollten:<br />

wenn ihnen das M<strong>in</strong>istrieren gerade nicht behagt, g<strong>in</strong>gen sie zum Jungvolk und<br />

redeten sich beim Pfarrer mit <strong>der</strong> dortigen Verpflichtung heraus und umgekehrt.<br />

Die kle<strong>in</strong>en Hiterjungen mussten mit <strong>der</strong> Opferbüchse losgehen, wenn fürs W<strong>in</strong>-<br />

terhilfswerk (WHW) gesammelt wurde. Christian hielt zusammen mit e<strong>in</strong>em<br />

Freund an <strong>der</strong> Hauptstraße Radler und die wenigen vorbeikommenden Autofah-<br />

rer an.<br />

Sie hatten an e<strong>in</strong>em Tag trotz langer Bemühungen wenig Erfolg gehabt, worauf<br />

se<strong>in</strong> Freund und er vom damals mächtigen Verwalter des Lagerhauses äußerst


„schwach angeredet“ wurden. Dies sah Christian als völlig ungerechtfertigt an<br />

und war lange noch wütend. (Im Lagerhaus, wo die Bauern ihre Fel<strong>der</strong>träge<br />

zwangsweise abliefern mussten, war auch das örtliche WHW angesiedelt.)<br />

59<br />

Mit 13 wurde Christian <strong>in</strong> die Flieger- HJ aufgenommen. Er war mit viel Freude<br />

dabei, wenn es darum g<strong>in</strong>g, Flugmodelle zu basteln und dann auch das Segel-<br />

fliegen zu erlernen und schließlich selbstständig zu fliegen. Das g<strong>in</strong>g bis 1944.<br />

Im letzten Kriegsjahr wurde Kriz noch gemustert. Am 20.4.1945 bekam er noch<br />

den E<strong>in</strong>berufungsbefehl, den er aber nicht mehr befolgen musste, da <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>d<br />

schon an <strong>der</strong> Donau stand.<br />

Während des Krieges kamen viele Zwangsarbeiter nach <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>. Sie wur-<br />

den meist ordentlich behandelt. Diejenigen, die bei den Bauern arbeiteten, hat-<br />

ten oft besseres Essen, als die E<strong>in</strong>heimischen. Und beson<strong>der</strong>s die jungen fran-<br />

zösischen Männer, die bald e<strong>in</strong> paar Worte Deutsch lernten, waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Da-<br />

menwelt nicht ungern gesehen.<br />

„In unserem Haushalt arbeitete <strong>der</strong> Pole Vadi, <strong>der</strong> als e<strong>in</strong>ziger Mann unter lauter<br />

Frauen, bald richtiggehend die Beschützerrolle übernahm z. B. wenn KZler o<strong>der</strong><br />

später amerikanische Besatzer auftauchten“, berichtet Christian Kriz.<br />

In den letzten Kriegstagen hat Kriz gesehen, wie Reste <strong>der</strong> Wehrmacht das Dorf<br />

durchquerten. Zum Teil führten sie Flaggeschütze mit, die von russischen<br />

Kriegsgefangenen gezogen werden mussten.<br />

Die amerikanische Armee beschlagnahmte 1945 u. A. kurzerhand die Häuser,<br />

die die Fa. Agfa für ihre Arbeiter- sie waren durchweg Sozialdemokraten und<br />

Gewerkschafter- errichtet hatten. Die Leute mussten mehrere Jahre lang von<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de irgendwo im Dorf untergebracht werden.<br />

1946 schloß sich Christian Kriz den „Naturfreunden“ an und g<strong>in</strong>g oft und gern<br />

<strong>in</strong>s „Gebirge“. Bald nahm er jetzt auch an SPD- Veranstaltungen teil. Die Sozial-<br />

demokratie war damals noch stark darauf ausgerichtet, Mitglie<strong>der</strong>, denen e<strong>in</strong>e<br />

komplette Schulbildung versagt geblieben war, zu schulen.<br />

Kriz studierte Bau<strong>in</strong>genieurwesen und engagierte sich langjährig <strong>in</strong> <strong>der</strong> SPD und<br />

im Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>at <strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong>s.


Anhang 2<br />

60<br />

Gesuch um die Entlassung des Georg Eicheld<strong>in</strong>ger aus dem KZ:<br />

An die Politische<br />

Staatspolizei<br />

München<br />

Gesuch um Entlassung des<br />

Politischen Gefangenen<br />

Georg Eicheld<strong>in</strong>ger, z. Zt. im<br />

Gefangenenlager Dachau<br />

Abschrift<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong> 20. II. 37<br />

Me<strong>in</strong> Mann, Georg Eicheld<strong>in</strong>ger, bef<strong>in</strong>det sich seit 10. 5. 35 wie<strong>der</strong> im Lager Dachau.<br />

Ich bitte daher dr<strong>in</strong>gend um endliche Entlassung, da auch ich unter diesen Verhältnissen<br />

am schwersten zu leiden habe. Abhilfe kann hier nur <strong>der</strong> Mann schaffen.<br />

Die Wohnung teile ich bei me<strong>in</strong>en Eltern mit 13 Personen. Auch ist es für das K<strong>in</strong>d bes-<br />

ser, wenn <strong>der</strong> Vater die Erziehung <strong>in</strong> die Hand nehmen kann. Da ich täglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit<br />

stehe, muß ich das K<strong>in</strong>d zum großen Teil fremden Personen überlassen. Aus diesen<br />

Gründen bitte ich nochmals ebenso herzlich als dr<strong>in</strong>gend, geben Sie mir me<strong>in</strong>en Mann<br />

und dem K<strong>in</strong>de se<strong>in</strong>en Vater, da ich am Ende me<strong>in</strong>er Kraft b<strong>in</strong>.<br />

Mit deutschen(!) Gruß<br />

M<strong>in</strong>a Eicheld<strong>in</strong>ger<br />

<strong>Unterhach<strong>in</strong>g</strong><br />

Herbststr . 20


(Die Geh. Staatspolizei lehnt mit Schreiben vom 23.2 37 an das Bezirksamt München<br />

das Entlassungsgesuch ab.)<br />

61

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