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Von der Megalomanie des Geldes zur Megalomanie der Architektur

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gleichbleibende Geldmenge vermehrt pausenlos Sachwerte. Eine sich exponentiellvermehrende Geldmenge vermehrt sich superexponentiell. Selbst wer mit seinem Geldimmaterielle Dientleistungen o<strong>der</strong> Kunstschätze kauft, bremst nicht unbedingt denMaterialumsatz <strong>der</strong> Welt, denn sein Geld zirkuliert weiter. Die Zerstörung <strong>der</strong> Welt hat alsonicht nur mit <strong>der</strong> globalen Geldvermehrung zu tun, son<strong>der</strong>n auch mit <strong>der</strong>Umsatzgeschwindigkeit <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>, genauer: mit <strong>der</strong> Umsatzgeschwindigkeit <strong>des</strong> von ihrerzeugten globalen Materialumsatzes. Solange Geldvermehrung und Geldbeschleunigungnicht gestoppt werden, werden auch keine Ressourcen gespart. Der Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<strong>der</strong> Unendlichkeit exponentieller Geldvermehrung und <strong>der</strong> Endlichkeit <strong>der</strong> Ressourcen istunaufhebbar. Das ist das ökologische Problem <strong>der</strong> Geldordnung.Die Unersättlichkeit <strong>der</strong> Geldüberschüsse verschwendet immer genau das, was gespartwerden müßte: Ressourcen, Energie, Landschaft.Noch immer werden täglich 70 Hektar Landschaft verbraucht. Und das obwohl das Angebotan Brachflächen, Baulücken und Konversionsflächen innerhalb <strong>der</strong> Siedlungsgebiete denBaulandbedarf längst bei weitem übersteigt. Die Neuausweisung von Bauland könntemühelos unterbleiben.Ähnlich ist es mit <strong>der</strong> Energie. Ausgerechnet in dem historischen Augenblick, als dieIndustriealisierung durch fossile Brennstoffe zum ersten Mal ein Energieproblem aufwirft,entsteht ein Energieverschwendungs-Städtebau: Die Ideologie <strong>des</strong> Freistehenden erzeugteine exzessive Orgie nie gekannter Verlustflächen. Glas an <strong>der</strong> falschen Stelle tut einübriges. Die Nutzung <strong>des</strong> Bauvolumens wird immer extersiver Die Erhöhung <strong>des</strong> Pro-Kopf-Bauvolumens steigt schneller als die Bevölkerungszahl. Mit tatsächlichem Bedarf hat diesimmer weniger zu tun. Nur noch mit <strong>der</strong> Schaffung von Arbeitsplätzen. Die braucht eine aufden Kopf gestellte lndusstrialisierung als Verteilungsvorwand und um Anlagevermögen zuschaffen.Der Zwang <strong>zur</strong> Vernichtung <strong>der</strong> automatisch entstehenden Geldüberschüsse durchsogenannte Beschäftigung erzeugt eine Flut ausgeklügelter Landschafts- undEnergievernichtungsmaschinen. Unüberbietbarer Rekord: das freistehende Einfamilienhaus.,,Hyperindividualisierung schafft neue Freiraume", dichten die Soziologen. Richtiger ist wohl:Mit einem Minimum an Geldüberschüssen wird ein Maximum an .Freiraum, Landschaft undEnergie vernichtet.Und selbstverständlich muß auch <strong>der</strong> Materialumsatz beschleunigt werden.. Weg mitLebensdauer, Nutzungsneutralität , Materialgerechtigkeit und Zeitlosigkeit. Her mit dempermanenten "Strukturwandel", mit Rückbau und Abriß. Her mit Chlorchemie,Verbundbaustoffen, verklebten Sandwich-Platten, Riemchen- und Plattentapeten, mitBefestigungstechnik anstelle von Flügeltechnik. Her mit den architekturmoden, dembeschleunigten Veralten, dem Talmi und Disney, dem Eloxieren, Lasieren, Imitieren, dengrünen Zebras und den lila Krokodilen. Her mit dem Dekonstruktivismus und seinemmaximalen Materialverschnitt. Her mit <strong>der</strong> lebenslangen, intensiven Pflege. Die schafftArbeitsplätze. Nicht nur bei Gebäuden, auch beim Grün.Wirkliches SparenTatsächlich lassen sich nur drei Baumaßnahmen denken, bei denen <strong>der</strong> Zustand danachweniger naturbelastend und weniger energieverschwendend ist als vorher, bei denen alsowirklich gespart wird: die Altbausanierung, <strong>der</strong> neue Ersatzbau für weniger ökologischenAltbau und die Schließung einer Baulücke. Letztere schafft sogar im besten Fall neuesVolumen, ohne die bestehende Gesamtbilanz zu verschlechtern, spart also regelrecht durchSchaffung neuen Volumens.Wirklich gespart werden kann also immer nur durch Bestandsverbesserung,Innenentwicklung, Strukturverbesserung und Nachverdichtung. Sparen im städtebau heißt:Stadtumbau total. Sparen im städtebau heißt vor allem, sich zu verabschieden vomGünther Moewes - Verleiher und Verlierer 4


Dortmun<strong>der</strong> Bahnhofs sehen. Aus einem beschränkten Wettbewerb ging ein sogenanntes"Ufo" hervor. Weltraumarchitektur hat heute die gleiche Funktion wie in den 1920er Jahrendie sogenannte "Streamline-<strong>Architektur</strong>": sie verheißt unüberbietbare Mo<strong>der</strong>nität. Aus diesemGrunde finden die Millionärs-Quiz-Shows im Fernsehen alle in so einerzusammengeschusterten Weltraumarchitektur statt. In manchen sitzen die Kandidaten sogarin Raumkapseln.Die Stadtväter träumten natürlich davon, dass ein solches Weltraum-Ufo Dortmund endgültigvom Kohlenpott- und Blumenkübel-Image befreit. Die Nachteile stellten sich erst späterheraus: <strong>der</strong> hochliegende Gleiskörper war sehr breit, und das Ufo wirkte natürlich nur, wennes auch von beiden Seiten zu sehen war. Ein Kreis lässt sich aber nicht einfach in die Längeziehen. Er wurde also immer größer. Und da eine nur eingeschossige Scheibe von 100 mDurchmesser auch nicht sehr eindrucksvoll war, wurde er auch immer höher. Das Volumenstieg exponenziell.Wie ein solches Volumen füllen? Die dringend gebrauchten Parkplätze ließen sich kaum indieser Höhe über den Gleisen unterbringen. Also erfand man zu den 30.000 QuadratmeternVerkaufsfläche vor allem Freizeitaktivitäten. Ein tropisches Ozeanium sollte her usw. usw.Irgendwann starb das Projekt dann wie weiland die paläontoligischen Riesenhirsche anHypertrophie.Man fragt sich nur, wie es sich so lange halten konnte und mehrere 100.000 MarkPlanungskosten verschlingen konnte. Und das hat natürlich wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong>Geldmechanismen zu tun: je größer, <strong>des</strong>to mehr vermeintliche Arbeitsplätze, <strong>des</strong>to mehrRendite für den Investor, <strong>des</strong>to mehr Honorar für die Architekten, <strong>des</strong>to mehr privates Kapitaluntergebracht, <strong>des</strong>to mehr Anlagedruck beseitigt. Das Risiko tragen ja die Anleger,allerdings vor allem die Kleinanleger.Private Überschüsse und öffentliche SchuldenNirgendwo bildet sich das Verhältnis von privaten Überschüssen und öffentlicherVerschuldung so deutlich ab wie in <strong>Architektur</strong>, Städtebau und Landschaft. Die privatenÜberschüsse ergießen sich pausenlos in die Landschaft, wie in dem Märchen vom süßenBrei. Seit 1960 ist die Siedlungsfläche vier Mal so schnell gestiegen wie die Bevölkerung. InDeutschland werden täglich 130 Hektar Fläche zugebaut. In Nordrhein-Westfalen sind nachAngaben <strong>des</strong> BUND inzwischen 21 % <strong>der</strong> Fläche versiegelt, fast so viel wie die gesamteWaldfläche.[9] Städte und Gemeinden versuchen sich ständig Firmenansiedlungen undArbeitsplätze durch Angebote beson<strong>der</strong>s guter Landschaftslagen abzujagen. Wie wir allewissen, wird dadurch zwar ständig Landschaft zerstört, aber in <strong>der</strong> Summe kein einzigerArbeitsplatz neu geschaffen.Im gleichen Tempo ist die Ausnutzung <strong>der</strong> innerstädtischen Flächen gesunken. In vielenGroßstädten (z.B. in Dortmund) stehen immer noch riesige innerstädtische Grundstücke seitdem 2. Weltkrieg leer, weil die laufende Preissteigerung bei Hortung mehr abwirft als die beiBebauung. Der Anteil <strong>der</strong> Brachflächen und <strong>der</strong> notdürftig begrünten Brachflächen steigtständig.Die Städte kommen mit <strong>der</strong> Aufbereitung aufgegebener Grundstücke nicht nach. DieInvestoren rechnen ohnehin nur noch in Kreditlaufzeiten von maximal 40 Jahren. Oft legensie aber schon nach 15 Jahren eine gezielte Pleite hin und hinterlassen <strong>der</strong> Stadt einesogenannte "Konversionsfläche". Das öffentliche Hinterherdienern hinter diesemStädtebauschrott mit Steuermitteln ist inzwischen Thema von Bauausstellungen undHochschulwissenschaft. Richtiger wäre es vermutlich, Grundstücke grundsätzlich nur nochgegen Hinterlegung einer "Abrisskaution" an private Investoren abzugeben (KunibertWachten). Noch richtiger wäre es, überflüssige Kulturflächen zu renaturieren. Aber genaudas findet natürlich nicht statt, weil es nicht nur mit Aufwand, son<strong>der</strong>n auch mit WertverlustGünther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 6


für den Eigentümer verbunden wäre. Nicht einmal die IBA-Emscherpark hat das geschafft.Aufgrund <strong>der</strong> Verschuldung <strong>der</strong> Städte sind die Stadträte gezwungen, nicht mehr denInteressen ihrer Wähler zu folgen, son<strong>der</strong>n den Investoren fremden Gel<strong>des</strong>hinterherzudienern. Seit 40 Jahren gibt es praktisch keinen Fachmann, keinen Politiker, keinFeuilleton und keine Fernsehsendung mehr, die Zersiedlung, Landschaftszerstörung und diedaraus resultierende Entdichtung <strong>der</strong> Städte gutheißen. Man kann ganze Regale mitAbhilfevorschlägen füllen (Gewerbesteuer nicht mehr an Kommunen, Strafsteuer aufBrachflächen, keine Neuausweisung von Bauland in Außengebieten usw.). Geän<strong>der</strong>t hatsich absolut nichts. Es kann sich natürlich auch nichts än<strong>der</strong>n, solange <strong>der</strong> Anlagedruck <strong>der</strong>privaten Überschüsse weiter ungebrochen exponenziell ansteigt.All diese Abhilfemodelle setzen eben nicht bei den Geldüberschüssen an und erschöpfensich <strong>des</strong>halb zwangsläufig darin, die vorgefundenen Negativentwicklungen einfach zubedienen o<strong>der</strong> sie gar <strong>zur</strong> großartigen theoretischen For<strong>der</strong>ung hochzustilisieren. Da wird einneues Leitbild <strong>der</strong> "perforierten Stadt" proklamiert [10], in <strong>der</strong> die Brachflächen einfach <strong>zur</strong>Tugend erhoben und begrünt werden. Motto: "Schandflecken zu Oasen". Da wird <strong>der</strong>Abschied vom Leitbild <strong>der</strong> "Europäischen Stadt", vom "heroischen Ganzheitsanspruch" undvon <strong>der</strong> klaren Trennung von "Stadt und Land" gefor<strong>der</strong>t. "Chaos-Stadt", "Zwischenstadt","fraktale Rän<strong>der</strong>" und "Para-Ästhetik" heißen die neuen Schlagworte. Die achselzuckendeBedienung <strong>der</strong> exponenziellen Geldmechanismen wird so auch noch als "Mo<strong>der</strong>nisierung"ausgelegt – wie überall, wie bei <strong>der</strong> sogenannten Rentenreform, bei <strong>der</strong> Steuerreform, bei<strong>der</strong> Regelung von Firmenübernahmen. Überall die gleichen Handlungsmuster.Die Reduktion auf die Betriebswirtschaft und <strong>der</strong> Verlust <strong>des</strong> RaumesDer Gegensatz zwischen privaten Überschüssen und öffentlicher Verschuldung verschlechtert nichtnur einfach die monetären Möglichkeiten <strong>des</strong> Städtebaus. Er ist dem Städtebau prinzipiellentgegengerichtet. Städtebau wäre seinem Wesen nach solidarischeGemeinschaftsanstrengung. Das Primat <strong>der</strong> privaten Überschüsse und die darausresultierende öffentliche Verschuldung stellen demgegenüber das private Einzelinteressegenerell über öffentliches Gemeinschaftsinteresse. Es reduziert allen Städtebau auf diebloße Addition privater Einzelinteressen und <strong>der</strong>en Bedienung.Diese Reduzierung auf Einzelinteressen und freistehende Einzelgebäude durch denFunktionalismus <strong>des</strong> frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts vollzieht auch wie<strong>der</strong> nur eine Entwicklung aus<strong>der</strong> Ökonomie nach: den Übergang vom Primat <strong>der</strong> "Nationalökonomie" zum Primat <strong>der</strong>Betriebswirtschaft: Wegstapeln von Menschen nach betriebswirtschaftlichem Kalkül,Konkurrenzprinzip, abstraktes Funktionieren in fremdbestimmter Arbeit, Arbeitsteilung,Funktionstrennung, Einzelkiste. Aus Städtebau wurde Aufzählung, Aufreihung,Lageristendenken.Dieses rein betriebswirtschaftliche Verständnis wurde auch auf jene Lebensbereicheausgedehnt, die bisher nicht unmittelbar den Geldmechanismen unterworfen waren. Selbstdas Kochen zu Hause, bisher Bestandteil <strong>des</strong> täglichen Lebens, <strong>des</strong> Wohnens, <strong>der</strong>geräumigen Wohnküche, wurde zum betriebswirtschaftlich durchrationalisiertenProduktionsvorgang. Beispiel: Frankfurter Küche. Sie war eine reine Arbeitsküche, imGrunde eine verkleinerte Betriebsküche mit input, kürzestem Weg und output an <strong>der</strong>sogenannten Durchreiche.Diesem vor<strong>der</strong>gründig betriebswirtschaftlichen Verständnis, diesem Primat <strong>des</strong>Einzelinteresses über das Gesamtinteresse entsprach auch die Reduktion <strong>des</strong> Städtebausauf die bloße Addition freistehen<strong>der</strong> Einzelgebäude. Diese wie<strong>der</strong>um hatte eine völligeVerän<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Raumverständnisses <strong>zur</strong> Folge: Das hatte es in <strong>der</strong> gesamtenBaugeschichte noch nie gegeben. Städte bau war immer die komplexe Organisation vonGebäudemehrzahlen unter gegenseitiger Einfluss- und Rücksichtnahme. Diese gegenseitigeGünther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 7


Einfluss- und Rücksichtnahme manifestierte sich unter an<strong>der</strong>em in <strong>der</strong> Organisation <strong>des</strong>Raumes. Der Raum war Ausdruck <strong>des</strong> kollektiven Gesamtinteresses. Er war <strong>des</strong>halb primär.Die Einzelgebäude waren Ausdruck <strong>des</strong> Einzelinteresses und <strong>des</strong>halb sekundär. Sie warenlediglich die Modelliermasse, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> primäre öffentliche Raum geformt wurde. Dieseröffentliche Raum war genau definiert: man konnte immer sehen, wo er zu Ende war, wannman einen Raum verließ und den nächsten betrat (Campo in Siena, Altstädte von Florenz,Rothenburg und Prag, Champs-Elysees, Ramblas und Piazza Navona). Diese Raumbildungwar Inszenierung (z.B. von Prozessionswegen) und genau durchdacht. Die alten Schwarzpläne zeigen das.Der heutige Städtebau ist das genaue Gegenteil dieses vorindustriellen Konzepts. Egal, obman die zusammenhanglosen Geldspargel <strong>der</strong> Citys, die stumpfsinnigen Aufzählungen <strong>der</strong>Plattenbauten o<strong>der</strong> das Schrottgewucher <strong>der</strong> Gewerbegebiete nimmt – <strong>der</strong> Stadtraum ist nurnoch bloßer undefinierter Gebäudeabfall. Er interessiert niemanden mehr. Es interessiert nurnoch das Einzelgebäude. Die Auflösung <strong>des</strong> Stadtraumes ist visueller Indikator <strong>der</strong>Auflösung von Zusammenhängen, Gesamtinteresse und Gemeinschaft. In <strong>der</strong> "City of Bits"(William J. Mitchell [11]) wird er nicht mehr benötigt.In <strong>der</strong> vorindustriellen <strong>Architektur</strong> war das Einzelgebäude dem Wahrzeichen vorbehalten,dem Logo. Und davon vertrug jede Stadt bloß ein o<strong>der</strong> zwei. Heute dagegen sind zumin<strong>des</strong>tdie Citys regelrechte Wahrzeichensalate. Highlightopolis statt solidarischer Einordnung.Städte bau wäre seinem Wesen nach solidarische Gemeinschaftsanstrengung, unauffälligeEinordnung, gegenseitige Rücksichtnahme.Beispiel Champs Elysées. An <strong>der</strong>en Stelle trittheute die punktuelle Konkurrenz, die möglichst bezugslose Selbstdarstellung vonEigentümer o<strong>der</strong> Architekten, <strong>der</strong> Eigenerfolg auf Fremdkosten bis hin <strong>zur</strong> möglichstwirksamen Beschädigung <strong>des</strong> jeweils an<strong>der</strong>en. Das Logo im Städtebau hat natürlich etwaszu tun mit dem Logo <strong>der</strong> globalen Markenartikel. Es ist <strong>der</strong> Versuch, über die reine BedarfsundFunktionserfüllung hinaus Aufmerksamkeit und letztlich Konsumbereitschaft zu erzielen.Einzelinteresse heißt auch "Funktionstrennung": Die Wohnungsbaugesellschaft will sich nichtmit Kin<strong>der</strong>gärten abgeben, die Lebensmittelkette nicht mit Wohnungen und die Stadt nichtmit Lebensmittelläden. Und so stehen dann die Parkplätze im Gewerbegebiet nachts und imWohngebiet am Tage leer. Im Gewerbegebiet werden riesige, energieverschwendendeFlachdächer nicht als großzügige Freisitze genutzt, und im Wohngebiet hocken die Nutzerauf winzigen, angeklebten Balkonen. Im Mansarddach <strong>des</strong> neobarocken Landgerichts lagerndie Akten in Südlage mit Fernblick, im Mietshaus nebenan wohnt <strong>der</strong> Rentner auf <strong>der</strong>Nordseite im dunklen Erdgeschoss an <strong>der</strong> lauten Straße. Und über dem Flachdach <strong>des</strong>eingeschossigen Supermarkts werden vier Geschosse verschenkt, die wir dann in <strong>der</strong>Landschaft vor <strong>der</strong> Stadt wie<strong>der</strong>finden. Ist das etwa Städtebau?Wie<strong>der</strong> dominiert das Systemerhaltungsinteresse über das Interesse an tatsächlicherBedarfsdeckung. Wie<strong>der</strong> führt betriebswirtschaftliches Denken keineswegs in die Reduktionvon Kosten und Aufwand – alles bereits weiter oben beim verursachenden Geldsystemdiagnostiziert.Geldverhältnisse und ÄsthetikAuch die Ästhetik von <strong>Architektur</strong> (ebenso wie das Design) war und ist immer in erster Linievon den Geldverhältnissen geprägt. Sie folgte stets dem Prinzip <strong>der</strong> zwei Ästhetiken: einerÄsthetik <strong>des</strong> Offiziellen und einer Ästhetik <strong>des</strong> Privaten. In <strong>der</strong> vorindustriellen Zeit spiegeltesich das in dem Gegensatz zwischen höfischsakraler und profaner <strong>Architektur</strong> –unübersehbar ein Gegensatz <strong>der</strong> Geldverhältnisse. Heute stellt sich diese Dualität dar als<strong>der</strong> erbitterte Gegensatz zwischen <strong>der</strong> offiziösen Investitionsästhetik <strong>des</strong> Funktionalismusund seiner postfunktionalistischen Folgeästhetiken einerseits und <strong>der</strong> 'privaten' Konsum- undWarenästhetik an<strong>der</strong>erseits.Konsum- und Warenästhetik – das ist die Ästhetik <strong>der</strong> Baumärkte, <strong>des</strong> GelsenkirchenerGünther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 8


Barocks und <strong>der</strong> Einfamilienhäuser. Die Wahlmöglichkeiten zwischen 48 Farben vonKlobrillen o<strong>der</strong> 400 Arten von Haustüren wird als "Freiheit" deklariert. An die Stelle vonEhrlichkeit, Reinheit, Werkgerechtheit und Materialgerechtheit tritt die Sehnsucht nach alten,vorindustriellen Verhältnissen, tritt das "mehr Schein als Sein", das Abziehbildfeudalistischen Glanzes, die "Goldenen Betten im Grünen", die Billigattrappen einesersehnten Luxus. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die akademische, funktionalistischöffentlicheÄsthetik <strong>des</strong> Bauhauses, <strong>des</strong> früheren Deutschen Werkbun<strong>des</strong>, <strong>der</strong> Hochschulen undFachzeitschriften, die puristische Ästhetik <strong>des</strong> Ehrlichen, Reinen, Werk- undMaterialgerechten. Sie versteht sich als Fachästhetik, erkennt externe Anfor<strong>der</strong>ungen an,nämlich funktionale, technische und wirtschaftliche, lehnt aber alle Konzessionen ansinnliche o<strong>der</strong> ästhetische Erwartungen, Grundbedürfnisse und Potenziale <strong>des</strong> Publikums,<strong>der</strong> breiten Bevölkerung erbittert ab. <strong>Von</strong> <strong>der</strong> Mitscherlich-Schule wurde sie <strong>des</strong>halb in den1960er Jahren als "sinnlich reduzierte" Investitions- und Oberschichtenästhetik beschrieben,als Ästhetik einer vermeintlichen funktionalen Elite, als Ästhetik <strong>der</strong> "Kolonialisierung" durchden "weißen Mann". Bei beson<strong>der</strong>en Gelegenheiten, etwa bei <strong>der</strong> Diskussion umDenkmalschutz, Dresdner Frauenkirche o<strong>der</strong> Berliner Schloss, prallen beide gnadenlosaufeinan<strong>der</strong>.Diese Beobachtungen lassen sich im übrigen auch auf an<strong>der</strong>en Gebieten machen, etwa imVerhältnis von E-Musik zu U-Musik, Hoch- und Vulgärliteratur, abstrakter Kunst und denröhrenden Hirschen <strong>der</strong> Glasereischaufenster und im Internet. Selbst die sogenannte"Subkultur" kann sich nicht immer den realen Geldverhältnissen entziehen.Und noch zwei Eigenschaften haben die beiden gegensätzlichen Ästhetiken in Geschichteund Gegenwart gemeinsam:1. Ihr Anteil am Bauvolumen war und ist äußerst unsymmetrisch.2. Die offizielle Theorie blendete und blendet den quantitativ bei weitem größeren Teilzumin<strong>des</strong>t in <strong>der</strong> jeweiligen Gegenwart geflissentlich aus.Das braucht für die vorindustrielle Geschichte nicht beson<strong>der</strong>s belegt zu werden. Theorieund Baugeschichte beschäftigten sich immer zuerst mit <strong>der</strong> höfischsakralen <strong>Architektur</strong>,obwohl <strong>der</strong>en Anteil an Objektmenge und Gesamtvolumen weitaus geringer war. Diequantitativ überwiegende Profanarchitektur <strong>der</strong> Fachwerkhäuser, Dörfer und Bauernhöfewurde erst nach gehörigem Zeitabstand gewürdigt, meist zuerst als "Volksarchitektur" undfolkloristische Beson<strong>der</strong>heit.Heute ist dieser Unterschied noch drastischer geworden. Die offiziöse Fach-Ästhetik <strong>des</strong>Bauhauses und <strong>der</strong> "Folge-Ismen" macht noch nicht einmal fünf Prozent <strong>des</strong> Gebauten aus,beherrscht aber ausschließlich Theorie und Fachdiskussion. Die übrigen 95 Prozent <strong>des</strong>Gebauten haben keinerlei Aussicht, jemals von Fachzeitschriften, Fachliteratur, Feuilletons,Hochschulbetrieb und gegenwärtiger Baugeschichte gewürdigt zu werden – einerstaunliches Phänomen.Natürlich resultiert auch das aus den Geldverhältnissen. Hatte es vor <strong>der</strong> Industrialisierung in<strong>der</strong> profanen <strong>Architektur</strong> noch so etwas wie eine Volksästhetik gegeben, so wurde von nunan fast alle <strong>Architektur</strong> von einer zinseinnehmenden Oberschicht für eine zinszahlendeUnterschicht gebaut. Die Bevölkerung hatte keine Möglichkeit mehr, aktiv eine eigeneÄsthetik zu entwickeln außer einer rein konsumptiven. Schon <strong>der</strong> sogenannte "proletarische"Backsteinbau, etwa <strong>des</strong> Ruhrgebiets, war ja nicht mehr von Proletariern entwickelt worden,son<strong>der</strong>n von Nicht-Proletariern, die sich vorstellten, wie sich Proletarier wohl Ästhetikvorstellen. Die von Proletariern selbst geplanten Häuser sehen an<strong>der</strong>s aus.Diese Warenästhetik bildet heute am ungebrochensten die Entropie <strong>des</strong> Wirtschaftensvisuell ab (Wir erinnern uns: Entropie ist <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> auf ewig unumkehrbarenVermischung, in die alle Material- und Energieressourcen dieser Erde durch den Vorgang<strong>des</strong> Wirtschaftens nach und nach überführt werden. Alle Arbeit, alle Wirtschaft, die MaterialGünther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 9


o<strong>der</strong> Energie bewegt o<strong>der</strong> umsetzt, erzeugen Entropie, es sei denn, sie operieren aufexterner Sonnenenergie). Kaufhäuser, Supermärkte, Baumärkte, Gewerbegebiete, factoryoutlet-center,Einfamilienhausgebäude, Hochhaus-Citys, Skylines, Landschaften – alles istheute nicht nur materielle, son<strong>der</strong>n auch visuelle, visualisierte Entropie.Die offizielle, funktionalistische Ästhetik kann demgegenüber nur begriffen werden als <strong>der</strong>verzweifelte Versuch, dieser Lawine materieller und visueller Entropie idealistischenWi<strong>der</strong>stand entgegen zu setzen und aus dem realen Geldsystem auszubrechen. Deranspruchsvolle Architekt kann mit dem Gedanken nicht leben, bloßes Vollzugsorgan vonGeld- und Wirtschaftsmechanismen zu sein, bloßer "Systemkavalier". Er klammert sich<strong>des</strong>halb an die Illusion, es gäbe irgendwo eine Ästhetik, die autonom sei. Diese Illusion hatstellenweise zweifellos zu kostbaren Ergebnissen geführt, die man nicht missen möchte, zukostbaren vereinzelten Solitären. Das Aussehen von 95 Prozent unserer Städte undLandschaften hat sie kaum beeinflusst. Über 95 Prozent zum Beispiel <strong>der</strong> Einfamilienhäuserwerden nicht von Architekten gebaut.Alle Ästhetik von <strong>Architektur</strong> und Städtebau ist also von den realen Geldverhältnissengeprägt: 95 Prozent von dem erfolgreichen Versuch, sie zu bedienen und fünf Prozent vonden erfolglosen, aber kostbaren Ausbruchsversuchen.Wie treulich <strong>Architektur</strong> und Städtebau dem Wandel <strong>der</strong> Geldverhältnisse folgen, erleben wirgerade <strong>zur</strong> Zeit: Bis weit in die 1960er Jahre hatte auch <strong>der</strong> öffentliche Bereich Anteil an denÜberschüssen. Das öffentliche Bauen war <strong>des</strong>halb von <strong>der</strong> funktionalistischen o<strong>der</strong>vulgärfunktionalistischen Investitionsästhetik geprägt. Die Konsumästhetik war die private,wenn auch nicht originäre Ästhetik <strong>der</strong> arbeitenden Bevölkerung. Inzwischen haben sich dieGeldverhältnisse umgekehrt: Die Überschüsse befinden sich auf <strong>der</strong> privaten Seite und dieVerschuldung auf <strong>der</strong> öffentlichen. Folgerichtig erleben wir <strong>der</strong>zeit, wie die Ästhetik diesnachvollzieht. Über die Großinvestoren breitet sich die private Konsumästhetik in denöffentlichen Investitionsbereich aus, sehr zum Verdruss <strong>des</strong> BDA, <strong>der</strong> Hochschulen und <strong>der</strong>Fachzeitschriften (Beispiele: CentrO Oberhausen, Dortmun<strong>der</strong> Bahnhof, WeltausstellungHannover, Baumärkte, factory-outlet-center, Bauten im ehemaligen Ostblock).Auch die Parlamentsentscheidung zugunsten <strong>der</strong> Rekonstruktion <strong>des</strong> Berliner Schlosses hatmit diesem neuen, geldbedingten Siegeszug <strong>der</strong> privaten Konsumästhetik zu tun. ObGelsenkirchener o<strong>der</strong> Berliner Barock ist ihr letztlich egal. Barocksehnsucht triumphiert überBankrottrealität. Vor dem technokratischen Funktionsdünkel <strong>der</strong> Fünf-Prozent-Mo<strong>der</strong>neflüchten die 95 Prozent auf <strong>der</strong> Woge <strong>des</strong> allgemeinen rollback ausgerechnet in die Armefeudalistischer Symbolik. Zwar hatten auch historische Stile sich von den Bevölkerungennicht hineinreden lassen, waren aber wenigstens auf <strong>der</strong>en Zustimmung bedacht.Ausgerechnet in den neuen Demokratien glaubte man, auf eine solche Bestätigung trotzigverzichten zu können. Das ging nur solange gut, wie man das Geld auf seiner Seite hatte.Natürlich sind <strong>Architektur</strong> und Städtebau nicht nur von Geldmechanismen abhängig, son<strong>der</strong>nvon vielen Parametern. Der Einfluss <strong>der</strong> fachlichen o<strong>der</strong> ästhetischen Theorien wird aberoffensichtlich stark überschätzt, <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Geldmechanismen wird dagegenoffensichtlich stark unterschätzt. Der Einfluss <strong>der</strong> Theorie auf den Charakter <strong>des</strong> Gebautenwürde sich vermutlich vergrößern, wenn sie weniger eigenen, synthetischen undidealistischen Postulaten folgte und sich stärker bemühte, den ökonomischen Ursachen <strong>der</strong>großen Masse <strong>des</strong> Gebauten auf den Grund zu gehen.Kapitalkonzentration und GigantismusDie ungeheuren Kapitalkonzentrationen erzeugen überall eine Tendenz zum Gigantismus.Das gilt nicht nur für Großstaudämme, Großflugzeuge, Großstadien, Großbauten,Firmenzusammenschlüsse und an<strong>der</strong>e Großprojekte, das gilt auch zum Beispiel für dieGrößenordnungen heutiger Futtermittelskandale (BSE, MKS, Nitrofen). Mit denGrößenordnungen wächst auch das Katastrophenrisiko, wächst die Verwundbarkeit.Günther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 10


Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass wir uns langfristig an megalomane Technikformenbinden, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Realisation überholt sind, etwa die Atomtechnik.Großbauten hat es schon gegeben, lange bevor es Kapitalkonzentrationen <strong>der</strong> heutigenGrößenordnung gab. Sie waren stets die gewollte Darstellung von Machtkonzentration: in<strong>der</strong> Sklavengesellschaft, im Kirchenstaat, in den großen Diktaturen. Worin liegt <strong>der</strong>Unterschied zwischen den früheren Großbauten und den heutigen? Schon immer wurden sieals notwendige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dargestellt. Die Paläste <strong>der</strong> Maharadschahswurden stets während <strong>der</strong> großen Hungersnöte gebaut. "Ihr müsst Paläste bauen, damit ihrnicht verhungert", hieß es.[12] Und <strong>der</strong> britische Physiker Mendelsohn hat nachgewiesen,dass die Bauzeitplanung <strong>der</strong> Pyramiden <strong>der</strong> Beschäftigung eines stets gleichbleibendenArbeitsheeres diente.[13] Auch damals entstanden ja Geld und Nahrungsmittel nicht erstdurch den Palastbau. Sie waren bereits vorher vorhanden. Die Leute hätten auch nichtverhungern müssen, wenn die Pyramiden und Paläste nicht gebaut worden wären. Insofernhat sich an <strong>der</strong> fiktiven Legitimationsrolle <strong>der</strong> Arbeit wenig geän<strong>der</strong>t.Geän<strong>der</strong>t hat sich vor allem <strong>der</strong> unmittelbar sichtbare Zusammenhang zwischen demerzeugten Glanz und dem dadurch verursachten Produktionselend. Er ist durch die globalenGeldströme zerrissen worden. Das Geld hat zunehmend eine Abstraktions- undVerschleierungsfunktion. Die Bauarbeiter sind durch die Maschinisierung von demProduktionselend nicht mehr unmittelbar betroffen. Die Überschüsse erzeugen die ihnenadäquaten Schulden und das damit verbundene Elend nicht mehr unmittelbar an denBaustellen, son<strong>der</strong>n am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Welt, in den Slums und auf den Müllbergen vonManila und Sao Paolo. Das Prinzip <strong>der</strong> Sklavengesellschaft existiert zwar weiter, ist ehernoch verstärkt, aber seine unmittelbare Lesbarkeit ist verloren gegangen. Sie ist verlorengegangen durch eine gewaltige, über Jahrzehnte hinweg aufgebaute und schwerdurchschaubare Konstruktion aus Banken, Börsen, Weltbank, WTO und IWF, die mittlerweileals naturgegeben angesehen wird.Diese gewaltige Konstruktion än<strong>der</strong>t aber nichts an einer Elementartatsache unseresGeldsystems: Alle Überschüsse, die nicht durch Akkumulation von Arbeit erzielt werden,können nur durch Schulden und Schuldendienste <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en erzielt werden. Dassollten sich auch all die genialen Entwerfer von futuristischen Megakonstruktionen vor Augenführen. Wenn es noch stimmt, dass man mit 75 Euro ein Kind in <strong>der</strong> dritten Welt ein Jahrlang vor dem Hungertod bewahren kann, dann kann sich je<strong>der</strong> Großarchitekt und je<strong>der</strong>Großinvestor ausrechnen, mit wieviel hungertoten Kin<strong>der</strong>n sein Gebäude erkauft wurde. AlleGroßbauten wurden zu allen Zeiten stets mit dem Elend <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en erkauft.Die Negativentwicklung <strong>der</strong> Geldverhältnisse wird jedoch von <strong>der</strong> Politik zunehmend nichtnur nicht bekämpft, son<strong>der</strong>n einfach zum Positivziel umgedichtet. Alles Staatsversagen, alleFlucht aus <strong>der</strong> Verantwortung wird auch noch als "Mo<strong>der</strong>nisierung" undPrivatisierungsgesetz ausgelegt: Ausstieg aus dem Arbeitgeberanteil bei den Renten,Steuerentlastung für Spitzenverdiener und Konzerne, die Auflösung <strong>der</strong> Städte undLandschaften – für alles erfindet eine hinterherdienernde Anpassungswissenschaft und -politik Positivbegriffe.Der Begriff "totalitär" wird von den Lexika definiert als "alles sich unterwerfend". Nicht nur<strong>des</strong>halb ist das exponenzielle Geldsystem totalitär, son<strong>der</strong>n auch vor allem, weil es alleVersuche <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>stands, <strong>der</strong> Notwehr und <strong>der</strong> Gegenmacht bekämpft mit drastischenEinschränkungen <strong>der</strong> Bürgerrechte und Menschenrechte, wie wir das im Augenblick erleben.Auch diese Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Macht und Gegenmacht ist nicht neu. Das lehrtdas Gesetz vom Aufstieg und Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Imperien. Dabei war die Macht immer primärund die Gegenmacht immer sekundär. Die Gegenmacht hat sich immer durch dievorgefundene Macht definiert. Gleichwohl hat die Macht auch immer versucht, dieGegenmacht wi<strong>der</strong> besseres Wissen als primär darzustellen und sie mit ihren überlegenerenGünther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 11


Mitteln zu bekämpfen, anstatt ihr durch Beseitigung <strong>der</strong> machtseitig erzeugten Ursachen denBoden zu entziehen.Oft hat die Gegenmacht vorübergehende Nie<strong>der</strong>lagen hinnehmen müssen, etwa beimSpartakus-Aufstand, bei den Bauernkriegen o<strong>der</strong> im Zweiten Weltkrieg. Langfristig hat sieaber immer gesiegt; das Christentum über die Römer, die französische Revolution über denFeudalismus und die Revolution von 1918 über den Neofeudalismus. Und wo immer diesiegreiche Gegenmacht sich als neue Macht etabliert hat, hat sie das "Ende <strong>der</strong> Geschichte"verkündet, das heißt, die endgültige Überflüssigkeit aller Gegen macht. Und genau<strong>des</strong>wegen hat sie immer die neue Gegenmacht erst heraufbeschworen.ZusammenfassungAnstatt die Bevölkerungen <strong>der</strong> Industriestaaten die Früchte <strong>der</strong> Industrialisierung in Ruheund Gelassenheit genießen zu lassen und die Maschinisierungsgewinne für den Aufbau <strong>der</strong>Entwicklungslän<strong>der</strong> zu nutzen, treiben uns die exponenziellen Kapitalüberschüsse in immersinnlosere und zerstörerische Aktivitäten und die "dritte" Welt gleichzeitig in immerhoffnungslosere Verschuldung. Die erste Welt nutzt die ihr leistungslos zufließendenGeldströme rücksichtslos <strong>zur</strong> Unterdrückung auch <strong>der</strong> geringsten Wi<strong>der</strong>stände mit denMitteln ihrer High-Tech-Rüstung.Es wird gerne so getan, als sei die wirtschaftliche und soziale Lage das Ergebnis vielerParameter und Interessen, und das exponenzielle Geld system sei allenfalls eine Ursacheunter vielen. Diese Vorstellung ist falsch. Das Geldsystem ist stets die eine, alles an<strong>der</strong>eauslösende Ursache. Dieses Verhältnis ist unumkehrbar. Niemals lösenWirtschaftswachstum, Armut, falsches Arbeitsverständnis o<strong>der</strong> Landschaftszerstörung dasGeldwachstum aus, son<strong>der</strong>n immer umgekehrt.Neu an <strong>der</strong> heutigen Auseinan<strong>der</strong>setzung ist nur ihr Gigantismus, die Dimension ihresKatastrophenrisikos. Man bekommt davon eine Ahnung, wenn man sich Großstaudämmeund Großstadien einerseits ansieht und die extrem einfachen Produktionsmöglichkeitenverheeren<strong>der</strong> Massenvernichtungsmittel an<strong>der</strong>erseits. Dieses Gefahrenpotenzial wirdsicherlich durch Irrationalismen und Fanatismen verschärft. Diese sind jedoch nicht dieeigentliche Ursache dieses neuen Katastrophen-Gigantismus. Die letztendliche Ursache istauch hier wie<strong>der</strong> die neue Dimension <strong>der</strong> Kapitalzusammenballungen. Und zwar inzweifacher Hinsicht: zum einen hinsichtlich <strong>der</strong> neuen Größenordnung <strong>der</strong> technischenMöglichkeiten und zum an<strong>der</strong>en hinsichtlich <strong>der</strong> neuen Größenordnung ihresVerschuldungszwangs und <strong>der</strong> dadurch ausgelösten Verelendung und Emotionalisierung.Wie die bereits erwähnten paläontologischen Riesenhirsche schaffen sichSpätzeitensysteme ihre Untergangsgerätschaften und ihre Untergangsautomatik selber.Diese Feststellung ist historisch gemeint und sollte keine Illusionen über den Zeitrahmenaufkommen lassen. Der Untergang <strong>des</strong> römischen Reiches hat schließlich auch dreihun<strong>der</strong>tJahre gedauert. Unabhängig von dieser Zeitdimension gilt jedoch: Wenn es <strong>der</strong> Politik nichtgelingt, sich im letzten Moment ins Rä<strong>der</strong>werk zu werfen, ist <strong>der</strong> monetäre und soziale Crashmathematisch unausweichlich. Fragt sich nur, wann und in welcher Form er eintritt.Anmerkungen01 Quelle: Monatsbericht <strong>der</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>bank und Globus-Grafik, Süddeutsche Zeitung vom 10. Juni 1994.02 Quelle: Grafik Süddeutsche Zeitung vom 4. Januar 2002.03 Hen<strong>der</strong>son, Hazel: Das Ende <strong>der</strong> Ökonomie, München 1985.04 Berger, Wolfgang: Zehn Thesen, INWO-Symposium Steyerberg, 28. Juni 2002.05 Frankfurter Rundschau vom 22. Juni 2002.06 Vorschläge <strong>der</strong> "Hartz-Kommission" <strong>des</strong> VW-Personalvorstan<strong>des</strong> Hartz07 Vgl. Zeitschrift für Sozialökonomie 130. Folge (2001), S. 19.08 Angaben <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> deutscher Wohnungsunternehmer, in: Frankfurter Rundschau vom 4. Juli 2002.09 Süddeutsche Zeitung vom 6. Juni 2002.10 Süddeutsche Zeitung vom 6. Mai 2002.11 Mitchell, William J.: City of bits, Berlin-Boston-Basel 1996.12 Moewes, Günther: We<strong>der</strong> Hütten noch Paläste, Berlin-Boston-Basel 1995, S. 88.13 Mendelsohn, K.: Das Rätsel <strong>der</strong> Pyramiden, Bergisch-Gladbach 1987.Günther Moewes - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> <strong>zur</strong> <strong>Megalomanie</strong> <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> 12

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