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D 8512<br />

51. Jahrgang Nr. 44 Montag, 9. November 2015<br />

Im November 1955 stellt die Bundesrepublik ihre Streitkräfte auf.<br />

Wo steht die Bundeswehr heute?<br />

Ein aktuell-Schwerpunkt auf 12 Seiten.<br />

aktuell@bundeswehr.org


2 aktuell INTERN 9. November 2015<br />

BILD DER WOCHE<br />

Mit Angel an Bord von U-Boot S 171: Das U-Boot zählte ursprünglich zur Flotte der Kriegsmarine und wurde im Mai 1945 von seiner Besatzung versenkt. Elf Jahre später<br />

konnte es gehoben und überholt werden. Die Indienststellung als „U-Hecht“ bei der Bundesmarine erfolgte im Jahr 1958. Das Bild auf der Titelseite stammt aus dem Jahr<br />

1962 und zeigt Feldjäger in Rheinbach in Nordrhein-Westfalen. Mehr Eindrücke aus 60 Jahren Bundeswehr auf den Seiten 6/7.<br />

Foto: Siwik/Bundeswehr<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:<br />

Bundesministerium der Verteidigung<br />

Presse- und Informationsstab<br />

Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin<br />

Redaktionsanschrift:<br />

Redaktion der Bundeswehr<br />

Bundeswehr aktuell<br />

Reinhardtstraße 52, 10117 Berlin<br />

Telefon: (0 30) 886 228 - App.<br />

Fax: (0 30) 886 228 - 20 65, BwFw 88 41<br />

E-Mail: aktuell@bundeswehr.org<br />

Leitender Redakteur ( -2421):<br />

Vivien-Marie Bettex (vmd)<br />

Vertreter ( -2420)<br />

Hauptmann Patricia Franke (pfr)<br />

Politik: (-2830)<br />

Jörg Fleischer (jf)<br />

Streitkräfte/Einsatz:<br />

Oberstleutnant Torsten Sandfuchs-Hartwig (tsh,<br />

-2860), Major Anika Wenzel (akw), Major Peter<br />

Mielewczyk (pm, - 2820), Kapitänleutnant Victoria<br />

Kietzmann (kie)<br />

Sport/Vermischtes/Militärgeschichte:<br />

Björn Lenz (ble -2840), Regierungsamtmann Stefan<br />

Rentzsch (sr), Gabriele Vietze (vie), Christiane<br />

Tiemann (tie -2850), Ulrike Jenssen (uje)<br />

Mediendesign:<br />

Daniela Hebbel ( - 2650), Sebastian Nothing,<br />

Daniela Prochaska, Eva Pfaender<br />

aktuell als E-Paper und im pdf-Format:<br />

Auf www.bundeswehr.de abrufbar<br />

Satz:<br />

Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz<br />

und Dienstleistungen der Bundeswehr,<br />

DL I 4 Zentraldruckerei BAIUDBw<br />

Intranet: http://zentraldruckerei.iud<br />

Druck:<br />

Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH<br />

Kurhessenstr. 4-6, 64546 Mörfelden-Walldorf<br />

Erscheinungsweise:<br />

Wöchentlich montags<br />

Auflage:<br />

45000 Exemplare<br />

Verteilung innerhalb der Bundeswehr:<br />

Fachinformationsstelle (FISt)/Bibl. ZInfoA<br />

Prötzeler Chaussee 20, 15344 Strausberg<br />

Telefon: (030) 886 228 - 2670<br />

E-Mail: RedaktionBwMediendisposition@<br />

bundeswehr.org<br />

ISSN: 1618-9086<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Filme,<br />

Fotos und Zeichnungen wird keine Gewähr übernommen.<br />

Namensbeiträge geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder. Sie entsprechen nicht unbedingt der<br />

Auffassung der Redaktion oder des BMVg. Nachdruck<br />

nur mit Genehmigung der Redaktion. Leserbriefe<br />

per E-Mail werden nur mit wirklichem Namen<br />

und Adresse berücksichtigt, außerdem behält sich die<br />

Redaktion das Recht auf Kürzung vor.<br />

ZITAT<br />

„Die wachsame Bewahrung der Freiheit ist eine<br />

gemeinsame Aufgabe aller Staatsbürger.“<br />

Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer während einer<br />

Ansprache vor der ersten Einheit der Bundeswehr im Januar 1956.<br />

KALENDERBLATT<br />

Vor 60 Jahren: Am 5. Mai 1955 treten die Pariser Verträge in Kraft.<br />

Sie bestimmen den völkerrechtlichen Rahmen für die äußeren Beziehungen<br />

der Bundesrepublik Deutschland. Sie schaffen so die Grundlage<br />

für die Wiedererlangung weitgehender Souveränität – und sind<br />

somit Voraussetzung für die Aufstellung nationaler Streitkräfte.<br />

Vor 60 Jahren: Am 9. Mai 1955 tritt die Bundesrepublik der North<br />

Atlantic Treaty Organization (NATO) bei. Diese hält die Reichweite<br />

militärischer Eigenständigkeit beschränkt. Als Reaktion auf die Aufnahme<br />

der Bundesrepublik in die NATO schließen acht damalige<br />

Ostblockstaaten, darunter die Sowjetunion, die DDR und Polen,<br />

ihrerseits einen militärischen Beistandsvertrag: den Warschauer Pakt.<br />

Vor 60 Jahren: Am 7. Juni 1955 wird aus der „Dienststelle Blank“<br />

das Bundesministerium für Verteidigung (später: Bundesministerium<br />

der Verteidigung). Die Dienststelle war seit 1950 mit Verteidigungsfragen<br />

befasst. Ihr Leiter Theodor Blank wird der erste Verteidigungsminister.<br />

Zuvor hieß er noch „Bevollmächtigter des Bundeskanzlers für<br />

die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammen hängenden<br />

Fragen“.<br />

Vor 60 Jahren: Am 12. November 1955 werden in der Bundesrepublik<br />

Deutschland die ersten 101 Freiwilligen zu Soldaten ernannt.<br />

Erst ab dem 1. April 1956 werden diese Streitkräfte den Namen „Bundeswehr“<br />

tragen. Weitere drei Monate später wird aus der Freiwilligen-<br />

eine Wehrpflichtarmee.<br />

(eb)<br />

EDITORIAL<br />

60 Jahre Bundeswehr – für mich<br />

vor allem ein Anlass, nach vorn<br />

zu schauen.<br />

Welche Aufgaben liegen jetzt<br />

vor den Streitkräften? Die Entwicklungen<br />

in dieser Welt werden<br />

die Bundeswehr in ihrem<br />

siebten Jahrzehnt sehr fordern.<br />

Das ist jetzt schon absehbar.<br />

„Stillgestanden“ ist keine<br />

Option.<br />

In vielen Teilen der Welt<br />

dominieren Leid, Armut und<br />

Konflikte. Klar ist: Die Auswirkungen<br />

gehen nicht an uns vorbei,<br />

nicht an Europa und nicht<br />

an Deutschland. Als Mensch und<br />

als Soldat spüre ich eine Verpflichtung<br />

zu helfen.<br />

Doch ich weiß: Sich dieser<br />

Verantwortung zu stellen, das<br />

ist leichter gesagt als getan. In<br />

Afghanistan bin ich als Soldat<br />

einer Schutzkompanie im Jahr<br />

2013 in Kundus in einen Hinterhalt<br />

geraten: Sprengfallen,<br />

Raketen, Verwundete. Staub,<br />

Schmutz, Schweiß – und das<br />

Gefühl von Ungewissheit.<br />

Wir haben alle überlebt, an diesem<br />

Tag, der einfach nicht enden<br />

wollte.<br />

Andere Kameraden hatten<br />

nicht so viel Glück. Tod und<br />

Verwundung zählen zur bitteren<br />

Realität des Soldatseins.<br />

Darüber hat der ehemalige<br />

Befehlshaber des Einsatzführungskommandos,<br />

Generalleutnant<br />

Hans-Werner Fritz,<br />

mit aktuell im Interview<br />

gesprochen. (Seite 5). „Ich<br />

habe mich nie daran gewöhnt<br />

und werde mich auch nie daran<br />

gewöhnen können“, sagt Fritz.<br />

Und: „Wir mussten lernen damit<br />

umzugehen, denn am Ende<br />

musste es weitergehen.“<br />

Die Erfahrungen aus Kundus<br />

haben mich geprägt. Meine<br />

Überzeugung aber bleibt. Als<br />

Soldat möchte ich einem Land<br />

dienen, das Verantwortung<br />

übernimmt. Ich will zur Stelle<br />

sein, genau dort, wo man mich<br />

braucht.<br />

Stabsgefreiter Sebastian Ahlberg,<br />

Redaktion der Bundeswehr


9. November 2015 MINISTERIUM / HINTERGRUND aktuell 3<br />

Die Bundeswehr ist ein Prototyp<br />

Bundestagspräsident Lammert sieht das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform tief in der Gesellschaft verankert.<br />

Berlin. 60 Jahre Bundeswehr,<br />

das sind auch 60 Jahre Parlamentsarmee<br />

– und wer sonst als<br />

der Bundestagspräsident könnte<br />

dazu die richtigen Worte finden.<br />

Die Redaktion der Bundeswehr<br />

hat mit Norbert Lammert das<br />

folgende Interview geführt.<br />

Herr Bundestagspräsident, haben<br />

unsere Soldaten mehr gesellschaftliche<br />

Anerkennung verdient?<br />

In meiner Wahrnehmung<br />

genießt die Bundeswehr großes<br />

Vertrauen und auch beachtliche<br />

Zustimmung in der Bevölkerung,<br />

was auch Untersuchungen des<br />

Sozialwissenschaftlichen Instituts<br />

der Bundeswehr sowie<br />

diverse Umfragen zeigen. Tatsächlich<br />

nehmen Bürgerinnen<br />

und Bürger in der Mehrheit eine<br />

wohlwollende Haltung zur Bundeswehr<br />

ein – rund drei Viertel<br />

der Befragten sind der Meinung,<br />

dass die Bundeswehr wichtig<br />

ist und zentrale Werte unserer<br />

Gesellschaft verkörpert. Es<br />

wäre schade, wenn der gesellschaftliche<br />

Rückhalt kleiner<br />

geredet wird, als er tatsächlich<br />

ist. Allerdings sind unsere Kultur<br />

der Trauer um die Gefallenen<br />

und der gesellschaftliche<br />

Umgang mit nach gefährlichen<br />

Auslandseinsätzen traumatisierten<br />

Soldaten und ihren Angehörigen<br />

möglicherweise noch<br />

nicht genug ausgeprägt. Aber<br />

auch das ändert sich allmählich<br />

– wie zum Beispiel die Einrichtung<br />

der Gedenkstätte im „Wald<br />

der Erinnerung“ bei Potsdam<br />

zeigt. In diesem Zusammenhang<br />

freut es mich besonders,<br />

dass das Ehrenmal im Bendlerblock<br />

um ein Informationszentrum<br />

erweitert wird.<br />

Die offizielle Geburtsstunde der<br />

Bundeswehr schlägt vor 60 Jahren<br />

am 12. November 1955. Was<br />

verbinden Sie ganz persönlich<br />

mit diesem Geburtstag unserer<br />

Streitkräfte?<br />

Bundestagspräsident Norbert Lammert ist überzeugt: Auf die Bundeswehr ist Verlass.<br />

Um den 12. November 1955<br />

hatte ich eher meinem siebten<br />

Geburtstag entgegen gefiebert;<br />

insofern sind meine persönlichen<br />

Erinnerungen an dieses<br />

historische Ereignis verständlicherweise<br />

eher vage. Zwölf<br />

Jahre später habe ich allerdings<br />

meinen Wehrdienst bei der Artillerietruppe<br />

in Ahlen und Dülmen<br />

geleistet – und dies war für mich<br />

eine prägende Zeit mit praktischen<br />

Erfahrungen, die mir auch<br />

im politischen Leben gelegentlich<br />

nützlich waren und sind.<br />

Welche historische Bedeutung<br />

hat die Parlamentsarmee Bundeswehr<br />

für Sie?<br />

Die Bundeswehr als Parlamentsarmee<br />

ist ja gewissermaßen<br />

ein Prototyp, denn es gibt<br />

weltweit kein zweites Beispiel<br />

für eine derartige parlamentarische<br />

Verankerung einer Armee<br />

in einem demokratischen Staat.<br />

Sie ist natürlich in dieser Form<br />

„als Kind des Kalten Krieges“ in<br />

einer ganz konkreten politischen<br />

innerdeutschen und internationalen<br />

Konstellation und vor dem<br />

Hintergrund der jüngsten deutschen<br />

Geschichte entstanden.<br />

Dass sich in Deutschland der<br />

Begriff „Parlamentsarmee“ eingebürgert<br />

hat, ist mehr als ein<br />

zufälliger Sprachgebrauch, sondern<br />

macht die enge vom Bundesverfassungsgericht<br />

ausdrücklich<br />

bekräftigte Verbindung<br />

von Bundeswehr und Bundestag<br />

deutlich. Denn das Parlament<br />

entscheidet über die Fragen,<br />

ob überhaupt und wenn<br />

ja, wo und wie lange, wie viele<br />

deutsche Soldaten, mit welchem<br />

Auftrag irgendwo in der Welt<br />

aktiv werden. Dies alles steht<br />

unter Parlamentsvorbehalt bis<br />

hin zu der gesetzlichen Regelung,<br />

dass im Ausland eingesetzte<br />

Soldaten auf Entscheidung<br />

des Parlaments jederzeit<br />

zurückgeholt werden können.<br />

Der Deutsche Bundestag ist sich<br />

dabei seiner Verantwortung für<br />

unsere Soldatinnen und Soldaten<br />

ganz besonders und ausdrücklich<br />

bewusst.<br />

60 Jahre Bundeswehr – welche<br />

wichtigen parlamentarischen<br />

Wegmarken fallen Ihnen zu<br />

diesem Jubiläum ein?<br />

NATO-Doppelbeschluss, die<br />

Wiedervereinigung, Auslandseinsätze,<br />

Aussetzung der Wehrpflicht!<br />

Welchen Stellenwert haben<br />

aus Ihrer langen Parlamentserfahrung<br />

heraus die Themen<br />

Bundeswehr, Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik im Tagesgeschäft<br />

des Bundestages?<br />

Der hohe Stellenwert der Bundeswehr<br />

und der Sicherheitspolitik<br />

im Bundestag lässt sich<br />

schon daran ermessen, dass der<br />

Verteidigungsausschuss zu den<br />

wenigen Ausschüssen mit Verfassungsrang<br />

gehört. Das Grundgesetz<br />

schreibt seine Einrichtung<br />

im Artikel 45a zwingend<br />

vor. Auch das Amt des Wehrbeauftragten,<br />

der im Auftrag des<br />

Parlaments handelt und jährlich<br />

einen Bericht über die aktuellen<br />

Entwicklungen und Probleme in<br />

der Bundeswehr vorlegt, zeigt,<br />

wie wichtig diese Themen für die<br />

Legislative sind. Und wenn Sie<br />

einen statistischen Blick in die<br />

Tagesordnungen des Bundestages<br />

werfen, werden Sie beeindruckende<br />

Zahlen entdecken: Die<br />

Bundeswehr war allein seit 1990<br />

Gegenstand von 402 parlamentarischen<br />

Anträgen, 110 Gesetzesvorlagen<br />

und 39 Regierungserklärungen<br />

– und das ist nur ein<br />

Ausschnitt der Bundestagsbefassungen<br />

in diesem Bereich...<br />

Foto: imago<br />

Unsere Soldaten verstehen sich<br />

als Staatsbürger in Uniform, wie<br />

definieren Sie die Rolle der Bundeswehr<br />

in der Gesellschaft?<br />

Das Leitbild des „Staatsbürgers<br />

in Uniform“ – bei der<br />

Gründung der Bundeswehr<br />

keinesfalls unumstritten – ist<br />

heute, auch nach der Aussetzung<br />

der Wehrpflicht, tief in<br />

der Gesellschaft verankert und<br />

zeigt damit, dass unsere Armee<br />

inzwischen ein wichtiger und<br />

selbstverständlicher Bestandteil<br />

unseres Staates ist.<br />

Welche Impulse hat aus Ihrer<br />

Sicht die Armee der Einheit<br />

unserem Land gegeben?<br />

Es war ein außergewöhnlicher<br />

Kraftakt, den die Bundeswehr<br />

auf dem Weg zur „Armee der<br />

Einheit“ stemmen musste. Dass<br />

es dabei gelungen ist, eine komplette,<br />

hochgerüstete Armee der<br />

früheren DDR beinahe geräuschlos<br />

aufzulösen und teilweise in die<br />

Bundeswehr zu integrieren – und<br />

dies bei Anwesenheit von Zigtausenden<br />

Soldaten einer im eigenen<br />

Land stationierten Besatzungsarmee<br />

– ist in der Geschichte beispiellos.<br />

Die Bundeswehr hat aus<br />

meiner Sicht am schnellsten die<br />

innere Einheit vollzogen und ist<br />

damit ein ermutigendes Beispiel<br />

für die ganze Gesellschaft.<br />

Was möchten Sie der Bundeswehr<br />

für die nächsten 60 Jahre<br />

mit auf den Weg geben?<br />

Die Soldatinnen und Soldaten<br />

der Bundeswehr können sich<br />

ebenso auf das Parlament verlassen,<br />

wie der Bundestag sich auf<br />

die Bundeswehr verlassen kann.<br />

Die Fragen stellte Jörg Fleischer.<br />

Das vollständige Interview<br />

lesen Sie auf<br />

www.bundeswehr.de.<br />

60 Jahre Bundeswehr: So wird in dieser Woche gefeiert<br />

Berlin. Start in die Festwoche „60 Jahre<br />

Bundeswehr“: Das Programm zum<br />

60. Geburtstag unserer Streitkräfte beginnt<br />

an diesem Montag.<br />

Zu 60 Jahren Bundeswehr gehören auch<br />

25 Jahre Armee der Einheit. Aus diesem<br />

Anlass wird bei der Panzergrenadierbrigade<br />

37 im thüringischen Bad Salzungen<br />

ein feierliches Gelöbnis von rund 200<br />

Rekruten stattfinden. Das erste Gelöbnis<br />

nach der Wiedervereinigung vor 25 Jahren<br />

fand in Bad Salzungen statt. Verteidigungsministerin<br />

Ursula von der Leyen<br />

wird die Festrede vor Soldaten, Angehörigen<br />

und Gästen aus Politik und<br />

Gesellschaft halten.<br />

An diesem Mittwoch findet<br />

aus Anlass des Jubiläums<br />

der „Runde Tisch für die Menschen<br />

der Bundeswehr“ statt.<br />

Dabei soll es in Anwesenheit der<br />

Ministerin um die gesellschaftliche<br />

Wertschätzung der Soldaten<br />

sowie die Verankerung der<br />

Bundeswehr in der Gesellschaft<br />

gehen. Zu dieser Veranstaltung<br />

im Verteidigungsministerium in Berlin,<br />

die in Kooperation mit dem ehemaligen<br />

Wehrbeauftragten des Deutschen<br />

Bundestages, Reinhold<br />

Robbe, stattfindet, werden rund<br />

30 ausgewählte Führungspersönlichkeiten<br />

aus Wirtschaft<br />

und Gesellschaft erwartet. Ebenfalls<br />

an diesem Mittwoch wird<br />

vor dem Reichstag der Große<br />

Zapfenstreich anlässlich des 60.<br />

Geburtstages der Bundeswehr<br />

stattfinden. Neben Bundespräsident<br />

Joachim Gauck, Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel und Abgeordneten<br />

des Deutschen Bundestages werden<br />

3400 geladene Gäste erwartet. Die Ansprache<br />

hält die Ministerin, Bundestagspräsident<br />

Norbert Lammert die Festrede.<br />

Das Parlament wird an diesem Donnerstag<br />

aus Anlass des Tages der Geburtsstunde<br />

der Bundeswehr vor 60 Jahren eine<br />

Plenardebatte abhalten. „Das Zeitzeugenforum<br />

60 Jahre Bundeswehr“ bietet ebenfalls<br />

an diesem Tag einen Rückblick und<br />

Ausblick zugleich. Die Ministerin wird<br />

zu dieser Veranstaltung des Bundeswehr-<br />

Verbandes und des Zentrums für Militärgeschichte<br />

und Sozialwissenschaften der<br />

Bundeswehr erwartet.<br />

(jf)


4 aktuell POLITIK / HINTERGRUND 9. November 2015<br />

von Patricia Franke, Simon<br />

Klingert und Burghard Lindhorst<br />

Santa Margarida. Als 36 000<br />

Soldaten aus 37 Nationen in den<br />

vergangenen Wochen die größte<br />

NATO-Übung des vergangenen<br />

Jahrzehnts bewältigten, demonstrierte<br />

die Bundes wehr im<br />

60. Jahr ihres Bestehens Präsenz.<br />

Keine Nation hatte mehr Soldaten<br />

zu „Trident Juncture“<br />

geschickt. Insgesamt nahmen<br />

3000 Bundeswehrsoldaten an<br />

der Übung in Portugal, Spanien<br />

und Italien teil.<br />

Das Szenario von „Trident<br />

Juncture“ ist symbolhaft für die<br />

Herausforderungen, vor denen<br />

die Bundeswehr jetzt steht.<br />

Es geht um komplexe hybride<br />

Szenarien und die Zusammenarbeit<br />

mit Partnernationen über<br />

große Distanzen hinweg. Heer,<br />

Luftwaffe und Marine müssen<br />

zusammenwirken. Die Ausgangssituation:<br />

der Kampf um<br />

Trinkwasser und natürliche Ressourcen.<br />

Neue strategische<br />

Herausforderung<br />

Mittendrin<br />

Die Entwicklung der Bundeswehr wird beim NATO-Manöver „Trident Juncture“ sichtbar.<br />

Gemeinsam mit rund 3000 deutschen Soldaten bei „Trident Juncture“: Zwei Gebirgsjäger beim Manöver in San Gregorio, Spanien.<br />

Experten stufen das Szenario<br />

als sehr realistisch ein. „Ohne<br />

zu deutlich auf einen bestimmten<br />

Gegner gerichtet zu sein, spiegeln<br />

die Szenarien doch die gegenwärtigen<br />

Krisen am Rande der<br />

NATO wider, denen sich das<br />

Bündnis durch Russland in der<br />

Ostukraine, den sogenannten<br />

Islamischen Staat in Syrien oder<br />

zerfallende Staaten und Massenflucht<br />

im Mittelmeerraum ausgesetzt<br />

sehen“, sagt Sebastian<br />

Feyock, Experte für Sicherheitspolitik<br />

bei der Deutschen Gesellschaft<br />

für Auswärtige<br />

Politik.<br />

Die NATO<br />

befindet sich in<br />

einer formativen<br />

Phase. „Die Allianz<br />

stehe vor<br />

neuen strategischen<br />

Herausforderungen<br />

im Osten<br />

und Süden“, sagt<br />

NATO-Generalsekretär Jens<br />

Stoltenberg. „Adaptivity by<br />

design“ heißt das Schlagwort. Die<br />

NATO will sich strukturell so aufstellen,<br />

dass sie nicht nur auf die<br />

existierenden, sondern auch auf<br />

künftige Herausforderungen rasch<br />

und angemessen reagieren kann.<br />

Immer zur Stelle<br />

Die Erwartung an die Deutschen,<br />

vor allem von US-amerikanischer<br />

Seite, in diesem Zusammenhang:<br />

Sie sollen sich<br />

noch deutlicher<br />

zu ihrer sicherheitspolitischen<br />

Führungsrolle in<br />

Europa bekennen.<br />

Deutschland<br />

reagiert. Gemeinsam<br />

mit den Niederlanden<br />

ist es<br />

Rahmennation der<br />

derzeitigen Interim-VJTF – der<br />

„Very High Readiness Joint Task<br />

Force“. Diese Speerspitze wurde<br />

beim NATO-Gipfel in Wales<br />

2014 beschlossen. Für 2019 hat<br />

Deutschland erneut Bereitschaft<br />

bekundet, diese Führungsrolle zu<br />

übernehmen.<br />

Überflutung, Schneechaos, Flüchtlinge – die Bundeswehr ist vor Ort.<br />

Viel Anerkennung bei<br />

„Trident Juncture“<br />

Bei „Trident Juncture“ gibt<br />

es viel Anerkennung für die<br />

Leistungen der deutschen Soldaten<br />

– und zwar auch auf der<br />

ganz praktischen Ebene. In nur<br />

24 Minuten hatten Pioniere aus<br />

Minden mit Schwimmschnellbrücken<br />

die 200 Meter weite<br />

Distanz über den Fluß Tejo überwunden.<br />

Rekordzeit. Kanadische<br />

Soldaten aus Québec zeigten<br />

sich beeindruckt. So beeindruckt,<br />

dass die Brücke seither<br />

das Titelbild der Facebook-Seite<br />

der 5. Mechanisierten Brigade<br />

(5e Groupe-brigade mécanisé<br />

du Canada) ziert.<br />

Facebook: Das Hintergrundbild der kanadischen Brigade.<br />

Foto: Markus/Bundeswehr<br />

Foto: Facebook<br />

Berlin. Das Wasser kam über<br />

Nacht und riss die Menschen<br />

förmlich aus dem Schlaf in den<br />

Tod – bis heute gilt die Hamburger<br />

Sturmflut vom 17. Februar<br />

1962 als eine der schlimmsten<br />

deutschen Naturkatastrophen.<br />

350 Menschen starben, mehr<br />

als 60 000 waren tagelang vom<br />

Wasser eingeschnitten, 15 000<br />

waren anschließend obdachlos.<br />

Die Folgen dieser Naturgewalt<br />

wären nicht auszudenken<br />

gewesen, wenn der damalige<br />

Hamburger Innensenator und<br />

spätere Bundeskanzler Helmut<br />

Schmidt bei der Bewältigung der<br />

Katastrophe auf den Einsatz der<br />

Bundeswehr verzichtet hätte, weil<br />

Zweifel bestanden, ob er damit<br />

seine Kompetenzen überschreitet.<br />

Der kriegsgediente ehemalige<br />

Offizier scherte sich nicht um<br />

Verwaltungsvorschriften, er entschied<br />

einfach. Und die angesprochenen<br />

Kommandeure vor Ort<br />

handelten. Mehr als 40 000 Soldaten<br />

waren im Einsatz. Bis heute<br />

gilt die Flut von Hamburg als der<br />

erste große Katastropheneinsatz<br />

der Bundeswehr.<br />

Geholfen hat die Bundeswehr<br />

im In- und Ausland von<br />

Beginn an. Denn seit jeher verfügt<br />

die Truppe über die technische<br />

Ausrüstung und vor allem<br />

auch über die nötige Personalstärke,<br />

die kurzfristig zum Einsatz<br />

kommen kann.<br />

Seit August dieses Jahres gilt<br />

das für das Flüchtlingsdrama<br />

gleichermaßen. Auch wenn<br />

die Soldaten mit dieser Form<br />

humanitären Elends bisher<br />

nicht konfrontiert waren. „Wir<br />

schaffen das“, wird Kanzlerin<br />

Angela Merkel nicht müde zu<br />

betonen, wenn es um die Flüchtlingskrise<br />

geht. Ähnliches verkündet<br />

Verteidigungsministerin<br />

Ursula von der Leyen in den vergangenen<br />

Wochen, wenn sie die<br />

Soldaten vor Ort besucht.<br />

Angefangen hat der Hilfseinsatz<br />

mit der Bereitstellung von<br />

Unterkünften in einem Dutzend<br />

Kasernen. Ein Vierteljahr später<br />

sind die „Helfenden Hände“ an<br />

mehr als 70 Standorten im Einsatz<br />

– bauen Zelte auf, geben Verpflegung<br />

aus und leisten vieles<br />

mehr. Ein Ende ist nicht absehbar.<br />

„Die Flüchtlingshilfe wird<br />

zu einer wichtigen zusätzlichen<br />

Aufgabe für die Soldatinnen und<br />

Soldaten der Bundeswehr“, sagte<br />

die Verteidigungsministerin vergangene<br />

Woche. Die Erfahrungen<br />

aus den Auslandseinsätzen<br />

2015: Flüchtlingshilfe – Zeltstadt in Doberlug-Kirchhain.<br />

1962: Flutkatastrophe Hamburg – Helfer retten Menschen.<br />

in den vielen Krisenregionen dieser<br />

Welt erweisen sich dabei einmal<br />

mehr als nützlich. Auf die<br />

Truppe ist im Katastrophenfall<br />

Verlass, das wissen die Politiker,<br />

das wissen aber vor allem auch<br />

die Menschen in Deutschland und<br />

der Welt.<br />

(tsh)<br />

Foto: Bundeswwehr (2)


9. November 2015 EINSATZ / BUNDESWEHR aktuell 5<br />

„Das scharfe Ende unseres Berufs“<br />

Der Umgang mit dem Tod: Generalleutnant Fritz spricht über persönliche Erfahrungen und ein ganz besonderes Bild.<br />

von Victoria Kietzmann und<br />

Alexander Strauß<br />

Potsdam. Der „Wald der Erinnerung“<br />

in der Henning-von-<br />

Tresckow-Kaserne ist ein Ort<br />

des Gedenkens. Sein einjähriges<br />

Bestehen fällt in diesem Jahr auf<br />

den Volkstrauertag. Einem der<br />

sogenannten stillen Tage, an dem<br />

der Kriegstoten sowie der Opfer<br />

von Gewaltherrschaft aller Nationen<br />

gedacht wird. Aber auch<br />

das Jubiläum zum 60-jährigen<br />

Bestehen der Bundeswehr fällt<br />

in diese Kalenderwoche. In den<br />

vergangenen sechs Jahrzehnten<br />

musste sich die Bundeswehr<br />

immer wieder den sicherheitspolitischen<br />

Entwicklungen anpassen.<br />

So sind Auslandseinsätze<br />

heute ein fester Bestandteil deutscher<br />

Sicherheitspolitik. Doch<br />

Einsätze bedeuten auch Risiken<br />

für Leib und Leben. Und auch<br />

der Umgang mit dem Tod forderte<br />

einen Lernprozess von allen<br />

Beteiligten: für die Soldaten, für<br />

Angehörige, für die Politik und<br />

für die Bevölkerung. Der „Wald<br />

der Erinnerung“ soll all jenen das<br />

offizielle Gedenken oder individuelle<br />

Trauern ermöglichen.<br />

An diesem Ort sprach Major<br />

Alexander Strauß für die aktuell<br />

mit dem ehemaligen Befehlshaber<br />

des Einsatzführungskommandos<br />

der Bundeswehr,<br />

Generalleutnant Hans-Werner<br />

Fritz, über den Umgang mit Tod<br />

und Verwundung.<br />

Sie waren während Ihrer Zeit<br />

als Kommandeur des damaligen<br />

Regionalkommandos<br />

Nord in Afghanistan mit Tod<br />

und Verwundung konfrontiert.<br />

Ist das etwas, an das man sich<br />

gewöhnen kann?<br />

Ein ganz besonderes Bild (l.): Im Gespräch mit Major Alexander Strauß erinnert sich Generalleutnant Hans-Werner Fritz an diesen speziellen<br />

Moment (r.). Erbaut in Kundus, ist der Ehrenhain nun Teil des „Waldes der Erinnerung“ in der Henning-von-Tresckow-Kaserne.<br />

Ich habe mich nie daran<br />

gewöhnt und werde mich auch<br />

nie daran gewöhnen. Der Tod<br />

von Kameraden geht mir persönlich<br />

sehr nahe. Man ist zusammen<br />

draußen gewesen, man hat zusammen<br />

gekämpft, und plötzlich ist<br />

ein vertrautes Gesicht einfach<br />

nicht mehr da. Aber wir mussten<br />

lernen, damit umzugehen, denn<br />

am Ende musste es weitergehen.<br />

Wir können den Lauf der Dinge<br />

nicht anhalten, aber wir können<br />

versuchen, dem Tod dieser Menschen<br />

einen Sinn zu geben. Wenn<br />

man dem Tod überhaupt einen<br />

Sinn geben kann.<br />

Es gibt ein besonders Foto, das<br />

von Ihnen und zwei Kameraden<br />

in Kundus aufgenommen worden<br />

ist. Können Sie etwas zur Entstehung<br />

sagen?<br />

Es war vor dem Ehrenhain in<br />

Kundus. Wir haben uns dort zufällig<br />

getroffen, die zwei Kameraden<br />

der Fallschirmjägertruppe und<br />

ich. Wir haben uns fast automatisch<br />

zusammengestellt – wie das<br />

Bild das auch zeigt – und waren<br />

in Gedanken bei unseren gefallenen<br />

Kameraden. Und so, wie<br />

ich jetzt meine Hand auf dieses<br />

Namensschild halte, haben wir<br />

es damals ebenfalls getan. Es ist<br />

der Name eines gefallenen Fallschirmjägers.<br />

Es war mir immer<br />

sehr wichtig, dass man an diesen<br />

Orten des Gedenkens den gefallenen<br />

Kameraden seinen Respekt<br />

und seine Ehrfurcht zollt.<br />

Foto: PIZEinsFüKdo<br />

Wie geht man als Vorgesetzter<br />

mit der Situation um?<br />

Es steigen Bilder in einem auf.<br />

Man hat Szenen und bekannte<br />

Gesichter vor Augen. Und das<br />

wühlt einen auf. Und dann stellt<br />

man sich selbst die Frage, ob<br />

man alles richtig gemacht hat,<br />

oder ob das Geschehene zu verhindern<br />

gewesen wäre. Wir werden<br />

darauf zu Lebzeiten keine<br />

Antwort bekommen. Aber das<br />

sind die Fragen, die mich persönlich<br />

bewegen. Auf der anderen<br />

Seite ist dort dieses tief empfundene<br />

Gefühl von gelebter Kameradschaft,<br />

besonders in solchen<br />

Extremsituationen. Alle stehen<br />

zusammen, unabhängig vom<br />

Dienstgrad. Es ist dieses Gefühl,<br />

dass man sich absolut auf den<br />

anderen verlassen kann. Und –<br />

ich sag das mal ganz vorsichtig –<br />

es ist auch dieser Ehrenkodex: Es<br />

bleibt keiner zurück, wenn etwas<br />

passiert ist. Wir nehmen alle mit.<br />

Konnte dieses Gefühl der Kameradschaft<br />

vielleicht erst in den<br />

Auslandseinsätzen entstehen?<br />

Ja, sicherlich. Denn es sind<br />

eben diese Grenzerlebnisse, die<br />

nicht wie eine Übung beendet<br />

werden können. Wo man nicht<br />

Schluss machen kann, duschen<br />

geht und sich ins Bett legt. Hier<br />

geht es um Leben und Tod. Und<br />

das ist eine solche Ernsthaftigkeit,<br />

das steigert die Kameradschaft<br />

noch um ein Vielfaches.<br />

Wo haben Sie diese Kameradschaft<br />

sonst noch erlebt?<br />

Ich möchte hier ausdrücklich<br />

unsere amerikanischen Freunde<br />

ansprechen, die für uns Verwundetentransporte<br />

– zum Teil durch<br />

Feuervorhänge – geflogen sind.<br />

Dafür habe ich größten Respekt.<br />

Es gibt nicht viele Berufe, in<br />

denen man das so erlebt. Wenn ich<br />

das so sagen darf: Diese Kameradschaft<br />

ist ein entscheidender<br />

Teil des Leims, der die Truppe<br />

zusammenhält. Ich halte das für<br />

unglaublich wichtig.<br />

Das vollständige Interview<br />

finden Sie auf<br />

www.bundeswehr.de<br />

Foto: Schneider / PIZ EinsFüKdo (2)<br />

Schreiben, was ungesagt blieb – der Brief einer Hinterbliebenen<br />

Von Detlef Schachel<br />

Als Soldat im Einsatz stellt man<br />

sich auf alle möglichen Begegnungen<br />

ein. Aber manchmal trifft<br />

es einen ziemlich unvorbereitet.<br />

So erging es mir in meinem letzten<br />

Einsatz in Mazar-e Sharif im<br />

Norden Afghanistans.<br />

Eines Abends machte ich als<br />

Presseoffizier Fotos am Ehrenhain<br />

für Gefallene im Camp<br />

Marmal. Die Fotos sollten für<br />

einen Artikel zum Jahrestag der<br />

für die Bundeswehr so verlustreichen<br />

Karfreitagsgefechte sein.<br />

Auf einer langen Mauer heben<br />

sich die Platten mit den Namen<br />

der Toten ab.<br />

Ich ging mit meiner Kamera in<br />

die Hocke, gerade an der Stelle<br />

mit den Namen der Gefallenen<br />

der Karfreitagsgefechte.<br />

Ein faustgroßer Felsstein störte<br />

das friedliche Bild. Also hob<br />

ich ihn weg, um gleich darunter<br />

einige zusammengefaltete<br />

Blätter beschriebenen Papiers<br />

zu erkennen – offensichtlich ein<br />

offen abgelegter Brief. Aber von<br />

wem und an wen?<br />

Vorsichtig zog ich die verwitterten<br />

Seiten auseinander<br />

und überflog höchst angespannt<br />

die kaum noch lesbaren Zeilen.<br />

Geschrieben von einer jungen<br />

Witwe, gerichtet an ihren gefallenen<br />

Ehemann. Sie berichtet<br />

über die Situation ihrer kleinen<br />

Familie, die nun ohne den<br />

Vater auskommen muss. Darin<br />

das Bedauern, „dass wir diese<br />

Gefahr einer Katastrophe wie<br />

jetzt nicht etwas ernster genommen<br />

haben und bestimmte Dinge<br />

geregelt haben.“ Am allermeisten<br />

wünscht sie sich jedoch einen<br />

Brief, „etwas was ich in den Händen<br />

halten kann und immer wieder<br />

vor Augen habe!“<br />

Spätestens jetzt, inzwischen<br />

auf dem Boden sitzend, ertappte<br />

ich mich dabei, Parallelen zu mir<br />

und meiner Familie zu ziehen.<br />

Ich legte den Brief zurück an seinen<br />

Platz und nahm mir auf dem<br />

Weg in die Unterkunft fest vor,<br />

vor meinem nächsten Einsatz<br />

eben diese bestimmten Dinge zu<br />

regeln. Und ich schrieb in dieser<br />

Nacht einen langen Brief an meine<br />

Lieben in der Heimat, um das zu<br />

sagen, was sonst ungesagt bliebe.


6 aktuell BUNDESWEHR aktuell 7<br />

Erste Parade: Generalleutnant Hans Speidel meldet Bundeskanzler Konrad Adenauer im<br />

Januar 1956 in Andernach.<br />

Ausbildung: Zwölf Jahre nach Kriegsende lernt dieser deutsche<br />

Soldat das Schießen - mit einem amerikanischen Gewehr.<br />

Gut gelaunt: 1959 rücken diese Wehrpflichtigen als Rekruten beim<br />

Panzergrenadierbataillon 281 in Neuburg an der Donau ein.<br />

Ungewohnter Anblick: Auch die Bundeswehr setzte sich zuweilen mit Paraden in<br />

Szene. Hier 1963 in Wunstorf.<br />

„Sie kommen doch hoffentlich in Uniform?“<br />

1950er-Jahre: Der erste Kampfanzug der Bundeswehr<br />

zeugt von US-Einfluss.<br />

Blutiges Jahr: 2010 werden deutsche ISAF-Soldaten in<br />

Afghanistan regelmäßig in schwere Gefechte verwickelt.<br />

Wandel zur Einsatzarmee: Im Kosovo unterstützen<br />

Bundes wehrsoldaten seit 1999 dabei, einen fragilen<br />

Frieden zu bewahren.<br />

Dresden. Oberst Professor Dr.<br />

Matthias Rogg leitet seit fünf<br />

Jahren das Militärhistorische<br />

Museum der Bundeswehr in<br />

Dresden. In diesen Tagen hat sein<br />

Haus eine neue Ausstellung zu 60<br />

Jahren Bundeswehr vorgestellt.<br />

Im aktuell-Interview spricht der<br />

Militärhistoriker über den Wandel,<br />

den die Truppe in sechs Jahrzehnten<br />

ihres Bestehens erlebt<br />

und gestaltet hat.<br />

Was fällt Ihnen spontan zu 60<br />

Jahren Bundeswehr ein?<br />

Etwa, dass die Bundeswehr in<br />

vielfacher Hinsicht eine ungewöhnliche<br />

Truppe ist. Keine<br />

deutsche Armee hat eine längere<br />

Geschichte vorzuweisen<br />

als diese. Die Kaiserliche Armee<br />

nicht, die ja überdies eine Kontingentarmee<br />

war. Nicht die Reichswehr<br />

oder Wehrmacht und auch<br />

nicht die NVA. Und die Bundeswehr<br />

war die einzige Wehrpflichtarmee<br />

in einer deutschen<br />

Demokratie. Noch nie gab es<br />

vorher eine Institution wie den<br />

Wehrbeauftragten des Deutschen<br />

Bundestages. Das gibt es weltweit<br />

überhaupt nur bei uns und<br />

in Schweden. Das sind schon ein<br />

paar Alleinstellungsmerkmale.<br />

Und längst nicht die einzigen …<br />

Natürlich nicht. Die Geschichte<br />

der Bundeswehr ist untrennbar<br />

mit der Inneren Führung verbunden.<br />

Die darin niedergelegten<br />

Prinzipien sind quasi die<br />

„Software“ dieser Armee. Und<br />

das Konzept ist so gut, dass es<br />

immer noch trägt. Das ist umso<br />

bemerkenswerter, als die Innere<br />

Führung ja unter völlig anderen<br />

gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen<br />

Bedingungen<br />

erarbeitet wurde als heute.<br />

Woran zeigt sich das exemplarisch?<br />

Die Bundeswehr ist mehr als<br />

eine bloße Pflichtengemeinschaft.<br />

Die Soldaten sind bei<br />

uns gesellschaftlich und politisch<br />

integriert. Sie nehmen am<br />

politischen Diskurs teil, gehen<br />

wählen und können gewählt werden.<br />

Der viel zitierte Staatsbürger<br />

in Uniform ist eine Realität. So<br />

etwas wie einen Staat im Staate<br />

gibt es nicht.<br />

Die Rolle der Bundeswehr als<br />

Parlamentsarmee …<br />

… ist ein ganz beredtes Beispiel<br />

dafür. Legitimation durch<br />

den Bundestag als zwingende<br />

Symbol der Einheit: Am 19. Oktober 1990 findet in Bad Salzungen das erste<br />

gesamtdeutsche Gelöbnis für Wehrpflichtige statt.<br />

Voraussetzung für soldatisches<br />

Handeln. Für uns Soldaten zeigt<br />

sich dadurch, dass Politik und<br />

Gesellschaft den Handlungsrahmen<br />

vorgeben. Gerade das verstärkt<br />

auch die Motivation, sich<br />

in diesem Beruf einzubringen.<br />

Sehen Sie die Institution Bundeswehr<br />

in der Bevölkerung verankert?<br />

Ja, auf jeden Fall. Anfangs<br />

haben viele Menschen mit der<br />

Truppe gefremdelt. Das Thema<br />

Wiederbewaffnung war in den<br />

50er Jahren ungeheuer umstritten.<br />

Das darf man nicht ausblenden.<br />

Die Bundeswehr war ein<br />

Findelkind der jungen Bundesrepublik,<br />

nicht mal der Name<br />

Foto: Bundeswehr<br />

war anfangs klar. Eine Menge<br />

Leute hätte seinerzeit die belastete<br />

Bezeichnung Wehrmacht<br />

vorgezogen. Selbst das Konzept<br />

der Inneren Führung wurde attackiert.<br />

Aber die Bundeswehr hat<br />

sich gegen all diese inneren und<br />

äußeren Widerstände entwickelt<br />

und ist am Ende mitten in unserer<br />

Gesellschaft angekommen.<br />

Die Bundeswehr wird 60, mehr<br />

als die Hälfte dieser Zeit sind Sie<br />

als Soldat dabei. Was ist für Sie<br />

der augenscheinlichste Unterschied<br />

zur Truppe von 1983?<br />

Das ist ohne Frage der Wandel<br />

von einer Armee zur Landesverteidigung<br />

hin zu einer Einsatzarmee.<br />

Anfang der 80er Jahre<br />

hätte keiner damit gerechnet, dass<br />

das Bundesverfassungsgericht<br />

1994 hergeht und Auslandseinsätze<br />

abseits des Bündnisgebiets<br />

unter Parlamentsvorbehalt<br />

zulässt. Aber die Bundeswehr hat<br />

sich erstaunlich flexibel gezeigt<br />

und diese Rechtssätze mit Leben<br />

gefüllt. Das war eine beachtliche<br />

Leistung, die uns im Einsatz bis<br />

heute hohes Ansehen einträgt.<br />

Hat sich der Beruf des Soldaten<br />

dadurch geändert?<br />

Zunehmende Spezialisierung: Der Truppe stehen 1982 viele verschiedene<br />

Waffensysteme zur Verfügung. Hier ein Kraftkarren vor Transall.<br />

In gewissen Zügen schon. Als<br />

junger Offizier lernte ich die<br />

Maxime: „Kämpfen können,<br />

um nicht kämpfen zu müssen.“<br />

Diese Idee der Abschreckung aus<br />

dem Kalten Krieg funktioniert<br />

bei einer Einsatzarmee nur noch<br />

bedingt. Deutsche Soldaten müssen<br />

heute jederzeit bereit sein,<br />

sich und ihre Kameraden zu verteidigen.<br />

Aber auch, wenn sich<br />

der Auftrag in Teilen geändert<br />

hat, stehen wir zu denselben ethischen<br />

Maßstäben.<br />

Wie ist es um die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz der Bundeswehr<br />

bestellt?<br />

Aus meiner Sicht sehr gut.<br />

Umfragen zeigen das Vertrauen<br />

der Menschen in die Institution<br />

Bundeswehr. Da stehen wir<br />

immer ganz weit oben im Ranking.<br />

Auch auf der persönlichen<br />

Ebene als Soldat erlebe ich in der<br />

Öffentlichkeit überwiegend positive<br />

Resonanz. Wenn ich zu Vorträgen<br />

anreise, höre ich vorher oft<br />

die Frage: Sie kommen doch hoffentlich<br />

in Uniform? Natürlich.<br />

Wie denn sonst. Das Ambivalente<br />

an dieser Frage spüre ich natürlich.<br />

Aber ich glaube, die meisten<br />

Menschen sehen, dass es die Bundeswehr<br />

nicht einfach um ihrer<br />

selbst willen gibt, dass sie wichtige<br />

Aufgaben gut und zuverlässig<br />

erfüllt. Wir haben guten Grund,<br />

ein gesundes Selbstbewusstsein<br />

zu pflegen.<br />

Wie stehen Sie dazu, wenn Schulen<br />

Preise dafür erhalten, dass<br />

Sie Jugendoffiziere aussperren?<br />

Das finde ich schlicht skandalös.<br />

Die Aufgaben der Bundeswehr<br />

ergeben sich letztlich aus dem<br />

Grundgesetz. Jugendoffiziere<br />

machen keine Propaganda oder<br />

Rekrutenwerbung. Sie informieren<br />

über Sicherheitspolitik und<br />

die Rolle der Bundeswehr insgesamt.<br />

Diese Informationen sind<br />

für junge Menschen wichtig. Soldaten<br />

per se auszugrenzen, ist das<br />

Gegenteil eines offenen Diskurses,<br />

und das kritisiere ich entschieden.<br />

Würden Sie sich noch einmal<br />

für den Soldatenberuf entscheiden?<br />

Ja. Ich würde sofort wieder<br />

Soldat werden. Ohne Wenn und<br />

Aber.<br />

Die Fragen stellte Markus<br />

Tiedke.<br />

Zaghafte Öffnung: Ab 1975 dürfen Frauen in beschränktem Umfang<br />

als Soldatinnen zur Bundeswehr gehen. Seit 2001 stehen Frauen<br />

alle Bereiche der Bundeswehr offen.<br />

Stark in allen Teilstreitkräften: Ein Marinetaucher 1962<br />

auf Sylt kurz vor einem Übungstauchgang.<br />

Starke Waffe: 1965 wird der erste in der Bundesrepublik<br />

entwickelte Kampfpanzer vorgestellt – der Leopard I.<br />

Haarige Angelegenheit: Für kurze Zeit war 1971 mit dem<br />

Haarerlass auch das Tragen langer Haare beim Bund<br />

gestattet.<br />

Foto : Munker/Bundeswehr, Bundeswehr (2), Siwik/Bundeswehr (3), Krämer/Bundeswehr, Oed/Bundeswehr, Zins/Bundeswehr (2), Malez/Bundeswehr, PAO Kunduz, Baumann/Bundeswehr


8 aktuell BUNDESWEHR 9. November 2015<br />

Mit der Truppe für die Truppe<br />

Seit Ende Oktober werden Soldaten für Auslandseinsätze mit neuer Kampfbekleidung ausgestattet.<br />

von Björn Lenz<br />

Koblenz. Mehr als vier Jahre<br />

wurde entwickelt, erprobt, verbessert<br />

– jetzt kommt das Ergebnis<br />

in die Truppe: Der neue<br />

„Kampfbekleidungssatz Streitkräfte“.<br />

Er soll den Feldanzug<br />

ergänzen – und wird zuerst an<br />

Soldaten ausgegeben, die in den<br />

Auslandseinsatz gehen.<br />

Mit der Truppe<br />

entwickelt<br />

Ende Oktober in der Niederlassung<br />

der LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft<br />

(LHBW) in<br />

Koblenz: Hauptfeldwebel Meik<br />

H. gehört zu den ersten acht Soldaten,<br />

die mit der neuen Kampfbekleidung<br />

ausgestattet werden.<br />

Er wird 2016 im Nordirak in seinen<br />

sechsten Auslandseinsatz<br />

gehen, dieses Mal mit ganz neuer<br />

Ausstattung. „Der Feldanzug war<br />

nicht schlecht – aber wieso sollte<br />

man Soldaten nicht etwas Besseres<br />

zur Verfügung stellen?“,<br />

sagt der 40-Jährige. Bevor die<br />

Einkleidung losgeht, wird der<br />

großgewachsene Hauptfeldwebel<br />

zuerst einmal vermessen.<br />

„Wir haben für den Kampfbekleidungssatz<br />

Streitkräfte genaue<br />

Größen- und Schnittvorgaben für<br />

die Hersteller definiert, um eine<br />

exakte Passform zu erreichen“,<br />

erklärt Major Christian Stahl. Er<br />

ist im Bundesamt für Ausrüstung,<br />

Informationstechnik und Nutzung<br />

(BAAIN) für sämtliche Bekleidung<br />

der Bundeswehr zuständig – und<br />

von Anfang an an der Entwicklung<br />

und Erprobung der neuen Kampfbekleidung<br />

beteiligt. „Das ist die<br />

erste Bekleidung, die wirklich mit<br />

der Truppe entwickelt wurde.“<br />

Meik H. probiert inzwischen<br />

die neuen Kälteschutz-Unterwäsche<br />

an. Mit kritischem<br />

Blick mustert der LHBW-Mitarbeiter<br />

die Passform der Hose.<br />

„Ich würde die Hose eine Nummer<br />

kleiner nehmen, dann gibt es<br />

unten am Bein nicht so einen<br />

Wulst“, empfiehlt er dem Hauptfeldwebel.<br />

„Die neue Bekleidung<br />

funktioniert nach dem Zwiebelschalenprinzip“,<br />

erklärt Major<br />

Stahl. Die einzelnen Schichten<br />

der Bekleidung sind genau aufeinander<br />

abgestimmt und ermöglichen<br />

so etwa den optimalen<br />

Transport von Schweiß bis auf<br />

die äußerste Schicht – die sogenannte<br />

Atmungsaktivität.<br />

Nässeschutz zum<br />

Unterziehen<br />

Die Modularität der Kampfbekleidung<br />

wird auch bei der Einkleidung<br />

deutlich: Allein vier<br />

verschiedene Handschuhe werden<br />

Hauptfeldwebel H. angepasst.<br />

Die auffälligste Neuerung ist<br />

der Nässeschutz. Im Gegensatz<br />

zum Vorgänger wird er bei der<br />

neuen Kampfbekleidung nicht<br />

als oberste Schicht, sondern unter<br />

Kampfjacke oder Schutzweste<br />

getragen. „Das Ziel ist, dass der<br />

Soldat jederzeit an alle Taschen<br />

Daraus besteht der Satz<br />

• Unterhemd, kurzer Arm und langer Arm<br />

• Unterhemd, langer Arm, Mehrschicht<br />

• Unterhose, kurz und knöchellang<br />

• Unterhose, Mehrschicht<br />

• Hemd, langer Arm, Rollkragen<br />

• Jacke, Kaltwetterschutz<br />

• Hose, Kaltwetterschutz<br />

• Unterziehjacke, Kälteschutz<br />

• Unterziehhose, Kälteschutz<br />

• Jacke, Nasswetterschutz<br />

• Hose, Nasswetterschutz<br />

• Kampfjacke, Tarndruck<br />

• Kampfjacke, lang, Tarndruck<br />

herankommt“, erläutert<br />

Major Stahl. Der Nässeschutz<br />

zum Unterziehen ist<br />

ein komplett neu entwickeltes<br />

System und besteht aus einer Art<br />

dünnem, leichten Stretch-Material.<br />

Großer Vorteil: Zusammengefaltet<br />

passt er in eine kleine<br />

Tasche – und kann so immer am<br />

Mann bleiben. „Trägt sich gut“,<br />

bekräftigt Hauptfeldwebel H. seinen<br />

ersten Eindruck des neuen<br />

High-Tech-Materials.<br />

Als oberste Schicht gibt es<br />

neben der Kampfhose zwei verschiedene<br />

Kampfjacken in kurz<br />

oder lang. „Den alten Feldanzug<br />

Foto: Bartsch/Bundeswehr<br />

Grundform gibt es praktisch nicht<br />

mehr“, sagt Major Stahl. Stattdessen<br />

kann der Soldat – je nach<br />

Wetterbedingungen und Temperatur<br />

– aus dem Kampfbekleidungssatz<br />

eine sinnvolle Kombination<br />

zusammenstellen.<br />

Details wie Lüftungsmöglichkeiten<br />

bei den Jacken oder<br />

die Möglichkeit, verschiedene<br />

Kniepolster in die Hose einzuschieben,<br />

sind das Ergebnis der<br />

umfangreichen Trageversuche<br />

der neuen Bekleidung. „Zwischen<br />

den Prototypen und dem<br />

Endprodukt liegen Welten“,<br />

bestätigt auch Major Stahl.<br />

Noch 2015 sollen<br />

zunächst alle für den Auslandseinsatz<br />

geplanten Soldaten<br />

mit dem neuen Kampfbekleidungssatz<br />

ausgestattet<br />

werden. Bis 2017 plant die Bundeswehr<br />

die Beschaffung von<br />

24 000 Sätzen.<br />

Der Beitrag „Neue<br />

Kampfbekleidung“<br />

unter www.youtube.<br />

com/bundeswehr.<br />

• Kampfhose, Tarndruck<br />

• Polster, Körperpanzerungselement, Jacke<br />

• Polster, Körperpanzerungselement, Hose<br />

• Pullover Combat-Shirt, Tarndruck<br />

• Sack, Bekleidung und Ausstattung, Kompressionsbeutel<br />

• Fingerhandschuhe, Kampfhandschuhe taktil<br />

• Fingerhandschuhe, Kälte- und Nasswetterschutz<br />

• Fausthandschuhe, Kälteschutz<br />

• Unterziehfingerhandschuhe, Kaltwetterschutz<br />

• Socken<br />

Von Splittertarn zum 3-Farb-Tarndruck<br />

Foto: v.l.n.r. Altarchiv/Bundeswehr, Zins/Bundeswehr, Breuer/Bundeswehr , Weigner/Bundeswehr<br />

Feldanzug Splittertarn (li., 1956), Feldanzug olivfarben neben dem damals geplanten Feldanzug<br />

Tarndruck (mi., 1986), rechts der Feldanzug 3-Farb-Tarndruck (2009), neue Kampfbekleidung.<br />

Mit der Aufstellung Ende<br />

1955 erhielt die Truppe<br />

ihren ersten Feldanzug.<br />

Der weit geschnittene<br />

Anzug aus Jacke<br />

und Hose war in<br />

einer Abwandlung<br />

des noch aus<br />

Reichswehr-Zeiten<br />

stammenden<br />

Splittertarns gehalten<br />

und aus dickem,<br />

zeltbahnähnlichem<br />

Stoff gefertigt.<br />

Bereits ab<br />

1959 wurde er<br />

durch den einfarbigen<br />

„Kampfanzug<br />

jagdmeliert“ ersetzt.<br />

Der Anzug verfügte<br />

zum Schutz des Soldaten<br />

vor Feuchtigkeit<br />

über eine frühe<br />

Kunstfaser-Membran im Inneren. Da<br />

diese aber bei Bewegung knisterte und<br />

auf der Haut kratzte, bedachte die Truppe<br />

den äußerst unbeliebten Kampfanzug<br />

mit dem Namen „Filzlaus“. Ab Mitte<br />

der 1960er-Jahre wurde er durch den<br />

ursprünglich als Arbeitsanzug bezeichneten<br />

„Feldanzug olivfarben“ ersetzt. Mit<br />

kleineren Änderungen – so wurde der<br />

anfangs genutzte Stoff im Fischgrätmuster<br />

Anfang der 1970er-Jahre durch Moleskin<br />

ersetzt – blieb der Feldanzug bis zur Einführung<br />

des „Feldanzug Tarndruck“ in<br />

Flecktarn Ende der 1990er-Jahre in der<br />

Truppe. Mit den zunehmenden Auslandseinsätzen<br />

der Bundeswehr wurden<br />

schließlich anders geschnittene und aus<br />

leichteren Materialien hergestellte Varianten<br />

des Feldanzugs eingeführt. Zusätzlich<br />

zum normalen Flecktarn entstanden<br />

„3-Farb-Tarndruck“ für trocken-heiße<br />

Klimazonen und „5-Farb-Tarndruck<br />

Tropen“ für feucht-heiße Gebiete.


9. November 2015 MILITÄRGESCHICHTE aktuell 9<br />

Informationen zu allen laufenden Einsätzen der Bundeswehr finden Sie unter www.einsatz.bundeswehr.de<br />

Die 1960er<br />

• Angola (1960) Hungerhilfe<br />

• Algerien (1963) Hilfe nach Überschwemmung<br />

• Türkei (1966) Hilfe nach Erdbeben<br />

Im Einsatz<br />

Die Bundeswehr kann auf eine vielfältige Einsatzgeschichte zurückblicken – eine Auswahl.<br />

Marokko 1960. Nach einem sch<br />

ren Erdbeben in der Stadt Ag<br />

errichtet das Sanitätsbataillo<br />

einen Hauptverbandsplatz vor<br />

Nach knapp einem Monat endet<br />

erste internationale Hilfseinsatz<br />

jungen Bundeswehr.<br />

wedir<br />

a<br />

n 5<br />

Ort.<br />

der<br />

der<br />

Die 1970er<br />

• Chile (1971) Hilfe nach Hochwasser<br />

• Ägypten (1973) Transport von VN-Truppen<br />

• Äthiopien (1974) Hilfe nach Dürre<br />

Türkei 1976. Ende November erschüttert<br />

ein schweres Erdbeben<br />

den Osten der Türkei. Eine Kompanie<br />

des Sanitätslehrbataillons 865<br />

verlegt in das Katastrophengebiet<br />

und leistet medizinische Hilfe für die<br />

Erdbebenopfer.<br />

Die 1980er<br />

• Pakistan (1981) Hungerhilfe<br />

• Kolumbien (1985) Hilfe nach Vulkanausbruch<br />

• UdSSR (Armenien) (1988) Hilfe nach Erdbeben<br />

Sudan 1985. In den 1970er und<br />

80er Jahren leidet vor allem die<br />

Sahelzone in Nordafrika unter einer<br />

schweren Hungersnot. Die Bundeswehr<br />

hilft in einer Reihe von Ländern<br />

durch die Lieferung von Lebensmitteln.<br />

Foto: Hoffmann/Bundeswehr<br />

Foto: Bundeswehr<br />

Foto: Bohnert/Bundeswehr<br />

Die 1990er<br />

• Iran (1990) Hilfe nach Erdbeben<br />

• Griechenland (1994) Brandbekämpfung<br />

• Österreich (1999) Hilfe nach Lawinenunglück<br />

Die 2000er<br />

• Afghanistan (2002-2014) ISAF-Einsatz<br />

• Südostasien (2004) Hilfe nach Tsunami<br />

• Kuwait (2002-2003) Einsatz von ABC-Abwehrkräften<br />

Die 2010er<br />

• Somalia/Uganda (ab 2010) EU-Trainingsmission<br />

• Türkei (2012-2015) Active-Fence<br />

• Mittelmeer (ab 2015) Einsatz zur Flüchtlingsrettung<br />

Bosnien 1992. Ab Juli 1992 richten<br />

die Vereinten Nationen eine Luftbrücke<br />

ins belagerte Sarajevo ein.<br />

Die Bundeswehr beteiligte sich mit<br />

1412 Transall-Flügen und transportierte<br />

in knapp vier Jahren rund<br />

10 800 Tonnen Material.<br />

Kongo 2006. Zur Absicherung der<br />

Präsidentenwahlen in der Demokratischen<br />

Republik Kongo schickt die<br />

Europäische Union insgesamt 2400<br />

Soldaten. Ein Bundestagsmandat<br />

ermöglicht die Beteiligung von bis<br />

zu 780 deutschen Soldaten.<br />

Mali 2013. Im Rahmen der EU-Trainingsmission<br />

EUTM Mali beteiligen<br />

sich deutsche Soldaten an der Ausbildung<br />

der malischen Armee. Seit<br />

Juli 2015 wird der Einsatz durch den<br />

deutschen Brigadegeneral Franz<br />

Pfrengle geführt.<br />

Foto: Modes/Bundeswehr<br />

Foto: Bienert/RedBw<br />

Foto: Bier/Bundeswehr


10 aktuell SPORT 9. November 2015<br />

Höhenflug<br />

Die Karriere vieler Spitzensportler begann im<br />

Förderprogramm der Bundeswehr.<br />

von Klaus Rathje und<br />

Simon Klingert<br />

Foto: imago<br />

Berlin. Bei den Olympischen<br />

Spielen strahlen die deutschen<br />

Spitzensportler in die Kameras,<br />

wenn sie Bronze, Silber oder<br />

Gold geholt<br />

haben. Dass<br />

sie nebenbei<br />

auch<br />

eine Uniform<br />

tragen<br />

anstelle ihrer<br />

Trikots, spielt für<br />

die Medien meist<br />

keine Rolle. Dabei<br />

ist es die Sportförderung<br />

der Bundeswehr,<br />

die viele Erfolge deutscher<br />

Teams bei internationalen Sportveranstaltungen<br />

ermöglicht hat.<br />

So stand am Anfang der Karriere<br />

einiger bekannter Sportidole<br />

erst einmal das Kasernenleben.<br />

1998 etwa berichtete die aktuell<br />

von einem gewissen Gefreiten<br />

Dirk Nowitzki, der in Würzburg<br />

„Euphorie“ verbreite.<br />

Normgröße<br />

nicht erfüllt<br />

Der damals 19-jährige Basketballspieler<br />

galt zu dieser Zeit<br />

schon als bester Spieler seiner<br />

Altersklasse. Aber auch ein Dirk<br />

Nowitzki musste, bevor er in<br />

einer Sportfördergruppe seiner<br />

Leidenschaft nachgehen konnte,<br />

die ganz normale Grundausbildung<br />

absolvieren. Nun gelten<br />

bekanntermaßen Standards<br />

in einer Kaserne,<br />

was bei größeren Menschen<br />

zu Komplikationen<br />

führen kann.<br />

So zitiert diese Zeitung<br />

den damaligen<br />

Kompaniefeldwebel<br />

des 2,11 Meter großen<br />

Basketballspielers:<br />

„Wir mussten extra ein<br />

2,20 Meter langes Bett<br />

für ihn bei der Standortverwaltung<br />

Würzburg<br />

bestellen.“ Aber auch<br />

außerhalb der Kaserne<br />

war das Leben für das derzeit<br />

in den USA spielende<br />

Ausnahmetalent nicht einfach:<br />

„Im Biwak habe ich<br />

wie wahnsinnig gefroren,<br />

weil Schlafsack und Zelt<br />

viel zu kurz waren“,<br />

wußte Nowitzki<br />

zu berichten.<br />

Dass Angehörige der<br />

Bundeswehr bei Olympischen<br />

Spielen, Welt- und Europameisterschaften<br />

mit von der<br />

Partie sind, war nicht immer so.<br />

1968 beschließt der Bundestag<br />

die Einrichtung von Sportfördergruppen<br />

in der Bundeswehr.<br />

Grund: Die Vergabe der Olympischen<br />

Spiele an München im<br />

Jahr 1972 war mit einem gewissen<br />

Leistungsdruck verbunden.<br />

Eine Rolle spielte auch das<br />

mäßige Abschneiden des westdeutschen<br />

Teams bei der Olympiade<br />

in Mexiko 1968, bei der<br />

das Team der DDR im Medaillenspiegel<br />

weiter vorne lag.<br />

Bundeswehr als<br />

Talentschmiede<br />

Seit der Einrichtung der ersten<br />

Sportfördergruppen im Jahr<br />

1970 haben Soldaten der Bundeswehr<br />

regelmäßig an Wettkämpfen<br />

teilgenommen. Bei der Olympiade<br />

1972 in München traten<br />

25 Sportsoldaten der Bundeswehr<br />

an. 42 Jahre später – bei<br />

den olympischen Winterspielen<br />

in Sotschi – sind es 75 Soldatinnen<br />

und Soldaten. Damit stellen<br />

Bundeswehrangehörige die<br />

Hälfte des gesamten deutschen<br />

Kaders. 1990 wurden die Sport-<br />

för-<br />

dergrup-<br />

pen nahe der<br />

Leistungszentren<br />

und Olympiastützpunkte<br />

der deutschen<br />

Sportverbände neu<br />

aufgestellt – damit konnten die<br />

Trainingsmöglichkeiten weiter<br />

verbessert werden. Seither lässt<br />

sich die Liste der prominenten<br />

Sportsoldaten fast beliebig verlängern.<br />

Die erfolgreichen Rennrodler<br />

Georg Hackl und Susi<br />

Erdmann (siehe unten) gehören<br />

ebenso dazu wie die ehemaligen<br />

Gefreiten Ralf Schumacher und<br />

Philipp Lahm.<br />

Sprungschanze<br />

zum Erfolg<br />

Die Skisprung-Champions<br />

Sven Hannawald (Foto) und Martin<br />

Schmitt sind mit die bekanntesten<br />

Gesichter, die das Sportförderprogramm<br />

der Bundeswehr<br />

hervorgebracht hat. Seine sechs<br />

Jahre als Sportsoldat von 1995<br />

bis 2001 bezeichnet Hannawald<br />

Sportliche Wegbereiter<br />

rückblickend als „sehr wichtige<br />

Zeit“. „Ich habe mich sehr wohl<br />

gefühlt bei der Bundeswehr.<br />

Auch das Gruppengefühl fand<br />

ich wirklich großartig“. Pikanterweise<br />

blieb sein Sportkamerad<br />

Martin Schmitt immer ein paar<br />

Ränge unter Hannawald, der die<br />

Bundeswehr als Feldwebel verließ.<br />

Befehle erteilte er seinem<br />

vier Jahre jüngeren Teamkollegen<br />

aber nicht: „Diese Hierarchie<br />

habe ich nie herausgestellt. Im<br />

normalen Dienst mag das anders<br />

sein, aber unter Sportlern hatten<br />

die Jüngeren einfach Respekt vor<br />

den Erfahreneren. Das musste<br />

man nicht noch mit seinem höheren<br />

Dienstgrad betonen.“<br />

Der Weg der Bundeswehr als Kaderschmiede für den Spitzensport führte über das Wasser – und durch den Eiskanal.<br />

Foto dpa/pa<br />

Berlin. Als das junge Segel-<br />

Ass Willi Kuhweide 1964 bei<br />

den Olympischen Spielen in<br />

Tokio mit seinem Finn-Dinghy<br />

die Goldmedaille gewinnt,<br />

schreibt der Luftwaffen-Fähnrich<br />

Geschichte: Zum ersten Mal<br />

hat ein Angehöriger der Bundeswehr<br />

eine olympische Medaille<br />

gewonnen.<br />

Als Kaderschmiede für erfolgreiche<br />

Sportler sah sich die Bundeswehr<br />

damals nicht – aufstrebende<br />

Spitzensportler in Uniform<br />

konnten froh sein, wenn ihnen<br />

der Kommandeur gestattete, auch<br />

während der Dienstzeit zu trainieren.<br />

Der damalige Verteidigungsminister<br />

Kai-Uwe von Hassel war<br />

1965 der Überzeugung, die Aufgabe<br />

der Bundeswehr sei die<br />

Verteidigung der noch jungen<br />

Bundesrepublik – und nicht der<br />

Förderung von Sportsoldaten.<br />

Der Erfolg Kuhweides war dennoch<br />

ein wichtiger Grundstein für<br />

den Wandel der Bundeswehr zu<br />

einer Förderstätte des Spitzensports.<br />

Denn mit dem Gewinn der<br />

Goldmedaille durch den Publikumsliebling<br />

war nicht nur der<br />

Segelsport, sondern auch der<br />

Arbeitgeber des angehenden Piloten<br />

ins Blickfeld gerückt.<br />

Frauen stellen heute einen<br />

großen Teil deutscher Teams<br />

bei internationalen Sportveranstaltungen.<br />

Auch hier hat nicht<br />

zuletzt die Sportförderung der<br />

Bundeswehr eine Rolle gespielt.<br />

Pionierin unter den Sportsoldatinnen<br />

ist die Rennrodlerin und<br />

Bobpilotin Susi Erdmann. Nachdem<br />

sie bereits in der Nationalen<br />

Volksarmee der DDR sportlich<br />

gefördert worden war, trat<br />

Spitze: Susi Erdmann (l.) war die erste Sportsoldatin der Bundeswehr,<br />

Willi Kuhweide (r.) der erste Soldat mit Olympia-Medaille.<br />

Fotos: imago (2)<br />

Erdmann 1992 in den Sanitätsdienst<br />

der Bundeswehr ein und<br />

stieß zur Sportfördergruppe in<br />

Berchtesgaden. 1997 wurde sie<br />

als erste Sport-Berufssoldatin in<br />

die Bundeswehr aufgenommen –<br />

fünf Jahre später gewinnt sie ihre<br />

erste Bob-Weltmeisterschaft.<br />

Ihrem Dienstherren ist<br />

Erdmann auch nach dem Ende<br />

ihrer sportlichen Karriere 2007<br />

treu geblieben. Die zweifache<br />

Bob-Weltmeisterin dient als<br />

Sportfeldwebel an der Sanitätsakademie<br />

der Bundeswehr in<br />

München. Seit Beginn des Jahres<br />

sorgt sie zudem als Botschafterin<br />

für das betriebliche Gesundheitsmanagement<br />

für Bewegung<br />

in der Truppe.<br />

(kli)


9. November 2015 INNERE FÜHRUNG aktuell 11<br />

Konzept Menschlichkeit<br />

Die Innere Führung ist seit Gründung der Bundeswehr das Wesensmerkmal der deutschen Streitkräfte.<br />

Bonn. Am 12. November 1955<br />

werden in der Bonner Ermekeilkaserne<br />

die ersten 102 freiwilligen<br />

Soldaten der Bundeswehr<br />

ernannt. Die Bundesrepublik<br />

Deutschland stellt ihre Streitkräfte<br />

auf – eine Armee mit<br />

eigenem Selbstverständnis.<br />

Die Konzeption der Inneren<br />

Führung tritt an diesem Tag<br />

in ihre Praxisphase. Sie ist bis<br />

heute das Wesensmerkmal der<br />

Bundeswehr.<br />

Die Überlegungen zu einem<br />

Konzept für Menschenführung in<br />

den neuen deutschen Streitkräften<br />

beginnen bereits, als sich wenige<br />

Jahre nach Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges ein westdeutscher<br />

Verteidigungsbeitrag zur Verstärkung<br />

des westlichen Bündnisses<br />

abzeichnet. Die neuen Streitkräfte<br />

sollen sich deutlich von der<br />

Wehrmacht unterscheiden.<br />

In der „Dienststelle Blank“<br />

fasst man im Januar 1953 die in<br />

der „Himmeroder Denkschrift“<br />

von 1950 formulierten Überlegungen<br />

zum inneren Gefüge unter<br />

dem Sammelbegriff „Innere Führung“<br />

zusammen: „Alle Arbeiten<br />

auf dem Gebiet ,Innere Führung‘<br />

haben das Ziel, den Typ<br />

des modernen Soldaten zu schaffen<br />

und fortzubilden, der freier<br />

Mensch, guter Staatsbürger und<br />

vollwertiger Soldat zugleich ist“.<br />

Nach der Gründung der Bundeswehr<br />

treten das Soldatengesetz,<br />

die Wehrdisziplinarordnung, die<br />

Wehrbeschwerdeordnung und<br />

das Gesetz über den Wehrbeauftragten<br />

des Deutschen Bundestages<br />

in Kraft. In allen diesen<br />

Gesetzen weht bereits der<br />

Wind der Inneren Führung – sie<br />

garantieren die Rechtsstellung<br />

des Soldaten.<br />

Doch die Innere Führung bleibt<br />

umstritten. Die Debatte erlebt in<br />

den 1960er­Jahren ihren Höhepunkt.<br />

Eine zunehmende Militärfeindlichkeit<br />

macht sich bemerkbar,<br />

und die Zahl der Anträge<br />

auf Kriegsdienstverweigerung<br />

steigt. Kritiker lehnen die Innere<br />

Führung als zu theoretisch ab,<br />

argumentieren, das Prinzip von<br />

Befehl und Gehorsam dürfe nicht<br />

unterhöhlt werden. Demgegenüber<br />

habe eine Pluralität in den<br />

Streitkräften zurückzustehen.<br />

Am Konzept nicht<br />

„rütteln lassen“<br />

Eine Gruppe junger Leutnante<br />

widerspricht. Sie formulieren<br />

neun Thesen und entwerfen<br />

ein Berufsbild, das die politische<br />

Mitbestimmung hervorhebt und<br />

traditionelle Rollenerwartungen<br />

an den Offizierberuf ablehnt.<br />

Der 1969 ins Amt gekommene<br />

Verteidigungsminister Helmut<br />

Schmidt setzt ein umfangreiches<br />

Stichwort: Innere Führung<br />

Das Leitbild der Inneren Führung ist der Staatsbürger<br />

in Uniform. Gesellschaftliche Integration<br />

von Soldaten und die Garantie der Grundrechte für<br />

sowie die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien für<br />

das militärische Handeln bestimmen die Konzeption.<br />

Sie wird vom früheren Wehrmachtsoffizier<br />

Reformpaket um, führt unter<br />

anderem die wissenschaftlichen<br />

Hochschulen der Bundeswehr in<br />

Hamburg und München ein. Im<br />

Weißbuch 1970 wird zur Inneren<br />

Führung klargestellt: „Das Konzept<br />

hat sich bewährt. Die Bundesregierung<br />

wird daran nicht<br />

rütteln lassen. Seine Weiterentwicklung<br />

in einer sich fortschreitend<br />

wandelnden Gesellschaft ist<br />

freilich ein ständiger Prozess.“<br />

Eine Studie des Zentrums für<br />

Militärgeschichte und Sozialwissenschaften<br />

der Bundeswehr aus<br />

dem Jahr 2013 zeigt, dass die<br />

Einstellung der Soldaten gegenüber<br />

dem Konzept der Inneren<br />

Führung heute überwiegend<br />

positiv ist.<br />

Herausforderungen<br />

erkennbar<br />

Mehr als die Hälfte der Soldaten<br />

sind mit dem Führungsstil<br />

ihrer unmittelbaren Vorgesetzten<br />

zufrieden. Die Autoren der<br />

Studie kommen zu dem Ergebnis:<br />

„Die Innere Führung ist ein<br />

Pfund, mit dem die Bundeswehr<br />

in der internen sowie der externen<br />

Kommunikation wuchern<br />

sollte.“<br />

Die Bundeswehr als Vorbild<br />

Dennoch sind neue Herausforderungen<br />

an die Innere Führung<br />

erkennbar. Dazu gehören<br />

die Integration von Soldatinnen,<br />

der Umgang mit religiöser Vielfalt,<br />

das äußere Erscheinungsbild<br />

der Streitkräfte und die Anpassung<br />

der Beteiligungsrechte.<br />

Autor: Oberstleutnant a.D.<br />

Hans-Joachim Reeb war Dozent<br />

an der Führungsakademie der<br />

Bundeswehr in Hamburg. Die<br />

ungekürzte Version seines Textes<br />

finden Sie in „if –Zeitschrift für<br />

Innere Führung“ (Nr.4/2015).<br />

Wolf Graf von Baudissin und weiteren Mitarbeitern<br />

der Dienststelle Blank in enger Abstimmung<br />

mit der Rechtsabteilung des Deutschen Bundestags<br />

ausgearbeitet. Wesentliche Aspekte der Inneren<br />

Führung sind Grenzen für Befehl und Gehorsam<br />

und das Prinzip „Führen mit Auftrag“. (vmd)<br />

Tilman Engel, Leiter einer Beratungsagentur und Major der Reserve, über Führungsethik bei der Bundeswehr.<br />

Foto: Hannemann/RedBw<br />

Frankfurt. Tilman Engel ist<br />

Leiter einer Beratungsagentur<br />

im Bereich Sport und Major der<br />

Reserve. Im aktuell­Interview<br />

erklärt der 51­Jährige, was die<br />

Innere Führung für ihn bedeutet<br />

– und wie er seine Erfahrungen<br />

damit als Führungspersönlichkeit<br />

im zivilen Bereich einsetzen kann.<br />

Was bedeutet die Innere Führung<br />

für Sie als Vorgesetzter?<br />

Ich habe den größten Teil meines<br />

Lebens im zivilen Bereich<br />

und zumeist in Führungsverantwortung<br />

gearbeitet. Beschäftigte<br />

reagierten immer überrascht,<br />

wenn ich darstellte, dass die<br />

Menschenführung in der Bundeswehr<br />

eigentlich deutlich weiter<br />

entwickelt ist als in den meisten<br />

privatwirtschaftlichen Unternehmen.<br />

Ich habe die Erfahrung<br />

gemacht, dass es im zivilen<br />

Bereich sehr autoritäre Beschäftigungsverhältnisse<br />

gibt und die<br />

Mitarbeiter weitgehend von Meinungs­<br />

und Entscheidungsprozessen<br />

ausgeschlossen sind. Im<br />

Grunde geht es bei der Bundeswehr<br />

heute viel ziviler zu.<br />

Als Reservist im Afghanistan-Einsatz: Tilman Engel (r.).<br />

Könnte die freie Wirtschaft von<br />

einer Unternehmenskultur wie<br />

die Innere Führung profitieren?<br />

Unbedingt. Es gibt heute natürlich<br />

viele Unternehmen, die in<br />

unterschiedlicher Form ihre Mitarbeiter<br />

weiterentwickeln und<br />

fördern. Aber gerade in kleineren<br />

Unternehmen könnte die<br />

Innere Führung der Bundeswehr<br />

ein Vorbild sein. Im zivilen<br />

Bereich wurde ich mit Themen<br />

wie Mobbing, Schikanen, Unterstellungen<br />

und Nachreden viel<br />

häufiger konfrontiert als bei der<br />

Bundeswehr.<br />

Wie sind Sie mit dem Konzept<br />

Innere Führung in Berührung<br />

gekommen?<br />

Foto: privat<br />

Ich wusste von dem Thema<br />

Innere Führung, lange bevor ich<br />

zur Bundeswehr kam, weil ich aus<br />

einem politisch sehr interessierten<br />

Elternhaus komme. Im Grundwehrdienst<br />

selbst war das natürlich<br />

auch Teil der Ausbildung.<br />

Welche Bedeutung hatte die<br />

Innere Führung damals für Sie?<br />

Ich habe damals schon den Eindruck<br />

gewonnen, dass es trotz des<br />

militärischen Umfeldes mit der<br />

Inneren Führung ein fein abgestimmtes,<br />

praxistaugliches System<br />

gibt, um die Menschen­ und<br />

Bürgerrechte des Soldaten zu achten<br />

und zu schützen.<br />

Die Fragen stellte Jan Rippl.


Viel Glück!<br />

12 aktuell VERMISCHTES 9. November 2015<br />

Troisdorf. Mann der ersten<br />

Stunde – dieses Prädikat kann<br />

Armin Halle für sein berufliches<br />

Leben oft in Anspruch<br />

nehmen. Einem breiten Fernsehpublikum<br />

ist der Journalist<br />

vor allem aus seiner Zeit als<br />

Chefredakteur und <strong>Nachrichten</strong>sprecher<br />

beim Sender Sat.1<br />

bekannt. In den 1980er-Jahren<br />

war der gebürtige Westfale<br />

sozusagen Pionier beim<br />

neuen Privatfernsehen.<br />

Einer der ersten war<br />

Halle 1957 auch<br />

in der gerade<br />

aufgestellten<br />

Bundeswehr,<br />

eingezogen<br />

als Freiwilliger<br />

mit den<br />

ersten Wehrpflichtigen.<br />

„Wir<br />

wurden sozusagen<br />

mit Handschlag begrüßt“, erklärt<br />

Halle. Sein Vater habe im Ersten<br />

Weltkrieg gedient und seinen<br />

Entschluss, Soldat zu werden,<br />

gestützt. Kein Normalfall zu dieser<br />

Zeit, „denn viele aus dieser<br />

Generation haben damals geradezu<br />

die Schnauze voll gehabt<br />

von Militär“, so der 79-Jährige<br />

weiter. Sechs Jahre verpflichtet<br />

er sich, wird Offizier und bildet<br />

Rekruten aus. Er wollte damals<br />

wissen, ob die neuen Streitkräfte<br />

Oft der Erste<br />

Armin Halle wird 1957 Soldat in der jungen Bundeswehr.<br />

Foto: Sandfuchs-Hartwig/RedBw<br />

Zeitzeugendokument: Halles Bundeswehr-Bootsführerschein.<br />

das Richtige sind: „Also<br />

der Dienst hat, so komisch<br />

es klingt, Spaß gemacht.“<br />

Kameradschaft zu erleben<br />

und mitzugestalten sei für ihn<br />

„ein Ding fürs Leben“, bekräftigt<br />

er.<br />

Und nebenbei studiert er in<br />

München Pädagogik und Philosophie,<br />

der Dienst als Jugendoffizier<br />

bietet das geradezu an –<br />

als Wegbereiter einer neuen<br />

Funktion, die ab 1958 Einzug in<br />

die deutschen Streitkräfte hält.<br />

Bis dato hatte es vergleichbare<br />

Posten nicht gegeben. In dieser<br />

bewegten Zeit stellt sich Halle<br />

in Diskussionen Themen wie<br />

NATO-Strategie oder Atomwaffensperrvertrag<br />

und unterrichtet<br />

Sicherheitspolitik an Schulen.<br />

Der Truppe ist der Oberstleutnant<br />

a.D. nach seiner aktiven Zeit<br />

immer treu geblieben. Denn bei<br />

verschiedenen Medien ist er<br />

der Redakteur für Außen- und<br />

Sicherheitspolitik. Bis Anfang<br />

der 1970er-Jahre der Verteidigungsminister<br />

anruft: „Helmut<br />

Schmidt hatte meine Artikel<br />

gelesen und bot mir an, Leiter<br />

des Pressereferates im Verteidigungsministerium<br />

zu werden“,<br />

erzählt Halle. Er will. Seine<br />

zweite Zeit bei der Bundeswehr<br />

beginnt. Sprecher bleibt er<br />

auch unter Schmidts Nachfolger<br />

Georg Leber.<br />

(tsh)<br />

Wie sieht ein typischer Tag im Ruhestand aus?<br />

Lesen-Lesen-Lesen. Niemals auf kleine Displays schauen.<br />

Was vermissen Sie aus Ihrem journalistischen Berufsleben?<br />

Das tägliche Gespräch mit (vor allem) den jungen Leuten in der Redaktion.<br />

Mit welcher Intention sind Sie 1957 als Freiwilliger zur Bundeswehr<br />

gegangen?<br />

Mein Interesse am Zeitgeschehen (Ost-West-Konflikt). Meine<br />

Opposition gegen das unpolitische „ohne mich“.<br />

Wie hieß der Verband, bei dem Sie eingezogen wurden?<br />

Es war ein Feldzeug-Bataillon in Munster zur Einkleidung. Für meine<br />

Schuhgröße (47) gab es keine Stiefel. Zum Antreten erschien ich mit<br />

eleganten schwarzen Halbschuhen. Los ging es so richtig bei den<br />

Pionieren in Höxter.<br />

Was wäre Ihre berufliche Alternative gewesen?<br />

Diplomatischer Dienst, Entwicklungshelfer. Wenn es gereicht hätte:<br />

Kabarettist, Textschreiber.<br />

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen am meisten?<br />

Er oder sie sollte Humor haben und die Fähigkeit, sich selbst und die<br />

anderen auf die Schippe nehmen zu können. So jemand führt keine<br />

Kriege, ist tolerant und ein Gewinn für die Gesellschaft.<br />

Wozu können Sie nicht nein sagen?<br />

Zu einer Einladung zum Segeln, zu einem Wildgericht und wenn<br />

eine Frau mich zum Tanz bittet.<br />

Wer sind Ihre Helden in der Wirklichkeit?<br />

Meist die, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Alle, die helfen.<br />

Auch diejenigen, die sich mutig gegen die selbsternannten Abendlandretter<br />

stemmen. Und natürlich unsere Soldaten im Einsatz.<br />

Sie waren lange auch <strong>Nachrichten</strong>sprecher, welche <strong>Nachrichten</strong>sendung<br />

bevorzugen Sie derzeit?<br />

Das unverkrampfte heute vom ZDF.<br />

Wie lautet Ihr Lebensmotto?<br />

Man ist erschrocken und verwirrt, sieht ein, dass man schon achtzig<br />

wird. Man schaut die andern an – mit List und merkt, dass man erst<br />

achtzig ist.<br />

44/2015<br />

SUDOKU<br />

Senden Sie die vier Lösungszahlen,<br />

die sich aus den farbigen Feldern<br />

ergeben, per E-Mail mit dem Betreff<br />

“Sudoku 44/2015” und Ihrer Postanschrift<br />

an:<br />

aktuell@bundeswehr.org<br />

Einsendeschluss:<br />

Sonntag dieser Woche<br />

Der Gewinn:<br />

Ein mobiler Bluetooth-Lautsprecher<br />

Creative D100<br />

Lösung der Ausgabe 42/2015:<br />

4 3 2 5<br />

Gewonnen hat:<br />

Martin Lossen<br />

Spielregeln: Füllen Sie das Raster mit den Zahlen von 1 bis 9. In jeder Zeile und jeder Spalte darf jede Zahl nur<br />

einmal vorkommen. Zudem kommt auch in jedem 3 x 3 Feld jede Zahl nur einmal vor. Doppelungen sind nicht<br />

erlaubt. Aus allen richtigen Einsendungen wird der Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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