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Frauen sehen Kuba

tAGEBUCH - Arbeitsstelle Eine Welt

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<strong>Frauen</strong> <strong>sehen</strong> <strong>Kuba</strong>Studienreise vom 2. bis 22. März 2012


<strong>Frauen</strong> <strong>sehen</strong> <strong>Kuba</strong>Studienreise vom 2. bis 22. März 2012Diese Reise wurde gefördert mit freundlicher Unterstützung des Evangelisches Entwicklungsdienstes (EED)


Vorwort Anlass .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8Land der eigenen Wege .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara.. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 9TAGEBUCH Samstag 3. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13Sonntag 4. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 15Montag 5. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin .. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17Dienstag 6. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin .. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 25Mittwoch 7. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike .. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 35Donnerstag 8. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine.. . . . . . . . . . . . . . . . Seite 40Freitag 9. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 42Samstag 10. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 42Sonntag 11. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 47Montag 12. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Margita.. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 51


Dienstag 13. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Margita.. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 54Mittwoch 14. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 58Donnerstag 15. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 65• Auf alle Fälle | <strong>Kuba</strong>nisches Gedicht einer Altenpflegerin.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 68Freitag 16. März.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 71RÜCKBLICKe auf die Reise Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine.. . . . . . . . . . . . . . . . Seite 75Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 76Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 77Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 77Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin .. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 78Feedback.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Margita.. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 79• Segen der Native Americans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 81


VorwortAnlassAntjeDie beeindruckenden, tiefen Erfahrungender <strong>Frauen</strong>studienreisen nach Papua-Neuguinea 2007 und nach Indien 2010haben mich veranlasst, meinen Kontaktzu Christine Müller in der ArbeitsstelleEine Welt zu nutzen, um mit einer <strong>Frauen</strong>gruppenach <strong>Kuba</strong> zu fahren.Zu acht sind wir der Einladung der Gemeindedes Martin-Luther-King-Memorial-Centersin Havanna gefolgt. Diesebaptistische Gemeinde ist geprägt durchdie prophetische Vision und sozialpolitischeKraft von Rev. Raúl Suárez. Sie hatuns ein phantastisches <strong>Frauen</strong>programmzusammengestellt, das unsere Erwartungenweit übertraf.Wir haben mit vielen <strong>Frauen</strong> in <strong>Kuba</strong> direkten Kontakt bekommen, sogar Zugang in mancheWohnungen gefunden und in einem mehrtägigen Workshop mit kubanischen <strong>Frauen</strong>zu biblischen und sozialpolitischen Themen gearbeitet.Dieses Buch ist ein persönlicher Rückblick der Gruppe.


Land der eigenen WegeBarbaraCuba war nun kein unbekanntes Land mehrfür mich, war ich doch bereits im Februar 2010mit einer Gruppe der „Arbeitsstelle Eine Welt“in diesem kleinen Inselstaat. Das letzte Malfuhr ich als Vertreterin der Mittelamerika-Initiative Leipzig mit, um anschließend direktüber meine neu gewonnenen Erlebnisse undErfahrungen in diesem Land zu berichten.Dieses Mal, März 2012, wurde ich als Übersetzerinmitgenommen für eine Gruppevon <strong>Frauen</strong>, die mehr über das Leben ihrerkubanischen Geschlechtsgenossinnen erfahrenwollte. Eine reine <strong>Frauen</strong>gruppe also,auch noch mit dem Thema Frau. Fraulicherging´s kaum noch. Schon etwas eigen für mich,hatte ich doch bei dem Wort „evangelische<strong>Frauen</strong>gruppe“ sofort eine Assoziation zuerd- und ockerfarben bekleideten <strong>Frauen</strong> mitlangen Röcken und einem moralisierend undernst schauendem Gesicht, die mindestensdreimal täglich Tischgebete sprachen.Nun ja, soviel zu dem niemals vorurteilsfreienBlick und den daran anknüpfendenGedankennetzen. Dass dieses gleich beimersten Treffen durch die Kenntnis ihrerBiographien und der persönlichen Begegnungeingerissen wurde, ermunterte mich ungemein,mit diesen spannenden <strong>Frauen</strong> auf Reise zugehen, in ein Land, das wie gesagt, nicht mehrso unbekannt für mich war.Als Übersetzerin hatte ich dieses Mal kaumZeit selbst Fragen zu stellen, denn wenn dassehr dichte Programm zu Ende war, so warenes auch meine Stimme und meine Kraft,die mich verließen. Die enorme Menge vondrei bis vier Veranstaltungen pro Tag, fürdie jeweils fast zwei Stunden gebündelteKonzentration aufgebracht werden mussten,stellten eine echte Herausforderung fürmich dar. So kam es, dass ich dieses Malkaum Fotos machte und noch weniger aufschrieb.Ich wollte einfach alles außerhalbder Übersetzungszeiten mühelos in michaufnehmen, ohne die Verpflichtung zumSchreiben und Fotografieren zu spüren. Nachdemich nun die tollen Fotos meiner Mitreisendenge<strong>sehen</strong> habe, bereue ich dies auchkeine Sekunde und es ist interessant zu <strong>sehen</strong>,welche Art von Eindrücken herauskommen,wenn eine längere Zeit zwischen Erlebtemund Erinnertem liegen.Woran erinnere ich mich besonders gern?Zunächst war es toll, wieder all die Menschenzu treffen, die ich 2010 kennenlernen durfteund bei einem Reverse-Programm in Leipzigzu Gast hatte. Es wurde sofort nach denKindern und der Familie gefragt, geküsst,umarmt, gelacht – das volle kubanische Programm.Diese Nächstenliebe geht mir immersehr ans Herz und ich denke manchmal vollerWehmut: hätte ich nicht doch lieberals <strong>Kuba</strong>nerin geboren werden sollen? Wosonst findet man soviel Stolz, Witz, Anmutund Temperament? Selbst das menschlicheMiteinander in Südamerika wirkt da fast nochetwas unterkühlt.Dann waren da wieder die Gemeinde unddie engagierten jungen Leute vom Centro,


die mich in ihrer Arbeit sehr beeindruckten.Besonders hängengeblieben ist mir eine kleineZeremonie am <strong>Frauen</strong>tag, der als „Día dela Mujer“ in Cuba größer als bei uns gefeiertwird. In der ganzen Stadt hingen Poster mit derSilhouette einer jungen Frau und den Worten(Pasión, Firmeza y Valor = Leidenschaft, Stärkeund Wert).Im Centro wurden nach dem Mittagessenalle dort Anwesenden in den Seminarraumgebeten und aufgefordert, sich rund um einekubanische Flagge zu versammeln. Es wurdeein Film abgespielt, in dem bedeutende<strong>Frauen</strong>persönlichkeiten – u. a. Luxemburgund Zetkin – gezeigt wurden, die maßgeblichdie heutige Rolle der Frau mitgeprägt hatten.Anschließend durfte jeder Anwesende eineKerze anzünden und über <strong>Frauen</strong> sprechen,die sein/ihr Leben beeinflusst hatten oderder sie danken wollten. Das Licht ging dabeiaus und die Kerzen wurden zusammen mitihren Wünschen und Träumen rund um diekubanische Fahne aufgestellt.Da war wieder ein in mir gesponnenesNetz aus Gedankenfäden zerrissen, dassich an diverse <strong>Frauen</strong>tagsfeiern erinnerte,zu denen Brigadefrauen brustschunkelndund cognactrinkend plötzlich sehr fröhlichmiteinander umgingen, obwohl sie sich tagsüberim Betrieb kaum etwas zu sagen hatten.Noch ein Erlebnis: auch in diesem Jahr hattenwir die Möglichkeit verschiedene Sozialprojektekennen zu lernen. Die nachhaltigstendavon, die in meinem Gedächtnis hängenblieben, waren wieder einmal die Begegnungenmit der dritten Generation. Ein Nikaraguanerhatte mir einmal in Leipzig erzählt, dass er estoll finde, wie aktiv unsere alten Menschen inDeutschland ihr Rentendasein bestritten. Ermeinte damit die über 60-jährigen, die dasnötige Geld und die Zeit hatten, Kreuzfahrtenzu unternehmen, Sportkurse zu besuchen undauch sonst ein recht umtriebiges, abgesichertesRentendasein führten.Klar, davon konnten nikaraguanische „Rentner“nur träumen, denn die meisten von ihnenwurden im Durchschnitt eh nur 60 Jahre alt undwaren nach diesen 60 Jahren so verbraucht underschöpft vom täglichen Überlebenskampf,dass langlebigere Zeitgenossen froh seinkonnten, ein mageres Gnadendasein in ihremDorf oder Stadtteil innerhalb ihrer Familienzu führen, die selbst zum täglichen Kampfums Überleben gezwungen waren.<strong>Kuba</strong> war anders: schon vor zwei Jahrenhatten wir ein Altenpflegeheim besucht,dessen Bewohner mir glatt die Spracheverschlugen. Es wirkte von außen ärmlich undkarg, aber die Bewohner begegneten unseremgut gemeinten dünnstimmigen Gesang mitkräftigen Rezitationen eigener Gedichte,starken Gesangseinlagen und bühnenreifenViolinensoli, so dass ich den Eindruck bekam,ehemaligen Orchestervirtuosen begegnet zusein. Ein Eindruck, der sich manifestierte, jemehr ich dieses stolze und gebildete Volkkennen lernte.In diesem Jahr durften wir zwei Altersheimebesichtigen. Eines gehörte zur katholischenKirche und war in einem sehr großen,weiträumigen Gebäude untergebracht. DerOrt wirkte karg, aber großzügig und bargeine Vielzahl von Lebensgeschichten in sich.Geführt wurden wir von einem spanischenMissionar, der uns in die Speisesäle derunterschiedlichsten Kategorien von Lebens-10


Die Bühne füllt sich. Stimmen werden laut,und laut ist gar kein Begriff! Rund, voll undvoluminös wechseln sich Sänger und Tänzerab und erzählen uns die Geschichte einesLandes, das sich nie vereinnahmen ließ unddoch so viele wechselvolle Phasen erlebte.Geisterbesessene Tänzer lassen die Visionender schwarzen Sklaven hochkommen,die für die weißen Herren auf den Zuckerrohrplantagenschuften mussten, siegesgewisseKonquistadoren schreiten durch die Reihender Unterdrückten, rücksichtslos alles niederschlagend,was sich ihnen in den Weg stellt,Chango tanzt und macht sich Machetenschwingend den Weg frei durch ein Landvoller Gegensätze, die ersten Turistas kommenund bringen ihren amerikanischen Lifestylemit, Salsa erfüllt die Luft, wird abgelöst vonamerikanischen Freddy-Mercury-Klängen, einLand, so eng am amerikanischen Way-of-Lifeund doch so weit weg und auf eigenen Wegenvoranschreitend – voller Stolz und Not. Wielange noch?Wir sind müde, erschlagen und irgendwiedesorientiert, als wir wieder aufbrechen. DiesesLand ist so prall und bunt wie eine Piñata undso dunkel exotisch wie ein Höhlentauchgangvor der Küste Guantánamos. Wir wollen nachHause und verlorene Energien auftanken.Der Bus des Centros empfängt uns mit lautstarkerMusik. Tänze, die mitreißen und unsschwankend durch Havannas nächtlicheStraßen befördern. Die Wellen schlagenüber den Malecón und erinnern uns daran,in einem fernen Inselstaat zu sein, der seineeigenen Wege geht ...12


TagebuchSamstag 3. MärzAntjeUnsere Ankunft am Freitag Abendhatte sich drei Stunden verspätet,so dass wir den Weltgebetstagverpassten. Schade!Betsy als Begleiterin und Richardals Fahrer werden uns vom Centrofür die ganze Zeit an die Seitegegeben – etwas Besseres hätteuns nicht passieren können, wir sindglücklich mit den beiden.Nach dem Frühstück im HotelTulipan fuhren wir ins Centround wurden dort von Rev. RaúlSuárez begrüßt. Er gründete dasbaptistische Gemeindezentrumaus der Gemeindearbeit heraus,hoch engagiert und ständig in derKritik.Er selbst war lange Zeit Generalsekretärdes nationalen Kirchenratsund pflegte bis 1989 intensiveBeziehungen zur DDR und zur BRD.Geprägt hat ihn ein Buch vonJohannes Hamel zur „Kirche imSozialismus“, aus dem Raúl dreiGrundlinien für sich rezipierte:Der Westen ist nicht dieHoffnungszone, sondern Hoffnunggibt es in der DDR! Kirchereagiert nicht mit Hass! AberKirche idealisiert auch nicht densozialistischen Staat.Hamel rief damals zum Bleibenin der DDR auf, um sich für einegerechte Welt zu engagieren.In <strong>Kuba</strong> sind 75 Prozent der baptistischenPfarrer in die USA ausgewandert!Aber <strong>Kuba</strong> ist dasLand ihrer Kultur, hier wollen sieals Christen Zeugnis abgeben, ohneHass.Die Revolution hat viel Gutesfür die Armen gebracht. DieErwartungen seit den 80er Jahrensind hoch … das ist nicht dasReich Gottes, aber ein humanesSystem. Er vergleicht dieschwierigen Zeiten in <strong>Kuba</strong> mitdem Auszug aus Ägypten und dieheutige Zeit mit den VersuchungenJesu in der Wüste. Jetzt ist jedochdie ganze Schöpfung globalbedroht.Seit einem Jahr diskutiereneinige in <strong>Kuba</strong> über ein neueswirtschaftliches Modell, dazubraucht es eine Ethik der Wirtschaft.Welche Rolle darf/sollKirche dabei spielen? Kirche trägtAltlasten mit sich: Die katholische13


TagebuchSonntag 4. MärzAnnetteNach dem Frühstück fahren wirzum Gottesdienst in eine der dreilutherischen Gemeinden, die es inHavanna gibt. Die Gemeinde feiertim Hause der Pfarrfamilie. Ineinem Raum stehen ca. 30 Stühle,die Ventilatoren laufen aufHochtouren. Altar und Lesepultsind geschmückt. Der Ablauf desGottesdienstes steht an einerTafel. Liedhefte liegen aus undBibeln.Neben dem Altar befindet sichdie Musikanlage. Von dort erklingtdie Liedbegleitung. Der Pfarrerempfängt uns sehr freundlich.Auch er klagt über die Hitze undein Augenleiden. Aufgrund derTemperatur wird er nur die Stolatragen und nicht den vollen Talar.Er hofft auf unser Verständnis.Seine Frau führt als Liturgin durchden Gottesdienst. Die Lesungenwerden von verschiedenen Gemeindemitgliedernübernommen. Allehaben eine Aufgabe. Der Jüngste– ein 10jähriger Junge – sammeltdie Kollekte ein.Ich fühle mich schnell zu Hause.Auch wenn alles auf Spanischerklingt.In seiner Predigt betont derPfarrer, dass auch Gott eineGemeinschaft ist: Jesus, derHeilige Geist und die Engel. Godis a community. Das können sichChristen in aller Welt immer wiedersagen, um selbst zu wissen und zuspüren, dass sie eine Gemeinschaftsind. Diese Gemeinschaft feiernwir dann mit dem Heiligen Mahl.Der kubanische Friedensgrußschließt das „Küsschen, Küsschen“mit ein.15


Ein Softdrink und ein kubanischerEspresso wird beim KirchenCafé gereicht.Wir lernen die Gemeindemitgliederkennen.Einige gehören zur lutherischenKirche, weil sie unmittelbar inihrem Wohngebiet liegt. Anderehaben in die Gemeinde „hineingeheiratet“.Die Anfänge der Gemeindeund auch die Verbindungen zuden anderen drei lutherischenGemeinden bleiben für michunklar.Für den Nachmittag ist „Rumbaauf der Straße“ mit Einblickenin die Santeria geplant. Das fälltbuchstäblich ins Wasser. Der einzigeRegenguss während unsererReisezeit kommt an dem Sonntagnieder. Sehr heftig.Das Alternativprogramm istkeineswegs minder. Unsere pfiffigeBetsy besorgt Karten fürdie Ballettoper „Coppélia – DasMädchen mit den Glasaugen“ inder Nationaloper – KlassischesBallett von Jacque Offenbachnach E.T.A. HoffmannsErzählungen „Der Sandmann“.Kurz vor Beginn huschen wir durchden Eingang für die Tänzer indie Oper, vorbei an Wächter,Technikern und Einlasspersonal.Ihrem eingeweihten Blick nachhaben vermutlich alle ihre CUCsdafür in der Tasche.Auf der Bühne erscheint das weltberühmteNationalballett <strong>Kuba</strong>simmer wieder in neuen Kostümen.Dazu sehr detailreiche Kulissen.Gutes altes Theater, solideTanzschule. Anwesend ist auchdie Begründerin und langjährigeLeiterin des Balletts – AliciaAlonso. Sie wird vom Publikumausgiebig begrüßt. Vor ihreminneren Auge verfolgt sie die Oper.Alicia Alonso ist 91 Jahre alt undfast blind. Ehrwürdigen Schrittesverlässt sie die Oper unter16


Begleitung zwei jüngerer Herren.Ein Lächeln auf dem sorgfältiggeschminkten Gesicht. Wiedererklingen Applaus und Zurufe. Ichglaube, sie wünscht sich, in derOper zu sterben.Das Gebäude atmet den Dunstder Kolonialzeit aus und bräuchtedringend eine Sanierung. DieTechnik funktioniert noch sowie zur Zeit der Eröffnungmit Schiebebühnen undKulissenträgern. Auffallend ist,dass die meisten Tänzer undTänzerinnen europäische Genezeigen. Dafür hat der männlicheHauptdarsteller afrikanische Wurzeln.Die meisten von uns sind beglückt,fasziniert und dankbar für dieMöglichkeit des Besuches in derNationaloper.Rumba auf der Straße gab esdann auch noch - eine Wochespäter.TagebuchMontag 5. MärzKathrin<strong>Frauen</strong>abteilung des <strong>Kuba</strong>nischenNationalen Kirchenrates (CIC)Geschlechterperspektiveund biblische GerechtigkeitVortrag von Rachel Suarez –Pfarrerin der Baptistischen Gemeinde,Tochter von Raul SuarezEs gibt drei Pfarrstellen in derBaptistischen Gemeinde, der auchdas Martin-Luther-King-Zentrumangeschlossen ist, eine davon miteiner Frau besetzt, Rachel Suarez.Seit 2004 ist Rachel Suarez Delegierte/Vorstandim CIC, im Maistehen Wahlen an und sie wirdnicht mehr antreten.Der Kirchenrat selbst wurde 1940gegründet, ihm gehören 27 Kirchenund 11 ökumenische Bewegungen an.1970 wurde die <strong>Frauen</strong>abteilungvon Dora Valentin, der früheren17


Ehefrau von Dr. Sergio Arce,gegründet. Seit 1996 istdie Arbeit auf <strong>Frauen</strong>– undGeschlechterfragen erweitert.Arbeit mit Jugendlichen, Evangelisierung,Mitarbeit im theologischenStudienrat von <strong>Kuba</strong>, ökumenischeArbeit unter dem Blickwinkel derGeschlechtergerechtigkeit sinddie Schwerpunkte der Arbeitdieser Abteilung.Theologie der Befreiung, feministischeTheologie und Gendertheologiesind Themen. Diesewerden besonders unter demGesichtspunkt der theologischenÜberlegungen von Carlos Mestebearbeitet.Es werden Angebote zum Bibellesenaus feministischer undGenderperspektive gemacht,Workshops für <strong>Frauen</strong> und Männer,um das Selbstbewusstsein derGeschlechter zu stärken, werdendurchgeführt. Themen sind u.a.Sexualität von <strong>Frauen</strong> unter feministischerPerspektive, das ThemaKörper/Geschlechterverhältnisseaus der Machtperspektive – diesauch gespiegelt in Familie, Kirche,Gesellschaft – löst oft emotionaleBetroffenheit aus.Häusliche Gewalt ist ein Thema,nicht nur körperliche Gewalt,sondern auch strukturelle undsoziale Gewalt in Staat undKirche sind Themen.1959 begann mit der Revolutionder Start der <strong>Frauen</strong>- und Gleichstellungsarbeit,Gleichstellungvon Männern und <strong>Frauen</strong> war undist ein Ziel der Revolution. DochGesetze allein helfen nicht. AuchKampagnien und Filme allein wirkennoch nicht.<strong>Kuba</strong>s <strong>Frauen</strong> haben den Nachteilder Doppelbelastung, sie stehenin Lohn- und Familienarbeit, dieökonomische Krise hat dies nochverschärft. Die Wohnungssituationist prekär, die Wohnungen schlecht,das Gehalt niedrig. Alleinstehende<strong>Frauen</strong> sind ohne Hilfe.Schwierig ist es auch für <strong>Frauen</strong>zwischen 40 und 55 Jahren, da siedie Eltern versorgen müssen.<strong>Frauen</strong> sind sehr verletzbar undbelastet. Fortschritte hat es hinsichtlichder Erziehung und derGesundheit gegeben. 60 % der Bevölkerungist weiblich.Zurzeit treffen tradierte undfortschrittliche Rollen in einerBiografie zusammen, früh Ärztinund abends Hausfrau.In den evangelischen Kirchengibt es Strömungen, die dieseUngleichheit verstärken.Das Martin-Luther-King-Zentrum(MLKC) versucht die Gleichberechtigungzu fördern und diesgerade mit biblischen Textenzu begründen, beispielsweise amSündenfall von Eva. Traditionellwerden alle Texte aus männlicherPerspektive betrachtet, eine18


andere Perspektive ist für <strong>Frauen</strong>nötig, ebenso eine Sensibilisierungfür Geschlechterfragen.Die Kirchenführung desökumenischen Rates inZusammenarbeit mit Brot fürdie Welt berücksichtigen inihrem Bildungsbereich die Geschlechterfragen.Dies ist sehrnötig, denn es gibt Männer und<strong>Frauen</strong>. Wenn <strong>Frauen</strong> aus demDenken ausgeschlossen werden,führt dies in eine Krise, dies giltebenso für die Natur.Diese Perspektiven müssen in diegesamte Weltsicht einfließen,in alle sozialen Bewegungen. ImMoment ist die Weltsicht einepatriarchale Sicht, der weißeMann hat die Welt unterworfen,die weibliche Perspektive mussin die sozialen Perspektiven einbezogenwerden. Seit zwei Jahrenbeschäftigen sie sich auch mitdem Thema Maskulinität undGewalt.Es gibt Männerwerkstätten fürFührungskräfte. Bibeltextewerde aus der Zeitperspektivegelesen, dadurch kann erkanntwerden, wie Männer verantwortlichgehandelt haben (Bsp. Jesus hebtdie Kinder hoch.). Es wird an derDekonstruktion des Heldentumsgearbeitet. Die Ausgestaltung vonFührerschaft ist ebenfalls einSeminarinhalt.Schwierigkeiten gibt es bei derFinanzierung der Seminare, diesgilt auch für die Publikationen.Es wird stärker mit Institutionengearbeitet, die an einerZusammenarbeit mit der Kircheinteressiert sind. Beispielweisegibt es zurzeit eine Fernsehserieüber Gewalt gegen <strong>Frauen</strong>zur Hauptsendezeit. Es gibteine Theologinnengruppe amEvangelischen Seminar in Matanzas,ebenso wird dort auch feministischeTheologie gelehrt, esgibt Austausch und Treffen derTheologinnen und aller zwei Jahreeine Werkstatt im MLKC dazu.Auch in Santiago de Cuba gibtes ein ökumenisches Seminar,was von einer baptistischenPfarrerin geleitet wird, auch hierwird weibliche Bibelauslegungpraktiziert.Es gibt ein breites Netzwerk, aberwenig finanzielle Mittel. Ein Traumwäre regelmäßige Treffen auchmit lutherischen Theologinnen.Es gibt zwei Bischöfinnen in <strong>Kuba</strong>,eine anglikanische, Deseldade Garo aus Bolivien, und einePfingstlerin (wie ein Mann), diewahrscheinlich die nächstePräsidentin von CIC sein wird.19


Nationalrat der <strong>Frauen</strong> –<strong>Frauen</strong>bund/National Federationof Cuban Women (FMC)Caroline arbeitet seit elf Jahrendort und ist sehr interessiert anBeziehungen zwischen kubanischenund europäischen <strong>Frauen</strong>.Die neue Gesellschaft und die <strong>Frauen</strong>Das Organ ist eine Nichtregierungsorganisationund finanziert sichselbst. Es ist 1960 entstandenund eine erste sozialeMassenorganisation nach demKrieg. Die Idee ist es, eineneue Gesellschaft mit neuenGeschlechterverhältnissen zuschaffen. Es war ein schwierigerAnfang, da viele <strong>Frauen</strong> inunbedeutenden Rollen beschäftigtwaren.53 % der Analphabeten waren<strong>Frauen</strong>. <strong>Frauen</strong> waren meistSekretärinnen, Grundschullehrerinnen,Hausangestellte, Krankenschwestern.<strong>Frauen</strong> sollten sich stärker inGesellschaftsprozesse einbringen.Sie wurde gebeten, sich zuorganisieren. Dies wurde auchinnerhalb der Revolution vonFidel stark unterstützt. Essollte eine gleiche Ausbildungund der Zugang zu besserenPositionen ermöglicht werden.Es gibt noch ein weites Feld, um<strong>Frauen</strong> in die Gesellschaft zuintegrieren.Zurzeit sind 4 Millionen<strong>Frauen</strong> Mitglied im FMC, 88 % derweiblichen Bevölkerung. Mitgliedkönnen alle werden, die sichmit den Zielen der Revolutionidentifizieren, Aufnahmealter ist14 Jahre, Kirchenmitgliedschaft,sexuelle Orientierung, Hautfarbespielen keine Rolle.Die Basis der Organisation istdie Nachbarschaftsebene, esorganisieren sich etwa 50 bis 100<strong>Frauen</strong>, dies nennt sich Delegation.Die nächste Ebene wird als Blockbezeichnet, auch hier sind alleehrenamtlich tätig, nur dasHauptquartier, hier in Havannaauf nationaler Ebene, arbeitetmit Angestellten. Es wird einMitgliedsbeitrag von 3 Pesos imJahr erhoben, der Verband hateinen eigenen Verlag, der Bücherund Zeitschriften (dt: „DasMädchen“/ „Die Frau“) publiziert.Die Präsentation erfolgt mitgroßem Zuspruch auf derBüchermesse in Havanna.Der Verband betreibt einkleines Hotel, um Einnahmen zusichern, ebenso eine Werkstatt,in der Kleidung hergestellt20


wird. Dies war zunächst eineArbeitsloseninitiative, die auchvon der UN-unterstützt wurde.Im Zuge der Nachhaltigkeit sindsie aber jetzt unabhängig undfinanzieren sich selbst.Es werdenkostenlose Kurse für Leiterinnenangeboten, der soziopolitischeTourismus wird gefördert. Eswerden Rundtouren organisiert.Es gibt einen Austausch des<strong>Frauen</strong>bundes mit internationalenOrganisationen. Überall im Landgibt es Familienzentren, 175insgesamt mit unterschiedlichenAusrichtungen. Die Idee dazustammt aus Berlin, das Vorbildwar das Familienzentrum „EvasArche2“ Die Familienzentren in<strong>Kuba</strong> bieten rechtliche und sozialeBeratungen an, es erfolgt eineZusammenarbeit mit Expertenin der Stadt. Beispielsweise wirdFamilienmeditation angeboten, umdie Scheidungsrate zu senken.Insgesamt heiraten weniger. Esgibt auch Freizeitkurse, diemüssen bezahlt werden, sie kosten25 Pesos, erfreuen sich abergroßer Beliebtheit. Es gibt keine<strong>Frauen</strong>schutzhäuser in <strong>Kuba</strong>, körperlicheGewalt gibt es weniger,mehr psychische Gewalt, dort sollinsbesondere in der Prävention einSchwerpunkt liegen.Das Ziel ist nicht, mehr gesetzlicheGrundlagen zu schaffen, sonderndie Bewusstseinsveränderung. Esgibt in <strong>Kuba</strong> mehr qualifizierte<strong>Frauen</strong> als Männer. <strong>Frauen</strong> sindeher die Hauptverdienerinnen. DieKindergartenbeiträge sind sehrniedrig, früher waren sie kostenlos.Jetzt sollen auch bessere Löhnefür Unterstufenlehrerinnen undKrankenschwestern bezahltwerden, da viele in derSpezialperiode aufgehört haben.Es arbeiten 70 % <strong>Frauen</strong> imGesundheitswesen, 64 % der Ärztesind <strong>Frauen</strong>.Einen besonders starken Wechselhat es im Bereich der Justizgegeben, 70 % der Staatsanwältesind weiblich, die Präsidentindes Gerichtshofes ist eine Frau.Auf der Universität werdenmehr <strong>Frauen</strong> graduiert. 43 %des Parlaments ist weiblich.Trotzdem ist nicht alles rosig, inden familiären Verhältnissen istnicht alles so demokratisch wiegewünscht. Die Doppelbelastungist ein Problem. Es gibt gerechteGesetze, aber die Umsetzungist schwierig. Die Art zu denkenändert sich nur langsam.Das Rollenverständnis ist oftsehr traditionell. Der Nationalratbezeichnet sich nicht gern alsfeministisch, sie wollen sichauch um Männer kümmern.Die <strong>Frauen</strong> haben sich sehrweiterentwickelt, auch in ihrerArt des Denkens. 1975 wurden dieRechte der Familie festgelegt,heute wird dieses Gesetzangepasst und evaluiert. Auchdas Strafrecht gegen Gewalt21


ist geschlechtsunabhängigformuliert. Es gibt keineGeschlechtertrennung bei derErziehung vom Kindergartenan. Sozialhilfe gibt es für Alleinstehendeund Behinderte.Zurzeit findet eine Evaluation derArbeit des <strong>Frauen</strong>bundes statt,es soll untersucht werden, welcheArbeit an der Basis geschiehtund welche Wünsche und Anforderungenan den <strong>Frauen</strong>bund gestelltwerden.Jeder Stadtteil hat andereBedürfnisse, die Probleme sindauf dem Land andere als inder Stadt. Auf dem Land sindz. B. Frühschwangerschaften einProblem, in der Stadt nicht.Abtreibung ist legal und kostenlos.Der Schulabbruch von Mädchenauf dem Land ist auch einProblem. Zurzeit wird nach jungenMultiplikatorinnen für den<strong>Frauen</strong>bund gesucht. Es gibt einErziehungsjahr, 18 Wochen davonsind Mutterschutz, wobei 100 %des Gehaltes bezahlt wird –6 Wochen vor und 12 Wochennach der Geburt. In der Restzeitwird 60 % des Gehalts bezahlt(wenn die Frau nicht auf eigeneRechnung arbeitet). Es gibtBestrebungen, dass mehr MännerElternzeit nehmen. Das Stillensoll unterstützt und vermehrtwerden auf mindestens 6 Monate,allerdings kostet die Werbung sehrviel (Anmerk. Wallrabe: Habe denTrickfilm dazu im kubanischenFern<strong>sehen</strong> ge<strong>sehen</strong>, sehr lustig!).Es gibt Kontakte zu vielen<strong>Frauen</strong>bewegungen, Umweltbewegungen,Wasserprojekten …22


Familienzentrum / Casa de OrientationMertha, Psychologin,Koordinatorin des FamilienhausesVeronika, Ingenieur für Informatik,arbeitet für die sozialen Belangein der KommuneDer neue selbstlose Mensch –was führt zum besseren Leben?Mertha: Die Familienhäusergehören zum kubanischen<strong>Frauen</strong>bund und wurzeln in denKommunalprojekten, 174 an derZahl, normalerweise in jedemBezirk eins. Es steht die Ideedahinter, dass <strong>Frauen</strong> einenOrt zum Lernen, Austauschenund Weiterentwickeln findensollen, 1990 gab es die Idee derFamilienhäuser, 1991 wurde diesesHaus eröffnet. <strong>Frauen</strong> sollen sichselbst finden und Unterstützungbei der Lebensbewältigungerfahren. Das Ziel ist dieHerausbildung eines neuen,selbstlosen Menschen.Der Charakter des Hausesrichtet sich nach dem Bedarf.Was wird gebraucht? Jedes Jahrwird dies aktualisiert. Es gibteine Zusammenarbeit mit 50Professionellen, Ärzten, Psychologen,Juristen, Künstlern, Sportlern .…Die Arbeit erfolgt in drei Formen:• Individuelle Orientierungpsychologische und juristischeBeratung für Kinder undErwachsene, beispielsweise beiFamilienkonflikten (Meditation), einTeam beschäftigt sich mit Gewaltin der Familie.• Zusammenarbeit mit PartnernBeispielsweise werden Kinderohne Kindergartenplatz betreut,auch Teenagergruppen findenPlatz, es werden Angebotekonzipiert, die Wertevermittlungzum Inhalt haben, z. B. überLiebe, zwischenmenschlicheBeziehungen, sexuelle Aufklärung,Krankheitsverhütung, Missbrauchvon Alkohol und Drogen.Hier wird sehr auf Präventiongebaut und mit unterschiedlichenMethoden gearbeitet.Zurzeit wird ein Theaterstückgeprobt. Arbeit mit Menschen ab60 ist auch ein Schwerpunkt, indiesem Zentrum ein Hauptpunkt,da es in diesem Viertel vieleältere Menschen gibt, dieam gesellschaftlichen Lebenteilhaben wollen. Es geht darum,dass Selbstwertgefühlt zusteigern. Es gibt Bastelangebote,z. B. Papierblumen (von denen wireinige geschenkt bekamen).Die älteren Menschen lernen mitprofessioneller Hilfe über dieeigenen Rollen zu sprechen. Es gibteine Uni für ältere Erwachsene,dieses Projekt wurde durch dieUniversität Havanna im Jahr23


2000 angestoßen. Es gibt auchVeranstaltungen in Vorbereitungauf die Rentenzeit. Es werdenErnährungsfragen, Sex imAlter und soziale Sicherheitthematisiert. Auch die Rolle inder Familie als Großeltern wirdreflektiert. Es gibt Probleme durchdie engen Wohnungen und dasZusammenleben mit mehrerenGenerationen.• Weiterbildung und FortbildungEs gibt kostenlose Kurse bspw. zusexueller Prävention, Ernährung,Emotionen, Rauchen und Kurse,die bezahlt werden müssen, z. B.Schneider- und Weberkurse, Haareschneiden, Massage, Schminkkurs,Computerkurse, Marketing, Kommunikations-und Sprachkurse. Eswird auch Fahrschule zur besserenBewältigung der Fahrpraxis angeboten.Es gibt gerade Übergangsregeln.Früher waren die Angebote nurfür <strong>Frauen</strong>, jetzt kommen auchMänner in das Familienzentrum.Drei sind im Schneiderkurs, zweiim Sekretärinnenkurs. VorigesJahr waren 5000 Teilnehmendeim Zentrum, davon 21 % Männer.Zu den Beratungen kommen 17 %Männer.Es kommen auch verheirateteMänner ohne Kinder, die dieBeziehung retten wollen. Dasist neu und hat sich gewandelt,das ist gut. Männer sollen <strong>Frauen</strong>respektieren, sie sollen sichgegenseitig darin bestärken,dass <strong>Frauen</strong> eine starke Rollein der Gesellschaft spielen.Noch gibt es nicht genügend<strong>Frauen</strong> in Führungspositionen. Inden „Bezahlkursen“ gibt es amAnfang zehn Minuten Reflektionüber Geschlechterfragen, Rolleder Kinder, Gewalt, Geschlechterverhältnisse,Präventionsexueller Krankheiten, Treueund Familie. Die Themen werdenauch in den Radio- undFernsehprogrammen angesprochen,die durch das <strong>Frauen</strong>bundgeldfinanziert werden.Es gibt zwei Programme im Fern<strong>sehen</strong>zu Geschlechterthemen:Schwangerschaft, Gesundheit,Krebsvorsorge, Tuberkulose, Mutter-und Vaterschaft stehen aufder Tagesordnung. Juristen undPsychologen arbeiten als Freiwilligehier, Familienkonflikte werdenbesprochen.Die Gesundheitszentren sind denFamilienzentren vorgeschaltet.Es gibt ein Team bei Scheidungsfragen.Es wird auch aufsuchendeArbeit geleistet, Hausbesuchegemacht, z. B. bei Gewalt gegenÄltere. Das Zentrum hat von früh8 Uhr bis abends 8 Uhr offen,auch am Wochenende. Das Ziel istes, eine bessere Lebensqualität zuerreichen.24


TagebuchDienstag 6. MärzKathrinDaisy Rojas, Mitbegründerinund Koordinatorin des MLKCDie Würde der MenschenSie ist besorgt über die Diskussion,die jetzt angestoßen wird. <strong>Kuba</strong>ist in einer schweren Krise.<strong>Kuba</strong> war nie reich, es hattekeine Bodenschätze, es gabZuckerrohranbau, heute ist es derGesundheitssektor. Es gibt vierGeldquellen: Gesundheitswesen,Tourismus, Zuweisungen vonausgewanderten Familien an ihreAngehörigen …Es gibt eine Mangelwirtschaftund einen schlechten Umgangmit Ressourcen. Es gab dieSpezialperiode nach dem Zusammenbruchder UdSSR, es gab aberschon Krisen in den 80er und 90erJahren, vor der Perestroika.Darüber gab es bereits Reflektionen,was besser gemacht werdenkönnte. Im Inneren des Landesfunktioniert es nicht, im Äußeren:Wirtschaftsblockade, all das führt(e)zur großen Schwierigkeiten.Auf Obama ruhten amAnfang viele Hoffnungen aufVerbesserungen, aber es hat sichnichts verändert. Das ist eineEnttäuschung.<strong>Kuba</strong> bleibt Terroristenland, fürdie USA, dazu gibt es ein Gesetz inden USA. Die Einreiseerschwernissefür <strong>Kuba</strong> wurden ein weniggelockert. Die Blockade nicht,dies ist mehr als ein Embargo.Es hält die Entwicklung auf. Eswerden viele Veränderungen vomVolk angeregt. Beispielsweise wirdder Zentralismus aufgeweicht,es kommen mehr Themen vom25


Volk. Es gibt die Forderungnach Meinungsfreiheit, nachPressefreiheit, nach mehrMitbestimmung.Es gibt zwei Währungen, dashat zwei Klassen zur Folge.Dies hat nicht nur ökonomischeAuswirkungen, sondern auchspirituelle und emotionaleAuswirkungen.Mit dem Tourismus sind auch dasDrogenproblem und die Prostitutionwieder ins Land gekommen.Das sind die schwarzen Seiten.Die guten: ohne Tourismus wärealles viel schlimmer. Er hat unsüberleben lassen. Nach derRevolution war die Prostitutionfast ausgerottet. Jetzt steigtsie wieder an, aufgrund derökonomischen Situation. Früherstand der Fokus eher auf denZuhältern.Bis in die 90er Jahre gab es keineBettler. Jetzt gibt es Bettlertumund Schlimmeres, auch Diebstahlund Kriminalität steigen an.Ein notwendiges Übel ist, dass jetztviele Ausländer investieren können.Es gibt Joint Ventures und neueProjekte, z. B. Hotels. Ausländerkönnen seit einem halben JahrGrundstücke kaufen, allerdingsnoch mit staatlicher Kontrolle.Vorher konnte man ein Haus oderAuto von den Vorbesitzern kaufen,aber nicht weiterverkaufen odervererben. Heute ist Verkauf undVererbung möglich.Die sozialen Errungenschaftenwerden aufgehoben. Wir hattennicht wirklich mehr Klassen,jetzt gibt es wieder Klassen:sehr Arme oder sehr Reiche undeine Mittelschicht. Dies hängtauch mit den Zuwendungen derAusgewanderten zusammen, auchmit denen, die in Hotels arbeiten.Dort verdient man als Pförtnerviel mehr, als im staatlichenSektor beispielsweise als Arzt. Dieshat eine Glaubenserschütterungbewirkt.Es gibt immer noch Misstrauenanderer Länder gegenüber<strong>Kuba</strong>. Es werden keine Krediteam Finanzmarkt bewilligt,<strong>Kuba</strong> muss cash bezahlen. BeiHandelsbeziehungen mit den USAmuss <strong>Kuba</strong> vorher bezahlen. Dasgeschieht mit keinem anderenLand so. China unterstützt <strong>Kuba</strong>ein bisschen, Venezuela sehr, aberes reicht nicht. Die Demotivation istbesonders unter den jungen Leutenzu finden. Es gibt keine Anreize,das Ambiente ist frustrierend.Es gibt Ineffizienz, Unproduktivität,einen Abwärtsstrudel undviel Bürokratie. Als wurdenbeispielsweise Geldautomatengekauft, die USA habe sofortalle Geldautomaten auf demMarkt abgekauft. Es wurden neueAutobusse gekauft, die USA habendie ganze Busfirma gekauft.26


Vor Obama gab es eine starkeSanktionierung für Firmen, die mit<strong>Kuba</strong> Geschäfte machten. DieGesetze sind auch unter Obamagültig. Trotzdem versucht <strong>Kuba</strong>die Wirtschaft zu verbessern. DerStaat kann es nicht alleine lösen.Es werden Investoren gesucht.2010 gab es eine halbe MillionArbeitslose. Sie waren pseudobeschäftigtund wurden jetztentlassen. Die Gehälter im öffentlichenDienst sind sehr niedrig, siemüssen erhöht werden.Der produktive und auch deröffentliche Sektor bekommenmehr Autonomie. Durch diesteigende Produktivität ist esauch möglich, mehr Gehalt imöffentlichen Dienst zu zahlen.Vorher gab es viele Subventionenauf Produkte.Es gibt Lebensmittelmarken füralle. Jetzt sollen nur noch Familien,bzw. Bedürftige unterstützt werden.Es ist beabsichtigt, die Lebensmittelmarkenabzuschaffen.Dagegen gab es Proteste derÄrmeren. Der Dialog mit derRegierung soll verbessert werden.Raul Castro will den direktenDialog, es wird mit weniger Angstgesprochen. Nicht mehr nachdem Motto, was man nicht siehtexistiert nicht, was soll man dannverbessern?Das ist eine wirklicheVerbesserung. Die Leute schreibenund sprechen ihre Kritik aus. Esmüssten mehr Kontrollmechanismengeschaffen werden über dieLeute, die Macht haben. DieKontrolle vom Volk her wäre nötig.Es wurden beispielsweise Löhnegestohlen. Was wird mit den altenFunktionären? Was wird nach Raul?Je mehr Kritik wir üben, destomehr wird lösungsorientiertgedacht. Man darf nichtverzweifeln.Viele haben sich bisher nichtselbst gekümmert, sondernimmer nach dem Staat gerufen.Das ist auch nicht gut, dieSelbstverantwortung fehlt.Es gibt viele Versammlungen/Bürgerversammlungen in der Kommune.Zum Beispiel ein Antragauf einen Spielplatz: Man musssich auch selbst engagieren, dieLeute begeistern. Der Sozialismusmuss erarbeitet werden, nicht vonanderen (geschaffen). Sozialismusist ein Prozess.Der Sozialismus in Deutschland istnicht wie der Sozialismus in <strong>Kuba</strong>.Es ist ein Fehler, den Sozialismusvon Europa in <strong>Kuba</strong> zu imitieren. Inden letzten Jahren hat sich <strong>Kuba</strong>zu viel mit anderen identifiziert,aber die kubanische Kultur isteine völlig andere.Das Positive sind die Errungenschaftenim Gesundheits- undErziehungswesen. Es gibt Sorgenum diese Errungenschaften.27


Ein Mangel durch die Blockadegibt es im pharmazeutischenBereich. Es ist schwierig, für diepharmazeutischen Fabriken dieGrundlagenstoffe zu beziehen.Raquels eigene Tochter war anKrebs erkrankt, die Operation warmöglich, aber es ist schwierig,Medikamente zu bekommen. Jetztkauft der Staat im AuslandMedikamente ein, die sehr teuersind.Zurzeit ist alles weniger streng.Kritik und Humor sind möglich. DieSozialhilfe wurde um 10 % erhöht,sie soll effektiver gestaltetwerden, um nur noch Bedürftigezu unterstützen. Es werdenkaum mehr kostenlose Leistungenangeboten. Die Legalisierungkleiner Firmen unterstütztdie Effektivität. Ein Teil derEntlassenen kann sich dadurchetwas dazuverdienen. Sie sindnicht so hilflos, dies ist auch einpsychologischer Faktor.Der Zugang auch für <strong>Kuba</strong>ner zuden Hotels ist neu, die Differenzenzwischen den Schichten sollüberwunden werden. Jetzt gibtes das Recht, in diese Hotelszu gehen, obwohl es sich nichtjeder leisten kann. Das ist auchein psychologischer Effekt. DerUnterschied liegt jetzt im Geld.Viele Dinge waren früherkostenlos. Jetzt gibt es keineGratisleistungen mehr. Aber es gibtmoderate Preise, beispielsweisefür die Oper. Wenn etwas gratisist, wird kein Wert empfunden. Esgibt Strafen für Leute, die Landhaben, und dies nicht nutzen.Der politische Wille ist, mit diesenMaßnahmen die Gehälter anzuheben.Das Ziel ist: eine Währung und einAusgleich der Preise. Die Revolutionkämpft um Gerechtigkeit, dieChristen üben Mildtätigkeit. Esgeht um die Würde der Menschen.CENESEX – Institut zur sexuellen AufklärungAlberto Roque – Arzt und Koordinator dessozialen Netzwerkes von CENESEXÜberwindung von StereotypenHauptaufgabe von Cenesex istes, Geschlechterfragen in derGesellschaft zu thematisieren,Arbeit mit Homo,- Bi,- TransundIntersexuellen. Cenesexist ein nationales Zentrum deskubanischen Staates, 1972 aufVorschlag einer Arbeitsgruppeals Institution des kubanischen<strong>Frauen</strong>bundes entstanden, diesich mit Geschlechterfragenbeschäftigte.Ärzte und Psychologen habenein nationales Programm zur Sexualerziehungerarbeitet, es gabeine Periode des Diskurses, z. B.über die Sexualität der <strong>Frauen</strong>.1967 wurde das Recht auf Abtreibunglegalisiert, <strong>Kuba</strong> ist das28


einzige Land in Lateinamerika mitdieser Möglichkeit. Maßnahmenzur Krebsvorsorge und Geburtsvorbereitungwurden landesweitstandardisiert. Vorher gab esdazu keine flächendeckendenAngebote, alles wurde privat undlokal organisiert.1976 erarbeitete die kommunistischePartei ein offiziellesProgramm zur Verbesserungauf diesem Gebiet. Seit 1989arbeitet Cenesex als nationalesZentrum für Sexualerziehung undAufklärung.Es gibt verschiedene Aufgabengebiete:• Postgraduierte LehreArbeiten mit Kindern undJugendlichen, besonderszum Thema Aidsverhütung/Kindesmissbrauch. Zu letzteremist gerade eine Evaluierung imGange: Was gab es für Fälle? Wiewurden diese aufgearbeitet?Was bedeutet dies für dieFamilien? Ein aktuelles Themaist die Aidsvorsorge imtranssexuellen Bereich. Die Diskriminierungvon Transsexuellen imGesundheitssystem wird aktuelldebattiert.• TranssexuelleÄußere Merkmale eindeutig,inneres Denken stimmt aber nichtmit dem Äußeren überein, wird oftals Krankheit ange<strong>sehen</strong>, bringtdadurch Betroffenen großes Leid,Depressionen usw..Cenesex setzt sich dafür ein,dass dies nicht als Krankheitgewertet wird.Seit 1988 ist kostenlose chirurgischeGeschlechtsumwandlung in<strong>Kuba</strong> möglich. Cenesex arbeitetmit dem Genderbegriff, dies istauch für die Männerarbeit nötig,nicht nur bei <strong>Frauen</strong>. Dies soll alsQuerschnittsaufgabe in allen Fächernin der Schule verankertwerden, auch auf der kommunalenEbene und in den Familien.29


Cenesex arbeitet auf dem Gebietder Sexualtherapie zu Themenwie Erektionsstörungen beiMännern und <strong>Frauen</strong>, Nymphomanie,Wechseljahre, alle Themen rundum Mutterschaft/Vaterschaft.Ca. 40 Personen arbeiten hauptamtlich,es arbeiten ganz vieleehrenamtlich mit, es sind nichtalle ausgebildet. Manches klapptnicht, manches ist erfolgreich,manches nicht.Cenesex ist in der Öffentlichkeitnur für die Arbeit mit Trans- undHomosexuellen bekannt, dabeiist es viel mehr. Manche machenWitze und meinen: „Ihr bildet hierHomosexuelle aus.“Das Centro macht ganz unterschiedlicheArbeit. Das Hauptzielist: Überwindung von Stereotypen.Es ist oft schwer, den Status quoaufzugeben, das macht Angst. Esgibt aber auch Sympathie: In den60ern bis 80ern wurde die sexuelleDiversität mehr Thema und dasCentro gab Opfern Unterstützung.1989 gab es eineGesetzesänderung zum Umgangmit sexueller Identität. Dazu gabes viele Beratungen mit der DDRim Vorfeld, ganz besonders MonikaKraus war hilfreich.Es gibt aber auch deutscheWurzeln zu diesem Thema. MagnusHirschfeld, gestorben 1934, kannals Vater der Sexualkundebezeichnet werden. Er wurdeunter den Nationalsozialistenverfolgt, da er davon ausgegangenwar, dass auch Homosexualitätetwas Natürliches sei. Er musstefliehen. Seine frühere Klinikbirgt heute ein Archiv überSexualkliniken.In den 70er und 80er Jahren gabes in <strong>Kuba</strong> eine institutionalisierteHomophobie, in den 90ern gabes dazu Änderungen, auch aufinstitutioneller Ebene.Es gab von 1979 bis 1997 einGesetz zur Diskriminierungvon Homosexuellen, was abernicht mehr aktiv angewandtwurde. 2000 hat sich eineerste Gruppe Transsexueller gegründet.Abgrenzung zu Queers,diese Personen lehnen eine geschlechtlicheFestlegung ab.Das Geschlecht wird in den Köpfenkonstruiert. Auch Zwitter möchtennicht als das dritte Geschlechtbezeichnet werde. Das Geschlechtsoll fließen.Seit 2004 arbeitet eine Gruppe vonLesben zusammen, sie haben eineigenes <strong>Frauen</strong>netzwerk in <strong>Kuba</strong>gegründet.2010 nahm eine Gruppe von Männerndie Arbeit auf, die sich mitDiversitätsfragen beschäftigt.Sie ist auch für <strong>Frauen</strong> offen, imMoment arbeitet eine Transfraumit.Die vierte Gruppe nennt sich „JungeLeute für Diversität“. Es gibt30


Wie kann die Kirche Einfluss auf diekubanische Gesellschaft nehmen?Prophetische Rolle der KircheBibel lesen im Kontext mit dem Alltagsleben– Workshops und Netzwerke des MLKCKirenia Ciado, Chemie-Ing.Quäkerpastorin und Ausbildungzu Psychodrama und GruppenprozesseKirenia organisiert Workshops, indenen das Bibellesen mit anderenMethoden erlernt wird. Dietraditionelle Lektüre der Bibelhat viel mit dem Wort zu tun. DasWort ist domestiziert und hatwenig bis nichts mit dem Innerendes Menschen zu tun. Es gehtauch darum, das GeschlechterundKörperbewusstsein zubeachten.Seit 18 Jahren gibt es die soziotheologischenProgramme. Es istdas erste Ausbildungsprogrammdes Martin-Luther-King-Centrums(MLKC). Besonders Kirchenführersollen ausgebildet werden. Esgibt Basiskurse im Zentrum, esgibt auch Kurse für Laien, fürJugendliche und für Leute ausdem Osten <strong>Kuba</strong>s. Es ist einErziehungsprozess für Pfarrer,die Jugendlichen hatten zuwenig Raum, denn zuerst kamendie Männer (die Pfarrer) imGemeindeleben.Die Kluft zwischen Theorie undPraxis wurde sichtbarer bei derRückkehr nach den Seminaren.Die traditionelle Theologie gabkeine Antwort, Konflikte wurdendeutlich. Die neue Sicht auf dieTheologie hilft.Der erste Workshop dauerte einenMonat. In der ersten Woche ginges um die Realität in <strong>Kuba</strong> und inder lateinamerikanischen Welt. Inwelche Richtung muss Theologiegehen?In der zweiten Woche richtete sichder Blick auf die sozialpolitischeWirklichkeit.32


Ab der dritten Woche wurde dasThema Theologie behandelt.Dieselbe Werkstatt dauert jetztneun Tage, da sonst wenigerteilnehmen könnten (aus Preis- undZeitgründen).Es gibt auch pastorale soziotheologischeKurse. Sie wurdenim ganzen Land durchgeführt.Die Fragen nach Macht undMitbeteiligung, gerade innerhalbder Leitungsgremien der Kirche,werden besprochen. Die Leiterlernen die Kirche mit einem Blickvon außen zu reflektieren.92 % der Kirchenmitglieder sind<strong>Frauen</strong>.Es gibt auch <strong>Frauen</strong>workshops, da<strong>Frauen</strong> nicht in die Pastoralkursekommen. 2003 gab es eineReflektion des Erreichten. Jetztgibt es zwei Grundkurse am MLKC.Die Nachfrage ist höher, aberdie Leute haben nicht so viel Zeitnach Havanna zu kommen. DieKurse wurden dezentralisiert. DerHauptschwerpunkt ist die Arbeitmit der Bibel. Popularlektüre, dieandere Art, Bibel zu lesen.Es wurde ein Bibelnetzwerkgegründet. Es gibt ein Thema proJahr, welches in verschiedenenSeminaren unterschiedlichbearbeitet wird. DieZusammenarbeit findet mit 19Konfessionen und 122 Gemeindenstatt.Die Gemeinden wirken als Multiplikatoren.Es gibt 70 zusammenarbeitendeGemeinden. DieFrage „Wie kann Einfluss aufdie kubanische Gesellschaftgenommen werden?“ wirddebattiert. Es gibt ein Netzwerkdes kubanischen Glaubens. ImMoment wird der Entwurf zumneuen Familiengesetz diskutiert.Dort sind drei Neuerungen vorge<strong>sehen</strong>:Heirat von Gleichgeschlechtlichen,Adoption von Kindernin gleichgeschlechtlicherEhe, Operation von Transsexuellen.Das MLKC wird um Rat von derRegierung zu diesen Themengefragt, deshalb ist auch dasNetzwerk für die Diskussion nötig.2012 gab es ein ökumenischesForum in Matanzas mit 500Teilnehmenden. Im November istein Treff mit 500 Personen vomNetzwerk mit der Fragestellung„Wie kann die Kirche von <strong>Kuba</strong>Einfluss nehmen?“ geplant. Es gibtauch einen Zusammenschlussvon konservativen Kirchen. Siekämpfen gegen die geplantenNeuerungen im Familienkodex. EineHerausforderung ist die Positionder katholischen Kirche, dieoft angreifend erlebt wird, sehrrömisch, missionierend, contra zurTheologie der Befreiung und derfeministische Theologie, allerdingsauch mit viel Einfluss auf dieWirtschaft.Es gibt eine große Gruppe vonNeopfingstkirchen, die gegenden Kommunismus opponieren.Sie erhalten sehr viel Geld,um die Gegenrevolution zu33


unterstützen. Sie werden Mitgliedin konservativen Verbänden, dadiese Geld mitbringen. Das war beiden ursprünglichen Pfingstkirchen in<strong>Kuba</strong> nicht so.Die konservativen Verbändewenden sich u. a. gegen die<strong>Frauen</strong>ordination. Manche Kirchen/Gemeinden haben ihre Pfarrerinnenaus dem Dienst genommen undjetzt deren Ehemann eingesetzt,unabhängig von dessen Beruf.Dies passiert gerade in vielenGemeinden. In der akademischenkirchlichen Welt ist Genderein Thema und es werden diefeministischen Themen negiert.Gender nimmt einen größerenRahmen als die feministische,weibliche Theologie ein. Kireniaverweist auf Clara Suarez, diedie erste baptistische Pfarrerinwar, und auf die <strong>Frauen</strong>theologie.Es werden auch Kurse für Kinderorganisiert. In den 90-zigerJahren diente die Kirche alsSchutzraum in den Zeiten desZusammenbruchs. Das hattedie Kirche nicht so erwartet,für die Bildungsprozesse derFührungskräfte gab es zuwenig Vorbereitungszeit (relativtheologiefrei).Es gibt eine große Mobilitätzwischen den Gemeinden, dieMitglieder wechseln schnell.In den Kursen wird immerwieder das Thema Macht undSelbstbewusstsein behandelt.Wer die Macht hat, will sie nichtabgeben. Im Regierungsrat gibtes eine Frau nach 50 JahrenRevolution. Die Kirche ist einSpiegel der Gesellschaft. Diekubanischen <strong>Frauen</strong> habeneinen dreifachen Arbeitstag.Die Strukturen sind immer nochpatriarchal. Wenn eine Frau Machthat, gilt sie schnell als bestimmendund arrogant.Die Revolution hat das Lebender <strong>Frauen</strong> verbessert, aberes ist immer noch auf denspanisch-rassistischen Wurzelngegründet. Es gibt eine Angst vorzunehmendem Rassismus, Weißenehmen immer mehr Raum ein. DerTourismus unterstützt Weiße, Jungeund Männer.Das größte Privileg ist dasGesundheitsprivileg. <strong>Kuba</strong> kannÄrzte versenden. Allerdings gehendadurch Fachkräfte im eigenenLand verloren, man ist auf wenigergut ausgebildete angewiesen.Es gibt digitalisierte Fernbildung.Ehemalige Lehrer geben Kurse,die bezahlt werden müssen. DerPrivatunterricht nimmt zu, werGeld hat kann Bildung bekommen.Im Vergleich mit anderenkaribischen Ländern steht<strong>Kuba</strong> gut da. Die Kirche hateine prophetische Rolle, dieTheologie bedenkt, welchesLand wir brauchen.Man muss34


Transformationen durchleiden.In <strong>Kuba</strong> wollen einige, dass dasSystem kapitalistisch wird, aberes gibt auch viele junge Leute, diean <strong>Kuba</strong> glauben, an ein anderes<strong>Kuba</strong>, das aus dem sozialistischenProjekt entsteht.Die Schwierigkeit besteht darin,dass die Regierung das sozialistischeProjekt durchziehen willwie vor 50 Jahren. Deswegen hatdie Kirche eine gute und wichtigeRolle. Die Leute im Centro denken,dass ein gewaltiger Sprung kommenwird. Der Diskus wird geführt: Wassind wir? Was wollen wir (für einenSozialismus)?Es gibt viele Themen: Teilhabe,Diversität, Mitbestimmung.Änderungen sind möglich, abernicht in den nächsten Jahren.Veränderungen innerhalb des sozialistischenProzesses, das wollenauch junge Leute, das muss manausnutzen.TagebuchMittwoch 7. MärzUlrikeAm Mittwoch, den 07.03.2012hatte ich die Aufgabe alsSchriftführer zu fungieren. Wiejeden Tag bin ich nach meinerkleinen Morgenzeremonie gut in denTag unter <strong>Kuba</strong>s Sonne gestartet.Zum Frühstück im Hotel trafenwir auch schon auf unsere zweisehr netten ReisebegleiterBetsy und Richard, die uns imgemütlichen kleinen Bus (Plätze,wie immer „Bäumchen wechseldich) ins Centro brachten, um dengeplanten Treffen mit RaquelSuarez entgegen zu <strong>sehen</strong>.Die Fahrt dahindurch die Straßenvon Havannawurde uns immervertrauter undich fühlte michvon Tag zu Tagheimischer.Im neueren Teildes Centros, einemkleinen Raum,in dem uns Erfrischungsgetränkegereicht wurden,35


erhielten wir von Raquel Suarezwichtige Hintergrundinformationenüber die Entwicklung unddas momentane Geschehen derBaptistischen Kirche.Die Baptistische Kirche wurde1947 durch Missionsarbeit gegründet.Die Baptisten kamen ausdem Osten des Landes (ursprünglichkommt die Strömung ausden USA, dort zeigen sich dieBaptisten fundamentalistisch undantiökumenisch).Die kubanischen Baptistenpastorenund Laienpfarrer reflektierenin den 70er Jahren sozialeVerantwortlichkeit. Sie gründeneine Organisation. Diese vereinigenprogressiv denkende und liberalePastoren. In dieser Zeit hat RaulSuarez mit seiner Frau ClaraRodes angefangen zu arbeiten.Damit ist eine Wende dertheologischen Visionen erreicht.Hauptsächlich die Mittelschichtinteressierte sich für dieseGedanken. Viele <strong>Kuba</strong>ner wolltenin die USA ausreisen, viele warenschon gegangen. Erste Kontaktemit osteuropäischem Denkenwurden geknüpft, der Gedanke anBefreiung nahm Gestalt an. DiePolitisierung des Evangeliums nahmRaum ein. Das Bild um Dr. MartinLuther King hatte Einfluss.Der Wechsel des Denkens derneuen Strömung in <strong>Kuba</strong> führtzum Konflikt mit dem Osten<strong>Kuba</strong>s. Die neuen Gedanken sindfortschrittlich und ökumenisch.Das soziale Engagement istgroß und wurde nicht immerin den Gemeinden wohlwollendbegleitet. So wurden Verfechterals Kommunisten beschimpft. 1987wurden drei Kirchen aus derBaptistengemeinde ausgeschlossenund diese bildeten die Grundlagefür eine neue Bruderschaft(Constanza, Marianao).In Marianao wurde das Centro Dr.Martin Luther King gegründet. 1992wurden drei erste Pfarrerinnenordiniert (eine war die Mutter derReferentin Clara Suarez). Dochmit der Hochzeit verlor sie dieMissionsrechte. Die <strong>Frauen</strong> durftennicht taufen oder trauen. DieMännerpastoren hatten die Machtüber die heiligen Handlungen. ImOsten <strong>Kuba</strong>s ist das bis heutenoch so.Das Centro geht andere Wege. Biszum 100. Geburtstag der östlichenbaptistischen Kirche war niemalseine Frau in hoher Verantwortung.Die Männer berufen sich dabeiauf die Bibel, dort sei keine Frauals Führungskraft vorge<strong>sehen</strong>. DieFrau ist verantwortlich für denSündenfall des Menschen (Paulus).Die Mehrheit der Gemeindesind <strong>Frauen</strong>. Sie unterstützendie männliche Sichtweise. DasDenken in der Kirchenleitung hierhat sich geändert. Es gibt eineLiturgieerneuerung. Baptistenhaben keine freie Liturgie, sieübernehmen die ökumenischeLiturgie z. B. werden wieder aus36


Lateinamerika Volksinstrumente,Volkslieder, kubanische Rhythmenin der Kirche übernommen.Die Methode der ökumenischenArbeitsweise hat folgende Grundlage:Sehen – Urteilen – HandelnDie Bibel wird unter bestimmtenSchwerpunkten behandelt z.B. ausder Sichtweise für Jugendlicheoder Sichtweise aus weiblichemBlick. Alles wird im Dialog desLebens betrachtet. Bis 1989 gabes immer die gleichen Strukturenin der Kirche. Die Diakonie hattestarkes Gewicht. Seit den 90erJahren gibt es Versuche dieseStrukturen aufzulösen.Die christliche Bildung spielteine wichtige Rolle. Die pastoraleArbeit wird nicht ausschließlichdurch Führung, sondern Liebe undWertschätzung geleistet.Die Gemeinde soll Anteil haben, dieGemeinschaft soll Verantwortungübernehmen können. Es wird mitverschiedenen Altersgruppen gearbeitet:Kinder, Jugendliche, jungeErwachsene, Erwachsene, ältereMenschen. Es gibt demnach fünfPastorale.Die Struktur entsteht durchverschiedene Programme z.B. Arbeitzur Bildung, Gottesdienste,gesamtes Leben der Gemeindewie Ausrichten von Geburtstagen,Beerdigungen, Organisation vonGebetskreisen und Betreuungvon Kranken und Behinderten.Ein Programmpunkt an diesemTag war unser Besuch einer Basisgemeinde.Dabei trafen wir auffünf <strong>Frauen</strong> unterschiedlichenAlters und Berufes (Rentnerinnen,Psychologin, Diakonin, Ingenieurtechnikerin,Wirtschaftsingenieurin).Alle <strong>Frauen</strong> arbeiten in pastoralenGruppen. Sie kümmern sich umNichtkirchenmitglieder, gehen auf37


die Leute zu, sind gut organisiert,haben viel Liebe und guten Willenfür ihre Arbeit.Ein Herr wurde uns vorgestellt,von Beruf Physiotherapeut.Durch sein Kämpfen in Angolahat er sein Augenlicht verloren,macht er nun mit Hilfeseiner Frau eine Ausbildungin Erziehungswissenschaften.Sein Zitat „Meine Frausind meine Augen und meineHände.“. Er arbeitet auch imBehindertenverband, ist alsSchriftsteller tätig, wartetauf die Veröffentlichung seinesBuches und arbeitet an einemFernsehprogramm „Wie gehe ich mitBehinderten um“.Bei diesem Herrn und seinerFamilie waren wir einmaleingeladen und durften uns inseinen Refugium aufhalten undinteressante Themen erörtern.Am Abend waren wir bei einerschönen dunklen Witwenfrau eingeladen.Hier trafen sich Leute,um sich den Weg in die Kirche zuersparen.Ein älterer Herr, den wir schon inder Basisgemeinde kennenlernten,erzählte uns von seiner großenNot, er war unter anderem Fahrereines Busses vom Centro. Dieserwurde gestohlen und nun war esnicht mehr möglich, Rüstzeitenwahrzunehmen, Leute ohneFamilienanschluss zu betreuenoder krebskranke Menschen zurBehandlung zu fahren.Dieser ältere Herr hielt in derbescheidenen Wohnung einenGottesdienst ab. Das geschiehtwöchentlich. Mit drei Mitgliedernhat das Treffen angefangen,jetzt kommen 19 Leute. Ab 20Personen wird die Gruppe geteilt.Ein geschmückter Tisch mit kirchlichenGegenständen bildet dasZentrum, die Teilnehmer singengemeinsam, meditieren und sind imGespräch miteinander.Höhepunkt an diesem Abend wardie Einweihung der neuen Küche.Dieser Raum wurde durch diekostenlose Hilfe und das Einbringenaller zu einem Schmuckstückgestaltet, und wir durften dabeisein, als das Band zum Begehender Küche durchschnitten wurde.Eine leckere süße Speise war fürdie Anwesenden gezaubert unddie Besitzerin erntete viel Lob.Wir durften an den liebevollenund herzlichen Begegnungen derkubanischen Menschen in einerkleinen Gemeinschaft teilnehmenund wie so oft auf dieser Reisewurde mir wieder einmal bewusst:Trotz großer Sorgen und Nöte,oder vielleicht gerade deshalb,spürte ich die große Nähe unddas liebevolle Miteinander dieserMenschen.Am meisten beeindruckte mich andiesem Mammut-Tag der Besuch38


in einem katholischen Altersheim.Das Gebäude, großzügig angelegt,war ein ehemaliges Krankenhausfür tuberkulosekranke Kinder.Über 100 Bewohner haben dortein Zuhause gefunden. Alleserscheint sehr, sehr einfach, dochsauber und ich spüre eine wohligeAtmosphäre.Dank Kathrins Unermüdlichkeit,ihre Gitarre mitzuschleppen, warenwir sofort animiert, den Bewohnernein Ständchen zu bringen. Sicherklang es kläglich und textsicherwaren wir auch nicht, aber unshat es Freude gemacht. Mancheder Insassen haben versuchtmitzusingen und so hat uns dieMusik bzw. das Singen trotzkultureller und vieler andererUnterschiede für einen kleinenZeitraum nahe sein lassen.In einem Raum, indem vorwiegendDemente mit Mittagessengefüttert wurden, trafen wir aufeinen älteren Mann. Er litt u. a. anParkinson und konnte uns erzählen,dass er 1965 in Leipzig Sportstudiert hatte.Zwei Ärzte, Krankenschwestern,Musiktherapeutin und Physiotherapeutinkümmern sich um die Bewohner.Wenn es den alten Menschenmöglich ist, nehmen sie an dentäglichen Arbeiten teil.Als wir uns verabschiedeten, saßeneinige Männer sehr zufrieden,die Mittagsruhe und –sonnegenießend, mit einer Zigarre ineinem der beliebten kubanischenSchaukelstühle.Und wieder hatte ich das Gefühlgroßer Dankbarkeit, dieseReise mitmachen zu dürfen, imKreise sehr unterschiedlicher interessanter<strong>Frauen</strong>. Wir hatten mannigfaltigeBegegnungen mit kubanischenMenschen, ich habe vielNeues erfahren, zahlreiche Denkanstößebekommen und bleibeneugierig.39


TagebuchDonnerstag 8. MärzChristineSchön, dass wir als <strong>Frauen</strong>gruppeam Internationalen <strong>Frauen</strong>tag in<strong>Kuba</strong> sein können. Der Tag beginntfür uns mit der Vorbereitungauf das Seminar, das wir amWochenende gemeinsam mit einerkubanischen <strong>Frauen</strong>gruppe habenwürden.Inzwischen ist ein Seminar währendder Austauschprogrammemit dem Martin- Luther-King-Zentrum schon zur Traditiongeworden. Da konnten wir bereitsauf gemeinsame Erfahrungenzurückgreifen. Es würde dasdritte Seminar sein, das ich mitder jungen Theologin Ailed Villalbaerlebe und mit gestalte.Ich hatte in den letzten Jahrenvon den <strong>Kuba</strong>nerinnen gelernt,immer auch die vorhandenenKompetenzen in der Gruppemit einzubeziehen. So ist eslogisch, dass wir zu Beginn diesesVorbereitungstreffens über dieKompetenzen in unserer Gruppesprechen und darüber, was wirdavon gern ins Seminar einbringenwürden. Unsere Erwartungen andas Seminar werden ebenfallsabgefragt. Ich bin wieder einmalglücklich, wie konstruktiv wir inunserer Gruppe sind. Wir habenzügig gearbeitet und schaffenes, an einer „Feierstunde“ einesSeminars teilzunehmen, dasgerade im Centro arbeitet.Ehrlich gesagt hatte icherwartet, dass ein Mann eine Redehalten würde und die Verdiensteder <strong>Frauen</strong> würdigt. Aber nicht soim Centro, wie konnte ich!Ca. 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnensitzen im Kreis. Papier undStifte liegen in der Mitte bereit.40


Wir werden gebeten, den Nameneiner Frau, die uns geprägt hat,aufzuschreiben. Im Hintergrundläuft Musik.Danach <strong>sehen</strong> wir ein kurzes Videoüber berühmte <strong>Frauen</strong>. Das wirdbegleitet von dem Lied „Mujeres“(<strong>Frauen</strong>) von Silvio Rodriguez. AmEnde zünden wir Kerzen an. Es warschön und ermutigend.Am Nachmittag gehen wir in dasMuseum der bildenden Künste.Ich war schon öfter da. Aberdiesmal habe ich versuchtherauszufinden, wie die <strong>Frauen</strong>dargestellt werden. Es istmir nicht gelungen. Irgendwiehabe ich mich ablenken lassen.Aufgefallen ist mir zumindest dieeine oder andere Darstellung derFrau als Verführerin. Die Revolutionärinhabe ich nicht so richtiggefunden.Abends hätten wir sicher aufeiner der Partys in der Stadt dasTanzbein schwingen können. Aberich wollte den Teilnehmerinnenunserer Gruppe das Vergnügenschaffen, über den Dächern vonHavannas Altstadt das Tanzenzu lernen. Das war nur an diesemAbend möglich.Elsa betreibt seit einigen Jahrendieses „Geschäft“. Auf ihrenBalkon hat sie eine Musikgruppeeingeladen und führt uns dieTanzschritte von Son, Salsa undCha-Cha-Cha.41


Wir versuchen es auch. Dazu gibtes leckeren Mojito. Die männlichenTanzpartner fehlen uns ein bisschen.Aber Elsa hat ihren Oscarund mit ihm führt sie uns dieRumba vor.Rumba bedeutet im Zusammenhangmit <strong>Kuba</strong> in erster Liniedie afrokubanische Rumba, diesich heftig von der Rumba inlateinamerikanischer Form unterscheidet.Der Mann wirbt um dieFrau und will sie nehmen (Elsa sagtdazu impfen). In unserem Fall istElsa so Anfang sechzig und Oscareinige Jahre älter. Wunderbar, wirhaben uns köstlich amüsiert!TagebuchFreitag und Sonnabend9. + 10. MärzAnnetteDeutsch-kubanischer <strong>Frauen</strong>workshopAcht kubanische und wir achtdeutschen <strong>Frauen</strong> treffen uns,um gemeinsam unsere Lebensgeschichtenkennen zu lernen,Bibeltexte zu lesen und zudeuten, zu singen und zu tanzen,gemeinsam zu essen und spazierenzu gehen.Einstieg mit einer Andacht: Wirsitzen im Kreis. In der Mitte liegenzwei Tücher und wir lesen Namen:unsere, die der kubanischen<strong>Frauen</strong> und Namen bekannter<strong>Frauen</strong>, die Worte übers Leben42


weiter gegeben haben. Alle sindeingeladen, sich ein Zitat/einLebenswort auszusuchen, das unsam meisten anspricht. Die meistenvon uns wählen folgende Worte vonGioconda Bellis:Du suchst dir nicht das Land aus, in dem dugeboren wirst, aber du liebst es. Du suchst dirnicht die Zeit aus, in der du geboren wirst, aberdu solltest Spuren in ihr hinterlassen.KennenlernenWelche Träume haben wir?Was bewegt uns im Leben? -Zu diesen Fragen tauschen wiruns zu Zweit aus mit Händen,Füßen und allen Möglichkeiten,die uns helfen, der Andere unsereBotschaft zu vermitteln. Denmeisten gelingt es.Doch wir bleiben nicht beimTräumen. Immer wieder fordertunsere kubanische Moderatorinzur Tat auf. Wie können wir unsereTräume Wirklichkeit werdenlassen?Lebensphasen von <strong>Frauen</strong>verbunden mit den MondphasenDa wir aus ganz verschiedenenKontexten kommen, ist es gut, unsereLebenswirklichkeiten näherkennen zu lernen. So reisen wir zumMond.In den meisten europäischen Sprachenist der Mond weiblich – wasdeutsche Sprachschöpferinnen daraufgebracht hat, von der Mondinzu reden.La Luna ist uns <strong>Frauen</strong> sehr vertraut.Jeder Monat bringt uns dieMenstruation.Unser Körper lebt mit demRhythmus der Mondin. So fragenwir nach den Mondphasen inunserem Leben: Wann waren wirerfüllt/fühlten uns voll und ganzwie der Vollmond? In welchenZeiten spürten wir unsere Kräfteschwinden/ fühlten uns klein undunbedeutend wie in der Phase desabnehmenden Mondes?Wann wiederum merkten wir, dassunsere Kräfte wuchsen? Und wannwar alles neu/leer/offen wie beimNeumond?Nachmittags lesen wir in zwei GruppenHeilungsgeschichten aus derBibel: Lukas 8, 40-48 und4. Mose 12, 1-16.Durch folgende Fragen kamen wirins Gespräch:1. Was fällt uns spontan ein?(Assoziationen)2. Was verstehen wir nicht?Was ist uns unbekannt?3. Was erzählt der Text übers Heilwerden/Heilung/Gesundheit?4. Was erzählt der Text überPartizipation/Teilnahme undGlaube?5. Wie behandelt man das Thema„Gesundheit“ in meinem Land?44


6. Welche Möglichkeiten seheich, diese Themen in meinemKontext aufzunehmen?7. Welche persönliche Botschafthat der Text für mich?Unsere Gespräche dauern längerals geplant, bedingt auch durchdie Sprachschwierigkeiten unddie doch recht großen Gruppen.Dennoch war die Zeit im Nu umund brachte viel Stoff zum weiterenNachdenken und -sinnen.Am Sonnabend begannen wir miteiner kurzen Video-Sequenz, diezu den vier Mondphasen passte:junges <strong>Frauen</strong>gesicht schön undunnahbar, dasselbe Gesicht vonAussatz geprägt, schreiender/offenerMund, mundtot gemachtesGesicht – Tuch um Mund und Kopfgebunden.Wir kommen noch einmal auf dieFrage: Wenn wir jetzt Zeit hättenfür eine Neugestaltung in Deutschland/in<strong>Kuba</strong> – wozu würden wirdie Zeit nutzen?<strong>Kuba</strong>:Angst vor zunehmender Ökonomisierungdes Lebens, denn diePrivatwirtschaft nimmt zu in Formvon kleinen Geschäften, Verkaufvon Häusern und Autos, stärkereArbeitslosigkeit, Zentralisierung vonRessourcen in den Städten, interneMigration von Ost- nach Westkuba,Emigration ins Ausland.Positiv wird ge<strong>sehen</strong>, dass Kritikin der Öffentlichkeit geäußertwerden kann, z.B. im öffentlichenFern<strong>sehen</strong>; dass Geschlechterfragenaufgeworfen werdenund dafür ein Bewusstsein wächst;dass die Regierung sich Kirchengegenüber öffnet und das ThemaReligion ernst nimmt.Deutschland:Auch wir spüren, dass in unseremLand wieder eine „Wende“dran wäre; das Thema „Arbeit“müsste neu verstanden undgestaltet werden; ebenso dieEigentums- und Besitzverhältnissein unserem Land (wie kann essein, dass Seen/Wälder/ParksPrivateigentum sein können?),die Macht der Wirtschaft unddes Geldes müsste öffentlichviel stärker hinterfragt undgebrochen werden; Bildungist ein Menschenrecht undsollte in unserer Gesellschaftgleichberechtig für alle zurVerfügung stehen; auch uns istbewusst, dass die Menschen zur45


Beteiligung an der Gestaltungihrer Gesellschaft aufgefordertwerden müssen.Der Film „Schmetterlingszirkus“aus den USA wühlt uns ganzschön auf. Die Bilder gehen inden Bauch, so dass uns dasMittagessen anschließend nichtso schmecken will. Einerseits sindwir angerührt von der Geschichteeines verstümmelten Mannes, derlernt, auf seine eigenen Kräfte zuvertrauen. Andererseits stößt unsdas Hollywood-Happy-End auf. Unsfehlt auch die <strong>Frauen</strong>perspektivein dem Film.Unsere Seminarleiterinnen stoßenuns aber zum Schluss noch einmalauf die Frage. Welche kleinenSchritte der Veränderung nehmeich mit nach Hause? Hier sind sienoch einmal:Annette: Mit-Verantwortungeines/einer Einzelnen für dieGemeinschaft in den PredigtenbetonenAntje: Auszeit/BesinnungszeitUlrike: habe Mut / springe überdeinen Schatten / sei tolerant/ Handycap bietet andereMöglichkeitKatrin: sich nicht vor Autoritätenfürchten oder für dumm verkaufenlassen; selbst aktiv werdenMargita: Stärkung des Glaubens,nicht erst 12 Jahre ausprobieren,sondern gleich Gott um HeilungbittenBärbel: Werde aktiv! Der Glaubean die eigene Kraft/an Gottversetzt Berge.Christine: Nicht aufgeben!Don´t give up!Das Abschlussritual haben wir unsim Nachhinein als Foto von obengewünscht. Hier erscheint es nocheinmal vor unserem inneren Auge:Unsere rechte Hand bildet eineFaust, zeigt aber den Daumen.Wir greifen einander an denDaumen und stehen dicht andicht im Kreis und lauschen einemSegenswort in Spanisch. UnsereBlicke ruhen auf dem Händekreismit <strong>Frauen</strong>händen braungebranntoder weiß mit durchschimmerndemBlau der Adern, mit reifenAltersfalten oder Sommersprossengeschmückt, hier und da einglänzender Ring oder ein schönesPerlenarmband.46


TagebuchSonntag 11. MärzAntjeIch gehe um das Hotel spazieren,besuche den Gemüsemarkt undfrage einen 75jährigen Mann nachder Revolution. Er war 1964 bis67 in Buna, hat jetzt ein kleinesGeschäft, von dem er lebt undsagt: Revolution, ach Revolution istimmer. Die eine ist vorbei und dieandere kommt bestimmt!Im Centro wird die 65-jährigeGeschichte der Gemeinde gefeiert.Wir sind zum Gottesdiensteingeladen und Christine darfein Grußwort sprechen und sprichtes im Wechsel mit Barbara inSpanisch:Unas palabras de TestimonioZum 65. Jahrestag der Gemeinde Ebenezer,Marianao, La Habana„Liebe Schwestern und Brüder, als ich1994 das erste Mal mit einer Gruppe nachHavanna, ins Martin-Luther-King-Zentrumund in eure Gemeinde kam, habt ihr euchnoch mit companeros y companeras angesprochen.Mir hat das damals gut gefallen.Schwestern und Brüder kann man sichnicht aussuchen, die haben wir. Companerossuchen wir im Kampf für eine bessereWelt.1994 war für euch ein hartes Jahr: EureSchwierigkeiten, die der Zusammenbruchdes Ostblocks und der Wegfall der wichtigstenHandelspartner für <strong>Kuba</strong> mit sichbrachten, habe ich mit eigenen Augenge<strong>sehen</strong>. Doch wir kamen aus der ehemaligenDDR und waren desillusioniert.Das kapitalistische System trat seinenSiegeszug an. Eine Alternative wurde unsverwehrt. Darüber wollte ich mit euchdiskutieren. Ich wollte euch davor warnen,die gleichen Fehler zu machen wie wir.Auch kenne ich die Situation der Menschenin Afrika und Asien. Menschen, dieauf den Feldern für einen sehr geringenLohn schuften müssen, Kinder, die in denBergwerken ausgebeutet werden, <strong>Frauen</strong>,die wie Sklavinnen in den Textilfabrikenarbeiten müssen. Sie sind alle ohneBildung, Gesundheitsfürsorge und sozialeAbsicherungen. Ganz zu schweigen vonden Möglichkeiten der Beteiligung an kul-47


turellen Ereignissen. Dagegen schien mireure Gesellschaft wie ein Paradies.Die westlichen Gesellschaften, vor allemdie großen Wirtschaftsunternehmen, profitierenvon der Ausbeutung der Menschenim Süden. Kaffee, Tee, Orangen, Kleidungund viele technischen Geräte sind so billig,weil für die Rohstoffe kein fairer Preisbezahlt wird und die Löhne zu niedrig sind.Wer unser Land besucht, wie das einigevon euch schon getan haben, sieht sichmit einem unendlichen Reichtum konfrontiert.Armut ist nicht auf den erstenBlick zu erkennen. Bettler werden aus denStädten vertrieben.Es gibt immer noch ein soziales Netz undkeiner muss verhungern. Aber den monatlichenTheater-oder Konzertbesuch kannsich nicht mehr jeder leisten.Die ärztliche Versorgung ist gewährleistet.Aber in den ländlichen Gegenden ist einArzt teilweise für mehr als 2000 Patientenzuständig. Im Osten Deutschlands (ehemaligeDDR) beträgt die Arbeitslosenquotein manchen Gegenden bis zu 20 %. Auchnimmt die Zerstörung der Umwelt ein sogroßes Maß an, dass es nicht mehr soweiter gehen kann.Ich bin auf der Suche nach Alternativenzu dem System der Kapitalvermehrungund der Wachstumsideologie. Diese Sucheverbindet mich nicht nur mit Christinnenund Christen weltweit, sondern sie ist eineBrücke zu den sozialen Bewegungen undzu allen Menschen, die sich nicht abfindenwollen und daran glauben, dass eine Weltohne Armut möglich ist.Auch wenn die verschiedenen Formen desWiderstandes keinen schnellen sichtbarenErfolg spüren, bereiten wir uns doch aufdas zukünftige Leben vor, das kommenwird. Davon bin ich überzeugt.Ich möchte deshalb mit einem Zitat derbrasilianischen Theologin Nancy Cardososchließen:,Unser Glaube sieht die Gnade Gottes da,wo eine andere Welt möglich wird, undist nicht eine Kraft und ein Reich der Siegenden.Unser Glaube ist vielmehr wie einLiebesabenteuer, in dem es um die Sorge fürdas Leben, die Welt und um uns selbst geht´ “Im Mittelpunkt des Gottesdienstessteht die sehr beeindruckendePredigt von Raúl (siehe Begrüßungam 3. März). Mit Händen greifbarsind seine tiefe persönlicheBetroffenheit, die hoffnungsvollenAnfänge in der Gemeinde, immerwieder erlebte Ausgrenzungen undAuseinandersetzungen innerhalbder Gemeinde und seiner Kirchebis hin zum Ausschluss. Ist diesePredigt Raúls Vermächtnis?Er spricht von sich in der 3.Person, ereifert sich und kämpft;vergleicht seinen Kampf mit demStreit Jesu mit den Sadduzäernund Pharisäern … argumentiertleidenschaftlich gegen dieHierarchien in der Kirche (Petrushat Jesus als Kind Gottesbezeichnet und war nicht dererste Papst!).48


Raúl sieht sich als Christ derRevolution und hat Angst umseine Gemeinde. Wir haben denEindruck, dass nicht alle in derGemeinde diesen Eifer teilen. Wirhaben aber auch mitbekommen,dass es mehrere Feiern mitunterschiedlichem Profil gibt.49


Rumba auf der StraßeWir schaffen es nun doch nochund lassen uns in eine nachaußen ziemlich abgeschlosseneGasse bringen, in der getanzt undgehandelt wird. Die Musik und dieBegeisterung sind beeindruckend,aber ich sehe auch die Drücker,die CDs verkaufen wollen undSchleuser, die Touristen in dieCafés und Galerien bringen.Was auf den ersten Eindruckein fröhliches Fest ist, ist fürmich in fester Hand und wird fürTouristen zelebriert, vielleicht sinddie Anfänge ja mal ursprünglichgewesen. Jedenfalls ist pünktlichum 14.57 Uhr Schluss, die Musikerpacken ein.Ich war mehr befremdet alsbegeistert, auch wenn die Fotoseine andere Sprache sprechen,allerdings sieht frau bei genauemHin<strong>sehen</strong> die <strong>Kuba</strong>ner tanzenund die Weißen auf den bestenPlätzen filmen.Stadtbummel am Abend, einPolizist „schleppt“ uns (nachdemBetsy die Gruppe verließ) in einRestaurant hoch über der Stadt,wir essen Hummer, trinken Mojitound sind glücklich.Auch hier wieder eine Kellnerin,die deutsch spricht und ihreSchwester in Hamburg hat.50


TagebuchMontag 12. MärzMargitaWir frühstücken um 7.30 Uhr imHotel Tulipan in Havanna.Um 8.30 Uhr brechen wir auf zuunserer Fahrt in den westlichenTeil von <strong>Kuba</strong>, in die Provinz Pinardel Rio („Pinien am Fluss“).Nach dem Befreiungskrieg undder Unabhängigkeit <strong>Kuba</strong>s wardas die ärmste Region desLandes. Während der <strong>Kuba</strong>krisein den 60er Jahren war dieserTeil militärisches Sperrgebiet,denn die Russen hatten hier ihreRaketenstützpunkte stationiert.Das 175 km lange Gebirge derProvinz gliedert sich in die Sierradel Rosario (Biosphärenreservatzum Schutz der tropischen Wälder)und Sierra de los Organos (Orgelpfeiffengebirge).In der Sierra de los Organosliegt das Tal Valle de Vinales.Es gilt als eines der schönstenLandschaften <strong>Kuba</strong>s und ist mitseinen umliegenden Bergen einNationalpark, welcher 1999 vonder UNESCO zum Weltnaturerbeerklärt wurde. Außer derLandschaft sind auch diePflanzen- und Tierwelt sehrinteressant sowie die vielen Höhlenund unterirdischen Flüsse.In der Mitte des Tals liegt derOrt Vinales, ein nettes, offenes,malerisches Dorf.Pinar del Rio wurde mittlerweile andie Westostautobahn angeschlossen,hat eine Bahnanbindung undeinen Flughafen. Ca. 80 % der gesamtenTabakproduktion kommenaus dieser Gegend. Aber auchZuckerrohr, Reis, Zitrusfrüchte,Kaffee und Yuca werden angebaut.Heute gilt Pinar del Rio alsdie wohlhabendste Region <strong>Kuba</strong>s.Die Hauptstadt, die ebenfallsPinar del Rio heißt, liegt ca. 150km von Havanna entfernt.Wir fahren mit unserem Kleinbusauf der „Autopista“ (2- bis 3-spurig). Keiner fährt schnellerals 100 km/h! Nicht etwa wegenzu erwartender polizeilicherKontrollen, sondern vielmehrum rechtzeitig den Schlaglöchern,schrägstehenden Kanaldeckeln,Gegenständen auf derFahrbahn, Pferdegespannen oderentgegenkommenden Fahrradfahrernausweichen zu können.Es gilt das Prinzip: Der Stärkerehat Vorfahrt! Andererseits sinddie kubanischen Fahrer aberoft viel rücksichtsvoller als diedeutschen und lassen anderenden Vorrang.Wir machen unterwegs einenBusstopp, um die schöne Land­51


schaft bewundern zu könnenund trinken frisch gepresstenOrangensaft, der mit und ohneRum zu haben ist.Unterwegs fahren wir vorbei anPinienwäldern, Königspalmen undBananenstauden.In Vinales ist für uns das Mittagessenbestellt. Im „Biergarten“lassen wir uns Reis und gebratenenFisch gut schmecken. Natürlichwird unser Mittagsmahl vontemperamentvoller kubanischerMusik umrahmt. Gestärkt machenwir uns auf den Weg in diePoliklinik.Ein kleines Team von Ärzten undKrankenschwestern erwartet unsam Eingang und gibt Auskunftüber das staatliche Gesundheitssystem.Die Ausbildungszeit einer Krankenschwesterdauert in <strong>Kuba</strong> fünfJahre. drei Krankenschwesternmachen regelmäßig Vorsorgeuntersuchungenim Kindergartenund in der Schule.Die meisten Medikamente werdenunentgeltlich ausgegeben, nurfür spezielle Medikamente mussein geringer Geldbetrag bezahltwerden.Wir erfahren, dass die Poliklinikregelmäßig Medizin aus Hamburgbekommt, da viele MedikamenteMangelware sind. Dadurch wirdnun auch in die Homöopathie undin die traditionell chinesischeMedizin investiert und einheimischeMedizinpflanzen und Heilkräuterwerden verwendet.Die leitende Ärztin führt unsdurch die Klinik und zeigt unsdie Notfallaufnahme, Labor,Ultraschall- und Röntgenstation.Die meisten Geräte sind jedochveraltet und in schlechtemZustand. Grundsätzlich sind diemedizinischen Behandlungen in<strong>Kuba</strong> kostenlos.Unsere Fahrt geht weiter nachPuerto Esperanza. Dort besichtigenwir ein staatliches Fischerei-Unternehmen.Die elf Schiffe, die es hiergibt, sind gerade alle auf See.Auf einem Schiff arbeitenzehn Fischer. Gefangen werdenhauptsächlich Schuppen- undTintenfische, ca. 2.500 t pro Jahrund 190 t andere Fische undMuscheln.Auf der Schiffsreparaturwerftwird ein Holzschiff wieder instandgesetzt. Eigentlich lohnt sich derAufwand für die Reparatur kaum.52


Aber neue Schiffe, die jetzt ausPlastik hergestellt werden und mitmodernen Kommunikations- undNavigationsgeräten ausgestattetsind, sind zu teuer.Die Fischer bekommen einenGrundlohn in kubanischen Peso undeinen variablen Lohnanteil, derabhängig vom Fang ist und in Pesoconvertible (CUC) ausgezahlt wird.Der schöne Sommerabendveranlasst uns dazu, unserenFahrer Richard allein nach Hausezu schicken. Wir schlendernnoch ein wenig an der kleinenStrandpromenade entlang,spazieren durch das Dorf undtreten dann unseren Rückweg an.Heute übernachten wir in einemRüstzeitenheim der Pfingstgemeinde.Wir sind jeweils zuzweit in einem Zimmer, obwohldort eigentlich sechs Personenin den drei Doppelstockbettenübernachten könnten.Das Bad befindet sich jeweils zwischenzwei Zimmern, hat also vonbeiden Seiten einen Zugang undist dann, wenn das Haus voll belegtist, für zwölf Personen vorge<strong>sehen</strong>.Nach einem frisch zubereiteten,sehr leckeren Essen erzähltuns der 80-jährige Pfarrer derPfingstgemeinde, der gleichzeitigder Präsident ist, aus seinem Lebenund von seiner Gemeinde.Anschließend zeigt er uns noch„seine“ Kirche, die „Krippe Gottes“.Jeweils am Donnerstag, am Samstagund am Sonntag finden dort53


Gottesdienste statt. Die Pfingstgemeindehat ein gutes Verhältniszu den Baptisten.Das Haus, in dem wir übernachten,das Haus mit Küche und Essensraum,drei weitere Häuser und diekleine Kirche befinden sich aufeinem gut gepflegten eingezäuntenGelände. Finanziert wurde allesdurch den Kirchenrat, durch dieGemeinde selbst und 5.000,- US$kamen als Spende aus den USA.Der Traktor und der LKW wurdenebenfalls von den USA gesponsert.Wir sitzen noch ein halbes Stündchenin der warmen Nacht,schauen nach den Sternen, diehier ganz anders angeordnet sindals in Deutschland und genießendie Stille. Bevor wir uns zumSchlafen verabschieden, d. h.,eigentlich brauchen wir uns garnicht verabschieden, denn das mitPalmblättern gedeckte Dach istviel höher als die Zimmerwände.Diese Wände verhindern zwar,dass wir uns <strong>sehen</strong>, nicht aber,dass wir uns hören. Aber da wiralle gleichermaßen geschafftsind, gehen wir auch gleichzeitigin unsere Zimmer und Betten undschlafen gemeinsam ein.TagebuchDienstag 13. MärzMargitaDer Morgen beginnt mit einem„Yoga-Schnupperkurs“ auf derWiese hinter dem Haus, geleitetvon Ulrike. Anschließend hatAnnette eine sehr schöne Andachtfür uns vorbereitet:Gebet nach dem 90. Psalm, D. Sölle:Gott, du bist unsere Heimatvon Generation zu Generation.Ehe die Berge wurden und die Meere,ehe unser kleiner blauer Planet,auf dem sich das Lebendurch Liebe und Vereinigung ausbreitet,von dir geboren wurdenach langer Schwangerschaft, warst du schonvor allem da und wartetest auf uns.Du lässt Menschen sterbenund rufst neue zum Leben:Kommt wieder Ihr Kinder von Adam und Eva!Du lässt Kulturen zugrunde gehen,wenn sie sich von dir trennen,und rufst andere ins Leben.Was uns tausendjährig scheintund unaufhebbar, die blutige Gewalt,ist dir eine kurze Nachtwache.Auch Tyrannen brechen erschöpft zusammen,Wirtschaftskonzerne lösen sich auf,und das Wissen unfehlbarer Parteien wird zumSchnee vom vergangenen Jahr.54


Es blühte die Sklaverei und war profitreich,aber am Abend deines Tages war sie verdorrt.Es kletterten die Erträge der Rüstungbis in den Himmel,aber dein Zorn lässt sie zugrunde gehen,und dein Grimmwird den geraubten Wohlstand vernichten.Unsere Ausplünderung der Armenmachst du offenkundig,unsere gut verschleierten Verbrechenstellst du ins Licht.So fährt unsere Zeit schnell dahinin Angst vor der Wahrheit,wir verbringen unsere Jahre wie auf einemDrogentrip, der umkippt zum Horror.Unser Leben hier siebzig Jahre, in anderenLändern werden viele nicht einmal vier.Hier treiben wir`s achtzig Jahre und länger,aber die Freude ist schal geworden,es schleppen die Apparate uns weiter.Wer schenkt dir schon Glauben,armer Gott ohne Atombomben und Banken,und wer fürchtet sich schon, wenn deineFische sterben?Erinnere uns, dass wir klein sind,kurzfristig hier auf geliehener Erde wohnend!Lehr uns, das wir sterben müssen,keine Zeit haben für all den Hass,der unsere Tiefflieger aufheulen macht.Lehr uns die Tage zählen, an denen wiran dich denken und dich wieder rufen.Dreh dein Gesicht zu uns, Gott,komm zu denen, die nach dir Ausschau halten.Mach uns satt am Morgen von deinem Licht,dass wir Musik machenund kein Tag ohne Freude sei.Freu uns doch wieder, Gott, nach all denJahren der Leere im Land der Plünderer,da Blut an unseren Bankpalästen klebt.Bring uns Brot und Rosen mit, Gott,deinen Glanz steck den Kindern ins Haar.Sei hell über uns, mach uns leichtzu kommen und zu gehenund hilf uns deine Welt zu bewahren,und treib das Werk unserer Hände voran,die gute Arbeit der Befreiung.Ein herzhaftes Frühstück stehtschon für uns bereit und wir lassenes uns gut schmecken.Danach machen wir uns aufden Weg zum Farmer. Eine jungeFamilie empfängt uns. Der 36-jährige Bauer hat die Farm vonseinem Vater übernommen. SeineEhefrau hat Ökonomie studiert,arbeitet aber mit auf der Farm.55


Außerdem helfen sein Vater undder Schwager mit bei der Ernte.Im September, Oktober, Novemberwerden die Samen ausgesät. Nachetwa 30 Tagen ist aus dem Sameneine Pflanze geworden. Nach weiteren60 Tagen Wachstum beginntdie Tabakpflanze zu blühen. DieBlüten werden aber entfernt,damit die ganzen Nährstoffe denBlättern zu gute kommen.Des Öfteren wird geprüft, ob diePflanzen von Schädlingen befallensind; die Raupen werden dann perHand abgelesen.Die Tabakpflanze ist jetzt ca.1,80 m groß und die Ernte hatbegonnen. Mit einem scharfenrunden Messer wird die PflanzeStück für Stück abgeschnittenund zwar so, dass mindestenszwei Blätter an jedem Teilstücksind. So ist es möglich, die Blätterüber eine lange Stange zuhängen. Diese Stangen kommenin den Trockenschuppen und verbleibendort 40 Tage. In dieserZeit werden die grünen Blätterbraun und verlieren ca. 85 % ihresGewichts.Nach dem Trocknen werdendie Blätter von den Stielendengetrennt, in Kisten verpackt undan die kooperative Zentrale zueinem festen Preis verkauft.Zur Herstellung von 48 Zigarrenwird 1 Kilo Tabak benötigt.„Havanna 92“, heißt die angebauteSorte; eine Pflanze, die auchder langen Trockenheit Standhält. Bereits ein halbes Jahr hates hier nicht geregnet.Der 4-jährige Sohn der Familieweist uns höflich daraufhin, dasssie jetzt „endlich mal wieder andie Arbeit müssen“. Wir bedankenuns bei der Farmerfamilie undbekommen sogar noch einen ZopfBananen aus dem eigenen Gartengeschenkt.Wieder im Rüstzeitenheim angekommenserviert man uns ein sehrschmackhaftes Mittagessen.Wir verabschieden uns von allen,die uns so köstlich bewirtet undbeherbergt haben, denn Richard,unser Fahrer, steht schon mitseinem Kleinbus zur Rückfahrtbereit.Unterwegs halten wir nochmalsin Vinales. Diesmal besuchen wir56


TagebuchMittwoch 14. MärzBärbelNach dem Landausflug erwarteteuns wieder ein Tag in Havanna mitmehreren Programmpunkten.Um 10.00 Uhr trafen wir uns mitIsabel Moya, der Direktorin des<strong>Frauen</strong>verlagshauses, der Stimmedes Nationalen <strong>Kuba</strong>nischen<strong>Frauen</strong>bundes.(Welch Zufall, gerade am Tag derPresse! Und tatsächlich kamenwährend unseres Gespräches mehrereGratulanten.)Was für eine Frau! Vielleicht Ende50, klein, im Rollstuhl sitzend, aberso voller Energie und Engagement,für ihre Aufgabe brennend, dasssie mich sofort in ihren Bann zog.Sie arbeite seit vielen Jahrenim Verlag und habe sich hochgearbeitet. Zudem sei sieauch noch Dozentin für Medienwissenschaftenan der Uni, habein ihrer Promotionsarbeit einevergleichende Studie zwischendem internationalen <strong>Frauen</strong>bildund dem in <strong>Kuba</strong> erstellt.Als vordringliche Aufgabe desVerlages schilderte sie unsdie Erziehungsarbeit gegenStereotype, v. a. gegen denMachismo. Es gebe diesbezüglich58


fortschrittliche Gesetze, aberbei der Umsetzung müsse nochviel getan werden. Das sei keinWunder, da seit 500 Jahrenpatriarchalische Strukturen inCuba/Lateinamerika herrschen,deren Tradition tief insBewusstsein der Menschen, der<strong>Frauen</strong> und Männer, verankert sei.Sie beruft sich auf Rosa Luxemburg,die unterstrichen habe, dasssich die Beziehung zwischen Mannund Frau sowohl innerhalb derProduktion als auch der Kulturverändern müsse.Z.B. wollen sie die massive unsichtbareGewalt gegen <strong>Frauen</strong>sichtbar machen, Sexualaufklärungsarbeitleisten, aber auchGeschlechtertheorien von <strong>Frauen</strong>publizieren.Zur Umsetzung ihrer Aufgabenutzen sie ihre zwei, allerdrei Monate erscheinendenZeitschriften:Die Frau:mit einer Auflage von 138 000Stück, die sehr begehrt undschnell vergriffen ist.Das Mädchen:mit 100 000 Exemplaren, speziellfür Mädchen und junge <strong>Frauen</strong>zwischen 14 und 22 Jahrengemacht.Zudem jährlich ca. 20 neu erscheinendeBücher mit sehr unterschiedlichenInhalten sowie ihreWebsite www.mujeres.co.cu,die wöchentlich aktualisiert wird.Unter diesen Büchern sind, wiewir fanden, wunderschön (vomEhemann der Direktorin) illustrierteKinderbücher, wobei sie versuchen,geschlechter-, rassen- undbehindertenübergreifend zu arbeiten,die herrschenden Stereotypezu unterlaufen.In allen drei Bereichen mussnoch viel gearbeitet werden, umdie tägliche, mehr oder wenigeroffene Diskriminierung bewusst zumachen und aufzulösen.Es wurde auch ein Erziehungsbuchveröffentlicht, in dem besondersdarauf hingearbeitet wird, dieKinder nicht sexistisch zu erziehen.Sexualratgeber für unterschiedlicheAltersgruppen sind ebenso imVerlagssortiment. Dort wird u.a.für die Übernahme von mehrVerantwortung von Männern und<strong>Frauen</strong> plädiert. (Ein Problemin <strong>Kuba</strong> stellen hohe Raten vonSchwangerschaften ganz jungerMädchen dar.)Besonderen Erfolg hattensie zuletzt auch mit ihrenKochbüchern, die speziell für die<strong>Frauen</strong> geschrieben wurden, diesich mit kleinen Restaurants oderImbissen selbstständig machen.Sie tragen den kubanischen VerhältnissenRechnung und geben59


gleich mehrere Alternativen an,falls mal eine Zutat nicht zubekommen ist.Natürlich wird auch über politischeThemen in ihrer Auswirkungspeziell auf die <strong>Frauen</strong> undFamilien informiert, so auchüber das neue, seit fünf Jahrenbestehende Familiengericht. Dassei sehr erfolgreich und gut. Eskümmert sich um Scheidungen,Adoptionen und Umgangsrecht.An diesen Gerichten würdenmultiprofessionell zusammengesetzteTeams arbeiten,mit Juristen, Psychologen undPädagogen. Sie begleiten dieFamilien im Scheidungsprozessund bei schwierigen Verläufenauch darüber hinaus.Vor der Revolution hätten dieVäter größere Rechte gehabtals die Mütter. Jetzt sei esumgekehrt. Die Familiengesetzewerden gerade überarbeitet,sie sollen flexibler werden, Adoptionenleichter. Heute bleibt dasSorgerecht für Kinder, derenEltern geflüchtet sind, eher beiden Verwandten, früher hat esder Staat genommen.Ganz aktuell untersuchenund thematisieren sie die Auswirkungender Selbständigkeit aufdie Familien. Wenn z.B. in einerder winzigen Privatwohnungen nocheine Cafeteria betrieben werde,gehe die Intimität der Familieverloren und die Kinder manchmalnicht mehr in die Schule, weil siemithelfen…Auf unsere Frage nach einerZensur antwortet Frau Moya, dasses keine gäbe. Sie verstündensich als „kritische Begleiter derRevolution“, wie alle Journalisten in<strong>Kuba</strong>.Ob man das glauben soll undkann, bleibt wohl jedem von unsselbst überlassen. Aber trotzdem,nach gut einer Stunde warenwir vollständig begeistert. Undeinige Eingeweihte meinten, andieser Form der journalistischen<strong>Frauen</strong>arbeit könnte sichDeutschland ein Beispiel nehmen!Besuch eines Bauernmarktes /VersorgungssituationBetsy zeigte uns eine Lebensmittelkarte(die allerdings eingestelltwerden sollen, was einengroßen Proteststurm ausgelösthabe) und erzählte, dass manmit Hilfe dieser Karten eine vierköpfigeFamilie mit 50 Pesos mitden Grundnahrungsmitteln versorgenkönne. Damit könne man abernicht wirklich leben.(Die Einkommen liegen zwischen350 bis 400 Pesos, Renten bei 200).Die Bauernmärkte sind überlebensnotwendig.Allerdings wurden sie60


erst vor einiger Zeit legalisiert.Daneben existieren noch immerblühende Schwarzmärkte, aufdenen, wie Betsy auch erzählte,Mitglieder der kommunistischenPartei nicht einkaufen dürfen.Sie kennt aber einen, der sichoffiziell gegen dieses Verbotgewehrt habe und erklärte, sonstkönne er nicht mit seiner Familieüberleben.Auf den Bauernmärkten werdendie Preise am Morgen staatlichvorgegeben. Gegen Abend könnensie manchmal sinken.Wir besuchten einen solchen Markt,auf dem fast nur Männer arbeiten,weil sie dort mehr verdienen alsbei staatlichen Stellen und auchmal einige CUC abbekommenkönnen (wenn Touristen was kaufenoder offiziell, das habe ich nichtganz verstanden).Es gab:- Fleisch: das Pfund für 40 Pesos!– keine Fliege weit und breit!- Kartoffeln, Yucca, Reis, Bohnen …- Obst: Bananen, Mangos (25 Pesosdas Pfund), Ananas, Papaya,Zitronen (20 Pesos) …- Gemüse: Paprika, Tomaten,Zwiebeln, Sellerie, Blumenkohl,Kohl, Salat, Möhren (6-10 Pesos)Es war alles sehr ordentlich aufgebaut.Die Besucherzahlen hieltensich in Grenzen.Auf einem kleineren Markt in derNähe des Hotels sahen wir aucheinen mobilen Optiker, der Brillenreparierte, alte Fassungen anbot,um neue/gebrauchte Gläser einzusetzen.Es wurden auch Vögel verkauft,ein paar antiquarische Bücher,gebrauchte Küchengeräte, ganzeinfache Flip-Flops für 40 Pesos.Vor den Eingängen verkaufen<strong>Frauen</strong> und Männer kleine Plastiktütenfür den Einkauf. Wo sie diewohl her hatten …? Jeder versuchtirgendwie an Geld zu kommen.Danach fuhren wir über denZentralen Friedhof von Havanna.Riesige Marmorflächen, richtigePaläste aus der Kolonialzeit, kaumgrün, riesengroß, bewacht (daGrabräuber nach Verwertbarenund Santerias nach Knochenfahnden).Internationale Gelder fließen indie Sanierung, z. T. sind Grabstättenumgewidmet worden. Beeindruckend,alles in allem.Am Nachmittag besichtigten wirdie Familienarztpraxis Nr. 32 in derNähe des Centros.Eine reich beringte Ärztin empfinguns in düsteren Räumen. IhrBehandlungszimmer erinnerte anein Che-Museum, so viele Plakate61


von ihm hingen an den Wänden,aber auch die Statistik derKrankheitsfälle in ihrem Bereich.Sie berichtete über das dreistufige Gesundheitssystem <strong>Kuba</strong>s.Auf der ersten Stufe stehen dieFamilienarztpraxen, mit unserenHausarztpraxen zu vergleichen,nur dass sie wesentlich wenigerEinwohner zu versorgen haben undvon der Ausstattung ein gefühltesJahrhundert hinterher hinken.Sie sind mit jeweils einer festenÄrztin und einer Schwesterbesetzt.Ihre Aufgaben seien v.a. Grundversorgung,Prävention, Vorsorgeuntersuchungen,die Durchsetzungvon Gesundheitsprogrammen(Schwangerschaftsversorgung/Mütterversorgung, regelmäßige Kontrolluntersuchungenvon alten Menschen).Mit Symptomen können dieBewohner des Bereiches zu jederTag und Nachtzeit kommen, dieÄrztin und die Schwester wohnenüber der Praxis.Wenn die Ärztin nicht mit einfachenMitteln und Medikamentenweiter helfen kann, wird derPatient in die Poliklinik überwiesen,wo mehrere Fachärzte und mehrdiagnostische Möglichkeiten zurVerfügung stehen oder auchgleich in ein Krankenhaus, nebenden wissenschaftlichen Institutendie dritten Stufe im System.In die Praxis kommen in regelmäßigenAbständen auch Kinderärzte,Spezialisten für Asthma, Diabetes,Gynäkologen (auf den dortigenUntersuchungsstuhl würdeich mich aber nur sehr ungernbegeben), die auch AIDS–Präventionund Behandlung bzw.Weiterleitung in Sanatorien oderan wissenschaftliche Institutevornehmen. Jeder Distrikt habeauch seine Apotheke.„Unsere“ Ärztin gründete vor 23Jahren diese Familienpraxis undarbeitet seitdem dort, kennt62


wohl alle Familien ihres Bereichesgenau. Sie hat normalerweise850 Leute zu versorgen. Durchdie Entsendung vieler Ärzte nachVenezuela sind es in Spitzenzeiten3500 gewesen, jetzt dürfen esnicht mehr als 1500 sein, das seistaatlich festgelegt. Es gebewesentlich mehr Ärztinnen alsÄrzte.Um <strong>Kuba</strong> vor eingeschlepptenKrankheiten zu schützen, müssenEinreisende auf den Flughäfen Erklärungenausfüllen, ob sie irgendwelcheSymptome oder Erkrankungenhaben.(Auch uns hatten diese Formulaream Flughafen beschäftigt, weil wirnicht für alle welche ergatternkonnten. Am Abgabepunkt winkteman uns aber sofort durch, als siehörten, dass wir aus Deutschlandkommen.)Mich interessierte ja v. a. auchdie Einbindung von Psychologenbzw. auch die Versorgung im psychiatrischenBereich.Die Ärztin erzählte uns, dass anjeder Poliklinik vier Psychologenarbeiten. Einmal in der Wochekämen auch Psychologen in diePraxis, um eine Sprechstundeabzuhalten.Wenn ich es richtig verstandenhabe, gäbe es in <strong>Kuba</strong> keineSpezialkliniken für Psychiatrie.Jedes Krankenhaus (pro Stadtteilgebe es eines) habe aber eineoffene psychiatrische Station.Es gäbe nur einen (!) Psychiaterfür jeden Stadtteil, da es nichtso viele psychiatrische Problemegäbe. Dies bezweifle ich allerdings,zumal in ihrer ausgestellten Statistiknachzulesen war, dass es 18suizidgefährdete Pat. im letztenJahr gab, sowie 29 Menschen mitAlkoholproblemen (49 mit Übergewicht).Betsy hat uns später erzählt, dassdas Gehalt einer Familienärztinnicht ausreiche, um eine Familiezu versorgen, wie sie es von einerverwandten Ärztin wisse.Nach diesem Programmpunktwar noch einmal kurz Havanna-Zentrum angesagt, Mojito trinkenim Hotel Inlaterra. Hier wurdeunsere Ulrike gefragt, ob sie eineSchwester der berühmten AliciaAlonso sei – sie sei ihr so ähnlich!!!Ulrike war anfangs etwas düpiertdarüber, mit einer Neunzigjährigenverglichen zu werden. Wir konntensie aber beruhigen – sie solle jadie (jüngere) Schwester sein.Aber an dieser Ähnlichkeit musswohl etwas dran sein, denn siewurde noch mehrfach darauf hinangesprochen.Abends stand an diesem Tagnoch ein Punkt auf dem Programm:Treffen mit einer kubanischenHausfrau. Ich empfand es alsetwas ganz Besonderes, als völligFremde in eine ganz normale63


kubanische Familie, in derenWohnung eingeladen zu werden!Zwar erwartete uns dort nichtnur die Hausfrau, sonderndie gesamte Familie, und derHausherr führte auch dasGespräch und am Anfang eineBibelstunde durch, was uns etwasbefremdete, sich dann aber dochnoch zu einem sehr interessantenAustausch entwickelte.Unser Gastgeber war uns nichtganz unbekannt. Er arbeitet auchim Centro mit, ist im Irakkriegals Folge der Giftgasangriffe erblindet,bezieht eine Rente von200 Pesos und hat noch mal – mitHilfe seiner Frau – ein Studiumals Lehrer für Physiotherapie undPsychotherapie(?) absolviert.Er arbeitet unentgeltlich alsDozent, um genügend Lehrstundenfür seine Anerkennung als Dozentzusammen zu bekommen undschreibt Gedichte.Er hofft sehr, eines seiner 10Bücher veröffentlichen zu können,um damit das Geld für die 15.Geburtstagsfeier seiner Tochterzu verdienen.Obwohl ihm ein Verlag zugesicherthabe, dass er gute Prosaschreibt, veröffentlicht er sienicht. Ihm fehlt, wie er meint, eineinflussreicher Gönner.Dieses Gespräch trug, wie andereEindrücke, z.B. die christlicheHausgruppe, dazu bei, dass meinanfänglicher Optimismus, <strong>Kuba</strong>könnte vielleicht wirklich ein Vorreiterfür einen dritten Weg dergesellschaftlichen Entwicklung sein,sich (leider) wieder auflöste.Er beschrieb nämlich, dass zwarvon ganz oben politische Reformengewollt sind, dass sie aber steckenbleiben, schon auf der nächstenEbene sei alles so wie früher, diealte Starrheit.Und was auch ganz deutlichwurde, der gelebte Machismo.Wer bekam den teuren Obstsalat?Die Gäste und die Männer!(Mir blieb er bald im Hals stecken,weil ich daran dachte, welcheAusgabe das für die Familiegewesen sein muss und was dafürweggespart wurde.)Wer führte das Gespräch? DerHausherr! Beide beklagten denZulauf der Jugend zur Santeriaund die indirekte Unterstützungdes Staates für diese Religion,indem sie besondere Beachtunggeschenkt bekommt.Hier hörte der von mir bewunderteökumenische Gedanke der Gemeindevon Raul Suarez auf.Die „Götzenanbeterei“ ist da– zumindest in der Basisgemeinde– nicht einbezogen.Es wurde aber auch deutlich,wie verinnerlicht der Glauben64


unter diesen einfachen Menschen(wirtschaftlich gemeint) istund wirklich dabei hilft, dieschwere Zeit zu überstehen, denOptimismus nicht zu verlieren.Das hat mich sehr beeindruckt.TAgebuchDonnerstag 15. MärzBärbelHeute besuchten wir zuerstdas Kinderkrankenhaus derUni, erlebten also auch diedritte Stufe des Gesundheitssystemslive. Dazumusste eine Genehmigung desGesundheitsministeriums eingeholtwerden, die das Centro für unsbesorgte!Wir – eine kleine unbedeutendeGruppe Ausländer – wurden vonder Chefärztin der DiagnostischenAbteilung empfangen (undenkbarbei uns) und zu einemKonferenzraum geführt, derwieder schön tiefgekühlt war.Hier stieß eine weitere Chefärztin(der Kinderabteilung) dazu undspäter noch eine Allergologin, eineTochter von Che Guevara65


Es wurde uns erklärt, dass im Haus77 % <strong>Frauen</strong> arbeiten und auchder Führungskreis überwiegendaus <strong>Frauen</strong> besteht.Diese Klinik ist spezialisiert aufChirurgie, Transplantationsmedizin,Genetik und Neugeborenenprobleme.Aus allen 14 Landesteilen<strong>Kuba</strong>s werden Neugeborenemit Missbildungen oder anderenschweren Problemen hierhergeflogen und behandelt.Das Haus hat 230 Betten, achtOP-Säle mit neuester Technikaus der sog. Ersten Welt, auchaus Deutschland, und moderneDiagnostikgeräte. Alle Laboratoriensind automatisiert.Sie waren sehr stolz, verkünden zukönnen, auf dem neuesten Standder Technik im Weltmaßstabzu stehen und auch, dass beikleinen Kindern ein Elternteil mitim Krankenhaus bleiben könneund kostenlos mit versorgt werde.(Nebenbei erfuhren wir auf unsereNachfrage, dass die Elternunbegrenzt krankgeschrieben werden,wenn ihre Kinder krank sindund dabei 60 % ihres Einkommensbekommen, Sozialfälle sogar 100 %.)Die temperamentvolle und attraktiveChefärztin der Kinderabteilungschilderte uns dannganz privat und offen ihren Alltagals führenden Ärztin, Mutter undHausfrau. Sie stemmt alles selbst,habe eine Tochter, die zur Unigeht und einen Ehemann, die siebeide bekocht und bemuttert,ohne Haushaltshilfe und trotzvieler Nachtdienste.Sie arbeite sehr hart, aber mitviel Liebe und einer sehr positivenGrundeinstellung, was ich ihr sofortglaubte, so wie ich sie beimReden erlebte.Dann übernahm die Tochter vonChe das Wort. Sie erzählte unsebenfalls ganz begeistert undengagiert, dass das Krankenhausvor 50 (?) Jahren als erstes Krankenhausnach der Revolutiongebaut und nach einem Kindbenannt sei, dass mit 14 Jahrenvon Batista ermordet worden sei.Stolz verwies sie darauf, welcheErfolge <strong>Kuba</strong> in der Eindämmungder Kindersterblichkeit erreichthat. Vor der Revolution seien 600bis 700 von 1000 Kindern im erstenLebensjahr gestorben, heute nurvier.Auch ausländische Kinder werdenim Krankenhaus behandelt, kostenlos!Früher hätten die sozialistischenStaaten diese Kosten übernommen.Alle drei Ärztinnen waren selbstzu Solidaritätseinsätzen inMozambique und Nicaragua. Aufunsere Frage hin, wie es um denärztlichen Nachwuchs bestelltsei, erklärten sie uns, dass trotzder schwierigen Bedingungennoch viele junge Leute Medizinstudieren. Dabei müssen laut Frau66


Guevara die jungen Ärzte nicht insAusland. Das sei freiwillig. (Maricelihatte uns da allerdings etwasanderes erzählt.)Es werden bestimmte Leute/Spezialisten ausgewählt undgefragt. Dabei sei der Auslandseinsatzgar nicht so unbeliebt, dasie damit mehr Geld verdienen.Manche jungen Mediziner planenihn sogar regelrecht ein, um sichdann hier von dem erspartenGeld einen besseren Start zuermöglichen.Frau Guevara unterstrich nochmal, dass in <strong>Kuba</strong> eine großegegenseitige Unterstützung undSolidarität herrsche, auch fürandere Staaten. Sie sei stolz darauf,dass das Konzept der Familie– ganz <strong>Kuba</strong> = eine große Familie– aufgegangen sei. Das wage ichunter den heutigen Bedingungenaber dann doch zu bezweifeln.Sicher gibt es noch viele Menschen,die so denken, aber alle … ? Undv. a. die Jungen ....?Am Nachmittag besuchten wirdann als letzten Punkt unseresProgramms in Havanna eine Klinikgegen Schmerzen, die alternativeHeilmethoden einbezieht.So stand es jedenfalls im Programm.Tatsächlich kamen wir zu CINSA,einem interdisziplinären Gemeindezentrum.Wir staunten nicht schlecht, alswir schon durch ein Spalier alterMenschen in den Aufenthaltsraum,der entsprechend kubanischerSitte mit vielen Lüftungsschlitzenin der Mauer ver<strong>sehen</strong> war, durchdie der Straßenlärm drang, gehensollten und alle hinterher kamen.Der Leiter, ein sehr freundlicher67


Auf alle Fälle!Es kann sein, dass die Anderen wenig vernünftig sind, unlogisch und nur an sich selbst denken.Liebe die Anderen, auf alle Fälle!Wenn du Gutes tust, klagen sie dich vielleicht versteckter und egoistischer Motive an.Tu das Gute, auf alle Fälle!Wenn du siegst, kann es sein, dass du falsche Freunde und echte Feinde bekommst.Siege, auf alle Fälle!Es kann sein, dass man morgen das Gute vergessen hat, das du heute tust.Tu das Gute, auf alle Fälle!Die Ehrlichkeit und Offenheit lassen dich vielleicht verletzbar sein.Sei ehrlich und offen, auf alle Fälle!Wofür du Jahre brauchst etwas aufzubauen, kann in einem Moment zerstört werden.Bau es auf, auf alle Fälle!Vielleicht kann es sein, dass dich jemand angreift, dem du geholfen hast, als er in Not war.Hilf, auf alle Fälle!Wenn du der Welt das Beste von dir gibst, kann es sein, dass du einen Fußtritt bekommst.Gib der Welt, auf alle Fälle, das Beste von dir!<strong>Kuba</strong>nisches Gedicht einer Altenpflegerin, die wir am 15. März 2012 im Gemeindezentrum Cinsa trafen.68


junger Mann, der „seine“ Schützlingeganz liebevoll ansah, erklärteuns zunächst die Struktur diesesGemeindezentrums.Ihr Zentrum beruhe auf 3 Säulen:- der traditionellen medizinischen/physiotherapeutischenBehandlung- der mentalen Gesundheitsbetreuungund- einer geriatrischen TagesbetreuungDie Altenbetreuung erfolgtzwischen 8 und 17 Uhr. DieBesucher erhalten im Centeralle Mahlzeiten, können an allenAktivitäten teilnehmen und spielenganz viel Domino.Alles werde vom Gesundheitsministeriumbezahlt. Der Eigenanteil bestehein den Lebensmittelkarten(wenn ich das richtig verstandenhabe).Dann traten die „alten Leutchen“aktiv in Erscheinung. Sie hattenfür uns ein richtiges Programmeingeübt und man sah ihnen an,dass unser Besuch ein echterHöhepunkt für sie darstellte.Zuerst führte uns ein älterer Herrvor, wie sie aus alten Konservendosen,die aufgerollt und aufeinen Holzrahmen gespannt werden,Küchenreiben herstellen. Margittaversuchte sich natürlich auchgleich daran.Dann brachte uns der „Präsident“der Alten ein Grußwort dar. Ichglaubte ihm sofort, als er sagte,dass sie sich freuen, uns als Gästebegrüßen zu dürfen. Das spürteman so sehr!Eine alte Dame sprach dann einGedicht über Che Guevara, dasdie Ergotherapeutin gedichtethatte. Auch wir hatten spontanzwei/drei Liedchen geträllert, ehewir eingeladen worden, Guantanamerra“gemeinsam zu singen.Aber der Höhepunkt folgte noch:das gemeinsame Dominospiel!Wir wurden auf verschiedeneTische aufgeteilt, zwei <strong>Kuba</strong>ner,zwei Deutsche. Wie freuten siesich, wenn sie siegten! Ich glaube,sie hätten gern den ganzen Nachmittagmit uns weiter gespielt.Aber es war unser letzter Tagin Havanna und wir wollten nocheinmal in die Stadt.Unser „privater Chauffeur“Richard brachte uns in unseremLuxuskleinbus vor das Hotel Inglaterraund wollte uns drei Stundenspäter wieder abholen.Christine, Antje, Ulrike und ichsahen den gelungensten Abschiedvon Havanna in einem oder auchzwei Mojito auf der Dachterrassedes Inglaterra.Kathrin und Margita bummeltennoch mal durch die Straßenund Annette besuchte das Revolutionsmuseum.69


Ich wollte dann noch mal zumHandwerkermarkt, um noch einzweites Bild des gleichen Künstlerszu kaufen. Aber da kam mirdie sozialistische Mentalität indie Quere. Zwar hatte ich eszielsicher durch die Gassen derAltstadt geschafft, drei Minutenvor 18 Uhr in der Halle an meinemStand zu erscheinen, doch dieserwar schon zu gehangen, und ichkonnte den guten Herrn vielleichtauch mangels Sprachkenntnissen,nicht dazu bewegen, mir noch einBild zu verkaufen. Am nächstenTag wieder, bedeutete er mir …Trotz des Bedauerns darüberwar dieser kleine Ausflug durchdie nicht touristischen Teile derAltstadt sehr beeindruckend.Nur einen Steinwurf von denrenovierten Touristenrouten entfernt,erlebte ich den Alltagdes Volkes und die Not desStaates. Hier hatten viele Jahresozialistische Mangelwirtschaft,die Krise der „Spezialperiode“und sicher auch das aggressiveMeeresklima ganze Arbeit geleistet.Das Armutsklima in den Ruinenstraßenführte dazu, dass ichmich nicht ganz sicher fühlte alseinzige Weiße und Touristin weitund breit. Ich tue den <strong>Kuba</strong>nerndamit sicher unrecht, doch Gefühlekann man nun mal nicht steuern– ich hielt meine Tasche ganz festunterm Arm und traute mich nicht,zu fotografieren.Abends erwartete uns ein weitereskulturelles Highlight: Die Oper aufder Straße.Schon bevor es losging, machten„unsere“ Amerikaner Stimmung (dieVorstellung schien fast allein vomCentro ausverkauft zu sein).Sie tanzten nach der Lautsprechermusikund wir ließen unsirgendwann anstecken.Doch dann ging es los, die Bandkam und dann auch die Sängerund Tänzer. Mich hat dieserAbend restlos begeistert!70


Als ich im Anschluss hörte, dassdas alles Laien gewesen waren,konnte ich es kaum glauben. Einesolche Meisterschaft im Singenund Tanzen unter einer absoluttollen Choreographie (die wohl vomeinzigen Profi, einem Opernsängerstammen soll) hat mich verzaubertund mitgerissen.Die Geschichte <strong>Kuba</strong>s und dieMentalität, die Lebensfreude, Sinnlichkeit,das Feuer der <strong>Kuba</strong>nersind so packend und bildlich vertanztworden, dass es einfachnur grandios war. Was mich besondersfasziniert hat, waren diesingenden Tänzer oder eben tanzendenSänger. Die Solisten aberauch der „Chor“ konnten beidesperfekt.Dies war ein absolut passenderAbschluss für unsere Tage in Havanna!TagebuchFreitag 16. MärzAnnetteNach einem ausgiebigen Geburtstagsständchenfür Margitta undeinem letzten Frühstück im HotelTulipan in Havanna verlassen wirdie kubanische Hauptstadt undfahren nach Varadero mit einemZwischenstopp in Matanzas. DieStadt liegt an einer Bucht undhat viele Namen: Stadt derDichter und Künstler, Stadt derBrücken. Matanzas ist auch derName der Provinz. Ins Auge falleneine katholische Kathedrale unddas Theater.Das Theologische Seminar liegtetwas außerhalb auf einemHügel. Ein gepflegtes Gelände mit71


lühenden Büschen. Wir schauenuns die Kirche an, die Bibliothekmit einer Bildergalerie und aucheinen Seminarraum.Hier sind wir im Gespräch mitdem Dekan, der Altes Testamentunterrichtet, Pfarrer in derPresbyterianischen Kirche undSingle ist. Seine bekannte Kollegin– Ofelia Ortegez: feministischeTheologin, Parlamentarierin,ehemalige Mitarbeiterin beimÖkumenischen Rat der Kirchenin Genf – ist leider nicht da,aber wir <strong>sehen</strong> sie abends in denNachrichten beim Fern<strong>sehen</strong>.Sie äußert sich positiv zum anstehendenBesuch des Papstes.Der Dekan erzählt uns die Geschichtedes Seminars: gegründetwurde es 1946 von der Presbyterianischen,der Methodistischenund Episkopalen Kirche.Heute gehören 20 verschiedeneKonfessionen zu der ökumenischenAusbildungsstätte für Theologenund Theologinnen sowie Pfarrerund Pfarrerinnen. Auch Studierendeaus dem Ausland sind inMatanzas, z.B. aus Deutschland,vor allem aber aus Mittelamerikaund insbesondere der Karibik.Derzeitig studieren 458 Studis,davon 208 Männer und 250 <strong>Frauen</strong>.Die meisten machen dieAusbildung als Fernstudium.Die Direktstudierenden könnenauch mit Familien auf demCampus wohnen. 14 Dozentengehören zum ständigen Team.15 weitere kommen von der Universitätoder sind zeitweise alsGäste da. Ein Dozent aus denNiederlanden begegnet uns z.B.beim Mittagessen. Seit siebenJahren leben er und seine Frau inMatanzas.Die Zusammenarbeit mit derörtlichen Universität ist unkompliziertund interdisziplinär. Nebender Theologie wird auch die Religionswissenschaftangeboten72


Der Genderaspekt gehört in alleFächer und Themen – bereits seitmehr als 25 Jahren.Das Seminar vertritt eine LiberaleTheologie mit verschiedenen BefreiungstheologischenAnsätzen.Es ist ein Ort des Dialogs und desEngagements für die Gesellschaft.Während der „harten atheistischenPhase“ der Regierung gab eseine Zeit mit nur einem Studenten.Staat und Kirche nähern sich in<strong>Kuba</strong> derzeit an.Interessanterweise ist damiteine Winterzeit in der Ökumenezu beobachten, so der Dekan. ImHinblick auf die Santeria äußerteder Dekan sich kritisch unddistanziert. So ist wohl auch dieStellung der meisten etabliertenKirchen.Kritisch wird bemerkt, dassdie Religion sehr individuell geprägtist und damit nicht sehrinteressiert an gesellschaftlichenVeränderungen. 80 bis 90 % derBevölkerung zeigen Interesse bzw.sind Mitglieder in der Santeria.Mitglied wird man durch dieTaufe. Die erfolgt meist in derkatholischen Kirche.Diese Verbindung geht auf dieZeit zurück, als die Spanier ihreSklaven zwangsgetauft haben.Dadurch ist die Anzahl derkathol. Mitglieder laut Statistiksehr hoch. Dass die Taufe missbrauchtwurde im Rahmen derSklaverei scheint, die Santeria-Mitglieder nicht zu stören. Ebensostört es sie nicht, katholischeHeilige als Gottheiten zu deuten,die einst aus Westafrika über denAtlantik kamen.Um das Seminargelände herumgibt es eine Gärtnerei mit ökologischemLandbau. Ein großesdiakonisches Engagement erfolgtdurch Zusammenarbeiten miteinem <strong>Frauen</strong>basar, einem AlzheimerZentrum, einem Waisenhaus,mit KünstlerInnen undMusikerInnen. Geplant ist der Baueiner Diakonieschule.Beim Mittagessen treffen wireine Gruppe aus Fürstenwaldebei Berlin. Sie ist auf dem Wegzu ihrer Partnergemeinde unterder Leitung von Frank Schürer-Bellmann (?), Superintendent inFürstenwalde.Matanzas erinnerte mich persönlichan meine Zeit als Studentinin Pietermaritzburg/ Südafrika.Wenn ich jünger wäre und Spanischkönnte, ja dann …Auch in Varadero sind wir nichtdie einzigen Gäste. Eine GruppeSoziologiestudierender aus Philadelphia/USAist im Centro der PresbyterianischenKirche ebenfallszu Gast. Wir kennen einanderbereits von dem Open Air Musicalund der tanzenden Busfahrtdurch Havannas leere Straßen beiNacht.73


In der Trockenzeit kommen hauptsächlichausländische Gruppennach Varadero ins Centro. Inder Regenzeit (Mai-Oktober) sindWaisenkinder und Menschen mitBehinderungen zur Erholung in demschönen Haus unweit vom Strand.Wir genießen nicht nur Sonne undWasser, sondern auch die erstklassigeKüche mit Hummer undHumus, köstlichen Suppen und Nachspeisen,morgens Omelett, nicht zuvergessen den starken kubanischenKaffee, mittags verfeinert miteinem Schuss Rum.Varadero ist ein Straßenort mitHotelcontainern, aber auch vielenprivaten Häusern, die Ferienwohnungenund Zimmer anbieten.Wir entdecken viele Touristen ausRussland und Kanada. Die Lehrerfür Salsa vermitteln die Tänzemehrsprachig:ras, dwa, tri, jeschoras! Again, one, two,three! Wunderbar! Noch einmal! ...Am ersten Abend in Varadero lädtuns Margita zum Geburtstagscocktailein. Dabei erzählt sie einenihrer (Alb-)Träume, den sie imVorfeld der Reise hatte: siekommt in Havanna an ohne Gepäck,aber mit Mann! Antjereagiert erbost: „Ich habeeuch doch gesagt, dies ist eine<strong>Frauen</strong>reise!“74


RÜCKBLICKEauf die ReiseRückblick auf die ReiseFeedback von ChristineJe mehr Zeit seit der Reise vergeht, desto mehrneue Einsichten gewinne ich durch Gesprächemit <strong>Kuba</strong>-Freundinnen, empfohlene Artikel, eigeneAnalyse.Mit diesen entwicklungspolitischen Reisen will ichden Teilnehmenden zeigen, in welchem Maße sichdie kubanische Gesellschaft verändert und dassdie stereotypen Meinungen über eine angeblichstarre Gesellschaft nicht haltbar sind. Das scheintauch auf dieser Reise gelungen zu sein.„<strong>Kuba</strong> ist weder die Hölle noch das Paradies“ so habeich vor vielen Jahren einen Bericht über eine Reiseüberschrieben. Auch das trifft immer noch zu.Mit welchen Veränderungen wir in diesem Jahrkonfrontiert wurden, hat allerdings mein Weltbildetwas erschüttert. Am meisten hat mich schockiert,dass inzwischen in <strong>Kuba</strong> über eine Transformationder Gesellschaft nachgedacht wird. Ich fühle micherinnert an die Transformation unserer eigenenGesellschaft als auch die Osteuropas. Währendim Osten Deutschlands die sozialen Einschnitteeinigermaßen sozial abgefedert worden sind,blieb beispielsweise in der ehemaligen SU nacheiner UN-Statistik jeder Vierte auf der Strecke.Besonders schmerzlich ist für mich die Erkenntnis,dass die Fortschritte, die <strong>Kuba</strong> im Sozialen, Bildungs-undGesundheitswesen erreicht hat, imWesten nicht gewürdigt oder gar ignoriert werden.Nun stehen den <strong>Kuba</strong>nerInnen einschneidendeVeränderungen ins Haus, die genau diese Errungenschaftenins Wanken bringen.Mein ursprüngliches Anliegen, mit den <strong>Kuba</strong>nerinnenüber die Erfahrungen der Wende und dieTransformationsprozesse bei uns zu debattieren,wurde während all der Jahre leider nicht angenommen.Immerhin reise ich seit 1994 mit Gruppennach <strong>Kuba</strong> und spürte wenig Interesse. Nunist die kubanische Gesellschaft im Umbruch undjetzt werden wir anscheinend gebraucht.Die AktivistInnen im Centro sind voller Optimismus,dass die kubanische Gesellschaft gerechterund sozialer gestaltet werden kann. MehrereLeute haben mir unabhängig voneinandervon einem Netzwerk berichtet, das sich dieBewusstseinsbildung im Land zum Ziel gesetzt hat.Demzufolge debattieren rund 3000 Engagiertein den Städten und Dörfern mit den Menschenüber Veränderungsprozesse und Zukunftsmodelleeiner sozial gerechten Gesellschaft, diedas bisher Erreichte im Blick behält.Eigentumsfragen, alternative Wirtschaftsformen,die Rolle des Geldes und sogar die Verfassungwerden diskutiert.Diese Reise hat mir wiederum neue Eindrückeverschafft. Wir sind als <strong>Frauen</strong>gruppe gereistund das Martin Luther King Zentrum hat unsentsprechend ein passendes Programm gemachtund uns Einblicke in die kubanische Gesellschaftam Beispiel der Situation der <strong>Frauen</strong> in <strong>Kuba</strong>gegeben. Dafür bin ich sehr dankbar.Die Gruppe war in der Lage, sich auf das Landeinzustellen. Die gemeinsamen Gesprächeüber das, was wir ge<strong>sehen</strong> und erlebt haben,bereicherten uns alle. Kathrin hat dafür denpassenden Begriff der „Denkwerkstatt“ geprägt.Nach wie vor bin ich überzeugt davon, dassdie Beschäftigung mit den gesellschaftlichen75


Verhältnissen in <strong>Kuba</strong> motiviert, über gesellschaftlicheAlternativen dort wie hier nachzudenkenund Schlüsse für unser eigenes Lebenzu ziehen.Rückblick auf die ReiseFeedback von AnnetteDas Programm unserer Reise zur „Rolle der <strong>Frauen</strong>in Kirche und Gesellschaft“ empfand ich als sehrintensiv, aber nicht zu anstrengend – emotionalnicht und auch nicht intellektuell. Es war eine sehrgute Mischung aus Impulsen, die zum Nachdenkenund Diskutieren einluden, Kennenlernen vonNeuem und dann wieder Unterhaltsames, etwasfür alle Sinne. Abge<strong>sehen</strong> von den Sprach- undVerständigungsmöglichkeiten hatte ich immer dasGefühl mitreden zu können, denn Themen wieGenderaspekte, entwicklungspolitische Aspekte,Kirchen und Theologie u.a. sind mir vertraut.In mir sind die Saiten auch wieder ins Schwingengekommen zu diesen Themen und ich habe mirvorgenommen, dran zu bleiben. Mich auch klarerund deutlicher zu positionieren und auch Kritik,Nörgelei u.ä. auszuhalten. Denn die Scheu vor denDiskussionen, Relativierungen ist nicht ohne und ichbin unsicher darüber, ob ich dem gewachsen bin.Ich glaube auch, durch das Pfarramt Möglichkeiten,den Raum und auch die Freiheit dafür zu haben.Und das sollte ich nutzen und mir nehmen, es zuleben.Immer wieder war ich in der Versuchung zwischenmeinen Erfahrungen in Deutschland, im südlichenAfrika und dem Erlebten auf <strong>Kuba</strong> zu vergleichen.Auf <strong>Kuba</strong> hat mich besonders die innere Stärke/das Selbstbewusstsein/ der Stolz der Menschenbeeindruckt.Im südlichen Afrika gab es immer das Stichwortempowerment und damit war das Wachsen einesgesunden Selbstbewusstseins gemeint, dassdie Menschen entdecken sollten, sowohl alsIndividuen als auch als Gemeinschaft sind sie werund können auch etwas. Der Blick afrikanischerMenschen ist oft verängstigt, traurig und ernst,eingeschüchtert, unterwürfig.Auf <strong>Kuba</strong> begegneten mir zuversichtliche,fröhliche Menschen, die meisten waren gebildet,wirkten sicher und zielgerichtet, selfconvident. Gelassenheit und Geduld scheinenselbstverständlich. Das Stichwort heißt Partizipation.Bringt euch ein! Gestaltet mit! Lasst unsdas, was wir haben und können, zum Wohle allerteilen. Human potencial scheint auf <strong>Kuba</strong> keinProblem zu sein. In den medizinischen Bereichenz.B. gibt es viel Personal. Das know how ist denUmständen entsprechend auch da, aber es fehltan Ausstattung, an Material und Technik.In Deutschland wirken wir Menschen stumpf undinnerlich leer. Ich selber fühle, wie ich mitgezogenwerde in eine Art Fruststimmung. Wir habenmehr als genug, aber wir wissen mittlerweilenichts mehr damit anzufangen. Äußerlich scheintalles gegeben, aber innerlich sind wir leer. Einpassendes Stichwort für uns habe ich noch nichtentdeckt oder gefunden.Es wäre zu schön, wenn wir einander ergänzenkönnten. Globalisierung im umfangreicherenSinne als nur im ökonomischen könnte dasebenfalls beinhalten. Auch in Gottes Welt istgehört ein ergänzendes Miteinander dazu. Vor mirsteht die Aufforderung, die in <strong>Kuba</strong> immer wiederan- und ausgesprochen wurde: wo tust du zurGestaltung deiner Welt?76


Rückblick auf die ReiseFeedback von AntjeDie Menschen in <strong>Kuba</strong> sind stolz auf ihr Land, trotzaller Widerwärtigkeiten nach dem Zusammenbruchder sozialistischen Staatengemeinschaftund trotz des Embargos. Viele suchen nach einerAlternative zur kapitalistischen Marktwirtschaftund kämpfen darum, die gesundheits- undbildungspolitischen Errungenschaften in ein neuesSystem herüberzuretten. Dabei spielt Bürgerbeteiligungeine große und neue Rolle.Als Christen haben wir Verantwortung für dieGestaltung der Welt. Dazu gehört das persönlichesozialpolitische Engagement. Immer wiederund besonders während unserer gemeinsamenStudientage mit engagierten <strong>Frauen</strong> der Gemeindenin <strong>Kuba</strong> wurden wir mit der Fragekonfrontiert: Und du, was tust du? Was bedeutetdas für dich persönlich?Kirche hat gerade in politischen Umbruchsituationeneine prophetische Kraft. Wir sind mit neuenImpulsen und der Erfahrung, dass wir als Christennicht nur die Aufgabe, sondern auch die GeistkraftGottes haben, zurückgekommen und wurdenbegeistert, uns einzusetzen für kirchliche und auchpolitische Belang, damit die Welt heil wird.Besonders beeindruckt hat mich der Besuch ander Evangelischen Ausbildungsstätte in Matanzas,die wirklich ökumenisch arbeitet. Der leitendeDekan erklärte uns: Der Genderaspekt gehörtseit mehr als 25 Jahren in alle Fächer und Themender Ausbildung. Auf meine Frage, wie er dasals Mann empfindet, antwortete er: Ich fühlemich befreit! Ich bin als Mann befreit von altenRollenfestlegungen, die mir als Mann das Lebenschwer machen und die meinen Blick einengen.Die Bibel <strong>sehen</strong> auch wir Männer jetzt mitanderen Augen!Wir haben viel über unseren Erfahrungen derWende und die Rolle der Christen geredet und sindmit dem Wunsch nach Hause gefahren, dass dieMenschen in <strong>Kuba</strong> Zeit und Gelegenheit für einendritten Weg finden, was uns nicht gelungen ist.Rückblick auf die ReiseFeedback von BärbelEs war eine mich sehr bewegende Reise, dieaufgrund der aktuellen politischen Situationauf <strong>Kuba</strong> immer wieder zu vergleichendenErinnerungen an die Wendezeit führte.Ich fühle mich aufgrund der Entwicklung beiuns sehr desillusioniert, was die Möglichkeitgesellschaftlichen Wandels hin zu einer menschlicherenGesellschaft über politische Aktivitätenund mit unseren demokratischen Mitteln betrifft.Bei unserem ersten Gespräch in <strong>Kuba</strong> mit RaulSuarez war ich total begeistert von seinen Visionen,von seinem Kampfeswillen und -elan, vonseiner Hoffnung für einen dritten Weg für <strong>Kuba</strong>.Dass ein solcher dritter Weg möglich werdenkönnte, dass es Menschen gibt, die ihn finden,Gesellschaften, die ihn gehen, wollte ich nurzu gerne hören. Doch im Zuge unserer weiterenvielfältigeren Begegnungen habe ich diesen Optimismuswieder verloren.Die Kluft zwischen den Vordenkern und denMenschen an der Basis, die ums täglicheÜberleben kämpfen (und trotzdem so volleransteckender Lebensfreude stecken) war nicht77


zu über<strong>sehen</strong>. Das begann schon in der eigenenKirchgemeinde von Raul, die ich im Hauskreisals ganz traditionell erlebte, die ihr Heil undihren Halt nur im Glauben suchen, nicht ingesellschaftlichen Veränderungen. Es setzte sichin vielen anderen Gesprächen und Eindrückenfort. Neben dem Lebenswillen- und kämpfen,dem Idealismus der „Alten“ so viel Not, so vielUnzufriedenheit und Hoffnungslosigkeit (v.a. derJugend). Die Geduld scheint mir aufgebraucht,ehe die Reformen richtig griffen.Aber vielleicht täusche ich mich ja auch – eswürde mich sehr, sehr freuen.Kirche, Kunst und Kommunismus– die prophetische Kraft derReligion in Zeiten des UmbruchsFeedback von Kathrin<strong>Kuba</strong> ist ein stolzes Land, ein Land, was keineKopie eines anderen Landes, einer anderenGesellschaftsform werden will. Es ist die Suchenach dem eigenen Weg „… in diesem Land solldas Zeugnis Gottes abgelegt werden, es ist derAuszug aus Ägypten“. (Raul Suarez) Wo zieht dasVolk hin, wer bleibt zurück (bei Miriam)? WelcheZeit braucht das Volk, um sich über Richtungund Ziel klar zu werden? Geht der Gang von denFleischtöpfen Ägyptens zu den Fleischtöpfen desKapitalismus? Passiert der Anschluss an ein fertigesGesellschaftssystem so schnell wie bei derWiedervereinigung Deutschlands?Das Wirtschaftswachstum kann nicht nur aufmaterieller Basis geschehen, es braucht eineEthik zur menschlichen Entwicklung. Hier ist dieUmstellung von Zentralismus zu Bürgerbeteiligungneu. Die Bürgerverantwortung soll entwickeltwerden. Wie bringe ich mich im Stadtviertel ein,was wird in jeder Region gebraucht?Die Revolutionsgeneration kann nicht mit Modellender 50er Jahre agieren, es hat die Leuteunselbständig gemacht, sie rufen schnell nachdem Staat, wie unmündige Kinder. Andererseitsgibt es viele Netzwerke, erst geht gar nichts, nacheiner Weile wird alles organisiert.Ein Problem ist die schnelle Auseinanderentwicklungvon armen und reichen Schichten. Seit einemhalben Jahr können Autos und Häuser verkauftwerden, die Parallelwelt von zwei Währungen imLand schafft große Unterschiede. Diese Realitätsteht neben der Ideologie und dem Wunsch nacheiner gerechten Gesellschaft.Beeindruckend ist die Wertschätzung von seelischerUnterstützung. Es ist die Zeit in der Wüste,immer auch von Hoffnung geprägt, seit 60 Jahren.Die junge Generation sucht ihr eigenes Glück,viele Familien sind zerrissen durch Auswanderungnach Miami und Madrid. Andererseits sind dieZuwendungen der Ausgewanderten ein Stützfeilerder kubanischen Wirtschaft.Ein Volk, was Sehnsucht hat, bringt die bestenKünstler hervor, Kunst als Ausdruck von Sehnsucht,auf der Suche nach Glück, nach Freiheit, <strong>Kuba</strong> istnoch nicht von professioneller Werbung verstellt.Es wirkt echt, anrührend, direkt.Es ist eine frühkapitalistische Geschäftigkeit zu<strong>sehen</strong>, überall Cafés, Werkstätten, Galerien, alleversuchen etwas zu verkaufen, agieren trotzdemmit karibischer Gelassenheit, im Hintergrund dieMischung aus russischer und kolonialistischerArchitektur. Verfallen ist beides, zerstört durchdie Zeit, aber liebevoll ausgebessert für denAugenblick.Die Kirchen sind sehr vielfältig. In Fragen der<strong>Frauen</strong>- und Familienbilder, auch hinsichtlich der78


<strong>Frauen</strong>gesundheit sind konservative kirchlicheStrömungen ein Rückschritt.Auch der Besuch des Papstes wird differenziertge<strong>sehen</strong>. Beeindruckt bin ich von der Intensitätder kirchlichen und politischen Debatten zumThema Befreiungstheologie, feministischer Theologie,Bildungsarbeit für alle …Mitgenommen habe ich, dass es sich lohnt, sichfür eine gerechte Gesellschaft einzusetzen. Hier inDeutschland sind wir oft viel zu desinteressiert anpolitischen Themen, es gibt zu wenig Wissen wo undmit welcher Wirkung sich die Einzelnen einsetzenkönnen. Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit undein Mehrparteiensystem sind hohe Güter, dasist mir in <strong>Kuba</strong> wieder bewusst geworden, da esdies dort nur eingeschränkt gibt. Es lohnt sichim eigenen System die prophetische Kraft derKirchen zu entwickeln. Theologie brauchen wirhier in unserem Land zu unseren Fragestellungen.Wie stolz sind wir auf unser Land? Ist Deutschlandstolz auf seine <strong>Frauen</strong>, gibt es eine frauengerechtePolitik, eine frauengerechte Theologie? Dortkönnen wir viel von <strong>Kuba</strong> lernen.<strong>Kuba</strong> an der Schwellezu einer neuen ZeitFeedback von Margita<strong>Kuba</strong> besitzt faszinierende Landschaften, herrlicheSandstrände; das Meerwasser ist türkisblau. Inden kleinen verträumten Dörfern zwischen Zuckerrohrplantagenund Tabakfeldern scheint es so alswäre die Zeit stehen geblieben.Die <strong>Kuba</strong>ner sind sehr stolz auf ihr Land. Ichwar beeindruckt von der Freundlichkeit undGastfreundschaft der Bewohner. In den Straßengeht es lebhaft zu, von überall ertönt leidenschaftlicheMusik, es wird getanzt, es gibt Straßentheater.<strong>Kuba</strong> ist bekannt für seine amerikanischenOldtimer, die gehegt und gepflegt werden.Auf der einen Seite ist das Land sozialistischgeprägt (kostenlose Bildung, kostenloses Gesundheitswesen),auf der anderen Seite nimmt aberauch die Marktwirtschaft ihren Einfluss (Zulassungvon Familien- und Einpersonenbetrieben / Arbeitauf eigene Rechnung).Neben dem Zuckerrohr- und Tabakanbau ist derTourismus der drittgrößte ökonomische Sektor<strong>Kuba</strong>s. Viele der kolonialen Herrenhäuser sindverfallen und müssten dringend restauriertwerden. Die Wohnungsnot ist groß. Der allgemeineLebensstandard ist auf niedrigem Niveau.Das Einkommen, das in kubanischen Pesogezahlt wird, ist sehr niedrig, während dieKonsumgüterpreise hoch sind und in Peso convertible(CUC) bezahlt werden müssen.Das Land ist voller Widersprüche und Probleme,umso erstaunlicher ist die Lebensfreude der<strong>Kuba</strong>ner, die sich gerade in einer schwierigenPhase des Umbruchs befinden.Wird es <strong>Kuba</strong> gelingen zwischen sozialistischerPlanwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschafteinen 3. Weg zu finden?„Wenn wir fortschreiten möchten, dann dürfenwir die Geschichte nicht wiederholen, sondernmüssen eine neue Geschichte schaffen.“ (MahatmaGandhi)79


Segen der Native AmericansDer folgende Segen wird von den Gottesdienstteilnehmendendurch Wendungen indie jeweilige Richtung vollzogen.Die Idee kommt von den nordamerikanischenIndianern, die ihren Glauben ganzheitlich inVerbindung mit dem ganzen Kosmos <strong>sehen</strong>.80


Wir wenden uns nach Osten:Vom Osten, von der Richtung der aufgehenden Sonne empfangen wir Frieden, Licht, Weisheit und Wissen.Gott wir danken dir für diese Gaben.Wir wenden uns nach Süden:Vom Süden empfangen wir Wärme, Geleit, Anfang und Ende des Lebens.Gott wir danken dir für diese Gaben.Wir wenden uns nach Westen:Vom Westen empfangen wir Regen, reinigendes Wasser, Kraft für alles Lebendige.Gott wir danken dir für diese Gaben.Wir wenden uns nach Norden:Vom Norden empfangen wir Kälte, gewaltige Stürme, Schnee, Eis, Stärke und Ausdauer.Gott wir danken dir für diese Gaben.Wir wenden den Blick zum Himmel:Vom Himmel empfangen wir Dunkelheit und Licht, deinen Atem,den Hauch deines Geistes und die Botschaften deiner Engel. Gott wir danken dir für diese Gaben.Wir wenden unseren Blick zum Boden, zu unserer Mutter Erde:Von der Erde kommen wir, zur Erde kehren wir zurück. Gott wird danken dir für diese Gabe.Wir wenden uns zueinander und reichen uns die Hand:Mögen wir gehen auf deinen Pfaden, dass wir leben als Schwestern und Brüder (Geschwister) auf dieser Erde,dass wir uns an den Gaben der anderen erfreuen,dass wir die Sorgen der anderen teilen und zusammen mit dir das Angesicht der Erde erneuern.AmenAus dem Englischen übertragen und bearbeitet von Jörg SchirrQuelle: Maren C. Tirabassi Katy Wonson Eddy, Gifts of many culturs, workship resorce for global community Cleveland 1997, S. 2681


VaraderoDas war der letzte Blick von <strong>Kuba</strong>.84

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