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So kann ein Reisebericht aus der Hand eines muslimischen Richters des 18.Jahrhunderts fast ausschliesslich Angaben zur Reiseroute enthalten, kann dersyrische Philosoph Sadik al-Azm als “offizieller Atheist der arabischenWelt” (Der Bund, 14.4.2007) auftreten und kann ein praktizierender Muslimwie Abdullah Gül, sich für die Trennung von Religion und Politik verbürgen.Diese Beispiele sollen eine unserem Fach inhärente Problematik aufzeigen.Den meisten wird einleuchten, dass wir uns, sagen wir mit juristischerKoranexegese in Damaskus unter den Abbasidenkalifen oder im heutigenSudan befassen. Weniger verständlich mag es jedoch erscheinen, dass eingeographischer Reisebericht, dass die Philosophie eines Atheisten oder diePolitik eines Säkularisten zumindest im deutschsprachichen Raum zur Domäneder Islamwissenschaft oder Orientalistik zählt. Es bedarf dazu indeskeiner Rechtfertigung, wohl jedoch einer Erklärung. Die Sprachen, in denendiese Personen kommunizieren und der Kontext, in dem sie agieren, werdenan den Schulen nicht und an den Universitäten vorwiegend im Rahmen derIslamwissenschaft vermittelt. Gäbe es jedoch innerhalb der Philosophie, Politikwissenschaft,Geographie und den übrigen Fächern der Universitäten,wie Geschichte, Recht und Wirtschaft, Kultur- und Sozialanthropologie,Kunstgeschichte, Musik- und Theaterwissenschaft jeweils einen Lehrstuhlmit einer Spezialisierung auf den Nahen und Mittleren Osten, Zentralasien,Südasien, Südostasien oder sogar auf einzelne Länder und idealiter noch aufeinzelne historische Perioden – nur zur Not auf “die islamischen Welt”, denn“Islam” wäre bei dieser Spezialisierung als Bezugsrahmen kaum noch tragfähig–, so würde die Islamwissenschaft ihre Gestalt ändern. Erst in diesemFall würde sie dann im Wesentlichen zu einer Religionswissenschaft werden,nicht aber zu einer Theologie, die an Sprachen zumindest Arabisch, Persischund Osmanisch/Türkisch abdecken müsste, da in ihnen bereits früh religiöseTexte verfasst wurden. Zur Ausbildung für eine solche Islamwissenschaftmüsste dann die allgemeine Religionswissenschaft gehören, was derzeitnicht notwendig und sogar selten ist. Keiner der Lehrenden unseres Instituteshat Religionswissenschaft studiert, neben der Islamwissenschaft wurdenvielmehr Geschichte, einzelne Sprach- und Literaturwissenschaften, Philosophie,Politikwissenschaft, Soziologie oder Volkswirtschaft gewählt.Etablierter EurozentrismusAngesichts des als Erbe des Historismus nach wie vor etablierten Eurozentrismusin den universitären Kernfächern und der wenigen Versuche, diePolitik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften für die Einrichtung vonLehrstühlen für Teilbereiche des islamischen Traditionswissens zu gewinnen(in Berlin und in Erlangen jeweils für Politik [und Zeitgeschichte] sowie fürWirtschaft des Vorderen Orients), müssen und wollen wir die Breite undVielfalt des Faches Islamwissenschaft erhalten.4

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