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Der Holznagel im Esslinger Fachwerk - gav-es.de

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Zum 100-jährigen<br />

Jubiläum:<br />

Ausgewählte Stücke<br />

aus unserer<br />

Sammlung<br />

<strong>im</strong> Stadtmuseum<br />

September 2008<br />

<strong>Der</strong> <strong>Holznagel</strong> <strong>im</strong> <strong>Esslinger</strong> <strong>Fachwerk</strong><br />

Mit freundlicher Unterstützung:<br />

G<strong>es</strong>chichts- und<br />

Altertumsverein<br />

Esslingen am Neckar e.V.


<strong>Der</strong> <strong>Holznagel</strong> - seine Rolle <strong>im</strong> mittelalterlichen Holzbau<br />

Holznägel dienen als Elemente zur Fixierung einzelner Bauglie<strong>de</strong>r zu bieg<strong>es</strong>teifen<br />

Verbindungen.<br />

Di<strong>es</strong> betrifft b<strong>es</strong>on<strong>de</strong>rs das Zusammenfügen horizontaler und vertikaler<br />

Bauteile, wie etwa die aufgehen<strong>de</strong>n Pfosten und die liegen<strong>de</strong>n Schwellen mit<br />

diagonal dazu verlaufen<strong>de</strong>n Streben.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Holznagel</strong> b<strong>es</strong>teht aus Hartholz. Er ist, je nach Stärke <strong>de</strong>r zu verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Bauteile 30 – 40 cm lang mit einem Durchm<strong>es</strong>ser von ca. 3 cm.<br />

<strong>Der</strong> Kopf d<strong>es</strong> <strong>Holznagel</strong>s entspricht <strong>de</strong>m quadratischen Querschnitt d<strong>es</strong> Holz<strong>es</strong>,<br />

aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Rundstab abgearbeitet o<strong>de</strong>r gedrechselt wur<strong>de</strong>. Die Verdickung<br />

dient als Fläche für die Hammerschläge mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Nagel in die Bohrlöcher<br />

<strong>de</strong>r Bauhölzer getrieben wird.<br />

Holznägel lösen das Zusammenbin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bauteile mit Rin<strong>de</strong>nstreifen ab. Di<strong>es</strong><br />

hat sich bis heute in <strong>de</strong>n Begriffen „Abbin<strong>de</strong>n“ und „Abbund“ o<strong>de</strong>r „Bund“ <strong>im</strong><br />

<strong>Fachwerk</strong> und Holzbau erhalten.<br />

Die Techniken <strong>de</strong>r Verbindungen <strong>de</strong>r Elemente d<strong>es</strong> <strong>Fachwerk</strong>sbaus stehen in<br />

engem Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Lebensweise und Kultur b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mter Zeiten und<br />

Räume.<br />

Die Verwendung von Holznägeln ist b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt <strong>im</strong> Hausbau <strong>de</strong>r Alamannen<br />

nachweisbar. <strong>Der</strong> Holzbau di<strong>es</strong>er Zeit zeigt noch heute die außergewöhnlichen<br />

Fähigkeiten, insb<strong>es</strong>on<strong>de</strong>re die Qualität <strong>de</strong>r jeweiligen Holzverbindungen.<br />

alamannischer Hocker Rekonstruktion<br />

Originalteile vom Gräberfeld Oberflacht<br />

Alamannische Hofstellen b<strong>es</strong>itzen als Zentrum das eing<strong>es</strong>chossige Langhaus für<br />

Mensch und Tier mit einer Mehrzahl spezieller Nebenbauten. Die Pfosten di<strong>es</strong>er<br />

Gebäu<strong>de</strong> sind zum Teil in <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n eingegraben, womit eine gute Aussteifung<br />

d<strong>es</strong> Gebäud<strong>es</strong> erreicht wird. <strong>Der</strong> Nachteil <strong>de</strong>r Verrottung di<strong>es</strong>er Bauteile wird<br />

dadurch wettgemacht, dass die Gebäu<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n <strong>Holznagel</strong>verbindungen leicht<br />

zu <strong>de</strong>montieren sind.


Mit di<strong>es</strong>en Gebäu<strong>de</strong>n konnte auch umgezogen<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn die Standortvoraussetzungen<br />

für die Ansiedlung nicht mehr<br />

gegeben waren, ein Umstand, welcher für<br />

die germanische Kultur <strong>im</strong> G<strong>es</strong>amten durchaus<br />

Gültigkeit hatte.<br />

Mit <strong>de</strong>r Anlage o<strong>de</strong>r Erweiterung von Städten<br />

für Handwerk, Han<strong>de</strong>l und Verkehr, wie sie<br />

insb<strong>es</strong>on<strong>de</strong>re <strong>im</strong> Falle von Esslingen <strong>im</strong><br />

Zuge <strong>de</strong>r staufischen Hausmachtspolitik<br />

betrieben wur<strong>de</strong>, waren neue Bautypen erfor<strong>de</strong>rlich<br />

gewor<strong>de</strong>n.<br />

alamannisch<strong>es</strong> Langhaus<br />

Rekonstruktionsvorschlag nach H. Dannhe<strong>im</strong>er<br />

Gebäu<strong>de</strong> Webergasse 8,<br />

rekonstruierte Ostansicht mit<br />

selbständig abgez<strong>im</strong>merten Unterstock, 1267<br />

Im Unterschied zum eing<strong>es</strong>chossigen<br />

Langhaus entstand <strong>de</strong>r mehrg<strong>es</strong>chossige<br />

Baut. Mit <strong>de</strong>n Arbeits-, Lager- und<br />

Han<strong>de</strong>lsflächen in <strong>de</strong>r Erdg<strong>es</strong>chosszone<br />

an <strong>de</strong>r Straße und <strong>de</strong>m Wohnen in <strong>de</strong>n<br />

Oberg<strong>es</strong>chossen sowie <strong>de</strong>n Lagerflächen<br />

<strong>im</strong> Dachraum wur<strong>de</strong> man <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

d<strong>es</strong> neuen Stadtlebens gerecht.<br />

Eine Familie lebte als Produktionsgemeinschaft<br />

in einem Gebäu<strong>de</strong>.<br />

Baulich wur<strong>de</strong>n di<strong>es</strong>e raschen Umwälzungen<br />

zum Teil mit g<strong>es</strong>chossübergreifen<strong>de</strong>n<br />

Konstruktionen mit <strong>Holznagel</strong>verbindungen<br />

als Elemente <strong>de</strong>r Aussteifung<br />

bewältigt.<br />

<strong>Der</strong> durchaus gegebene Holzreichtum di<strong>es</strong>er Zeit<br />

ermöglichte die Verarbeitung langer Bauglie<strong>de</strong>r,<br />

womit auf <strong>de</strong>r Grundlage alemannisch-fränkischer<br />

Bautechnik schnell und effektiv die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Bauten hochgezogen wur<strong>de</strong>n.<br />

Die prosperieren<strong>de</strong>n Städte führten zu ausge<strong>de</strong>hnten<br />

Rodungsflächen für Korn, da di<strong>es</strong><strong>es</strong> die Haupternährungsbasis<br />

di<strong>es</strong>er Zeit war. Ohne entwickelte<br />

Holzwirtschaft brachte di<strong>es</strong> eine Verknappung d<strong>es</strong><br />

Bauholz<strong>es</strong>. Die Folge war, die Notwendigkeit <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung neuer Bau- und Verbindungstechniken.<br />

1422 zeigt sich mit <strong>de</strong>r Errichtung d<strong>es</strong> Alten Rathaus<strong>es</strong><br />

ein früher, stockwerksweiser Abbund als<br />

bautechnische Antwort auf die einsetzen<strong>de</strong> Holzverknappung.<br />

Gleichzeitig wer<strong>de</strong>n die früher stockwerksübergreifen<strong>de</strong>n<br />

o<strong>de</strong>r stockwerkshohen<br />

Alt<strong>es</strong> Rathaus, Südseite<br />

Diagonalverbän<strong>de</strong>, Schwerter o<strong>de</strong>r Bän<strong>de</strong>r, durch Fuß- und Kopfstreben, angeblattet<br />

mit Holznägeln, ersetzt. <strong>Der</strong> Wunsch <strong>de</strong>r Intensivierung <strong>de</strong>r Belichtung<br />

<strong>de</strong>r Innenräume bedingte zu<strong>de</strong>m di<strong>es</strong>e konstruktiven Verän<strong>de</strong>rungen. Daneben<br />

setzte sich eine auf Bautechnik und statische Funktion bedingte Ordnung durch


<strong>im</strong> Sinne einer Ästhetisierung <strong>de</strong>r Erscheinung <strong>de</strong>r Fassa<strong>de</strong>. Die Holznägel spielten<br />

damit als hervorstehen<strong>de</strong> Elemente eine erkennbare Rolle. Was heute nicht<br />

mehr <strong>de</strong>utlich wird, konstruktiv aber durchaus zeitnah war, ist <strong>de</strong>r Hinweis auf<br />

die Demontierbarkeit <strong>de</strong>r Konstruktion, welche durch das Geflecht <strong>de</strong>r<br />

Holznägel erkennbar wird.<br />

Mit <strong>de</strong>m „Anblatten“ <strong>de</strong>r zahlreichen<br />

Streben erfolgt eine Min<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r statischen Tragfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r zu verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bauteile.<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Anblattung<br />

mit Holznägeln<br />

Konstruktion mit Verzapfungen<br />

<strong>Der</strong> zunehmen<strong>de</strong> Mangel an<br />

Bauholz, <strong>de</strong>m selbst ein ausge<strong>de</strong>hnt<strong>es</strong><br />

Beför<strong>de</strong>rungsw<strong>es</strong>en mit<br />

Flößen nicht abhelfen konnte,<br />

setzt insb<strong>es</strong>on<strong>de</strong>re an di<strong>es</strong>er<br />

Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Tragfähigkeit an.<br />

Die neue Technik d<strong>es</strong> „Verzapfens“ löst das „Anblatten“ <strong>de</strong>r Streben ab. Hierbei<br />

wird die volle Tragfähigkeit <strong>de</strong>r Holzquerschnitte erhalten. Mit <strong>de</strong>r württembergischen<br />

Bauordnung von 1585 wird folgerichtig di<strong>es</strong><strong>es</strong> Anblatten zugunsten d<strong>es</strong><br />

Verzapfens untersagt. D<strong>es</strong> weiteren wird darauf hingewi<strong>es</strong>en, auf das Umziehen<br />

mit Gebäu<strong>de</strong>n zu verzichten. Di<strong>es</strong> be<strong>de</strong>utet, die Gebäu<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n ab di<strong>es</strong>er Zeit<br />

standortgebun<strong>de</strong>n, die Architektur beweglicher Bauten tritt dabei zunehmend<br />

zurück.<br />

Am Kielmeyer-Haus tritt <strong>de</strong>r <strong>Holznagel</strong>,<br />

reduziert auf einen Holzstift<br />

zur Aufnahme <strong>de</strong>r Zugkräfte an <strong>de</strong>n<br />

Verzapfungen ästhetisch zurück<br />

zugunsten <strong>de</strong>r ornamentalen G<strong>es</strong>talt<br />

<strong>de</strong>r Fassa<strong>de</strong> und zur Symbolisierung<br />

von Elementen d<strong>es</strong> Steinbaus<br />

in Holz. Di<strong>es</strong> wird in <strong>de</strong>r Folgezeit<br />

d<strong>es</strong> Holzbaus so bleiben und markiert<br />

damit das „En<strong>de</strong>“ <strong>de</strong>r Verwendung<br />

d<strong>es</strong> <strong>Holznagel</strong>s.<br />

Kielmeyer-Haus am Marktplatz<br />

ehemals Spitalkeller, 1582<br />

Das technische Prinzip d<strong>es</strong> <strong>Holznagel</strong>s<br />

wird fortgeführt in <strong>de</strong>r<br />

Schraube, <strong>de</strong>m Stift, <strong>de</strong>m Stahlbolzen<br />

und an<strong>de</strong>ren Elementen<br />

mehr. Das konstruktive W<strong>es</strong>en d<strong>es</strong><br />

<strong>Holznagel</strong>s hat sich bis heute be<strong>im</strong><br />

Bau flexibler und multifunktionaler<br />

Bauten und Konstruktionen erhalten.<br />

Dr. Peter Hövelborn

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