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Kapitel 5

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<strong>Kapitel</strong> 5: Von schlechten Lehrmeistern<br />

THYRVAR<br />

„Nein, nein und nochmals nein“, seufzte Thyrvar. „Wenn du in so einem großen Schwung angreifst,<br />

wird dich dein Gegner unterlaufen und du hast schneller ein Stück Metall im Rücken, als du nur<br />

denken kannst. Warum kämpft du in diesen großen Schwüngen?“ Es war der zweite Tag in der<br />

Gladiatorenschule, die Sonne stand mittäglich hoch am Himmel und er trainierte gemeinsam mit<br />

Desmondo. In seiner Heimat im hohen Norden war er ein Stammeskrieger gewesen. Er hatte seine<br />

Sippe gegen fremde Angriffe vereidigt, war bei dem einen oder anderen Überfall dabei gewesen<br />

und hatte die Jagdtrupps begleitet. Die Jahre dort in der Wildnis hatten seinen Körper geformt und<br />

gestählt, sodass er mit Recht von sich behaupten konnte, zu wissen, wie man überlebt. Bis sich sein<br />

Leben mit einem Schlag verändert hatte und er ein Söldner geworden war. Gemeinsam mit einem<br />

Haufen ähnlicher Existenzen, wie er selbst war er durch die Lande gezogen und hatte seine Waffen<br />

in den Dienst des Meistbietenden gestellt. Wenn er etwas gelernt hatte, dann kämpfen und was hätte<br />

er anderes tun sollen, ohne den sicheren Schutz seiner Sippe? Und dann war es geschehen. Ganz<br />

langsam und schleichend hatte sich seine Kameraden immer an ihn gewendet, wenn es ein Problem<br />

gab. Seine ruhige Stimme und innere Abgeklärtheit hatten ihnen Mut gemacht, wenn es ernst<br />

wurde. Seine Anwesenheit schien die Männer zu beruhigen und als er das Alles begriff, war ihm<br />

langsam klar geworden, warum sein Yalding zuhause im kleinen Dorf Fjarngad immer so seine<br />

Probleme mit ihm gehabt hatte... Dieser Desmondo aber war eine andere Art von Kämpfer. Thyrvar<br />

hatte das Kämpfen in die Wiege gelegt bekommen und war dann zu einem Anführer geworden.<br />

Desmondo stammte aus einer Familie von Anführern und hatte dann das Kämpfen gelernt. Oder<br />

zumindest glaubte er, er hätte es. Schon gestern war Thyrvar der eigenwillige Stil des jungen<br />

Mannes aufgefallen. Wo Thyrvar selbst in Kämpfen immer nach einer Lücke des Gegners suchte<br />

und dann gnadenlos zuschlug, schien für Desmondo das alles ein riesiges Theater zu sein. Er<br />

beherrschte die beiden Schwerter, daran bestand kein Zweifel, aber die Hälfte der Schritte die er<br />

machte kamen Thyrvar sinnlos vor und schienen nur dazu zu dienen, den Kampf in eine tänzerische<br />

Vorführung zu verwandeln. Und dann schwang er seine Waffen auch noch in seltsamen Bögen, die<br />

zwar beeindruckend aussahen, seinen Kampfstil aber unnötig verlangsamten. „Warum schwingst du<br />

diene Schwerter so weit, Junge? Dass nimmt die doch jeden Vorteil.“ Desmondo schien es<br />

überhaupt nicht zu mögen so direkt kritisiert zu werden. Sein Gesicht verzog sich merklich und sein<br />

sonst so immerwährendes Lächeln verschwand. Aus seiner Zeit als Sölner kannte Thyrvar diese<br />

jungen Männer. Wahrscheinlich hatte es in Desmondos Jugend nur wenige gewagt, den Sohn eines<br />

Granden zu kritisieren. Schon gestern waren Thyrvar Desmondos Fehler aufgefallen, aber er hatte<br />

den Mund gehalten, weil er wusste, wie sehr Kritik den Adelspross verletzte und weil er es sich


nicht unnötig mit ihm verderben mochte. Aber wenn er seinen Schwur halten wollte und alle, auch<br />

Desmondo, lebend durch die Arena bringen, dann musste er es ihm sagen. Thyrvar atmete tief<br />

durch. Der Konter des Jungen ließ nicht lange auf sich warten. Er hatte eine Antwort parat.<br />

Natürlich hatte er eine: „Ich schwinge sie in weiteren Bögen, damit es besser aussieht. Vielleicht hat<br />

man die das in dem Wald, aus dem du kommst nicht beigebracht, aber in den Arenen überlebt nur<br />

derjenige, der dem Publikum etwas bietet. Ja, ich habe gesehen, wie du deinen Hammer schwingst.<br />

Das macht sicher viel Spaß, ihn Leuten durch das Gesicht zu trümmern, aber ganz ehrlich, wenn das<br />

Volk dieser Stadt so etwas sehen wollte, könnte es auch den Bauarbeitern auf der Straße zuschauen<br />

und nicht den Helden der Arena.“ Im Stillen rief Thyrvar die Geister an, ihm Kraft zu geben. Unter<br />

Aufwand aller Selbstdisziplin, die ihm geblieben war schluckte er seine Ärger hinunter. Hätte<br />

zuhause in Fjarngard jemand so mit im gesprochen, hätte es wahrscheinlich einen Zweikampf<br />

gegeben. Und wenn einer seiner Söldnerkameraden.... Nein, niemand von denen hätte es gewagt, so<br />

mit ihm zu sprechen. Nur einen kannte er, der Ratschlag eines erfahreneren Kriegers so leicht<br />

abgetan hätte, und an den wollte er jetzt schon gar nicht denken. Mühsam beherrscht presste er<br />

hervor: „Wie dem auch sei. Du magst Recht haben und auf diesem Gebiet bist du wahrscheinlich<br />

erfahrener als ich, dass muss ich akzeptieren. Allerdings solltest du bedenken, dass du, bevor du in<br />

die Arena kommst diese Ausscheidung hier bestehen musst. Schau dich um, niemand von diesem<br />

Pack hier wird versuchen gut auszusehen, die wollen überleben, mehr nicht.“ Wieder zeigte<br />

Desmondo dieses Lächeln, dass er für so abgebrüht und stark hielt. Thyrvar wusste es besser. Es<br />

war das Lächeln eines Jungen, nicht das eines Mannes. Ein Mann lächelte, wenn wenn ihm etwas<br />

gelang, er gestattete sich diesen kleinen Moment, wenn er alleine mit seinem Erfolg war, oder er<br />

lachte laut, wenn er mit seinen Freunden feierte. Aber ein Krieger lächelte niemals, nur um sich<br />

selbst und den anderen etwas zu beweisen. Der Brabaci sah das offenbar anders. „Ganz ehrlich,<br />

Thyrvar. Du hast mich doch gestern kämpfen gesehen, die meisten von denen machen mir nicht die<br />

geringste Angst. Ich wurde mit Waffen ausgebildet, seit ich zehn Götterläufe hinter mir habe“, sagte<br />

er selbstzufrieden. Thyrvar hätte ihm jetzt sagen können, dass er er selbst sich im Kampf übte, seit<br />

er laufen konnte, dass man in seiner Heimat einen Zehnjährigen in harten Wintern manchmal schon<br />

mit auf Jagt schickte und dass er in seiner Zeit als Söldner schon viele junge Männer hatte sterben<br />

sehen, die von sich selbst glaubten, sie seien unsterblich. Aber er ließ es bleiben. Desmondo hätte<br />

dafür wahrscheinlich wenig Verständnis gehabt. Stattdessen beschloss er, den Südländer dort<br />

abzuholen, wo er war: „Seit deinem zehnten Namenstag also. Was hast du denn trainiert, wenn ich<br />

fragen darf?“ Desmondo nickte leicht überheblich und antwortete dann: „Ich wurde geschult, im<br />

Zweikampf, in den Grundlagen der Strategie und im Kampf gegen vier Männer.“ Jetzt klang er fast,<br />

wie ein Junge, der aufzählte, was er alles von der Geschichte eines Legendenerzählers behalten<br />

hatte. Als sei das alles nur ein lustiges Spiel, nicht tödlicher Ernst. Thyrvar räusperte sich. „Der


Kampf gegen vier Männer also. Ich kenne das. Man steht in der Mitte eines abgesteckten Feldes<br />

und an allen vier Ecken stehen deine Gegner und auf ein Kommando greifen sie dich an, nicht<br />

wahr?“ Desmondo nickte und Thyrvar fuhr fort: „Ja, da sieht gewiss schön aus, aber dort in der<br />

Arena wird niemand auf ein Startsignal warten. Wenn dort ein Mann hinter dir steht hast du ein<br />

Messer im Rücken ganz einfach.“ Desmondo schluckte hart. Thyrvar hatte ihm eigentlich nur eine<br />

kleine Lektion an den Kopf kanellen wollen, hatte ihn dabei aber offenbar weit mehr verletzt als<br />

beabsichtigt. „Aus dir spricht doch nur der Neid, alter Mann. Ja alt. Du siehst vielleicht nicht so<br />

aus, aber du bist es. Du bist auf irgendwelchen Schlachtfeldern alt geworden. Du redest dir selber<br />

irgendetwas vor, davon wie die Wellt funktioniert, bildest die ein, mit deiner sanften Stimme und<br />

deinen Muskeln wärst du ein geborener Anführer. Ich sage dir jetzt, was du bist: Ein Tyrann. Du<br />

hast uns diesen Schwur doch nur angeboten, weil es die Spaß macht Leute herumzuschubsen. Weil<br />

es dich aufgeilt, Macht zu haben. Wie lange ist es her, dass du das letzte Mal zwischen den Beinen<br />

einer Frau gelegen hast? Wie lange ist es her, dass du einfach nur in Gesellschaft von Freunden dein<br />

Leben genossen hast. Von Anfang an, hast du mich wie Abschaum behandelt, weil ich zu Leben<br />

verstehe und du nicht. Weil ich kämpfen kann und trotzdem auch etwas anders kenne, das ist doch<br />

erbärmlich.“, die letzten Sätze hatte Desmondo geschrien. Thyrvar wusste, dass er versagt hatte.<br />

Sein ganzer Körper zitterte und zu allem Überfluss spürte er, wie sich der Bär in ihm regte. Jeder<br />

Gjarlsker wird mit einem inneren Tier geboren und seines war der Bär, hatten ihm die Schamanen<br />

erzählt. Seit er seine Stamm verlassen hatte, hatte er den Bären nur noch in der Schlacht geweckt,<br />

jene wilde und ungezähmte Seite, die die Gjarlskerländer zu dem machten, was sie waren, aber jetzt<br />

ließ er sich nicht mehr beruhigen. Seine letzten Kräfte mobilisieren fragt er mit einer tödlichen<br />

Ruhe in der Stimme: „Du hältst deine Verantwortungslosigkeit also für einen Schritt ins bessere<br />

Leben? Ich frage mich, ob die Soldaten, die du bei deinem ersten Kommando so glorreich in die<br />

Gefangenschaft geführt hast das ähnlich sehen?“ Wenn Desmondo die Ruhe vor dem Sturm<br />

bemerkte, so ignorierte er sie. Sein südländisches Blut schien einmal mehr zu kochen, als er<br />

zurückschoss: „Ich habe nie darum gebeten, ein Anführer zu sein, ich tat es im Auftrag meiner<br />

Familie. Du hingegen warst es offenbar gerne. Wie schläft es sich eigentlich damit, alter Mann,<br />

wenn man weiß, dass die eigene Selbstsucht die besten Freunde in Kerker und Grab gebracht hat?<br />

Du hast kein Recht, mir moralische Vorhaltungen zu machen. Du bist nichts weiter, als ein Bauer,<br />

der sich wünscht ein Fürst zu sein.“ Thyrvars Hammer kam schnell. Der Schildarm fegte<br />

Desmondos lose gehaltene Schwerter beiseite, während die Waffe in die Seite des Brabaci<br />

einschlug, sodass er im Dreck landete. In diesem Moment dachte der Gjarlsker nicht mehr nach. Er<br />

sah den ungeschützten Kopf imS and liegen, der Hammer war schon in der Luft, doch im letzten<br />

Moment besann er sich und ließ ihn neben Desmondo auf den Boden krachen. „Ich hätte dich töten<br />

können, du kleiner Bastard. Andere werden es auch können, weil du zu arrogant warst, einen


einfache Rat anzunehmen.“ Mit diesen Worten schleuderte er den Hammer weit von sich und lief<br />

eiligen Schrittes zum Hauptgebäude zurück. Dort ließ er sich alleine in eine Ecke sinken und<br />

verbarg den Kopf mit den Händen, sodass niemand seine Tränen sah. Er hatte versagt. Als Anführer,<br />

als Lehrmeister und als Freund. Und was noch viel mehr schmerzte als der Streit mit dem<br />

Schwurbruder war, dass Desmondo wahrscheinlich in vielen Punkte Recht hatte. Versunken wie er<br />

war, bemerkte er die Frauengestalt in der schwarzen Robe nicht, die ihn aus sicherer Entfernung<br />

interessiert beobachtete.

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