WOHNDESIGN 06/2022 LEBEN MIT KUNST
DIE SCHÖNEN DINGE DES LEBENS / INTERIOR. KUNST. GENUSS UND REISEN
DIE SCHÖNEN DINGE DES LEBENS / INTERIOR. KUNST. GENUSS UND REISEN
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6|<strong>2022</strong> November/Dezember<br />
WOHN!DESIGN<br />
DIE SCHÖNEN DINGE DES <strong>LEBEN</strong>S<br />
INTERIOR. <strong>KUNST</strong>. GENUSS UND REISEN<br />
GUEST STAR: Dennis Rudolph<br />
Angesagte MUSEEN & GALERIEN<br />
Im ATELIER von Guillaume Féau<br />
D 9,50 €<br />
A 10,50 €<br />
CH 15,20 srf<br />
Lux/BE/NL 10,90 €<br />
I/E 12,80 €<br />
<strong>06</strong><br />
<strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong>.<br />
4 194128 909508
RORO – THE ORIGINAL SINCE 1998<br />
DESIGN ROLAND MEYER-BRÜHL<br />
BRUEHL.COM<br />
Product Design Award<br />
P A S S I O N F O R D E S I G N · E C O - C E R T I F I E D · H A N D C R A F T E D F O R Y O U
EDITORIAL !<br />
Wie wir ticken<br />
Den Handy-Schnappschuss hat meine Stuttgarter Freundin Kati auf einer Finissage in einer Berliner<br />
Galerie gemacht. Wir waren durch Zufall zur selben Zeit in derselben Stadt. Da traf es sich. „Ooooh, das<br />
Bild hinter Dir macht mir Angst. Es erinnert mich an unterdrückte und vermummte Frauen im Iran“,<br />
gestand sie mir im Gspräch vor einer Fotoarbeit von Thorsten Brinkmann. Ich war über diese Assoziation<br />
etwas überrascht und erklärte ihr, dass der Künstler Porträts im Stil Alter Meister inszeniert, der<br />
dafür Fundstücke von der Straße verwendet und immer wieder neu arrangiert. Das sehr virtuos, subtil<br />
und mit viel Humor, auf den der Titel des Werks „D‘Ironesse“<br />
bereits schließen lässt. Das Unbehagen konnte ich Kati, Yoga-Expertin,<br />
auf diese Weise nehmen. Gefallen hat es ihr trotz allem<br />
nicht. Wir haben unsere Diskussion über Kunst im Anschluss in<br />
einem veganen Restaurant vertieft. Mein erstes Mal … Ich war<br />
angenehm überrascht, und auf dem anschließenden Spaziergang<br />
durch das nächtliche Prenzelberg hatten wir noch eine sehr<br />
schräge Begegnung mit @rosaliemops und Halterin.<br />
Tage wie dieser in Berlin und anderswo liefern jede Menge Stoff<br />
für künftige Hefte genauso wie für die aktuelle Ausgabe zum<br />
Thema Kunst. Zum einen, weil es uns in der Redaktion darum<br />
geht, Hemmschwellen abzubauen. Warum nicht einfach mal in<br />
einer Galerie auf Entdeckungsreise gehen? Auch wenn man keine<br />
Ahnung hat. Was dabei passieren kann, wenn man auf echten<br />
Sachverstand trifft, lesen Sie ab Seite 168. Es sind Glücksmomente<br />
wie dieser, die jede Seite in diesem Heft immer wieder neu und<br />
auf andere Weise füllen. Sie basieren auf persönlichen Erfahrungen,<br />
Recherchen und Beobachtungen des W!D-Teams.<br />
Leben mit Kunst – wir haben uns dem Thema aus ganz unterschiedlichen<br />
Perspektiven genähert, ohne unsere DNA – Wohnen,<br />
Design, Architektur – aus den Augen zu verlieren. So gibt<br />
es ab Seite 30 zunächst eine Geschichte über eine Innenarchitektin,<br />
die das Thema Einrichten zur Kunst erhebt. Im Anschluss<br />
besuchen wir einen Künstler in seinem Atelier, der ein lässiges<br />
Design-Objekt kreierte, gefolgt von der Home Story über einen<br />
Sammler sozialkritischer Kunst. Danach ein Abstecher in ein Museum,<br />
das sich gerade ein neues Entree leistet und dafür ein Designer-Paar engagierte. Wir sprechen<br />
mit einem Galeristen über sein Berufsethos, tauchen in die Bildwelten eines Künstlers ab, der häufig<br />
mit Alltagsgegenständen arbeitet – und beenden unseren Exkurs mit einem Entwicklungshilfeprojekt<br />
in Afrika, das Kunst und Handwerk fördert. Auch alle nachfolgenden Reportagen, Hotspots und<br />
sogar unsere Carte Blanche sind kunstaffin.<br />
Das gilt auf andere Weise für unser Küchen-Spezial, das aus gegebenem Anlass ein Upgrade<br />
erhal- ten musste. Die Schnittmenge aus Kunst und Kochen ist ganz klar das Thema Sterne-<br />
Küche. Hier schließt sich der Kreis zu unserem Abend in Berlin und dem Besuch eines veganen<br />
Restaurants. Einer unserer Auserwählten ab Seite 152 berichtet, dass dies besonders ein Berliner<br />
Thema ist. Ein anderer in Hamburg winkte gleich ab und fand, dass man „vegan“ nicht auf ein<br />
3-Sterne-Niveau kommen könne. Die weiteren Sternstunden gestalten übrigens Köchinnen,<br />
noch eine spannende Entwicklung. Wir würden uns freuen, wenn Sie dies alles mitverfolgen und<br />
sagen bis bald,<br />
© KATI RÜGHEIMER<br />
Hier noch unsere persönliche Playlist<br />
für Sie zu dieser Ausgabe: Musik, zum<br />
Arbeiten, Kochen und Relaxen.<br />
Dr. Stephan Demmrich, Chefredakteur & Team<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
3
INHALT !<br />
104<br />
20<br />
30<br />
58<br />
168<br />
6 WD 6 I <strong>2022</strong>
INHALT<br />
WOHN!DESIGN<br />
6 I <strong>2022</strong> <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
3<br />
EDITORIAL<br />
83<br />
UNSER FEUILLETON<br />
Fotogewichtig und kontrastreich: List trifft auf friesische<br />
8<br />
IMPRESSUM<br />
Vorgärten und die ostdeutsche Fotografin Evelyn Richter<br />
180<br />
BEZUGSQUELLEN<br />
102<br />
REPORTAGEN<br />
10<br />
CARTOON<br />
104<br />
MAILAND Alte Meister treffen auf ein Männerpaar<br />
114<br />
PARIS Ein neues altes Gewand für die Wand? Boiserien<br />
INTRO<br />
122<br />
BRÜSSEL Apartment-Tour bei Bea Mombaers<br />
12<br />
FASHION Mangas sind das Thema der Saison<br />
132<br />
YUCATÁN Der unglaubliche Kunstpalast Javier Maríns<br />
14<br />
BEAUTY Was trägt man jetzt auf der Haut?<br />
142<br />
CARACAS So lebte die High Society in den Fifties<br />
16<br />
<strong>KUNST</strong>MARKT Kenner investieren jetzt in ...<br />
18<br />
STYLE Schnittstellen zwischen Kunst und Design<br />
150<br />
MODERNES <strong>LEBEN</strong> Krypto-Kunst<br />
20<br />
HEAVY METAL<br />
152<br />
SPEZIAL STERNEKÜCHE<br />
Starfotograf inszeniert Luxusyachten<br />
HOTSPOTS<br />
168<br />
Kunst kaufen in Berlin. Relaxen am Lago Maggiore.<br />
30<br />
TITELTHEMA<br />
Leben mit Kunst<br />
182<br />
Austellungen in Bonn und Wien. Schlafen in Köln<br />
ZU BESUCH in der Pop-up-Galerie von Sebastian Vogel<br />
Konzentration auf das Wesentliche ...<br />
... bedeutet: Wir stellen Ihnen eine Innenarchitektin<br />
vor, haben ein Atelier besucht. Im Anschluss gibt<br />
es Gespräche mit einer Farbexpertin über<br />
die Hängung von Bildern, mit einem Galeristen<br />
über seine Arbeit und jede Menge Lesestoff,<br />
etwa über ein Kunstprojekt als Entwicklungshilfe<br />
und einen sozialkritischen Kunstsammler.<br />
CARTE BLANCHE<br />
74<br />
Dennis Rudolph grüßt von der anderen Seite<br />
Unsere <strong>KUNST</strong>EDITION No. 18<br />
102<br />
Artjom Chepovetskyy sollten Sie kennenlernen<br />
152 FINE<br />
DINING: STERNEKÜCHE<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
7
6 I <strong>2022</strong><br />
WOHN!DESIGN<br />
INTERIOR TRENDS ARCHITEKTUR UND<br />
DIE SCHÖNEN DINGE DES <strong>LEBEN</strong>S<br />
Redaktion und Anzeigenverwaltung<br />
Mörikestraße 67<br />
70199 Stuttgart<br />
www.wohndesign.de<br />
VERLEGER<br />
CHEFREDAKTION<br />
FEUILLETON LEITUNG<br />
COVER<br />
<strong>MIT</strong>ARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Christian Peters<br />
christian.peters@wohndesign.de<br />
Dr. Stephan Demmrich (sd)<br />
Tel. +49 711 96666-412<br />
stephan.demmrich@wohndesign.de<br />
Prof. Rainer Groothuis<br />
MAISON KITSUNÉ © TREE13<br />
Ana Cardinale, Tami Christiansen, Francesco Dolfo<br />
Frank-Oliver Grün, Simona Heuberger, Markus Hieke, Alice Ida<br />
Nathalie Krag, Marzia Nicolini, Claudia Simone Hoff, Paul Raeside<br />
Benedetta Rossi, Francesca Sironi, Matthieu Salvaing, Nin Solis<br />
Monica Spezia, Jan Verlinde, Miriam Zimmermann (mz)<br />
GRAFISCHE GESTALTUNG<br />
REDAKTION<br />
TEXTREDAKTION<br />
ANZEIGENLEITUNG<br />
REPRÄSENTANZ ITALIEN<br />
REPRÄSENTANZ FRANKREICH<br />
SHOPPING GUIDE UND<br />
ANZEIGENDISPOSITION<br />
ABONNEMENTVERWALTUNG<br />
VERTRIEB<br />
HERSTELLUNG<br />
DRUCKEREI<br />
VERLAG<br />
Saskia Schweitzer<br />
Anke Gungl (ag)<br />
Tel. +49 711 96666-413<br />
anke.gungl@wohndesign.de<br />
Irmhild Tieck<br />
Ulrike Ehlers<br />
Tel. +49 711 96666-411<br />
ulrike.ehlers@wohndesign.de<br />
Studio Villa<br />
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arch. Ilaria Prato, ilaria@studiovilla.com<br />
Francesco Ravanello, francesco@studiovilla.com<br />
Anke Blagogee-Krüger<br />
Tel. +33 607187417<br />
anke@AnkeBlagogee.de<br />
Martin Lindner<br />
Tel. +49 711 96666-410<br />
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shopping@wohndesign.de<br />
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MZV GmbH & Co. KG, Unterschleißheim<br />
Lösch GmbH & Co. KG, Stuttgart<br />
Evers-Druck GmbH, Meldorf<br />
GOOD LIFE Publishing GmbH<br />
Borselstraße 18<br />
22765 Hamburg<br />
Der Nachdruck, auch auszugsweise,<br />
ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung<br />
der Redaktion gestattet. Für<br />
eingesandtes Bild- und Textmaterial<br />
wird keine Haftung übernommen.<br />
Abonnementpreis: 6 Ausgaben<br />
p.A. frei Haus: 36,00 Euro<br />
Ausland zzgl. Porto<br />
E-Paper (Einzelausgabe) 6,00 Euro<br />
E-Paper (Jahresabo) 30,00 Euro<br />
© GOOD LIFE Publishing GmbH<br />
ISSN 1664-1760<br />
8<br />
WD 6 I <strong>2022</strong>
ORIGINAL<br />
FOR THE<br />
ORIGINALS<br />
Saliscendi - 1957<br />
Achille und Pier Giacomo Castiglioni<br />
www.stilnovo.com
CARTOON ! TIL METTE<br />
10 WD 6 I <strong>2022</strong>
Die Retter der Tafelrunde.<br />
In diesem Stuhlsessel von Jehs + Laub lässt es sich ewig am Tisch ausharren. Denn das kuschelige Polsterkissen, ein sanft<br />
federnder Rücken und seitliche Einschnitte sorgen für den perfekten Sitz. Eingebettet sind die weichen Polster in einer filigranen<br />
Kunststoffschale mit eleganten Kurven, die auf dem in vier Varianten erhältlichen Fußgestell fast zu schweben scheint.<br />
Wer steht da schon freiwillig auf?<br />
COR.DE/ALVO
INTRO ! FASHION<br />
TIME TO PLAY<br />
Dass Fashion eine Kunst für sich ist, verdeutlicht<br />
das französische Modehaus Maison Kitsuné mit dieser<br />
herausragenden Kampagne. Das „Paris-meets-<br />
Tokyo“-Brand ist seit 2002 für Garderobe bekannt,<br />
die ausgeprägte Streetwear-Einflüsse, Verspieltheit<br />
und tragbare Designs mit den kulturellen und ästhetischen<br />
Strömungen dieser beiden Städte vereint. Das<br />
ist nun auch den Trendsettern in Südkorea aufgefallen.<br />
Für die erste Etappe des Projektes „Paris-Seoul“<br />
lieferte der koreanische Künstler Tree13 die passenden<br />
Illustrationen im Manga-Style, und stellt damit<br />
seine tiefe Verbundenheit mit der kreativen Avantgarde<br />
Seouls unter Beweis. We love, eindeutig!<br />
12 WD 6 I <strong>2022</strong>
INTRO ! BEAUTY<br />
FOR<br />
PERFUME<br />
LOVERS<br />
UNSERE LIEBLINGE<br />
FÜR WINTERTAGE<br />
Die News? Frauen tragen jetzt auch Männerdüfte oder Unis, von links. Hölzer, Kaffee und Florales: „Moon Sigh“, Atelier Oblique. Schwarztee,<br />
Tabak, Eichenmoos: „Sellier“, Byredo. Bergamotte, Sandstrohblume, Labdanum: „1740 Marquis de Sade“, Histoires de Parfums. Zitronenschale,<br />
Weihrauch und Amber ergeben eine fruchtig-orientalische Note: „Silver Hombre“, Alexandre J. Mandarine, Zitrone, Geranium und Rose,<br />
Moschus: „Vetyverio“, Dyptique. Outstanding: „Sycomore“, Chanel. Schwarze Johannesbeere, Jasmin, Tolubalsam: „1885 Bains Sulfureux “,<br />
Les Bains Guerbois. Warm und göttlich: „Paprika Brasil“, Hermès. Elegant: „Theseus“, Lorenzo Villoresi. Cremig-blumig, unisex und sensationell<br />
sinnlich: „Aqva Meravigliosa“, Re Profumo Venezia. Krass: „St. Vetyver“, D.S. & Durga. Klerikal zickig: „Rêve d‘Ossian“, Oriza L. Legrand.<br />
Den Teetisch entwarf Gustav Partz für Villeroy & Boch in der Jugendstil-Ära, darauf eine Seventies-Glasleuchte vom Trödel. Die originale<br />
Bauhaus-Leuchte „Rondella“ ist eine Design-Ikone von Christian Dell um 1927/1928, entdeckt auf Ebay, hier in der raren Kupferversion.<br />
14 WD 6 I <strong>2022</strong>
INTRO ! <strong>KUNST</strong>MARKT<br />
2<br />
1<br />
4<br />
3<br />
VIER UNTER 16‘<br />
Kenner kaufen immer häufiger Talente, sozusagen nebenbei als Rente. Denn das Geld verfällt. Liegt es im Tresor und<br />
auf der Bank, macht es derzeit Sorgen und am Ende krank. Daher ab damit in die Welt – gern‘ für Kunst, die uns gefällt<br />
1 | Bertram Hasenauer. Wir lieben seine Arbeit „All instant things are fading“ von 2014 wegen ihrer melancholischen Note. Acryl auf<br />
Holz, 80 x 60 cm, ca. 7.000 Euro entdeckt im Portfolio der Galerie Fuchs in Stuttgart. 2 | Brett Charles Schneider geht gerade ab, wie<br />
Schmitz Katze. „Having a Coke with you“, Bitumen und Dachfarbe auf Leinwand, 82 x 51 cm, für ca. 1.665 Euro. Unser Liebling bei der<br />
Berliner Galerie Eigen + Art. 3 | Nick Dawes kreierte sein „Sign Painting“ 2004. Öl auf Leinwand in den Maßen 38 x 36,6 cm; 4.400 Euro<br />
im tollen Programm bei Kornfeld (Berlin). 4 | Brandon Lipchik geht weg wie warme Semmeln. Zumindest Werke wie „Makeup Brush“<br />
(Öl und Acryl auf Leinwand, 120 x 107 x 10 cm) von 2021 für 15.000 Euro in der coolen Kunstinstitution von Robert Grunenberg in Berlin.<br />
16 WD 6 I <strong>2022</strong>
OHLINDA BY BRETZ<br />
INTERIOR INNOVATION AWARD ARD WINNER<br />
ALEXANDER-BRETZ-STR. ANDER-BRETZ-STR.<br />
2 D-55457 D GENSINGEN TEL. <strong>06</strong>727-895-0 0<br />
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KÖNIGSBAU PASSAGEN STUTTGART SALZGRIES 2
1<br />
GANZ UNTER UNS:<br />
<strong>KUNST</strong><br />
Knallbunt wie Street Art aus London, „War Rugs“ in<br />
afghanischer Tradition aus Bochum? Kunst kann und<br />
darf alles. Wir hätten da ein paar Vorschläge für Sie …<br />
1 | Kunstinstallation? Die Kork-Drops von Designer Bodo Sperlein<br />
für Preform werden an der Decke aufgehängt und dämpfen den<br />
Lärm im Raum. Ideal platziert sind sie über Tischen, in vollen Restaurants<br />
und bei lauten Familienfeiern, wenn der Geräschpegel<br />
nebenan mal wieder nur noch nervt.<br />
2 | Haare sind für die New Yorkerin Lorna Simpson „eine<br />
schwungvolle Quelle der Macht“. Ihre Fotoarbeiten stellen Fragen<br />
zu Identität, Ethnie, Gender und Fiktion. Darunter „Touching“ –<br />
ein Motiv der „Artist Scarves“ der Galerie Hauser & Wirth, feine<br />
Seiden-Carrés (130 x 130 cm), bedruckt mit guter Kunst.<br />
3 | Zugreifen! Die Editionen des britisch-nigerianischen Künst-<br />
2<br />
18 WD 6 I <strong>2022</strong>
INTRO ! STYLE<br />
4<br />
3<br />
5<br />
lers und Designers Yinka Ilori, der gerade mit einem farbenfrohen<br />
Kunst-Pavillon das Stadtbild von Berlin aufgemischt hat,<br />
sind schnell ausverkauft. Von dem pop-bunten Basketball „ORUN“<br />
gibt es genau 300 Stück, davon 30 Exemplare handsigniert.<br />
4 | Rug Bombs heißt eine Kollektion von Jan Kath, die Gewalt und<br />
kriegerische Konflikte der letzten Jahrzehnte thematisiert, und<br />
jetzt auch auf der Bangkok Art Biennale zu sehen ist. Der berühmteste<br />
Teppichdesigner der Welt ist damit offiziell auch Künstler.<br />
5 | Unwiderstehlich ist der Blick dieser Zwerg-Dackeldame (Öl auf<br />
Holz, 20 x 25 cm). Die Münchnerin Nina Lang porträtiert Menschen<br />
und Hunde und schaut ihren Modellen dabei tief in die Seele.<br />
6 | Kochen ist eine Kunst. Sowieso. Und wenn Künstler kochen,<br />
sehen die Gerichte aus wie Collagen. Bezaubernd! Der Bildband<br />
„Kitchen Studio“ von Phaidon zeigt Rezepte zubereitet u.a. von<br />
Olafur Eliasson, Carsten Höller oder Kiki Smith. |simona heuberger<br />
6<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
19
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
20 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
HEAVY METAL<br />
Starfotograf Silvano Pupella inszeniert<br />
Luxusyachten im italienischen La Spezia<br />
FOTOS: SILVANO PUPELLA TEXT: STEPHAN DEMMRICH<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
21
FOTOGESCHICHTE ! LA SEPZIA<br />
22 WD 6 I <strong>2022</strong>
Es ist diese Harmonie zwischen Handwerk und Technologie, die Silvano<br />
Pupella hier mit seinem Objektiv eingefangen hat. Ein Boot mit einer Länge<br />
von mehr als 40 Metern erwacht zum Leben: eine Superyacht. Sie ist das<br />
Ergebnis eines komplexen, transversalen und innovativen Prozesses in der<br />
Werft. Die Fotos erzählen von der Arbeit hochqualifizierter Handwerker,<br />
die das Thema Eleganz auf unvergleichliche Weise definieren – als ob die<br />
schwimmenden Schönheiten in einer Renaissance-Werkstatt entstünden.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
23
FOTOGESCHICHTE ! LA SPEZIA<br />
Mit seinen krassen Schwarz-Weiß-Motiven vermag es Pupella, uns für die<br />
unfertigen Produkte zu sensibilisieren und für ihre Ausstrahlung zu<br />
begeistern. Angefangen beim Rumpf, der wie ein Kunstwerk aus Metall<br />
geschmiedet wird, bis hin zur Arbeit erfahrener Handwerker vor Ort, die<br />
sich mit größter Sorgfalt um noch so kleine Details kümmern, um jedes Boot<br />
einzigartig zu machen. Die Fotos dokumentieren verschiedene Vorbereitungsphasen<br />
der Metallhüllen und die Atmosphäre des Ortes, der nicht nur<br />
Technologie widerspiegelt, sondern auch unersetzliche Zweckmäßigkeit.<br />
24 WD 6 I <strong>2022</strong>
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
25
FOTOGESCHICHTE ! LA SPEZIA<br />
26 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Massimo Perotti, CEO der Luxusmarke Sanlorenzo<br />
und Auftraggeber der Fotoserie möchte mit<br />
seinem Projekt neue Vokabeln für „eine kreativere<br />
Sprache deklinieren.“ Das Ziel? „Über sich selbst zu<br />
erzählen und neue Perspektiven für die Welt des<br />
Bootbaus und des »Made in Italy« zu bieten.“ Seit<br />
über 60 Jahren baut die Werft hochwertige Yachten,<br />
zu deren Innenausbau renommierte Designer<br />
wie Rodolfo Dordoni, Antonio Citterio und Patricia<br />
Urquiola die Interior-Konzepte liefern. Piero Lissoni<br />
ist seit vier Jahren Art Director und arbeitet für die<br />
Ausstattung der schwimmenden Hideaways mit<br />
bedeutenden Galerien weltweit zusammen.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
27
Lust auf Möbel mit Charakter / Passion for furniture with character<br />
Basket® —<br />
Series №1
XXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Basket® — Series Nº 1<br />
janua-moebel.com<br />
W!D 2 I 2018<br />
113
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
Ein Fuchs, der das Entree bewacht. Handbemalte Leinenpaneele<br />
als Hommage an das Baujahr der Villa. Und wie extravagant wirkt<br />
dieser Treppenläufer dazu? Hier war ein Profi am Werk. Weiblich.<br />
Stilsicher. Und aus Zürich: Ina Rinderknecht, mehr ab Seite 32.<br />
30 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
ALLES ÜBER ART<br />
Einmalige Storys: eine Innenarchitektin, eine Galerie, ein Projekt …<br />
Warum wir diese Wahl getroffen haben? Lesen Sie …<br />
32 I INTERIEUR Ina Rinderknecht erhebt das Thema Einrichtung zur Kunst<br />
36 I INSPIRATION Von der Bildenden Kunst auf den Teppich: Edoardo Piermattei<br />
42 I STYLE Andreas Weber über sein neues Bett und das passende Outfit dafür<br />
44 I SAMMLUNG Zu Hause bei Kunstliebhaber Florian Peters-Messer<br />
52 I NEUERSCHEINUNG Ein Buch über die Schönheit der Dinge<br />
54 I FARBE Welche passt zu den Bildern in Ihrem Zuhause? Welche ins Museum?<br />
58 I INSTITUTION Neuigkeiten aus dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg<br />
62 I PORTRÄT Paul Pretzer malt Bilder, die uns so einige Rätsel aufgeben<br />
66 I GALERIE Wie ticken Menschen, die mit Kunst handeln? Ziemlich umsichtig<br />
70 I PROJEKT Entwicklungshilfe auf hohem Niveau: Kunsthandwerk in Afrika<br />
© Reto Guntli & Agi SImoes<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
31
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
SCHWEIZER PRÄZISION _<br />
INA RINDERKNECHT BEHERRSCHT SIE PERFEKT<br />
Möglicherweise stellen Sie sich als geneigte Leserin oder deren<br />
männliches Pendant gerade die Frage, was eine Story über die Sanierung<br />
und Neuausstattung eines Landguts im Kanton Zürich als<br />
Aufmachergeschichte mit unserem Titelthema Kunst zu tun hat?<br />
Die Antwort lautet: alles. Nicht allein aus dem Grund, dass die ausführende<br />
Innenarchitektin Ina Rinderknecht das Thema virtuos<br />
beherrscht, sondern weil das Gesamt-Ensemble, saniert von Neon<br />
Deiss Architekten, seinesgleichen sucht. Das äußere Erscheinungsbild<br />
der Villa mit Chauffeurhaus ist eine Freude fürs Auge – besonders<br />
für Menschen, die sonst eher wärmegedämmte, gesichtslose<br />
Fassaden zu sehen bekommen. Das Anwesen aus dem Jahr 1914<br />
erhielt ein neues Leben als Tagungsort für Unternehmen und private<br />
Vermietungen an Wochenenden. Insgesamt stehen 13 Zimmer,<br />
Fitnessraum und Wellnessbereich, eine Cocktailbar und gemütliche<br />
Wohnzimmer zur Verfügung. Eine reizvolle Aufgabe für die Innenarchitektin,<br />
die in Seoul aufwuchs, schon in jungen Jahren viel<br />
herumkam, das Istituto Europeo di Design absolvierte und einen<br />
Master an der Mailänder Domus Academy erwarb. Sie gilt als akribisch,<br />
präzise und verschmilzt klare Linien mit edlen Materialien<br />
zu einer unaufdringlichen Zeitlosigkeit. Raffinesse ist das treffendere<br />
Wort. „Dieses Projekt war komplett denkmalgeschützt, also<br />
auf ganz vielen Ebenen – der Landschaftsarchitektur, des Inventars,<br />
der Architektur natürlich, genauso wie der Innenarchitektur.“<br />
Rinderknecht fand opulente Räume vor, jeder auf seine Art anders,<br />
mit „buntesten und floralen“ Tapeten sowie diversen Holzvertäfelungen.<br />
Es ist verständlich, dass sich die Auftraggeber „ein wenig<br />
eine nüchternere Sprache in den Gästezimmern wünschten“,<br />
doch das lokale Amt war komplett involviert. „Für unsere Designpräsentation<br />
mussten die Materialien und Tapeten mit der Denkmalpflege<br />
abgestimmt und auch im Hinblick auf die Atmosphäre<br />
freigegeben werden.“ Das bedeutete vorangehende Farbanalysen<br />
32 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
der Wände und Vertäfelungen. Welche Einschränkungen das mit<br />
sich brachte, zeigt die Eingangshalle (Seite 30 und 31), die sich an<br />
das Entree anschließt (links). Ein Fuchs empfängt dort die Besucher,<br />
Referenz an das Familienwappen der Bauherrschaft, wie eine<br />
Sonne, die auf Geschirr und Servietten auftaucht. Während die<br />
Fliesen im Entree original sind, entstand in der Eingangshalle ein<br />
neues Meisterwerk. Für die Wandbespannung gab Rinderknecht<br />
handbemalte Leinenstoffe bei de Gournay in Auftrag und ließ<br />
den Teppich für die Treppe bei Pierre Frey fertigen. Was so galant<br />
aussieht, kostete Nerven: „Unter den Wand-Paneelen musste die<br />
ursprüngliche Bespannung erhalten werden. Wir haben sie mit<br />
einem Spezialflies aus Naturprodukten geschützt. Darüber kam<br />
die neue Füllung, und wir durften die Nägel nur dort setzen, wo<br />
sie die Originalfassung nicht punktierten.“ Der Aufwand war groß,<br />
ist aber nur ein Beispiel von vielen. Das Gesamtergebnis können<br />
Dinner deluxe: Giorgetti-Sessel gruppieren sich um einen Tisch<br />
nach Maß von Girsberger. Deckenleuchte: Occhio. Dazu Wandbespannungen<br />
von Dedar und Vorhänge von Lelievre. Willkommen in<br />
der Welt von Ina Rinderknecht, die dieses Landgut einrichtete.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
33
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
© Alle Fotos Reto Guntli & Agi SImoes<br />
Sie sich via QR-Code anschauen. Wir bleiben bei den Details, beispielsweise<br />
denen in der Küche, einem Lieblingsraum der Innenarchitektin,<br />
die dafür historische Literatur studierte und danach die<br />
Essecke im Alkoven konzipierte. „Sie ist sehr gemütlich. Wir wollten<br />
wirklich alles im Landhausstil beibehalten. Das war besonders für<br />
die Küche wichtig, obwohl sie am Ende fast für die Gastro tauglich<br />
wäre.“ Die Geräte lieferten Miele und Gaggenau. Gleiche Sorgfalt<br />
ließ Rinderknecht den Bädern zuteilwerden, für die sie selbst gestaltete<br />
Mosaikfliesen im Stil der Zeit auflegen ließ, obwohl sie<br />
in diesem Punkt eigentlich nicht die Denkmalpflege im Nacken<br />
hatte. Im Kontext wirken sie einfach stimmiger und untermalen<br />
das Flair des Hauses, in dem die Gestalterin ganz besonders das<br />
Wohnzimmer liebt: „Zusammen mit dem geschwungenen Sofa<br />
ist dieser Raum unglaublich schön geworden.“ Und dieser Klang<br />
der Farben, die Sorgfalt bei der Wahl der Details wie den Teppichen<br />
und Vorhängen sowie die daraus entstehende Harmonie zeichnen<br />
jeden Raum in dieser Villa aus – auch wenn es sich eigentlich um<br />
ein privates Hotel handelt, das funktionieren muss. Neben Luxusimmobilien<br />
eine Domäne von Rinderknecht, die bereits in den<br />
USA, in der Karibik und in Europa eine Vielzahl hochkarätiger Hotels<br />
und Spitzenrestaurants ausstaffierte. Projekte, die funktionieren,<br />
wie dieses. „Das Haus lebt. Es ist durchgehend belegt.“ |sd<br />
Terrazzo trägt die Küche, die Ina Rinderknecht links persönlich<br />
konzipierte. Die Bank erhielt ein Outfit von Gaston y Daniela<br />
wie das Sofa im Wohnbereich – beides ausgeführt bei Girsberger.<br />
Sessel: Flexform. Rechte Polstermöhel von Girsberger im Spa.<br />
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XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
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EDOARDO PIERMATTEI _<br />
ÜBERTRÄGT ITALIENISCHE<br />
<strong>KUNST</strong>HISTORIE INS HEUTE<br />
Weder als klassische Bildhauerei noch als Malerei lässt sich sein<br />
Schaffen beschreiben und doch ist es beides. Als CC-Tapis den<br />
30-jährigen Italiener zur Gestaltung einer eigenen Teppichkollektion<br />
einlud, ließ ihn das kurzum zum Designer werden. Das<br />
aber dürfte die Ausnahme bleiben, denn Edoardo Piermattei<br />
verschreibt sich durch und durch der Kunst. Ich erreiche ihn in<br />
seinem Studio in Turin. Immer wieder während der nächsten<br />
eineinhalb Stunden wird sich unsere Videoverbindung als holprig<br />
erweisen. Dennoch dauert es keine drei Sekunden, bis das Eis<br />
gebrochen ist, ich meine Fragen beiseite lege und wir zu plaudern<br />
beginnen. Im Hintergrund dudelt die Musik aus der Pizzeria nebenan<br />
– die Nachbarn findet er furchtbar, stöhnt Piermattei. Sein<br />
Atelier aber, das liebt er. Hier verbringt der Künstler selten weniger<br />
als 12, 13, 14 Stunden am Tag. Jeder Urlaub ist für ihn eine Qual,<br />
weil er dann seine Ideen nicht umsetzen kann.<br />
Geboren 1992 in Ancona, wuchs Edoardo Piermattei in einer kleinen<br />
Gemeinde namens Offagna auf, welche sich malerisch in die Hügel<br />
über der Adriaküste legt. Die Gegend ist geprägt von mittelalterlichen<br />
Dörfern und war Italiens künstlerisches Zentrum während<br />
der Renaissance. Piermatteis Arbeiten sind heute nicht unerheblich<br />
davon beeinflusst. Vor zehn Jahren führte ihn das Kunststudium<br />
an der Accademia Albertina di Belle Arti nach Turin. Im Gepäck die<br />
Eindrücke seiner Kindheit und Jugend: von den innen wie außen<br />
reich verzierten Bauten seiner Heimat, ihren Farben. „Ich begann<br />
zu erkunden, wer die Väter der italienischen Kunst sind“, erzählt er.<br />
„Dabei ging es mir weniger um mich, als um die Sprache der Kunst.“<br />
Er nennt Giotto und Cimabue mit ihren Fresken in Assisi. Auch die<br />
anmutigen Wolken, die Giambattista Tiepolo gut vierhundert Jahre<br />
später in seinen Deckengemälden verewigte, gehören dazu. Bereits<br />
als Jugendlicher besuchte Piermattei etliche Kirchen. Nicht um zu<br />
beten, sondern der Malereien wegen. Irgendwann faszinierte ihn<br />
vor allem der Verfall, das Abblättern der Fresken. Blickt man nun<br />
auf sein Werk, so erkennt man darin eine Art Puzzle wieder, das aus<br />
ebenjenen Fragmenten besteht, die sich unterhalb der gemalten<br />
Schichten offenbaren. Im Idealfall hat Piermattei die Gelegenheit, in<br />
historischen Gewölben zu arbeiten, was diesen Eindruck verstärkt.<br />
Am liebsten, so sagt er, würde er einmal ein bestehendes Fresko<br />
in seinem Stil überdecken. Früher sei es gängige Praxis gewesen,<br />
dass alte Wand- und Deckenbilder durch neuere übermalt wurden.<br />
„So wie Michelangelo die Arbeiten anderer Künstler übermalte,<br />
möchte auch ich Werke übermalen und habe auch nichts dagegen,<br />
selbst einmal übermalt zu werden.“ Heute aber begreife man<br />
solche Fresken aus konservatorischen Gründen als unantastbar,<br />
dabei zeigen sie zuhauf moralistische Propaganda, wie Piermat-<br />
Edoardo Piermattei arbeitet ausschließlich ortsspezifisch,<br />
denn Kunst besitzen, um sie vor weißen Wänden zu drapieren,<br />
hält er für bourgeoises Zeug. Links: „Ecce Grotta!“ realisierte<br />
er 2019 in Ronchi San Bernardo, Cuorgnè.<br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
tei kommentiert. Mit der Zeit sei aus der Kunst bourgeoises Zeug<br />
geworden, das sich die Menschen an weiße Wände hängen. Dass<br />
das nichts für ihn ist, überrascht wenig, arbeiteten doch auch seine<br />
Vorbilder immer für einen vorbestimmten Ort. „Mit meiner Arbeit<br />
versuche ich, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden.<br />
Dabei beschäftige ich mich mit der Abwesenheit der Dinge, dem<br />
Spannungsfeld zwischen Objekt und Nicht-Objekt.“<br />
Und trotzdem arbeitet er keineswegs nur in leeren Räumen wie<br />
bei seiner Arbeit „Ecce Grotta!“ (Seite 36), die er 2019 in Ronchi<br />
San Bernardo nördlich von Turin realisierte. Edoardo Permattei<br />
schnappt sich seinen Laptop und führt zum virtuellen Rundgang<br />
durch sein Atelier. Jeder Winkel ist vollgestellt mit Leinwänden,<br />
Modellen, Skulpturen und jeder Menge Säcke, die gefüllt sind<br />
mit einer seiner wichtigsten Zutaten: Zement. Als ich ihn frage,<br />
Jeder Winkel seines Ateliers in Turin ist vollgestellt, hier verbringt<br />
Piermattei meist mehr als zwölf Stunden am Tag. Seine Werke<br />
bestehen zum Hauptteil aus einem Gemisch aus Zement, Leim,<br />
Puder und Pigment – abgemischt mit ordentlich Zigarettendunst.<br />
wie seine Arbeiten entstehen, holt Piermattei ein paar Aquarelle<br />
hervor. Alles beginnt auf dem Papier, als Zeichnung, anhand von<br />
Farbstudien. Diese überträgt der Künstler dann in Form eines Zement-Leim-Puder-Pigment-Gemischs<br />
mit einem Spachtel auf den<br />
jeweiligen Träger – eine Wand- beziehungsweise Deckenfläche,<br />
eine Platte oder die Unterkonstruktion einer Skulptur.<br />
Gerade werkelt Piermattei an einer Skulptur für einen Konditor<br />
auf Sizilien. Der Künstler nennt es Meringue-Architektur, denn<br />
die Arbeit wird einmal aus mehreren Teilen bestehen und erinnert<br />
an eine Mischung aus einer riesigen Baisertorte und einem<br />
Zuckerschlösschen. Statt des Spachtels nutzt Edoardo Piermattei<br />
hierfür eine Spritztülle. Es soll eben ganz danach aussehen,<br />
als sei die Skulptur selbst aus Baiser gebacken, dekoriert in den<br />
verschiedensten Farben. Zudem soll die Arbeit an die Zeit des<br />
Rokoko erinnern, auf Sizilien prägt diese Stilrichtung des 18. Jahrhunderts<br />
zahlreiche Palast-Interieurs.<br />
Schon einmal hat Edoardo Piermattei auf der Insel ein Projekt realisiert,<br />
in Sambuca di Sicilia, gefördert durch den Apartmentanbieter<br />
Airbnb. Neben einem Deckenbild, das vom großen Erdbeben 1968<br />
inspiriert ist, gestaltete er den Baldachin eines Himmelbetts. Inzwi-<br />
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schen gehört das Apartment zu einer Winzerei. Ob er nicht Gefahr<br />
laufe, dass seine Arbeiten zu dekorativ werden, frage ich ihn. Nichts<br />
anderes seien Wand- und Deckenbilder seit jeher gewesen, antwortet<br />
er. Dagegen gäbe es nichts einzuwenden, nur verzichte er auf<br />
ikonische oder mythologische Darstellungen, bleibt abstrakt.<br />
Wie kommt er an seine Projekte? Denn von einer Galerie repräsentiert<br />
wird er momentan nicht. „Ich arbeite viel mit Architekten<br />
zusammen“, antwortet er. Das Projekt mit Airbnb sei über eine Kuratorin<br />
zustande gekommen, Federica Sala. Die Mailänderin war es<br />
auch, die ihn mit CC-Tapis in Kontakt brachte. Für das italienische<br />
Teppichlabel gestaltete Piermattei die Kollektion „Dagallà“, welche<br />
im Herbst 2021 anlässlich des SuperSalone in Mailand präsentiert<br />
wurde. Mit den drei erhältlichen Mustern spielt Edoardo Piermattei<br />
auf ein Naturphänomen an, das sich rund um den Vulkan Ätna<br />
ereignet – wenn die Vegetation beginnt, sich das Land, das zuvor<br />
von der Lava vernichtet wurde, zurückzuerobern. Im Arabischen<br />
steht „Dag allah“ für „von Gott gerettet“. So begreift Piermattei die<br />
Kollektion zugleich auch als Verbindung zwischen Ost und West,<br />
zwischen den Artisanen, die die Teppiche von Hand knüpfen, und<br />
den Konsumenten. Und auch hier spielen wieder Vergangenheit<br />
und Gegenwart zusammen. In Bezug auf seine üblichen Arbeiten<br />
stellt er praktisch alles auf den Kopf, aus der Decke wird der Boden,<br />
aus dem der Teppich wie eine Insel wächst.<br />
Und schon ist der Künstler wieder beim nächsten Thema: In den<br />
kommenden Wochen wird er eine Arbeit in Rom realisieren, wo es<br />
um eine Geschichte zum Wasser gehen wird, Reflexionen auf der<br />
Oberfläche, ein 80 Quadratmeter großes Aquarell. Allmählich wird<br />
es schwer, dem Künstler weiter zu folgen. Weil zum einen unsere<br />
Verbindung immer wieder aussetzt, und weil er zum anderen von<br />
einem Gedanken zum nächsten springt. Es gibt keinen Endpunkt<br />
in dieser Story, doch es passt ganz gut, denke ich noch, dass er sich<br />
selbst als obsessiv beschreibt – „wahrscheinlich liegt es daran, dass<br />
ich Steinbock bin“, schlussfolgert er, rollt sich eine Zigarette und wir<br />
verabschieden uns.<br />
| Markus Hieke<br />
„Kunst ist für Sammler, Design für Konsumenten“, meint Piermattei.<br />
Inspiriert von einem Theatervorhang ist das Werk oben.<br />
Rechts posiert er auf einem seiner Teppiche für CC-Tapis.<br />
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© Alle Fotos Lea Anouchinsky<br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
© Dorothee Falke München<br />
DRESS TO IMPRESS _<br />
EIN PERFEKTES BETT HINZUBEKOMMEN IST EIN TOP JOB.<br />
DAS GILT FÜR DIE FORM, DOCH GENAUSO FÜRS OUTFIT.<br />
Das Thema Bett hat sich allgemein stark gewandelt, was auch mit<br />
dem Vormarsch von Boxspring-Systemen zu tun hat, die Normalo-Modellen<br />
mit Kaltschaummatratzen heftig Konkurrenz machen.<br />
„Immer mehr Menschen lassen sich von diesem besonderen Komfort<br />
verwöhnen“, weiß Andreas Weber. „Zwei übereinander liegende<br />
Komponenten (die Box und die Matratze) bieten eine Vielzahl<br />
von Einzelfedern, die den Auflagedruck des Körpers an jedem Punkt<br />
nach unten leiten. Zusätzlich ermöglichen die Spiralfedern mit ihren<br />
Hohlräumen auch eine optimale Durchlüftung.“ Doch dieses<br />
Prinzip geht häufig auf Kosten der Optik, denn die Betten wirken<br />
wesentlich klobiger als konventionelle Entwürfe. Für die französische<br />
Marke Treca, ein Spezialist dieses Zwei-Matratzen-Systems,<br />
hat der Münchner Designer gerade ein neues Modell kreiert.<br />
„Angèle“ bietet Bodenfreiheit, wirkt lässig mit zwei angedeuteten<br />
Kissen im XXL-Format als Rückenlösung und ist trotzdem „sophisticated“<br />
– eine Eigenschaft der meisten Weber-Entwürfe. Moderne<br />
Klassik ist sein Ding, und es macht Freude zu sehen, dass der<br />
Münchner sie souverän inszeniert. „Wir haben uns das Ziel gesetzt,<br />
den Komfort des Boxspringbetts mit optischer Leichtigkeit zu verbinden,<br />
um einen neuen Look zu erreichen und eine attraktive Lösung<br />
für bestimmte Anforderungen anbieten zu können.“ Der Hintergrund<br />
dafür ist, dass entsprechende Betten zunächst in Hotels<br />
standen, für ein luxuriöses Schlaferlebnis – das jedoch eher mit<br />
klobiger Formgebung. „Absolut. Dort signalisiert ein wuchtiges<br />
Bett: Ich bin angekommen, hier darf ich mich wohlfühlen. Im eigenen<br />
Schlafraum ist diese Wirkung eher beengend. Hier wünscht<br />
man sich, gerade wenn der Raum nicht so groß ist und vielleicht<br />
noch ein Kleiderschrank Platz benötigt, möglichst viel Raum zum<br />
Atmen, eine gewisse Luftigkeit. Und auch praktische Überlegungen<br />
sprechen für mehr Bodenabstand: Das Schlafzimmer kann so<br />
leichter staubfrei gehalten werden.“<br />
Für die optische Wirkung ist aber auch ein anderer Faktor maßgebend:<br />
die Bettwäsche, das Kleid des Betts. „Sie trägt stark zum<br />
Wohlgefühl bei, wenn das Material und die Optik richtig gewählt<br />
werden. Sie ist der Joker, mit dem sich spontan die Atmosphäre im<br />
Raum verändern lässt, um auf Stimmungen zu reagieren. Über eine<br />
kühlende oder wärmende Wäsche passt sich das Bett auch an die<br />
Jahreszeiten an.“ Natürlich bietet Treca verschiedene Möglichkeiten<br />
an, dem Korpus an sich ein cooles Outfit zu verpassen. Dafür stehen<br />
verschiedene Stoffe von Luxusfirmen wie Pierre Frey, doch genauso<br />
auch handschuhweiche Leder zur Verfügung, die den Look des<br />
Betts sehr urban wirken lassen. „Angèle“ hat in unserem Beispiel<br />
einen Samtbezug, für den ein passender Überwurf entstand, der<br />
mit einem Wollplaid und Bettwäsche in klassischem Baumwollsatin<br />
kombiniert wurde. Samtkissen in Braun nehmen die Tonalität<br />
der Umgebung wieder auf. Florale Muster bringen eine feminine<br />
Note ins Ensemble. Très chic. Und was mag Weber privat? „Ich bevorzuge<br />
reine Naturmaterialien, wertig, aber schlicht verarbeitet,<br />
damit man die Bettwäsche häufig waschen kann. Gibt es Schöneres,<br />
als sich in ein frisch bezogenes Bett fallen zu lassen?“ |sd<br />
Ein wesentliches Detail des neuen Treca-Modells „Angèle“ von<br />
Andreas Weber bleibt in dieser Ansicht im Verborgenen: Die<br />
Taschenfederkern-Matratze erhielt einen Topper für noch mehr<br />
Komfort, zu dem auch die Box darunter im Samtbezug beiträgt.<br />
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icona<br />
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Fratelli Fantini SpA<br />
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28010 Pella (NO)<br />
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fantini@fantini.it<br />
www.fantini.it
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
MY HOME IS MY ART CASTLE _<br />
ZU HAUSE BEI <strong>KUNST</strong>SAMMLER FLORIAN PETERS-MESSER<br />
Viersen ist nicht unbedingt ein Ort, an dem man große Kunst<br />
erwarten würde – ganz im Unterschied zum nahegelegenen<br />
Düsseldorf. Und doch ist es die zwischen Mönchengladbach<br />
und Krefeld gelegene Kleinstadt, in der sich mit rund 450 Werken<br />
eine der wichtigen Sammlungen sozialkritischer und politischer<br />
Kunst im deutschsprachigen Raum befindet. Florian<br />
Peters-Messer hat sie in den letzten zwanzig Jahren zusammengetragen<br />
und zeigt Teile davon in seinen Privaträumen.<br />
Außerdem bestückt er regelmäßig Ausstellungen mit Arbeiten<br />
von Künstlern wie John Bock, Monica Bonvicini, Sophie Calle,<br />
Elmgreen & Dragset, Sophia Süßmilch und Sonja Yakovleva.<br />
Dennoch deutet von außen nichts darauf hin, dass sich in dem<br />
mehrstöckigen Bürogebäude mit den markanten roten Fassadenteilen<br />
ein echter Kunstschatz befindet.<br />
Es liegt an einer Durchgangsstraße und ist umgeben von Backsteingebäuden<br />
und Sheddach-Hallen, dahinter erahnt man einen<br />
Wald. War hier früher das Familienunternehmen „Farben<br />
Peters“ ansässig, so sind in dem schlichten Gebäude heute verschiedene<br />
Firmen untergebracht. Peters-Messer ist der einzige<br />
ständige Bewohner, der vor fünf Jahren das Penthouse im vierten<br />
Stock bezogen hat.<br />
Vom Unternehmer zum Kunstsammler<br />
Florian Peters-Messer stammt aus einer Viersener Unternehmerfamilie<br />
mit einem Großhandel für Farben, Bodenbeläge und<br />
Baustoffe. Zwar hatte er schon als Jugendlicher den Wunsch,<br />
Kunstgeschichte zu studieren, doch die Familientradition sah<br />
eine andere berufliche Zukunft für ihn vor. Und so studierte er<br />
Betriebswirtschaftslehre in Berlin, Paris und Oxford und arbeitete<br />
danach zwei Jahre als Unternehmensberater in Frankfurt am<br />
Main. In den frühen Neunzigerjahren zog Peters-Messer dann<br />
nach Berlin, wo er eine der Firmen des Familienunternehmens<br />
leitete. Doch in seiner Freizeit ging er seiner eigentlichen Berufung<br />
nach und erkundete die Museen und Galerien der Stadt.<br />
So tauchte er immer tiefer ein in die boomende Berliner Szene.<br />
„Damals bin ich in einer Berliner Galerie über den Schweizer<br />
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XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Künstler Thomas Hirschhorn gestolpert, was mein Leben sehr<br />
verändert hat“, erzählt Peters-Messer. „Zuerst habe ich seine Arbeiten<br />
überhaupt nicht verstanden, weil ich mich mit installativen<br />
Arbeiten und dieser spezifischen Materialhaftigkeit nicht<br />
auskannte und auch nicht mit politischer Kunst und ihrem philosophischen<br />
Hintergrund.“ Damals begann er ernsthaft Kunst<br />
zu sammeln, besuchte regelmäßig Galerien wie die von Stella<br />
Lohaus in Antwerpen und kaufte als erster deutscher Sammler<br />
überhaupt Arbeiten von Thomas Hirschhorn. Nach einigen Jahren<br />
in Berlin kehrte Peters-Messer zurück in seine Heimatstadt<br />
Viersen, weil er die Leitung des Familienunternehmens mit<br />
rund 40 Niederlassungen und 500 Mitarbeitern übernommen<br />
hatte. Seit die Firma im Jahr 2009 verkauft wurde, verwaltet Peters-Messer<br />
die verbliebenen Immobilien, die zum Teil in einen<br />
Gewerbepark umgewandelt wurden und noch immer in Familienbesitz<br />
sind. Einen Großteil seiner Zeit aber widmet er dem<br />
Erkunden, Sammeln und Ausstellen von Kunst. Dabei ist ihm<br />
nicht nur die Förderung junger Künstler wichtig, auch die öffentliche<br />
Präsentation seiner Sammlung liegt ihm am Herzen. So<br />
waren Werke aus der Sammlung Peters-Messer im Weserburg<br />
Museum für moderne Kunst in Bremen zu sehen und sind gerade<br />
in der Schau „And I trust you“ in der Miettinen Collection<br />
in Berlin zusammen mit Arbeiten aus der Sammlung des finnischen<br />
Kunstsammlers Timo Miettinen ausgestellt. Außerdem ist<br />
Peters-Messer in verschiedenen Gremien von Museen wie den<br />
Kunst-Werken Berlin und dem Kunstpalast Düsseldorf engagiert.<br />
Hauptweg und Nebenwege<br />
Sein Interesse für Kunst wurde bereits in der Schule geweckt.<br />
„Ich hatte auf dem Gymnasium in Viersen eine exzentrische<br />
Kunstlehrerin, die mit uns zur Documenta nach Kassel und zu<br />
Pina Bausch nach Wuppertal gefahren ist“, erzählt der 58-Jährige.<br />
„Damals begann mein Interesse für Gegenwartskunst.“ Seine<br />
Lehrerin habe ihm beigebracht, wie wichtig es sei, einen Bezug<br />
zur Gegenwart zu haben, beispielsweise durch zeitgenössische<br />
Kunst. Auch heute interessiert sich Peters-Messer vor allem dafür,<br />
wie soziokulturelle, politische und psychologische Themen in<br />
diesem Medium übersetzt werden. „Es geht mir darum, besser<br />
zu verstehen, was gerade passiert“, sagt der Sammler. „Ich lerne<br />
von der aktuellen Kunst, wie junge Menschen heute denken und<br />
Das Domizil von Florian Peters-Messer befindet sich im ehemaligen<br />
Bürogebäude der Familienfirma und ist Galerie und Wohnung<br />
zugleich. Auf dem Industriegelände ist auch das rund 1000<br />
Quadratmeter große Kunstlager des Sammlers untergebracht.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
erfahre Lösungsmöglichkeiten, auf die ich selber nicht gekommen<br />
wäre.“ Kunst nur um der Schönheit willen interessiert ihn<br />
weniger, auch wenn Teile seiner Sammlung durchaus als schön<br />
im klassischen Sinn zu bezeichnen sind, antike ägyptische Statuetten<br />
und Gefäße beispielsweise. Im Laufe der Jahre hat sich<br />
auch der Fokus seiner Sammlung verändert, sodass Peters-Messer<br />
immer wieder auch Werke verschenkte oder verkaufte, weil<br />
sie inhaltlich nicht mehr passten, darunter Arbeiten von Martin<br />
Assig, Gerhard Richter und Stephan Balkenhol. „Das kritische<br />
Sammeln fing erst mit Thomas Hirschhorn an und hat sich über<br />
einige Jahre hingezogen“, erzählt er. „Davor habe ich oft aus dem<br />
Affekt und der Emotion heraus gesammelt.“ Wie die Persönlichkeit,<br />
so verändere sich auch der Blick auf die Kunst und die eigene<br />
Sammlung im Laufe der Zeit, ergänzt er. Hauptweg und Nebenwege<br />
– so nennt der Sammler diese Entwicklung nach einem<br />
berühmten Gemälde von Paul Klee.<br />
Über den Dächern von Viersen<br />
Das viergeschossige Gebäude, in dem Florian Peters-Messer<br />
heute lebt und seine Sammlung zeigt, ist die ehemalige Firmenzentrale<br />
von Farben Peters, die aus den Achtzigerjahren<br />
stammt. Schon im Entree und im Treppenhaus deutet sich die<br />
Sammelleidenschaft des Hausherren an – Arbeiten von Sabrina<br />
Fritsch, Hiroshi Sugito und David Moses weisen den Weg<br />
in den obersten Stock. Die über 300 Quadratmeter große Penthouse-Wohnung,<br />
in der sich ehemals die Besprechungsräume<br />
des Familienunternehmens befanden, wurden von einem Architekten<br />
umgebaut und ganz auf die Bedürfnisse der Sammlung<br />
zugeschnitten – mit vielen Hängeflächen und nicht allzu<br />
hohen Wänden. Einige Fenster sind der besseren Ausleuchtung<br />
wegen mit Rigipswänden verdeckt. Dahinter befindet sich praktischer<br />
Stauraum, wo beispielsweise Verpackungsmaterial gelagert<br />
wird. Ein- bis zweimal im Jahr wechselt Peters-Messer die<br />
Kunstwerke und kuratiert eine neue Schau. Die Wohnung ist<br />
räumlich zweigeteilt: Während sich im vorderen Bereich galerieähnliche<br />
Räume mit weißen Wänden und einem dunklen Holzfußboden<br />
zur Präsentation der Sammlung befinden, ist der hintere<br />
Teil privat und kleinteiliger gehalten. „Ich mag es gern cosy<br />
und bin nicht so designmäßig unterwegs“, sagt Peters-Messer.<br />
Und so schließt sich an die behagliche Wohnküche eine reich<br />
bestückte Bibliothek an. Der Hausherr liebt es zu lesen und beschäftigt<br />
sich intensiv mit Themen aus Kunst, Soziologie und<br />
Psychologie. Flankiert wird die Bibliothek von einem lichtdurchfluteten<br />
Wohnzimmer mit Terrassenzugang und einem Schlafzimmer<br />
mit begehbarem, maßgefertigtem Kleiderschrank samt<br />
gepolsterter Sitzbank. „Ich liebe diesen Raum ganz besonders“,<br />
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XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
sagt Peters-Messer. „Man liegt im Bett und kann auf die Bäume<br />
schauen.“ Auch der private Bereich des Penthouses ist mit<br />
Kunstwerken und allerlei Trouvaillen ausgestattet, darunter<br />
vereinzelte Antiken, am Strand gesammelte Muscheln und Gemälde<br />
von jungen Künstlern wie Alexander Basil und Brandon<br />
Lipchik. Besonders die ägyptischen Stücke wie die Kanopen aus<br />
Alabaster und ein Sargfragment aus Holz und Stuck mag Florian<br />
Peters-Messer sehr und nimmt sie gern in die Hand, wie er uns<br />
bei einem Besuch in Viersen erzählt. „Für mich ist die Bibliothek<br />
mein Bildungsraum“, sagt er. Vom großen Tisch im Esszimmer<br />
geht der Blick über die Sheddach-Hallen, die der 58-Jährige Geschäftsmann<br />
an verschiedene Unternehmen vermietet hat und<br />
wo sich auch sein 1.000 Quadratmeter großes Kunstlager befindet.<br />
Man wähnt sich hier eher in der Großstadt denn in der<br />
nordrhein-westfälischen Provinz. Die Einrichtung der Wohnung<br />
spiegelt den Charakter des Bewohners und ist sehr unprätentiös<br />
gehalten. Die klassischen Eames-Stühle im Esszimmer hat<br />
er beispielsweise von ehemaligen Mietern übernommen, die sie<br />
auf dem Sperrmüll entsorgen wollten. Designstücke besitzt Peters-Messer<br />
nur wenige, darunter Porzellanservice von Rosenthal<br />
und KPM sowie ein bequemes Loungesofa von Roche Bobois<br />
mit Bezügen aus Missoni-Stoffen. In der Küche indes stehen<br />
Stühle von einem Möbeldiscounter, die er zufällig entdeckte<br />
und die kombiniert werden mit kleinen Kunstschätzen. Gleich<br />
gegenüber vom Wohnzimmer, nur durch die Dachterrasse getrennt,<br />
arbeitet Peters-Messer in einem separaten Büro, das er<br />
ebenfalls mit Kunstwerken ausgestattet hat.<br />
Fokussiertes Sammeln<br />
Schaut man sich so um in den Räumen von Florian Peters-Messer<br />
und unterhält man sich mit ihm, dann wird schnell klar: Ihm geht<br />
es beim Sammeln von Kunst um konkrete Inhalte, weniger um<br />
Schönheit im klassischen Sinn oder gar um Repräsentation. „Je<br />
älter ich werde, desto fokussierter werde ich, was das Sammeln<br />
von Kunst betrifft.“ Kurzgefasst umkreisen die von ihm gesammelten<br />
Kunstwerke drei wesentliche Themenbereiche: Politik,<br />
Psychologie und Soziologie. Wie sie zusammenspielen, zeigt<br />
sich im Entree seiner Viersener Wohnung. Hier steht eine Arbeit<br />
von Cercle d’Art de Travailleurs de Plantation Congolese (CATPC).<br />
Die Skulptur „Forced Love“ von Irene Kanga, die seit 2014 für das<br />
Die Werke der Sammlung hinterfragen politische und gesellschaftliche<br />
Zustände wie die Arbeiten von CATPC links und<br />
Nicholas Warburg rechts zeigen. Die Farbbaum-Skulptur gab<br />
der Vater von Florian Peters-Messers für seine Firma in Auftrag.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
kongolesische Künstlerkollektiv arbeitet, zeigt erschreckend<br />
drastisch eine Vergewaltigung. Dabei verknüpft<br />
die Künstlerin die sexualisierte Gewalt gegen Frauen<br />
mit den eigenen Erfahrungen und einem historischen<br />
Ereignis, der Vergewaltigung einer Frau aus dem Volk<br />
der Pende durch einen belgischen Kolonialherren auf<br />
einer kongolesischen Plantage im Jahr 1931. Was die<br />
Skulptur als Kunstwerk so eindringlich und interessant<br />
macht, ist nicht nur die explizite Darstellung sexualisierter<br />
Gewalt, sondern auch das Material. Es steht<br />
in enger Beziehung zum Dargestellten: Während die<br />
Originalskulptur aus Ton gefertigt ist, wurde sie in<br />
3-D-Technik in Amsterdam reproduziert und mit durch<br />
Kunstharz haltbar gemachter Schokolade überzogen<br />
– ein Hinweis auf den Kongo als Land der Palmfettplantagen<br />
und ein ausbeuterisches Kolonialsystem.<br />
„Die Skulptur riecht nach Schokolade und verändert je<br />
nach Temperatur ihre Oberfläche“, sagt Peters-Messer.<br />
Das Glück eines Kunstbesessenen<br />
Je länger und intensiver sich Peters-Messer mit der<br />
Kunst beschäftigt hat, desto klarer wurde der Fokus<br />
seiner Sammlertätigkeit. Dabei sammelt er nicht in<br />
der Breite, sondern vielmehr in die Tiefe – das heißt,<br />
er besitzt oft bis zu 25 Werke eines einzelnen Künst-<br />
Im Wohnzimmer hat Florian Peters-Messer ein Sofa<br />
von Roche Bobois mit einem Gemälde des amerikanischen<br />
Künstlers Brandon Lipchik arrangiert oben.<br />
Außerdem sammelt er Werke von Thomas Hirschhorn.<br />
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the show<br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
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Penthouse dient auch<br />
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Bjarne Melgaard und Erik<br />
van Lieshout rechts. Unten<br />
Peters-Messer ist nicht nur<br />
passionierter Sammler, er liest<br />
und schreibt auch über Kunst<br />
und kuratiert regelmäßig<br />
Ausstellungen. Die klassischen<br />
Eames-Stühle im Ess- und<br />
Arbeitszimmer hat er auf dem<br />
Sperrmüll gefunden und neu<br />
beziehen lassen.<br />
© Alle Fotos Christoph Musiol<br />
lers aus möglichst unterschiedlichen Epochen. Als Peters-Messer<br />
vor ein paar Jahren sein Ferienhaus auf Mallorca verkaufte, investierte<br />
er nicht etwa in eine neue Immobilie, sondern stattdessen<br />
in Kunst. „Damals habe ich überlegt, wie ich das Profil meiner<br />
Sammlung schärfen könne“, erzählt er und ergänzt, dass es mitunter<br />
ein echter Kampf sei, das entsprechende Werk auch zu bekommen.<br />
Das Erkennen von relevanten Arbeiten eines Künstlers<br />
und bedeutenden künstlerischen Positionen hat er sich im Laufe<br />
der Zeit angeeignet, „denn Galerien bieten einem oft nur Leftovers<br />
oder Second Best an.“ Florian Peters-Messer als Kunstbesessenen<br />
zu bezeichnen, ist wohl nicht übertrieben. Er kuratiert Ausstellungen<br />
in Galerien und Museen, liest und schreibt über Kunst.<br />
Außerdem begleitet und fördert er junge Künstler wie beispielsweise<br />
den 28-jährigen Murat Önen, der noch ganz am Anfang<br />
seines künstlerischen Weges steht und gerade seine erste große<br />
Serie von Arbeiten vollendet hat. „Einen Künstler auch persönlich<br />
kennenzulernen, ist ein sehr schönes und glückbringendes Erlebnis“,<br />
sagt Peters-Messer. „Dadurch kommen einem die Arbeiten<br />
ganz anders näher, was besonders wichtig bei jungen Künstlern<br />
ist, die noch kein großes Œeuvre haben.“ |claudia simone hoff<br />
50 WD 6 I <strong>2022</strong>
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JUNG.DE/LS1912<br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
© Alle Fotos Jule Breiert<br />
© Schmidt Studio<br />
SEELENBALSAM _<br />
EIN BUCH VOLL SCHÖNHEIT<br />
„Wenn Kreative ohne Druck arbeiten dürfen, blühen sie auf.“ Darin<br />
sind sich die Künstlerin und Art Direktorin Rike Kaufmann<br />
und Wolfram Neugebauer, Stylist, Interior Designer und Inhaber<br />
des Hamburger Concept Stores „Die Remise“ einig. Bester Beweis:<br />
Ihr Herzensprojekt „Ästhet“. Ein Bildband voll Sinnlichkeit<br />
und stiller Poesie, für den sie frei zusammengetragen, inszeniert<br />
und fotografiert haben, was sie lieben: Mode, Natur, Kunst, Ballett<br />
oder Architektur. Es begann mit einem Foto von Wolfram, ein<br />
Treppenhaus von oben. Daneben ein gemaltes Bild von Rike. „Die<br />
runden Formen sprachen miteinander.“ Euphorisch spannen sie<br />
den Faden weiter: „Durch unsere Berufe kennen wir Schauspieler<br />
wie Nicole Heesters, Tänzer aus dem John Neumeier-Ensemble,<br />
Fotografen und Designer. Wir konnten sie begeistern, bei unserer<br />
Buch-Idee mitzumachen. Es entstand eine wunderbar aufgeladene,<br />
beglückende Stimmung!“ Während der Produktion war oft<br />
klar, welche Motive ein Paar sind. Andere haben Rike und Wolfram<br />
später zusammengestellt – intuitiv und fast ohne Worte, denn in<br />
ihrem Schönheitsempfinden schwingen sie perfekt miteinander.<br />
Dabei ist Schönheit für sie nicht die „klassische glatte, geschniegelte“,<br />
sondern eher „dass sich Formen wiederholen oder Farbtöne<br />
kommunizieren. Auch dass mal etwas kaputt ist oder scheinbar<br />
gar nicht passt, wie ein Schwamm, der in einem der Stillleben<br />
auftaucht. Oder das Klebeband, das nur fixieren und nicht ins Bild<br />
sollte, dann aber das Arrangement perfekt ergänzt.“ Das Farbspektrum<br />
der Kreationen reicht von Weiß über softe Naturtöne bis zu<br />
Schwarz. So sind auch die Wohnungen von Rike und Wolfram eingerichtet.<br />
„Mich ummantelt dieser Minimalismus“, sagt Wolfram.<br />
„Als Stylist tauche ich in viele Farbwelten ein. Das strengt manchmal<br />
an. Zu Hause kann ich zur Ruhe kommen.“ Rike, die lange im<br />
bunten, lauten New York gelebt hat, geht es ähnlich: „Mit dem Puren,<br />
Klaren habe ich mir einen Gegenpol geschaffen.“ Die beiden<br />
sind erfüllt von ihrem ersten gemeinsamen Projekt. „Als die Druckmaschine<br />
anlief, hatten wir Tränen in den Augen.“ Ebenso glücklich<br />
sind sie, wenn sie auch andere damit berühren und inspirieren, das<br />
Schöne zu entdecken – „um sich herum und in sich selbst.“ |uw<br />
„Ästhet“ berührt uns mit Aufnahmen von besonderen Orten,<br />
Künstlern und schönen Dingen. Uns gefällt besonders gut der<br />
Oberkörper eines Tänzers mit drappierter Blüte auf dem angespannten<br />
Body. 160 Seiten Sinnlichkeit, gebunden in schwarzem<br />
oder naturfarbenem Leinen, über: www.aesthet.hamburg<br />
52 WD 6 I <strong>2022</strong>
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
Welche Farbe zu welchem Kunstwerk? Bei diesem Thema<br />
ist Annika Murjahn links, CEO von Caparol Icons, in ihrem<br />
Element. Während ihrer Zeit in zwei großen Auktionshäusern<br />
gaben Klassiker wie Rot, Blau und Grün den Ton an, die besonders<br />
Alte Meister inszenierten und deren Farben zum Leuchten<br />
brachten. In der Galerie Herold unten Mitte kommt für die<br />
moderne Kunst ein eher sanfter Ton zum Einsatz: „Paninaro“<br />
– ein weiches Grau mit einem Hauch Jadegrün. Rechts der<br />
Farbton „Pillbox“ für eine Hängung in einer Frankfurter Villa.<br />
© Ramon Haindl<br />
QUEEN OF COLORS _ WIE INSZENIERT<br />
MAN <strong>KUNST</strong> <strong>MIT</strong> FARBEN? ANNIKA MURJAHN ANTWORTET<br />
Doch zunächst sitzen wir über der Bildauswahl für diesen Exkurs<br />
zum Thema farbige Wände und Kunst. Unzählige Fotos aus Museen<br />
sind zu sichten, Beispiele von Galerien, doch genauso auch private<br />
Szenarien, die alle eines zeigen: Werke auf unterschiedlichsten<br />
Hintergründen, außer Weiß. White Cube war gestern, zumindest<br />
zu Hause, und die neuen Räume strahlen und schimmern sublim<br />
oder in kräftigen Tonalitäten, um die Kunstwerke zur Geltung zu<br />
bringen. Annika Murjahn kennt diese Art der Inszenierung noch aus<br />
ihren Zeiten bei Christie‘s und Sotheby‘s, wo sie mehr als vier Jahre<br />
lang die Rubrik Alte Meister betreute. „Sehr spannend fand ich dort,<br />
dass man vor den Auktionen, wenn es um die Hängungen ging, immer<br />
mit Farbe gearbeitet hat. Zwar manchmal auch mit Weiß, doch<br />
selbst für Contemporary – also Zeitgenössische Kunst – und besonders<br />
bei Impressionisten und Alten Meistern mit Klassikern wie Bordeaux-Rot,<br />
Jagd-Grün und Lapislazuli-Blau. Diese Töne bringen die<br />
Bilder zum Leuchten“, erklärt die Kunstexpertin, die im Anschluss<br />
ins väterliche Unternehmen einstieg und dort für „Caparol Icons“<br />
verantwortlich ist. „Wir haben ja viele Sublines für die Marke entwickelt,<br />
weil wir so vielseitig unterwegs sind, aber es gibt einen sehr<br />
treffenden Satz: Eine elegante, farbige Wand ist die beste Bühne für<br />
54 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
die Kunst. Natürlich sind das Licht und die Rahmung sehr wichtig,<br />
aber mit einer guten Farbe lässt sich unheimlich viel erreichen. Wenn<br />
man das wirklich ernst nimmt, spielt der Wert eines Kunstwerks<br />
eine untergeordnete Rolle. Es kommt auf den richtigen Hintergrund<br />
und so auf die Gesamtinszenierung an. Das habe ich in beiden Auktionshäusern<br />
immer wieder erlebt. Ich durfte mich um High Net-<br />
Worth Clients kümmern. Für ein schönes Bild – und da ging es meistens<br />
um wirklich wertvolle Kunst – wurde umgestrichen und die<br />
Farbe passend ausgewählt. Das war da ganz selbstverständlich, um<br />
ein Optimum an Wirkung herauszuholen.“ Allerdings fanden Murjahn<br />
zufolge dafür nicht die qualitativ besten Farben Verwendung ...<br />
Ganz anders in der Pariser Stiftung Louis Vuitton, wo Caparol Icons<br />
gleich großflächig im Einsatz war. „Das hat zwei Gründe. Zum einen<br />
haben wir eine Niederlassung in Frankreich und ein tolles Maler-Team<br />
vor Ort – die Architektur ist ja nicht so ganz einfach und riesige<br />
Flächen sind immer sehr anspruchsvoll. Zum anderen war ich<br />
mit dem Leihgeber der Exponate in dieser Schau befreundet, dem<br />
Fotografen Jean (Johnny) Pigozzi. Er hatte unsere Kollektion dem Architektenteam<br />
vorgeschlagen. Ich war natürlich begeistert. Sie verstehen<br />
dort eben, was Luxus wirklich bedeutet.“ Das Team brachte<br />
gleich vier Schichten Caparol-Icons-Farbe auf (Seite 56), weil sie „einfach<br />
den maximalen Effekt wollten. Das war wirklich unheimlich<br />
beeindruckend. Louis Vuitton hat einen sehr hohen Anspruch und<br />
in Frankreich haben Schönheit und Ästhetik einen großen Wert.“<br />
Ja, davon können wir uns als Nachbarn ein paar Scheiben abschneiden<br />
oder unseren Wänden und der Kunst darauf etwas Gutes tun.<br />
Aus dem Pariser Auftrag ergaben sich für Murjahn ambitionierte<br />
Projekte wie ein Haus für die Familie Agnelli. In einem anderen Anwesen<br />
erhielt das Wohnzimmer ein neues Outfit ganz in Gold. Die<br />
ausführenden Fachleute staunten nicht schlecht über die Expertise<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
55
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
© LVMH Paris<br />
Caparol Icons zu Gast in der Pariser Fondation<br />
Louis Vuitton oben. Farben wie „Babyboom“<br />
und „Smile“ unterfüttern die Exponate, hier<br />
afrikanische Masken und naive Malerei – ein<br />
Wunsch des Sammlers Jean (Johnny) Pegozzi,<br />
der dort ausstellte. Rechts: Anderer<br />
Ausstellungsort, anderes Thema, andere Farbe.<br />
„Hysteria“, ein knalliger Rotton, kommt im<br />
Ikonenmusum Frankfurt zum Einsatz und sieht<br />
ziemlich frisch aus. Bezugsquellen auf Seite 180.<br />
des deutschen Traditionsherstellers. „Einfach andere, modernere<br />
Farbtöne. Sie fanden das Ergebnis super, und genauso die Qualität.“<br />
Auch wenn sich im Ikonenmuseum Frankfurt zeigt, dass leuchtendes<br />
Rot – in der Palette von Caparol Icons heißt es „Hysteria“ – der<br />
perfekte Plafond für die goldenen Schätze ist, gibt es für Murjahn<br />
zu Hause nicht wirklich Regeln. „Es kommt auf den Rahmen an. Zu<br />
Gold sieht Dunkelrot immer toll aus, es gibt Wärme. Das ist eben<br />
sehr klassisch. Wohnt man in einem modernen Gebäude oder in<br />
einem Altbau mit Stuck? Ist ein Bild monochrom? Soll es harmonisch<br />
mit dem Raum mitschwingen, dann wählt man Farben aus<br />
dem Bild. Wünscht man sich mehr Präsenz, dann würde ich den<br />
Hintergrund als Kontrast wählen. Auf diese Weise nimmt man<br />
mehr Elemente des Bildes wahr. Geht es um einen Uecker oder einen<br />
Caravaggio?“, fragt die Expertin. „Geht es um nur ein einzelnes<br />
Bild oder eine Petersburger Hängung?“ Also mehrere Bildreihen<br />
übereinander. „Ich bin ja ein riesengroßer Fan von Eklektik. Ich finde<br />
es irre spannend, einen Altmeister neben einen Gerhard Richter<br />
zu hängen, um zu schauen, wie die sich behaupten. Aber es müssen<br />
gar nicht große Namen sein. Gegensätze. Brüche. Das eine Bild<br />
hat eine tolle Materialität, das andere etwas Provokantes. Farbe<br />
kann helfen, zwischen beiden zu vermitteln oder einen Kontrast<br />
noch stärker zu machen. Es geht so vieles. Man kann einen Raum<br />
im Goldenen Schnitt einteilen oder mit Farbe spielen und die Volumina<br />
von Räumen und Kunst verändern.“ Farben sind pure Emotion<br />
und die gilt es, für sich selbst auszuloten und umzusetzen. Alles<br />
geht – das wissen wir jetzt – Hauptsache kein reines Weiß ... |sd<br />
56 WD 6 I <strong>2022</strong>
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
EIN NEUES WILLKOMMEN _<br />
IM „MKG“ IN HAMBURG<br />
Wer den Weg durch die trubelige Mönckebergstraße oder vom<br />
Hauptbahnhof zum Museum für Kunst und Gewerbe im Stadtteil<br />
St. Georg geschafft hat, ist erst mal gestresst und reizüberflutet.<br />
In dem imposanten vierflügeligen Bau von 1876 wartet<br />
dann neben sorgfältig kuratierten Sonderausstellungen die<br />
facettenreiche Sammlung mit Themen wie Antike, Design, Grafik,<br />
Jugendstil, Musik oder Mode. Dazu Juwelen wie die in den<br />
1960er-Jahren von Verner Panton gestaltete Kantine aus dem<br />
Spiegel-Verlag, Workshops und spannende Führungen. Die Brücke<br />
oder genauer die Schleuse ist das Foyer.<br />
Dort sollen die Besucher runterkommen, ausatmen und den<br />
Lärm des Draußen vergessen, um sich entspannt auf die Kunst<br />
einlassen zu können. Bisher war das nur begrenzt möglich.<br />
Durch den prächtigen historischen Windfang mit Säulen und<br />
farbiger Kassettendecke kam man in eine Art Verteilerkreuz, das<br />
zwar auch Stuck und Säulen hat, jedoch hallig und unübersichtlich<br />
war. Bis auf den Kronleuchter „Tide“, für den der britische<br />
Künstler Stuart Haygarth Plastikmüll aus dem Meer in dekorative<br />
Anhänger umgewandelt hat, war dieser Bereich fast monochrom<br />
weiß und bot wenige Möglichkeiten des Ankommens.<br />
Darum beauftragte Tulga Beyerle, die das „MKG“ seit Dezember<br />
2018 leitet, Studio Besau Marguerre mit der Verwandlung<br />
des Eingangsbereiches in einen einladenden, klar gestalteten<br />
Wohlfühlort, der die Menschen hineinzieht in Kunst und Diskurs.<br />
Eine bessere Wahl hätte sie kaum treffen können. Denn<br />
Eva Marguerre und Marcel Besau, die auch privat ein Paar sind,<br />
beweisen mit ihren Interieur- und Produktentwürfen für Label<br />
wie Vitra, Thonet oder Schönbuch immer wieder ihr besonders<br />
feines Gespür für Räume, Formen und Farben.<br />
Um ein Gefühl für die neue Aufgabe zu bekommen, mischten sie<br />
sich ein paar Tage unter die Besucher. Schnell war klar, die Kasse<br />
muss aus der hinteren Ecke als zentrales, gut sichtbares Element<br />
in die Mitte gezogen werden. Zwischen den ersten beiden Säulen<br />
nach dem Windfang, der bleibt, wie er ist, soll eine schlichte<br />
Polsterbank platziert werden. Dazu zwei Stehtische. Eine erste<br />
Verschnaufgelegenheit unter dem Kronleuchter und gleichzeitig<br />
ein guter Treffpunkt. Alle Besucher werden elegant rechts und<br />
links daran vorbei zu den Kassen geleitet. Das verhindert Stau und<br />
Durcheinander. Nach dem Ticketkauf kommen sie automatisch<br />
nach hinten zu den Garderoben. Dort gibt es auch schöne gelbe<br />
Schließfächer. Doch zu den Farben kommen wir später. Nach Abgabe<br />
von Jacke und Taschen kann man in drei Richtungen ins Museum<br />
starten oder vorher schon mal in eine der neuen Lounges<br />
in den vorderen beiden Flügeln gehen. „Auf der rechten Seite, wo<br />
auch der Buchladen ist, haben wir einen langen Tisch geplant, auf<br />
dem es vertiefende Literatur zu den aktuellen Ausstellungen ge-<br />
58 WD 6 I <strong>2022</strong>
en wird. Hier können auch mal Workshops oder Lesungen stattfinden“,<br />
beschreibt Eva Marguerre die Idee. Außerdem werden<br />
Videos zu wichtigen Themen wie „Looted art“, also Beutekunst<br />
gezeigt. Dann ist da noch die Wand mit den Ausstellungsplakaten.<br />
„Die sind ja Geschichte des Hauses und auch Kunstwerke.“<br />
Links hinter dem Eingang soll eine eher klassische Lounge mit gemütlichen<br />
Sofas des jungen Berliner Labels „Objekte unserer Tage“<br />
(kurz OUT) zum Ausruhen oder Warten entstehen. Hier hängen<br />
neun große Rahmen, die von Stipendiaten des „Fonds für Junges<br />
Design“ bespielt werden. „So holen wir die Kunst schon rein ins<br />
Foyer, aber auf eine leichte Weise. Das soll Spaß machen und die<br />
Vorfreude wecken“, sagt Eva. Während wir mit ihr sprechen, kümmert<br />
sich Marcel übrigens um den 7-jährigen Sohn Lio und die ein<br />
Jahr alte Tochter Ivy. Der Babysitter ist kurzfristig ausgefallen. Marcel,<br />
der zuvor noch per Laptop an einer Jurysitzung teilgenommen<br />
hatte, wurde von seiner Frau gerade abgeklatscht. Nicht nur beim<br />
Entwerfen sind die zwei ein perfekt eingespieltes Team.<br />
„Perfekt eingespieltes Pingpong“, beschreiben Eva Marguerre<br />
und Marcel Besau ihre Entwurfsarbeit. Bei der Neugestaltung<br />
des Foyers im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist<br />
Farbe Signal und Stimmungsmacher. Leuchtend blau sind die<br />
Kassen als zentrales Element oben. Abgestufte Rosétöne und<br />
warmes Gelb sorgen in den neuen Lounges für Gemütlichkeit.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
Behaglichkeit bringen sie mit weichen, warmen Materialien in<br />
das Foyer des MKG. Holzoberflächen, Wollstoffe oder handgetuftete<br />
Teppiche. Letztere sind die Fortsetzung ihrer Serie „Rib“ für<br />
das Berliner Label Reuber Henning. Halbrund laufende Vorhänge<br />
verbessern die Akustik und erhöhen den Wohlfühlfaktor in den<br />
Lounges. „Sie sind wie eine Umarmung“, sagt Eva. Rundungen<br />
sind wichtiges Gestaltungselement des Entwurfes. Sie leiten sich<br />
aus den Rundbögen des historischen Gemäuers ab und sorgen<br />
dafür, dass sich alles harmonisch zusammenfügt. Auch in den<br />
„Elbe“ Bänken finden sie sich wieder. Die entwarf das kreative<br />
Tandem seinerzeit für die Elbphilharmonie. Jetzt werden sie von<br />
E 15 für das MKG in Gelb gefertigt. „Bei der »Elphi« war es uns<br />
wichtig, dass sich alles, was wir in diese großartige Architektur<br />
hineinsetzen, ein Stück weit zurücknimmt und ganz zart und<br />
feinfühlig in Materialität und Farbigkeit ist“, erklärt Eva. „Im MKG<br />
braucht es aber mehr Farbe. Es geht ja um bildende Kunst und<br />
um Design. Das soll man im Eingang sofort spüren. Darum kann<br />
man es dort auch ruhig ein bisschen auf die Spitze treiben.“ Das<br />
Farbkonzept haben Eva und Marcel von den drei historischen Tönen<br />
im Windfang – ein strahlendes Blau, ein güldenes Gelb und<br />
ein Terrakotta-Rosé – abgeleitet. „Wir haben sie aber zeitgemäß<br />
interpretiert.“ Der erste Raum mit dem Kronleuchter ist neutral<br />
beige-weiß gehalten. Von da fällt der Blick sofort auf den leuchtend<br />
blauen Kassenbereich. Klares Signal: Hier geht es lang. Farbe<br />
ist hier also nicht nur Stimmungsmacher, sondern auch Leitsystem.<br />
„Das rötliche Terrakotta haben wir etwas zarter definiert<br />
und uns damit für die anderen Räume einen Verlauf von vier<br />
Nuancen ausgedacht. Die dunkelste ist immer an der hintersten<br />
Wand und zieht so in die Wärme und das gemütliche Ankommen<br />
hinein. Das moderne Gelb ist leuchtender Akzent.“ Bis alles fertig<br />
ist, gelangt man von der anderen Seite ins Museum. Wir freuen<br />
uns auf das neue „warm welcome“ in 2023! |ulrike wilhelmi<br />
Am Tisch in der Medienlounge rechts vom Eingang gibt es Literatur<br />
zu den aktuellen Ausstellungen. Darüber hängen die Leuchten<br />
„North“ von E 15, ein Entwurf des Duos Besau Marguerre.<br />
Die Plakatkunst an der Wand gehört zum Schatz des Museums.<br />
60 WD 6 I <strong>2022</strong>
Training.<br />
Regeneration.<br />
Erfolg.<br />
SCHRAMM ORIGINS Angelique<br />
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XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
DISKURS _ ÜBER ABSTRAKTION,<br />
MELANCHOLIE, MERKWÜRDIGKEITEN UND HUMOR<br />
Das nennt man wohl blickdicht. Rätselhaft, dieses Arrangement<br />
mit Blumentopf (Foto oben). Das Wesen daneben? Vielleicht eine<br />
Orange mit Gesicht? Leicht arrogant. Und ein Kopf, aufgepfropft<br />
auf ein Meeresgetier. Latent leidend. Skurril. Surreal. Paul Pretzers<br />
Werke wie das hier mit dem Titel „Functional Family“ von <strong>2022</strong> beschwören<br />
in ihrer Exzentrik Hieronimus Bosch. Der malte am Übergang<br />
von der Spätgotik zur Renaissance. Andere, wie „Mediterranean<br />
Methods“ (rechte Seite unten) aus dem letzten Jahr, erinnern<br />
an die kühle Distanz und Einsamkeit in Gemälden von Magritte.<br />
Aber vielleicht ist alles ganz anders gedacht, wenn frische Erdbeeren<br />
in einer Sardinenbüchse landen und das Ensemble den Titel<br />
„Unterschlupf“ erhält – übrigens alle drei eher kleine Formate mit<br />
zirka 30 auf 40 und 50 auf 60 Zentimetern.<br />
„Mir geht es sehr stark um eine Mehrdeutigkeit“, erklärt Pretzer,<br />
der 1981 im estländischen Paide geboren wurde, mit seinen Eltern<br />
später nach Deutschland emigrierte und in Kiel sowie in Dresden<br />
Kunst studierte. Sein künstlerisches OEuvre ist bemerkenswert,<br />
sein Output groß – und bildgewaltig. „Irgendwas zwischen eklig,<br />
bemitleidenswert und ein wenig komisch“ – hat Pretzer einmal<br />
über seine Arbeiten gesagt, die für ihn alles andere sein sollen als<br />
eindeutig: „Je mehrdeutiger, desto besser. Und je nachdem, wie<br />
der Betrachter geartet ist, pendelt das eher in die eine Richtung<br />
aus oder eben in die andere. Ich versuche bewusst, einen Zustand<br />
zu erreichen, bei dem man nicht weiß, worum es geht. Das könnte<br />
dieses oder jenes sein. Davon leben am Ende die Bilder.“ Das hört<br />
sich sehr konkret und rätselhaft zugleich an. Möchte der Maler mit<br />
Wahlheimat Barcelona (natürlich wegen der Liebe) uns mit seinen<br />
Ausführungen noch weiter verwirren?<br />
„Hhm. Die Bilder werden ja auch so merkwürdig, weil ich sie formal<br />
und abstrakt denke. Manchmal merke ich beispielsweise, dass<br />
noch irgendetwas ins Bild muss, um die Komposition zu klären –<br />
in einer bestimmten Größe und einer bestimmten Farbe. Das ist<br />
sozusagen der erste Gedanke. Dann überlege ich, was das für ein<br />
Ding sein könnte. Und manchmal wird durch die Größe und die<br />
Farbe der Inhalt bestimmt. Dann denke ich mir irgendein Teil aus,<br />
das ins Format passt, aber inhaltlich irgendwie sehr seltsam ist.<br />
So entstehen »strange« Situationen – und die Leute fragen sich<br />
vielleicht: Wie kommt er denn jetzt dazu, das so zu kombinieren?<br />
Aber am Ende ist es eine formale und farbliche Entscheidung.<br />
Wenn es dann beispielsweise eine Apfelsine ist, dann kann die neben<br />
den anderen Dingen sehr befremdlich wirken. So entstehen<br />
62 WD 6 I <strong>2022</strong>
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
rätselhafte Welten.“ Eigentlich erklärt Pretzer damit einen Ansatz<br />
aus der abstrakten Malerei. Trotzdem stellt sich die Frage, wie<br />
viele Gegenstände der Maler im Kopf mit sich herumschleppen<br />
muss und woher sie kommen? „Das frage ich mich manchmal<br />
auch. Das sind für mich die besten Momente. Ich mache was, stehe<br />
selbst da und schüttle den Kopf. Und frage mich: Wie? Woher<br />
kam das jetzt? Doch ich glaube einfach auch an den Musenkuss<br />
und göttliche Eingebung. Etwas, das wir nicht kontrollieren können.<br />
An manchen Tagen bin ich voller Ideen und an anderen fällt<br />
mir gar nichts ein. Aber wenn ich dann in ein Museum gehe, finde<br />
ich immer wieder Dinge, die mich inspirieren.“<br />
Das mag für Pretzers Farbenpracht und Kompositionen gelten,<br />
doch seine Bildwanderungen zwischen Humor und Melancholie<br />
sind etwas anderem geschuldet. „Das Leben ist sehr facettenreich.<br />
Es ist wahnsinnig schön und gleichzeitig wahnsinnig brutal und<br />
grausam. Ich finde, das spiegelt sich – und sollte sich auch in der<br />
„Meine Bilder leben von Figuren, die extremes Mitgefühl erzeugen<br />
– von emotionalen Momenten. Das ist ein guter Einstieg<br />
ins Bild“, erklärt sich Paul Pretzer, der es schätzt, wenn manche<br />
Dinge unausgesprochen bleiben. Der Künstler lebt und arbeitet<br />
inzwischen in Barcelona. Links: Ein Kalamar lässt grüßen. Titel<br />
der Arbeit von 2021: „Mediterranean Methods“. Schön schaurig.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
63
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
Paul Pretzer vor einer Ausstellungswand mit zwei<br />
charakteristischen Werken. Humorvoll, ironisch und<br />
immer vielschichtig. Für eine Ausstellungsinstallation<br />
entstand die Tapete im Hintergrund, die ein<br />
Sammler beim Kauf gleich dazu erwarb. Sie wurde<br />
dafür nochmals gedruckt. Unten: „The Best Day of<br />
My Life“ (<strong>2022</strong>) im Pretzerschen Kleinformat: 28 x<br />
19,6 cm. Rechts Pretzers Arbeit „Schwanenlied“ mit<br />
eindeutig politischer Aussage (2021), 44 x 38 cm, Öl<br />
auf Holz. Über die Berliner Galerie Feldbusch Wiesner<br />
Rudolph und Marc Straus Gallery in New York.<br />
© Michael Dressel<br />
Kunst widerspiegeln. In diesem Spannungsfeld befinden sich meine<br />
Bilder. Manchmal ganz humorvoll und dann sehr krass. Die Kompositionen<br />
sind sehr streng und durchkomponiert – und doch ist da<br />
immer dieser absurd lustige Inhalt. Dadurch ergibt sich aber auch<br />
Spannung, weil unterschiedliche Pole in einem Bild vereint sind.“<br />
Und so entsteht eine magische Ausstrahlung, die polarisiert.<br />
Vor lauter Begeisterung erwarb ein Käufer sogar die Tapete hinter<br />
einem Werk, die für eine Messe-Installation entstanden war. Ein<br />
Ausschnitt des Bildes war dafür horizontal gespiegelt und axial<br />
aneinandergereiht worden. Pretzer freute sich über diese weitere<br />
„Irritation“, die ganz nach seinem Geschmack ist. Die Tapete wurde<br />
extra nochmals reproduziertreproduziert – eine Analogie auch zu<br />
Pretzlers Werk, in dem bestimmte Motive ebenfalls wiederholt auftauchen.<br />
„Die Leute fragen: Was haben Sie denn zwischendurch gemacht?“<br />
Dieses Phänomen bleibt ungeklärt, schließlich soll sie das<br />
Publikum im Kopf behalten und gegebenenfalls in neuem Zusammenhang<br />
betrachten. Wie schön, dass viele Werke Pretzers kleinformatig<br />
sind und so zu Hause noch ein Plätzchen finden. „Mein<br />
Professor in Dresden hat immer gesagt: »Das kleine Format schaut<br />
man mit dem Herzen an, das große Format mit dem Kopf.« Da hatte<br />
er irgendwie recht. Beim Kleinformat gibt es eine andere Intimität.<br />
Wenn es um die Gefühlsebene in der Malerei geht, ist es stärker.<br />
Man kann die Sachen kompakter präsentieren, und die Leute haben<br />
einen besseren Bezug dazu.“ Es sind echte Kabinettstückchen. |sd<br />
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WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
GRUNDSÄTZLICHES _ WAS SIE<br />
SCHON IMMER ÜBER GALERISTEN WISSEN WOLLTEN<br />
Mal ehrlich, Kunstgalerien gibt es inzwischen wie Sand am Meer.<br />
Unsere Aufgabe als Magazin ist es, zu sieben und Ihnen Glücksfunde<br />
zu präsentieren wie die Züricher „Mai 36 Galerie“, die auf drei<br />
Etagen Erstaunliches auf die Beine stellt. Ihr Künstlerportfolio liest<br />
sich wie das Who‘s who der Szene: Ruff, Balkenhol, Mapplethorpe,<br />
Ackermann. Nach welchen Kriterien wählen die verantwortlichen<br />
Galeristen Victor Gisler (oben rechts im Bild) und sein Sohn, Galerie<br />
Manager Henri Gisler (links), ihr Programm aus? „Wir sind eine Programmgalerie,<br />
die seit über 35 Jahren tätig ist“, erzählt Henri Gisler.<br />
„Unsere künstlerischen Positionen sind langsam über die Jahre<br />
zustande gekommen und teilen spezifische Inhalte, Ansätze oder<br />
Kontexte. In den Anfängen der Galerie stand das Thema Text & Bild<br />
im Vordergrund, mit Künstlern wie John Baldessari oder Lawrence<br />
Weiner. Außerdem haben wir uns früh mit damals neuen Medien<br />
wie Fotografie und Video beschäftigt. Darauf aufbauend ist das<br />
Programm dann organisch gewachsen. Das bedeutet, wir arbeiten<br />
langjährig mit Künstlern zusammen und stellen diese wiederholt<br />
aus, um eine konstante Sammlerschaft aufzubauen und gemeinsame<br />
Publikationen und institutionelle Ausstellungen aufzugleisen.<br />
Dadurch sind wir sehr bedächtig bei der Aufnahme neuer<br />
66 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Von außen ahnt man kaum, was Victor<br />
Gisler und sein Sohn Henri auf drei Etagen<br />
inszenieren. Ihre „Mai 36 Galerie“ – der<br />
Name resultiert aus der ursprünglichen<br />
Luzerner Adresse in der Maihofstraße<br />
36 – ist ein Mekka für Connaisseure. 1996<br />
folgte der Umzug nach Zürich. Mit ihren<br />
Künstlern und Künstlerinnen sind die Gislers<br />
unter anderem auf Messen wie der Art<br />
Basel, Art Basel Miami Beach und deren<br />
Format in Hongkong, Frieze London und<br />
Fiac Paris vertreten. Rechts eine Show mit<br />
Michel Pérez Pollo im 2. OG. , unten:<br />
Thomas Ruff im Erdgeschoss der Galerie.<br />
Künstler und Künstlerinnen. Um gerade diesen die Möglichkeit zu<br />
geben, bei uns auszustellen, und um ein jüngeres Publikum kennenzulernen,<br />
starteten wir »36.1 Projects«. Das Format funktioniert<br />
als Project Space, als Labor, unabhängig vom Galerieprogramm.<br />
Hier präsentieren wir Einzelausstellungen junger Persönlichkeiten,<br />
die uns auffallen und durch ihre Eigenständigkeit überzeugen“, so<br />
Gisler junior der alles kuratiert und organisiert.<br />
1987 gründete Victor Gisler die Galerie und legte damit den Grundstein<br />
für eine Erfolgsgeschichte, die inspirierende Ausstellungen<br />
und Publikationen dokumentieren. Wie definieren Kunsthändler<br />
dabei ihre Aufgabe? Mehr als Galerist oder mehr in Richtung Kurator?<br />
„Es sind drei Aspekte“, so Gisler: „Show. Tell & Sell. Wir bieten<br />
eine öffentlich zugängliche und für Besucher kostenlose Plattform,<br />
wo künstlerisches Schaffen überhaupt gesehen werden kann, wo<br />
Leute die Kunst für sich entdecken können. Wir funktionieren als<br />
verlängerter Arm unserer Protagonisten. Wir vermitteln künstlerische<br />
Ideen, sind Botschafter und arbeiten täglich daran, die<br />
Arbeiten den Besuchern und unserem kulturellen Umfeld näherzubringen.<br />
Es geht darum, Kontexte, Formen und Inhalte, soziale<br />
Fragen und theoretische Ansätze professionell und respektvoll zu<br />
vermitteln.“ Der „Sell“-Teil dürfte klar sein, bei dem es darum geht,<br />
ausgestellte Werke an Museen, Institutionen und Privatsammlungen<br />
zu verkaufen. „Als Plattform dienen unsere Ausstellungen,<br />
Kunstmessen und unser Online-Auftritt.“ Anstatt in einer virtuellen<br />
Show nur Werkabbildungen aneinanderzureihen wie in einem<br />
Online-Shop, entstehen für die Internetpräsenz von Mai 36 virtuelle<br />
Räume, in denen komplette Ausstellungen digitalisiert werden.
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
Dafür arbeiten die Gislers mit Architekturstudenten<br />
der ETH-Zürich zusammen. Wohl<br />
wissend, dass „die Erfahrung einer virtuellen<br />
Ausstellung und die Betrachtung einer<br />
Abbildung eines Kunstwerks nicht annähernd<br />
vergleichbar sind mit der Erfahrung<br />
beim Betrachten des Originals. Selbst ein<br />
virtueller Besuch mit den fortgeschrittenen<br />
Virtual-Reality-Brillen macht einer direkten<br />
Erfahrung derzeit keine Konkurrenz. Virtuelle<br />
Ausstellungen geben uns aber Möglichkeiten,<br />
Kunst für Leute aus der ganzen Welt<br />
zugänglich zu machen“, so Henri Gisler und<br />
ergänzt etwas sehr Wesentliches: „Außerdem<br />
müssen wir keine Kunstwerke durch<br />
die Welt transportieren. Solche Gedanken<br />
motivieren uns, hier weiter zu experimentieren<br />
und ganz vorne dabei zu sein.“<br />
Kunst. Was machen wir mit ihr? Oder macht<br />
sie eher etwas mit uns? Welche Frage hat<br />
für den Galerie-Manager größere Relevanz?<br />
„Was macht die Kunst mit uns? Im Idealfall<br />
zeigt uns ein Kunstwerk einen Zusammenhang und einen neuen<br />
Blickwinkel auf und führt zu einem neuen Erkenntniswert über die<br />
Welt und sich. Die Voraussetzung dafür sind Neugier und die Bereitschaft,<br />
seine eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Selbstverständlich<br />
kann uns Kunst auch einfach über das Schöne und Erhabene<br />
erfüllen, das dem Werk inne ist.“ |stephan demmrich<br />
Oben ein Blick ins 1. OG der Galerie mit zwei Arbeiten von<br />
Stephan Balkenhol. Unten eine Einzelausstellung im Erdgeschoss<br />
mit Albrecht Schnider. „Der Kunstmarkt ist viel schneller und<br />
globaler geworden. Preise können in wenigen Jahren explodieren.<br />
Durch die exponentielle mediale Vernetzung der Gesellschaft“, so<br />
Henri Gisler, für den gerade figurativer Malerei angesagt ist.<br />
68 WD 6 I <strong>2022</strong>
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
BRONZEZEIT _ <strong>KUNST</strong> UND<br />
KULT AUS WESTAFRIKA<br />
Sich als Europäerin in einem Land wie Burkina Faso niederzulassen,<br />
zeugt von echter Passion und dem Wunsch etwas bewegen<br />
zu wollen. So erging es der Französin Ambre Jarno. „In meiner<br />
Kindheit bin ich bereits mehrfach nach Afrika gereist und habe<br />
dieses Land lieben gelernt. Als ich 2012 das Angebot erhielt, für<br />
einen französischen TV-Sender in Burkina Faso zu arbeiten, ergriff<br />
ich die Gelegenheit. Das war eine der erfüllendsten und<br />
herausforderndsten Erfahrungen meines Lebens“, erzählt Jarno.<br />
Während dieser beiden Jahre tauchte sie tief in die westafrikanische<br />
Lebensweise ein und entdeckte ihre Leidenschaft für die<br />
traditionellen Kunsthandwerkstechniken sowie für die reiche<br />
Historie der ethnischen Gruppen. Von den Künsten der Senufo<br />
und Mossi bis hin zu den verschiedenen westafrikanischen Kulturen<br />
erschloss sich für Jarno eine neue Welt, deren Geschichten<br />
sie weiterverbreiten wollte. „Sie halfen mir, das kulturelle Wissen<br />
und die zwischenmenschlichen Fähigkeiten zu entwickeln,<br />
die mich dazu bewegten, mein eigenes Unternehmen zu gründen.“<br />
2017 war es soweit. Ihr Design-Atelier „Maison Intègre“ mit<br />
Sitz in Paris wurde aus dem Wunsch heraus geboren, das handwerkliche<br />
Erbe Westafrikas und insbesondere die Wachs-Bronzeguss-Technik,<br />
die in Burkina Faso eine starke Tradition besitzt,<br />
zu fördern und zu zelebrieren. Jarno betrachtet das Handwerk<br />
als eine universelle Sprache, die keine Grenzen kennt. „Wir fertigten<br />
die ersten Stücke mit nur wenigen Leuten, arbeiteten in den<br />
Höfen meiner Handwerker und deren Familien in der Nähe“, berichtet<br />
sie. In der Hoffnung, ihr Verständnis für Bronze zu vertiefen<br />
und den Handwerkern bessere Arbeitsbedingungen bieten<br />
zu können, richtete sie Anfang des Jahres eine Werkstatt in der<br />
Hauptstadt Ouagadougou ein, in der etwa 15 Kunsthandwerker<br />
beschäftigt werden. „Mit diesem Projekt wollen wir die Gemeinschaft<br />
unterstützen. Wir haben in einige neue Werkzeuge und<br />
Ausrüstung investiert, um mehr Sicherheit zu gewährleisten.<br />
Außerdem habe ich drei französische Bronzeschmiede dazu eingeladen,<br />
einen Monat in Ouagadougou zu verbringen und ihr<br />
Wissen mit uns zu teilen.“<br />
Burkina Faso gehört zu den Ländern mit der am schnellsten<br />
wachsenden Vertreibungskrise der Welt – mit über zwei Millionen<br />
Binnenflüchtlingen seit 2020. „Etwa 40 Prozent des Landes<br />
befinden sich außerhalb der staatlichen Kontrolle. Unser Projekt<br />
braucht dringend Unterstützung. Es gibt keine Touristen mehr<br />
und die wirtschaftlichen Möglichkeiten für Kunsthandwerker,<br />
ihre Arbeiten zu verkaufen, sind somit nicht mehr gegeben. Die<br />
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Linke Seite unten: Maison Intègre-Gründerin Ambre Jarno<br />
und Designer Noé Duchaufour-Lawrance auf dem Werkstattgelände<br />
in Burkina Faso. Die beiden Kreativen arbeiten vor<br />
Ort Hand in Hand mit den lokalen Bronzeschmieden zusammen.<br />
Diese Seite: Die Wandobjekte sind eine Hommage an die<br />
westafrikanischen Ritualmasken.<br />
Herausforderung für uns besteht darin, diesen Menschen ein<br />
regelmäßiges Einkommen und ein Minimum an Aufträgen zu<br />
sichern. Das ist nicht einfach, denn wir brauchen ein gewisses<br />
Umsatzvolumen, damit sich die Werkstatt trägt und täglich<br />
funktioniert. Deshalb arbeiten wir jetzt an der Gründung einer<br />
Stiftung, um die Familien unserer Bronzeschmiede zu unterstützen<br />
und den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung<br />
für die gesamte Gemeinschaft zu gewährleisten.“<br />
Ein erheblicher Gegensatz zu Europa, wo das Kunsthandwerk<br />
als Teil des kulturellen Erbes betrachtet und staatlich gefördert<br />
wird. Jarno: „Was dieses Metier in Europa und Westafrika<br />
unterscheidet, ist der Zugang zu Bildung. Die Arbeit im Handwerk<br />
wird insbesondere in Europa hoch geschätzt und hat meist<br />
wirtschaftliche Perspektive. Es gibt viele Kunsthochschulen und<br />
Einrichtungen, in denen man einen Beruf oder technische Fertigkeiten<br />
erlernen kann. In Burkina Faso existieren diese Möglichkeiten<br />
nicht. Für ein Land, das mit extremer Armut und einer Sicherheitskrise<br />
konfrontiert ist, hat dieser Aspekt keine Priorität.<br />
Dieses Know-how ist in Gefahr und droht gänzlich zu verschwinden.<br />
Die Kunsthandwerker, mit denen ich zusammenarbeite, haben<br />
das Bronzegießen durch Freunde oder Familienangehörige<br />
oder durch Zufall erlernt, weil sie auf der Suche nach einer Arbeit<br />
waren und einen Platz in einer Werkstatt gefunden haben.“<br />
Maison Intègre geht es nicht nur um den Verkauf von Objekten,<br />
sondern vor allem um die Schaffung eines ethischen Umfeldes.<br />
„Handwerkliche Tätigkeiten sind in Burkina Faso ein unvermeidlicher<br />
Teil des täglichen Lebens. Die Menschen sind darauf angewiesen<br />
das zu nutzen, was ihnen zur Verfügung steht, um<br />
zu produzieren und zu schaffen. Alles wird wiederverwendet,<br />
repariert, umgestaltet, ohne dass dies die betreffenden Gegenstände<br />
und ihre Funktion schmälert. Bräuche und Traditionen<br />
sind nach wie vor im Leben verwurzelt, und das ist das Schöne<br />
am (manchmal) harten Alltag in einer Stadt wie Ouagadougou“,<br />
sagt die Französin. Für die neueste Kollektion der „Edition Maison<br />
Intègre“ holte sich Jarno mit dem französischen Designer<br />
Noé Duchaufour-Lawrance einen gleichgesinnten Landsmann<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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ins Boot. „Nachdem wir uns 2018 in Paris zum ersten Mal getroffen<br />
hatten, entdeckten wir, dass Maison Intègre und sein<br />
Projekt »Made in Situ« vieles gemein haben und entschieden, zu<br />
kooperieren. Ein Jahr später lud ich ihn zu einer Reise nach Burkina<br />
Faso ein, da ich wusste, dass er für die Schönheit des lokalen<br />
Handwerks, das damit verbundene Know-how und die Kraft des<br />
Materials Bronze empfänglich sein würde. Ich zeigte ihm auch<br />
Bilder von den typischen Objekten und Formen in Tiébélé, einem<br />
traditionellen Kassena-Dorf im Süden – eine rote Zone, die<br />
heute nicht mehr zugänglich ist, die ich allerdings vor einigen<br />
Jahren noch bereisen durfte.“ Auch Duchaufour-Lawrance ist<br />
ein Fan der westafrikanischen Kultur und besichtigte bereits vor<br />
fünfzehn Jahren die Bandiagara-Felsen in Mali – ein Nachbarland<br />
Burkina Fasos – die heute aus Sicherheitsgründen nur noch<br />
schwer zugänglich sind. Dort entdeckte er aus einem einzigen<br />
Stück Holz gefertigte Leitern, die insbesondere in den Kulturen<br />
der Dogon und Lobi weit verbreitet sind (Bild rechte Seite oben).<br />
Die ikonische Y-Form inspirierte ihn zur gleichnamigen Leuchte,<br />
die er <strong>2022</strong> neben sechs weiteren skulpturalen Objekten für die<br />
„Edition Maison Intègre“ kreierte. „Die Idee, nur ein einziges Material<br />
zu verwenden, hat mich wirklich angesprochen. Ich war<br />
beeindruckt von der schlichten Y-Form und ihrer Zerbrechlichkeit:<br />
Sie steht auf nur einem Bein. Lediglich die beiden Arme, die<br />
nach oben zeigen und an die Oberfläche gelehnt sind, geben ihr<br />
Halt und Stabilität“, so der Designer.<br />
Mithilfe des Wachsschmelzverfahrens wird das Objekt zuerst<br />
in Wachs modelliert, bevor es in Bronze gegossen wird. „Ich liebe<br />
die Magie dieses natürlichen Bienenwachses, mit dem man<br />
neue Stücke erschaffen kann. Aber es ist wirklich kompliziert zu<br />
handhaben, besonders in einem Land, in dem die Außentemperatur<br />
über 45 Grad betragen kann. Die Locals Denis Kabre, Harouna<br />
Porgo oder Hamadou Aidara beherrschen diese Technik<br />
meisterhaft, und ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert, mit ihnen<br />
zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen.“ Was Jarno<br />
in Westafrika vor allem gelernt hat, ist geduldig zu sein, an ihre<br />
eigenen Ideen zu glauben. „Die Kunsthandwerker waren es nicht<br />
gewohnt, Möbel und Gegenstände für Innenräume zu gießen.<br />
Das war neu für sie, und wir mussten gemeinsam neue Ansätze<br />
und Techniken finden. Mit den Stücken der Edition Maison Intèg-<br />
72 WD 6 I <strong>2022</strong>
TITELTHEMA ! <strong>LEBEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>KUNST</strong><br />
re haben wir uns sozusagen auf unbekanntes Terrain begeben<br />
und neue Anwendungsmöglichkeiten für Bronze erkundet“, sagt<br />
sie und ergänzt: „Durch dieses Projekt habe ich erfahren, dass<br />
die Kulturindustrie ein Hebel für Wachstum und Entwicklung in<br />
diesem Teil der Welt sein kann. Ich habe auch den Umgang mit<br />
neuen Texturen, Farben und Formen zu schätzen gelernt und<br />
Perfektion mit anderen Augen zu betrachten.“ Momentan arbeitet<br />
die Französin mit Hochdruck an der Gründung ihrer Stiftung,<br />
um weitere Gelder zu beschaffen, „damit dieses Projekt auf Dauer<br />
Bestand hat. Ich habe eine Gemeinschaft, für die von dieser<br />
Arbeit sehr viel abhängt, und ich möchte ihr meine volle Unterstützung<br />
zusichern.“<br />
Wenn sie sich etwas wünschen dürfte, dann würde sie gerne<br />
mit dem burkinischen Architekten Francis Kéré für ein Projekt<br />
zusammenarbeiten. „Ich bewundere ihn sehr und hatte die Gelegenheit,<br />
»Operndorf Afrika« zu besuchen, ein internationales<br />
Kunstprojekt, das seit 2009 in Burkina Faso realisiert wird und<br />
auf der Idee des deutschen Künstlers Christoph Schlingensief<br />
und seinem Entwurf beruht.“<br />
|anke gungl<br />
Linke Seite: In der Werkstatt wird das uralte Know-how des<br />
Bronzegusses zu neuem Leben erweckt. Ein Highlight aus der<br />
neuesten Edition von Maison Intègre ist die „Y“-Leuchte linke<br />
Seite oben und diese Seite rechts. Der französische Designer<br />
Noé Duchaufour-Lawrance entwarf eine skulpturale Neuinterpretation<br />
in Anlehnung an die Lobi-Leiter Bild oben, ein traditionelles<br />
und weit verbreitetes Objekt in Westafrika.<br />
© Alle Fotos Sophie Garcia & Ambre Jarno<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
73
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UNSERE FRAGEN. HIER KOMMT DIE<br />
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74<br />
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82 WD 6 I <strong>2022</strong>
aus dem kosmos<br />
der kultur:<br />
das feuilleton<br />
zweiter jahrgang<br />
<strong>06</strong> / <strong>2022</strong><br />
esprit?libre<br />
Tania Kibermanis trifft an der SPEAKERS’ CORNER eine Trübtasse und schäumt<br />
Vom Tanz des Vertrauens des großen Herbert List erzählt Kathrin Baumstark<br />
und Kalin Aenstoots disputiert mit Goethe über die Räder des Weltganges<br />
Nahrhafte Glückskekse über die Welt als Wunder und überschätztes Lächeln<br />
Best Books und Kurzgebratenes von hier und dort<br />
Mit seiner LETZTEN KIPPEfroh und reich<br />
und Thomas Brasch spricht im Gedicht vom Lärm in jeder Zeile.
FOTOGRAFIE: EVELYN RICHTER -> <strong>KUNST</strong>PALAST.DE<br />
Evelyn Richter: Selbstinszenierung. TU Dresden, 1952,<br />
<br />
der .
KURZ GEBRATEN<br />
86 | Meldungen von hier und da und dort<br />
SPEAKERS’ CORNER<br />
87 | Verdammt gut gecastet – Tania Kibermanis macht einen Termin<br />
FOTOGRAFIE<br />
88 | Tanz des Vertrauens<br />
<br />
Kathrin Baumstark über wahre Abbilder<br />
NAHRHAFTE GLÜCKSKEKSE<br />
94 | Tiziano Terzani, Die Welt, ein Wunder!<br />
Annie Leibovitz, Lächeln? Nein danke<br />
<br />
BEST BOOK × 4<br />
<br />
LOVELY DESIGN<br />
96 | Klarheit in allen Verhältnissen?<br />
Kalin Aenstoots zeigt die Grenzen einer Goethe’schen Weisheit<br />
DIE LETZTE KIPPE<br />
100 | froh&reich<br />
<br />
DAS GEDICHT<br />
101 | Thomas Brasch, Die unruhige Wüste<br />
Ich mag keine Landschaften. Nur Menschen und Plastikblumen.<br />
<br />
Ich würde mein ganzes Leben retuschieren.
KURZ GEBRATEN<br />
Warme Bude, adé – und auch am Arbeits-<br />
<br />
russische Gashahn zu, dürfen Büros bald<br />
nur noch bis maximal neunzehn Grad<br />
<br />
alle, die erst bei höheren Gradzahlen<br />
auf Betriebstemperatur kommen:<br />
discher<br />
Ausfallschritt, dafür Berghüttenerprobt<br />
und <br />
<br />
und lassen Arbeitnehmerfüße förmlich<br />
glühen. Derart bekleidet, lassen sich hitzige<br />
Wohlfühltemperatur-Debatten cool aussitzen<br />
– gas- und stromfrei.<br />
fellhof.com<br />
Das Weihnachtsfest steht vor dem Tor –<br />
<br />
auf der entspannteren Seite. Kürzlich<br />
restauriert und neu aufgelegt: die legen-<br />
<br />
Weihnachtslieder«, aufgenommen 1975<br />
mit dem Thomanerchor und der Dresdner<br />
Staatskapelle. Als einer der meistverkauften<br />
Tonträger der DDR<br />
<br />
<br />
dem unverkennbaren Timbre eines der<br />
bedeutendsten Tenöre des 20. Jahrhunderts<br />
<br />
berlin-classics-music.com<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
präsidialen Touch.<br />
erzgebirge-palast.de<br />
<br />
liche Tannen, von Zuckerbäckern groß zügig<br />
bestäubt:<br />
<br />
In Zeiten siechender Wälder und Meere<br />
erfreut uns der Fototapeten-Anbieter mit<br />
<br />
schon sein. Motive gibt es reichlich, auch für<br />
die Kleinsten: Sie stromern durch insekten-<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
erhalten bleiben.<br />
rebelwalls.com/de/fototapeten<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Jetzt noch campen?<br />
<br />
Karl lächelt milde,<br />
<br />
<br />
camping-losheimamsee.de<br />
86/87
SPEAKERS’ CORNER<br />
Verdammt gut gecastet –<br />
Tania Kibermanis macht einen Termin<br />
Snerinnen<br />
– vor allem um deren Behördenkram, denn das kann ich am besten. Ich<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
und kam nicht. Ich vereinbarte mit der zuständigen Sachbearbeiterin einen Termin,<br />
<br />
Doch vor dem Gesetz steht laut Kafka bekanntlich immer ein Türhüter – am Job-<br />
<br />
Ich: »Wir haben einen Termin mit Frau Schmidt.«<br />
Trübtasse: »Das kann gar nicht sein, die Sachbearbeiterin ist heute auf einer<br />
Konferenz.«<br />
In diesem Moment ruft Frau B.:<br />
Trübtasse:<br />
Ich (inzwischen etwas ungehalten): »Woran liegt es, dass das Geld noch nicht an-<br />
<br />
Trübtasse: »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, dafür müssen Sie einen Termin<br />
machen.«<br />
Ich (schwerer atmend):<br />
Trübtasse:mern<br />
…«<br />
Ich (unter Wahrung eines letzten Restes Contenance): »Ich habe einen Termin<br />
gemacht,<br />
<br />
Ich rufe also eine der Jobcenter-Nummern an, der Sachbearbeiter in der Leitung sagt<br />
mir, ich soll doch einen Termin machen. »Der Antrag ist in Bearbeitung.«<br />
Ich (jetzt laut): »Der Antrag ist bereits bearbeitet, ich habe doch den Bescheid vor-<br />
<br />
Sachbearbeiter:<br />
einen Termin …«<br />
Im Hintergrund läuft wieder die Sachbearbeiterin vorbei, die auf einer Konferenz ist.<br />
-<br />
<br />
<br />
<br />
Tania KibermanisFrankfurter Rundschau, die taz,<br />
<br />
Spleen Royale
FOTOGRAFIE<br />
Tanz des Vertrauens<br />
»<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
«<br />
<br />
.<br />
Inen:<br />
Künstler, Schriftstellerinnen und Schauspieler, die<br />
<br />
<br />
im Italien der 1950er Jahre und im geteilten Deutschland<br />
der 1960men<br />
von Menschen, die für ihn als Fotograf bedeutend<br />
<br />
<br />
1936 <br />
<br />
schreibt:<br />
»Voraussetzung für ein überzeugendes<br />
sönlichkeit<br />
des Darzustellenden. Von einem Men-<br />
<br />
-<br />
<br />
damals die ganz eigene, intime Darstellung, die List<br />
<br />
zeigen das: Die Ausgelassenheit an einem heißen<br />
<br />
Vertrautheit mit dem Fotografen machen sie zu zeitlosen<br />
Dokumenten von Freundschaft.<br />
88/89
FOTOGRAFIE<br />
<br />
List kann diese Vertrautheit auch mit seinen berühmten<br />
-<br />
<br />
<br />
seiner Skulptur Tête de mort <br />
<br />
schen<br />
Fotograf und Modell: Mit seiner Kamera scheint<br />
er den Augenblick einer Gesprächspause eingefangen<br />
<br />
<br />
in entgegengesetzte Richtungen blicken.<br />
-<br />
<br />
<br />
spielers<br />
Édouard Dermit, der nackt vor einer Tapisserie<br />
chischen<br />
Malers Yannis Tsarouchis, der einen vielsagenden<br />
Blick auf die Körpermitte seines männlichen<br />
-<br />
<br />
Tanz, der nur durch Vertrauen funktionieren kann.<br />
Werk und Autor<br />
<br />
vor: Bei der einen tritt das Werk, das Schaffen hinter<br />
den Menschen zurück, und Atelier oder Schreibstube<br />
sind nicht Ausstellungs-, sondern eher »Schutzraum«.<br />
1948<br />
<br />
mehr erkennbar, er blickt nachdenklich an der Kamera<br />
<br />
<br />
<br />
-<br />
<br />
französischen Literatur litt seit 1939ren<br />
<br />
noch verlassen, der vor ihr stehende Telefonapparat<br />
<br />
<br />
<br />
buceriuskunstforum.de, hirmerverlag.de<br />
90/91
FOTOGRAFIE<br />
Augenblicke<br />
1952<br />
Jahrzehnte zuvor begonnener Roman The Temple ihm posthum<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
In<br />
Körper zur Seite gedreht, den Blick über die<br />
<br />
<br />
<br />
Foto: Das freundschaftlich-liebende Verhält-<br />
<br />
spüren, die tiefe Verbundenheit zu Auden,<br />
-<br />
<br />
<br />
nierter<br />
Schnappschuss, erstaunlich in seiner<br />
<br />
selten gelingen, durch einen Schnappschuss<br />
mehr als einen einmaligen Ausdruck, und<br />
mag er noch so erregend sein, festzuhalten.<br />
<br />
in einer Zeitaufnahme<br />
<br />
<br />
Das magische Auge, der zur<br />
gleichnamigen Ausstellung im Bucerius Kunst Forum im Hirmer Verlag erschienen ist. Siehe auch herbert-list.com
FOTOGRAFIE<br />
60<br />
Schnappschüsse, und auch sie lassen tief blicken,<br />
-<br />
patournee<br />
machte sie auch in ihrer ehemaligen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
noch als »Vaterlandsverräterin« beschimpft, auf-<br />
heit<br />
spiegeln sich in den Aufnahmen.<br />
Geteiltes Deutschland<br />
1965/66 führte List einer seiner letzten großen<br />
Aufträge in das geteilte Berlin.<br />
-<br />
<br />
<br />
und Werk. Der alte Maler sitzt, eingefallen und<br />
klein, sinnierend vor einem seiner Gemälde. Sein<br />
-<br />
<br />
rufen, nachdenken, den Kopf aufrichten, den<br />
<br />
<br />
herrschaft trotz Verbot geschaffen hatte, und sein Bild<br />
Lotte,1930 mit<br />
nur 14 Jahren das Leben nahm. List dringt tief in die Biogra-<br />
<br />
tierten<br />
zu erfassen«.<br />
<br />
<br />
92/93
Moroso<br />
Udine Milano London<br />
New York Gent<br />
moroso.it<br />
info@moroso.it<br />
@morosofficial<br />
Pacific, 2021<br />
Gogan, 2019<br />
by Patricia Urquiola<br />
Dew, 2009<br />
by Nendo<br />
photo Alessandro Paderni — set coordinator Marco Viola
NAHRHAFTE GLÜCKSKEKSE<br />
<br />
<br />
dieses Wunders zu fühlen – nicht das Du mit den<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
TIZIANO TERZANI<br />
Tiziano Terzani, 1938 in Florenz geboren, in Europa und den<br />
<br />
<br />
pondent des Spiegel <br />
<br />
<br />
<br />
<br />
BEST BOOK × 4<br />
QUARTETT FÜR GROSS UND KLEIN<br />
94/95<br />
Für unruhige Nächte<br />
»Die Welt ist nur ein vorübergehender<br />
Aufmarsch grausamer Momente und<br />
langer trostloser Strecken, wo nichts<br />
passiert, als dass man Zichorien kaffee<br />
und Whisky trinkt und Karten spielt.«<br />
1860<br />
sich, tun sich zusammen, verdingen<br />
sich zunächst als Mädchen in einem<br />
Saloon, gehen zur Armee, metzeln<br />
»Rothäute«, retten das Indianermädchen<br />
Winona, das ihrem Leben einen<br />
<br />
<br />
<br />
lakonischen Wucht.<br />
Wenn Sie nicht schlafen wollen, ist<br />
dies das richtige Buch.<br />
Sebastian Barry,<br />
Tage ohne Ende<br />
Roman.<br />
Aus dem Englischen von<br />
<br />
<br />
steidl.de<br />
Wie tötet man, ohne daran zu<br />
zerbrechen? <br />
ren erforscht die israelische Militär-<br />
<br />
Soldatinnen und Soldaten. Spezialgebiet:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
disziplinierter und auch resistenter«<br />
macht. Als Abigals Sohn einberufen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
und die irritierende Lust am Töten.<br />
Yishai Sarid,<br />
Siegerin<br />
Roman.<br />
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama<br />
<br />
keinundaber.ch
aber dann entschuldige ich mich immer. Fast kann<br />
<br />
<br />
lächeln.<br />
ANNIE LEIBOVITZ<br />
Annie Leibovitz<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
paar Tage den Alltag der Menschen, die sie porträtieren<br />
<br />
<br />
großzog.<br />
Italiens Kochbuchklassiker,<br />
<br />
Der Silberlöffel für Kinder eröffnet<br />
neue kulinarische Möglichkeiten.<br />
<br />
viel zugetraut: Arbeiten mit scharfen<br />
Messern und Küchenmixer oder der<br />
<br />
auch der kindliche Gaumen ist ge-<br />
<br />
Bohnen? Lammkeule mit Kräuterkruste?<br />
Wer bisher mit der Maus<br />
<br />
die Augen. Aber es funktioniert:<br />
<br />
Ausrüstung und Kochtechniken,<br />
Illustrationen erklären die Rezepte<br />
Schritt für Schritt. Für Köchinnen<br />
und Köche ab neun Jahren.<br />
Der Silberlöffel für Kinder<br />
Lieblingsrezepte aus Italien<br />
<br />
zsverlag.de<br />
Sprechen Sie »Eichelhäherisch«?<br />
<br />
sicher unseren Kindern – trotzdem<br />
<br />
<br />
Monolog gegen die Dummheit der<br />
<br />
<br />
<br />
er auch gefunden, um es ihnen zu<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Standpauke, die beschämend ist,<br />
<br />
unbedingt, zuzuhören – und natürlich<br />
diese neue Sprache zu lernen.<br />
<br />
Piepmatz macht Wald aus euch<br />
Weltrettdings für Vorangeschrittene<br />
<br />
<br />
leykamverlag.at
LOVELY DESIGN<br />
Klarheit in allen Verhältnissen – ist dem Individuum sehr förderlich,<br />
wenn es sich auf sich selbst beschränken will; will es aber eingreifen<br />
in die bewegten Räder des Weltganges, glaubt es, als ein Teil des<br />
Ganzen selbsttätig nach eigenen Ideen wirken, schaffen oder hemmen<br />
zu müssen, so geht es umso leichter zu Grunde. Goethe<br />
<br />
<br />
<br />
Träumen und Ideen hin, suchen, nach eigenen Ideen<br />
wirken, schaffen oder hemmen zu müssen.<br />
<br />
heim ins Spiel, dessen Vorgarten ein Schaufenster, ein<br />
Blick in Seelen ist: Wir schauen hindurch und sehen auf<br />
hingebungs- und liebevolle Kreationen, pflegeleicht,<br />
aufgeräumt, geordnet. Wie man sich eine Seele idealiter<br />
vorstellt.<br />
Wir danken Kalin Aenstoots für diese Fotografien aus<br />
<br />
für ein »Anzeichen gefährlicher Feinnervigkeit« hält.<br />
-<br />
<br />
bitte).<br />
Sie sind im Weihnachtsstress? Entspannen Sie sich – in wenigen Wochen schon begehen wir das immer wiederkehrende Ostern – und die neue<br />
Vorgarten Saison beginnt.<br />
96/79
LOVELY DESIGN
Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es<br />
geht, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches …<br />
Das Natürliche … ist das Chaos. Arthur Schnitzler
DIE LETZTE KIPPE (für heute)<br />
Froh&reich<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
in<br />
<br />
Monat mit seinen zumeist grauen Wochen und nebelnden Tagen. Allerseelen,<br />
Martinstag, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag …<br />
so viele Tage der »Besinnung und des Gedenkens« kennt kein anderer<br />
Monat im Jahr.<br />
Apropos: Wie ist es Ihnen ergangen in diesem Jahr <strong>2022</strong>, das es so in sich<br />
<br />
ropa,<br />
III<br />
<br />
<br />
<br />
solchen Zeiten helfen uns die schönen Dinge, im Lauf der Welt das Gute<br />
nicht zu vergessen. Der Besuch der Ausstellung Das magische Auge mit<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
haben und auf das in dem Moment für uns richtige Bild oder Möbel, die<br />
ein anderer<br />
Mensch. Wir sind froh und reicher.<br />
Sich ab und an auf diese Kraft der Kultur zu besinnen und in eine<br />
<br />
Träume zu sehen, tut einfach gut.<br />
reichen<br />
mir, dass Sie Ihrer W!D auch im aufziehenden Jahr 2023 treu bleiben –<br />
denn die Welt braucht schöne Dinge. Jetzt erst recht.<br />
Mit herzlichen Grüßen,<br />
Ihr<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
aktion-deutschland-hilft.de.<br />
esprit?libreWir danken<br />
<br />
/ Magnum Photos / <br />
<br />
100/101
Ihr lest keine Lyrik? Seid ihr wahnsinnig?<br />
maria gazzetti<br />
DAS GEDICHT<br />
thomas brasch<br />
Die unruhige Wüste<br />
<br />
<br />
in die Augen, ist es schlimm, aber still. Was sollte ich schreiben<br />
<br />
<br />
sagt sie und steigt aus seinem Bett, bei<br />
deiner Frau, in deiner Stadt, in deinem Versteck aus<br />
leeren lauten Wörtern.<br />
<br />
sagt sie, ist der Rückzug möglich in die eigene Lage.<br />
<br />
<br />
Sie nimmt ihren Mantel. Sie geht zur Tür.<br />
<br />
<br />
draußen in meinem Kopf die krachende Stille.<br />
Thomas Brasch, <br />
, sein Prosaband Vor den<br />
Vätern sterben die Söhne<br />
städtischen Friedhof begraben. © Suhrkamp Verlag, Berlin 1980.
XXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
WOHN!DESIGN<br />
<strong>KUNST</strong>EDITION NO. 18<br />
1 2<br />
<strong>KUNST</strong>EDITION FÜR W!D LESER:INNEN<br />
Jedes der beiden Werke ist ein Unikat.<br />
Zu erwerben über info@wohndesign.de,<br />
Telefon: +49 (0) 711 96666 410 oder unter<br />
www.wohndesign.de/Kunstedition<br />
1 | „14 (07) <strong>2022</strong>“, Mixed Media on Chiffon<br />
50 x 40 cm, <strong>2022</strong>, zum Vorzugspreis von 1.850 Euro<br />
2 | 11 (07) <strong>2022</strong>“, Mixed Media on Chiffon<br />
50 x 40 cm, <strong>2022</strong>, zum Vorzugspreis von 1.850 Euro<br />
102 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Artjom Chepovetskyy (*1984 in Odessa – lebt und<br />
arbeitet in Frankfurt a.M.). 2007-2016 Philosophie-<br />
Studium an der Johannes-Gutenberg-Universität und<br />
Bildende Künste an der Kunstakademie Mainz. Seit<br />
2016 Einzel- und Gruppenausstellungen. <strong>2022</strong> Preis für<br />
Malerei der Wolfgang-Blanke-Stiftung, Mainz.<br />
Sein künstlerischer Prozess ist durch eine medienübergreifende<br />
Auseinandersetzung grundlegender Fragen der<br />
Malerei gekennzeichnet. Dabei greift Chepovetskyy auf<br />
ungewöhnliche Materialien wie Chiffon und Organza zurück.<br />
Mit ihrer Transparenz lotet der Künstler die Grenzen<br />
der Malerei aus, indem er die Zweidimensionalität des<br />
Mediums infrage stellt und sie durch den experimentellen<br />
Einsatz von Farbe und Material erweitert. Er konzentriert<br />
sich in seinen Arbeiten auf die fragile Ästhetik<br />
der von Menschen geschaffenen Zeichen, Muster und<br />
Formen und führt sie in die Abstraktion. So entstehen<br />
objekthafte Bilder, die trotz komplexer Beziehungen<br />
spielerische Leichtigkeit und Raffinesse ausstrahlen.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
103
REPORTAGEN !<br />
104 WD 6 I <strong>2022</strong>
<strong>KUNST</strong>VOLL <strong>LEBEN</strong><br />
Freuen Sie sich auf einen inspirierenden Exkurs durch Länder, Häuser<br />
und Wohnungen. So divers diese sind, die Freude am Thema verbindet.<br />
104 I MAILAND Hier residiert ein Männerpaar zwischen Moderne und Altmeistern<br />
114 I BRÜSSEL Bea Mombaers mag zeitgenössische Kunst und dazu Designklassiker<br />
122 I PARIS Wie wäre es mit einem Gewand für die Wand? Alte Boiserien sind chic<br />
132 I YUCATÁN In der Nähe von Mérida lädt uns der Künstler Javier Marín zu sich ein<br />
142 I CARACAS Wie sich Stararchitekt Gio Ponti zu einem Traumhaus verführen ließ<br />
Geile Glotze! In den Fifties richtete<br />
Gio Ponti dieses Office für seinen<br />
Auftraggeber Armando Planchart ein.<br />
Mehr ab Seite 142.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
105
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
1<strong>06</strong> WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! MAILAND<br />
EKLEKTISCH?<br />
Klassisch? Oder doch ganz pragmatisch? Diese beiden<br />
Kunst-und Designliebhaber nutzen ihr Zuhause, um ihren Persönlichkeiten<br />
Raum zur freien Entfaltung zu geben.<br />
FOTOS: FRANCESCO DOLFO/ LIVING INSIDE TEXT: BENEDETTA ROSSI/ ANKE GUNGL<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
107
REPORTAGE ! MAILAND<br />
Diese Seite: Im Schlafzimmer entschieden<br />
sich Paolo Castellarin und sein Mann<br />
Didier (in maßgeschneiderten Bademänteln<br />
von Etro) für kakaofarbene Emaille<br />
an der Wand. Bett „Natalie“ mit Bezug<br />
in Orange von Loro Piana entwarf Vico<br />
Magistretti für Flou. Rechte Seite, im<br />
Uhrzeigersinn: Der hellblaue Samtteppich<br />
sticht trotz des farbenfrohen Mixes heraus.<br />
Die Vintage-Hängeleuchte aus den<br />
1960er-Jahren neben dem Bett stammt<br />
von Flos. Die in der Wand versteckte<br />
Badewanne ziert ein Mosaik von Bisazza.<br />
Devon & Devon lieferten die Armaturen.<br />
Zierkissen auf dem Bett von Seletti. Auf<br />
dem Nachttisch von Moooi platzierten die<br />
beiden eine Tischleuchte von Flos.<br />
108 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
109
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
110 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
111
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
„Ich habe mich schon immer zu schönen Dingen hingezogen gefühlt,<br />
seien es Designermöbel und -objekte oder historische Gebäude<br />
wie Wohnhäuser und Kirchen“, erzählt uns Paolo Castellarin.<br />
„Wenn ich meine Freunde besuchte, galt meine Aufmerksamkeit<br />
immer dem Interieur, den Okjekten und Räumlichkeiten. Für mich<br />
war das besser als jeder Süßwarenladen.“ Wir befinden uns im<br />
schicken Mailänder Viertel Arco della Pace, breite Alleen, der Blick<br />
auf den Parco Sempione, elegante Geschäfte, Clubs, Restaurants,<br />
kleine Bars. Der Kieferchirurg und sein Mann Didier Bonnin waren<br />
eigentlich nicht auf der Suche nach einer neuen Bleibe, bis sie dieses<br />
Apartment mit klaren mitteleuropäischen Charakteristika betraten.<br />
„Bevor wir diese Wohnung kauften, wohnten wir in einem Penthouse,<br />
ebenfalls in Mailand, aber wir sehnten uns insgeheim nach<br />
einer klassischeren und aristokratischeren Lage.“<br />
Die Immobilie aus dem frühen 20. Jahrhundert vereint alle Attribute,<br />
die den beiden Kunstliebhabern wichtig sind: fast vier Meter<br />
hohe Kassettendecken mit Stuckarbeiten aus der Entstehungszeit,<br />
altes venezianisches Parkett, das freigelegt und sorgfältig aufgearbeitet<br />
werden musste – und ausreichend Fläche, um sich kreativ<br />
auszuleben. „Die Fassade des Gebäudes wurde gerade von der<br />
»Akademie der Schönen Künste Brera« restauriert“, sagt Castellarin.<br />
Für den Umbau beauftragten die beiden den Architekten<br />
Fabio Greco, „der ein perfektes Gleichgewicht zwischen klassisch<br />
und ungewöhnlich schuf, mit großem Respekt vor der Qualität der<br />
Materialien. Als Didier und ich uns kennenlernten, war mein Stil<br />
sehr minimalistisch und Didiers Geschmack absolut klassisch. Fabio<br />
hat es geschafft unsere Vorstellungen zu übertreffen.“ Würde<br />
man Castellarin heute nach seinem Stil fragen, würde er ihn wohl<br />
eher als eklektisch und praktisch bezeichnen: „Ich glaube, ich habe<br />
mehr als einen Stil, und in diesem Apartment war es mir wichtig<br />
meine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Die Wohnung ist<br />
die Frucht dessen, wer wir jetzt als Paar sind.“<br />
Geprägt hat ihn vor allem seine Kindheit in der Region Friaul-Julisch<br />
Venetien. „Im Vergleich zum Rest Italiens ist es eine kleine<br />
Region, aber man kann in 30 Minuten das Meer und die Berge erreichen<br />
oder wunderschöne historische Städte wie Venedig und<br />
Triest besuchen. Also Geschichte und Kunst, aber auch Natur, Wein<br />
und gutes Essen. Hier treffen die Einflüsse der venezianischen Welt<br />
auf jene des österreichisch-ungarischen Reiches.“ Besonders wichtig<br />
war es dem Paar ein Zuhause zu schaffen, „das einen umarmt,<br />
wenn man es betritt. Das einem Wärme und Geborgenheit gibt.<br />
Das gilt sowohl für uns als auch für unsere Gäste, wenn sie uns<br />
zum Abendessen oder zum Kaffee besuchen kommen. Wir wollten<br />
ein Haus mit viel Persönlichkeit, das mutig, fröhlich und lebenslustig<br />
ist. Dieser Wunsch entstand währends des Lockdowns“, so<br />
Castellarin. Und besonders die kühne Farbauswahl schafft dank<br />
der kontrastierenden Stile und Epochen eine warme Atmosphäre<br />
mit ultra-modernem Look, der teilweise an die Innenräume der<br />
70er- und 80er-Jahre erinnert. So auch in der Küche mit gebürstetem<br />
grünem Guatemala-Marmor, die zu Castellarins Lieblingsräumen<br />
zählt. „Meine Familie ist seit Generationen im Besitz eines<br />
Marmorunternehmens, Del Savio 1910, mit dem wir sowohl das<br />
Bad als auch die Küche gestaltet haben. Ein historisches Unternehmen,<br />
das von meinem Urgroßvater gegründet wurde, und auf das<br />
ich sehr stolz bin“, sagt Castellarin und fährt fort: „Mir gefällt sehr<br />
gut, was aus diesem Raum geworden ist, denn ich halte mich gerne<br />
darin auf. Meiner Meinung nach war die Küche schon immer<br />
einer der wichtigsten Räume in einem modernen Haus. Man kann<br />
112 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! MAILAND<br />
dort allein sein, mit der Familie, mit ein paar engen Freunden, aber<br />
man kann auch eine Buffetparty veranstalten, wenn man möchte.<br />
Sie ist gesellig, gemütlich und chic.“ Das Interieur ist besonders<br />
vielfältig. Es gibt Gemälde aus der Sammlung von Bonnins französischer<br />
Familie, Möbel von italienischen Kultdesignern, Objekte,<br />
die Lebensgeschichten erzählen, Kunstfotografien. Im Flur fällt ein<br />
wunderschönes Jugendstil-Glasfenster auf (Seite 104), eine dieser<br />
Geschichten vom „perfekten Zufall“. „Wir haben es in einem Antiquitätengeschäft<br />
gefunden. Wir hatten bereits die Farbpalette für<br />
die Wohnung ausgewählt, und es war unglaublich, dass es perfekt<br />
dazu passte. Es ist über drei Meter hoch und 2,50 Meter breit, und<br />
es ist fast so, als würde man eine Kirche betreten. Eine wunderbare<br />
Überraschung.“ Dahinter verbirgt sich das Arbeitszimmer, in dem<br />
sich die ikonische Chaise Longue „LC4 Le Corbusier“ von Cassina<br />
und ein Kronleuchter von Gio Ponti für Fontana Arte befinden. Der<br />
Eames-Schreibtisch stammt von Vitra, und der Sessel „LC7“ von Cassina.<br />
In einem der Wohnzimmer dominiert der Kronleuchter „Dear<br />
Ingo“ von Moooi, entworfen von Ron Gilad, bewusst im XL-Format.<br />
Pop und Barock mischt sich mit Gemälden aus dem 16. Jahrhundert,<br />
einem Altarbild aus dem 17. Jahrhundert, großen Reiterbildern<br />
aus dem 15. Jahrhundert und Luigi Bellis „Il Madrigal“: „Wir hatten<br />
es bereits in unserem vorherigen Penthouse. Ich habe es Didier geschenkt,<br />
um uns daran zu erinnern, zu »spielen«. Es sieht aus wie<br />
ein Abakus.“ Eine architektonische Spielerei sind auch die beiden<br />
Bullaugen, die in die Wand zwischen Wohn- und Esszimmer eingebaut<br />
wurden – als Hommage an den Architekten und Stadtplaner<br />
Piero Portaluppi. „Sie sind eine Anspielung auf den Modernismus,<br />
eine Illusion, die einen überrascht. Wenn man den Raum betritt,<br />
weiß man im Grunde nicht, ob es sich dabei um einen Spiegel handelt<br />
oder ob man tatsächlich den Rest der Wohnung sehen kann.“<br />
Sonstige Wünsche? „Leider habe ich mehr als einen Wunsch, aber<br />
wenn ich mich entscheiden müsste, dann denke ich, dass ich mich<br />
gut fühle und nichts als selbstverständlich ansehe.“<br />
☐<br />
Linke Seite: Über dem Esstisch von Knoll International mit Stühlen<br />
von Vitra schwebt Moooi-Leuchte „Dear Ingo“. Dahinter die<br />
in limitierter Stückzahl erschienene Installation „Il Madrigale“<br />
von Luigi Belli. Reiterporträts aus dem 16. Jahrhundert. Die<br />
Küche von Valcucine darunter und diese Seite ist in einen Block<br />
aus grünem guatemaltekischen Marmor eingelassen. In den<br />
Regalen sammeln sich Muranoglas, Erbstücke und Geschirr.<br />
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113
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
IMMER IM WANDEL<br />
Die einzige Konstante im Leben von Bea Mombaers ist die<br />
Veränderung. Wie die belgische Interior-Stylistin, Designerin<br />
und notorische Sammlerin dennoch zu ihrer inneren Mitte<br />
findet, zeigt ihr Zuhause in Brüssel.<br />
FOTOS: JAN VERLINDE TEXT: MARKUS HIEKE<br />
114 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
115
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
116 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! BRÜSSEL<br />
Wenn Bea Mombaers Klienten zu sich nach Hause einlädt, ist nie<br />
gewiss, von welchen ihrer lieb gewonnenen Designobjekte sie<br />
sich schon im nächsten Augenblick wird verabschieden müssen.<br />
Denn fast alles in ihrer Wohnung darf man kaufen. Mal ist es nur<br />
eine Schale, mal ein paar Stühle. Manchmal bleibt alles wie es ist.<br />
Dann begibt sie sich quer durchs Land, durch Europa und die Welt<br />
auf die Suche nach Fundstücken für ihr nächstes Projekt, das es<br />
in ihrem Mombaers-typischen Stil auszustatten gilt. Die Belgierin<br />
ist eine viel gefragte Interior-Stylistin und Designerin. Zu ihren eigenen<br />
Designs zählen Taschen und Tableware für Serax und auch<br />
ein Sofa befindet sich in der Kollektion des Herstellers. Doch dazu<br />
später mehr. In der Küstenstadt Knokke, eine knappe halbe Autostunde<br />
nördlich von Brügge, betreibt sie den Designshop Items<br />
by Bea Mombaers. Als wäre sie nicht beschäftigt genug, führte<br />
sie hier bis vor Kurzem auch ein Bed & Breakfast. Bedauerlicherweise<br />
musste sie es aufgeben, weil der Vermieter ihren Vertrag<br />
nicht verlängern wollte. So viel sei immerhin verraten: Mombaers<br />
arbeitet bereits an einem neuen Urlaubsprojekt, diesmal in der<br />
Provence, wo sie ein altes Haus im Grünen erstanden hat.<br />
Dass Bea Mombaers nicht in Knokke, sondern höchst repräsentativ<br />
in Brüssel wohnt, liegt natürlich daran, dass sie ihre Auftraggeber<br />
eher hier in der Großstadt antrifft als im beschaulichen<br />
Urlaubsort am Meer. Wegen seiner charmanten Ähnlichkeit zum<br />
Haussmann-Stil der französischen Hauptstadt, vor allem aber<br />
wegen der vielen Franzosen, die hier leben, nennt man ihr Viertel<br />
auch „Le Petit Paris“. Hier lebt Mombaers, in bester Nachbarschaft<br />
zu Vintage-Möbel- und Antiquitätenläden, Boutiquen, Galerien,<br />
netten Restaurants und Cafés, auf fast 200 Quadratmetern im<br />
ersten Obergeschoss eines Altbaus. Gut erhaltenes Parkett, hohe<br />
Stuckdecken und facettierte Wände inklusive. Den größten Teil<br />
der Wohnfläche nehmen der zum Place Brugmann ausgerichtete<br />
Wohn- und der Essbereich ein. Bei Bedarf können beide Räume<br />
durch eine riesige, faltbare Glasflügeltür voneinander getrennt<br />
werden. Wer so ein Juwel findet, muss wissen, wie er es gekonnt<br />
bespielt – und darin ist diese Frau sichtlich Profi.<br />
Kein Wunder, denn seit ihrer Kindheit begeistert sich Mombaers für<br />
das Sammeln von Objekten. Später machte sie aus dieser Passion<br />
ihren Beruf und perfektionierte den Blick für das Besondere, das<br />
niemals abgehoben oder extravagant wirkt. „Die Dinge müssen Ge-<br />
Linke Seite: Bea Mombaers in ihrem Brüsseler Wohnzimmer –<br />
um die Hüfte eine Gürteltasche aus ihrer eigenen Lederwaren-<br />
Kollektion für Serax. Der Blick, rechte Seite, geht hinaus zum<br />
Place Brugmann, wenn er nicht auf ihren fabelhaften Design-<br />
Fundstücken im Raum haften bleibt.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
117
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Will man den Stil von Bea Mombaers beschreiben, so lässt sich<br />
das am besten wie folgt ausdrücken: Sie ergänzt sorgsam. Ihre<br />
Interieurs wirken nie überladen, nie aufdringlich, sondern haben<br />
eher etwas sehr Beruhigendes an sich. Was am Verzicht auf kräftige<br />
Farben liegen mag, ihre bevorzugte Palette bewegt sich im<br />
Bereich Naturweiß, Hellgrau bis zum Braun der Holzmöbel und<br />
des Parketts. Oft gelingt ihr das in Gemeinschaftsprojekten mit<br />
dem Innenarchitekten Peter Ivens – beide haben ihre Handschriften<br />
gewissenhaft aufeinander abgestimmt. Über ihr eigenes<br />
Zuhause berichtet Bea Mombears: „Es gibt zwei Schlafzimmer,<br />
eines für mich und eines für Freunde, dann ein großes Wohnzimmer<br />
mit angrenzendem Essbereich und eine große Küche am Flur.<br />
Ich musste nichts ändern an meiner Wohnung, außer die Küche<br />
schwarz zu streichen. Was den Rest betrifft, hatte ich Glück: Sie<br />
war sofort bezugsfertig.“<br />
Auffällig beim Blick durch die Räume ist, dass die Vielreisende<br />
dem Hype um Zimmerpflanzen ganz und gar nichts abzugewinnen<br />
scheint. Ihre Interieurs wirken dadurch auf gewisse Weise<br />
Der Esstisch ist ein Sammlerstück, entworfen von dem Dänen<br />
Poul Kjærholm und umringt von wechselnden Design-<br />
Klassikern. Die Skulptur links von Richard van Bremen steht<br />
mittlerweile in Mombaers neuem alten Haus in der Provence.<br />
Die Silberschalen unten stammen von Annique Tapernoux, das<br />
Messer von der portugiesischen Künstlerin Bela Silva.<br />
schichte atmen“, sagt sie. Deshalb ist es ihr so wichtig, sie etwa auf Reisen<br />
zu entdecken und mitzubringen, ihre Vergangenheit im Wohnumfeld<br />
am Leben zu erhalten, ihre Geschichte fortzuschreiben. Klar,<br />
dass sie dafür praktisch immer auf der Suche nach Vintage-Objekten<br />
ist. So stieß sie zum Beispiel auch auf den runden Esstisch für<br />
ihr Zuhause, ein Sammlerstück aus der Feder des Dänen Poul Kjærholm.<br />
Als Gestell dient ein würfelförmiger Aluminiumrahmen. Die<br />
runde Marmortischplatte wird durch sechs eingesteckte Teile aus<br />
Holz erweitert, die bei Platzmangel wahlweise abgenommen werden<br />
können. Doch dieses Problem hat Mombaers zum Glück nicht.<br />
Inzwischen gibt es den Tisch als Re-Edition unter dem Namen PK54<br />
bei Fritz Hansen, allerdings ohne die Ansteckteile. Weil das einfach<br />
nicht dasselbe ist, ist es für Bea Mombaers umso entscheidender,<br />
Originale zu ergattern. Der Raum mit seinem prachtvollen Kaminsims<br />
bietet für diese einen geeigneten Rahmen. Ebenso wie für die<br />
Auswahl der Stühle, von denen man annehmen darf, dass sie zum<br />
Teil längst neue Besitzer gefunden haben: etwa der 1934 von Gerrit<br />
Rietveld entworfene „Zig Zag Chair“ (Van de Groenekan Edition)<br />
oder die beiden Formholzstühle von Charles und Ray Eames aus der<br />
Plywood Group (1945/46, Evans Edition) sowie ein Lederstuhl „3LC<br />
T“ der US-amerikanischen Gestalter und Architekten Douglas Kelley,<br />
Ross Littell und William Katavolos für Laverne International (1952).<br />
Erhellt wird das Esszimmer durch eine französische Vintage-Stehleuchte<br />
und ein Exemplar der Pendelleuchte „The Globe“ von Joe<br />
Colombo für Oluce (1964) über dem Tisch.<br />
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REPORTAGE ! BRÜSSEL<br />
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REPORTAGE ! XXXXXX<br />
wirkt wie ein Bindeglied zwischen so unterschiedlichen Möbeln<br />
wie dem „Swan Chair“, den Arne Jacobsen 1958 für das SAS Royal<br />
Hotel in Kopenhagen entworfen hat (Fritz Hansen), und dem 1935<br />
von Gerrit Rietveld für das Kaufhaus Metz & Co in Amsterdam<br />
gestalteten „Utrecht“-Sessel (Cassina).<br />
„Durch die vielen Fenster kommt die Sonne den ganzen Tag aus<br />
einem anderen Winkel herein, und wegen dieses Lichts und des<br />
Blicks auf den Platz ist das Wohnzimmer mein Lieblingsraum in<br />
dieser Wohnung“, schwärmt Mombaers. Andererseits ist es ihr<br />
hier oft zu transparent, weshalb sie unlängst beschloss, in eine<br />
frei gewordene Nachbarwohnung direkt nebenan zu ziehen, die<br />
weniger Einblicke bietet. Selbstverständlich begleiten sie ihre<br />
Möbel dorthin: die beiden Glasfaserobjekte des in Vicenza lebenden<br />
Designers Robi Renzi, der Marmor-Beistelltisch „Eros“ des<br />
Mailänders Angelo Mangiarotti (1971 für Skipper, heute erhältlich<br />
über Agapecasa) ebenso wie die „Atollo“-Tischleuchte von Vico<br />
Magistretti für Oluce (1977), die derzeit am Boden steht. Und auch<br />
die Leseleuchte „Daphine Terra“ von Tommaso Cimini (1975, Lumina),<br />
die etwas versteckt hinter dem Sofa hervorlugt.<br />
verlassen, nur um jeden Augenblick mit Menschenleben erfüllt<br />
zu werden. Hat Frau Mombaers häufig Gäste zu Besuch? „Eher<br />
sind es Klienten, die sich bei mir zu Hause beraten und inspirieren<br />
lassen.“ Gastgeberin wird sie lieber wieder in ihrem neuen<br />
Bed & Breakfast in der Provence – auch wenn sie da aufgrund<br />
der Entfernung wohl eher seltener sein wird als zuvor in Knokke.<br />
Anfangs hatte sie dort sogar noch persönlich das Frühstück<br />
zubereitet. Doch schon lange schafft sie das bei all ihrer Reisetätigkeit<br />
nicht mehr selbst.<br />
Was ihr dagegen immer wieder gelingt, ist, Menschen von ihren<br />
Ideen zu überzeugen. So erzählte sie irgendwann einer Bekannten,<br />
wie gerne sie einmal eine Taschenkollektion entwickeln<br />
würde. Prompt verknüpfte diese sie mit dem belgischen Lifestyle-Label<br />
Serax. Es war die Geburtsstunde einer ganzen Serie aus<br />
Ledertaschen, Tabletts, Accessoires für den Tisch und einer zeitgenössischen<br />
Interpretation des orientalischen Kelims.<br />
Irgendwann liebäugelte Serax mit einem Sofa, das Mombaers eigens<br />
für ihr Bed & Breakfast in Knokke entworfen hatte – zeitlos<br />
und so neutral, dass es sich mit dem wechselnden Mobiliar stets<br />
kombinieren ließ. Der Prototyp mit schwerem Stahlrahmen stand<br />
lange bei ihr im Wohnzimmer, mittlerweile macht Geschäftspartner<br />
Peter Ivens es sich in seinem Zuhause darauf gemütlich.<br />
Um das Möbelstück auch für den Outdoor-Bereich nutzen<br />
zu können, hatte sie es schließlich um ein wetterresistentes und<br />
wesentlich leichteres Aluminiumgestell sowie entsprechende<br />
Polster ergänzt. Serax gefiel das Resultat so gut, dass sie es zur<br />
Freude von Bea Mombaers in ihre Möbelkollektion aufnahmen.<br />
Die Qualitäten des Sofas offenbaren sich im Wohnzimmer. Es<br />
Welche Ihrer Trouvaillen würden Sie nicht hergeben, Frau Mombaers?<br />
„Oh …“, überlegt sie, „wahrscheinlich den Esstisch von<br />
Kjærholm, der mir sehr ans Herz gewachsen ist“, lautet die wenig<br />
überraschende Antwort. „Und die Skulptur im Eingangsbereich“,<br />
ergänzt sie schnell und meint ein aus einem Baumstamm herausgearbeitetes<br />
Objekt. „Ich habe sie schon lange, der Künstler<br />
ist bereits verstorben, leider fällt mir sein Name nicht ein. Wenn<br />
jemand sich dafür interessiert, sage ich immer, sie sei bereits reserviert.“<br />
Und alle anderen Kunstwerke in der Wohnung? Vieles<br />
stammt aus der Galerie ihres guten Freundes Stephane Simoens,<br />
der in Knokke eine Galerie für zeitgenössische Kunst führt.<br />
Mombaers Zuhause wird auf diese Weise zum Satelliten des<br />
Kunsthändlers, oft kaufen ihre Klienten die Kunst direkt mit, weil<br />
sie so gut zum gesamten Stil passt. Dass sie sich so auch oft wieder<br />
von Arbeiten trennen muss, scheint ihr ohnehin relativ leicht<br />
zu fallen. Zum Zeitpunkt der Fotoaufnahmen bereichert zum<br />
Beispiel eine kleine Schwarzweißarbeit des belgischen Künstlers<br />
Willem Cole auf dem Kamin im Wohnzimmer ihr Zuhause, links<br />
daneben an Wand und Boden zwei Werke des Briten Ross Hansen<br />
und zwischen zwei Fenstern ein Werk von Luc Vandervelde, der<br />
ebenfalls Belgier und bekannt für die Verwendung von scheinbar<br />
wertlosen, oft weggeworfenen Materialien ist. Auf dem Kaminsims<br />
im Esszimmer versammeln sich neben einer Arbeit von<br />
James William Murray gehämmerte Silberobjekte der belgischen<br />
Künstlerin Annique Tapernoux und eine Skulptur des Niederländers<br />
Richard van Bremen.<br />
Letztere darf Bea Mombaers ihr Eigen nennen und so hat sie sie<br />
gerade in ihr neues Herzensprojekt, ihr Haus in Frankreich, verbracht.<br />
Ob es da denn so aussehen wird wie bei ihr hier in Brüssel?<br />
Letztlich lasse sich das nicht eins zu eins übertragen. In der<br />
Provence werde sie ein altes Haus renovieren und einrichten,<br />
das einen völlig anderen Charme haben wird, wie sie erzählt.<br />
Doch wird man sie auch dort wieder erkennen – an ihrem<br />
geerdeten Stil, der Ikonen und Epochen der Designgeschichte vereint;<br />
kein Entweder-oder, sondern nur das Sowohl-als-auch“ kennt.<br />
Danke für diese Lehrstunde, Bea Mombaers!<br />
☐<br />
120 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! BRÜSSEL<br />
Wenn Mombaers nicht gerade unterwegs ist, schläft sie hier in ihrem dem Trubel des Platzes abgewandten Schlafzimmer. Auf dem<br />
Nachttisch steht eine Leuchte aus Beton von Patrick Paris für Serax, hinter dem Bett ein Vintage-Hocker von Pierre Paulin und ein alter<br />
Paravent aus Bambus. Die beiden „925“-Sessel im großzügigen Eingangsbereich, linke Seite, wurden 1966 von Afra und Tobia Scarpa<br />
für Cassina entworfen. Hergestellt werden sie nicht mehr, daher kosten Sammlerstücke als Duo gerne mal 20.000 Euro aufwärts.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
121
REPORTAGE ! PARIS<br />
KOSTBARE WÄNDE<br />
In der Nähe des Triumphbogens vermittelt das Atelier von Guillaume Féau eine Ahnung davon,<br />
wie man Räumen früher einen besonderen Rahmen und Glanz verliehen hat – sei es für Madame Pompadour,<br />
Jeanne Lanvin oder Sao Schlumberger. Willkommen in der faszinierenden Welt der Paneele und Applikationen.<br />
FOTOS: MONICA SPEZIA TEXT: ALICE IDA/ STEPHAN DEMMRICH<br />
122 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
123
REPORTAGE ! PARIS<br />
124 WD 6 I <strong>2022</strong>
„Féau Boiseries“ ist ein Familienbusiness,<br />
das 1875 von Charles Fournier<br />
gegründet wurde. Seitdem hat es in<br />
der Pariser Rue Laugier seinen Sitz.<br />
Die Werkstatt war immer auch ein<br />
Archiv für Kostbarkeiten wie die blau<br />
gefassten Wandpaneele oben rechts,<br />
die aus dem Boudoir der Tänzerin<br />
Marie-Madeleine Guimard stammen,<br />
das Fragonard im 18. Jahrhundert<br />
ausmalte. Die meisten der Paneele<br />
wurden aus Eiche gefertigt. Das Büro<br />
von Guillaume Féau rechts und oben<br />
gleicht einem Kuriositätenkabinett<br />
und beherbergt Architekturmodelle<br />
und weitere Kostbarkeiten wie die<br />
Inka-Stühle, die für Eugénie de Montijo,<br />
die Gemahlin von Napoleon III.,<br />
kommissioniert wurden. Linke Seite<br />
ein Rokoko-Paneel aus der ehemaligen<br />
Sammlung Karl Lagerfeld, auf<br />
das Féau besonders stolz ist.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
125
REPORTAGE ! PARIS<br />
Den Sessel oben von Laura Gonzalez ließ Féau mit einem Dedar-Stoff<br />
beziehen, dahinter Wandpaneele nach Entwürfen von Claude Nicolas Ledoux,<br />
einem Architekturvisionär des späten 18. Jahrhunderts. Links oben:<br />
Fragmente und Modellstücke aus den Anfängen des Archivs nach 1875. Sie<br />
dienten als Dekoration großbürgerlicher Häuser und Appartements. Links<br />
Rahmen, Paneele und Maquetten (frz. für Modelle), von denen sich einige<br />
bis in die Renaissance datieren lassen. Andere stammen aus dem Art déco<br />
oder – wie ein Türflügel – aus der Zeit um 1800 (rechte Seite). Vieles davon<br />
inspiriert zeitgenössische Nobeleinrichter wie Jacques Grange.<br />
126 WD 6 I <strong>2022</strong>
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
127
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
128 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! PARIS<br />
Ansichten des Etruskischen<br />
Raums, der einst von den<br />
Architekten Percier und Fontaine<br />
kreiert wurde und einen<br />
terrakottafarbenen Anstrich<br />
erhielt, dazu bronzierte<br />
Schmuckapplikationen. Einst<br />
gehörten sie einem General<br />
Napoleons, später Christian<br />
Dior und Loris Azzaro. Auch<br />
das Museum für dekorative<br />
Kunst Paris zeigt Teile davon.<br />
In Gold schimmert ein „Malraux-Vilmorin“-Tisch<br />
von Philippe<br />
Hiquily, den Féau in der<br />
Galerie Gastou entdeckte.<br />
Die Kette aus Murano-Glas<br />
ist ein Werk von Jean Michel<br />
Othoniel mit dem Titel „Collier<br />
Alessandrita“. Es ziert einen<br />
Raum mit Ledoux-Paneelen<br />
und einem Marmorboden<br />
aus der Haussmann-Zeit.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
129
REPORTAGE ! PARIS<br />
Wie in einem unglaublichen Labyrinth bewegen wir uns von<br />
Raum zu Raum. Es geht durch Gänge voller antiker Gegenstände<br />
und in Licht getauchte Säle. Wie in einem Privatmuseum führt<br />
mich Guillaume Féau durch sein Atelier. Bei einer milchig weißen<br />
Tafel mit vergoldetem Fries bleibt er stehen und erzählt: „Sie<br />
stammt aus der persönlichen Sammlung von Karl Lagerfeld.“ Und<br />
weiter: „Das hier hingegen“, und er zeigt auf einen saphirblauen<br />
Rahmen mit Blumendekor (Seite 127), „stammt aus dem Haus<br />
von Marie-Madeleine Guimard, einer Tänzerin und Kurtisane, die<br />
das kostbarste Boudoir des 18. Jahrhunderts überhaupt in Auftrag<br />
gegeben hatte. Fragonard malte es aus. Die übrigen Paneele<br />
befinden sich im Louvre in Abu Dhabi“, erklärt Féau mit einer<br />
subtilen Freude in der Stimme. Und es scheint, als sei er mit der<br />
Ehrfurcht vertraut, die seine Worte hervorrufen.<br />
Wir sind in Paris, in der Rue Laugier 9, im 17. Arrondissement,<br />
nicht weit vom Arc de Triomphe entfernt. Die auf den ersten Blick<br />
schlichten, an eine Werkstatt erinnernden Holzfenster, setzen<br />
die 1.800 Quadratmeter eines wunderbaren Ateliers ins richtige<br />
Licht: Eine Fensterkuppel, zwölf Meter hohe Decken und endlose<br />
Räume, die mit antiken dekorativen Rahmenpaneelen ausgestattet<br />
sind – ein Ort, an dem sich die Geschichte der Dekoration und<br />
die faszinierende Geschichte von Féau Boiseries überschneiden.<br />
Dieses Juwel des französischen Kunsthandwerks wurde im Laufe<br />
von mehr als zwei Jahrhunderten von drei Familien weitergeführt,<br />
die das Archiv hüteten – und das 1875 von Charles Fournier begonnene<br />
Werk fortführen, einem der berühmtesten Innendekorateure<br />
seiner Zeit. Hier im Atelier in der Rue Laugier schuf Fournier<br />
Dekorationen wie die der wunderschönen Jugendstil-Villa Rothschild-Ephrussi<br />
in Saint-Jean-Cap-Ferrat, des Palais Rose von Boni<br />
de Castellane in der Avenue Foch und des prächtigen Herrenhauses<br />
des Stahlmagnaten und Kunstsammlers Henry Clay Frick in<br />
New York, das heute die Sammlung Frick beherbergt.<br />
Guy und Joel Féau, Vater und Sohn, traten Anfang der 1960er-Jahre<br />
in das Unternehmen ein und übernahmen es damals von dem<br />
Innenarchitekten Raymond Grellou, der es 1917 erworben hatte.<br />
Beide wurden in der Schule großer Dekorateure wie Jean Pascaud<br />
und Stéphane Boudin ausgebildet (Letzterer verantwortlich für<br />
die Renovierung im Weißen Haus zu Zeiten von Jackie Kennedy).<br />
In der Familie Féau herrscht eine große Leidenschaft für die dekorativen<br />
Künste, die Guillaume und Angelique, die Kinder von Joel,<br />
einatmeten und dann in die Fußstapfen der Familie traten. „Ich<br />
bin die dritte Generation einer dreifachen Familiensaga“, lächelt<br />
Guillaume und erinnert sich: „Als ich das Geschäft in den Neunzigerjahren<br />
übernommen habe, führte ich das Unternehmen von<br />
einem Einrichtungsgeschäft zurück auf seine Hauptaufgabe aus<br />
der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: Heute sind wir darauf spezialisiert,<br />
Innenarchitekten mit wichtigen Dekorationselementen<br />
zu beliefern.“ Guillaume folgte damit seiner Intuition, dass dieses<br />
Know-how über Boiserie-Vertäfelungen und ihre aufwendige<br />
Tradition bei der Verkleidung subtiler Architekturen eine immer<br />
größere internationale Kundschaft verführen würde.<br />
Mit einem Archiv von Tausenden von Rahmen, Paneelen, Maquetten,<br />
Zeichnungen und Modellen ist Féau Boiseries ein einzigartiger<br />
Magnet auf diesem Gebiet. „Es ist wie ein Süßwarenladen<br />
für Innenarchitekten!“ Guillaume kichert mit unverhohlener<br />
Begeisterung. Er kennt die Herkunft jedes einzelnen Stücks und<br />
die Geschichte dahinter auswendig. Wir gehen durch das Archiv<br />
und er erzählt mir von einem Paneel aus der Sammlung Hubert<br />
de Givenchy, das er bei Christie‘s erworben hat, von der riesigen<br />
Bibliothek im Kuppelsaal (Seite 123), die Jacques Dousset, einem<br />
der größten Sammler des 20. Jahrhunderts, gehörte – und von<br />
der Miniaturensammlung in seinem Büro, die unter anderem das<br />
erste Schlafzimmer Napoleons darstellt.<br />
Im Laufe der Jahre hat Guillaume Féau eine enzyklopädische Kultur<br />
und ein enzyklopädisches Wissen im Bereich der Dekoration<br />
aufgebaut und eine unglaubliche Sammlung zusammengestellt,<br />
die von der Renaissance über das Art déco bis zu den 1970er-Jahren<br />
reicht, wobei er eine besondere Vorliebe für das 18. Jahrhundert<br />
kultiviert. Für das Thema Boiserie eine Kernzeit. „Ich habe<br />
80 Prozent unseres Archivs gekauft, nachdem ich in das Unternehmen<br />
eingetreten war. Wir hatten eine breite Basis, aber für<br />
mich ist es eine echte Leidenschaft. Auf Stücke wie diese stößt<br />
man nicht oft im Leben.“ Er fährt fort und gesteht: „Wir hatten<br />
Glück, denn sowohl das ursprüngliche Archiv als auch das Gebäude<br />
blieben mit den Grundstückspassagen in der Familie.“ In<br />
der Tat ist das historische Atelier, das in jüngster Zeit zurückerworben<br />
wurde, über die Jahrhunderte hinweg unverändert geblieben.<br />
Wie eine Zeitmaschine zieht es immer wieder zeitgenössische<br />
Designer wie Pierre Yovanovitch, Michael S. Smith oder<br />
Jacques Garcia an, treue Kunden des Ateliers, und inspiriert sie.<br />
„Unsere Stärke ist neben dem umfangreichen Archiv ein sehr reaktionsschnelles<br />
Designteam“, so Guillaume. „Wir haben 15 Leute,<br />
die zeichnen, und in einer Stunde kann ein Designer am Ende eines<br />
Besuchs den Ausstellungsraum mit einem Originalentwurf verlassen,<br />
der auf kostbarem Papier gedruckt ist, mit allen Details und<br />
perfekten Proportionen. Da machen wir keine Fehler.“<br />
In einer Welt, in der Schnelligkeit ein absoluter Wert ist, wird das<br />
Unternehmen mit diesem Ansatz sicherlich auf einem immer anspruchsvolleren<br />
globalen Markt für Luxusgüter präsent sein.<br />
„Europa ist nicht unser größter Markt, wir haben große Projekte in<br />
Italien, Frankreich und England, aber wir arbeiten hauptsächlich<br />
für die Vereinigten Staaten und Asien. Giullaume ergänzt: „Wir<br />
haben derzeit Projekte in New York, Palm Beach, Malibu und LA in<br />
Arbeit und haben gerade ein riesiges Stadthaus in Tokio realisiert.<br />
36.000 Quadratmeter, so groß wie der Palast von Versailles.“<br />
Fest in der Tradition verankert, aber mit Blick auf die Zukunft, hat<br />
Guillaume eine innovative Technik für Großprojekte eingeführt, bei<br />
der Harz verwendet wird: Durch die Herstellung von Gussformen<br />
nach den Originalmodellen gelingt es dem Atelier, die Produktionszeit<br />
und die Kosten für Friese und Dekorationen zu reduzieren. „Das<br />
Harz macht die Arbeit viel billiger, und das Endergebnis reproduziert<br />
genau die Stücke, die große Architekten bereits gemeistert haben,<br />
und könnte möglicherweise in Museen aufbewahrt werden.“ ☐<br />
Stillleben mit Rokoko-Interieur. Hinter den Rahmen mit Rocaille-<br />
Ornamentik stellte Féau die Ansicht eines zeitgleichen Interieurs.<br />
Hier wird deutlich, welche Bedeutung Boiserien im Barock und<br />
anschließenden Rokoko hatten. Davor eine Grafik aus der Zeit um<br />
1800 und eine Dose mit Perlmuttbesatz und Elfenbeinknauf.<br />
130 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
131
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
IN THE<br />
JUNGLE<br />
Mitten im grünen Urwald von Yucatán errichtete der Bildhauer Javier<br />
Marín ein auf seine Werke zugeschnittenes Gebäude und öffnet damit<br />
die Türen für eine Gemeinschaft lokaler Künstler.<br />
FOTOS: NIN SOLIS TEXT: TAMI CHRISTIANSEN/ ANKE GUNGL<br />
132 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Als jahrhundertealte Enklave der indigenen Maya-Stämme ist<br />
die mexikanische Halbinsel Yucatán durch unzählige archäologische<br />
Gedenkstätten und ein tiefes Bewusstsein für ihr reiches<br />
kulturelles Erbe geprägt. Noch heute stammt ein beträchtlicher<br />
Anteil der Bevölkerung in der Region von dieser mächtigen<br />
Hochkultur ab, der die Traditionen im Hier und Jetzt weiterlebt.<br />
So auch in der Kunst, die früher eher selten um ihrer selbst willen<br />
entstand, sondern immer einem Zweck diente – beispielsweise<br />
der Verehrung und Besänftigung von Göttern.<br />
Bildhauer Javier Marín konnte sich keinen besseren Ort für sein<br />
Projekt „Plantel Matilde“, unweit der Hauptstadt Mérida, vorstellen.<br />
Das monumentale Bauwerk vereint Atelier, Galerie sowie<br />
Zuhause – außerhalb des Trubels von Mexiko-Stadt, wo der<br />
Bildhauer normalerweise lebt und arbeitet. Als Teil seiner 2013<br />
gegründeten Stiftung „La Fundación Javier Marín“ fungiert es<br />
zudem als Kunstzentrum und Ideenlabor mit mehreren Ateliers<br />
und Unterkünften für ansässige Künstler. „Ich wollte einen Zufluchtsort<br />
und einen Raum für Kreativität, Meditation, geistige<br />
Anregung und Introspektion schaffen – das war die Absicht“,<br />
so Marín. Das 400.000 Quadratmeter große Grundstück – eine<br />
ehemalige Agavenplantage – bildet den perfekten Rahmen. Der<br />
Bildhauer hatten von Beginn an klare Vorstellungen von der<br />
Gestaltung und dem Konzept, das er zusammen mit seinem<br />
Bruder, dem Architekten Arcadio Marín, entwarf. „Das Dach ist<br />
bei diesem monumentalen Gebäude von großer Bedeutung.<br />
Ich wollte einen erhöhten Raum, eine Art Observatorium, um<br />
von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang beobachten<br />
und betrachten zu können, wie sich das Licht verändert.<br />
Der Horizont von Yucatán ist einzigartig. Da es keine Berge gibt,<br />
kann man die gesamte Maya-Ebene überblicken. Nichts stört<br />
die Sicht“, erklärt Marín.<br />
Die brutalistische Architektur besteht aus Sichtbeton-Elementen<br />
und nimmt Einflüsse von Maríns bildhauerischen Arbeiten<br />
auf, die den kreativen Prozess sowie die Konstruktion und Dekonstruktion<br />
dreidimensionaler Formen erforschen. Anstatt<br />
den ästhetischen Aspekt in den Vordergrund zu stellen, wurde<br />
auf die Funktionalität der Umgebungen geachtet, indem Materialien<br />
und Oberflächen gewählt wurden, die keine besondere<br />
Wartung erfordern. Einer Klosteranlage gleich umschließen<br />
vier Flügel – zwei Hallen und zwei monolithische Kolonnaden<br />
– ein Wasserbecken. In dessen Mitte befindet sich eine kleine<br />
Insel, die ein Stück des ursprünglichen Landes bewahrt. „Neben<br />
seiner ästhetischen Funktion dient das Bassin auch dazu, Tiere<br />
aus dem Haus zu vertreiben und die Umgebung kühl zu halten.<br />
Ich mag dieses reine Stück Natur, das wir intakt gelassen haben<br />
und das auf die Jahreszeiten reagiert.“ Marins überdimensionale<br />
Skulpturen aus Bronzeguss wurden in den offenen Arkadengängen<br />
positioniert: abstrakte Darstellungen des menschlichen<br />
Körpers mit dem Betrachter zugewandten ausdrucksstarken<br />
Gesichtern. Ihre monumentale Größe stellt enorme Anforderungen<br />
an die Architektur. „Die Deckenhöhe beträgt ganze 10<br />
Meter. Die herrliche Umgebung und die weite Landschaft bil-<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
133
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Die zehn Meter hohe Eingangshalle diese Seite ist wie<br />
geschaffen für Javier Maríns Skulpturen im XXL-Format.<br />
Rechte Seite: Blick vom Wohnzimmer ins Esszimmer. Eine<br />
Kollektion handgefertigter Keramik aus schwarzem Ton,<br />
die der Hausherr gestaltete, steht im Raum verteilt.<br />
134 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
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135
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
den den perfekten Hintergrund.“ Die beiden riesigen Hallen<br />
spiegeln die Symmetrie des Gebäudes wider. Der Eingang zu<br />
Maríns privatem Bereich in der Nähe des Beckens ist unauffällig<br />
und leicht zu übersehen. Die Betontreppe scheint in einen Bunker<br />
hinabzuführen, an ihrem Ende wird man jedoch von einer<br />
Reihe geräumiger, lichtdurchfluteter Räume überrascht. Deren<br />
Fenster befinden sich auf derselben Ebene wie das Bassin, wodurch<br />
das sich darin spiegelnde Sonnenlicht die Räume erhellt.<br />
Rotes Grundgestein und Felsblöcke bilden das Fundament der<br />
Architektur und sorgen gleichzeitig für eine natürliche Ästhetik,<br />
die sich vom sandfarbenen Chukum-Pflaster abhebt. Holzelemente,<br />
wie Trennwände, Regale und Türen, kontrastieren die<br />
brutalistische Struktur. „In völliger Harmonie mit den Prinzipien,<br />
die meiner künstlerischen Produktion zugrunde liegen – der<br />
Vorliebe für das Unvorhersehbare, das Unvollkommene und<br />
das Unfertige – ist dies ein Gebäude, das darauf wartet, dass<br />
die Umwelt ihm ihren Stempel aufdrückt.“ Das Design basiert<br />
auf prähispanischen Einflüssen sowie auf sakralen Elementen<br />
der klösterlichen Architektur und spiegelt die Charakteristika<br />
traditioneller Hacienda-Höfe wider. Diese Details werden mit<br />
einer zeitgenössischen und nicht-ornamentalen Ausstattung<br />
aufgegriffen. Die Handschrift des Künstlers ist überall im Haus<br />
zu sehen, von dekorativen handgemalten Wandbildern im Esszimmer<br />
und im Hauptschlafzimmer bis hin zu einer Sammlung<br />
großer schwarzer Keramikvasen, die auf Regalen im Wohnzimmer<br />
und im Flur stehen. Die Einrichtung ist rustikal und reduziert,<br />
dennoch raffiniert. Rohe Baumstämme und eine rostige<br />
Metallsäule im sparsam möblierten Hauptschlafzimmer rahmen<br />
die Bettstelle, und ein langes Holzregal, das sich über die<br />
gesamte Breite des Raumes erstreckt, präsentiert eine Sammlung<br />
kuratierter Holzobjekte. Die große Küche, wie aus einem<br />
Fels herausgemeißelt, ist ein Dreiklang aus Beton, Gestein und<br />
Chukum in Sandtönen von Grau über Braun bis Beige. Antike<br />
Krüge und Vasen verleihen dem Raum die Ästhetik einer archäologischen<br />
Grabungsstätte. Auch im Esszimmer (diese Seite)<br />
trifft alt auf neu, klassisch auf modern. Den großen minimalistischen<br />
Holztisch entwarf der Hausherr und kombiniert ihn<br />
mit antiken Stühlen. In einem großen Schrank ist das Emaillegeschirr<br />
untergebracht. Borde aus Holz und Stein sowie lokale<br />
Terrakotta-Gefäße verleihen dem Raum eine natürliche Aura.<br />
Die Gästezimmer, die in einem separaten Flügel gegenüber von<br />
Maríns Privatwohnung untergebracht sind, bieten Platz für Besucher<br />
und immer wieder auch für das Team von Handwerkern,<br />
die Marín bei der Herstellung seiner überdimensionalen Skulpturen<br />
unterstützen. Diese (Kloster-)Zellen sind bescheiden und<br />
funktional ausgestattet. Eingebaute Betten und Bänke, Naturtextilien,<br />
Bodenmatten aus gewebten Pflanzenfasern und Holzmöbel<br />
sorgen für ein dezentes, etwas düsteres Ambiente, das<br />
auf das ursprüngliche Konzept zurückzuführen ist: ein Atelier<br />
und ein Zuhause für Besinnung und Kontemplation zu schaffen.<br />
„Diese ganze Ästhetik macht das Gebäude zu einer bewohnbaren<br />
Skulptur, die sich ständig verändert.“<br />
□<br />
136 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
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REPORTAGE ! XXXXXX<br />
138 WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Wie im Rest des brutalistischen Gebäudes dominiert auch im Hauptschlafzimmer<br />
Sichtbeton neben natürlichen Materialien. Das Bett wird von drei Baumpfählen und<br />
einer rostigen Metallstütze eingerahmt. Auf dem Holzregal, das sich über die gesamte<br />
Länge des Raumes zieht, platzierte Marín eine Sammlung kuratierter Objekte.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
139
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
140 WD 6 I <strong>2022</strong>
Bildhauer Javier Marín links ist<br />
Künstler mit Leib und Seele.<br />
Das selbstgemalte Wandbild<br />
prangt an der Fassade seines<br />
Kunstzentrums „Plantel Matilde“<br />
im mexikanischen Yucatán.<br />
Diese Seite: Der zentrale<br />
Innenhof des quadratischen<br />
Anwesens mit Wasserbecken<br />
und einer begrünten Insel darin<br />
ist einer der Lieblingsplätze<br />
des Hausherren.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
141
REPORTAGE ! CARACAS<br />
142 WD 6 I <strong>2022</strong>
WIE EIN SCHMETTERLING<br />
Das Caracas der 1950er Jahre florierte. Die riesigen Ölreserven des Landes lassen<br />
Venezuela wirtschaftlich prosperieren, die Hauptstadt gab ein Versprechen auf Moderne,<br />
von dem sich auch der italienische Architekt Gio Ponti verführen ließ.<br />
FOTOS: MATTHIEU SALVAING TEXT: ANA CARDINALE/ MIRIAM ZIMMERMANN<br />
WD 6 I <strong>2022</strong> 143
REPORTAGE ! CARACAS<br />
Für die Treppen, den Boden und das obere Stockwerk wurde venezolanisches Holz mit aus Italien<br />
importiertem Marmor kombiniert. Im Hintergrund hängt ein großes Mobile „Ceiba“ von Alexander Calder<br />
an der geometrisch bemalten Decke im Eingangsbereich. Das Mobile ist eines von zahlreichen modernen<br />
Kunstwerken, welche die Eheleute Planchart, in Zusammenarbeit mit Gio Ponti ausgesucht haben.<br />
144<br />
WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Die Keramikwand von Fausto Melotti erstreckt sich bis in den offenen tropisch anmutenden Speisesaal.<br />
Eine achteckige Tischplatte aus Mahagoniholz wird von sechseckigen schwarzen und weißen Marmorfüßen<br />
getragen. Die Stühle sind von Luisa ? Ico Parisi. An der Decke wiederholt sich das Motiv der geometrischen<br />
Muster in Form von diagonal ausgerichteten weißen und gelben Streifen ... Sommerfeeling.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong> 145
REPORTAGE ! CARACAS<br />
Den größten Teil des Mobiliars für die zweistöckige Empfangshalle gestaltete Ponti persönlich. Giordano<br />
Chiesa führte die Entwürfe aus. An der Decke emblematische Mond/Sonne-Motive, die in der Dekoration<br />
des gesamten Hauses sehr präsent sind. Der Mond steht symbolisch für Anala und die Sonne für Armando<br />
Planchart. Den Boden inszenieren große Marmorplatten in verschiedenen Dimmensionen und Farben.<br />
146<br />
WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! XXXXXX<br />
Das Ankleidezimmer von Anala Planchart kleiden Familien- und Erinnerungsfotos. Trotz der großen<br />
architektonischen Ambitionen des Projektes und der ausgeklügelten Gestaltung bis ins kleinste Detail,<br />
stand immer auch fest, dass die Plancharts das Haus bewohnen und persönlich gestalten wollten.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong> 147
Das wohlhabende Ehepaar Anala und Armando Planchart war<br />
in den 1950er-Jahren auf der Suche nach einem neuen Domizil.<br />
Sie kauften ein Grundstück oberhalb von Caracas mit einem<br />
360-Grad-Blick auf die Berge, zwischen denen sich die Stadt erstreckt.<br />
Die Plancharts waren leidenschaftliche Kunstsammler<br />
und vor allem Anala begeisterte sich für moderne Architektur.<br />
Sie beschloss, Gio Ponti, einen damaligen Stararchitekten aus<br />
Italien und Herausgeber der renommierten Architekturzeitschrift<br />
„Domus“, mit dem Bau ihres Hauses zu beauftragen.<br />
Ponti bewegte sich als junger Baukünstler zunächst in den<br />
Kreisen der Mailänder Neoklassizisten, „Novecento Milanese“.<br />
1928 gründete er mit einem Freund die Zeitschrift „Domus“, die<br />
bereits in den ersten Jahren zum wichtigen Forum des „Razionalismo“<br />
wird und Pontis allmählichen Kurswechsel zwischen<br />
beiden Architekturrichtungen antizipierte. Eben diese Dualität<br />
resultierte in den faszinierenden und vielschichtigen Arbeiten<br />
des Italieners, der seinen Stil selbst trocken wie folgt beschrieb:<br />
„Man muss weder ein dogmatischer Anhänger des modernen<br />
Designs noch ein dogmatischer Anhänger des traditionellen Designs<br />
sein, um modern und traditionell zu sein, und man muss<br />
148<br />
WD 6 I <strong>2022</strong>
REPORTAGE ! CARACAS<br />
sich auch nicht mit all dem befassen. Es reicht aus, den Geist<br />
einer modernen Kultur zu kennen, und was das »Italienische«<br />
betrifft, so reicht es aus, Italiener zu sein.“ Basta.<br />
Im Jahr 1953 trafen sich die Plancharts auf einer ihrer zahlreichen<br />
Reisen durch Europa mit Ponti, um ihn persönlich von ihrem<br />
Bauvorhaben zu überzeugen. Sie wünschte sich „ein Haus<br />
ohne Wände“, so Anala zu dem italienischen Architekten, der die<br />
Herausforderung nach kurzem Staunen annahm und den beiden<br />
zusagte. Unkonventionell, leicht und modern sollte es sein.<br />
Zahlreiche Briefe mit Ideen, Skizzen und Plänen werden ausgetauscht,<br />
und schon in einem der ersten versprach Ponti seinen<br />
beiden Auftraggebern, dass das Haus „so sanft wie ein großer<br />
Schmetterling“ auf der Spitze des Hügels „El Cerro“ sitzen soll.<br />
Im Jahr 1954 kommt Ponti das erste Mal nach Caracas und ist<br />
entzückt. Die schnell wachsende, moderne Stadt scheint ihren<br />
Architekten schier unbegrenzte Freiheiten in der Gestaltung<br />
und Konstruktion ihrer Gebäude zu lassen. Besonders beeindruckt<br />
zeigt Ponti sich von der Ciudad Universitaria de Caracas,<br />
einem Werk des venezolanischen Architekten Carlos Raúl<br />
Villanueva, das Jahrzehnte später von der UNESCO zum Weltkulturerbe<br />
erklärt wurde. In den darauffolgenden Monaten und<br />
Jahren folgen noch zahlreiche weitere Besuche Pontis in Venezuela<br />
sowie der Austausch von über 700 Briefen. Die Plancharts<br />
und den italienischen Architekten verband mittlerweile eine<br />
Freundschaft, die auf ähnlichen Werten und gegenseitigem Respekt<br />
basiert. „Ich muss sagen, dass dies eine sehr angenehme<br />
Aufgabe war, denn die Anfragen waren immer intelligent, klar,<br />
diskret, und wurden mit vertrauensvoller Freundschaft von den<br />
unübertroffenen Personen gestellt, denen ich diese Arbeit widmete“,<br />
so Ponti über die besondere Zusammenarbeit. 1957 wurde<br />
das Haus später fertig gestelllt und bezogen. Armando starb<br />
im Jahr 1978 in Caracas, Anala lebte noch bis zu ihrem Tod im<br />
Jahr 2005 in „El Cerro“, wie das Haus auch genannt wird.<br />
Heute befindet sich das Gebäude im Besitz der Fundación Anala<br />
y Armando Planchart, einer Stiftung, die Armando Planchart<br />
1970 zur Förderung von Kunst und Kultur in Venezuela gegründet<br />
hat. Aufgrund der fatalen wirtschaftlichen sowie politischen<br />
Situation, unter der Venezuela seit Jahren leidet, ist die Stiftung<br />
für den Erhalt der Villa und des Inventars auf internationale Unterstützung<br />
angewiesen, die vor alllem aus Italien kommt. ☐<br />
Auch in der Küche links dominiert die Farbe Gelb auf den<br />
lackierten Schrankfronten aus Stahl – im Wechsel mit Weiß.<br />
Alle Möbel im Schlafzimmer oben sind von Gio Ponti. An der<br />
rechten Wand ein Ölgemälde von Marie Laurencin, das Anala<br />
bei einem Restaurantbesuch im New York entdeckte und<br />
mitbrachte. „Superleggera N° 699“-Stühle aus Eschenholz mit<br />
Sitz aus Raffiabast von Cassina. Bezugsquellen auf Seite 180.<br />
WD 6 I <strong>2022</strong> 149
KOLUMNE ! MODERNES <strong>LEBEN</strong><br />
IST DAS <strong>KUNST</strong><br />
ODER KANN DAS WEG?<br />
UNSER AUTOR FRANK-OLIVER GRÜN SCHREIBT ÜBER DAS <strong>LEBEN</strong><br />
<strong>MIT</strong> DER TECHNIK. DIESMAL: KRYPTO-<strong>KUNST</strong> <strong>MIT</strong> NFTS.<br />
So ziemlicher jeder, der sich für den Kunstmarkt interessiert, hat<br />
mittlerweile von NFTs gehört. Spätestens seit März 2021 sind<br />
„Non Fungible Tokens“ in aller Munde. Damals konnte Christie’s<br />
mit der Auktion eines NFT die stattliche Summe von 69 Millionen<br />
US-Dollar einstreichen. Objekt der Begierde: eine Collage<br />
des amerikanischen Digitalkünstlers Mike Winkelmann, alias<br />
„Beeple“. Der Grafikdesigner aus Wisconsin hatte die<br />
ersten 5000 Bilder seiner täglichen Posts auf sozialen<br />
Medien in einer gemeinsamen JPEG-Datei vereint<br />
und per NFT verbrieft. Soll heißen: Es gibt nun<br />
ein digitales Echtheitszertifikat, das auf die Datei<br />
verweist und als Eigentumsnachweis gilt.<br />
Diese „nicht ersetzbare“ (non fungible) Wertmarke<br />
(token) ist in einer sogenannten Blockchain gespeichert,<br />
wodurch der Eintrag fälschungssicher wird.<br />
Unter Umständen hilft er dabei, Künstlerinnen und<br />
Künstler an der Wertsteigerung ihrer Werke zu beteiligen,<br />
wenn diese weiterverkauft werden. Es können<br />
aber trotzdem Kopien der Originaldatei existieren,<br />
sogar beliebig viele. Dank Digitaltechnik sind alle<br />
mit der Vorlage identisch und somit besser als jede<br />
Reproduktion eines Ölgemäldes. Doch nur ein Exemplar<br />
darf sich Original nennen. Als Schutz vor Missbrauch<br />
und Betrug taugen diese NFTs also nicht. Jeder<br />
Nerd mit Blockchain-Grundkenntnissen kann auf<br />
das Duplikat selbst ein Zertifikat anmelden und es<br />
dann vermarkten, obwohl er gar nicht Urheber der<br />
jeweiligen Kunst ist. Manche NFT-Marktplätze im Internet<br />
lassen sich deshalb schriftlich bestätigen, dass die Werke<br />
von denen stammen, die sie anbieten – mit einem Zertifikat<br />
fürs Zertifikat gewissermaßen. Ohne vertrauenswürdige Quelle,<br />
sprich Galerie, geht es wohl auch im Digitalzeitalter nicht.<br />
Das hindert Sammlerinnen und Sammler wenig daran, immense<br />
Beträge auszugeben. Prominente wie Eminem, Gwyneth<br />
Paltrow, Madonna und Snoop Dogg mischen in der Szene mit,<br />
unterstützt von Krypto-Influencern, die ihren Followern das<br />
große Geld versprechen. Die verwendete Blockchain-Technologie<br />
stammt aus dem Finanzsektor – Krypto-Währungen wie<br />
der Bitcoin arbeiten damit – und scheint auch Investoren dahin<br />
gehend zu beflügeln. Affenbildchen des Bored Ape Yacht Club<br />
(BAYC) gehen für mehrere Zehntausende Dollar über den virtuellen<br />
Ladentisch – in der Hoffnung, der Wert möge steigen. Dass<br />
es auch in die entgegengesetzte Richtung laufen kann, zeigt das<br />
Beispiel von Sina Estavi. Der Krypto-Unternehmer iranischer<br />
Herkunft ersteigerte 2021 ein NFT des ersten Tweets von Twitter-Gründer<br />
Jack Dorsey für 2,9 Millionen Dollar. Ein Jahr später<br />
wollte er den Screenshot wieder verkaufen und legte das Mindestgebot<br />
auf 48 Millionen Dollar fest. Der Deal kam nie zustande.<br />
Zum Zeitpunkt dieser Kolumne, im September <strong>2022</strong>, steht<br />
das Höchstgebot auf 17 US-Dollar und 35 Cent.<br />
Kunst nur dann zu kaufen, wenn sie einem gefällt, war schon immer<br />
ein guter Tipp. Für NFTs, die häufig Spekulationsobjekte sind,<br />
gilt er besonders. So bleibt im Falle eines Totalverlusts immerhin ein<br />
digitales Bild oder ein Video, das sich anzuschauen lohnt. Es muss<br />
ja nicht auf einem NFT-Display wie dem Lago Genesis Frame sein,<br />
das alleine schon mit 4.500 US-Dollar zu Buche schlägt (Bild). Der<br />
Smart-TV an der Wand oder ein Computer-Monitor tun’s auch.<br />
Bleibt das Problem des ökologischen Fußabdrucks: Um die weltweite<br />
Ethereum-Blockchain der Krypto-Währung Ether am Laufen<br />
zu halten, auf der viele NFTs basieren, sind große Mengen Energie<br />
nötig. Der geschätzte Jahresverbrauch lag bislang bei fast 100 Terawattstunden,<br />
was rechnerisch einem CO2-Ausstoß von 52 Millionen<br />
Tonnen oder dem Äquivalent von Griechenland entspricht. Mit<br />
mehr erneuerbaren Energien wird dieser Wert sinken. Außerdem<br />
stellt Ethereum gerade auf eine effizientere Technologie um, die den<br />
Stromverbrauch um 99 Prozent senken soll. Damit würde die Spekulation<br />
mit NFTs dann nicht mehr auf Kosten des Klimas gehen. ☐<br />
© Lago: „Genesis Frame“<br />
150 WD 6 I <strong>2022</strong>
SPEZIAL ! FINE DINGING<br />
Ohne ein prima Team, funktioniert die beste Küche nicht.<br />
Für Anna Roš Grund genug, ihre Mitarbeiter zu verwöhnen.<br />
Hier bei einer Auszeit am Bach. Mehr ab Seite 154.<br />
152 WD 6 I <strong>2022</strong>
STERNSTUNDEN<br />
Beim Fine Dining isst auch das Auge mit. Sechs Spitzengastronomen<br />
waren in Plauderlaune und ließen uns „in ihre Töpfe schauen“.<br />
154 I ANA ROŠ Von der Spitzensportlerin zur Spitzenköchin mit zwei Sternen<br />
156 I JAN HARTWIG Was macht ein Sternekoch zum Zeitvertreib? Pop-up ...<br />
158 I DYLAN WATSON-BRAWN ist der neue Star der deutschen Gastro-Szene<br />
162 I TANJA GRANDITS und ihr Basler 2-Sterne-Restaurant „Stucki“<br />
164 I KEVIN FEHLING über 3-Sterne-Küche, Inspiration und kultivierte Gelassenheit<br />
153 I DALAD KAMBHU zeigt, wie thailändische Küche auf Sterne-Niveau geht<br />
© Suzan Gabrijan<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
153
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
© Primož Lukežič<br />
LIEBHABEREI AUF DIE SPITZE GETRIEBEN<br />
Ana Roš (ganz rechts) ist Ehefrau und Mutter, Botschafterin des<br />
gastronomischen Tourismus der Welttourismusorganisation<br />
(UNWTO), wurde als Wunderkind des slowenischen Skisports<br />
gefeiert und betreibt heute als Spitzenköchin eines der besten<br />
Restaurants der Welt. Aber ihr Werdegang war ganz anders geplant:<br />
„Ich sollte eigentlich Diplomatin werden. Meine Eltern<br />
haben mich von klein auf gepusht und viel in meine Ausbildung<br />
investiert. Sie haben immer daran geglaubt, dass aus mir »jemand«<br />
werden würde“, erzählt die ehemalige Hochleistungssportlerin.<br />
Also absolvierte sie ein Studium der internationalen<br />
und diplomatischen Wissenschaften in Italien, wo sie ihrem<br />
heutigen Geschäftspartner und Lebensgefährten Valter Kramar<br />
begegnete. „Seine Eltern besaßen »Hiša Franko«, ein bereits<br />
etabliertes Restaurant im slowenischen Kobarid, nahe der<br />
italienischen Grenze. Wir beschlossen, es zu übernehmen. Wir<br />
reisten viel, besuchten Restaurants und Winzer, erkundeten die<br />
Welt. Diese Art von Leben hat mir sehr gut gefallen. Ich entdeckte<br />
neue Länder, neue Orte, und mir wurde klar, dass ein Leben<br />
nach Regeln sehr einschränkend sein kann. Es ist die Freiheit, die<br />
mich ausmacht.“ Als sich ihr Schwiegervater und Chefkoch in<br />
den Ruhestand zurückzog, übernahm sie die Küche. „Zu diesem<br />
Zeitpunkt erhielt ich ein Jobangebot aus Brüssel, um dort in der<br />
Diplomatie zu arbeiten. Aber ich habe es für Valter und für unsere<br />
Beziehung abgelehnt. Ich beschloss, alles zu riskieren und<br />
als Küchenchefin zu arbeiten, obwohl ich nie eine Kochschule<br />
besucht habe. Ich wusste, wie man Nudeln zubereitet, aber das<br />
bedeutete nicht, dass ich kochen konnte. Alles, was ich übers<br />
Kochen weiß, habe ich mir selbst beigebracht.“ Mithilfe eines<br />
Freundes der Familie und stundenlanger Lektüre von Kochbüchern<br />
experimentierte sie an der Auffrischung traditioneller Rezepte<br />
aus dem oberen Soča-Tal. „Die ersten Jahre waren wirklich<br />
hart, aber wir haben uns sehr angestrengt, gearbeitet und uns<br />
weiterentwickelt. Fünfzehn Jahre später (2017) habe ich eine<br />
Auszeichnung als beste Köchin der Welt erhalten, was offensichtlich<br />
bedeutet, dass wir alles richtig gemacht haben.“ Mittlerweile<br />
ist das Hiša Franko mit zwei Michelin-Sternen und unzähligen<br />
weiteren Auszeichnungen dekoriert, darunter Platz 21<br />
unter den 50 besten Restaurants weltweit (Stand 2021). Trotz des<br />
Erfolges bleibt Roš ehrfürchtig und bodenständig. „Ich kämpfe<br />
hart dafür, eine ganz normale Frau mit ihrem normalen Leben zu<br />
bleiben, die einen Drink mit Freundinnen nimmt und dabei über<br />
Männer tratscht“, sagt sie lachend. Von Rollenmustern und Ge-<br />
154 WD 6 I <strong>2022</strong>
© Alle Fotos Suzan Gabrijan<br />
schlechterkämpfen in ihrem Metier hält sie nichts. „Ich glaube<br />
nicht, dass es der Emanzipation der Frauen in der Küche viel hilft,<br />
wenn wir den Unterschied zwischen den Geschlechtern zu sehr<br />
betonen. Die Wahrheit ist, dass eine Frau beweisen muss, dass<br />
sie genauso gut und geschickt in der Küche ist wie ein Mann.<br />
Aber am Ende des Tages sind wir vor den Gästen alle gleich“, sagt<br />
sie und fährt fort: „Ich glaube, dass weibliche Chefs eher dazu<br />
neigen, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen.“ In den Augen<br />
der Mutter zweier Teenager ist es genau dieses Heimelige, das<br />
ihr Restaurant ausmacht. „Hiša Franko ist unser Zuhause. Wir<br />
leben und arbeiten hier 24 Stunden am Tag – zusammen mit<br />
den Gästen, die auch bei uns übernachten können. Unsere Kinder<br />
sind immer um uns herum, manchmal sogar in der Küche.<br />
Das bedeutet, dass in allem, was wir tun,<br />
viel Herz und Liebe steckt. Der Ort hat<br />
eine besondere Ausstrahlung, ein sehr<br />
persönliches Ambiente. Ich hänge sehr an<br />
meiner Familie, und ich denke, dass die<br />
Gäste das in Hiša Franko spüren können.“<br />
Viel Zeit für zwischenmenschliche Beziehungen<br />
bleibt nicht. Aber die Tatsache,<br />
dass sie Seite an Seite mit ihrem Mann<br />
arbeitet, hilft ihr ebenfalls. „Wir haben<br />
gemeinsame Visionen und unterstützen<br />
uns gegenseitig. Wir haben ein bis zwei<br />
Monate im Jahr geschlossen, in denen<br />
wir als Familie viel Zeit miteinander verbringen.“<br />
An ihrer Heimat Slowenien liebt<br />
sie vor allem die Vielfalt. „Ich bin ständig<br />
auf der Suche nach neuen Möglichkeiten,<br />
das slowenische Terroir in meine Küche<br />
zu integrieren. Auf diese Weise kommuniziere<br />
ich mit der Welt. Und ich habe das<br />
Gefühl, dass auch mein Land so mit der Welt kommuniziert.<br />
Darum geht es in diesem Job!“ Kulinarisch gesehen wird die slowenische<br />
Küche von den großen Traditionen der angrenzenden<br />
Nachbarn Italien, Österreich und dem Balkan beeinflusst und ist<br />
doch ganz eigen. „Es ist eines jener wendigen Länder, die eine eigene<br />
kulinarische Identität haben.“ Was würde sie angehenden<br />
oder aufstrebenden (weiblichen) Köchen raten, wollten wir abschließend<br />
wissen: „Habt Mut und hinterfragt, was ihr tut. Lernt<br />
aus Gesprächen. Niemals einschlafen. Reisen. Es gibt eine vielfältige<br />
Welt da draußen zu entdecken, und alle Eindrücke die man<br />
auf Reisen sammelt, und sei es nur um die Ecke, lassen einen<br />
wachsen, anders denken und machen einen zu einem anderen,<br />
besseren Menschen (und Koch).“<br />
|ag<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
155
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
POP-UP: NEUES DEUTSCHES ESSEN RELOADED<br />
In der Welt der Michelin-Sterne ist es Gesetz, dass ein Koch diese<br />
nicht mitnehmen kann, wenn er sein Etablissement ab- oder<br />
übergibt. Sie bleiben beim Restaurant. Jan Hartwig, vormaliger<br />
Chef des 3-Sterne-Restaurants „Atelier“ im Bayerischen Hof, das<br />
drei Hauben vom Gault & Millau trägt, ist derzeit also sternelos.<br />
Ab November kann er beweisen, was sein neuer Kulinarik-Tempel<br />
im Rhaetenhaus in der Münchner Luisenstraße 27 alles draufhat.<br />
In der Zwischenzeit verwöhnte Hartwig seine Gäste mit einer<br />
Pop-up-Cuisine in der ehemaligen Kantine der Porzellanmanufaktur<br />
Nymphenburg (Foto oben Mitte). Gerichte wie „Chawanmushi<br />
& N25 Kaviar (Selektion Jan), Rumrosinen, Haselnüsse und Lauchöl<br />
aus Kyoto“ oder „Glasiertes Kalbsbries, Daikon, Pistazie aus Bronte;<br />
Kronkant-Kapern und Agrumen“ lassen keinen Zweifel daran<br />
aufkommen, dass „die Geschmacks-DNA immer die gleiche ist –<br />
wenn auch hier schon ein bisschen rustikaler, aber im positiven<br />
Sinn“, findet Hartwig und betont: „Das Gesamtkonzept für mein<br />
Interims-Restaurant »Jan« sollte etwas sehr Persönliches, Wohnliches<br />
vermitteln.“ Umlaufende Bank mit Kissen, geschmackvolle<br />
Wandfarben (Caparol Icons) und Teller-Unikate von Ruth Gurvich<br />
statt üblicher Bilder – wie das Geschirr auf dem Tisch natürlich von<br />
Nymphenburg. Für das Dessert „Bienenstich“ (Rhabarber, Vanille,<br />
Marcona Mandeln & Champagner) dann das Service „Koralle“.<br />
Für die Gäste nur das Beste: „Mein Ansatz beim Kochen ist, dass es<br />
in erster Linie einfach hervorragend schmecken muss, das ist mein<br />
Primärziel – und darüber hinaus muss es auch visuell ansprechend<br />
sein.“ Hartwig hat einen ästhetischen Anspruch an seine Kompositionen,<br />
will sich aber auch „mit Themen wie Nachhaltigkeit,<br />
Tierwohl und Gesundheit auseinander setzen. Das sind die drei<br />
156 WD 6 I <strong>2022</strong>
Grundpfeiler, auf denen meine Gerichte basieren.“ Wohl wissend,<br />
dass immer mehr Menschen sich rein pflanzlich ernähren. „Hier<br />
gibt es einen großen Unterschied in Städten innerhalb Deutschlands.<br />
Ich bin gut mit Tim Raue befreundet. In Berlin ist vegetarisch<br />
überhaupt kein Thema. Entweder Fisch oder Fleisch – oder man<br />
isst gleich vegan. Der Prozentsatz von vegetarischen Gästen ist<br />
verschwindend gering.“ Eine Entwicklung, die der Wahlmünchner<br />
sehr ernst nimmt, ähnlich wie Saisonalität. „Ich komme nicht auf<br />
die Idee, jetzt noch Himbeeren auf den Teller zu legen, oder ein Spargelgericht<br />
zu entwerfen. Der einzige Diktator, sage ich mal, ist die<br />
Saison.“ Inspirationen kommen, wenn man Zeit zum Nachdenken<br />
hat, „beim Zähneputzen, auf einem Flug, im Zug oder im Auto. Oder<br />
bei einem Bummel über den Viktualienmarkt. Also überall dort, wo<br />
man die Seele baumeln lassen kann.“<br />
Doch nochmals zurück in die deutsche Hauptstadt, in der alle Küchen<br />
dieser Welt inzwischen zu Hause sind. „Ja, daraus ergibt sich<br />
eine Synergie, bei der man am Ende gar nicht mehr so genau weiß,<br />
ist das vielleicht deutsch oder türkisch? Ist das jetzt levantinisch<br />
oder asiatisch? Das finde ich extrem interessant. Was das Kulturelle<br />
angeht, kann es für mich gar nicht bunt genug sein. Auf dem<br />
Teller versuche ich allerdings, eine Allerweltsküche zu vermeiden.“<br />
Also keine chinesisch abgeschmeckte Vinaigrette in der Vorspeise<br />
und dann Kreuzkümmel zum Lamm-Hauptgang – „man sollte die<br />
Ressourcen, die man hier um die Ecke hat, nutzen. Aber warum<br />
sollte ich auf Soja-Sauce verzichten, die in München nicht gebraut<br />
wird? Man darf schon den Horizont erweitern, ich halte nichts von<br />
Dogmatismus.“ Daher gibt es am Abend nach unserem Gespräch<br />
keine Salzwasserfische im Menü, sondern „fantastische Süßwasserfische<br />
aus Bächen und Weihern der Region. Saibling, Lachsforelle<br />
und Renke, kombiniert mit Aal. Und das in Sushi-Qualität.“ ...<br />
Deutsche Küche wird gerade neu erdacht: regional, international<br />
inspiriert und viel freimütiger, will sagen vielfältiger. „Jeder hat einen<br />
anderen Ansatz, verwendet andere Materialien, und das ist<br />
dann eben das Runde an der Geschichte.“<br />
|sd<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
157
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
GOURMET-REBELL IM BERLINER KIEZ<br />
Wer sich nach Berlin-Wedding verläuft, der erlebt die Hauptstadt<br />
noch von ihrer ursprünglichen Seite. Fine Dining war hier<br />
bislang ein Fremdwort – bis das Sterne-Restaurant „Ernst“ 2017<br />
in eines der typisch tristen, grauen Gebäude einzog. Chefkoch<br />
Dylan Watson-Brawn (Bild Seite 159) war damals gerade einmal<br />
Mitte 20 und stellte die Gastro-Szene mit seiner puristischen<br />
und doch raffinierten Küche auf den Kopf. Mit nur acht Plätzen<br />
entlang einer Theke ist das Ambiente sehr intim. Alles spielt sich<br />
direkt vor den Gästen ab, auf die bis zu 35 kleine Gänge warten.<br />
Jetzt zieht „Julius“, der kleine Bruder, in den multikulturellen<br />
Kiez ein. Das minimalistische Ecklokal versprüht den Charme<br />
der Sixties – es war seinerzeit ein Laden für Damenmode: Große<br />
(Schau-)Fenster, gerahmt von einer Fassade mit bröckelnden<br />
weißen Fliesen. „Als die Räumlichkeiten direkt gegenüber frei<br />
wurden, waren wir sofort von der Offenheit begeistert. Auf diese<br />
Weise konnten wir das Konzept und das Angebot erweitern“,<br />
erläutert Restaurantleiterin Inga Krieger (Bild Seite 159 und<br />
160). „Die Hälfte unseres Teams war bereits bei der Eröffnung<br />
des »Ernst« an Bord.“ Das „Julius“ arbeitet auch mit denselben<br />
Lieferanten wie das Sterne-Restaurant, aber mit einem Casual<br />
Fine Dining Konzept: Manche Gäste kommen eher tagsüber auf<br />
einen Kaffee, French Toast oder am Wochenende für ein klassisch<br />
französisches Omelette, andere regelmäßig zum Menü.<br />
„Abends haben wir ein wöchentlich wechselndes Menü mit<br />
158 WD 6 I <strong>2022</strong>
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
acht bis zehn Gängen, das auf die Saison reagiert und nur die<br />
besten biologischen und biodynamischen Produkte verwendet“,<br />
erklärt Krieger. Auf der Karte trifft japanische Hausmannskost<br />
auf klassisch französische Technik. Dabei entstehen Gerichte<br />
wie Aubergine Agedashi mit Buttermilch und Kräutern oder<br />
Schwarzkehlseebarsch mit geräucherter Butter. „Ein Sashimi-<br />
Gang ist immer dabei. Für Walk-Ins haben wir ein tägliches<br />
»á la carte«-Menü.“<br />
Den passenden Wein liefern Winzer oder kleine Importeure,<br />
die ohne Zusätze arbeiten und dem Low-Intervention-Prinzip<br />
folgen, sprich: Die Weine werden mit minimalen Eingriffen des<br />
Winzers hergestellt. Das Publikum ist international, aber auch<br />
Menschen aus nächster Nachbarschaft schätzen die schlichte<br />
Atmosphäre und die hohe Qualität der Speisen. „Viele kreative<br />
und designaffine Menschen natürlich, aber auch wirklich bunt<br />
gemischt, von jung bis alt – genauso wie wir es uns gewünscht<br />
haben.“ Führt man sich allerdings vor Augen, dass es in Berlin<br />
bereits ein gastronomisches Überangebot gibt, wie sticht man<br />
am besten aus der Menge heraus? Krieger: „Wenn Gäste sich<br />
wohlfühlen und sich auf die Qualität der Küche verlassen können,<br />
dann kommen sie auch wieder. Die einzelnen Zutaten sind<br />
immer die Basis für alles, was wir tun. Wir hinterfragen viel, vor<br />
allem die Herkunft und Anbaumethoden unserer Produkte, um<br />
die beste Qualität anzubieten. Dazu kommt aber natürlich auch<br />
der Service. Wir wollen, dass es unseren Gästen gut geht und<br />
holen sie dort ab, wo sie sich gerade befinden. Manche sind sehr<br />
neugierig und möchten alles erfahren, andere wollen einfach<br />
nur gut essen und einen schönen Abend verbringen. Beides ist<br />
möglich.“ Anders als in vielen Fine Dining Restaurants, mit oft<br />
wochenlanger Warteliste, ist hier auch ein spontaner Besuch<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
159
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
möglich. „Wir halten immer ein paar Plätze an der Bar frei. Im<br />
Sommer bietet die große Terrasse noch mehr Möglichkeiten. Ich<br />
freue mich zum Beispiel sehr darüber, dass wir oft Single Diners<br />
bei uns haben. Wenn man sich alleine bei uns wohlfühlt, dann<br />
spricht das für eine gewisse Atmosphäre.“<br />
Was die Restaurantleiterin besonders an der Gastronomie reizt,<br />
ist die Interaktion mit den unterschiedlichsten Charakteren.<br />
„Die Möglichkeit, Menschen an einem schönen Ort zusammen<br />
zubringen und Momente zu teilen oder Geschichten von unseren<br />
Produzenten oder auch den Keramikern, mit denen wir arbeiten<br />
– das mag ich sehr. Für mich persönlich ist es auch die<br />
Herausforderung, einen Ort mit Seele zu schaffen. Gute Gastfreundschaft,<br />
ein zuvorkommender, aber entspannter Service<br />
ist mir sehr wichtig.“ Und dazu gehört ein Team, das am selben<br />
Strang zieht und die Werte des Unternehmens verinnerlicht. In<br />
Kriegers Augen ist das keine Selbstverständlichkeit mehr: „Gerade<br />
die Gastronomie hat – auch Corona geschuldet – viele Angestellte<br />
verloren. Die Bereitschaft, viele Stunden und abends zu<br />
arbeiten, hat sicherlich nachgelassen. Dafür kristallisieren sich<br />
diejenigen heraus, die wirklich für etwas brennen. So schwer<br />
es gerade ist, gutes Personal zu finden: Die Menschen, die wir<br />
finden, sind großartig und hoch motiviert. Das spüren auch die<br />
Gäste. Am Ende ist es etwas sehr Persönliches, wenn Menschen<br />
zu uns kommen, uns vertrauen, um bei uns einen schönen<br />
Abend zu verbringen. Außerdem bietet mir ein eigenes Restaurant<br />
die Möglichkeit, jeden Tag etwas zu verändern. Damit einher<br />
geht auch die Notwendigkeit, sich selbst und seine Aufgabe<br />
ständig zu reflektieren.“<br />
Besonders die letzten beiden Jahre haben dazu geführt, dass<br />
Menschen bewusst hinterfragen, wie sie ihre Zeit verbringen<br />
und wofür sie ihr Geld ausgeben wollen. „Die Leute beschäftigen<br />
sich immer mehr mit der Herkunft ihres Essens und was<br />
alles dahintersteckt: von den Produzenten bis hin zu der Küchen-Crew,<br />
die es zubereitet. Stimmen die Bedingungen, dann<br />
greifen sie auch gerne tiefer in die Tasche. Ich würde mir wünschen,<br />
dass eben dieses Bewusstsein zunimmt. Hinter einem<br />
Restaurant steckt viel mehr als nur gute Küche und hervorragender<br />
Service. Wir sind ein kleines Team und verbringen jeden<br />
Tag viele Stunden miteinander, um für den Gast ein schönes Erlebnis<br />
zu schaffen. Das ist intensiv, aber es kommt so viel zurück.<br />
Das bedeutet für mich, es verändert sich etwas in der Wahrnehmung<br />
der Restaurants und ihrer Gewichtung und Rolle für den<br />
sozialen Austausch.“<br />
|ag<br />
160 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
© Alle Fotos Maya Matsuura<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
161
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
MIKROKOSMOS DES LÄCHELNS, DER<br />
AROMEN UND DER FREUDE AM ESSEN<br />
Spitzengastronomie ist ein Knochenjob und Frauen sind noch immer die Ausnahme. Davon<br />
lässt sich Tanja Grandits nicht aufhalten. „Ich bin nicht der Typ, der durchs Leben geht und<br />
sich denkt, ich habe ein Handicap, weil ich eine Frau oder klein bin“, äußerte sie einst. Seit<br />
14 Jahren betreibt sie das Zwei-Sterne-Restaurant „Stucki“ im Basler Stadtteil Bruderholz<br />
und trat damit in die Fußstapfen der Schweizer Kochlegende Hans Stucki. Heute besteht ihr<br />
kleines Reich neben dem Spitzenrestaurant aus einem Feinkostladen und Catering-Service,<br />
die sich dank ihres guten Gespürs für kulinarische Gaumenfreuden, kreativer Ideen, eines<br />
familiären Teams und einer gehörigen Portion Leidenschaft großer Beliebtheit erfreuen. „In<br />
der Schweiz wird extrem viel Wert auf Genuss gelegt. Deshalb bin ich froh, hier ein Restaurant<br />
zu haben“, sagt die Deutsch-Österreicherin. Ihre Küche basiert auf einem klassisch<br />
französischen Fundament, das sie mit Einflüssen und Gewürzen aus aller Herren Länder<br />
kombiniert. „Ich liebe starke Aromen, ich mag volle, runde<br />
Geschmäcker und ich mag Salz.“ Wenn man<br />
in der gehobenen Gastronomie überhaupt<br />
von Trends sprechen kann, so sieht die<br />
Köchin und Buchautorin eine Tendenz<br />
zu fleischloser Küche. „Die Nachfrage<br />
nach vegetarischen Gerichten ist<br />
während der Pandemie deutlich<br />
gestiegen. Die Menschen sind<br />
bewusster geworden, achten<br />
viel mehr auf gesunde Ernährung.“<br />
Mit besten Zutaten und<br />
kreativen authentischen Gerichten<br />
– gerne in monochromen<br />
Farben – zaubert sie sich<br />
selbst und ihren Gästen stets ein<br />
Lächeln ins Gesicht. |ag<br />
© Digitale Massarbeit<br />
162 WD 6 I <strong>2022</strong>
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© The Table Kevin Fehling<br />
DREI STERNE IN SNEAKER<br />
Wir überraschen Kevin Fehling etwas atemlos beim Unkrautjäten vor seinem Privathaus<br />
auf der Straße. Das weitere Tagesprogramm? „Ich habe mir vorgenommen, heute unserem<br />
Fotografen in Bargteheide zum Geburtstag zu gratulieren. Er hat mir schon öfter<br />
einen Gefallen getan. Da fahre ich hin, um anzustoßen. Und vorher koche ich für meine<br />
Kinder.“ Es gibt Hähnchenfilets, Blumenkohl und Kartoffelpüree. „Ganz klassisch, sehr lecker<br />
und frisch gekocht.“ Mit den Speisen in seinem Hamburger Restaurant „The Table“,<br />
in dem der 3-Sterne-Koch später seine Gäste begrüßen wird, hat das nur ganz entfernt<br />
etwas zu tun. Das aktuelle Menu heißt „Tor zur Welt“ und umfasst Gänge wie ungestopfte<br />
Gänseleber mit Brombeere, Shizu, Ponzu sowie Nori-Algen oder Rehrücken und geschmortes<br />
Ragout. In diesem Course trifft das Wild auf Apfel, Spitzkohl-Maki, Sherryessig-Hollandaise<br />
& Pfefferjus. Was hier auf geschmackvollem Porzellan und in Gläsern<br />
angerichtet wird, ist schlichtweg vollendet und hochgradig artifiziell im besten Sinn. Das<br />
Restaurant ein Gesamtkunstwerk. Das gilt für das bühnenreife Interior, den Auftritt des<br />
Personals sowie für Fehlings Handschrift und Stilistik – den Aufbau der Teller. „Zum einen<br />
sehr sauber, sehr stylish – das ist mir sehr wichtig, andererseits ist die Architektur des<br />
Tellers nicht das Wichtigste. Wir haben auch manchmal süffige Gänge voller Aromen und<br />
Schmelz. Aber dennoch, wenn man genau hinschaut und sich mit Kulinarik gut auskennt,<br />
selbst bei drei oder vier Komponenten, erkennt man trotzdem die Handschrift. Das macht<br />
die Sache dann aus. Da arbeitet man fast Jahrzehnte dran oder gar nicht.“<br />
Fehling wollte immer einen Stern erkochen, um sich zu beweisen, dass er es zu etwas<br />
gebracht hat. Vor dem Abitur geht er ab, hat eher Skateboardfahren im Kopf. Es ist seine<br />
Großmutter, die ihm Folgendes mitgibt: „Wenn du Koch wirst, hast du wenigstens<br />
immer etwas zu essen.“ Das Handwerk begeistert ihn, er macht es zur Kunst. Mit 27 ist<br />
Fehling bereits Küchenchef in Travemünde, mit 30 gibt es den ersten Stern. Innerhalb<br />
164 WD 6 I <strong>2022</strong>
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
© Alle Fotos: René Riis<br />
von fünf Jahren dann 3 Sterne. „Das war in Deutschland Rekordzeit.<br />
Heute interessiert mich das gar nicht mehr. Man hat einfach<br />
Routine und ist reifer.“ Genau diese Lässigkeit macht „The Table“<br />
trotz höchster Ansprüche an die Küche aus. „Am Anfang steht das<br />
Grundprodukt. Bei unserem Level geht es immer nur um die Perfektion.<br />
Und die kann man nur erreichen, wenn man das beste<br />
Produkt hat. Es geht um die beste Gänseleber, die beste Blüte, es<br />
geht um den besten Wolfsbarsch. Ich bin grundsätzlich immer<br />
auf der Suche nach dem besten Produkt. Ohne die perfekte Frische<br />
und Konsistenz brauchen wir erst gar nicht versuchen, auf<br />
diesem Niveau zu kochen.“ Das ist das eine. „Als Zweites geht es<br />
um die Inspiration, die natürlich von überallher kommen kann.“<br />
Fehling ist vor über zwanzig Jahren zur See gefahren. Das prägt.<br />
„Unterschiedliche Düfte, Aromen, Menschen – egal von welchem<br />
Kontinent oder aus welchem Land – inspirieren mich.“ Zum Beispiel<br />
ein Aal Unagi, der Fehling in Japan begeisterte. „Ein glasierter<br />
frischer Aal. Er wird erst gegrillt, dann wird er in einem Sud aus<br />
Sojasauce, Zucker, Wasser und Mirin (Reiswein) gekocht und anschließend<br />
erneut gegrillt. Das ist eine wirklich aufwendige Methode,<br />
einen Aal herzustellen. Wir haben schon in Travemünde<br />
zwei Jahre daran gearbeitet, bis er perfekt war.“ Einige seiner Mitarbeiter<br />
begleiten den Sternekoch bereits seit dieser Zeit, ein weiteres<br />
Erfolgsgeheimnis des Restaurants: Nachhaltigkeit im Umgang<br />
mit Angestellten. Und natürlich freut es Fehling und Team,<br />
wenn Gäste aus Japan gestehen, dass sie noch nie einen so guten<br />
Unagi gegessen haben. Was sie wohl zu Fehlings Grünkohl-Komposition<br />
sagen, zu der ihn die Küche seiner Mutter inspirierte?<br />
Dafür entsteht aus einer Jungschweinhaxe eine Terrine mit kleinen,<br />
ganz akkurat geschnittenen Stücken, die mit einer pochierten<br />
Auster und gefrorenen Perlen vom groben Senf serviert wird.<br />
„Und dann gibt es ein bisschen Kartoffelpüree mit ganz leicht<br />
gepuffter Schweineschwarte als Garnitur und ein Grünkohl-Pinkel-Porridge<br />
mit einer Nocke dazu auf dem Sud der Jungschweinhaxe.<br />
Eines der kreativsten Grünkohlgerichte, die es – ohne Eigenlob<br />
– auf diesem Planeten gibt.“<br />
Fehlings „kleines Imperium“ umfasst außer dem unbestrittenen<br />
Mittelpunkt „The Table“, die Hamburger „Puzzle Bar“, sowie das<br />
Restaurant „The Globe“ by Kevin Fehling auf dem Kreuzfahrtschiff<br />
„MS Europa“ (Hapag Lloyd). „Wenn ich in Singapur bin und mit<br />
meinen Kollegen vom Schiff in einer Street-Food-Küche esse, ist<br />
der Tisch voll. Auch das ist sehr inspirierend.“ Doch zurück nach<br />
Hamburg in sein Restaurant, in dem abends ganz unterschiedliche<br />
Leute verkehren. Da kann es vorkommen, dass neben einer<br />
Dame im Abendkleid ein salopp gekleidetes Ehepaar Platz<br />
nimmt, das eher nach Wandertag aussieht. „Das entspricht genau<br />
unserer Philosophie. The Table ist für alle da. Alle Menschen<br />
sind gleich“, sagt Fehling, der es sich nicht nehmen lässt, an schönen<br />
Abenden seine Gäste vor der Tür zu begrüßen und ihnen viel<br />
Spaß zu wünschen. „Und den hat man vor allem dann, wenn man<br />
sich entspannt zurücklehnt, gute Gespräche genießt und nicht<br />
das Haar in der Suppe sucht.“ Auf Fehlings Willkommensgruß<br />
„Schön, dass Sie da sind“, antwortete gestern eine Frau: „Oh Gott,<br />
Sie sind es ja persönlich.“ Ja, er ist es: wunderbar bodenständig,<br />
präsent, menschlich, lebensfroh und einer der Besten. |sd<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
165
SPEZIAL ! FINE DINING<br />
© Alle Fotos Robert Rieger<br />
ERFINDERISCH: ESSEN<br />
WIE IN SÜDOST-ASIEN<br />
Wer das „Kin Dee“ im Berliner Stadtteil Tiergarten besucht, taucht<br />
in die Welt von Dalad Kambhu (Bild oben) ein. Die Thailänderin<br />
serviert ihren Gästen dort Gerichte und Aromen, die sie aus ihrer<br />
Heimat kennt, bislang jedoch an keinem anderen Ort vorfand. So<br />
entstand die Idee zu ihrem eigenen Restaurant. „Bevor es mich nach<br />
Berlin zog, habe ich einige Jahre in New York gelebt. Ich habe die<br />
authentische Thai-Küche vermisst, aber weder in den USA noch<br />
hier konnte ich Gerichte finden, die diese vertrauten Geschmacksrichtungen<br />
mit den lokalen, guten Zutaten im Westen verbindet.“<br />
Der Name „Kin Dee“ – auf deutsch „Gut essen“ – ist für die Spitzenköchin<br />
keine leere Floskel, sondern ein Versprechen. „Es bedeutet<br />
mehr als nur leckeres Essen, sondern Essen, das mit Bedacht hergestellt<br />
wird.“ In Kambhus Töpfen landen ausschließlich regionale<br />
und saisonale Produkte, wodurch sie die Kleinbauern unterstützt.<br />
Die Saucen und Pasten stellt sie nach Rezepten ihrer Mutter her.<br />
Das Besondere: Für die thailändische Küche typische Zutaten, die<br />
nicht vor Ort erhältlich sind, ersetzt sie durch waschechte brandenburgische.<br />
Dieses Alleinstellungsmerkmal brachte dem „Kin Dee“<br />
<strong>2022</strong> zum vierten Mal in Folge einen Michelin-Stern ein. „Ich denke,<br />
dass thailändisches Essen mit lokalen Produkten ziemlich einzigartig<br />
ist, was natürlich daran liegt, dass die westliche Welt Vorurteile<br />
gegenüber asiatischem Essen hat. Diese basieren jedoch meist auf<br />
Erfahrungen von Touristen in Thailand.“ Zur Wahl stehen zehn Gerichte,<br />
die nach dem „family style“ alle in der Mitte des Tisches serviert<br />
werden, zum Teilen. Willkommen ist jeder, der „authentische<br />
thailändische Küche erleben möchte, die mit Bedacht zubereitet<br />
wird. Es macht mir viel Freude, aus guten Zutaten etwas Leckeres zu<br />
kreieren, und ich bin dankbar, dass ich etwas Sinnvolles tun kann.“<br />
Wer bereits einmal in einer Restaurantküche gestanden hat, weiß,<br />
dass der Ton manchmal sehr rau sein kann. „Mir ist es wichtig, nicht<br />
diesem klischeehaften, patriarchalen System der Küchenführung<br />
zu folgen. Hier im Kin Dee behandeln wir die Mitarbeiter gut und<br />
bieten jenen eine Chance, die es am meisten brauchen.“ Auch in<br />
der Spitzengastronomie sind die vorherrschenden politischen Themen<br />
spürbar. „Die Menschen sind im Moment definitiv vorsichtiger,<br />
was zusätzliche Ausgaben betrifft, da die Energiekostenerhöhung<br />
bevorsteht und der Krieg in der Ukraine anhält. Wir müssen abwarten.“<br />
Für die Zukunft wünscht sie sich, dass „die Weltpolitik endlich<br />
anfängt, das zu reparieren, was wirklich wichtig ist – die Natur –<br />
und begreift, dass nur wir Menschen die Welt zerstören.“ |ag<br />
166 WD 6 I <strong>2022</strong>
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Berlin. Stadtteil Charlottenburg. Fasanenstraße. Hier residiert die<br />
Kunst. Wie Perlen an einer Kette reihen sich die Art-Galerien, Auktionshäuser<br />
und deren Dependancen aneinander. Darunter befinden<br />
sich so bekannte Institutionen wie Villa Griesebach oder Günter<br />
Venzke, ein feiner, betagter Gentleman und der Experte für Asiatika<br />
mit einem exzeptionellen Angebot. Die Schaufenster sind ein Eldorado<br />
für Kunstfans, doch nicht alle trauen sich in die Räumlichkeiten<br />
dahinter. Museum? Ja. Aber, was passiert, wenn man in einer Galerie<br />
angesprochen wird und nicht so fundierte Kenntnisse über zeitgenössische<br />
Maler oder Fotografie hat? Tatsächlich ist das für viele<br />
Menschen eine Hemmschwelle, die es abzubauen gilt – etwa so:<br />
Ich betrete die „Artnow Gallery“ in der Fasanenstraße 42. Die ausgestellten<br />
Arbeiten sprechen mich an. Leuchtende Farben, ungewöhnliche<br />
Texturen, eigentlich alles abstrakt. Keiner zu sehen. Eine<br />
junge Frau biegt von hinten um die Ecke und begrüßt mich mit<br />
einem strahlenden Lächeln. „Ich möchte mich gerne ein bisschen<br />
umschauen“, entgegne ich, und sie antwortet: „Aber sehr gerne.“<br />
Ich betrachte einige Werke näher. Plötzlich steht sie neben mir, Ulrike<br />
Riemann, Galeristin aus Leidenschaft, und fängt einfach an zu<br />
erzählen: „Unsere aktuelle Ausstellung geht über Farbe. Wir zeigen<br />
Arbeiten von sechs Künstlerinnen und einem Mann.“ Ich erwidere:<br />
„Oh, das ist ja wirklich mal ausgewogen.“ Wir müssen beide lachen.<br />
Und ich vertiefe mich in eine Arbeit von Heidekine Günther, deren<br />
Namen und Werk ich bisher nicht kannte. Sie trägt den Titel „Core<br />
No. 72“ und zeigt zwei nebeneinander gesetzte Formen (vage auf<br />
dem Foto oben zu erkennen), die fast auf der Fläche zu schweben<br />
scheinen. Riemann erzählt, dass es in ihrem Werk immer um „den<br />
Kern“ geht. Ein Leitmotiv. Ein Kraftzentrum, Ursprung von allem<br />
Neuen und Sinnbild für das Potenzial an sich. Und ich bekomme<br />
gleichzeitig einen Einblick in die Maltechnik der in der Schweiz lebenden<br />
Künstlerin vermittelt, deren Gemälde in einem Prozess<br />
zahlreicher Übermalungen entstehen, die natürliche Formen mit<br />
einem hohen Maß an Abstraktion verbinden, und dabei oftmals<br />
polykulturelle Symbole aufgreifen. Doch auch ohne dieses Hintergrundwissen<br />
spricht mich die Arbeit an. „Das ist unsere teuerste<br />
Arbeit. 12 Scheine.“ Ich mag ihre Weise, sich auszudrücken.<br />
Im benachbarten Flur, der zu Riemanns Büro führt, habe ich sofort<br />
mein persönliches Highlight entdeckt. Eine Zeichnung von Luise von<br />
Rohden (rechte Seite oben rechts, für 1.200 Euro). Die Technik ist farbige<br />
Tusche auf Papier, das seine Struktur durch zahlreiche Faltungen<br />
erhält. Diese Arbeitsweise prägt auch den etwas sperrigen Titel der<br />
Grafik: „Faltung hv2d 1 (hv2d gb/ü 23/19)“. Das Blatt hat ein Maß von<br />
76 auf 63 Zentimeter, ist in diesem Jahr entstanden und fasziniert<br />
168 WD 6 I <strong>2022</strong>
HOTSPOTS ! BERLIN<br />
mich völlig. Was aussieht, wie schönes Geschenkpapier aus dem<br />
Drucker, ist in Wirklichkeit das Produkt eines ambitionierten manuellen<br />
Prozesses, der das Thema der Ausstellung „#colour“ fabelhaft<br />
vor Augen führt. Wirklich traumhaft – eine Möglichkeit, sich in Türkisblau<br />
zu vertiefen und sich davontreiben zu lassen. Riemann freut<br />
sich über meine Gedanken und erläutert, dass es von Rohden, die<br />
1990 in Gotha geboren wurde, hier um ein komplexes System geht,<br />
das auf eine einfache Grundbewegung zurückgeht. Diese entsteht<br />
durch eine Abfolge sich scheinbar wiederholender Linien, die in immer<br />
neuen Konstellationen aufeinandertreffen, sich überlagern und<br />
an diesen Stellen Aussparungen zulassen. Von Rohden gelingt es so,<br />
aus wenigen Tönen ein breites Farbspektrum zu schaffen. „Dabei<br />
arbeitet sie mit dem lasierenden Effekt von Tusche.“ Natürlich will<br />
ich jetzt die Arbeiten des einzigen Mannes – Tomislav Topic – sehen<br />
(oben im Flur links). Seine Skulpturen (oben links) gefallen mir allerdings<br />
noch besser. Der Hannoveraner arbeitet mit Glasfaser und<br />
Farbe. Bei jedem Werk erwartet mich eine spannende Geschichte<br />
oder ein Kommentar der Galeristin. Sie erzählt, ohne lehrmeisterlich<br />
zu wirken, schlicht aus dem Herzen heraus. Bodenständig. Man<br />
spürt echte Begeisterung. Natürlich bin ich hin und weg – und erfahre,<br />
dass Riemann mit ihrem Partner Dr. Felix Brosius gerade erst<br />
in die Fasanenstraße gewechselt ist. Zu Hause lese ich im Katalog<br />
der Galerie weiter und freue mich, dass die zwei auch Editionen machen.<br />
Schauen Sie mal in unseren Geschenke Guide auf Seite 39. |sd<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
169
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
© Marcelo Villada Ortiz<br />
Auch Nonnen gehen irgendwann in Rente<br />
Die Mitglieder der Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern<br />
vom Heiligen Kreuz von Ingenbohl werden mit einem architektonischen<br />
Bravourstück für ihren unermüdlichen Einsatz belohnt.<br />
Als Rückzugsort und Altersrefugium konzipierte Cristiana Guerra<br />
die „Casa Sant‘ Agnese“, eine klosterähnliche Anlage, die sich terrassenförmig<br />
an die Hänge über dem Lago Maggiore schmiegt.<br />
Die Tessiner Architektin gestaltete verschiedene Gebäudeteile, die<br />
einen Innenhof umschließen, in dem die Schwestern einen Kräutergarten<br />
kultivieren. Von außen ist Sichtbeton das prägende Material<br />
des schlichten, aber ausgesprochen eleganten Komplexes, dessen<br />
Privaträume einen spektakulären Panoramablick auf den See bieten.<br />
Wenn Bewohnerinnen und Besucher den kleinen Vorplatz mit<br />
einer Statue des Heiligen Franziskus passiert haben, empfängt sie<br />
aber keineswegs klösterliche Strenge oder gar Einöde, sondern die<br />
Wärme von Holz. Es bringt Behaglichkeit in die zwanzig eher einfach<br />
gehaltenen Zimmer der Nonnen und Wärme in die abwechslungsreicheren<br />
Gemeinschaftsräume. Allen voran die Kapelle mit ihrem<br />
spektakulären Spiel aus Licht und Schatten ist ein faszinierender Ort<br />
mit besonderer Ausstrahlung, die auf dem Farbspiel der verwendeten<br />
Hölzer beruht. Eine der Herausforderungen für die ausführenden<br />
Gewerke war es, einen durchgehenden Ton für die Vertäfelungen,<br />
die Einbauten und Möbel sowie den klassischen Schiffboden<br />
– Bauwerk Parkett lieferte dafür einen geölten Eichen-Kurzstab aus<br />
der Kollektion „Monopark“ – zu finden. Die Casa Sant‘ Agnese erfreut<br />
sich bei den Ordensschwestern großer Beliebtheit. Und auch<br />
der bekannte Schweizer Architekt Mario Botta dankte kürzlich in<br />
seinem Essay „luce e gravità“ Guerra für ihr Werk in Muralto. Sie<br />
habe mit ihrer Casa Sant‘ Agnese „mit Zurückhaltung einen raffinierten<br />
Raum der stillen Meditation geschaffen“. Auf den Punkt.<br />
170 WD 6 I <strong>2022</strong>
HOTSPOTS ! MURALTO UND WIEN<br />
© Alle Fotos We feel<br />
Der Himmel über der Bücherwelt<br />
Bis ins 14. Jahrhundert reichen die Wurzeln der Österreichischen<br />
Nationalbibliothek in Wien zurück. Heute ist sie die größte Barock-<br />
Bibliothek Europas und ein weltweit renommiertes Informationsund<br />
Forschungszentrum. Die Museen und Sammlungen – Gedächtnis<br />
einer Nation – sind mit Präsentationen und Sonderausstellungen<br />
auch der Öffentlichkeit zugänglich. Herz und architektonisches<br />
Juwel in diesem Ensemble ist der barocke Prunksaal in der 1723 von<br />
Kaiser Karl VI. beauftragten Bibliothek der Hofburg. Unter anderem<br />
werden hier 15.000 Werke aus der Bibliothek des Prinzen Eugen von<br />
Savoyen aufbewahrt, in Teilen auch ausgestellt. Die vollständig mit<br />
Holzregalen ausgestattete Bibliothek beherbergt auch Statuen von<br />
Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte und Mitgliedern<br />
der Familie Habsburg. Darüber erhebt sich eine 20 Meter hohe<br />
Kuppel, die von Hofmaler Daniel Gran 1730 mit prächtigen Fresken<br />
verziert wurde. Sensationell und ein Grund mehr, das Ensemble in<br />
ein neues Licht zu setzen, denn die bisherige Beleuchtung war in<br />
die Jahre gekommen und ihre Leistung völlig unzureichend. Doch<br />
allein die architektonischen Gegebenheiten legen nahe, was für<br />
eine komplexe Aufgabe der ausführende Lichtdesigner Helmut<br />
Regvart bei der Gestaltung und Konzeption der Lichtführung zu<br />
leisten hatte, die in Kooperation mit der venezianischen Linea Light<br />
Group entwickelt wurde. „Meine Theatertätigkeiten waren mir hier<br />
sehr nützlich“, erklärt Regvart und ergänzt: „So wie auf der Bühne<br />
die Schauspieler in ständiger Bewegung sind, und das Licht ihren<br />
Handlungen folgen muss, so benötigt auch das Personal in den Korridoren<br />
der Bibliothek, das täglich mit der Verwaltung der unzähligen<br />
Bände beauftragt und auf unzähligen steilen Treppen unterwegs<br />
ist flexibles Licht. Es muss den Bewegungen der Angestellten<br />
folgen. Außerdem finden in der Bibliothek oft Veranstaltungen und<br />
Wechselausstellungen statt, die auch den Einbau von Stellwänden<br />
erfordern, und damit eine Anpassung der Lichtanlage.“ Gleichzeitig<br />
war es nötig, für die Fresken und andere Kunstwerke eine hervorragende<br />
Farbwiedergabe zu garantieren und die Wärme des Raumes<br />
hervorzuheben. Wer ihn jetzt betritt, sieht mehr als jemals zuvor:<br />
etwa die goldenen Details der Fresken, die bisher verborgen waren<br />
und nun das Licht von geschickt angebrachten Projektoren („Navata<br />
Optus“) reflektieren, während diese für die Augen der Besucher<br />
fast unsichtbar bleiben. Im Bereich der historischen Wendeltreppen<br />
(rechts) angebrachte „High-Protection“-Leuchten setzen<br />
Büsten und Statuen ins rechte Licht. Architektur, Bücher und Kunst<br />
haben nun einen bühnenreifen Auftritt.<br />
|sd<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
171
HOTSPOTS ! BONN<br />
© Galerie Thomas Vogel Foto: Simon Vogel<br />
One-Man-Show für ein Ausnahmetalent<br />
Den Flügel hat Benjamin Houlihan monatelang im Souterrain seines<br />
Ateliers bearbeitet, bis die Aussage für ihn stimmte: „Diese<br />
dünnen, abgeschliffenen Objekte, die ich mache, sind sozusagen<br />
an einer Schwelle, die mich interessiert. Sobald man noch etwas<br />
wegnehmen würde, wären sie nicht mehr existent. Es ist ein Minimum<br />
von Existenz in der Welt. Die Kanten mit ihren Linienführungen<br />
erinnern an Zeichnungen. Wie aus Tusche. So behandle ich die<br />
Objekte auch. Ich schaue, was es für einen Verlauf gibt und bewege<br />
mich in einer gewissen Linearität, die aber gleichzeitig auch eine<br />
Präsenz im Raum hat – weil es sich um ein Objekt oder eine Skulptur<br />
handelt – aber es geht genauso um die Idee einer Zeichnung im<br />
Raum.“ Den Wahldüsseldorfer beschäftigen grundsätzliche Fragen<br />
der Kunst. „Dabei ist es gar nicht so wichtig, in welcher Gattung es<br />
sich hinterher in der Welt zeigt.“ Sein „Skinny Grand Piano“ (oben)<br />
ist bis 8. Januar kommenden Jahres im Kunstmuseum Bonn zu se-<br />
172 WD 6 I <strong>2022</strong>
hen, das dem Stipendiaten der Stiftung Kunstfonds eine erste große<br />
Einzelausstellung widmet. Dort sind auch weitere Statements<br />
aus dieser Werksserie zu sehen: „Benjamin Houlihan – The Woods<br />
Have Names“. Doch im Werkstattatelier des gelernten Steinmetzes<br />
mit anschließendem Studium an der Düsseldorfer Akademie<br />
entstehen sehr unterschiedliche Arbeiten wie die Leinwand (linke<br />
Seite), die Houlihan mit der Zunge bemalte. Oder die Skulptur aus<br />
Plastillin (oben), ursprünglich als Zeichnung konzipiert und Teil einer<br />
früheren Ausstellungsinstallation. „Sie ist vielleicht nur zwanzig<br />
oder dreißig Zentimeter groß. Der Fotograf hat sie vom Boden aus<br />
aufgenommen. Dadurch entsteht diese Größenverschiebung.“ Die<br />
Message? „Es wirkt wie ein Blick durch ein umgedrehtes Fernglas.<br />
Sehr klein am Boden. Das hat beim Betrachter etwas ausgelöst, eine<br />
Distanz, die spürbar ist, als ob sich ein extra Feld auftut, auf dem die<br />
Figuren unter sich sind – wo ich nicht Teil der Ausstellung bin. Ich<br />
schaue wie ein Adler von oben darauf und habe diese Entfernung.“<br />
Und die Figur an sich? Gibt sie ein Stoppzeichen? „Nein. Sie schaut<br />
in die leere Hand. Sie scheint etwas zu halten, aber sie hält nichts.<br />
Sie hält sozusagen diese Leere in der Hand.“ Da ist es wieder, dieses<br />
Grundsätzliche, das von Houlihan immer wieder hinterfragt wird,<br />
und das der sehr sympathische Shooting Star auf meine Nachfrage<br />
ganz offen erläutert. Etwa bei seiner Skulptur „Noah“ (linke Seite<br />
ganz links): „Eine frühe Arbeit, die am Beginn des Studiums wie<br />
durch einen Zufall entstand. Mir war das Bügeleisen heruntergefallen<br />
und darauf gab es ein kleines Piktogramm, wie Johannes der Täufer<br />
mit einem kleinen Tropfen darauf. Also quasi ein Symbol“ – und<br />
Ausgang von einem weiteren Werkzyklus, zu dem Noah gehört. „Es<br />
gab eine ganze Serie von Vergrößerungen kleinerer Fundstücke, die<br />
zum Teil vier Meter Größe erreichen. Und bei Noah gibt es diese Bewegung,<br />
die fast schon eine Entkörperung ist. Dieser Körper scheint<br />
ja an allen Seiten zu wuchern und fast die Form zu verlieren – in<br />
seiner scheinbaren Formlosigkeit. Man weiß nicht, wohin das jetzt<br />
fließt. Was gibt es da für eine Bewegung innerhalb der Skulptur?“ Es<br />
werden also ganz substanzielle Fragen behandelt: „Wo passiert eine<br />
konkrete Form, wo löst sich der Körper wieder auf zu einer Formlosigkeit?“<br />
Vielleicht geht es am Ende sogar um Gefühle wie Verletzlichkeit,<br />
nun zu erfahren in den Bonner Museumsräumen. |sd<br />
© Alle Fotos Benjamin Houlihan<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
173
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
Beide Fotos © Andrea Zittel, Foto: Dirk Rose, Kunstmuseen Krefeld<br />
Back to the Roots<br />
Zugegeben, das Krefelder Stadtzentrum gehört zu den bedauernswerten<br />
Tiefpunkten deutscher Innenstadtvitalität. Die fetten<br />
Jahre sind vorbei, als Seidenfabrikanten Prosperität in die am Niederrhein<br />
gelegene Stadt brachten. Von diesen Zeiten zeugen heute<br />
noch Boulevards und Parkanlagen. Und eine Institution, die Kunst-,<br />
Design- und Architekturliebhaber unbedingt auf dem Schirm haben<br />
sollten: die Kunstmuseen Krefeld. Ende des 19. Jahrhunderts<br />
aus der Bürgerschaft heraus geboren, versammelt das heutige<br />
Haupthaus, benannt nach Kaiser Wilhelm I., Werke und Objekte<br />
von Gemälden über Keramiken bis hin zu Möbeln. Zwischen 2012<br />
und 2016 wurde es umfangreich saniert und folgt seither wieder<br />
konsequent seinem ursprünglichen Ansatz: die angewandte und<br />
die bildende Kunst auf Augenhöhe zu betrachten, wie Katia Baudin<br />
betont, die die Museen seit der Wiedereröffnung leitet. Konzept<br />
ist es, die Besucher dabei weder chronologisch noch monothematisch<br />
durch die in Abständen wechselnde Sammlungsausstellung<br />
zu führen. Dies erlaubt zeitliche Vor- und Rücksprünge – Perspektiven<br />
auf bewusste und unbewusste Einflüsse früherer Epochen.<br />
Ganz offensichtlich wird das in den Arbeiten von Shannon Bool<br />
für das Ausstellungsformat „Sammlungssatellit #8“. Darin tritt<br />
die kanadische Künstlerin in einen Dialog mit dem Erbe des Grafikers,<br />
Malers und Typografen Otto Eckmann. Der Vertreter des<br />
Jugendstils und der Reformbewegung in Deutschland war gute<br />
einhundert Jahre vor Bool aktiv, zahlreiche seiner Arbeiten gelangten<br />
nach seinem Tod 1902 in die Sammlung. Shannon Bool<br />
überträgt nun Fragmente seiner Skizzen auf eine Marmorsitzbank<br />
oder auf einen großformatigen Jacquard-Teppich, in des-<br />
174 WD 6 I <strong>2022</strong>
HOTSPOTS ! KREFELD<br />
© Dirk Rose<br />
sen Zentrum die Umrisse eines männlichen Laufstegmodels zu<br />
erkennen sind. Direkt nebenan ist ein Neuankauf des Museums<br />
zu bestaunen: das „Blaue Zimmer“ von Helmuth Macke, eines<br />
von wenigen Beispielen erhalten gebliebener expressionistischer<br />
Möbelgestaltung. Unkonventionell – und das ist das Schöne daran<br />
– wirkt der dekonstruierte Biedermeier-Raum (Bild rechte<br />
Seite oben). Nicht unerwähnt bleiben darf die Installation „Barraque<br />
d’dull odde“ von Joseph Beuys, einem Sohn dieser Stadt.<br />
Erst dieses Jahr wurde das Museumscafé K+ eröffnet, für das der<br />
österreichische Designer Robert Stadler ein grafisch anmutendes<br />
Interieur entwickelt hat. Indem Stadler die Gründungsidee des<br />
Museums, aber auch die textile Tradition der Stadt aufgreift und<br />
Gestaltung, Handwerk und Industrie miteinander verwebt, wird<br />
dieser Raum ganz subtil selbst zum Teil der Ausstellung.<br />
Einen gänzlich anderen Rahmen bieten die beiden zwischen<br />
1927 und 1930 gebauten Backsteinvillen Haus Lange und Haus<br />
Esters. Architekt war kein Geringerer als Ludwig Mies van der<br />
Rohe. Die Aufträge gaben der Textilfabrikant Hermann Lange<br />
und sein guter Freund Josef Esters, die beide zum Vorstand des<br />
Vereins deutscher Seidenwebereien (Verseidag) gehörten. Lange<br />
war Mitglied im Deutschen Werkbund. In Krefeld förderte er die<br />
Entwicklung des Kaiser-Wilhelm-Museums. Später überließ sein<br />
Sohn Ulrich das Haus dem Museum zunächst für zehn Jahre als<br />
Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst und schenkte es der<br />
Stadt Krefeld schließlich ganz. Seit 1981 auch Haus Esters erworben<br />
werden konnte, ist das Ensemble für seine dialogischen, oft<br />
ortsspezifischen Ausstellungen bekannt. Fester Bestandteil des<br />
Haus Lange sind die beiden Räume „Le Vide“ (Raum der Leere, 1961)<br />
von Yves Klein und „Dark Room“ (2018) von Elmgreen & Dragset.<br />
Noch bis Ende Februar sind die zwei Ausstellungen „Maison Sonia:<br />
Sonia Delaunauy und das Atelier Simultané“ mit Skizzen<br />
und Textilentwürfen der russisch-französischen Künstlerin sowie<br />
„Andrea Zittel: Personal Patterns“ zu sehen. Letztere untersucht<br />
die psychologischen und sozialen Auswirkungen der abstrakten<br />
Gestaltung unserer Lebenswelt. Geometrische Formen, textile<br />
Oberflächen hinterfragen die Grenzen vom Kunst- zum Designbegriff.<br />
Daneben ist Zittel mit ihrer „Planar Panels“-Installation<br />
im Gartenhaus von Haus Esters vertreten, welches seinerseits<br />
– übrigens 1923 als eines der ersten vorfabrizierten Fertighäuser<br />
von den Deutschen Werkstätten Dresden-Hellerau geliefert<br />
und erbaut – ebenso sehenswert ist.<br />
|markus hieke<br />
© Volker Döhne<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
175
HOTSPOTS ! KÖLN<br />
Die besten Geschichten schreibt der Zufall<br />
In Köln ein cooles Hotel zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche<br />
nach einer Nadel im Heuhaufen. Wir haben sie gefunden: das<br />
Hotel Legend. Eigentlich würden wir Ihnen diese Adresse gerne vorenthalten<br />
– denn die nächste Messe kommt bestimmt, und bei nur<br />
20 Zimmern stehen die Chancen auf eine Buchung in den Sternen.<br />
Aber dieses Hotel ist einfach zu sensationell, und so verraten wir Ihnen<br />
schweren Herzens unseren Geheimtipp. Sein Interior-Konzept<br />
könnte weiteren Hoteliers Mut machen, neue Wege zu gehen.<br />
Patrick Huber-Flotho hatte ihn, nachdem er Anna und Barbara Luiz<br />
um ihre Einschätzung eines ersten vorliegenden Angebots für eine<br />
„Standard“-Hotelausstattung befragte. „Wir kannten uns über die<br />
Schule unserer Kinder“, erzählt Anna (unten rechts im Bild), und<br />
ihre Schwester Barbara berichtet weiter: „Bereits nach fünf Minuten<br />
im persönlichen Gespräch stellten wir gemeinsam fest, dass<br />
dieser besondere Ort in Köln und dieses Hotel einer individuellen<br />
Ausstattung bedürfen.“ Das Legend liegt direkt über der U-Bahnstation<br />
„Rathaus“ gleich neben dessen historischen Turm, einem<br />
der raren erhalten Schätze aus Vorkriegszeiten. Schnell saßen die<br />
Unternehmerinnen, bekannt für einzigartige Bettwäsche und Frottierwaren,<br />
mit ihrem Designer Peter Fehrentz und der leitenden<br />
Architektin Ines Kapplinghaus zusammen. „So hat sich<br />
das stimmige Gesamtkonzept verdichtet.“ Es reicht<br />
von den komfortablen Zimmern, in denen man nichts<br />
vom unterirdischen Bahnhof mitbekommt, bis zum<br />
hauseigenen Restaurant „Puls“, das der Sterne-Koch<br />
Johannes Langenstück unter der Patronage von Daniel<br />
Gottschlich bespielt. Jeden Abend voll. Zweischichtbetrieb<br />
und köstliche Gerichte. Hinter der gläsernen Küchentür ziemlich<br />
viele Köche auf engem Raum in Action. Imposant.<br />
Aber auch davon bekommt man in den Räumen darüber gar nichts<br />
mit. Sie sind so besonders: manche wegen ihres Ausblicks in den<br />
Himmel, andere wegen ihres Dialogs mit dem Turm, dessen Skulpturen<br />
als Fotokunst auch in den Hotelzimmern gegenwärtig sind –<br />
wegen ihrer individuellen Bäder und geschmackvollen Möbel, aber<br />
ganz besonders wegen der Betten. „Eigentlich sind wir erst in die<br />
Planung eingestiegen, als der Rohbau schon stand“, erinnert sich<br />
Barbara Luiz, ihres Zeichens Architektin. „Zunächst ging es auch<br />
nur um Bettwäsche und Frottiertücher, dann um die Bettwaren.<br />
Für ein Hotel haben wir sehr gehobene Qualitäten ausgewählt<br />
und die Bettwäsche mit zurückhaltenden handwerklichen Details<br />
umgesetzt. Daraufhin durften wir Vorschläge für Vorhänge (Luiz<br />
hat auch da Unglaubliches in petto) und Möbelstoffe unterbreiten.<br />
Dafür haben wir das Flair des Ortes und des Gebäudes adaptiert<br />
und mit warmen Farbtönen und matten Oberflächen aufgenommen.“<br />
Und dann kam die Geschichte mit der Schlafstatt dazu, die<br />
„kein Standard-Bett mehr sein konnte“, so Anna. „Wir haben mit<br />
Peter ein modulares Kopfteil entwickelt, das in klarer Sprache auf<br />
die unterschiedlichen Gegebenheiten reagieren kann. Der entstan-<br />
176 WD 6 I <strong>2022</strong>
dene Entwurf konnte je nach Raum für die extrem zulaufenden<br />
Schrägen auch mit Klapp-Elementen umgesetzt werden. Auf dem<br />
Weg dorthin wurden Schreiner und Elektriker in die Detaillierung<br />
der Konstruktion eingebunden.“ Die daraus entstandenen Leuchten<br />
sind ein weiteres feines Detail dieser Herberge, in der es Freude<br />
macht zu nächtigen. Es versteht sich von selbst, dass die Luiz-Sisters<br />
happy sind: „Wir freuen uns, für unsere Gäste ein »Zuhause«<br />
in Köln zu haben und sind stolz darauf, wie schön alles geworden<br />
ist.“ Vor allem die Satin-Bettwäsche aus 100 Prozent Baumwolle,<br />
der siebte Himmel ... „Sehr feine Qualitäten, die wir bei Privatausstattungen<br />
einsetzen, kommen nur bei sehr kleinen Hotels infrage,<br />
wo eine eigene Wäscherei unabhängig macht von externen<br />
Dienstleistern.“ Ein Grund mehr, Bettenburgen zu meiden. |sd<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
177
XXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
So inszenieren zwei Newcomer Eis mit Stil<br />
Dass der Studioname Holky Rády Architekturu (zu Deutsch: Mädchen,<br />
die Architketur mögen) bezeichnend ist für die Arbeit von<br />
Barbora Kudelová und Kristýna Sirová, stellen die beiden Frauen in<br />
ihrem jüngst fertiggestellten Projekt einmal mehr unter Beweis. Im<br />
Stadtzentrum von Brünn hat das frische Kreativduo, das sich während<br />
des Architekturstudiums kennengelernt und im Jahr 2020 das<br />
eigene Studio gegründet hat, die kleine Fläche eines historischen<br />
Hauses mit einer modernen, minimalistischen Eisdiele aufgewertet.<br />
„Referenz, Reflexion und Bögen!“ In diesen drei Worten fassen<br />
die Gestalterinnen ihr Projekt prägnant zusammen.<br />
Eine klare Formsprache und die reduzierte Materialität prägen das<br />
Erscheinungsbild. Durch den Erhalt der gewölbten Decke und das<br />
Wiederaufnehmen und Modernisieren klassischer italienischer<br />
Motive wie dem Springbrunnen – hier in Form eines Metallwaschbeckens<br />
– verbinden sie raffiniert die italienische Herkunft des Produktes<br />
mit den tschechischen Wurzeln des Bestandsgebäudes. Das<br />
Farbschema erinnert an verschiedene beerige Eissorten und macht<br />
schon auf den ersten Blick Appetit. Wer einen zweiten Blick hinter<br />
die Glasscheibe riskiert, die Produktionsfläche und Verkaufstheke<br />
voneinander trennt, kann beim Mischen und Zubereiten der gefrorenen<br />
Delikatessen zusehen. Doch was versteckt der bordeauxrote<br />
Vorhang, der dem Szenario ein wenig Theatralik vermittelt? Den<br />
können Sie im nächsten Sommer in Brünn persönlich lüften. |mz<br />
178 WD 6 I <strong>2022</strong>
XXXXXXXXXXXXXXX ! XXXXXX<br />
WD 6 I <strong>2022</strong><br />
179
BEZUGSQUELLEN !<br />
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B BENJAMIN HOULIHAN www.houlihan.online, BISAZZA SPA www.bisazza.com, BYREDO GMBH www.byredo.com C<br />
CAPAROL ICONS GMBH www.caparol.de, CASSINA SPA www.cassina.com, CHANEL GMBH www.chanel.com D D. S. & DURGA<br />
www.dsanddurga.com, DEDAR www.dedar.com, DENNIS RUDOLPH www.dennisrudolph.com, DEVON & DEVON www.devon-devon.com,<br />
DIPTYQUE PARIS www.diptyqueparis.eu E E15 DESIGN & DISTRIBUTION GMBH www.e15.com, EDOARDO PIERMATTEI<br />
www.edoardopiermattei.com, ETRO SPA www.etro.com F FELDBUSCH WIESNER RUDOLPH GALERIE www.feldbuschwiesnerrudolph.<br />
de, FLEXFORM SPA www.flexform.it, FLOS SPA www.flos.com, FLOU SPA www.flou.it G GALERIE KORNFELD www.galeriekornfeld.<br />
com, GALERIE THOMAS FUCHS GMBH & CO. KG www.galeriefuchs.de, GALERIE EIGEN + ART www.eigen-art.com, GASTON Y DANIELA<br />
www.gastonydaniela.com, GIRSBERGER www.girsberger.com, GIORGETTI SPA www.giorgetti.eu H HAUSER & WIRTH AG<br />
www.hauserwirth.com, HERMÈS germany.hermes.com, HISTOIRES DE PARFUMS www.histoiresdeparfums.com, HISA FRANKO<br />
www.hisafranko.com I INA RINDERKNECHT ARCHITECTURE AG www.ina-rinderknecht.ch J JAN KATH DESIGN GMBH<br />
www.jan-kath.de, JH GASTRONOMIE GMBH www.jan-hartwig.com, JULIUS www.juliusberlin.de, JUSTUS BRINCKMANN<br />
GESELLSCHAFT E.V. FREUNDE DES MUSEUMS FÜR <strong>KUNST</strong> UND GEWERBE HAMBURG www.mkg-hamburg.de K KIN DEE<br />
www.kindeeberlin.com, KNOLL INTERNATIONAL SPA www.knolleurope.com, <strong>KUNST</strong>MUSEEN KREFELD www.kunstmuseenkrefeld.de<br />
L LEGEND HOTEL www.legendhotel.de, LELIEVRE GMBH www.lelievre.eu, LES BAINS GUERBOIS<br />
www.lesbains-paris.com, LINEA LIGHT SRL www.linealight.com, LORENZO VILLORESI www.lorenzovilloresi.it, LORO PIANA<br />
TEXTILE DIVISION www.loropiana.com, LUIZ INTERFROTTA BAD- UND HEIMTEXTILIEN GMBH www.luiz.com M MAI 36 GALERIE AG<br />
www.mai36.com, MAISON INTÈGRE www.maisonintegre.com, MAISON KITSUNÉ www.maisonkitsune.com, MARC STRAUS<br />
Gallery www.marcstraus.com, MOOOI BV www.moooi.com N NEUTRA BY ARNABOLDI ANGELO www.neutradesign.it, NINA<br />
LANG www.ninalang.art O OCCHIO GMBH www.occhio.de, ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK www.onb.ac.at P PAUL<br />
PRETZER www.paulpretzerstudio.com, PHAIDON PRESS LI<strong>MIT</strong>ED www.phaidon.com, PORZELLANMANUFAKTUR FÜRSTENBERG GMBH<br />
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GRUNENBERG www.robertgrunenberg.com S SAMMLUNG PETERS-MESSER BERLIN/VIERSEN www.sammlung-peters-messer.<br />
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Sollten Sie noch auf der Suche nach einer speziellen Adresse für eines der vorgestellten Produkte sein, schreiben Sie uns einfach<br />
eine E-Mail an info@wohndesign.de. Weitere Infos zu Ihren Ansprechpartnern finden Sie im Internet unter www.wohndesign.de.<br />
Urheber- und Reproduktionsrechte (© VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2022</strong>): Brinkmann, Thorsten: Fotoarbeit Seite 3.<br />
Warburg, Nicholas: Gemälde Seite 47, im Foto links. Hirschhorn, Thomas: Gemälde „The Price of Suspicion”, Seite 47, im Foto rechts, Seite 48,<br />
im Foto unten die drei Werke rechts. Miller, Johnny: Gemälde Seite 48, im Foto unten links vom Durchgang. Melgaard, Bjarne: ohne Titel,<br />
Seite 48 im Foto unten mittig, Seite 50 im Foto unten, ganz links. Balkenhol, Stephan: Porträts Seite 68. Rudolph, Dennis: Carte Blanche<br />
Seite 74/81. Morell, Lars: Gemälde Seite 116/117. Rietvelt, Gerrit: Sessel Seite 116/117, Stuhl violett Seite 119. Hiquily, Philippe: Tisch Seite 128.<br />
Othoniel, Jean-Michel: Murano-Glas-Kette Seite 129. Melotti, Fausto: Keramikwand Seite 145. Laurencin, Marie: Gemälde Seite 149. Von<br />
Rohden, Luise: Faltung Seite 169. Van der Rohe, Ludwig Mies: Architektur Seite 175.<br />
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A ADIDAS AG www.adidas-group.com, AEMIUM www.aemium.com, ALESSI SPA www.alessi.com, ARTNOW GALLERY<br />
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www.reitzner-porzellan.de C CASSINA SPA www.cassina.com D DOPPELBLICK www.doppelblick.org F FBB MAISON GMBH<br />
www.fbb-group.com, FERM LIVING APS www.fermliving.com, FLOYD GMBH www.floyd.one G GALERIE KORNFELD<br />
www.galeriekornfeld.com, GEORG JENSEN A/S www.georgjensen.com I INGO MAURER GMBH www.ingo-maurer.com<br />
J JONDRAL GMBH & CO. KG www.michaeljondral.com K KATHARINA ANDRESS katharinaandress.de L LACOSTE www.lacoste.com,<br />
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LYKKE KAFFEGARDAR www.lykkegardar.se M MYSSYFARMI LTD www.myssyfarmi.fi N NOMADE MODERNE OG<br />
www.nomade-moderne.com O OUT OBJEKTE UNSERER TAGE www.objekteunserertage.com P PORZELLANMANUFAKTUR<br />
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180 W!D 6 I <strong>2022</strong>
ID-NEWS<br />
Titel<br />
Name<br />
1 2 3<br />
Somewhere<br />
Over the Rainbow<br />
Vorspann<br />
Fließtext<br />
Zwischenüberschrift<br />
Voluptatque pro qui con et pa doluptatio.<br />
Adresse<br />
website<br />
Aktuell als<br />
Aboprämie<br />
WOHN!DESIGN<br />
Für seine diesjährige Weihnachts-Edition hat sich Caran d‘Ache von den Farben des<br />
Regenbogens und seinen Goldschätzen inspirieren lassen. Die funkelnden Nuancen der<br />
„Colour Treasure“- Kollektion verzaubern die weihnachtlichen Feiertage und bringen<br />
ein Lächeln in das Gesicht eines jeden Beschenkten.<br />
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Mattlack und graviert mit einer kleinen Botschaft wie „La vie en rose“ oder „GoldenTicket“.<br />
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ZU BESUCH BEI ! VOGEL ART<br />
„Vogel Art“-Gründer und Kurator Sebastian Vogel links<br />
nutzte die leerstehende Fläche in der Stuttgarter City<br />
oben für seine Pop-up-Galerie. Ein Konzept mit Zukunft,<br />
da ist sich der in München ansässige (Online-)Galerist und<br />
Verleger seiner eigenen Kunsteditionen sicher. Auch für<br />
Kunstliebhaber, die ihre Sammelleidenschaft gerade erst<br />
entdeckt haben, ist Vogel der richtige Ansprechpartner.<br />
UNVERHOFFT KOMMT OFT<br />
Auch Außentemperaturen von 38 Grad<br />
Celsius (am Abend!) im August hielten<br />
Kunstbegeisterte nicht davon ab, die<br />
Pop-up-Galerie von Vogel Art in Stuttgart-Mitte<br />
zu besuchen. „Meist passiert<br />
bei diesen Events vieles parallel oder im<br />
Nachgang, was man so nicht erwartet“,<br />
erzählt Initiator Sebastian Vogel. Wie<br />
eben das Wetter. Oder, „dass eine der<br />
teuren großen Arbeiten direkt von einem<br />
Sammler gekauft und als Schenkung an<br />
ein namhaftes Museum gerichtet wurde,<br />
wunderbar! Aber die Details bleiben noch<br />
geheim.“ In loftartiger Atmosphäre, auf<br />
500 Quadratmetern, präsentierte Vogel<br />
unter anderem seine eigenen Editionen,<br />
darunter namhafte Künstler wie Michael<br />
Sailstorfer, Regine Schumann, Jan Albers,<br />
Felix Schramm sowie Isa Melsheimer. Sowohl<br />
Gäste als auch Künstler und Kuratoren<br />
wie Dr. Anne Vieth vom Kunstmuseum<br />
Stuttgart waren von diesem Konzept<br />
begeistert – so begeistert, dass Vogel<br />
gleich eine weitere Pop-up-Galerie im<br />
südfranzösischen Nizza organisierte, die<br />
Anfang Oktober stattfand. Die Auswahl<br />
der Werke trifft der Kunstliebhaber nach<br />
Bauchgefühl und jahrelanger Erfahrung<br />
in der Szene: „Was könnte ich mir persönlich<br />
vorstellen, was könnte für das Publi-<br />
kum vor Ort interessant ist? Denn nicht<br />
jede Art von Kunst passt in jede Region.“<br />
Vogel ist sich sicher, dass Pop-up-Galerien<br />
in Zukunft mehr Interesse finden.<br />
Vor allem Künstlerkollektive und Kuratoren<br />
profitieren von diesem Konzept.<br />
„Auch diese Szene unterliegt einem stetigen<br />
Wandel. Die nächste Generation<br />
kauft anders ein, denkt anders, und auf<br />
die stelle ich mich ein. Die wollen ein<br />
bisschen mehr Event-Charakter haben.<br />
Klassische Galerien werden nicht unbedingt<br />
auf dieses Pferd aufspringen. Dafür<br />
ist die Kunstszene zu konservativ und oft<br />
nicht offen genug.“<br />
|ag<br />
Die nächste Ausgabe von WOHN!DESIGN mit dem Titelthema „Trend 2023“ erscheint am 14. Dezember <strong>2022</strong>.<br />
182 WD 6 I <strong>2022</strong>
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SCHARRN 3 KONTOR DER SCHÖNEN DINGE, 05741 7303 · 33415 VERL, BECKHOFF, 05246 92600 · 33605 BIELEFELD, LOHMEIER, 0521 21015 · 35037 MARBURG, KETZERBACH12, <strong>06</strong>421<br />
66635 · 35745 DILLENBURG-MANDERBACH, HOLZ KRETZ, 02771 2671411 · 36433 BAD SALZUNGEN, WOHNBAR, 03695 6393666 · 39104 MAGDEBURG, KATHRIN THIES, 0391 5342426 ·<br />
40212 DÜSSELDORF, LAMBERT FLAGSHIPSTORE, 0211 8620420 · 40489 DÜSSELDORF, TAFELTRAUM, 0211 97178668 · 44229 DORTMUND-KIRCHHÖRDE, CORNER 378, 0231 94197871 ·<br />
45130 ESSEN, STADTHAUS, 0201 5458965 · 45481 MÜLHEIM, STILVOLL IN SAARN, 0208 46931833 · 45481 MÜLHEIM, ROHLOFF FERIENPARK, 0208 8286888 · 46244 BOTTROP, TIMMER-<br />
HAUS, 02045 82385 · 46535 DINSLAKEN, DECOBAR, 02<strong>06</strong>4 603072 · 47447 MOERS, DRIFTE WOHNFORM,02841 6030 · 48143 MÜNSTER, KÖSTERS, 0251 414230 · 5<strong>06</strong>72 KÖLN, LAMBERT<br />
FLAGSHIPSTORE, 0221 2921650 · 51375 LEVERKUSEN, HOME FASHION BY THORSTEN MACK, 0214 73468448 · 53117 BONN, DANIELS WOHNEN, 0228 677666 · 53340 MECKENHEIM,<br />
WILHELM LEY, 02225 99310 · 53604 BAD HONNEF, WALKEMBACH, 02224 2471 · 53881 KÖLN, AD 3000 MÖBELCONCEPT, 02251 9882415 · 55116 MAINZ, DELLEE EINRICHTUNGEN, <strong>06</strong>131<br />
224518 · 55116 MAINZ, TOSCANA, <strong>06</strong>131 224518 · 59759 ARNSBERG, M.WESTERMANN & CO., 02932 4767030 · 60313 FRANKFURT, LAMBERT FLAGSHIPSTORE, <strong>06</strong>9 21997514 · 60350<br />
FRANKFURT, GALERIA KAUFHOF · 61462 KÖNIGSTEIN, KLAUTKE WOHNKULTUR, <strong>06</strong>174 9980961 · 65388 SCHLANGENBAD, NEUMÜHLE ZAWOH, <strong>06</strong>129 5119040 · 67434 NEUSTADT A.D.<br />
WEINSTRASSE, H+H HANDRICH MODERNER, <strong>06</strong>321 49980 · 69120 HEIDELBERG, MC MODERN CLASSIC, <strong>06</strong>221 474737 · 70173 STUTTGART, LAMBERT FLAGSHIPSTORE, 0711 28411242 ·<br />
70173 STUTTGART, MERZ & BENZING, 0711 239840 · 70597 STUTTGART, BELLA CASA, 0711 6339794 · 71088 HOLZGERLINGEN, QUERPASS, 07031 741515 · 72459 ALBSTADT-PFEF-<br />
FINGEN, WOHNFORM WISSMANN, 07432 3951 · 73033 GÖPPINGEN, HÖPPEL, 07161 77291 · 73614 SCHORNDORF, <strong>KUNST</strong>STÜCK, 07181 68350 · 74653 KÜNZELSAU, FR. BREUNINGER,<br />
07940 91820 · 78050 VILLINGEN-SCHWENNINGEN, F.K. WIEBELT, 07721 980014 · 78333 STOCKACH, KÜCHENSTUDIO WURST, 07771 6349912 · 78628 ROTTWEIL, ROSENKAVALIER, 0741<br />
46939 · 79761 WALDSHUT-TIENGEN, SEIPP WOHNEN, 07741 60900 · 81477 MÜNCHEN, KARE KRAFTWERK, 089 8905403013 · 81479 MÜNCHEN, IDEE E COMPLEMENTI, 089 75984972 ·<br />
82493 KLAIS-ELMAU, SCHLOSS ELMAU, 08823 18835 · 84028 LANDSHUT, DOBLINGER, 0871 22237 · 86007 BAMBERG, MÜLLER 7, 0951 965120 · 86609 DONAUWÖRTH, MIO STILE<br />
MICELLO, 09<strong>06</strong> 9999128 · 88212 RAVENSBURG, TAFELBLATT, 0751 3525401 · 88499 RIEDLINGEN, MARK – RAUMSCHOEN, 07371 937013 · 88662 ÜBERLINGEN, WELTE-JOOS, 07551 5050 ·<br />
89312 GÜNZBURG, VANONI, 08221 6449 · 89584 EHINGEN, THIELEMANN EINRICHTEN,07391 770130 · 92318 NEUMARKT/OPF., DIE EINRICHTUNG, 09181 509980 · 97070 WÜRZBURG,<br />
SCHWARZWELLER, 0931 42304 · 97421 SCHWEINFURT, WOHNART IM RATHAUS, 09721 188013 · 97723 OBERTHULBA, FARBEN KESSLER, 09736 1071 · 99084 ERFURT, K2 WOHN-<br />
KONZEPTE, 0361 7463074 · A 1010 WIEN, JSE STEINWENDER INTERIORS, 0043 15333302 · 1080 WIEN, VICTORIA KAISER INTERIOR, 0043 6769336525 · 2700 WIENER NEUSTADT,<br />
WOHNDEKORATION & GESCHENKE, 0043 664 2521544 · 4221 STEYREGG, LORE LAGER, 0043 732641340 · 4775 TAUFKIRCHEN, AUINGER, 0043 77197503 · 5020 SALZBURG, SCHÖNER<br />
WOHNEN, 0043 662640474 · 6263 FÜGEN/TIROL, MÖBEL FREUDLING, 0043 528862215 · 6330 KUFSTEIN, RIEDEL TIROLER GLASHÜTTE, 0043 5372 6489603 · 6370 KITZBÜHEL, KITZ-<br />
BÜHELER WERKSTÄTTEN, 0043 535664757 · 6460 IMST, JAIS, 0043 541266492 · 6800 FELDKIRCH, PAOLINI HANDELS, 0043 55227<strong>06</strong>00 · 8010 GRAZ, EVA INTERIOR, 0043 6766530833 ·<br />
CH 8702 ZÜRICH, LAMBERT FLAGSHIPSTORE, 0041 443914000 · 1260 NYON, ADIRONDACK BOUTIQUE, 0041 223623188 · 3011 BERN, MARIO BURKHARD, 031 3111101 · 4144 ARLESHEIM,<br />
MAXIMAL, 0041 617022270 · 4500 SOLOTHURN, C A S A, 0041 326231952 · 6032 EMMEN, DAVINCI INTERIOR DESIGN, 0041 412605151 · 6204 SEMPACH, LAMBERT LUZERN WOHNBERATUNG,<br />
0041 412103747 · 6300 ZUG, VARIANTIKUM, 0041 417102238 · 6314 UNTERÄGERI, SZENARIO PFLANZEN & WOHNEN, 0041 417504004 · 6800 FELDKIRCH-ALTENSTADT, FAIR KÜCHEN-<br />
STUDIO, 0043 552371662 · 6830 RANKWEIL, ERNST SUMMER, 0043 6643767158 · 7000 CHUR, CASANOVAS WOHNEN & SCHENKEN, 0041 812521780 · 8001 ZÜRICH, JELMOLI, 0044<br />
2204411 · 8142 UITIKON-WALDEGG, IL SENSO, 0041 433219742 · 8280 KREUZLINGEN, WOHNGEFÜHL, 0041 716723852 · 8965 BERIKON, INSIDE, 0041 566330086 · LAMBERT GMBH ·<br />
<br />
WWW.LAMBERT- HOME.DE
Photography Max Rommel. Art Work Arthur Arbesser.<br />
MAK<br />
INGTHE<br />
DIFFER<br />
ENCE<br />
ANDES by Luca Nichetto.<br />
www.wittmann.at
HANDVERLESEN<br />
GESCHENKE GUIDE<br />
FÜR JEDE GELEGENHEIT<br />
BY<br />
WOHN!DESIGN
UNSERE FÜNFTE EDITION<br />
Bei der Auswahl für den Geschenke-Guide <strong>2022</strong> hatte<br />
jeder von uns einen Merkzettel auf dem Bildschirmrand<br />
kleben: „Verschenke nichts, über was Du Dich nicht selbst<br />
freuen HANDVERLESEN<br />
würdest.“ Auf unserem Wunschzettel standen<br />
demgegenüber bekannte Dinge: Große Überraschungsmomente,<br />
gute Storys, tolle Qualität, Langlebigkeit, bei<br />
einigen von GESCHENKE uns stand Einzigartigkeit GUIDE hoch im Kurs – bei<br />
allen FÜR aber die JEDE Idee, Geschenke GELEGENHEIT<br />
zu machen, an denen jeder<br />
lange Freude hat. Das war schon Leitfaden für unsere<br />
erste Ausgabe dieses kleinen Heftes, das viele von Ihnen<br />
liebgewonnen haben. Die Pandemie der vergangenen Jahre<br />
hat uns gelehrt, dass es um ganz andere Werte geht:<br />
BY<br />
Gemeinsam Zeit zu verbringen, mal wieder ausgelassen<br />
zu feiern, dabei selbst zubereitete Speisen zu genießen –<br />
Freunde zu sehen. WOHN!DESIGN<br />
Und unterwegs zu sein – und das bitte<br />
immer rücksichtsvoll –, um Neues zu entdecken. Auch wir<br />
sind wieder auf Achse, um für Sie als geneigte Leserin und<br />
motivierter Leser das Besondere zu suchen. So schlecht<br />
sind materielle Geschenke ja nun auch nicht ... Für uns ist<br />
dabei immer die Entstehungsgeschichte eines Produktes<br />
wichtig: Wo kommt etwas her, unter welchen Umständen<br />
wird es hergestellt und mit welcher Message? Das lesen<br />
Sie nachfolgend. Und hoffentlich mit Vergnügen.<br />
Viel Spaß beim Überraschen (lassen) wünschen<br />
Dr. D. und das W!D-Team.
LICHT TO GO: DIESER<br />
NEUAUFGELEGTE DESIGN-<br />
KLASSIKER MACHT MOBIL<br />
© CONSTANTIN MIRBACH<br />
Wer hätte gedacht, dass diese fancy Leuchte hier<br />
links inzwischen mehr als 50 Jahre auf dem Buckel<br />
hat? Ihr Schöpfer ist kein Geringerer als Lichtdesigner<br />
Ingo Maurer, und „b.bulb“ seine erste Kreation – das<br />
Sprungbrett in eine strahlende Karriere. „Mein Vater<br />
erzählte gerne von dem Moment der Inspiration: Nach<br />
einem fantastischen Essen und einer Flasche Rotwein<br />
lag er in seinem billigen Hotelzimmer auf dem Bett.<br />
Über ihm schwebte eine nackte 15-Watt Glühbirne,<br />
deren Schönheit ihn berührte. Er verliebte sich sofort<br />
in diese Mischung aus Poesie und Technik – eine Liebe,<br />
die ihn Zeit seines Lebens nicht mehr losließ,“ beschreibt<br />
Claude Maurer. Die erste Version entstand<br />
1966 und wurde 2020 mit mehr technischer Finesse<br />
neu aufgelegt: Ausgestattet mit Akku und effizienter<br />
LED-Technik, ist sie an keinen festen Standort gebunden<br />
und passt sich dank „Dimm to warm“-Technologie<br />
jeder Lichtsituation an. Wie das Original ist auch die<br />
Neuauflage aus Murano-Glas gefertigt und fast vollständig<br />
recycelbar. Ab 340 Euro. ingo-maurer.com
KALTE HÄNDE, HEISSE<br />
LIEBE – SO SAGT MAN<br />
Das kann schon sein, aber wir bevorzugen temperierte<br />
Finger. Sie sind einfach geschmeidiger<br />
und erzeugen beim Gegenüber keine ungewollte<br />
Gänsehaut. Garant für eine angenehme<br />
Betriebstemperatur sind die Handschuhe von<br />
Thomas Riemer aus Wien. Das liegt natürlich<br />
an ihrem hochwertigen Futter, beispielsweise<br />
aus Kaschmir – ein Material, das der besonderen<br />
Verarbeitungsqualität ebenbürtig ist und<br />
den verwendeten Ledersorten, von denen man<br />
gar nicht mehr die Finger lassen kann. Doch<br />
wo die Hände schwelgen, dürfen die Augen<br />
nicht darben. Die Farben ... sensationell – mal<br />
elegant und sophisticated, doch genauso auch<br />
Pop! Und das Beste? Es gibt sie auch für Ladys.<br />
tr-handschuhe.at
PERFEKT FÜR DEN HERBST:<br />
REGENJACKE, BUT MAKE IT<br />
FASHION PLEASE<br />
Schneller als es uns lieb ist, ist auch dieses Jahr<br />
der Herbst zurückgekehrt. Selbst wenn wir die<br />
vermeintlich kuschelige Jahreszeit an so manchen<br />
heißen Sommertagen noch romantisiert, ja vielleicht<br />
sogar manchmal herbeigesehnt haben, ist<br />
die Realität in den Herbstmonaten in Deutschland<br />
meist vor allem eines: grau. Umso wichtiger, dieser<br />
Tristesse mit dem passenden Outfit entgegenzuwirken.<br />
Für die Herbst/Winter-Kollektion <strong>2022</strong> kooperiert<br />
der deutsche Sportartikelhersteller Adidas<br />
mittlerweile schon zum vierten Mal mit dem finnischen<br />
Modelabel Marimekko. Die abstrakten Muster,<br />
die architektonischen Formen und die leuchtenden<br />
Farben, die so typisch für das finnische Label<br />
sind, ergänzt um den funktionalen Stil und die Performance-Expertise<br />
des deutschen Kooperationspartners,<br />
überzeugen. Die gesamte Kollektion gibts<br />
es online bei Adidas zu kaufen. Der Regenmantel<br />
kostet 160 Euro, über<br />
adidas.de
LI<strong>MIT</strong>ED EDITION, DIE<br />
WAS ZU ERZÄHLEN HAT<br />
Nachdem ihr geliebtes erstes Skizzenbuch<br />
bei einem nächtlichen Raubüberfall im Marrakesch-Express<br />
gestohlen wurde, stand für<br />
Bianca Tschaikner fest: jetzt erst recht! Die<br />
österreichische Illustratorin und Keramikkünstlerin<br />
besorgte sich fix ein neues, noch<br />
schöneres Exemplar, mit dem sie seither die<br />
Welt erkundet. Ihre Arbeiten leben von den<br />
Eindrücken und Geschichten, die ihr Länder<br />
und Menschen vermittelten. So auch das<br />
„Blue and White“-Porzellan, das auf 16 Teile<br />
limitiert ist und seinen Nutzer auf eine Reise<br />
in die mediterrane Mythologie entführt.<br />
Jeder Teller und jede Schale ist ein handgemachtes<br />
und -bemaltes Einzelstück (ab 195-<br />
400 Euro). „Blau bemalte Keramik hat eine<br />
über tausend Jahre alte Tradition, hinter<br />
deren zeitloser Schönheit eine lange Historie<br />
steckt, die ich mit dieser kleinen, aber feinen<br />
Kollektion weitererzählen und die Blaumalerei<br />
neu interpretieren möchte.“<br />
biancatschaikner.com
MUSEUMSREIFER STOFF<br />
KLEIDET KONTEMPORÄRE<br />
MÖBEL IM SCANDI-LOOK<br />
Skandinavier halten zusammen. Auch und besonders,<br />
wenn es um Kunst und Design geht. So entstehen<br />
gut und gerne Kooperationen wie zwischen<br />
dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art<br />
und den Landsleuten der Design-Schmiede Ferm<br />
Living. Das Ergebnis ist der Webstoff „Louisiana x<br />
ferm LIVING“ mit kräftigen schwarzen und sandfarbenen<br />
Streifen, der speziell für den „Rico“-Lounge<br />
Chair (links im Bild) und den gleichnamigen Zweisitzer<br />
von Ferm Living kreiert wurde. „Zum ersten Mal<br />
waren wir intensiv an der Entwicklung eines Designs<br />
beteiligt, das einen klaren Ausgangspunkt in der Architektur<br />
dieser Institution hat“, sagt Peter Myrthu<br />
Elmegaard, Shop Manager des Museums. Er deutet<br />
auf das wesentliche Markenzeichen des Louisiana<br />
hin: das Spiel mit Farb- und Materialkontrasten.<br />
Genau das richtige Präsent für einen Menschen mit<br />
hoher Affinität für moderne Kunst und Design. Sessel<br />
um 2.100 Euro, zu bestellen über fermliving.de
„FÜR DEN KLEINEN SUFF<br />
ZWISCHENDURCH“<br />
Mit diesem Versprechen bewirbt<br />
der „Doppelblick“-Gründer Matthias<br />
Pfundt sein Produkt, und wir können<br />
aus erster Hand bestätigen, dass es<br />
funktioniert. Der Limettenshot mit<br />
dem ulkigen Namen ist mittlerweile<br />
nicht mehr wegzudenken aus dem<br />
Leipziger Nachtleben und hat sich als<br />
echte Marke etabliert.<br />
Seit 2019 widmet Matthias Pfundt sich<br />
in Zusammenarbeit mit Wegbegleitern<br />
aus der Leipziger Subkultur, wie zum<br />
Beispiel dem Kunst- und Kulturförderverein<br />
MOTTT e.V. oder dem Illustratoren-Duo<br />
„Superfreunde“, und Destillateuren<br />
dem perfekten Mischverhältnis<br />
aus erlesenen Zutaten. So entsteht mit<br />
viel Hingabe und zu 100 Prozent vegan<br />
der optimale Kurze. Einen griffigen Namen<br />
und eine coole, auffällige Graphik<br />
später konnte Pfundt das Getränk in<br />
verschiedenen Größen abfüllen und in<br />
den Vertrieb bringen. Der Schnaps ist in<br />
0,5-Liter-Flaschen für 12,50 Euro oder<br />
schon portioniert in 2cl-Fläschchen für<br />
je 1,50 Euro erhältlich. Im Laden gibt es<br />
„Gisela“ bis jetzt nur an verschiedenen<br />
Adressen in Leipzig und in einigen Getränkemärkten<br />
in Dresden zu kaufen.<br />
Für die bundesweite Versorgung gibt<br />
es einen gut sortierten Online-Shop, in<br />
dem auch das zum Getränk passende<br />
Merchandise sowie andere Spirituosen-<br />
Spezialitäten made in Leipzig angeboten<br />
werden. Cheers! doppelblick.org
ES WAR EINMAL IN JAPAN. DAS LIEST<br />
SICH WIE EIN MODERNES MÄRCHEN<br />
... doch diese Geschichte ist wahr und<br />
hat ihren Ursprung im japanischen<br />
Arimatsu, wo die Familie Murase seit<br />
mehr als 100 Jahren (also in fünfter<br />
Generation) Stoffe mit einer traditionellen<br />
Technik veredelt: Shibori. Dabei<br />
werden Teile von textilen Oberflächen<br />
durch Abbinden, Abnähen oder durch<br />
Falten ausgespart – eine durchdachte<br />
Manipulation der Textilien, die beim<br />
anschließenden Färben fließende Farbverläufe,<br />
Kontraste, doch genauso auch<br />
dreidimensional wirkende Muster und<br />
Strukturen erzeugt. Seit mehr als 400<br />
Jahren sind die Produktionsprozesse,<br />
die an Batik denken lassen, doch viel<br />
raffinierter sind, unverändert. „Diese<br />
Tradition nicht nur bewahren – sondern<br />
gestalten“, nach diesem Motto pflegt<br />
Hiroyuki Murase, Designer von Suzusan<br />
und ältester Sohn der Familie Murase,<br />
die Familientradition und das japanische<br />
Shibori-Handwerk.<br />
2008 startete er mit Leuchten, Schals<br />
und Kissen für sein Label Suzusan. Inzwischen<br />
umfasst das Portfolio auch<br />
Bettüberwürfe, die selbst als Tischdecke<br />
Furore machen (rechts), sowie zwei<br />
komplette Fashion-Linien für sie und<br />
ihn. Unser Schnappschuss aus der Kollektion<br />
„Family“ zeigt, dass darin nicht<br />
nur Youngsters cool aussehen. Natürlich<br />
nicht ganz günstig, aber seinen Preis<br />
wert. Sie wissen, wovon wir überzeugt<br />
sind. Lieber einmal weniger shoppen,<br />
dann aber dafür richtig. suzusan.com<br />
Suzusan stellt auf der Hamburger „MK&G messe“ vom 23. bis 27.11.<strong>2022</strong> aus.<br />
Weitere Infos zu Teilnehmern und dem Programm unter mkgmesse.de
ALESSI KANN TABLE-<br />
WARE – UND AUCH<br />
BLING BLING!<br />
Allein schon der Name „Venusia“ –<br />
eine Wortvariante und Referenz auf<br />
Venus, Göttin der Schönheit – lässt<br />
erahnen, dass bei dieser Schmuck-<br />
Kollektion höhere Mächte ihre Finger<br />
im Spiel haben. Designerin Elena Salmistraro<br />
schuf eine Serie aus Ringen,<br />
Armbändern, Halsketten und Ohrringen<br />
für das italienische Traditionshaus<br />
Alessi, wobei sie unterschiedliche<br />
Verfahren und Materialien aus<br />
der Metallverarbeitung erforschte,<br />
darunter hypoallergenen Edelstahl.<br />
Sinnlichkeit meets Kunsthandwerk.<br />
Ab 59 Euro.<br />
eu.alessi.com
© MARCO PIETRACUPA
KEINE TASCHE,<br />
SONDERN<br />
EIN STATEMENT<br />
Sie lieben emblematische Dessins<br />
mit Geschichte, die man<br />
nicht an jeder zweiten Straßenecke<br />
sieht? Dann kommen<br />
Sie an Au Départ nicht vorbei.<br />
Das geometrische Muster entstand<br />
um 1900, die Marke bereits<br />
1834. In den Twenties war<br />
es ein modisches Muss und seit<br />
dem Neustart des Labels vor<br />
zwei Jahren ist die Jeunesse<br />
dorée damit unterwegs. Die<br />
Kollektionen für sie und ihn<br />
wechseln zügig. Wer sich nicht<br />
schnell entscheidet, verpasst<br />
leicht sein Ziel, mit Stil unterwegs<br />
zu sein. Und zack ist sie<br />
ausverkauft, die „Géant Madeleine“<br />
in „Monogram Black“<br />
zum Preis von 3.500 Tacken.<br />
Luxus läuft. audepart.com
HOL DEN VORSCHLAG-<br />
HAMMER RAUS!<br />
Der Hocker „Fels“ des Berliner Designlabels<br />
OUT – Objekte unserer Tage – fällt auf. Das<br />
liegt zum einen sicherlich an seinen knalligen<br />
Farbausführungen, aber auch an der besonderen<br />
Formsprache und der aufwendigen<br />
Verarbeitung. Er ist aus massivem Edelholz<br />
gefertigt, wobei jede einzelne seiner vielen<br />
Kanten von Hand geschliffen wird. Man<br />
kann ihn auch als Beistelltisch benutzen.<br />
Der multifunktionale Hocker eröffnet eine<br />
neue Perspektive auf das Naturmaterial<br />
Holz. Was kommt dabei heraus, wenn man<br />
es behandelt wie Stein? Wenn man ein Objekt<br />
graduell aus dem Material erarbeitet,<br />
wie in der Bildhauerei? „Eine Begegnung von<br />
Natur, Handwerk und dem Berlin State of<br />
Mind“, sagt OUT. Ein beeindruckender Eyecatcher,<br />
der jeden Raum aufpeppt, sagen<br />
wir. Zu kaufen gibt es das Multitalent in verschiedenen<br />
Ausführungen ab 490 Euro.<br />
objekteunserertage.com
NOBLES DESIGN <strong>MIT</strong> DEM POTENZIAL,<br />
ZU ERBSTÜCKEN ZU AVANCIEREN<br />
Das dänische Silberunternehmen<br />
Georg Jensen kann dank seines fortschrittlichen<br />
Blickwinkels auf viele<br />
Erfolgsmomente und -geschichten<br />
zurückblicken. Fans royaler Anekdoten<br />
könnten besonders bei dieser<br />
Story schwach werden: Es war<br />
einmal ein schwedischer Graf mit<br />
Namen Sigvard Bernadotte (1907-<br />
2002), der seine Leidenschaft für<br />
Design und Illustration entdeckte.<br />
Als einer der ersten Mitarbeiter von<br />
Georg Jensen traute er sich 1930 mit<br />
den damaligen Design-Konventionen<br />
der Art-déco-Bewegung zu brechen<br />
und führte stattdessen eine architektonische<br />
Sprache ein, die klare,<br />
geometrische Formen und symmetrische<br />
Muster in die Kollektionen einbrachte.<br />
Die „Bernadotte“-Serie des
„Design-Prinzen“ mit den ikonischen<br />
Rillen wurde über die Jahrzehnte sukzessive<br />
durch neue Pieces ergänzt –<br />
von der Kaffeekanne über Besteck,<br />
Geschirr und Kerzenhalter bis zu Gläsern<br />
– die zusammen einen coolen,<br />
kontrastreichen Look ergeben, der<br />
frisch und ausgesprochen modern<br />
wirkt. Ab 20 Euro schlemmen auch<br />
Sie königlich. georgjensen.com
IM EINKLANG <strong>MIT</strong><br />
DER NATUR<br />
Die Bilder von Mario Sorrenti zeichnen<br />
sich sonst eher durch sehr viel<br />
nackte Haut aus. Für das italienische<br />
Luxusbrand Loro Piana machte der<br />
amerikanische Fotograf offensichtlich<br />
eine Ausnahme. Die Aufnahmen zur<br />
aktuellen Herbst-/Winterkampagne<br />
entstanden im Norden Frankreichs<br />
– eine perfekte Location, um die kuschelweichen<br />
und warmen Kleidungsstücke<br />
aus Naturmaterialien in Szene<br />
zu setzen. Die raue Natur hebt die gewandte<br />
Handwerkskunst der taktilen<br />
Kleidungsstücke hervor, etwa beim<br />
Mantel „Credence“ aus natürlichem<br />
Langflor-Shearling. Feine Details und<br />
moderne Highlights schaffen den<br />
Spagat zwischen zeitgenössischem<br />
Key Piece und klassischem Must-have.<br />
Beim Preis bitte tief durchatmen:<br />
11.000 Euro. de.loropiana.com
„OUT OF SPACE“ AN<br />
DIE KETTE GELEGT<br />
„Die Holzbildhauerei ist für mich das<br />
gestalterische Mittel, in welchem ich erzählen<br />
kann, was mich beschäftigt“, erzählt<br />
Katharina Andress. Im Falle ihrer<br />
Schmuckserie „Fashion for Astronauts“<br />
treffen aus Lindenholz geschnitzte<br />
futuristische Figuren auf eine jahrhundertealte<br />
Handwerkstechnik, die aus<br />
dem Rokoko stammt. Die detailreichen<br />
Holzanhänger sind Teil eines skulpturalen<br />
Schmuckprojektes, das die Bildhauerin<br />
mit eigenem Atelier am Ammersee<br />
bereits vor zwei Jahren startete. „Die<br />
farbenfrohen Anhänger wechseln je<br />
nach Bedarf vom Schmuckstück am<br />
Körper zum Kunstobjekt an der Wand<br />
und bewegen sich spielerisch zwischen<br />
den Grenzen der bildenden und angewandten<br />
Kunst.“ Ab 480 Euro ziert<br />
einer dieser spacig-bunten Blickfänge<br />
auch ihren Hals. katharinaandress.de
AUF FETTEN ROL-<br />
LEN UNTERWEGS<br />
Während im kalifornischen Venice<br />
Beach, Los Angeles in den Seventies<br />
Surfer, Airbrush-Künstler, Auto-Customizer<br />
und Rockmusiker den Bohemian<br />
Lifestyle lebten, verbrachten zwei bayerische<br />
Teenager ihre Tage damit, auf<br />
den Straßen ihres Dorfes Skateboard<br />
zu fahren, ihre Fahrräder aufzumotzen<br />
und vom coolen und lässigen California<br />
Way of Life zu träumen. Auch wenn es<br />
Bernd Georgi und Horst Kern nie nach<br />
Venice Beach geschafft haben, so ist<br />
es ihnen doch gelungen, sich diese unkonventionelle<br />
Lebenseinstellung zu bewahren.<br />
Bestes Bespiel dafür ist ihr Unternehmen<br />
„Floyd“, dessen hochwertige<br />
Gepäckstücke mit den ikonischen roten<br />
Rollen eine Gegenbewegung zu konformistischen<br />
schwarzen Businesskoffern<br />
bilden. „Wenn es in diesem langweiligen<br />
und ermüdenden Zirkus, der einst als<br />
Reisekultur bekannt war, noch einen<br />
schwachen Schimmer von Coolness<br />
gibt, dann ist es Floyds Mission, ihn in<br />
Geist und Stil wieder zum Leuchten zu<br />
bringen“, prangt es auf der Homepage.<br />
Cabin Case um 445 Euro. floyd.one
GANZ KLAR LIEBE AUF<br />
DEN ERSTEN BISS<br />
How wundervoll: Billa Reitzner stammt aus<br />
Dover (USA), absolvierte in den Eighties die<br />
Keramikfachschule in Landshut und gründete<br />
nach zehnjährigen Hospitanzen 1993 ihre eigene<br />
Werkstatt in München. Seitdem erfreut sie<br />
uns mit ausgesprochen aparten Objekten, für<br />
die sie bereits 2003 zwei nicht unbedeutende<br />
Preise sowie 2017 den Bayerischen Staatpreis<br />
für Gestaltung erhielt. Sie ist immer wieder<br />
in Galerien und auf Messen mit Exponaten<br />
vertreten, von denen schon einige Objekte in<br />
Museen wanderten. Wen wundert‘s? Diese<br />
Servierplatten hier sind aus Porzellan mit farbigem<br />
(Porzellan-)Schlicker überzogen, teils<br />
geritzt, und manchmal werden auch in einem<br />
dritten Brand farbige Glasperlen aufgebrannt.<br />
„Die sind für den Tisch gedacht als etwas Schönes,<br />
was da liegt. Man kann was Heißes drauf<br />
tun, man kann Speisen drauflegen.“ That‘s it.<br />
reitzner-porzellan.de
APHRODISIAKUM<br />
À LA FRANÇAISE<br />
Einem alten Familienrezept ist es zu verdanken, dass<br />
zwei Berliner mit einem neuen Apéro-Getränk durchstarten.<br />
„Als kleines Kind war ich öfter zu Gast bei meiner<br />
Künstlerfamilie in La Croix-Valmer. Dort gab es zur<br />
Begrüßung einen Haus-Apéritif, den auch wir Kinder<br />
trinken durften. Das war immer ein Highlight“, erzählt<br />
Jakob Karberg, der den Volée Apéritif Naturel auf der<br />
Grundlage dieser Rezeptur entwickelte. Der alkoholfreie,<br />
bittersüße Mix aus unfermentierten Chardonnay-Trauben,<br />
frischem Verjus, Grapefruit, Bergpfirsich,<br />
Holunderblüte und Pomeranze fängt den Geschmack<br />
des Mittelmeeres ein. „Als geheimes Extra ist Volée<br />
mit Damiana angereichert, einem natürlichen Aphrodisiakum,<br />
das die Stimmung hebt“, ergänzt Co-Gründer<br />
Benjamin Müller. „Wir empfehlen den Volée mit<br />
Tonic Water auf viel Eis und mit frischer Grapefruit<br />
garniert. Wer ihn doch etwas feucht-fröhlicher genießen<br />
möchte, füllt mit Cremant oder Sekt auf. Santé!“<br />
500 ml gibt`s für 15,95 Euro. voleevolee.com
MASSHÜTE FÜR<br />
GROSSSTADTNOMADEN<br />
Auf der Suche nach einem Hut für sich<br />
selbst entdeckte Nuriel Molcho (im Bild<br />
links) seine Passion als Hutmacher. Den<br />
ersten selbstgefertigten trägt er noch heute.<br />
Gemeinsam mit seiner Frau Audrey (im<br />
Bild rechts) betreibt der Blogger, Fotograf<br />
und Gastronom seit 2017 das Atelier „Nomade<br />
Moderne“ am Wiener Naschmarkt.<br />
Ihre Made-to-measure-Teile sind unkonventionelle<br />
Einzelstücke und strahlen den Spirit<br />
rastloser Weltenbummler aus, zu denen sich<br />
auch das kreative Duo zählt. Die außergewöhnlichen<br />
Textilien und Details wie Knöpfe,<br />
Bänder und Federn sammeln sie auf ihren<br />
ausgiebigen Reisen um die Welt. Für Kurzentschlossene<br />
bietet das Paar die stylishen<br />
Kopfbedeckungen auch Ready-to-wear an.<br />
Die Preise starten je nach Ausführung bei<br />
580 Euro. nomade-moderne.com
JUWELEN WÄHLEN!<br />
ETWA EIN COLLIER<br />
„Mein Ziel ist es, Schmuck in höchster<br />
Qualität anzubieten, aus Materialien, die<br />
in ökologisch und sozial verantwortbarer<br />
Form produziert sind“, sagt die Goldschmiedin<br />
Lilli Veers aus Lüneburg und<br />
schickt hier einen Halsschmuck aus Silber,<br />
Papier, Harz und Farbpigmenten ins Rennen.<br />
„Schmuck wird somit zum Ausdruck<br />
meiner eigenen Werte. Deshalb untersuche<br />
und erarbeite ich mir ökologische<br />
und soziale Zusammenhänge, versuche<br />
diese immer wieder in mein Handeln zu<br />
integrieren und nach außen zu kommunizieren.<br />
Dadurch eröffnen sich in meiner<br />
künstlerischen Arbeit neue Perspektiven<br />
und Wertigkeiten. Es entstehen skulpturale<br />
und systemimmanente Unikate<br />
aus Recyclingedelmetallen, ökofairen<br />
Edelmetallen und Fremd-Materialien im<br />
Spannungsfeld zwischen archaischer<br />
Ursprünglichkeit und morbider Zerbrechlichkeit.“<br />
Kürzer gesagt: einfach ganz<br />
großes Kino, Collier um 540 Euro über<br />
lilli-veers.de
© SOPHIEWOLTER_FOTOGRAFIE
ALLES EIN BISSCHEN<br />
BESSER MACHEN<br />
„Wie kann man ein Kaffeeunternehmen betreiben,<br />
ohne dass dabei irgendjemand oder<br />
irgendetwas zu Schaden kommt?“ Diese Frage<br />
stellten sich die Gründer der schwedischen<br />
Kaffeemarke „Lykke Kaffegårdar“ und begaben<br />
sich damit auf eine verantwortungsvolle<br />
Mission: die Kaffeeindustrie so umzukrempeln,<br />
dass wir auch in 50 Jahren noch eine<br />
richtig gute Tasse des frisch aufgebrühten<br />
Getränks genießen können. Ihr Netzwerk besteht<br />
aus Kaffeebauern in Südamerika und<br />
Südafrika, die die Führung behalten – ohne<br />
Zwischenhändler. Der Anbau erfolgt organisch,<br />
ohne Monokulturen in perfekter Harmonie<br />
mit Mensch und Natur. Ein schönes<br />
Mitbringsel, das Freude bereitet und gleichzeitig<br />
Gutes tut. Ein Pfund des „Bam Bam“-<br />
Espresso kostet 20 Euro. lykkegardar.se
DIE STILSICHEREN<br />
<strong>LEBEN</strong>SBEGLEITER<br />
Sie sind klassisch, robust und passen<br />
sich den unterschiedlichsten Lebenslagen<br />
an. Die Rede ist von den modularen<br />
Möbelsystemen von USM, die<br />
nicht nur am Arbeitsplatz eine gute<br />
Figur machen. Bei Designliebhabern<br />
ziehen sie direkt mit in die heimischen<br />
vier Wände ein. Vom Wickeltisch, über<br />
Barwagen oder Garderobe bis hin zum<br />
Sideboard mit Stauraumeffekt – die<br />
Möglichkeiten sind mannigfaltig. Damit<br />
sich das Möbel immer perfekt an<br />
neue räumliche Gegebenheiten oder<br />
veränderte Lebensumstände anpasst,<br />
bietet USM ein Interior-Update<br />
mit professioneller Beratung in Form<br />
eines Umbaus oder einer Erweiterung<br />
bestehender Möbel. Sollten Sie also<br />
noch nach einem exklusiven Geschenk<br />
für kreative Köpfe suchen, dann sind<br />
Sie soeben fündig geworden. Warum<br />
nicht auch eine Variante in „True<br />
Pink“, dem neuesten Colour-Clash, den<br />
USM im Juni auf der Mailänder Design<br />
Week vorstellte?<br />
usm.com
(WINTER-)DÜFTE AUS<br />
VEGANEN REZEPTUREN<br />
Sie duften nach zarter Vanille und Mandelblüten,<br />
nach einem üppigen Bouquet aus<br />
Iris-Butter, Bergamotte, Rose mit Mandel-Kopfnote<br />
oder bilden ein harmonisches<br />
Zusammenspiel aus elegantem Leder, Bergamotte,<br />
Sandelholz und Heliotrop – eingerahmt<br />
von floralen Noten. Et Voilà: die Eaux<br />
de Parfum aus dem Hause Aemium. Gründer<br />
Emmanuel Roche hatte „die Nase voll von<br />
synthetischen Duftstoffen, die wir uns eigentlich<br />
nicht mehr auf die Haut zu sprühen<br />
trauen, von schweren und nicht recycelbaren<br />
Verpackungen, die alle unter Marketing-Blabla<br />
versteckt werden, um den Kunden zum<br />
Träumen zu bringen und ihn glauben zu lassen,<br />
dass das Produkt sein Geld wert ist.“ Die<br />
Aemium-Rezepturen enthalten daher weder<br />
Farbstoffe noch umstrittene Inhaltsstoffe<br />
und räumen mit dem Thema auf, dass vegan<br />
und luxuriös sich grundlegend ausschließen.<br />
100 ml kosten um 130 Euro. aemium.com
EINE HOMMAGE AN DAS<br />
TRADITIONELLE HANDWERK<br />
Die in Oviedo geborene und seit ihrem Studium in Mailand<br />
lebende und arbeitende Designerin Patricia Urquiola<br />
hat eine neue Vasenkollektion für Cassina entworfen.<br />
Die „Sestiere“-Vasen verbinden die alten Handwerkstechniken<br />
der Murano-Glasherstellung mit zeitgenössischem<br />
Design. Es gibt sie in vier verschiedenen Ausführungen.<br />
Die „Kordeln“, die die zarten Glasblasen<br />
scheinbar zusammenhalten, werden in der Murano-Tradition<br />
„Morise“ genannt. Sie sind verziert mit „Rigadin“,<br />
dem typischen Rillenmuster der Lagune und werden von<br />
Hand an der Außenseite der Vase angebracht. So wird<br />
jedes Exemplar zum Unikat. Durch die mit Bedacht gewählten<br />
Farbkombinationen, die unbemühten und dennoch<br />
vollkommenen Formen und die Kombination verschiedener<br />
Glasmacherkünste entstehen traumhafte,<br />
fast gläserne Skulpturen, die auch ohne Inhalt faszinieren.<br />
Und als eben solche handgefertigten Kunstobjekte<br />
sollte man sie auch im Hinblick auf ihren Preis betrachten,<br />
ab 1.190 Euro.<br />
cassina.com
GUTE <strong>KUNST</strong> ZUM FAIREN PREIS?<br />
DAS HABEN WIR IN BERLIN GEFUNDEN<br />
Die Buntstiftzeichnungen der Berliner<br />
Künstlerin Levke Leiß (*1982) erfüllen<br />
die vornehmste Aufgabe der Kunst:<br />
Sie irritieren. In einer das Verfahren der<br />
Lasurmalerei adaptierenden Technik<br />
trägt Leiß in ihren Bildwelten Menschen,<br />
Landschaften, Objekte und Tiere<br />
zusammen, die in selten erreichter<br />
Perfektion nahezu hyperrealistisch präsentiert<br />
werden. Dass sich bei dem Betrachter<br />
der Arbeiten dennoch unvermittelt<br />
ein Störgefühl einstellt, erreicht<br />
Leiß durch eine den voreingenommenen<br />
Erwartungen widersprechende<br />
Zusammenstellung verschiedener<br />
Elemente zu Szenarien, die zwischen<br />
gestörter Wirklichkeit und surrealen<br />
Welten verortet sind. Diese gestörten<br />
Welten zwingen den Betrachter dazu,<br />
das Dargebotene zu hinterfragen und<br />
sich auf die Suche nach der Ursache der<br />
Störung zu begeben. Wie bei ihrem Mo-<br />
tiv „Suchender“. Wer verhüllt sich hier<br />
und warum? Das weiße Tuch erinnert<br />
an ein Gespenst, die Form aber auch<br />
an eine Burka. Beobachten wir hier ein<br />
Spiel, eine Demonstration oder einen<br />
Rollentausch? Wie würde dieses Bild<br />
auf uns wirken, wenn das Tuch schwarz<br />
wäre, und darunter kein Allerweltsoutfit<br />
sondern traditionelle Frauenkleidung<br />
zum Vorschein käme? Wer sich<br />
auf die Bilder von Levke Leiß einlässt,<br />
beginnt einen inneren Monolog, an dessen<br />
Ende er stets klüger ist als vorher.<br />
Dieses Vergnügen hält die Berliner Art<br />
Now Gallery als Edition im Offsetdruck<br />
in einer Auflage von 75 bereit.<br />
Ca. 60 x 42 cm, von der Künstlerin signiert<br />
und datiert, und das zum Preis<br />
von 175 Euro. Ein super Deal für junge<br />
Sammler. art-nowgallery.com
GESTRICKTER CHIC<br />
AUS FINNLAND<br />
Haben unsere nordischen Nachbarn<br />
einen am Kopp? Da strickt eine Armada<br />
finnischer Omis für uns kuschelige<br />
Begleiter für den Winter. Dieses ganze<br />
Designunternehmen nennt sich Myssyfarmi<br />
(Mützenfarm) und liegt in der<br />
Provinz Pöytyä Vistola, die 8.216 Menschen<br />
zählt. Einige von ihnen züchten<br />
Schafe auf einsamen Bio-Bauernhöfen,<br />
wo man die strickenden Großmütter<br />
liebevoll Myssy-Mumien oder Myssymummu<br />
nennt. Jeder dort kennt sie<br />
wegen ihrer Mützen.<br />
Terttu, Sallo, Soili, Outi, Eeva und Ritva<br />
und einige andere Omas verbringen auf<br />
der „Farm“ viel Zeit zusammen, während<br />
sie die Wolle in Form bringen – auf<br />
Finnisch: Myssymuumoude. Die fertigen<br />
Strickwaren schmiegen sich wunderbar<br />
um die Murmel, und manche<br />
von ihnen tragen hübsche kleine Holzanhänger<br />
auf der Frontseite. Uns hat<br />
diese Baskenmütze am besten gefallen,<br />
eine formschöne Alternative zu den<br />
eher klassischen Wollmützen. Mehr Informationen<br />
finden Hipsters, Look-alikes,<br />
Trendagenten und Stylomaten im<br />
Netz unter, um 90 Euro, zu ordern über<br />
koti-ahrensburg.com
WIE PORZELLAN ZU<br />
<strong>KUNST</strong> AVANCIERT<br />
Es ist nach wie vor gängige Praxis, dass Porzellanobjekte<br />
eher als „Kunstgewerbe“ abgetan und in Sammlerkreisen<br />
kaum als Wertanlage betrachtet werden. Andere<br />
Kunstsparten schon. Doch wenn ein hoffnungsvolles<br />
Talent, das gerade seine erste große Einzelausstellung<br />
in einer nicht ganz unbekannten Museumsinstitution hat<br />
(schauen Sie mal in unseren Hotspots im Hauptheft),<br />
eine Vase vorlegt, sieht das ganz anders aus.<br />
Der Künstler Benjamin Houlihan erinnert sich. „Das war<br />
ganz schön tricky. Über einen Sammler, der gern Projekte<br />
macht, hat Fürstenberg mich angesprochen. Porzellan?<br />
Damit hatte ich noch nie gearbeitet. Ich habe dann zwei<br />
Hälften modelliert, die zusammenfließen und diese Vase ergeben.<br />
Außen ist das Porzellan rau. Innen glasiert mit einem<br />
komplexen Innenleben. Eines meiner<br />
»licked paintings« wurde<br />
dafür verfilmt, auf Folie<br />
übertragen und diese<br />
wiederum innen aufgetragen.<br />
Rot ist die heikelste<br />
Farbe, die man<br />
überhaupt machen<br />
kann. Die Manufaktur<br />
hat meinen Ton<br />
ziemlich genau getroffen.<br />
Als Edition<br />
von 25 Exemplaren, je<br />
3.200 Euro.<br />
fuerstenberg-porzellan.com
UND WAS ZIEHT DEN MANN<br />
IN DIESER SAISON SO AN?<br />
Na gut, die ausgewaschene Jeans könnte bleiben,<br />
aber ausgelatschte Sneaker sind kein Statement für<br />
stilbewusste Männer. Violette Hosenträger zur karierten<br />
Hose „New Blackwatch“ von Rota aus reiner<br />
Wolle schon. Ein wenig Klassik schadet nicht. Zum<br />
zweireihigen Sakko „The Golden Blazer“ aus Wolle<br />
und Kaschmir von Drago – es entsteht in Handarbeit<br />
und macht eine schlanke Linie. Der Rollkragenpullover<br />
„Gentry Rollneck“ lockert den Look etwas auf und hält<br />
warm (6-Ply-Kaschmir aus Schottland). Denken Sie<br />
an Ihre Gasrechnung und an die Umwelt. Er begleitet<br />
Sie lang. Fehlen noch die Schuhe, die über ihren Träger<br />
so einiges verraten. Wer Edward Green Butterfly<br />
Loafers trägt, der weiß, was er für 1.600 Euro erhält:<br />
„Nur noch wenige Schuhmacher sind in der Lage,<br />
so etwas herzustellen. Das aus Italien stammende<br />
Mink-Suede Wildleder ist ein Edward Green Essential<br />
und verleiht den Schuhen durch seinen feinen Glanz,<br />
einen wunderbar subtilen Charakter. Ein Rauleder, das<br />
trotz seiner angenehmen Weichheit eine hohe Widerstandsfähigkeit<br />
besitzt“, verrät uns Michael Jondral,<br />
der Herrenausstatter unseres Vertrauens. Auch der<br />
Rest ist preiswert, soll heißen seinen Preis wert. Riskieren<br />
Sie ruhig mal einen Blick in den chic gemachten<br />
Online-Shop. Gucken kostet nix. michaeljondral.com
EIN GANZ KLARES<br />
JA ZUM „NEIN“<br />
Was für eine magische Farbigkeit zaubert<br />
Ivana de Vivanco hier auf die Leinwand.<br />
Das Kleinformat mit den Maßen<br />
40 auf 36 cm zeigt etwas, das sonst<br />
eher der Kamera vorbehalten bleibt: Bewegung.<br />
Und zwar vehement. Der Pinsel<br />
scheint über die Leinwand geflogen<br />
zu sein, verdichtet an manchen Stellen<br />
das Rouge, während er die Farbe auf<br />
den Lippen fast schon wieder abträgt<br />
und die Konturen verwischt. Gleichzeitig<br />
spiegelt sich in Teilen des Kinns das Blau<br />
des Plafonds wider. Ein Kopf in Action,<br />
der sich von links nach rechts zu drehen<br />
scheint – mit einer konkreten Ansage:<br />
„No!“ So lautet der Titel des Werkes der<br />
Künstlerin mit peruanischer Mutter und<br />
chilenischem Vater. De Vivanco kam<br />
in Lissabon zur Welt und studierte in<br />
Chile und Leipzig. Wir erwidern ihr Nein<br />
mit einem ganz klaren Yes! – auch weil<br />
sie 2014 zu den Empfehlungen in „100<br />
Painters of Tomorrow“ (Thames & Hudson)<br />
gehörte, und weil es ein großartiges<br />
Werk ist, gesehen für 3.300 Euro in der<br />
Berliner<br />
galeriekornfeld.com
ALADIN HEISST JETZT PHILIPPE UND<br />
AUCH DIE WUNDERLAMPE IST NEU<br />
Die französische Koryphäe des zeitgenössischen<br />
Designs, Philippe Starck,<br />
entwirft die neue Kollektion von Raumluftpflege<br />
für das französische Traditionsunternehmen<br />
Maison Berger<br />
Paris. Sie umfasst Lampe Berger Katalyselampen,<br />
Raumduft Diffuser und<br />
elektrischer Diffuser in Verbindung mit<br />
drei Düften, die von Philippe Starck ursprünglich<br />
als Parfum für den Körper<br />
entwickelt und von Maison Berger Paris<br />
als Raumdüfte umgesetzt wurden. In<br />
der Formsprache der Objekte bezieht<br />
sich der Designer mit einer modernen<br />
Interpretation von Laborgegenständen<br />
auf die Wurzeln des französischen<br />
Hauses, das von Maurice Berger, einem<br />
Apotheker und Erfinder der berühmten<br />
Lampe Berger, Ende des 19. Jahrhunderts<br />
gegründet worden war. Aber wie<br />
funktioniert das patentierte Katalyse-<br />
system eigentlich? Es ist ein einfaches<br />
Wunderwerk: Im Zentrum der Lampe<br />
befindet sich ein katalytischer Brenner.<br />
Er besteht aus zwei Temperaturbereichen<br />
(Wärmezonen): dem äußeren Bereich,<br />
der eine Temperatur von ungefähr<br />
500°C erreicht, und dem inneren Teil,<br />
der sich auf nur etwa 200°C erhitzt. Im<br />
äußeren Bereich zirkuliert die Luft durch<br />
die Hitze um den Brenner und spaltet so<br />
geruchstragende Moleküle in der Raumluft<br />
auf, es neutralisiert sie. Die niedrigere<br />
Temperatur im Inneren ermöglicht die<br />
Freisetzung der Duftstoffe und verteilt<br />
diese gleichmäßig im Raum.<br />
Das Ergebnis sind sowohl eine reinere<br />
Luft als auch eine angenehme Beduftung.<br />
Wer sich von diesem sensorischen<br />
savoir vivre inspiriert fühlt, kann die<br />
Lampen online bei Maison Berger Paris<br />
ab 119 € erwerben. maison-berger.de
ACHTEN SIE AUF DAS KLEINE<br />
KROKODIL. ES LOHNT SICH.<br />
Manchmal wird man morgens wach und möchte sich am<br />
liebsten die Decke über den Kopf ziehen. Dann mummelt<br />
man sich ein – vielleicht mit einem Tee oder Kaffee – und<br />
sinniert über den angebrochenen Tag oder die vergangene<br />
Nacht. Vielleicht. Denn es könnte auch genauso sein, dass<br />
die Bettwäsche so stylish aussieht, dass man sie am liebsten<br />
anziehen würde. Was für ein starkes Outfit wäre das<br />
– vielleicht als Jacke zum Snowboard. Da kommt Mann<br />
schon mal ins Träumen und Nachdenken ... Der Bettbezug<br />
„L Monogram Marine“ aus der Herbst-Winter-Linie von<br />
Lacoste sieht so schön aus. Und dann dieser atmungsaktive<br />
Biobaumwoll-Piqué und das emblematische Dessin.<br />
Ein Träumchen. Einfach zum Verlieben. Gut, dass es ein<br />
klassisches Polohemd in sattem Blau gibt, mit dem man<br />
sich über den Tag trösten kann. Die nächste Nacht kommt<br />
bestimmt, und damit die prägnanteste Bettwäsche aus<br />
der Lacoste-Kollektion zum Einsatz. Das kleine grüne Krokodil<br />
als ikonisches Markenzeichen entdeckt man darauf<br />
sofort. Den gedruckten Schriftzug „Lacoste“ im Rapport<br />
erst bei genauem Hinschauen. Wie chic. Es kommt immer<br />
auf die Details an. Kissen ab 55 Euro, Decke ab 170 Euro<br />
online im Shop von<br />
yvesdelorme.com
GESTATTEN: „GATSBY“,<br />
FORMFOLLENDET.<br />
So stehen sie da: Champagner-, Rotwein-, und<br />
Wasserglas, dann ein weiteres für Weißwein<br />
sowie die passende Karaffe für Wasser. Wer<br />
sie berührt und hochhebt, ist von der feinen<br />
Ausführung und dem soliden Gewicht der Serie<br />
„Gatsby“ überrascht. Alle Wandungen sind<br />
optisch geblasen. Dafür verwendet der Glaswerker<br />
Model – meist aus Holz –, in die jedes<br />
Kristallglas einzeln geblasen wird. Diesem Prozedere<br />
ist auch die elegante Rippung geschuldet,<br />
die nicht mit Schliff verwechselt werden<br />
sollte. Die Technik lässt subtile Teile entstehen,<br />
die zu einer der schönsten Lambert-Tableware-<br />
Linien avancieren. Man erhebt das Glas, schaut<br />
hindurch und vegisst die eher glanzlose Zeit; ab<br />
30 bis 140 Euro. lambert-home.de
DIE <strong>KUNST</strong> DER<br />
VERFÜHRUNG<br />
Allein die Tatsache, dass „Juniper“ – ein ausgesprochen<br />
sinnlicher und belebender Unisexduft<br />
– neuerdings im Sortiment bei Andreas Murkudis<br />
in Berlin Furore macht, spricht für sich. Der<br />
Mann hinter dem bekanntesten Concept Store<br />
Deutschlands ist begeistert von dem Eau de<br />
Parfum des Traditionshauses Retterspitz,<br />
sonst eher bekannt für heilende und pflegende<br />
Produkte. „Juniper“ ist so besonders: Über<br />
einer Herznote aus Jasmin und Freesie erheben<br />
sich Wacholder und Basilikum, untermalt<br />
von Baumharz und Moschus. Parfumeur Geza<br />
Schön zog dafür alle Register seiner Duftorgel.<br />
Nun legt der bekannte deutsche Parfumeur<br />
nach und komponierte einen neuen Raumduft<br />
namens „Jardin“: Ein feines Fluidum aus<br />
Freesie, Rose und Jasmin, darüber Bergamotte<br />
und Kardamom, abgerundet mit Sandelholz &<br />
Myrrhe. Schöns Komposition hat eine stresslösende,<br />
ausgleichende Wirkung und kann als<br />
Stimmungsaufheller interpretiert werden, der<br />
Wärme und Geborgenheit vermittelt.<br />
Der Winter kann kommen. Zu Hause verbreitet<br />
sich ein Wohlgeruch, der sie in einen Garten für<br />
ein Rendezvous der Sinne entführt. Beim realen<br />
Date vor der Haustür wirken Sie umso verführerischer,<br />
wenn sie „Juniper“ auflegen. Eau<br />
de Parfum 90 Euro, Raumduft 40 und 60 Euro.<br />
Alle Produkte online über retterspitz.de
WOHN!DESIGN 6I<strong>2022</strong><br />
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