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DAS ARSCHLOCH-PRINZIP

HOHE LUFT 5/2013 - Arschloch-Prinzip

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Arschloch<strong>DAS</strong> <strong>ARSCHLOCH</strong>-<strong>PRINZIP</strong>TEXT: CHRISTINA GEYER; ILLUSTRATION: TED PARKERSie sind überall – entkommen können wirihnen nicht. Wir begegnen ihnen morgens imStau, tagsüber bei der Arbeit und abends imSupermarkt. Man findet sie im Finanzsektorund in der Künstlerszene, im Trash-TVsowieso. Die Rede ist von Arschlöchern.Wir alle kennen sie, und wir alle müssen mitihnen leben. Aber was genau ist ein Arschloch?Wie böse sind Arschlöcher? Und: Warumgehen uns die Arschlöcher eigentlich nichtam Arsch vorbei?DIESEN FRAGEN WURDE philosophisch bisher kaumnachgespürt. Dabei befasst sich die Philosophie doch mitder menschlichen Existenz – und diese bringt jedenfalls bisdato beständig auch Arschlöcher hervor. Gut möglich, dassder Begriff erst einmal abschreckend wirkt. Ihn deshalbphilosophisch zu ignorieren, ergibt aber keinen Sinn.Immerhin ist der Kraftausdruck »Arschloch« in unseremSprachgebrauch sehr populär. Da sollten wir doch zumindestwissen, was wir wirklich meinen, wenn wir jemanden als»Arschloch« bezeichnen. Das Arschloch ist ja eigentlich eineumgangssprachliche Bezeichnung für den Anus und eignet sich34HOHE LUFT


Arschlochseinerzeit unter Berlusconi als Vize-Verteidigungsministeramtierende Guido Crosetto bezeichnete den ehemaligenMinisterpräsidenten Italiens als Arschloch (er nannte ihn »testadi cazzo«, was zwar streng genommen »Schwanzkopf« heißt,jedoch meist mit Arschloch übersetzt wird). Ob jemand einArschloch ist oder nicht, entscheiden wir meist intuitiv. WasBerlusconi anbelangt, so scheinen sich die meisten einig zusein: Er hat sich, so meinen viele, den Arschloch-Titel fürwahrverdient. Wir können dieses Urteil zwar mit diversen FehltrittenBerlusconis begründen, aber es steckt noch mehr dahinter.Denn nicht jeder, der sich danebenbenimmt, ist automatischein Arschloch. Wer beispielsweise öffentlich Reue zeigt, hatgute Chancen, seinen Arschloch-Status wieder zu verlieren.Das wahre Arschloch hingegen schert sich nicht wirklichum seine Skandale: Wenn überhaupt, sieht es sich als Opfereiner breit angelegten Diffamierungskampagne. Berlusconijedenfalls nimmt es gelassen: Er sei zwar etwas »ungezogen«,aber 33 Mädchen in zwei Monaten seien ja wohl selbst für einen30-Jährigen etwas viel. Eine klassische Arschloch-Parole.FÜR SOLCHE IST AUCH BERND STROMBERG aus dergleichnamigen Comedy-Fernsehserie bekannt. Der CharismabefreiteOpportunist Stromberg ist als Abteilungsleiter derCapitol Versicherung stets darum bemüht, seine herausragendeWichtigkeit für die Firma zu demonstrieren. Stromberg istüberzeugt davon, unersetzlich zu sein, und sieht sich selbstals aufopferndes Alpha-Tier unter den Bürohengsten. Ein Bild,das seinen Mitarbeitern partout nicht plausibel erscheinen will.Stromberg sieht es pragmatisch und kontert in altbewährterArschloch-Manier: »Als Chef in meiner Position, da bist du soeinsam wie ... Gott.« Eine solche Aussage ist zwar bereits einstarkes Indiz dafür, dass wir es mit einem echten Arschloch zutun haben, aber noch keine hinreichende Begründung. DasArschloch scheint viele verschiedene Eigenschaften auf sich zuvereinen, die erst im Zusammenspiel den Blick auf seine wahreNatur freigeben.»ALS CHEF IN MEINERPOSITION, DA BIST DU SOEINSAM WIE ... GOTT.«Bernd StrombergDas Arschloch sagt Sätze wie: »Wissen Sie eigentlich, werich bin?«, und meint das auch so. Ähnlich wie Stromberg istes überzeugt davon, dass es wichtiger als andere, »normale«Menschen ist, und beansprucht deshalb systematisch einenVorteilsvorsprung für sich. Das Arschloch ist sich zum Beispielabsolut sicher, dass ihm der letzte Schuss Milch für den Kaffeezusteht – und es natürlich nicht dafür zuständig ist, welchenachzukaufen. Es hat zwar kein legitimes Recht auf solchePrivilegien, beansprucht sie aber dennoch für sich – einfach, weiles das kann und damit durchkommt. Das Arschloch selbst istallerdings wirklich davon überzeugt, dass es den letzten SchluckMilch verdient hat – und zwar mehr als seine Mitmenschen.Letztere erlebt das Arschloch im Vergleich zu sich selbst meistals langweilig und lästig, wohingegen es von seinen eigenenFähigkeiten umso überzeugter ist.Einer der wenigen Philosophen, die den Versuch einerArschloch-Evaluation unternommen haben, ist Aaron James,Philosophie-Professor an der University of California. In seinemBuch »Assholes: A Theory« betont er das völlig überhöhteSelbstbild von Arschlöchern. Wenn das Arschloch seine alsminderwertig erlebten Artgenossen ausnahmsweise einmalangemessen behandelt, kommt das, so James, durchaus schoneinem heldenhaften Erfolg (»heroic success«) gleich. DasArschloch ist sich einfach sicher: Es ist die absolute Nummereins. Seine Mitmenschen sehen das meist anders: Sie erlebendie Selbstüberzeugung des Arschlochs als Arroganz und dieständige Inanspruchnahme von Vorrechten als Anmaßung.<strong>DAS</strong> VÖLLIG ÜBERHÖHTE (und oftmals ungerechtfertigte)Selbstbild allein ist jedoch immer noch kein hinreichendesKriterium, um als echtes Arschloch zu gelten. Immerhin trifftes gleichermaßen auf den Egoisten zu. Was also unterscheidetdas Arschloch vom Egoisten? Das Arschloch wird gemeinhin alsbösartiger erlebt, während der Egoist im beständigen Strebennach der Maximierung seines eigenen Wohlbefindens nichtunbedingt gemein sein muss. Der Egoist hat sich selbst imBlick – und nur sich selbst. Das Arschloch hingegen ist auchnoch rücksichtslos: Es übergeht seine Mitmenschen zwar wieder Egoist, ist dabei aber kränkender. Dem Arschloch ist seineUmgebung eben nicht nur egal – es geht noch weiter und ist inseiner Umgangsform viel lebhafter als der Egoist. Das Arschlochbraucht ein Gegenüber, um seine eigene Bedeutsamkeit darinzu spiegeln. Dabei ist es für das Wesen des Arschlochs vongroßer Wichtigkeit, dieses Gegenüber aktiv zu erniedrigen, umsich selbst überlegen zu fühlen. Diese Erniedrigungen könnenviele verschiedene Formen annehmen und unter anderemin einem unsolidarischen, gemeinen und/oder kränkenden36HOHE LUFT


ArschlochVerhalten zutage treten. Eine recht neue Form des Arschlochswurde im Zuge der »Augmented Reality«-Technik geboren undträgt den Namen »Glassholes«. Gemeint sind damit flegelhafteTräger der Datenbrille Google Glass, mit deren Hilfe man seineunmittelbare Umgebung gänzlich unbemerkt ausspähen kann.Unter anderem kann der Träger mit der Google Glass heimlichFotos schießen – beispielsweise von seinem Gegenüber imBus auf dem Weg zur Arbeit. Ohne Zweifel ist dieses Verhaltenrücksichtslos und verdient somit den »Arschloch«-Stempel.DEM <strong>ARSCHLOCH</strong> FEHLEN EMPATHISCHE Fähigkeitengänzlich, weshalb es sich auch nicht dazu veranlasst sieht,Rücksicht zu nehmen. Wie das Beispiel der »Glassholes« zeigt, hatdas Arschloch schlicht keinerlei Feingefühl. Es gibt keine Milchmehr? Was soll’s?! Dem Arschloch ist es schlichtweg völlig einerlei.Man könnte nun meinen, dass es wirklich Schlimmeres gibtals ausgetrunkene Milch. Dabei ist genau das der Punkt, derein Arschloch erst zum Arschloch macht: Es begeht keinekolossalen Ungerechtigkeiten und ist nicht herausragend böse.Es dehnt Grenzen maximal, überschreitet sie jedoch nur in denseltensten Fällen. Deshalb können wir das Arschloch auch nichteinfach wie einen Verbrecher wegsperren. Wir müssen mit ihmleben und uns damit abfinden, dass es sich gewohnheitsmäßigwie ein Arschloch benimmt. Das will heißen, dass dasArschloch-Sein gewissermaßen seine Regel ist und nicht nureine vorübergehende Laune. In den Worten von James Aaron:Das Arschloch-Sein ist eine Lebenseinstellung – »a way of life«.Die Milch wird also nicht nur einmal leer getrunken, sondernregelmäßig. Was das Arschloch zum wahrhaftigen Arschlochmacht, ist deshalb weniger ein bestimmtes Verhaltensmusterals die Systematik, die dahintersteht. Das Arschloch begehtregelmäßig Bagatelldelikte – und genau diese Regelmäßigkeitmacht daraus etwas moralisch Verwerfliches.Was moralisch verwerflich ist, muss böse sein, würdeImmanuel Kant (1724–1804) jetzt vermutlich einwerfen. Ist dasArschloch also wirklich böse? Jein. Wir würden jemanden, derwirklich böse ist, kaum als Arschloch bezeichnen. Der Begriffist schlichtweg nicht stark genug, um die abgrundtief böseNatur eines Menschen hinreichend abzubilden. Kaum einerwürde einen Mörder nur »Arschloch« nennen. Gut möglich,dass er zwar auch ein Arschloch ist, aber er ist es bestimmt nichtausschließlich. Das Arschloch bewegt sich vielmehr auf einerVorstufe des Bösen. Das Böse schwingt in seinen Handlungenmit, ohne wirklich explizit zu werden. Gemäß Kants Typologiedes Bösen, die er in seinem Werk »Die Religion innerhalb derGrenzen der bloßen Vernunft« entwirft, würde das Arschloch amehesten in die Kategorie der vergleichenden Selbstliebe fallen.BEGRIFF<strong>DAS</strong> BÖSE <strong>PRINZIP</strong>Kant versteht unter dem bösen Prinzipeinen Hang zum moralisch Bösen.Dieser Hang, von Kant auch »Neigung«oder »Prädisposition« genannt, äußertsich durch eine »Verderbtheit« und»Verkehrtheit« des menschlichenHerzens. Das nennt Kant »Bösartigkeit«,denn kein Mensch kann seiner Meinungnach von Natur aus durch und durchböse sein. Wirklich böse sei nur ein»teuflisches Wesen«. Insofern sei esalso auch falsch, einem Menschen eineangeborene Schuld zuzuschreiben. Denn»der Zustand des Menschen, vor allemHange zum Bösen, heißt der Stand derUnschuld«. Nichts kann uns demzufolgevon unserer Verantwortung entbinden.Gemäß Kant sind wir immer frei undhaben zu jeder Zeit die Möglichkeit, unszu ändern. Mehr noch: Wir haben nichtnur die Möglichkeit, sondern die Pflicht,uns zu bessern. Denn alles Gute, was zutun in unserer Macht steht, ist Pflicht –und nicht nur eine Möglichkeit.37HOHE LUFT


ArschlochLEKTÜREImmanuel KantGRUNDLEGUNG ZURMETAPHYSIK DER SITTENReclam, 2011Kants erste grundlegende Schriftzur Ethik. Er formuliert darin denkategorischen Imperativ in fünfverschiedenen Fassungen.9Immanuel KantDIE RELIGION INNERHALB DERGRENZEN DER BLOSSEN VERNUNFTReclam, 2012Kants Werk zur Vernunftreligion.Im ersten Stück thematisierter die »Einwohnung des bösenPrinzips« im Menschen.9Aaron JamesASSHOLES: A THEORYDoubleday, 2012Eine ernst zu nehmende philosophischeAuseinandersetzung mit dem Wesendes Arschlochs. Inspiriert wurdeder Autor übrigens beim Surfen:natürlich von Arschlöchern.9Manfred Chobot (Hg.)GENIE & <strong>ARSCHLOCH</strong>Molden, 2009Die Bestätigung dafür, dass auch GeniesArschlöcher sein können. Von BertoltBrecht über Arthur Rimbaud bishin zu Jean-Paul Sartre.Diese erfasst Menschen, die ihr persönliches Wohlbefindenausschließlich im direkten Vergleich zu anderen definieren.Das trifft auf das Arschloch zu: Es will beispielsweise immerden besten Tisch im Restaurant haben und fühlt sich in dieserSonderposition erst bestätigt, wenn Gäste den Tisch neben derToilette zugeteilt bekommen. In Abgrenzung zu diesen generiertdas Arschloch das Gefühl, wichtig zu sein. Immerhin sitzt es jaam besten Tisch im Restaurant – und nicht neben der Toilette.Kant verortet in diesem Verhalten durchaus eineForm von Vernunft, aber nur eine den »Triebfedern dienliche,praktische« Vernunft. Das heißt, dass das Arschlochausschließlich seinen eigenen Begierden gehorcht. DiesesStreben allein reicht für Kant schon aus, um einen Hang zu bösenMaximen zu unterstellen. Die Maxime des Arschlochs, alsodie Regel, wonach es aus Prinzip handelt, ist die rücksichtsloseBefriedigung der eigenen Bedürfnisse. Das Arschloch nutzt jedeSituation, aus der es einen persönlichen Vorteil schlagen kann.Das ist seine Maxime, nach der es immer handelt. Und aufgrunddieser Regelmäßigkeit muss das Arschloch gemäß Kant aucheine Form des Bösen sein.ZUGLEICH VERORTET DER KÖNIGSBERGER Philosoph in derursprünglichen Natur des Menschen eine »Anlage zum Guten«.Das bedeutet, dass das Arschloch-Sein nichts Irreversibles,sondern vielmehr nur das Ergebnis einer Verführung durch dasBöse ist. Es ist daher gut möglich, dass manche Arschlöcherstärker vom Bösen angezogen sind als andere. Demzufolge musses auch verschiedene Abstufungen innerhalb des Arschloch-Status geben. Um die unterschiedliche Ausprägung des Bösenim Arschloch bemessen zu können, bedarf es demnach eines»Arschloch-Faktors«. Denn der Hang zum Bösen ist beimArschloch, das sich regelmäßig an der Supermarkt-Kassevordrängelt, bestimmt nicht so ausgeprägt wie beim Arschloch,das seine Mitarbeiter jeden Tag bloßstellt und schikaniert.Gemein ist allen Arschlöchern, ob groß oder klein, dasssie sich über gesellschaftliche Verhaltensregeln hinwegsetzen,ohne schwerwiegende Gesetzesbrüche zu begehen. Sie sindeben nicht wahrhaftig böse, aber sie haben böse Züge. Undgenau da hilft uns der Begriff des Arschlochs: Er erlaubt uns,moralisch fragwürdige Menschen zu kennzeichnen, ohnegleich auf das Prinzip des Bösen zurückgreifen zu müssen. DasArschloch ist eine Kategorie des moralisch Falschen und deutetdas radikal Böse nur an. Denn zwischen dem Autofahrer, der essich zur Regel gemacht hat, andere Fahrer wegzudrängen undrechts zu überholen (notfalls auch mal auf dem Pannenstreifen),und dem vierfachen Kindsmörder besteht dann eben doch eingewaltiger Unterschied.38HOHE LUFT

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