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Johann Sebastian Bach Bachs Chaconne für Violine solo 14 Eine Chaconne (oder in der Schreibweise Bachs: eine Ciaconna) war ursprünglich ein Tanz und zu Bachs Zeiten in der Regel eine Ostinatokomposition im 3/4-Takt. Bachs wahrscheinlich 1720 komponierte Chaconne für Violine solo stellt einen ersten Höhepunkt in dem Bemühen dar, Werke ohne Begleitung durch ein anderes Instrument (z.B. das Klavier) zu komponieren. Viele Geiger sind sogar der Meinung, dass Bachs Chaconne ein Meisterwerk darstellt, das bis heute unübertroffen ist. Bach hat seine Chaconne als Variationen über einem Lamentobass angelegt. Singen Sie den Lamentobass in d-Moll und hören Sie sich den Beginn der Chaconne ein- oder zweimal an. Können Sie sich daran erinnern (S. 12), dass Chromatik nur eine Verfärbung von Tönen bedeutet? Stellen Sie sich das wie bei einem Auto vor: Farbe ist zwar für die Schönheit wichtig, aber nicht wesentlich für die Fahrtüchtigkeit von Autos. In der musikalischen Analyse 3 & b 4 ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ œ & b 3 4 œ œ j œ ˙ œ # ˙ œ j œ ˙˙ œœ nœ j œ ˙ œœ œ # œ œ œ œ œJ œ œ œ œ d # n˙ nœ b˙ verhält es sich mit Farbe beziehungsweise Chromatik ganz ähnlich. Für die Analyse ist es daher oft hilfreich, Verfärbungen (bzw. die Vorzeichen von Tönen) in einem ersten Schritt zu vernachlässigen. Schreiben Sie – nach dem Hören und indem Sie chromatische Vorzeichen ignorieren – die Tonnamen direkt in das Notenbeispiel, die zum Lamentobass gehören: 1) ˙ 15 16 17 An späterer Stelle ist in der Chaconne sowohl der chromatische (2) als auch der diatonische (3) Lamentobass zu hören. Markieren Sie in den den Beispielen die Noten der jeweiligen Lamentobassmodelle: 2) 3) 3 œ 4 œ 3 3 &b 4 œ # n # J ‰ œ œ œœœ œ Œ ‰ œR œ œ œœœ œ ‰ œR n œ œ nœ b œœ# œœ œœ r ‰ # œ 3 &b # n # J ‰ œ œ œœœ œ Œ ‰ œR œ œ œœœ œ ‰ œR n œ œ nœ b œœ# œœ ‰ # œœ œ r œ nœ œ nœ œ# œœ # œ œ œœ 4 R œ# œœ # ‰ œ n nœ œ 4 R ‰ R œ œ R 3 œœœœœœœœœœœœœœœœœ &b4 œœœœœœœœœœœœœœœœbœ 3 œ œœœœœœœœœœœœœœœœœ œ œ &b4 œœœœœœœœœœœœœœœœbœœ œ œ œ œ & b œœœœœœœœœœœœœœœœœ & b œ œœœœœœœœœœœœœœœœœ œ œ œ nœ# œœ œnœ# œœ œ# œnœœ œ œ œ œ œ nœ# œœ œ œ œ œ œ nœ# œœ œ œ œ œ # œnœœ œ œ œ œ Bach gelingt es, dem Lamentobass in der Chaconne immer wieder neue klangliche Varianten abzugewinnen. In Takt 57 der Chaconne zum Beispiel erklingt die folgende Sequenz: 4) & b & b œ j œ œ & b œ j # œœ j œ n j œ n œœ b œ œ œ bœ œ nœœ j œ œ œœ nœ œ œœ j œ j bœœœ œ œœ 14 Ulrich Kaiser – Lamentobass ˙ j j œ œ œ œœ j œ œ j j œ œ œ œ œœ j œ œ j j œ œ œ œ œœœ œœœœ œ œ j # œœ œœœ nœ œ œ œ J œ ˙ nœ œ nœ
Johann Sebastian Bach Notieren Sie in das Hilfssystem unter der Violinstimme (Beispiel 4) an den freien Stellen die Grundtöne der Akkorde, die in der Geige umspielt werden. Die harmonische Bewegung erfolgt immer zur dritten Zählzeit. Die Sequenz ist sehr bekannt und hat deswegen auch einen eigenen Namen bekommen. Der Name ist an der Abfolge der Grundtöne orientiert. Nicht nur in Werken Bachs, sondern in vielen Kompositionen bis zur heutigen Popmusik kann man diese Sequenz (hörend) entdecken. Arnold Schönberg, der 1933 vor den Nationalsozialisten aus Wien flüchten musste und 1951 in Los Angeles starb, gilt als ein Wegbereiter der atonalen Musik. In einem Vortrag, den er kurz vor seinem Tod im Rundfunk hielt, machte er die folgende Bemerkung: Ich pflegte zu sagen: Bach ist der erste Zwölftonkomponist. Hat Arnold Schönberg diese Aussage ernst gemeint? Tatsächlich gibt es Stellen im Werk von Johann Sebastian Bach, wo auf engem Raum sehr viele Töne der zwölftönigen chromatischen Tonleiter vorkommen. In der Chaconne zum Beispiel in den Takten 37 bis 40: 5) &b4 3 œ œ œ œ œ œ œ œ # œ nœ œ œ # œ œ œ nœ # œ œ œ nœ nœ # œ œ nœ & b œ bœ nœ œ # œ œ &b nœ & b œ œ # œ œ bœ œ# œ bœ œ# œ œ œ œ œ nœbœ œ# œ œ nœ # œ œ œ œ # œ œ œ nœ œ # œ œ 18 Überprüfen Sie, ob in dem Beispiel alle 12 Töne der chromatischen Tonleiter vorkommen. Dazu können Sie die Violinstimme lesen und alle dort erklingenden Töne im unteren System durchstreichen. Hören Sie sich anschließend das Notenbeispiel an und überlegen Sie, ob Schönberg seinen Ausspruch ernst gemeint haben könnte. Informieren Sie sich hierzu mithilfe eines Lexikons oder des Internets, woran sich Zwölftonkompositionen erkennen lassen. Eine Höraufgabe für Profis Wenn Sie sich die Notenbeispiele 1–5 mehrmals angehört, die Aufgaben dazu bearbeitet haben und wenn es Ihnen vielleicht sogar schon gelingt, dass Sie sich die Passagen im Kopf vorstellen können, dann sind Sie bereit für die nächste Aufgabe. Aber Achtung, diese Aufgabe ist für Profis und ziemlich schwer. Denn Sie müssen der Chaconne Bachs über einen längeren Zeitraum (6 Minuten und 33 Sekunden) sehr konzentriert zuhören. Und nun die Aufgabe: In dem ersten großen Abschnitt der Chaconne Bachs erklingen die fünf Beispiele, mit denen Sie sich beschäftigt haben. Allerdings erklingen diese Beispiele nicht direkt hintereinander (dazwischen ist immer auch Musik zu hören, die Sie noch nicht kennen) und die Beispiele erklingen in einer anderen Reihenfolge. Versuchen Sie zu erkennen, in welcher Reihenfolge diese Stellen in der Chaconne Bachs erklingen und geben Sie die Reihenfolge durch die entsprechenden Zahlen an: 1 19 Ulrich Kaiser – Lamentobass 15
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