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Distanz2_gesamt

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doch übersehen, dass mit dem inklusiven Leitgedanken<br />

nicht nur quantitative, sondern vor<br />

angesprochenen Wandel von institutionalisierter<br />

Segregation durch Sondereinrichtungen<br />

INKLUSION ALS NEOLIBERALE<br />

ERSCHEINUNGSFORM?<br />

ralisierung sprechen, der von den Schlüsselbegriffen<br />

Deregulierung, Liberalisierung und<br />

allem qualitative Unterschiede zum Prinzip der<br />

hin zu mehr Selbstbestimmung und Entschei-<br />

Flexibilisierung geprägt ist. Die Verantwortung<br />

Integration verknüpft sind: Letzteres löst zwar<br />

dungsfreiheit die konkreten Gestaltungsräu-<br />

Dennoch scheint eine kritische Auseinanderset-<br />

für den Erfolg am Arbeitsmarkt wird gänzlich<br />

die Segregation bestimmter Personengruppen<br />

me behinderter Menschen zur Bewältigung ih-<br />

zung mit der vorherrschenden Inklusionspraxis<br />

dem Individuum auferlegt, was gleichzeitig eine<br />

und deren „Behandlung“ in Sondersystemen<br />

rer Lebenssituation verbessert haben. So sind<br />

unerlässlich. Eine einseitige Fokussierung auf<br />

verschärfte Internalisierung der Erwerbsar-<br />

auf, behält allerdings die Vorstellung von Nor-<br />

Menschen mit Behinderung bei der Sicherung<br />

die vordergründig positiven Aspekte der Ver-<br />

beitsnorm mit sich bringt: „Das traditionell ver-<br />

malität und Abweichung, sowie die damit ver-<br />

ihrer materiellen Lebensgrundlage grundsätz-<br />

wirklichung eines „Rechts auf Arbeit“ verkennt<br />

ankerte Prinzip der Beruflichkeit sowie der in-<br />

bundene Dominanzstellung der „Normalen“ bei.<br />

lich nicht mehr an ein Arbeitsverhältnis des<br />

die Kehrseite dieser dialektischen Entwicklung<br />

dividuelle Wunsch nach einer kontinuierlichen<br />

Inklusion hingegen zielt auf die Auflösung der<br />

„zweiten“ Arbeitsmarktes gebunden. Pädago-<br />

und damit ihre Funktion bezüglich der Repro-<br />

und (möglichst) sinnstiftenden Erwerbsarbeit<br />

Hegemonie des Normalitätsparadigmas. Ka-<br />

gische wie sozialpolitische Inklusionsbemü-<br />

duktion kapitalistischer Herrschaftsverhält-<br />

sollen zugunsten einer schlichten, arbeitsethi-<br />

tegorisierungen bzw. dichotome Einteilungen,<br />

hungen eröffnen die Perspektive des Ausgangs<br />

nisse. Vielmehr gilt es, die notwendige Ein-<br />

schen Zuspitzung der Erwerbsarbeitsnorm auf-<br />

wie z.B. behindert/ nicht-behindert, männlich/<br />

aus der räumlichen wie sozialen Isolation der<br />

gebundenheit inklusiver Bemühungen in die<br />

gegeben werden, nach der jedwede Beschäfti-<br />

weiblich, etc., sollen zugunsten des Gedankens<br />

klassischen „Behindertenwerkstätten“ 7 und der<br />

bestehende ökonomische Ordnung und deren<br />

gung besser zu sein hat als eine Abhängigkeit<br />

einer „Einheit des Heterogenen“ 6 überwunden<br />

mit ihnen einhergehenden expertokratischen<br />

Herrschaftsstrukturen zu thematisieren. Vor<br />

von staatlichen Transferleistungen“. 10<br />

werden. Damit einher geht die normative Vi-<br />

Bevormundung durch Akteur*innen sozialer<br />

dem Hintergrund einer Wirtschaftsordnung,<br />

Durch das neoliberale Modell des „aktivie-<br />

sion einer Gesellschaft die auf Heterogenität<br />

Arbeit zugunsten einer eigenständigen Wahl<br />

die von Individualisierung, Flexibilisierung und<br />

renden Wohlfahrtsstaates“ sieht sich auch die<br />

aufgebaut ist und in der soziale Ausgrenzung,<br />

zwischen Sondereinrichtung und Normalar-<br />

Eigenverantwortlichkeit geprägt ist, erscheinen<br />

Soziale Arbeit mit grundlegenden Transfor-<br />

Diskriminierungen und Marginalisierungen<br />

beitsverhältnis.<br />

pädagogische und sozialstaatliche Anstrengun-<br />

mationsanforderungen konfrontiert. Mit dem<br />

der Vergangenheit angehören.<br />

Neben der Stärkung ihres Wunsch- und Wahl-<br />

gen zur Umsetzung der Inklusionsforderungen<br />

sozialpädagogischen Leitprinzip der Aktivie-<br />

Anknüpfend stellt sich allerdings die Frage, wie<br />

rechts bieten die erweiterten Beschäftigungs-<br />

weniger als emanzipatorische Hilfskonzepte,<br />

rung der Bürger*innen wird nicht nur der staat-<br />

es um die praktischen Versuche der Verwirkli-<br />

möglichkeiten Menschen mit Behinderung die<br />

denn als Mittel zur Unterwerfung behinderter<br />

lichen Einsparungspolitik zu Beginn des 21.<br />

chung des Inklusionsideals unter den konkre-<br />

Chance auf mehr soziale Anerkennung durch<br />

Menschen unter die aktuelle Form kapitalisti-<br />

Jahrhunderts 11 , sondern auch dem spätkapita-<br />

ten gesellschaftlichen Bedingungen bestellt ist.<br />

Angehörige der nichtbehinderten Dominanz-<br />

scher Verwertungszwänge.<br />

listischen Zeitgeist von Eigenverantwortung<br />

Verkehrt sich Inklusion angesichts ihres idealistischen<br />

Erlösungsanspruchs vielleicht sogar<br />

zwangsläufig in ihr Gegenteil? Im Nachfolgen-<br />

kultur. Wenngleich Lohnarbeit aufgrund von<br />

Wertewandel und allgemeiner Wohlstandsentwicklung<br />

zumindest subjektiv für viele Men-<br />

DIE INTERNALISIERUNG VON<br />

ARBEITSNORMEN<br />

und autonomem Problemmanagement, der<br />

den Betroffenen selbst die Schuld für ihre soziale<br />

Lage zuschreibt, entsprochen. Soziale Ar-<br />

den soll dieser Gedankengang weiter verfolgt<br />

schen an identitärer Bedeutung verloren zu<br />

beit soll demnach einerseits Angebote schaffen<br />

werden, indem die Janusköpfigkeit des Inklusi-<br />

haben scheint, bleibt sie in kapitalistisch struk-<br />

Mit dem sich Anfang der 1970er Jahre an-<br />

(„fördern“), gleichzeitig aber auch deren Annah-<br />

onsideals exemplarisch am Beispiel der berufli-<br />

turierten Gesellschaften das zentrale Moment<br />

bahnenden Übergang vom Fordismus zum<br />

me überwachen („fordern“): „Wenn der Spruch<br />

chen Teilhabe von Menschen mit Behinderung<br />

der Lebensgestaltung und Identitätsentwick-<br />

Postfordismus und den damit verbundenen<br />

‚jeder ist seines Glückes Schmied‘ […] Akzep-<br />

diskutiert wird.<br />

lung: „Je knapper Arbeit wird, umso bedeut-<br />

Modernisierungs-, Pluralisierungs- und Indivi-<br />

tanz findet, dann auch der, dass man manche,<br />

INKLUSION UND DIE ÜBERWIN-<br />

DUNG INSTITUTIONALISIERTER<br />

AUSGRENZUNG<br />

Es wäre fatal, die gegenwärtigen Bestrebungen<br />

samer wird die individuelle Partizipation an<br />

der Arbeitsgesellschaft für die persönliche<br />

Statusdefinition und das Gefühl, nicht zu dem<br />

exkludierten Drittel der Arbeitsmarktverlierer<br />

zu gehören“ 8 . Durch die Teilnahme am Produktionsprozess<br />

und der damit verbundenen<br />

31<br />

32<br />

dualisierungstendenzen ging ein zunehmender<br />

Bedeutungsverlust menschlicher Arbeitskraft<br />

einher. Das fordistische Normalarbeitsverhältnis,<br />

welches sich zumindest noch durch das<br />

Merkmal der Unbefristetheit auszeichnete,<br />

wurde durch neue Beschäftigungsformen wie<br />

‚zu ihrem Glück zwingen‘ muss“. 12 Im Gegensatz<br />

zur Sozialen Arbeit des Fordismus muss<br />

die heutige Sozialpädagogik die Menschen nun<br />

nicht mehr an den verbindlichen Maßstab eines<br />

Normalarbeitsverhältnisses bzw. einer Normalbiographie<br />

anpassen, sondern ist vielmehr dazu<br />

zur Umsetzung des Inklusionsgedankens im<br />

Demonstration von Leistungsbereitschaft und<br />

z.B Leih- und Teilzeitarbeit, Minijobs, Projek-<br />

aufgefordert, die heterogenen Berufs- und Le-<br />

Bereich der beruflichen Teilhabe behinderter<br />

Leistungsfähigkeit können defizitorientierte<br />

tarbeit und befristete Beschäftigung ersetzt 9 .<br />

benswünsche so zu organisieren, dass sie, egal<br />

Menschen gänzlich als regressiv zu verwerfen.<br />

Fremdwahrnehmungen abgebaut und das Risi-<br />

In Bezug auf die staatliche Sozialpolitik lässt<br />

in welcher Form, zum Funktionieren des wirt-<br />

Dadurch würde verkannt, dass sich durch den<br />

ko sozialer Isolation reduziert werden.<br />

sich vom Prozess einer umfassenden Neolibe-<br />

schaftlichen Gesamtsystems beitragen. 13 Wel-

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