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GIG September 2018

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Jetzt spricht:<br />

Karen Duve<br />

(Schriftstellerin)<br />

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Karen Duve<br />

Foto: Kerstin Ahlrichs<br />

Ihre Bücher avancierten zu Bestsellern, wurden mit Preisen ausgezeichnet<br />

und regten mit zeitrelevanten Themen zum Nachdenken an. Kurz vor<br />

Veröffentlichung ihres neuen Werks „Fräulein Nettes kurzer Sommer“<br />

haben wir mit der in Brandenburg lebenden Schriftstellerin nicht nur über<br />

ihre Romanprotagonistin Annette von Droste-Hülshoff gesprochen.<br />

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Frau Duve, es ist gerade erst 10 Uhr morgens.<br />

Stehen Sie immer mit den Hühnern auf?<br />

Nein, überhaupt nicht. Ich bin eigentlich ein Langschläfer,<br />

was noch von meiner früheren Zeit als<br />

Taxifahrerin herrührt.<br />

Apropos Hühner, was wurde aus dem Huhn,<br />

dass Sie damals aus einer Käfighaltung befreit<br />

haben?<br />

Ach, der arme Rudi ist leider an Hühnertuberkulose<br />

gestorben. Das war grausig. Man hat mich schon<br />

ziemlich merkwürdig angeguckt, als ich völlig verheult<br />

mit einem Huhn auf dem Arm in die Tierklinik<br />

kam. Aber Rudi war ja auch nicht irgendein<br />

Huhn.<br />

Als Fan Ihres „Lexikons berühmter Tiere“<br />

muss ich Sie natürlich fragen, wie Sie<br />

seinerzeit auf die Idee kamen, Flipper, Winnie<br />

Puuh oder dem Erdal-Frosch ein Denkmal zu<br />

setzen?<br />

Ich war dabei, eine Kurzgeschichte zu schreiben,<br />

in der es auch um den Hund Laika ging, der ja mit<br />

einem Satelliten in den Weltraum geschossen worden<br />

war. Damals gab es noch kein Internet, und als<br />

ich versuchte, etwas darüber zu recherchieren,<br />

habe ich gemerkt, dass es da gar nichts gab. So<br />

kam es zu der Idee mit dem Lexikon.<br />

Woher rührt Ihre besondere Beziehung zu Tieren,<br />

die letztlich dazu führte, dass Sie ein<br />

Buch wie „Anständig essen“ geschrieben haben<br />

und seit vielen Jahren Vegetarierin sind?<br />

Für mich bedeuten Tiere das, was für andere Fernreisen<br />

sind. Ich finde es noch spannender, andere<br />

Spezies kennen zu lernen als andere Kulturen. Man<br />

erfährt viel über sich selbst, wenn man mit Geschöpfen<br />

zusammenlebt, die einem einerseits ähnlich<br />

sind, in einzelnen Bereichen aber völlig anders<br />

funktionieren.<br />

Sie könnten es sich auf Ihrem Hof in Brandenburg<br />

bequem machen, Bücher schreiben, sich<br />

um Ihre Tiere kümmern und ansonsten sagen<br />

„Was interessiert mich die Welt da draußen.<br />

Was ist für Sie die Antriebsfeder, genau das<br />

eben nicht zu tun?<br />

Es drängt sich einfach auf. Ich habe eigentlich<br />

gar keine Lust, mit erhobenem Zeigefinger rumzulaufen.<br />

Aber ich stehe völlig fassungslos davor,<br />

wie gerade die Demokratie in Frage gestellt wird.<br />

Wie Grundrechte, die wir für selbstverständlich<br />

gehalten haben, auf einmal wieder zur Diskussion<br />

stehen.<br />

Für Ihren vor zwei Jahren erschienenen Roman<br />

„Macht“ gab es von der Kritik teilweise<br />

14,28mm<br />

harsche Worte. Trifft Sie Kritik noch oder lassen<br />

Sie sie erst gar nicht an sich heran?<br />

Ach doch, das trifft mich sehr. Aber immer nur<br />

kurz. Am nächsten Tag schüttele ich das ab wie<br />

eine Ente das Wasser. Man hat zwei Jahre mit viel<br />

Herzblut an einem Roman gearbeitet und erlebt<br />

dann so eine Geringschätzung. Wenn ein Kritiker<br />

mich aus tiefstem Herzen hasst und verabscheut,<br />

bin ich jedes Mal ganz bestürzt. Auch wenn es<br />

vermutlich bloß daran liegt, dass ich einen Nerv<br />

getroffen habe.<br />

Glauben Sie, dass Frauen die besseren Menschen<br />

sind, wie es in Ihrem Roman „Macht“<br />

nahe gelegt wird?<br />

Ja. Es ist nun einmal offensichtlich, dass überall<br />

auf der Welt nicht Männer von Frauen drangsaliert<br />

werden, sondern Frauen von Männern. In Indien<br />

werden sie ja teilweise wie Dreck behandelt.<br />

Und wenn wir irgendwo ein eingetretenes<br />

Bushäuschen sehen, haben wir automatisch einen<br />

wütenden, jungen Mann als Täter vor Augen. Das<br />

bedeutet nicht, dass es einen Menschen vor Ge-<br />

„Ich habe eigentlich gar<br />

keine Lust, mit erhobenem<br />

Zeigefinger rumzulaufen.“<br />

..............................<br />

richt verdächtiger macht, wenn es sich bei ihm<br />

um einen Mann handelt. Genau so wenig wie der<br />

Umstand, dass er aus einem bestimmten Land<br />

kommt. Natürlich kann es auch eine Frau gewesen<br />

sein, die das Bushäuschen eingetreten hat.<br />

Ich glaube an das Individuum. Aber die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass es ein Mann war, ist nun mal<br />

größer.<br />

Ihr neuer Roman „Fräulein Nettes kurzer<br />

Sommer“ orientiert sich an der Dichterin Annette<br />

von Droste-Hülshoff. Welche Idee<br />

steckte dahinter, sich mit der jungen Droste<br />

zu beschäftigen?<br />

Ich hatte so ein 70er-Jahre-Buch aus der Reihe<br />

„Frauen in der Gesellschaft“ gelesen. Ganz<br />

nebenbei war da von der so genannten Jugendkatastrophe<br />

der Annette von Droste-Hülshoff die<br />

Rede, wie sie von ihrer Familie fallen gelassen<br />

und gemobbt wurde, bloß weil sie etwas mit zwei<br />

Männer gleichzeitig gehabt hatte. Ich habe dann<br />

angefangen zu recherchieren, und dann ist das<br />

ausgeufert.<br />

17,0mm<br />

Wenn man es genau nimmt, hat sich Annette<br />

von Droste-Hülshoff ja auch schon mit den<br />

heute relevanten Themen wie Fürsorge,<br />

Stadt-Land und Ökologie beschäftigt.<br />

Na ja, sie hat schon sehr konservativ gelebt. Sie<br />

war vor allem religiös und hatte manchmal so<br />

eine kleine ironische Distanz, mit der sie sich<br />

selbst und Ihre Mitmenschen betrachtete. Sie<br />

konnte aber eben auch nicht aus ihrer adeligen<br />

Haut, schon weil sie gar keine Chance hatte. Sie<br />

schrieb nicht, um sich gegen etwas aufzulehnen,<br />

sondern weil sie nicht anders konnte. Sie war<br />

keine Kämpferin, keine Revolutionärin. Sie war<br />

eine sehr, sehr gute Schriftstellerin und eine kluge<br />

Frau.<br />

Man hat den Eindruck, dass es Ihnen Spaß gemacht<br />

hat, gegen bestimmte Mythen oder Legenden<br />

anzuschreiben.<br />

Karen Duve mit Pferd und Schwänen<br />

Foto: Kerstin Ahlrichs<br />

Mir hat das unheimlich viel Spaß gemacht. Ich<br />

habe mich ja erst einmal den historischen Fakten<br />

unterworfen und alles, was ich darüber in Lebenswerken<br />

von Historikerinnen und Historikern gefunden<br />

habe, Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen<br />

zusammengetragen. Und dabei stellte sich dann<br />

heraus, dass das bleiche, kränkliche Fräulein auf<br />

der Wasserburg in Wirklichkeit ein ziemlich wildes<br />

und sexuelles Wesen war. Manchmal war ich<br />

schon verzweifelt, weil die Recherche wahnsinnig<br />

viel Arbeit gemacht hat. Aber dann habe ich<br />

in irgendeiner verschollenen Doktorarbeit von<br />

1905 wieder so ein spannendes kleines Detail entdeckt.<br />

Es war wie eine Schatzsuche, bei der man<br />

immer wieder Neues entdeckt.<br />

Interview: Alexandra Mai<br />

Termine:<br />

13.09. MS - Stadtbücherei,<br />

29.10. OS - Blue Note im Cinema Arthouse,<br />

jew. 20 Uhr

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