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D 8512<br />
51. Jahrgang Nr. 44 Montag, 9. November 2015<br />
Im November 1955 stellt die Bundesrepublik ihre Streitkräfte auf.<br />
Wo steht die Bundeswehr heute?<br />
Ein aktuell-Schwerpunkt auf 12 Seiten.<br />
aktuell@bundeswehr.org
2 aktuell INTERN 9. November 2015<br />
BILD DER WOCHE<br />
Mit Angel an Bord von U-Boot S 171: Das U-Boot zählte ursprünglich zur Flotte der Kriegsmarine und wurde im Mai 1945 von seiner Besatzung versenkt. Elf Jahre später<br />
konnte es gehoben und überholt werden. Die Indienststellung als „U-Hecht“ bei der Bundesmarine erfolgte im Jahr 1958. Das Bild auf der Titelseite stammt aus dem Jahr<br />
1962 und zeigt Feldjäger in Rheinbach in Nordrhein-Westfalen. Mehr Eindrücke aus 60 Jahren Bundeswehr auf den Seiten 6/7.<br />
Foto: Siwik/Bundeswehr<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:<br />
Bundesministerium der Verteidigung<br />
Presse- und Informationsstab<br />
Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin<br />
Redaktionsanschrift:<br />
Redaktion der Bundeswehr<br />
Bundeswehr aktuell<br />
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Leitender Redakteur ( -2421):<br />
Vivien-Marie Bettex (vmd)<br />
Vertreter ( -2420)<br />
Hauptmann Patricia Franke (pfr)<br />
Politik: (-2830)<br />
Jörg Fleischer (jf)<br />
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Daniela Hebbel ( - 2650), Sebastian Nothing,<br />
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Satz:<br />
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bundeswehr.org<br />
ISSN: 1618-9086<br />
Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Filme,<br />
Fotos und Zeichnungen wird keine Gewähr übernommen.<br />
Namensbeiträge geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder. Sie entsprechen nicht unbedingt der<br />
Auffassung der Redaktion oder des BMVg. Nachdruck<br />
nur mit Genehmigung der Redaktion. Leserbriefe<br />
per E-Mail werden nur mit wirklichem Namen<br />
und Adresse berücksichtigt, außerdem behält sich die<br />
Redaktion das Recht auf Kürzung vor.<br />
ZITAT<br />
„Die wachsame Bewahrung der Freiheit ist eine<br />
gemeinsame Aufgabe aller Staatsbürger.“<br />
Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer während einer<br />
Ansprache vor der ersten Einheit der Bundeswehr im Januar 1956.<br />
KALENDERBLATT<br />
Vor 60 Jahren: Am 5. Mai 1955 treten die Pariser Verträge in Kraft.<br />
Sie bestimmen den völkerrechtlichen Rahmen für die äußeren Beziehungen<br />
der Bundesrepublik Deutschland. Sie schaffen so die Grundlage<br />
für die Wiedererlangung weitgehender Souveränität – und sind<br />
somit Voraussetzung für die Aufstellung nationaler Streitkräfte.<br />
Vor 60 Jahren: Am 9. Mai 1955 tritt die Bundesrepublik der North<br />
Atlantic Treaty Organization (NATO) bei. Diese hält die Reichweite<br />
militärischer Eigenständigkeit beschränkt. Als Reaktion auf die Aufnahme<br />
der Bundesrepublik in die NATO schließen acht damalige<br />
Ostblockstaaten, darunter die Sowjetunion, die DDR und Polen,<br />
ihrerseits einen militärischen Beistandsvertrag: den Warschauer Pakt.<br />
Vor 60 Jahren: Am 7. Juni 1955 wird aus der „Dienststelle Blank“<br />
das Bundesministerium für Verteidigung (später: Bundesministerium<br />
der Verteidigung). Die Dienststelle war seit 1950 mit Verteidigungsfragen<br />
befasst. Ihr Leiter Theodor Blank wird der erste Verteidigungsminister.<br />
Zuvor hieß er noch „Bevollmächtigter des Bundeskanzlers für<br />
die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammen hängenden<br />
Fragen“.<br />
Vor 60 Jahren: Am 12. November 1955 werden in der Bundesrepublik<br />
Deutschland die ersten 101 Freiwilligen zu Soldaten ernannt.<br />
Erst ab dem 1. April 1956 werden diese Streitkräfte den Namen „Bundeswehr“<br />
tragen. Weitere drei Monate später wird aus der Freiwilligen-<br />
eine Wehrpflichtarmee.<br />
(eb)<br />
EDITORIAL<br />
60 Jahre Bundeswehr – für mich<br />
vor allem ein Anlass, nach vorn<br />
zu schauen.<br />
Welche Aufgaben liegen jetzt<br />
vor den Streitkräften? Die Entwicklungen<br />
in dieser Welt werden<br />
die Bundeswehr in ihrem<br />
siebten Jahrzehnt sehr fordern.<br />
Das ist jetzt schon absehbar.<br />
„Stillgestanden“ ist keine<br />
Option.<br />
In vielen Teilen der Welt<br />
dominieren Leid, Armut und<br />
Konflikte. Klar ist: Die Auswirkungen<br />
gehen nicht an uns vorbei,<br />
nicht an Europa und nicht<br />
an Deutschland. Als Mensch und<br />
als Soldat spüre ich eine Verpflichtung<br />
zu helfen.<br />
Doch ich weiß: Sich dieser<br />
Verantwortung zu stellen, das<br />
ist leichter gesagt als getan. In<br />
Afghanistan bin ich als Soldat<br />
einer Schutzkompanie im Jahr<br />
2013 in Kundus in einen Hinterhalt<br />
geraten: Sprengfallen,<br />
Raketen, Verwundete. Staub,<br />
Schmutz, Schweiß – und das<br />
Gefühl von Ungewissheit.<br />
Wir haben alle überlebt, an diesem<br />
Tag, der einfach nicht enden<br />
wollte.<br />
Andere Kameraden hatten<br />
nicht so viel Glück. Tod und<br />
Verwundung zählen zur bitteren<br />
Realität des Soldatseins.<br />
Darüber hat der ehemalige<br />
Befehlshaber des Einsatzführungskommandos,<br />
Generalleutnant<br />
Hans-Werner Fritz,<br />
mit aktuell im Interview<br />
gesprochen. (Seite 5). „Ich<br />
habe mich nie daran gewöhnt<br />
und werde mich auch nie daran<br />
gewöhnen können“, sagt Fritz.<br />
Und: „Wir mussten lernen damit<br />
umzugehen, denn am Ende<br />
musste es weitergehen.“<br />
Die Erfahrungen aus Kundus<br />
haben mich geprägt. Meine<br />
Überzeugung aber bleibt. Als<br />
Soldat möchte ich einem Land<br />
dienen, das Verantwortung<br />
übernimmt. Ich will zur Stelle<br />
sein, genau dort, wo man mich<br />
braucht.<br />
Stabsgefreiter Sebastian Ahlberg,<br />
Redaktion der Bundeswehr
9. November 2015 MINISTERIUM / HINTERGRUND aktuell 3<br />
Die Bundeswehr ist ein Prototyp<br />
Bundestagspräsident Lammert sieht das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform tief in der Gesellschaft verankert.<br />
Berlin. 60 Jahre Bundeswehr,<br />
das sind auch 60 Jahre Parlamentsarmee<br />
– und wer sonst als<br />
der Bundestagspräsident könnte<br />
dazu die richtigen Worte finden.<br />
Die Redaktion der Bundeswehr<br />
hat mit Norbert Lammert das<br />
folgende Interview geführt.<br />
Herr Bundestagspräsident, haben<br />
unsere Soldaten mehr gesellschaftliche<br />
Anerkennung verdient?<br />
In meiner Wahrnehmung<br />
genießt die Bundeswehr großes<br />
Vertrauen und auch beachtliche<br />
Zustimmung in der Bevölkerung,<br />
was auch Untersuchungen des<br />
Sozialwissenschaftlichen Instituts<br />
der Bundeswehr sowie<br />
diverse Umfragen zeigen. Tatsächlich<br />
nehmen Bürgerinnen<br />
und Bürger in der Mehrheit eine<br />
wohlwollende Haltung zur Bundeswehr<br />
ein – rund drei Viertel<br />
der Befragten sind der Meinung,<br />
dass die Bundeswehr wichtig<br />
ist und zentrale Werte unserer<br />
Gesellschaft verkörpert. Es<br />
wäre schade, wenn der gesellschaftliche<br />
Rückhalt kleiner<br />
geredet wird, als er tatsächlich<br />
ist. Allerdings sind unsere Kultur<br />
der Trauer um die Gefallenen<br />
und der gesellschaftliche<br />
Umgang mit nach gefährlichen<br />
Auslandseinsätzen traumatisierten<br />
Soldaten und ihren Angehörigen<br />
möglicherweise noch<br />
nicht genug ausgeprägt. Aber<br />
auch das ändert sich allmählich<br />
– wie zum Beispiel die Einrichtung<br />
der Gedenkstätte im „Wald<br />
der Erinnerung“ bei Potsdam<br />
zeigt. In diesem Zusammenhang<br />
freut es mich besonders,<br />
dass das Ehrenmal im Bendlerblock<br />
um ein Informationszentrum<br />
erweitert wird.<br />
Die offizielle Geburtsstunde der<br />
Bundeswehr schlägt vor 60 Jahren<br />
am 12. November 1955. Was<br />
verbinden Sie ganz persönlich<br />
mit diesem Geburtstag unserer<br />
Streitkräfte?<br />
Bundestagspräsident Norbert Lammert ist überzeugt: Auf die Bundeswehr ist Verlass.<br />
Um den 12. November 1955<br />
hatte ich eher meinem siebten<br />
Geburtstag entgegen gefiebert;<br />
insofern sind meine persönlichen<br />
Erinnerungen an dieses<br />
historische Ereignis verständlicherweise<br />
eher vage. Zwölf<br />
Jahre später habe ich allerdings<br />
meinen Wehrdienst bei der Artillerietruppe<br />
in Ahlen und Dülmen<br />
geleistet – und dies war für mich<br />
eine prägende Zeit mit praktischen<br />
Erfahrungen, die mir auch<br />
im politischen Leben gelegentlich<br />
nützlich waren und sind.<br />
Welche historische Bedeutung<br />
hat die Parlamentsarmee Bundeswehr<br />
für Sie?<br />
Die Bundeswehr als Parlamentsarmee<br />
ist ja gewissermaßen<br />
ein Prototyp, denn es gibt<br />
weltweit kein zweites Beispiel<br />
für eine derartige parlamentarische<br />
Verankerung einer Armee<br />
in einem demokratischen Staat.<br />
Sie ist natürlich in dieser Form<br />
„als Kind des Kalten Krieges“ in<br />
einer ganz konkreten politischen<br />
innerdeutschen und internationalen<br />
Konstellation und vor dem<br />
Hintergrund der jüngsten deutschen<br />
Geschichte entstanden.<br />
Dass sich in Deutschland der<br />
Begriff „Parlamentsarmee“ eingebürgert<br />
hat, ist mehr als ein<br />
zufälliger Sprachgebrauch, sondern<br />
macht die enge vom Bundesverfassungsgericht<br />
ausdrücklich<br />
bekräftigte Verbindung<br />
von Bundeswehr und Bundestag<br />
deutlich. Denn das Parlament<br />
entscheidet über die Fragen,<br />
ob überhaupt und wenn<br />
ja, wo und wie lange, wie viele<br />
deutsche Soldaten, mit welchem<br />
Auftrag irgendwo in der Welt<br />
aktiv werden. Dies alles steht<br />
unter Parlamentsvorbehalt bis<br />
hin zu der gesetzlichen Regelung,<br />
dass im Ausland eingesetzte<br />
Soldaten auf Entscheidung<br />
des Parlaments jederzeit<br />
zurückgeholt werden können.<br />
Der Deutsche Bundestag ist sich<br />
dabei seiner Verantwortung für<br />
unsere Soldatinnen und Soldaten<br />
ganz besonders und ausdrücklich<br />
bewusst.<br />
60 Jahre Bundeswehr – welche<br />
wichtigen parlamentarischen<br />
Wegmarken fallen Ihnen zu<br />
diesem Jubiläum ein?<br />
NATO-Doppelbeschluss, die<br />
Wiedervereinigung, Auslandseinsätze,<br />
Aussetzung der Wehrpflicht!<br />
Welchen Stellenwert haben<br />
aus Ihrer langen Parlamentserfahrung<br />
heraus die Themen<br />
Bundeswehr, Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik im Tagesgeschäft<br />
des Bundestages?<br />
Der hohe Stellenwert der Bundeswehr<br />
und der Sicherheitspolitik<br />
im Bundestag lässt sich<br />
schon daran ermessen, dass der<br />
Verteidigungsausschuss zu den<br />
wenigen Ausschüssen mit Verfassungsrang<br />
gehört. Das Grundgesetz<br />
schreibt seine Einrichtung<br />
im Artikel 45a zwingend<br />
vor. Auch das Amt des Wehrbeauftragten,<br />
der im Auftrag des<br />
Parlaments handelt und jährlich<br />
einen Bericht über die aktuellen<br />
Entwicklungen und Probleme in<br />
der Bundeswehr vorlegt, zeigt,<br />
wie wichtig diese Themen für die<br />
Legislative sind. Und wenn Sie<br />
einen statistischen Blick in die<br />
Tagesordnungen des Bundestages<br />
werfen, werden Sie beeindruckende<br />
Zahlen entdecken: Die<br />
Bundeswehr war allein seit 1990<br />
Gegenstand von 402 parlamentarischen<br />
Anträgen, 110 Gesetzesvorlagen<br />
und 39 Regierungserklärungen<br />
– und das ist nur ein<br />
Ausschnitt der Bundestagsbefassungen<br />
in diesem Bereich...<br />
Foto: imago<br />
Unsere Soldaten verstehen sich<br />
als Staatsbürger in Uniform, wie<br />
definieren Sie die Rolle der Bundeswehr<br />
in der Gesellschaft?<br />
Das Leitbild des „Staatsbürgers<br />
in Uniform“ – bei der<br />
Gründung der Bundeswehr<br />
keinesfalls unumstritten – ist<br />
heute, auch nach der Aussetzung<br />
der Wehrpflicht, tief in<br />
der Gesellschaft verankert und<br />
zeigt damit, dass unsere Armee<br />
inzwischen ein wichtiger und<br />
selbstverständlicher Bestandteil<br />
unseres Staates ist.<br />
Welche Impulse hat aus Ihrer<br />
Sicht die Armee der Einheit<br />
unserem Land gegeben?<br />
Es war ein außergewöhnlicher<br />
Kraftakt, den die Bundeswehr<br />
auf dem Weg zur „Armee der<br />
Einheit“ stemmen musste. Dass<br />
es dabei gelungen ist, eine komplette,<br />
hochgerüstete Armee der<br />
früheren DDR beinahe geräuschlos<br />
aufzulösen und teilweise in die<br />
Bundeswehr zu integrieren – und<br />
dies bei Anwesenheit von Zigtausenden<br />
Soldaten einer im eigenen<br />
Land stationierten Besatzungsarmee<br />
– ist in der Geschichte beispiellos.<br />
Die Bundeswehr hat aus<br />
meiner Sicht am schnellsten die<br />
innere Einheit vollzogen und ist<br />
damit ein ermutigendes Beispiel<br />
für die ganze Gesellschaft.<br />
Was möchten Sie der Bundeswehr<br />
für die nächsten 60 Jahre<br />
mit auf den Weg geben?<br />
Die Soldatinnen und Soldaten<br />
der Bundeswehr können sich<br />
ebenso auf das Parlament verlassen,<br />
wie der Bundestag sich auf<br />
die Bundeswehr verlassen kann.<br />
Die Fragen stellte Jörg Fleischer.<br />
Das vollständige Interview<br />
lesen Sie auf<br />
www.bundeswehr.de.<br />
60 Jahre Bundeswehr: So wird in dieser Woche gefeiert<br />
Berlin. Start in die Festwoche „60 Jahre<br />
Bundeswehr“: Das Programm zum<br />
60. Geburtstag unserer Streitkräfte beginnt<br />
an diesem Montag.<br />
Zu 60 Jahren Bundeswehr gehören auch<br />
25 Jahre Armee der Einheit. Aus diesem<br />
Anlass wird bei der Panzergrenadierbrigade<br />
37 im thüringischen Bad Salzungen<br />
ein feierliches Gelöbnis von rund 200<br />
Rekruten stattfinden. Das erste Gelöbnis<br />
nach der Wiedervereinigung vor 25 Jahren<br />
fand in Bad Salzungen statt. Verteidigungsministerin<br />
Ursula von der Leyen<br />
wird die Festrede vor Soldaten, Angehörigen<br />
und Gästen aus Politik und<br />
Gesellschaft halten.<br />
An diesem Mittwoch findet<br />
aus Anlass des Jubiläums<br />
der „Runde Tisch für die Menschen<br />
der Bundeswehr“ statt.<br />
Dabei soll es in Anwesenheit der<br />
Ministerin um die gesellschaftliche<br />
Wertschätzung der Soldaten<br />
sowie die Verankerung der<br />
Bundeswehr in der Gesellschaft<br />
gehen. Zu dieser Veranstaltung<br />
im Verteidigungsministerium in Berlin,<br />
die in Kooperation mit dem ehemaligen<br />
Wehrbeauftragten des Deutschen<br />
Bundestages, Reinhold<br />
Robbe, stattfindet, werden rund<br />
30 ausgewählte Führungspersönlichkeiten<br />
aus Wirtschaft<br />
und Gesellschaft erwartet. Ebenfalls<br />
an diesem Mittwoch wird<br />
vor dem Reichstag der Große<br />
Zapfenstreich anlässlich des 60.<br />
Geburtstages der Bundeswehr<br />
stattfinden. Neben Bundespräsident<br />
Joachim Gauck, Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel und Abgeordneten<br />
des Deutschen Bundestages werden<br />
3400 geladene Gäste erwartet. Die Ansprache<br />
hält die Ministerin, Bundestagspräsident<br />
Norbert Lammert die Festrede.<br />
Das Parlament wird an diesem Donnerstag<br />
aus Anlass des Tages der Geburtsstunde<br />
der Bundeswehr vor 60 Jahren eine<br />
Plenardebatte abhalten. „Das Zeitzeugenforum<br />
60 Jahre Bundeswehr“ bietet ebenfalls<br />
an diesem Tag einen Rückblick und<br />
Ausblick zugleich. Die Ministerin wird<br />
zu dieser Veranstaltung des Bundeswehr-<br />
Verbandes und des Zentrums für Militärgeschichte<br />
und Sozialwissenschaften der<br />
Bundeswehr erwartet.<br />
(jf)
4 aktuell POLITIK / HINTERGRUND 9. November 2015<br />
von Patricia Franke, Simon<br />
Klingert und Burghard Lindhorst<br />
Santa Margarida. Als 36 000<br />
Soldaten aus 37 Nationen in den<br />
vergangenen Wochen die größte<br />
NATO-Übung des vergangenen<br />
Jahrzehnts bewältigten, demonstrierte<br />
die Bundes wehr im<br />
60. Jahr ihres Bestehens Präsenz.<br />
Keine Nation hatte mehr Soldaten<br />
zu „Trident Juncture“<br />
geschickt. Insgesamt nahmen<br />
3000 Bundeswehrsoldaten an<br />
der Übung in Portugal, Spanien<br />
und Italien teil.<br />
Das Szenario von „Trident<br />
Juncture“ ist symbolhaft für die<br />
Herausforderungen, vor denen<br />
die Bundeswehr jetzt steht.<br />
Es geht um komplexe hybride<br />
Szenarien und die Zusammenarbeit<br />
mit Partnernationen über<br />
große Distanzen hinweg. Heer,<br />
Luftwaffe und Marine müssen<br />
zusammenwirken. Die Ausgangssituation:<br />
der Kampf um<br />
Trinkwasser und natürliche Ressourcen.<br />
Neue strategische<br />
Herausforderung<br />
Mittendrin<br />
Die Entwicklung der Bundeswehr wird beim NATO-Manöver „Trident Juncture“ sichtbar.<br />
Gemeinsam mit rund 3000 deutschen Soldaten bei „Trident Juncture“: Zwei Gebirgsjäger beim Manöver in San Gregorio, Spanien.<br />
Experten stufen das Szenario<br />
als sehr realistisch ein. „Ohne<br />
zu deutlich auf einen bestimmten<br />
Gegner gerichtet zu sein, spiegeln<br />
die Szenarien doch die gegenwärtigen<br />
Krisen am Rande der<br />
NATO wider, denen sich das<br />
Bündnis durch Russland in der<br />
Ostukraine, den sogenannten<br />
Islamischen Staat in Syrien oder<br />
zerfallende Staaten und Massenflucht<br />
im Mittelmeerraum ausgesetzt<br />
sehen“, sagt Sebastian<br />
Feyock, Experte für Sicherheitspolitik<br />
bei der Deutschen Gesellschaft<br />
für Auswärtige<br />
Politik.<br />
Die NATO<br />
befindet sich in<br />
einer formativen<br />
Phase. „Die Allianz<br />
stehe vor<br />
neuen strategischen<br />
Herausforderungen<br />
im Osten<br />
und Süden“, sagt<br />
NATO-Generalsekretär Jens<br />
Stoltenberg. „Adaptivity by<br />
design“ heißt das Schlagwort. Die<br />
NATO will sich strukturell so aufstellen,<br />
dass sie nicht nur auf die<br />
existierenden, sondern auch auf<br />
künftige Herausforderungen rasch<br />
und angemessen reagieren kann.<br />
Immer zur Stelle<br />
Die Erwartung an die Deutschen,<br />
vor allem von US-amerikanischer<br />
Seite, in diesem Zusammenhang:<br />
Sie sollen sich<br />
noch deutlicher<br />
zu ihrer sicherheitspolitischen<br />
Führungsrolle in<br />
Europa bekennen.<br />
Deutschland<br />
reagiert. Gemeinsam<br />
mit den Niederlanden<br />
ist es<br />
Rahmennation der<br />
derzeitigen Interim-VJTF – der<br />
„Very High Readiness Joint Task<br />
Force“. Diese Speerspitze wurde<br />
beim NATO-Gipfel in Wales<br />
2014 beschlossen. Für 2019 hat<br />
Deutschland erneut Bereitschaft<br />
bekundet, diese Führungsrolle zu<br />
übernehmen.<br />
Überflutung, Schneechaos, Flüchtlinge – die Bundeswehr ist vor Ort.<br />
Viel Anerkennung bei<br />
„Trident Juncture“<br />
Bei „Trident Juncture“ gibt<br />
es viel Anerkennung für die<br />
Leistungen der deutschen Soldaten<br />
– und zwar auch auf der<br />
ganz praktischen Ebene. In nur<br />
24 Minuten hatten Pioniere aus<br />
Minden mit Schwimmschnellbrücken<br />
die 200 Meter weite<br />
Distanz über den Fluß Tejo überwunden.<br />
Rekordzeit. Kanadische<br />
Soldaten aus Québec zeigten<br />
sich beeindruckt. So beeindruckt,<br />
dass die Brücke seither<br />
das Titelbild der Facebook-Seite<br />
der 5. Mechanisierten Brigade<br />
(5e Groupe-brigade mécanisé<br />
du Canada) ziert.<br />
Facebook: Das Hintergrundbild der kanadischen Brigade.<br />
Foto: Markus/Bundeswehr<br />
Foto: Facebook<br />
Berlin. Das Wasser kam über<br />
Nacht und riss die Menschen<br />
förmlich aus dem Schlaf in den<br />
Tod – bis heute gilt die Hamburger<br />
Sturmflut vom 17. Februar<br />
1962 als eine der schlimmsten<br />
deutschen Naturkatastrophen.<br />
350 Menschen starben, mehr<br />
als 60 000 waren tagelang vom<br />
Wasser eingeschnitten, 15 000<br />
waren anschließend obdachlos.<br />
Die Folgen dieser Naturgewalt<br />
wären nicht auszudenken<br />
gewesen, wenn der damalige<br />
Hamburger Innensenator und<br />
spätere Bundeskanzler Helmut<br />
Schmidt bei der Bewältigung der<br />
Katastrophe auf den Einsatz der<br />
Bundeswehr verzichtet hätte, weil<br />
Zweifel bestanden, ob er damit<br />
seine Kompetenzen überschreitet.<br />
Der kriegsgediente ehemalige<br />
Offizier scherte sich nicht um<br />
Verwaltungsvorschriften, er entschied<br />
einfach. Und die angesprochenen<br />
Kommandeure vor Ort<br />
handelten. Mehr als 40 000 Soldaten<br />
waren im Einsatz. Bis heute<br />
gilt die Flut von Hamburg als der<br />
erste große Katastropheneinsatz<br />
der Bundeswehr.<br />
Geholfen hat die Bundeswehr<br />
im In- und Ausland von<br />
Beginn an. Denn seit jeher verfügt<br />
die Truppe über die technische<br />
Ausrüstung und vor allem<br />
auch über die nötige Personalstärke,<br />
die kurzfristig zum Einsatz<br />
kommen kann.<br />
Seit August dieses Jahres gilt<br />
das für das Flüchtlingsdrama<br />
gleichermaßen. Auch wenn<br />
die Soldaten mit dieser Form<br />
humanitären Elends bisher<br />
nicht konfrontiert waren. „Wir<br />
schaffen das“, wird Kanzlerin<br />
Angela Merkel nicht müde zu<br />
betonen, wenn es um die Flüchtlingskrise<br />
geht. Ähnliches verkündet<br />
Verteidigungsministerin<br />
Ursula von der Leyen in den vergangenen<br />
Wochen, wenn sie die<br />
Soldaten vor Ort besucht.<br />
Angefangen hat der Hilfseinsatz<br />
mit der Bereitstellung von<br />
Unterkünften in einem Dutzend<br />
Kasernen. Ein Vierteljahr später<br />
sind die „Helfenden Hände“ an<br />
mehr als 70 Standorten im Einsatz<br />
– bauen Zelte auf, geben Verpflegung<br />
aus und leisten vieles<br />
mehr. Ein Ende ist nicht absehbar.<br />
„Die Flüchtlingshilfe wird<br />
zu einer wichtigen zusätzlichen<br />
Aufgabe für die Soldatinnen und<br />
Soldaten der Bundeswehr“, sagte<br />
die Verteidigungsministerin vergangene<br />
Woche. Die Erfahrungen<br />
aus den Auslandseinsätzen<br />
2015: Flüchtlingshilfe – Zeltstadt in Doberlug-Kirchhain.<br />
1962: Flutkatastrophe Hamburg – Helfer retten Menschen.<br />
in den vielen Krisenregionen dieser<br />
Welt erweisen sich dabei einmal<br />
mehr als nützlich. Auf die<br />
Truppe ist im Katastrophenfall<br />
Verlass, das wissen die Politiker,<br />
das wissen aber vor allem auch<br />
die Menschen in Deutschland und<br />
der Welt.<br />
(tsh)<br />
Foto: Bundeswwehr (2)
9. November 2015 EINSATZ / BUNDESWEHR aktuell 5<br />
„Das scharfe Ende unseres Berufs“<br />
Der Umgang mit dem Tod: Generalleutnant Fritz spricht über persönliche Erfahrungen und ein ganz besonderes Bild.<br />
von Victoria Kietzmann und<br />
Alexander Strauß<br />
Potsdam. Der „Wald der Erinnerung“<br />
in der Henning-von-<br />
Tresckow-Kaserne ist ein Ort<br />
des Gedenkens. Sein einjähriges<br />
Bestehen fällt in diesem Jahr auf<br />
den Volkstrauertag. Einem der<br />
sogenannten stillen Tage, an dem<br />
der Kriegstoten sowie der Opfer<br />
von Gewaltherrschaft aller Nationen<br />
gedacht wird. Aber auch<br />
das Jubiläum zum 60-jährigen<br />
Bestehen der Bundeswehr fällt<br />
in diese Kalenderwoche. In den<br />
vergangenen sechs Jahrzehnten<br />
musste sich die Bundeswehr<br />
immer wieder den sicherheitspolitischen<br />
Entwicklungen anpassen.<br />
So sind Auslandseinsätze<br />
heute ein fester Bestandteil deutscher<br />
Sicherheitspolitik. Doch<br />
Einsätze bedeuten auch Risiken<br />
für Leib und Leben. Und auch<br />
der Umgang mit dem Tod forderte<br />
einen Lernprozess von allen<br />
Beteiligten: für die Soldaten, für<br />
Angehörige, für die Politik und<br />
für die Bevölkerung. Der „Wald<br />
der Erinnerung“ soll all jenen das<br />
offizielle Gedenken oder individuelle<br />
Trauern ermöglichen.<br />
An diesem Ort sprach Major<br />
Alexander Strauß für die aktuell<br />
mit dem ehemaligen Befehlshaber<br />
des Einsatzführungskommandos<br />
der Bundeswehr,<br />
Generalleutnant Hans-Werner<br />
Fritz, über den Umgang mit Tod<br />
und Verwundung.<br />
Sie waren während Ihrer Zeit<br />
als Kommandeur des damaligen<br />
Regionalkommandos<br />
Nord in Afghanistan mit Tod<br />
und Verwundung konfrontiert.<br />
Ist das etwas, an das man sich<br />
gewöhnen kann?<br />
Ein ganz besonderes Bild (l.): Im Gespräch mit Major Alexander Strauß erinnert sich Generalleutnant Hans-Werner Fritz an diesen speziellen<br />
Moment (r.). Erbaut in Kundus, ist der Ehrenhain nun Teil des „Waldes der Erinnerung“ in der Henning-von-Tresckow-Kaserne.<br />
Ich habe mich nie daran<br />
gewöhnt und werde mich auch<br />
nie daran gewöhnen. Der Tod<br />
von Kameraden geht mir persönlich<br />
sehr nahe. Man ist zusammen<br />
draußen gewesen, man hat zusammen<br />
gekämpft, und plötzlich ist<br />
ein vertrautes Gesicht einfach<br />
nicht mehr da. Aber wir mussten<br />
lernen, damit umzugehen, denn<br />
am Ende musste es weitergehen.<br />
Wir können den Lauf der Dinge<br />
nicht anhalten, aber wir können<br />
versuchen, dem Tod dieser Menschen<br />
einen Sinn zu geben. Wenn<br />
man dem Tod überhaupt einen<br />
Sinn geben kann.<br />
Es gibt ein besonders Foto, das<br />
von Ihnen und zwei Kameraden<br />
in Kundus aufgenommen worden<br />
ist. Können Sie etwas zur Entstehung<br />
sagen?<br />
Es war vor dem Ehrenhain in<br />
Kundus. Wir haben uns dort zufällig<br />
getroffen, die zwei Kameraden<br />
der Fallschirmjägertruppe und<br />
ich. Wir haben uns fast automatisch<br />
zusammengestellt – wie das<br />
Bild das auch zeigt – und waren<br />
in Gedanken bei unseren gefallenen<br />
Kameraden. Und so, wie<br />
ich jetzt meine Hand auf dieses<br />
Namensschild halte, haben wir<br />
es damals ebenfalls getan. Es ist<br />
der Name eines gefallenen Fallschirmjägers.<br />
Es war mir immer<br />
sehr wichtig, dass man an diesen<br />
Orten des Gedenkens den gefallenen<br />
Kameraden seinen Respekt<br />
und seine Ehrfurcht zollt.<br />
Foto: PIZEinsFüKdo<br />
Wie geht man als Vorgesetzter<br />
mit der Situation um?<br />
Es steigen Bilder in einem auf.<br />
Man hat Szenen und bekannte<br />
Gesichter vor Augen. Und das<br />
wühlt einen auf. Und dann stellt<br />
man sich selbst die Frage, ob<br />
man alles richtig gemacht hat,<br />
oder ob das Geschehene zu verhindern<br />
gewesen wäre. Wir werden<br />
darauf zu Lebzeiten keine<br />
Antwort bekommen. Aber das<br />
sind die Fragen, die mich persönlich<br />
bewegen. Auf der anderen<br />
Seite ist dort dieses tief empfundene<br />
Gefühl von gelebter Kameradschaft,<br />
besonders in solchen<br />
Extremsituationen. Alle stehen<br />
zusammen, unabhängig vom<br />
Dienstgrad. Es ist dieses Gefühl,<br />
dass man sich absolut auf den<br />
anderen verlassen kann. Und –<br />
ich sag das mal ganz vorsichtig –<br />
es ist auch dieser Ehrenkodex: Es<br />
bleibt keiner zurück, wenn etwas<br />
passiert ist. Wir nehmen alle mit.<br />
Konnte dieses Gefühl der Kameradschaft<br />
vielleicht erst in den<br />
Auslandseinsätzen entstehen?<br />
Ja, sicherlich. Denn es sind<br />
eben diese Grenzerlebnisse, die<br />
nicht wie eine Übung beendet<br />
werden können. Wo man nicht<br />
Schluss machen kann, duschen<br />
geht und sich ins Bett legt. Hier<br />
geht es um Leben und Tod. Und<br />
das ist eine solche Ernsthaftigkeit,<br />
das steigert die Kameradschaft<br />
noch um ein Vielfaches.<br />
Wo haben Sie diese Kameradschaft<br />
sonst noch erlebt?<br />
Ich möchte hier ausdrücklich<br />
unsere amerikanischen Freunde<br />
ansprechen, die für uns Verwundetentransporte<br />
– zum Teil durch<br />
Feuervorhänge – geflogen sind.<br />
Dafür habe ich größten Respekt.<br />
Es gibt nicht viele Berufe, in<br />
denen man das so erlebt. Wenn ich<br />
das so sagen darf: Diese Kameradschaft<br />
ist ein entscheidender<br />
Teil des Leims, der die Truppe<br />
zusammenhält. Ich halte das für<br />
unglaublich wichtig.<br />
Das vollständige Interview<br />
finden Sie auf<br />
www.bundeswehr.de<br />
Foto: Schneider / PIZ EinsFüKdo (2)<br />
Schreiben, was ungesagt blieb – der Brief einer Hinterbliebenen<br />
Von Detlef Schachel<br />
Als Soldat im Einsatz stellt man<br />
sich auf alle möglichen Begegnungen<br />
ein. Aber manchmal trifft<br />
es einen ziemlich unvorbereitet.<br />
So erging es mir in meinem letzten<br />
Einsatz in Mazar-e Sharif im<br />
Norden Afghanistans.<br />
Eines Abends machte ich als<br />
Presseoffizier Fotos am Ehrenhain<br />
für Gefallene im Camp<br />
Marmal. Die Fotos sollten für<br />
einen Artikel zum Jahrestag der<br />
für die Bundeswehr so verlustreichen<br />
Karfreitagsgefechte sein.<br />
Auf einer langen Mauer heben<br />
sich die Platten mit den Namen<br />
der Toten ab.<br />
Ich ging mit meiner Kamera in<br />
die Hocke, gerade an der Stelle<br />
mit den Namen der Gefallenen<br />
der Karfreitagsgefechte.<br />
Ein faustgroßer Felsstein störte<br />
das friedliche Bild. Also hob<br />
ich ihn weg, um gleich darunter<br />
einige zusammengefaltete<br />
Blätter beschriebenen Papiers<br />
zu erkennen – offensichtlich ein<br />
offen abgelegter Brief. Aber von<br />
wem und an wen?<br />
Vorsichtig zog ich die verwitterten<br />
Seiten auseinander<br />
und überflog höchst angespannt<br />
die kaum noch lesbaren Zeilen.<br />
Geschrieben von einer jungen<br />
Witwe, gerichtet an ihren gefallenen<br />
Ehemann. Sie berichtet<br />
über die Situation ihrer kleinen<br />
Familie, die nun ohne den<br />
Vater auskommen muss. Darin<br />
das Bedauern, „dass wir diese<br />
Gefahr einer Katastrophe wie<br />
jetzt nicht etwas ernster genommen<br />
haben und bestimmte Dinge<br />
geregelt haben.“ Am allermeisten<br />
wünscht sie sich jedoch einen<br />
Brief, „etwas was ich in den Händen<br />
halten kann und immer wieder<br />
vor Augen habe!“<br />
Spätestens jetzt, inzwischen<br />
auf dem Boden sitzend, ertappte<br />
ich mich dabei, Parallelen zu mir<br />
und meiner Familie zu ziehen.<br />
Ich legte den Brief zurück an seinen<br />
Platz und nahm mir auf dem<br />
Weg in die Unterkunft fest vor,<br />
vor meinem nächsten Einsatz<br />
eben diese bestimmten Dinge zu<br />
regeln. Und ich schrieb in dieser<br />
Nacht einen langen Brief an meine<br />
Lieben in der Heimat, um das zu<br />
sagen, was sonst ungesagt bliebe.
6 aktuell BUNDESWEHR aktuell 7<br />
Erste Parade: Generalleutnant Hans Speidel meldet Bundeskanzler Konrad Adenauer im<br />
Januar 1956 in Andernach.<br />
Ausbildung: Zwölf Jahre nach Kriegsende lernt dieser deutsche<br />
Soldat das Schießen - mit einem amerikanischen Gewehr.<br />
Gut gelaunt: 1959 rücken diese Wehrpflichtigen als Rekruten beim<br />
Panzergrenadierbataillon 281 in Neuburg an der Donau ein.<br />
Ungewohnter Anblick: Auch die Bundeswehr setzte sich zuweilen mit Paraden in<br />
Szene. Hier 1963 in Wunstorf.<br />
„Sie kommen doch hoffentlich in Uniform?“<br />
1950er-Jahre: Der erste Kampfanzug der Bundeswehr<br />
zeugt von US-Einfluss.<br />
Blutiges Jahr: 2010 werden deutsche ISAF-Soldaten in<br />
Afghanistan regelmäßig in schwere Gefechte verwickelt.<br />
Wandel zur Einsatzarmee: Im Kosovo unterstützen<br />
Bundes wehrsoldaten seit 1999 dabei, einen fragilen<br />
Frieden zu bewahren.<br />
Dresden. Oberst Professor Dr.<br />
Matthias Rogg leitet seit fünf<br />
Jahren das Militärhistorische<br />
Museum der Bundeswehr in<br />
Dresden. In diesen Tagen hat sein<br />
Haus eine neue Ausstellung zu 60<br />
Jahren Bundeswehr vorgestellt.<br />
Im aktuell-Interview spricht der<br />
Militärhistoriker über den Wandel,<br />
den die Truppe in sechs Jahrzehnten<br />
ihres Bestehens erlebt<br />
und gestaltet hat.<br />
Was fällt Ihnen spontan zu 60<br />
Jahren Bundeswehr ein?<br />
Etwa, dass die Bundeswehr in<br />
vielfacher Hinsicht eine ungewöhnliche<br />
Truppe ist. Keine<br />
deutsche Armee hat eine längere<br />
Geschichte vorzuweisen<br />
als diese. Die Kaiserliche Armee<br />
nicht, die ja überdies eine Kontingentarmee<br />
war. Nicht die Reichswehr<br />
oder Wehrmacht und auch<br />
nicht die NVA. Und die Bundeswehr<br />
war die einzige Wehrpflichtarmee<br />
in einer deutschen<br />
Demokratie. Noch nie gab es<br />
vorher eine Institution wie den<br />
Wehrbeauftragten des Deutschen<br />
Bundestages. Das gibt es weltweit<br />
überhaupt nur bei uns und<br />
in Schweden. Das sind schon ein<br />
paar Alleinstellungsmerkmale.<br />
Und längst nicht die einzigen …<br />
Natürlich nicht. Die Geschichte<br />
der Bundeswehr ist untrennbar<br />
mit der Inneren Führung verbunden.<br />
Die darin niedergelegten<br />
Prinzipien sind quasi die<br />
„Software“ dieser Armee. Und<br />
das Konzept ist so gut, dass es<br />
immer noch trägt. Das ist umso<br />
bemerkenswerter, als die Innere<br />
Führung ja unter völlig anderen<br />
gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen<br />
Bedingungen<br />
erarbeitet wurde als heute.<br />
Woran zeigt sich das exemplarisch?<br />
Die Bundeswehr ist mehr als<br />
eine bloße Pflichtengemeinschaft.<br />
Die Soldaten sind bei<br />
uns gesellschaftlich und politisch<br />
integriert. Sie nehmen am<br />
politischen Diskurs teil, gehen<br />
wählen und können gewählt werden.<br />
Der viel zitierte Staatsbürger<br />
in Uniform ist eine Realität. So<br />
etwas wie einen Staat im Staate<br />
gibt es nicht.<br />
Die Rolle der Bundeswehr als<br />
Parlamentsarmee …<br />
… ist ein ganz beredtes Beispiel<br />
dafür. Legitimation durch<br />
den Bundestag als zwingende<br />
Symbol der Einheit: Am 19. Oktober 1990 findet in Bad Salzungen das erste<br />
gesamtdeutsche Gelöbnis für Wehrpflichtige statt.<br />
Voraussetzung für soldatisches<br />
Handeln. Für uns Soldaten zeigt<br />
sich dadurch, dass Politik und<br />
Gesellschaft den Handlungsrahmen<br />
vorgeben. Gerade das verstärkt<br />
auch die Motivation, sich<br />
in diesem Beruf einzubringen.<br />
Sehen Sie die Institution Bundeswehr<br />
in der Bevölkerung verankert?<br />
Ja, auf jeden Fall. Anfangs<br />
haben viele Menschen mit der<br />
Truppe gefremdelt. Das Thema<br />
Wiederbewaffnung war in den<br />
50er Jahren ungeheuer umstritten.<br />
Das darf man nicht ausblenden.<br />
Die Bundeswehr war ein<br />
Findelkind der jungen Bundesrepublik,<br />
nicht mal der Name<br />
Foto: Bundeswehr<br />
war anfangs klar. Eine Menge<br />
Leute hätte seinerzeit die belastete<br />
Bezeichnung Wehrmacht<br />
vorgezogen. Selbst das Konzept<br />
der Inneren Führung wurde attackiert.<br />
Aber die Bundeswehr hat<br />
sich gegen all diese inneren und<br />
äußeren Widerstände entwickelt<br />
und ist am Ende mitten in unserer<br />
Gesellschaft angekommen.<br />
Die Bundeswehr wird 60, mehr<br />
als die Hälfte dieser Zeit sind Sie<br />
als Soldat dabei. Was ist für Sie<br />
der augenscheinlichste Unterschied<br />
zur Truppe von 1983?<br />
Das ist ohne Frage der Wandel<br />
von einer Armee zur Landesverteidigung<br />
hin zu einer Einsatzarmee.<br />
Anfang der 80er Jahre<br />
hätte keiner damit gerechnet, dass<br />
das Bundesverfassungsgericht<br />
1994 hergeht und Auslandseinsätze<br />
abseits des Bündnisgebiets<br />
unter Parlamentsvorbehalt<br />
zulässt. Aber die Bundeswehr hat<br />
sich erstaunlich flexibel gezeigt<br />
und diese Rechtssätze mit Leben<br />
gefüllt. Das war eine beachtliche<br />
Leistung, die uns im Einsatz bis<br />
heute hohes Ansehen einträgt.<br />
Hat sich der Beruf des Soldaten<br />
dadurch geändert?<br />
Zunehmende Spezialisierung: Der Truppe stehen 1982 viele verschiedene<br />
Waffensysteme zur Verfügung. Hier ein Kraftkarren vor Transall.<br />
In gewissen Zügen schon. Als<br />
junger Offizier lernte ich die<br />
Maxime: „Kämpfen können,<br />
um nicht kämpfen zu müssen.“<br />
Diese Idee der Abschreckung aus<br />
dem Kalten Krieg funktioniert<br />
bei einer Einsatzarmee nur noch<br />
bedingt. Deutsche Soldaten müssen<br />
heute jederzeit bereit sein,<br />
sich und ihre Kameraden zu verteidigen.<br />
Aber auch, wenn sich<br />
der Auftrag in Teilen geändert<br />
hat, stehen wir zu denselben ethischen<br />
Maßstäben.<br />
Wie ist es um die gesellschaftliche<br />
Akzeptanz der Bundeswehr<br />
bestellt?<br />
Aus meiner Sicht sehr gut.<br />
Umfragen zeigen das Vertrauen<br />
der Menschen in die Institution<br />
Bundeswehr. Da stehen wir<br />
immer ganz weit oben im Ranking.<br />
Auch auf der persönlichen<br />
Ebene als Soldat erlebe ich in der<br />
Öffentlichkeit überwiegend positive<br />
Resonanz. Wenn ich zu Vorträgen<br />
anreise, höre ich vorher oft<br />
die Frage: Sie kommen doch hoffentlich<br />
in Uniform? Natürlich.<br />
Wie denn sonst. Das Ambivalente<br />
an dieser Frage spüre ich natürlich.<br />
Aber ich glaube, die meisten<br />
Menschen sehen, dass es die Bundeswehr<br />
nicht einfach um ihrer<br />
selbst willen gibt, dass sie wichtige<br />
Aufgaben gut und zuverlässig<br />
erfüllt. Wir haben guten Grund,<br />
ein gesundes Selbstbewusstsein<br />
zu pflegen.<br />
Wie stehen Sie dazu, wenn Schulen<br />
Preise dafür erhalten, dass<br />
Sie Jugendoffiziere aussperren?<br />
Das finde ich schlicht skandalös.<br />
Die Aufgaben der Bundeswehr<br />
ergeben sich letztlich aus dem<br />
Grundgesetz. Jugendoffiziere<br />
machen keine Propaganda oder<br />
Rekrutenwerbung. Sie informieren<br />
über Sicherheitspolitik und<br />
die Rolle der Bundeswehr insgesamt.<br />
Diese Informationen sind<br />
für junge Menschen wichtig. Soldaten<br />
per se auszugrenzen, ist das<br />
Gegenteil eines offenen Diskurses,<br />
und das kritisiere ich entschieden.<br />
Würden Sie sich noch einmal<br />
für den Soldatenberuf entscheiden?<br />
Ja. Ich würde sofort wieder<br />
Soldat werden. Ohne Wenn und<br />
Aber.<br />
Die Fragen stellte Markus<br />
Tiedke.<br />
Zaghafte Öffnung: Ab 1975 dürfen Frauen in beschränktem Umfang<br />
als Soldatinnen zur Bundeswehr gehen. Seit 2001 stehen Frauen<br />
alle Bereiche der Bundeswehr offen.<br />
Stark in allen Teilstreitkräften: Ein Marinetaucher 1962<br />
auf Sylt kurz vor einem Übungstauchgang.<br />
Starke Waffe: 1965 wird der erste in der Bundesrepublik<br />
entwickelte Kampfpanzer vorgestellt – der Leopard I.<br />
Haarige Angelegenheit: Für kurze Zeit war 1971 mit dem<br />
Haarerlass auch das Tragen langer Haare beim Bund<br />
gestattet.<br />
Foto : Munker/Bundeswehr, Bundeswehr (2), Siwik/Bundeswehr (3), Krämer/Bundeswehr, Oed/Bundeswehr, Zins/Bundeswehr (2), Malez/Bundeswehr, PAO Kunduz, Baumann/Bundeswehr
8 aktuell BUNDESWEHR 9. November 2015<br />
Mit der Truppe für die Truppe<br />
Seit Ende Oktober werden Soldaten für Auslandseinsätze mit neuer Kampfbekleidung ausgestattet.<br />
von Björn Lenz<br />
Koblenz. Mehr als vier Jahre<br />
wurde entwickelt, erprobt, verbessert<br />
– jetzt kommt das Ergebnis<br />
in die Truppe: Der neue<br />
„Kampfbekleidungssatz Streitkräfte“.<br />
Er soll den Feldanzug<br />
ergänzen – und wird zuerst an<br />
Soldaten ausgegeben, die in den<br />
Auslandseinsatz gehen.<br />
Mit der Truppe<br />
entwickelt<br />
Ende Oktober in der Niederlassung<br />
der LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft<br />
(LHBW) in<br />
Koblenz: Hauptfeldwebel Meik<br />
H. gehört zu den ersten acht Soldaten,<br />
die mit der neuen Kampfbekleidung<br />
ausgestattet werden.<br />
Er wird 2016 im Nordirak in seinen<br />
sechsten Auslandseinsatz<br />
gehen, dieses Mal mit ganz neuer<br />
Ausstattung. „Der Feldanzug war<br />
nicht schlecht – aber wieso sollte<br />
man Soldaten nicht etwas Besseres<br />
zur Verfügung stellen?“,<br />
sagt der 40-Jährige. Bevor die<br />
Einkleidung losgeht, wird der<br />
großgewachsene Hauptfeldwebel<br />
zuerst einmal vermessen.<br />
„Wir haben für den Kampfbekleidungssatz<br />
Streitkräfte genaue<br />
Größen- und Schnittvorgaben für<br />
die Hersteller definiert, um eine<br />
exakte Passform zu erreichen“,<br />
erklärt Major Christian Stahl. Er<br />
ist im Bundesamt für Ausrüstung,<br />
Informationstechnik und Nutzung<br />
(BAAIN) für sämtliche Bekleidung<br />
der Bundeswehr zuständig – und<br />
von Anfang an an der Entwicklung<br />
und Erprobung der neuen Kampfbekleidung<br />
beteiligt. „Das ist die<br />
erste Bekleidung, die wirklich mit<br />
der Truppe entwickelt wurde.“<br />
Meik H. probiert inzwischen<br />
die neuen Kälteschutz-Unterwäsche<br />
an. Mit kritischem<br />
Blick mustert der LHBW-Mitarbeiter<br />
die Passform der Hose.<br />
„Ich würde die Hose eine Nummer<br />
kleiner nehmen, dann gibt es<br />
unten am Bein nicht so einen<br />
Wulst“, empfiehlt er dem Hauptfeldwebel.<br />
„Die neue Bekleidung<br />
funktioniert nach dem Zwiebelschalenprinzip“,<br />
erklärt Major<br />
Stahl. Die einzelnen Schichten<br />
der Bekleidung sind genau aufeinander<br />
abgestimmt und ermöglichen<br />
so etwa den optimalen<br />
Transport von Schweiß bis auf<br />
die äußerste Schicht – die sogenannte<br />
Atmungsaktivität.<br />
Nässeschutz zum<br />
Unterziehen<br />
Die Modularität der Kampfbekleidung<br />
wird auch bei der Einkleidung<br />
deutlich: Allein vier<br />
verschiedene Handschuhe werden<br />
Hauptfeldwebel H. angepasst.<br />
Die auffälligste Neuerung ist<br />
der Nässeschutz. Im Gegensatz<br />
zum Vorgänger wird er bei der<br />
neuen Kampfbekleidung nicht<br />
als oberste Schicht, sondern unter<br />
Kampfjacke oder Schutzweste<br />
getragen. „Das Ziel ist, dass der<br />
Soldat jederzeit an alle Taschen<br />
Daraus besteht der Satz<br />
• Unterhemd, kurzer Arm und langer Arm<br />
• Unterhemd, langer Arm, Mehrschicht<br />
• Unterhose, kurz und knöchellang<br />
• Unterhose, Mehrschicht<br />
• Hemd, langer Arm, Rollkragen<br />
• Jacke, Kaltwetterschutz<br />
• Hose, Kaltwetterschutz<br />
• Unterziehjacke, Kälteschutz<br />
• Unterziehhose, Kälteschutz<br />
• Jacke, Nasswetterschutz<br />
• Hose, Nasswetterschutz<br />
• Kampfjacke, Tarndruck<br />
• Kampfjacke, lang, Tarndruck<br />
herankommt“, erläutert<br />
Major Stahl. Der Nässeschutz<br />
zum Unterziehen ist<br />
ein komplett neu entwickeltes<br />
System und besteht aus einer Art<br />
dünnem, leichten Stretch-Material.<br />
Großer Vorteil: Zusammengefaltet<br />
passt er in eine kleine<br />
Tasche – und kann so immer am<br />
Mann bleiben. „Trägt sich gut“,<br />
bekräftigt Hauptfeldwebel H. seinen<br />
ersten Eindruck des neuen<br />
High-Tech-Materials.<br />
Als oberste Schicht gibt es<br />
neben der Kampfhose zwei verschiedene<br />
Kampfjacken in kurz<br />
oder lang. „Den alten Feldanzug<br />
Foto: Bartsch/Bundeswehr<br />
Grundform gibt es praktisch nicht<br />
mehr“, sagt Major Stahl. Stattdessen<br />
kann der Soldat – je nach<br />
Wetterbedingungen und Temperatur<br />
– aus dem Kampfbekleidungssatz<br />
eine sinnvolle Kombination<br />
zusammenstellen.<br />
Details wie Lüftungsmöglichkeiten<br />
bei den Jacken oder<br />
die Möglichkeit, verschiedene<br />
Kniepolster in die Hose einzuschieben,<br />
sind das Ergebnis der<br />
umfangreichen Trageversuche<br />
der neuen Bekleidung. „Zwischen<br />
den Prototypen und dem<br />
Endprodukt liegen Welten“,<br />
bestätigt auch Major Stahl.<br />
Noch 2015 sollen<br />
zunächst alle für den Auslandseinsatz<br />
geplanten Soldaten<br />
mit dem neuen Kampfbekleidungssatz<br />
ausgestattet<br />
werden. Bis 2017 plant die Bundeswehr<br />
die Beschaffung von<br />
24 000 Sätzen.<br />
Der Beitrag „Neue<br />
Kampfbekleidung“<br />
unter www.youtube.<br />
com/bundeswehr.<br />
• Kampfhose, Tarndruck<br />
• Polster, Körperpanzerungselement, Jacke<br />
• Polster, Körperpanzerungselement, Hose<br />
• Pullover Combat-Shirt, Tarndruck<br />
• Sack, Bekleidung und Ausstattung, Kompressionsbeutel<br />
• Fingerhandschuhe, Kampfhandschuhe taktil<br />
• Fingerhandschuhe, Kälte- und Nasswetterschutz<br />
• Fausthandschuhe, Kälteschutz<br />
• Unterziehfingerhandschuhe, Kaltwetterschutz<br />
• Socken<br />
Von Splittertarn zum 3-Farb-Tarndruck<br />
Foto: v.l.n.r. Altarchiv/Bundeswehr, Zins/Bundeswehr, Breuer/Bundeswehr , Weigner/Bundeswehr<br />
Feldanzug Splittertarn (li., 1956), Feldanzug olivfarben neben dem damals geplanten Feldanzug<br />
Tarndruck (mi., 1986), rechts der Feldanzug 3-Farb-Tarndruck (2009), neue Kampfbekleidung.<br />
Mit der Aufstellung Ende<br />
1955 erhielt die Truppe<br />
ihren ersten Feldanzug.<br />
Der weit geschnittene<br />
Anzug aus Jacke<br />
und Hose war in<br />
einer Abwandlung<br />
des noch aus<br />
Reichswehr-Zeiten<br />
stammenden<br />
Splittertarns gehalten<br />
und aus dickem,<br />
zeltbahnähnlichem<br />
Stoff gefertigt.<br />
Bereits ab<br />
1959 wurde er<br />
durch den einfarbigen<br />
„Kampfanzug<br />
jagdmeliert“ ersetzt.<br />
Der Anzug verfügte<br />
zum Schutz des Soldaten<br />
vor Feuchtigkeit<br />
über eine frühe<br />
Kunstfaser-Membran im Inneren. Da<br />
diese aber bei Bewegung knisterte und<br />
auf der Haut kratzte, bedachte die Truppe<br />
den äußerst unbeliebten Kampfanzug<br />
mit dem Namen „Filzlaus“. Ab Mitte<br />
der 1960er-Jahre wurde er durch den<br />
ursprünglich als Arbeitsanzug bezeichneten<br />
„Feldanzug olivfarben“ ersetzt. Mit<br />
kleineren Änderungen – so wurde der<br />
anfangs genutzte Stoff im Fischgrätmuster<br />
Anfang der 1970er-Jahre durch Moleskin<br />
ersetzt – blieb der Feldanzug bis zur Einführung<br />
des „Feldanzug Tarndruck“ in<br />
Flecktarn Ende der 1990er-Jahre in der<br />
Truppe. Mit den zunehmenden Auslandseinsätzen<br />
der Bundeswehr wurden<br />
schließlich anders geschnittene und aus<br />
leichteren Materialien hergestellte Varianten<br />
des Feldanzugs eingeführt. Zusätzlich<br />
zum normalen Flecktarn entstanden<br />
„3-Farb-Tarndruck“ für trocken-heiße<br />
Klimazonen und „5-Farb-Tarndruck<br />
Tropen“ für feucht-heiße Gebiete.
9. November 2015 MILITÄRGESCHICHTE aktuell 9<br />
Informationen zu allen laufenden Einsätzen der Bundeswehr finden Sie unter www.einsatz.bundeswehr.de<br />
Die 1960er<br />
• Angola (1960) Hungerhilfe<br />
• Algerien (1963) Hilfe nach Überschwemmung<br />
• Türkei (1966) Hilfe nach Erdbeben<br />
Im Einsatz<br />
Die Bundeswehr kann auf eine vielfältige Einsatzgeschichte zurückblicken – eine Auswahl.<br />
Marokko 1960. Nach einem sch<br />
ren Erdbeben in der Stadt Ag<br />
errichtet das Sanitätsbataillo<br />
einen Hauptverbandsplatz vor<br />
Nach knapp einem Monat endet<br />
erste internationale Hilfseinsatz<br />
jungen Bundeswehr.<br />
wedir<br />
a<br />
n 5<br />
Ort.<br />
der<br />
der<br />
Die 1970er<br />
• Chile (1971) Hilfe nach Hochwasser<br />
• Ägypten (1973) Transport von VN-Truppen<br />
• Äthiopien (1974) Hilfe nach Dürre<br />
Türkei 1976. Ende November erschüttert<br />
ein schweres Erdbeben<br />
den Osten der Türkei. Eine Kompanie<br />
des Sanitätslehrbataillons 865<br />
verlegt in das Katastrophengebiet<br />
und leistet medizinische Hilfe für die<br />
Erdbebenopfer.<br />
Die 1980er<br />
• Pakistan (1981) Hungerhilfe<br />
• Kolumbien (1985) Hilfe nach Vulkanausbruch<br />
• UdSSR (Armenien) (1988) Hilfe nach Erdbeben<br />
Sudan 1985. In den 1970er und<br />
80er Jahren leidet vor allem die<br />
Sahelzone in Nordafrika unter einer<br />
schweren Hungersnot. Die Bundeswehr<br />
hilft in einer Reihe von Ländern<br />
durch die Lieferung von Lebensmitteln.<br />
Foto: Hoffmann/Bundeswehr<br />
Foto: Bundeswehr<br />
Foto: Bohnert/Bundeswehr<br />
Die 1990er<br />
• Iran (1990) Hilfe nach Erdbeben<br />
• Griechenland (1994) Brandbekämpfung<br />
• Österreich (1999) Hilfe nach Lawinenunglück<br />
Die 2000er<br />
• Afghanistan (2002-2014) ISAF-Einsatz<br />
• Südostasien (2004) Hilfe nach Tsunami<br />
• Kuwait (2002-2003) Einsatz von ABC-Abwehrkräften<br />
Die 2010er<br />
• Somalia/Uganda (ab 2010) EU-Trainingsmission<br />
• Türkei (2012-2015) Active-Fence<br />
• Mittelmeer (ab 2015) Einsatz zur Flüchtlingsrettung<br />
Bosnien 1992. Ab Juli 1992 richten<br />
die Vereinten Nationen eine Luftbrücke<br />
ins belagerte Sarajevo ein.<br />
Die Bundeswehr beteiligte sich mit<br />
1412 Transall-Flügen und transportierte<br />
in knapp vier Jahren rund<br />
10 800 Tonnen Material.<br />
Kongo 2006. Zur Absicherung der<br />
Präsidentenwahlen in der Demokratischen<br />
Republik Kongo schickt die<br />
Europäische Union insgesamt 2400<br />
Soldaten. Ein Bundestagsmandat<br />
ermöglicht die Beteiligung von bis<br />
zu 780 deutschen Soldaten.<br />
Mali 2013. Im Rahmen der EU-Trainingsmission<br />
EUTM Mali beteiligen<br />
sich deutsche Soldaten an der Ausbildung<br />
der malischen Armee. Seit<br />
Juli 2015 wird der Einsatz durch den<br />
deutschen Brigadegeneral Franz<br />
Pfrengle geführt.<br />
Foto: Modes/Bundeswehr<br />
Foto: Bienert/RedBw<br />
Foto: Bier/Bundeswehr
10 aktuell SPORT 9. November 2015<br />
Höhenflug<br />
Die Karriere vieler Spitzensportler begann im<br />
Förderprogramm der Bundeswehr.<br />
von Klaus Rathje und<br />
Simon Klingert<br />
Foto: imago<br />
Berlin. Bei den Olympischen<br />
Spielen strahlen die deutschen<br />
Spitzensportler in die Kameras,<br />
wenn sie Bronze, Silber oder<br />
Gold geholt<br />
haben. Dass<br />
sie nebenbei<br />
auch<br />
eine Uniform<br />
tragen<br />
anstelle ihrer<br />
Trikots, spielt für<br />
die Medien meist<br />
keine Rolle. Dabei<br />
ist es die Sportförderung<br />
der Bundeswehr,<br />
die viele Erfolge deutscher<br />
Teams bei internationalen Sportveranstaltungen<br />
ermöglicht hat.<br />
So stand am Anfang der Karriere<br />
einiger bekannter Sportidole<br />
erst einmal das Kasernenleben.<br />
1998 etwa berichtete die aktuell<br />
von einem gewissen Gefreiten<br />
Dirk Nowitzki, der in Würzburg<br />
„Euphorie“ verbreite.<br />
Normgröße<br />
nicht erfüllt<br />
Der damals 19-jährige Basketballspieler<br />
galt zu dieser Zeit<br />
schon als bester Spieler seiner<br />
Altersklasse. Aber auch ein Dirk<br />
Nowitzki musste, bevor er in<br />
einer Sportfördergruppe seiner<br />
Leidenschaft nachgehen konnte,<br />
die ganz normale Grundausbildung<br />
absolvieren. Nun gelten<br />
bekanntermaßen Standards<br />
in einer Kaserne,<br />
was bei größeren Menschen<br />
zu Komplikationen<br />
führen kann.<br />
So zitiert diese Zeitung<br />
den damaligen<br />
Kompaniefeldwebel<br />
des 2,11 Meter großen<br />
Basketballspielers:<br />
„Wir mussten extra ein<br />
2,20 Meter langes Bett<br />
für ihn bei der Standortverwaltung<br />
Würzburg<br />
bestellen.“ Aber auch<br />
außerhalb der Kaserne<br />
war das Leben für das derzeit<br />
in den USA spielende<br />
Ausnahmetalent nicht einfach:<br />
„Im Biwak habe ich<br />
wie wahnsinnig gefroren,<br />
weil Schlafsack und Zelt<br />
viel zu kurz waren“,<br />
wußte Nowitzki<br />
zu berichten.<br />
Dass Angehörige der<br />
Bundeswehr bei Olympischen<br />
Spielen, Welt- und Europameisterschaften<br />
mit von der<br />
Partie sind, war nicht immer so.<br />
1968 beschließt der Bundestag<br />
die Einrichtung von Sportfördergruppen<br />
in der Bundeswehr.<br />
Grund: Die Vergabe der Olympischen<br />
Spiele an München im<br />
Jahr 1972 war mit einem gewissen<br />
Leistungsdruck verbunden.<br />
Eine Rolle spielte auch das<br />
mäßige Abschneiden des westdeutschen<br />
Teams bei der Olympiade<br />
in Mexiko 1968, bei der<br />
das Team der DDR im Medaillenspiegel<br />
weiter vorne lag.<br />
Bundeswehr als<br />
Talentschmiede<br />
Seit der Einrichtung der ersten<br />
Sportfördergruppen im Jahr<br />
1970 haben Soldaten der Bundeswehr<br />
regelmäßig an Wettkämpfen<br />
teilgenommen. Bei der Olympiade<br />
1972 in München traten<br />
25 Sportsoldaten der Bundeswehr<br />
an. 42 Jahre später – bei<br />
den olympischen Winterspielen<br />
in Sotschi – sind es 75 Soldatinnen<br />
und Soldaten. Damit stellen<br />
Bundeswehrangehörige die<br />
Hälfte des gesamten deutschen<br />
Kaders. 1990 wurden die Sport-<br />
för-<br />
dergrup-<br />
pen nahe der<br />
Leistungszentren<br />
und Olympiastützpunkte<br />
der deutschen<br />
Sportverbände neu<br />
aufgestellt – damit konnten die<br />
Trainingsmöglichkeiten weiter<br />
verbessert werden. Seither lässt<br />
sich die Liste der prominenten<br />
Sportsoldaten fast beliebig verlängern.<br />
Die erfolgreichen Rennrodler<br />
Georg Hackl und Susi<br />
Erdmann (siehe unten) gehören<br />
ebenso dazu wie die ehemaligen<br />
Gefreiten Ralf Schumacher und<br />
Philipp Lahm.<br />
Sprungschanze<br />
zum Erfolg<br />
Die Skisprung-Champions<br />
Sven Hannawald (Foto) und Martin<br />
Schmitt sind mit die bekanntesten<br />
Gesichter, die das Sportförderprogramm<br />
der Bundeswehr<br />
hervorgebracht hat. Seine sechs<br />
Jahre als Sportsoldat von 1995<br />
bis 2001 bezeichnet Hannawald<br />
Sportliche Wegbereiter<br />
rückblickend als „sehr wichtige<br />
Zeit“. „Ich habe mich sehr wohl<br />
gefühlt bei der Bundeswehr.<br />
Auch das Gruppengefühl fand<br />
ich wirklich großartig“. Pikanterweise<br />
blieb sein Sportkamerad<br />
Martin Schmitt immer ein paar<br />
Ränge unter Hannawald, der die<br />
Bundeswehr als Feldwebel verließ.<br />
Befehle erteilte er seinem<br />
vier Jahre jüngeren Teamkollegen<br />
aber nicht: „Diese Hierarchie<br />
habe ich nie herausgestellt. Im<br />
normalen Dienst mag das anders<br />
sein, aber unter Sportlern hatten<br />
die Jüngeren einfach Respekt vor<br />
den Erfahreneren. Das musste<br />
man nicht noch mit seinem höheren<br />
Dienstgrad betonen.“<br />
Der Weg der Bundeswehr als Kaderschmiede für den Spitzensport führte über das Wasser – und durch den Eiskanal.<br />
Foto dpa/pa<br />
Berlin. Als das junge Segel-<br />
Ass Willi Kuhweide 1964 bei<br />
den Olympischen Spielen in<br />
Tokio mit seinem Finn-Dinghy<br />
die Goldmedaille gewinnt,<br />
schreibt der Luftwaffen-Fähnrich<br />
Geschichte: Zum ersten Mal<br />
hat ein Angehöriger der Bundeswehr<br />
eine olympische Medaille<br />
gewonnen.<br />
Als Kaderschmiede für erfolgreiche<br />
Sportler sah sich die Bundeswehr<br />
damals nicht – aufstrebende<br />
Spitzensportler in Uniform<br />
konnten froh sein, wenn ihnen<br />
der Kommandeur gestattete, auch<br />
während der Dienstzeit zu trainieren.<br />
Der damalige Verteidigungsminister<br />
Kai-Uwe von Hassel war<br />
1965 der Überzeugung, die Aufgabe<br />
der Bundeswehr sei die<br />
Verteidigung der noch jungen<br />
Bundesrepublik – und nicht der<br />
Förderung von Sportsoldaten.<br />
Der Erfolg Kuhweides war dennoch<br />
ein wichtiger Grundstein für<br />
den Wandel der Bundeswehr zu<br />
einer Förderstätte des Spitzensports.<br />
Denn mit dem Gewinn der<br />
Goldmedaille durch den Publikumsliebling<br />
war nicht nur der<br />
Segelsport, sondern auch der<br />
Arbeitgeber des angehenden Piloten<br />
ins Blickfeld gerückt.<br />
Frauen stellen heute einen<br />
großen Teil deutscher Teams<br />
bei internationalen Sportveranstaltungen.<br />
Auch hier hat nicht<br />
zuletzt die Sportförderung der<br />
Bundeswehr eine Rolle gespielt.<br />
Pionierin unter den Sportsoldatinnen<br />
ist die Rennrodlerin und<br />
Bobpilotin Susi Erdmann. Nachdem<br />
sie bereits in der Nationalen<br />
Volksarmee der DDR sportlich<br />
gefördert worden war, trat<br />
Spitze: Susi Erdmann (l.) war die erste Sportsoldatin der Bundeswehr,<br />
Willi Kuhweide (r.) der erste Soldat mit Olympia-Medaille.<br />
Fotos: imago (2)<br />
Erdmann 1992 in den Sanitätsdienst<br />
der Bundeswehr ein und<br />
stieß zur Sportfördergruppe in<br />
Berchtesgaden. 1997 wurde sie<br />
als erste Sport-Berufssoldatin in<br />
die Bundeswehr aufgenommen –<br />
fünf Jahre später gewinnt sie ihre<br />
erste Bob-Weltmeisterschaft.<br />
Ihrem Dienstherren ist<br />
Erdmann auch nach dem Ende<br />
ihrer sportlichen Karriere 2007<br />
treu geblieben. Die zweifache<br />
Bob-Weltmeisterin dient als<br />
Sportfeldwebel an der Sanitätsakademie<br />
der Bundeswehr in<br />
München. Seit Beginn des Jahres<br />
sorgt sie zudem als Botschafterin<br />
für das betriebliche Gesundheitsmanagement<br />
für Bewegung<br />
in der Truppe.<br />
(kli)
9. November 2015 INNERE FÜHRUNG aktuell 11<br />
Konzept Menschlichkeit<br />
Die Innere Führung ist seit Gründung der Bundeswehr das Wesensmerkmal der deutschen Streitkräfte.<br />
Bonn. Am 12. November 1955<br />
werden in der Bonner Ermekeilkaserne<br />
die ersten 102 freiwilligen<br />
Soldaten der Bundeswehr<br />
ernannt. Die Bundesrepublik<br />
Deutschland stellt ihre Streitkräfte<br />
auf – eine Armee mit<br />
eigenem Selbstverständnis.<br />
Die Konzeption der Inneren<br />
Führung tritt an diesem Tag<br />
in ihre Praxisphase. Sie ist bis<br />
heute das Wesensmerkmal der<br />
Bundeswehr.<br />
Die Überlegungen zu einem<br />
Konzept für Menschenführung in<br />
den neuen deutschen Streitkräften<br />
beginnen bereits, als sich wenige<br />
Jahre nach Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges ein westdeutscher<br />
Verteidigungsbeitrag zur Verstärkung<br />
des westlichen Bündnisses<br />
abzeichnet. Die neuen Streitkräfte<br />
sollen sich deutlich von der<br />
Wehrmacht unterscheiden.<br />
In der „Dienststelle Blank“<br />
fasst man im Januar 1953 die in<br />
der „Himmeroder Denkschrift“<br />
von 1950 formulierten Überlegungen<br />
zum inneren Gefüge unter<br />
dem Sammelbegriff „Innere Führung“<br />
zusammen: „Alle Arbeiten<br />
auf dem Gebiet ,Innere Führung‘<br />
haben das Ziel, den Typ<br />
des modernen Soldaten zu schaffen<br />
und fortzubilden, der freier<br />
Mensch, guter Staatsbürger und<br />
vollwertiger Soldat zugleich ist“.<br />
Nach der Gründung der Bundeswehr<br />
treten das Soldatengesetz,<br />
die Wehrdisziplinarordnung, die<br />
Wehrbeschwerdeordnung und<br />
das Gesetz über den Wehrbeauftragten<br />
des Deutschen Bundestages<br />
in Kraft. In allen diesen<br />
Gesetzen weht bereits der<br />
Wind der Inneren Führung – sie<br />
garantieren die Rechtsstellung<br />
des Soldaten.<br />
Doch die Innere Führung bleibt<br />
umstritten. Die Debatte erlebt in<br />
den 1960erJahren ihren Höhepunkt.<br />
Eine zunehmende Militärfeindlichkeit<br />
macht sich bemerkbar,<br />
und die Zahl der Anträge<br />
auf Kriegsdienstverweigerung<br />
steigt. Kritiker lehnen die Innere<br />
Führung als zu theoretisch ab,<br />
argumentieren, das Prinzip von<br />
Befehl und Gehorsam dürfe nicht<br />
unterhöhlt werden. Demgegenüber<br />
habe eine Pluralität in den<br />
Streitkräften zurückzustehen.<br />
Am Konzept nicht<br />
„rütteln lassen“<br />
Eine Gruppe junger Leutnante<br />
widerspricht. Sie formulieren<br />
neun Thesen und entwerfen<br />
ein Berufsbild, das die politische<br />
Mitbestimmung hervorhebt und<br />
traditionelle Rollenerwartungen<br />
an den Offizierberuf ablehnt.<br />
Der 1969 ins Amt gekommene<br />
Verteidigungsminister Helmut<br />
Schmidt setzt ein umfangreiches<br />
Stichwort: Innere Führung<br />
Das Leitbild der Inneren Führung ist der Staatsbürger<br />
in Uniform. Gesellschaftliche Integration<br />
von Soldaten und die Garantie der Grundrechte für<br />
sowie die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien für<br />
das militärische Handeln bestimmen die Konzeption.<br />
Sie wird vom früheren Wehrmachtsoffizier<br />
Reformpaket um, führt unter<br />
anderem die wissenschaftlichen<br />
Hochschulen der Bundeswehr in<br />
Hamburg und München ein. Im<br />
Weißbuch 1970 wird zur Inneren<br />
Führung klargestellt: „Das Konzept<br />
hat sich bewährt. Die Bundesregierung<br />
wird daran nicht<br />
rütteln lassen. Seine Weiterentwicklung<br />
in einer sich fortschreitend<br />
wandelnden Gesellschaft ist<br />
freilich ein ständiger Prozess.“<br />
Eine Studie des Zentrums für<br />
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften<br />
der Bundeswehr aus<br />
dem Jahr 2013 zeigt, dass die<br />
Einstellung der Soldaten gegenüber<br />
dem Konzept der Inneren<br />
Führung heute überwiegend<br />
positiv ist.<br />
Herausforderungen<br />
erkennbar<br />
Mehr als die Hälfte der Soldaten<br />
sind mit dem Führungsstil<br />
ihrer unmittelbaren Vorgesetzten<br />
zufrieden. Die Autoren der<br />
Studie kommen zu dem Ergebnis:<br />
„Die Innere Führung ist ein<br />
Pfund, mit dem die Bundeswehr<br />
in der internen sowie der externen<br />
Kommunikation wuchern<br />
sollte.“<br />
Die Bundeswehr als Vorbild<br />
Dennoch sind neue Herausforderungen<br />
an die Innere Führung<br />
erkennbar. Dazu gehören<br />
die Integration von Soldatinnen,<br />
der Umgang mit religiöser Vielfalt,<br />
das äußere Erscheinungsbild<br />
der Streitkräfte und die Anpassung<br />
der Beteiligungsrechte.<br />
Autor: Oberstleutnant a.D.<br />
Hans-Joachim Reeb war Dozent<br />
an der Führungsakademie der<br />
Bundeswehr in Hamburg. Die<br />
ungekürzte Version seines Textes<br />
finden Sie in „if –Zeitschrift für<br />
Innere Führung“ (Nr.4/2015).<br />
Wolf Graf von Baudissin und weiteren Mitarbeitern<br />
der Dienststelle Blank in enger Abstimmung<br />
mit der Rechtsabteilung des Deutschen Bundestags<br />
ausgearbeitet. Wesentliche Aspekte der Inneren<br />
Führung sind Grenzen für Befehl und Gehorsam<br />
und das Prinzip „Führen mit Auftrag“. (vmd)<br />
Tilman Engel, Leiter einer Beratungsagentur und Major der Reserve, über Führungsethik bei der Bundeswehr.<br />
Foto: Hannemann/RedBw<br />
Frankfurt. Tilman Engel ist<br />
Leiter einer Beratungsagentur<br />
im Bereich Sport und Major der<br />
Reserve. Im aktuellInterview<br />
erklärt der 51Jährige, was die<br />
Innere Führung für ihn bedeutet<br />
– und wie er seine Erfahrungen<br />
damit als Führungspersönlichkeit<br />
im zivilen Bereich einsetzen kann.<br />
Was bedeutet die Innere Führung<br />
für Sie als Vorgesetzter?<br />
Ich habe den größten Teil meines<br />
Lebens im zivilen Bereich<br />
und zumeist in Führungsverantwortung<br />
gearbeitet. Beschäftigte<br />
reagierten immer überrascht,<br />
wenn ich darstellte, dass die<br />
Menschenführung in der Bundeswehr<br />
eigentlich deutlich weiter<br />
entwickelt ist als in den meisten<br />
privatwirtschaftlichen Unternehmen.<br />
Ich habe die Erfahrung<br />
gemacht, dass es im zivilen<br />
Bereich sehr autoritäre Beschäftigungsverhältnisse<br />
gibt und die<br />
Mitarbeiter weitgehend von Meinungs<br />
und Entscheidungsprozessen<br />
ausgeschlossen sind. Im<br />
Grunde geht es bei der Bundeswehr<br />
heute viel ziviler zu.<br />
Als Reservist im Afghanistan-Einsatz: Tilman Engel (r.).<br />
Könnte die freie Wirtschaft von<br />
einer Unternehmenskultur wie<br />
die Innere Führung profitieren?<br />
Unbedingt. Es gibt heute natürlich<br />
viele Unternehmen, die in<br />
unterschiedlicher Form ihre Mitarbeiter<br />
weiterentwickeln und<br />
fördern. Aber gerade in kleineren<br />
Unternehmen könnte die<br />
Innere Führung der Bundeswehr<br />
ein Vorbild sein. Im zivilen<br />
Bereich wurde ich mit Themen<br />
wie Mobbing, Schikanen, Unterstellungen<br />
und Nachreden viel<br />
häufiger konfrontiert als bei der<br />
Bundeswehr.<br />
Wie sind Sie mit dem Konzept<br />
Innere Führung in Berührung<br />
gekommen?<br />
Foto: privat<br />
Ich wusste von dem Thema<br />
Innere Führung, lange bevor ich<br />
zur Bundeswehr kam, weil ich aus<br />
einem politisch sehr interessierten<br />
Elternhaus komme. Im Grundwehrdienst<br />
selbst war das natürlich<br />
auch Teil der Ausbildung.<br />
Welche Bedeutung hatte die<br />
Innere Führung damals für Sie?<br />
Ich habe damals schon den Eindruck<br />
gewonnen, dass es trotz des<br />
militärischen Umfeldes mit der<br />
Inneren Führung ein fein abgestimmtes,<br />
praxistaugliches System<br />
gibt, um die Menschen und<br />
Bürgerrechte des Soldaten zu achten<br />
und zu schützen.<br />
Die Fragen stellte Jan Rippl.
Viel Glück!<br />
12 aktuell VERMISCHTES 9. November 2015<br />
Troisdorf. Mann der ersten<br />
Stunde – dieses Prädikat kann<br />
Armin Halle für sein berufliches<br />
Leben oft in Anspruch<br />
nehmen. Einem breiten Fernsehpublikum<br />
ist der Journalist<br />
vor allem aus seiner Zeit als<br />
Chefredakteur und <strong>Nachrichten</strong>sprecher<br />
beim Sender Sat.1<br />
bekannt. In den 1980er-Jahren<br />
war der gebürtige Westfale<br />
sozusagen Pionier beim<br />
neuen Privatfernsehen.<br />
Einer der ersten war<br />
Halle 1957 auch<br />
in der gerade<br />
aufgestellten<br />
Bundeswehr,<br />
eingezogen<br />
als Freiwilliger<br />
mit den<br />
ersten Wehrpflichtigen.<br />
„Wir<br />
wurden sozusagen<br />
mit Handschlag begrüßt“, erklärt<br />
Halle. Sein Vater habe im Ersten<br />
Weltkrieg gedient und seinen<br />
Entschluss, Soldat zu werden,<br />
gestützt. Kein Normalfall zu dieser<br />
Zeit, „denn viele aus dieser<br />
Generation haben damals geradezu<br />
die Schnauze voll gehabt<br />
von Militär“, so der 79-Jährige<br />
weiter. Sechs Jahre verpflichtet<br />
er sich, wird Offizier und bildet<br />
Rekruten aus. Er wollte damals<br />
wissen, ob die neuen Streitkräfte<br />
Oft der Erste<br />
Armin Halle wird 1957 Soldat in der jungen Bundeswehr.<br />
Foto: Sandfuchs-Hartwig/RedBw<br />
Zeitzeugendokument: Halles Bundeswehr-Bootsführerschein.<br />
das Richtige sind: „Also<br />
der Dienst hat, so komisch<br />
es klingt, Spaß gemacht.“<br />
Kameradschaft zu erleben<br />
und mitzugestalten sei für ihn<br />
„ein Ding fürs Leben“, bekräftigt<br />
er.<br />
Und nebenbei studiert er in<br />
München Pädagogik und Philosophie,<br />
der Dienst als Jugendoffizier<br />
bietet das geradezu an –<br />
als Wegbereiter einer neuen<br />
Funktion, die ab 1958 Einzug in<br />
die deutschen Streitkräfte hält.<br />
Bis dato hatte es vergleichbare<br />
Posten nicht gegeben. In dieser<br />
bewegten Zeit stellt sich Halle<br />
in Diskussionen Themen wie<br />
NATO-Strategie oder Atomwaffensperrvertrag<br />
und unterrichtet<br />
Sicherheitspolitik an Schulen.<br />
Der Truppe ist der Oberstleutnant<br />
a.D. nach seiner aktiven Zeit<br />
immer treu geblieben. Denn bei<br />
verschiedenen Medien ist er<br />
der Redakteur für Außen- und<br />
Sicherheitspolitik. Bis Anfang<br />
der 1970er-Jahre der Verteidigungsminister<br />
anruft: „Helmut<br />
Schmidt hatte meine Artikel<br />
gelesen und bot mir an, Leiter<br />
des Pressereferates im Verteidigungsministerium<br />
zu werden“,<br />
erzählt Halle. Er will. Seine<br />
zweite Zeit bei der Bundeswehr<br />
beginnt. Sprecher bleibt er<br />
auch unter Schmidts Nachfolger<br />
Georg Leber.<br />
(tsh)<br />
Wie sieht ein typischer Tag im Ruhestand aus?<br />
Lesen-Lesen-Lesen. Niemals auf kleine Displays schauen.<br />
Was vermissen Sie aus Ihrem journalistischen Berufsleben?<br />
Das tägliche Gespräch mit (vor allem) den jungen Leuten in der Redaktion.<br />
Mit welcher Intention sind Sie 1957 als Freiwilliger zur Bundeswehr<br />
gegangen?<br />
Mein Interesse am Zeitgeschehen (Ost-West-Konflikt). Meine<br />
Opposition gegen das unpolitische „ohne mich“.<br />
Wie hieß der Verband, bei dem Sie eingezogen wurden?<br />
Es war ein Feldzeug-Bataillon in Munster zur Einkleidung. Für meine<br />
Schuhgröße (47) gab es keine Stiefel. Zum Antreten erschien ich mit<br />
eleganten schwarzen Halbschuhen. Los ging es so richtig bei den<br />
Pionieren in Höxter.<br />
Was wäre Ihre berufliche Alternative gewesen?<br />
Diplomatischer Dienst, Entwicklungshelfer. Wenn es gereicht hätte:<br />
Kabarettist, Textschreiber.<br />
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen am meisten?<br />
Er oder sie sollte Humor haben und die Fähigkeit, sich selbst und die<br />
anderen auf die Schippe nehmen zu können. So jemand führt keine<br />
Kriege, ist tolerant und ein Gewinn für die Gesellschaft.<br />
Wozu können Sie nicht nein sagen?<br />
Zu einer Einladung zum Segeln, zu einem Wildgericht und wenn<br />
eine Frau mich zum Tanz bittet.<br />
Wer sind Ihre Helden in der Wirklichkeit?<br />
Meist die, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Alle, die helfen.<br />
Auch diejenigen, die sich mutig gegen die selbsternannten Abendlandretter<br />
stemmen. Und natürlich unsere Soldaten im Einsatz.<br />
Sie waren lange auch <strong>Nachrichten</strong>sprecher, welche <strong>Nachrichten</strong>sendung<br />
bevorzugen Sie derzeit?<br />
Das unverkrampfte heute vom ZDF.<br />
Wie lautet Ihr Lebensmotto?<br />
Man ist erschrocken und verwirrt, sieht ein, dass man schon achtzig<br />
wird. Man schaut die andern an – mit List und merkt, dass man erst<br />
achtzig ist.<br />
44/2015<br />
SUDOKU<br />
Senden Sie die vier Lösungszahlen,<br />
die sich aus den farbigen Feldern<br />
ergeben, per E-Mail mit dem Betreff<br />
“Sudoku 44/2015” und Ihrer Postanschrift<br />
an:<br />
aktuell@bundeswehr.org<br />
Einsendeschluss:<br />
Sonntag dieser Woche<br />
Der Gewinn:<br />
Ein mobiler Bluetooth-Lautsprecher<br />
Creative D100<br />
Lösung der Ausgabe 42/2015:<br />
4 3 2 5<br />
Gewonnen hat:<br />
Martin Lossen<br />
Spielregeln: Füllen Sie das Raster mit den Zahlen von 1 bis 9. In jeder Zeile und jeder Spalte darf jede Zahl nur<br />
einmal vorkommen. Zudem kommt auch in jedem 3 x 3 Feld jede Zahl nur einmal vor. Doppelungen sind nicht<br />
erlaubt. Aus allen richtigen Einsendungen wird der Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.