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70
FOTOS: LAT IMAGES
FORMEL 1
EXKLUSIV: Charles Leclerc 18
REGELN 2021: Revolution geglückt? 24
NICO HÜLKENBERG: Der unvollendete Hulk 34
TALENT-CHECK: Über- oder unterschätzt? 40
INTERVIEW: Valtteri Bottas 48
TOP-5: Schumi-Mania 1994 52
24
Die
SAISON 2021: REVOLUTION GEGLÜCKT?
Formel 1 steht vor ihrer größten Bewährungsprobe: gelingt die
Regel-Revolution für die Saison 2021? Wir nehmen die geplanten
Neuerungen, inkl. der neuen Boliden, genau unter die Lupe.
MOTORRAD
LORENZO: Zwischen Mensch und Maschine 58
TOP-5: Lorenzos beste MotoGP-Rennen 66
ALEX MARQUEZ: Marquez total 70
YAMAHA: Verstimmt 78
2019: Saison der Rekorde 82
BRAD BINDER: Happy End 90
MOTO3: Italienische Aufholjagd 94
MOTORSPORT
DTM: Helden brauchen keine Beine 98
INTERVEW: Manfred Sandbichler 102
ELEKTRO-RENNSPORT: e-volution 104
FORMEL E: Rasanter Zukunftstreiber 106
MOTORSPORT: Le Mans -> Nordschleife 110
ADAC MOTORSPORT: Splitter 112
SERVICE
INSIDE 06
KOLUMNEN 10
IMPRESSUM 114
MARQUEZ TOTAL
Das gab‘s noch nie in der MotoGP: Alex und Marc Marcquez schreiben
in der Saison 2020 Geschichte! Zwei Brüder im gleichen Team und
nur ein Ziel: die Marquez-Dominanz erweitern.
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www.Motorsport-Magazin.com 3
EDITORIAL
FOTOS: MOTORSPORT-MAGAZIN.COM
NIX DA WINTERPAUSE!
DIE MOTOREN RUHEN, WIR ABER NOCH LANGE NICHT! AUCH IN DER RENNFREIEN
ZEIT GIBT ES BEI UNS RACING PUR.
Christian: So, ich bin dann mal weg!
Jonas: Wie jetzt?!
Florian: Jetzt bleibt er nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi
eiskalt in der Wüste.
Jonas: So eiskalt sieht’s auf seinen Urlaubsfotos
nicht aus...
Stephan: Aber nach der langen Saison mit 21 Rennen hat
er es sich ja fast verdient. ;o)
Florian: Waaas?!
Stephan: Aber Christian kommt auch im Urlaub nicht von
den Motoren los und schaute für unsere Leser bei den
Formel-2-Tests mit Mick Schumacher vorbei. Lasst euch
überraschen, was er davon für euch mitbringt!
Jonas: Kleiner Tipp: Schaut mal auf unser
letztes Cover!
Florian: Und haltet Ausschau auf unseren Social Media Kanälen.
Denen folgt ihr ja bestimmt ohnehin schon...
[Postbote klingelt und bringt ein Nachnamepaket für Christian
aus den USA]
Stephan: Hm, weiß jemand was davon?
Gesamte Redaktion im Chor: Nein!
Stephan [zückt nachdenklich die Brieftasche]: Vielleicht
müssen wir doch noch mal nachgehen, was da bei den
vielen Überseereisen tatsächlich passiert...
Klaus: Das Heft ist im Druck, dann können wir ja jetzt auch
Winterurlaub machen, oder?
Stephan: Die Betonung liegt auf könnten.
Klaus: Ist jetzt nicht Winterpause?
Jonas: Beim Blick auf den immer weiterwachsenden
Rennkalender habe ich das Gefühl,
dass es gar keine Pause mehr gibt.
Florian: Pause gibt’s nicht. Wir müssen unseren Lesern und
Zuschauern ja auch im Winter etwas bieten...
Robert: Formel E zum Beispiel!
Stephan: Zum Beispiel. Mit vielen News von Robert auf
unserer Webseite und in unserer App. Ganz kostenlos für
Android und iOS.
[Shameless Plug: hol Dir unsere App unter
www.motorsport-app.com]
Robert: Das Magazin haben unsere Leser ja sicher schon
abonniert. Aber falls nicht, macht das!
Florian: Noch ein Werbeblock – ist ja fast wie im Free TV.
[Werbeblock: sichere Dir unser Magazin versandkostenfrei
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Jonas: Auch als ePaper erhältlich! Falls jemand
lieber auf die digitale Version setzt.
[Kurz zurück ins Funkhaus: www.motorsport-magazin.com/
goto/epaper]
Klaus: Aber warum denn? Das gedruckte Heft riecht doch
so guuuut!
Stephan: Und falls jemand keine Lust hat, unsere Artikel
online oder gedruckt zu lesen...
Robert: Was schon ein gewisser Frevel wäre!
Stephan: ... der kann sich entspannt zurücklehnen und uns
in unseren YouTube-Videos beim Diskutieren zusehen!
[Sucht einfach nach Motorsport-Magazin oder
seht euch die Videos in unserer App an]
Florian: Yes! Wir beantworten auch im Winter Eure Fragen
in unterhaltsamen Q&As.
Jonas: Da sind wieder einige coole Fragen
dabei!
[#ASKMSM nicht vergessen]
Stephan: Und wer lieber eins auf die Ohren bekommt: Kein
Problem! Unsere längeren Videos gibt es auch als Podcasts
bei Apple Podcasts, Spotify & Co.
Florian: Das war jetzt fast mehr Werbung auf einen Schlag
als bei einer TV-Übertragung...
4 www.Motorsport-Magazin.com
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FORMEL
INSIDE
TEXT: Markus Steinrisser & Manuel Sperl
FOTOS: LAT IMAGES
REKORDJÄGER
2020 KANN LEWIS HAMILTON MICHAEL SCHUMACHERS BESTMARKE VON SIEBEN TITELN EGALISIEREN - UND
AUCH SONST SIND FAST ALLE REKORDE IN REICHWEITE. WAS HAMILTON SCHON HAT, UND WAS NOCH FEHLT.
Platz zwei hinter Michael Schumacher (91). Den Rekord für
die meisten Siege mit einem Motorhersteller hält Hamilton
schon, alle 84 feierte er mit Mercedes-Triebwerken.
88
REKORD. HAMILTON HAT DIE
REKORD. HAMILTON HAT DIE
KUNST DER QUALIFIKATION WIE
KEIN ANDERER GEMEISTERT, UND
IST SCHUMACHER UM 20 POLES
ENTEILT.
6 www.Motorsport-Magazin.com
151 x
AUF DEM PODIUM: P2 HINTER MICHAEL
SCHUMACHER (155). P1 IST GREIFBAR NAH.
33 PUNKTEANKÜNFTE
IN FOLGE
REKORD. UND DIE SERIE LÄUFT NOCH. 2020
KANN HAMILTON SIE WEITER VERLÄNGERN.
17 PODIEN IN EINER SAISON
ZWAR MUSS ER SICH DEN REKORD MIT SCHUMACHER
UND VETTEL TEILEN. ABER HAMILTON SCHAFFTE ES ALS
EINZIGER VIER MAL (2019, 2018, 2016, 2015).
413 PUNKTE IN EINER SAISON
Rekord. 2019 überbot Hamilton seine eigene
19
Bestmarke nochmals um fünf Punkte.
START/ZIEL SIEGE
BEIM FINALE IN ABU DHABI STELLTE
ER AYRTON SENNAS REKORD EIN.
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MOTORRAD
INSIDE
TEXT: Katrin Dökel & Manuel Sperl
MOTOGP FEIERT CHAMPIONS
Marc Marquez, Alex Marquez und Lorenzo Dalla Porta sind die Motorrad-Weltmeister
2019. Alle drei fixierten ihre Titel bereits vor dem
Saisonfinale in Valencia. Der WM-Kampf in der MotoGP wurde bereits
am fünftletzten Wochenende in Thailand entschieden. Zwei Rennen
mehr brauchte Dalla Porta in der Moto3, eine weitere Woche später
war Alex Marquez Moto2-Champion.
NEUSTART
FÜR FOLGER
Hinter Jonas Folger liegen harte Wochen.
Anfang November wurde er überraschend aus
der Position als MotoGP-Testfahrer für Yamaha
enthoben. Auch aus einer Rolle im neuen
WSS-Projekt für Kiefer Racing wurde nichts.
Nun fand Folger doch noch einen Job für 2020:
Er fährt für MGM in Superbike-Klasse der IDM,
drei WSBK-Wildcards sind geplant.
8 www.Motorsport-Magazin.com
FOTOS: LAT IMAGES, MOTOGP
WSBK-COMEBACK
Deutschland hat wieder einen Superbike-WM-Lauf! Von 31. Juli
bis 2. August 2020 gastieren Jonathan Rea, Scott Redding & Co.
in der Motorsport Arena Oschersleben.
TERMINE 2020
Phillip Island 28.02. - 01.03.
Losail 13.03. - 15.03.
Jerez 27.03. - 29.03.
Assen 17.04. - 19.04.
Imola 08.05. - 10.05.
Aragon 22.05. - 24.05.
Misano 12.06. - 14.06.
Donington 03.07. - 05.07.
Oschersleben 31.07. - 02.08.
Portimao 04.09. - 06.09.
Barcelona 18.09. - 20.09.
Magny-Cours 25.09. - 27.09.
San Juan 09.10. - 11.10.
VERRÜCKTER HAIFISCH
Johann Zarco ist der neue Crash-König der MotoGP. In der abgelaufenen
Saison ging er 17 Mal zu Boden und führt diese unrühmliche Statistik
damit vor Jack Miller (15 Stürze) sowie Francesco Bagnaia und Marc
Marquez (je 14) an. Klassenübergreifend haben zwei Briten die Nase
vorne: Sam Lowes flog in der Moto2 20 Mal ab, Tom Booth-Amos verbuchte
in der Moto3 gleich 22 Crashes.
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KOLUMNE | MOTORRAD
TEXT: MICHAEL HÖLLER
HATERS GONNA HATE
WARUM MAN ES EINIGEN NIE RECHT MACHEN KANN...
FOTOS: LAT IMAGES
A
lex Marquez steigt 2020 in die MotoGP auf.
Der amtierende Moto2-Weltmeister fährt in
der kommenden Saison also in der höchsten
Kategorie der Weltmeisterschaft. Wie in den
vergangenen drei Jahren bereits Francesco Bagnaia,
Franco Morbidelli und Johann Zarco vor ihm. So weit,
so gut und eigentlich eher Regelfall als Ausnahmesituation,
denn seit Einführung der Moto2-Klasse vor
zehn Jahren schaffte es der jeweilige Titelträger nur
zweimal nicht, direkt in der MotoGP anzudocken.
War man in den Tagen des Saisonfinales, als der
Deal nach dem überraschenden Rücktritt von
Jorge Lorenzo eingefädelt wurde, aber in den sozialen
Medien oder den Kommentarforen der großen
Motorsport-Portale unterwegs, so konnte man fast
glauben, der Wechsel wäre der finale Akt einer
groß angelegten Verschwörung. Demnach habe
die Marquez-Fraktion Jorge Lorenzo zum Rückzug
gedrängt, um Platz zu schaffen für die komplette
Machtübernahme des Familienimperiums aus
Cervera beim mächtigsten Motorrad-Hersteller
der Welt. Entsprechend viel Antipathie schlug den
Marquez-Brüdern in diesen Tagen entgegen. Als
neutraler Beobachter musste man sich fragen: Was
bitte geht denn hier ab? Sich übergebende Smileys
waren in diesen Tagen noch die appetitlichsten der
Kommentare unter der Gürtellinie, die so mancher
Neider von sich gab. Dass es sich bei Alex um den
amtierenden Champion handelte, der zwar kein
Recht auf einen Aufstieg hat, aber damit zumindest
ein lupenreines Empfehlungsschreiben besitzt, hatten
viele entweder nicht mitbekommen oder wollten
dies einfach nicht wahrhaben. Zuletzt wurde sogar
die Klasse des Moto2-Champions in Frage gestellt,
weil dieser fünf Jahre gebraucht habe, um den
WM-Titel zu erringen. Zum Vergleich: Auch Johann
Zarco war fünf Jahre in der Moto2 unterwegs, bevor
er in die MotoGP aufstieg. Lorenzo Baldassarri hat
ebenfalls bereits fünf Jahre auf dem Konto, Marcel
Schrötter steht sogar bei siebeneinhalb. Valentino
Rossis Halbbruder Luca Marini absolviert 2020 seine
fünfte Moto2-Saison. Sollte man all diesen Fahrern
in Zukunft einen MotoGP-Aufstieg verwehren? Nein
und das würde wohl auch kaum jemand ernsthaft
fordern. Diese Piloten heißen allerdings auch nicht
Marquez. Ein Name, der vor allem bei einer ganz
bestimmten Fan-Fraktion regelmäßig unappetitliche
bis unentschuldbare Kommentare nach sich zieht.
Recht machen kann man es diesen Leuten ohnehin
nicht, frei nach dem Motto: »Haters gonna hate.«
Honda hat sich mit Alex Marquez den amtierenden
Weltmeister der Moto2 geholt, als sich durch den
Lorenzo-Rücktritt die Chance dazu ergab. HRC war
damit schneller als seine Konkurrenten im Werben
um eine vielversprechende Zukunftshoffnung. Dass
dieser Champion ausgerechnet den gleichen Nachnamen
wie Hondas wichtigste Aktie trägt, ist zwar
kein Zufall, ist aus Sicht der Marketing-Abteilung
aber wichtiger als für die Rennsport-Fraktion des
Konzerns. Denn die will nur eines: Erfolge sehen.
Als Rookie auf das wohl einsteigerunfreundlichste
Motorrad zu steigen und dann auch noch den
direkten Vergleich mit dem aktuell begnadetsten
Motorradpiloten der Welt anzutreten, verlangt Mut.
Hut ab vor dieser Entscheidung von Alex Marquez,
der sich im kommenden Jahr beweisen müssen wird
und wohl vor der härtesten Prüfung seines Lebens
steht. Eines ist allerdings sicher: Seinen Platz in der
Königsklasse hat sich der zweifache Weltmeister
redlich verdient.
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sind.“
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zum Standardwerk geworden und
sollte seinen Platz neben dem Duden
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KOLUMNE | FORMEL E
TEXT: ROBERT SEIWERT
FORMEL E, ODER AUCH:
WAR WAS?
STILLSCHWEIGEND AKZEPTIERT: DER SAISONAUFTAKT IN SAUDI-ARABIEN SORGTE ERNEUT FÜR KONTROVERSEN.
S
tell dir vor es ist Formel E und keiner geht
hin. So müssen sich die Teams und Fahrer
beim äußerst kontroversen Saisonauftakt
in Saudi-Arabien Ende November vorgekommen
sein. Die wenigen Berichterstatter vor Ort sprechen
von rund 700 (siebenhundert) Zuschauern bei den
Rennen nahe der Hauptstadt Riad. Die eigentlich
beliebte Autogrammstunde am Freitag wurde
kurzfristig abgesagt - mehr Fahrer als Fans in der
Warteschlange.
Wenn überhaupt erwähnt, wurde der Saisonstart
der Elektro-Serie in den großen Medien kritisch
betrachtet. Und das schon zum zweiten Mal in Folge,
nachdem Gründer Alejandro Agag vor einem Jahr
Saudi-Arabien als eine neue Heimat der Formel E
auserkoren hatte. Zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt,
der Fall Khashoggi lässt grüßen...
Laut Vertrag müssen Fans und Sponsoren (die
meisten kehrten das Rennwochenende flugs unter
den Tisch) noch acht Mal einen Saisonauftakt in
Saudi-Arabien miterleben. Für die Unterschrift unter
dem Dekadenvertrag kassierte Formel-E-Gründer
und Geschäftsmann Alejandro Agag nach unseren
Informationen rund 200 Millionen Euro. Zu lukrativ
offenbar, um die Bedürfnisse der eigenen Serie in
den Vordergrund zu stellen.
Ein verblüffend kurzsichtiger Schritt einer Rennserie,
die in ihren Anfangsjahren trotz hoher Schulden
jeden eingenommenen Cent in Werbung und
Weiterentwicklung investierte - und durch einen
wahren Hersteller-Boom belohnt wurde. Die Formel
E hat den Zeitgeist getroffen wie keine Rennserie in
der Geschichte des Sports zuvor. Der Deal mit den
Saudis war der erste böse Rückschlag, doch die
Involvierten akzeptieren stillschweigend.
Für die meisten Beteiligten der Formel E beginnt die
sechste Saison erst im Jahr 2020. Der genaue Zeitpunkt
ist unklar, als nächstes wäre am 18. Januar
der ePrix in Santiago de Chile an der Reihe. Da, wo
Massenproteste in Folge der schwersten sozialen
Krise des Landes seit 30 Jahren tausende Verletzte
und mehrere Todesopfer gefordert haben. Dafür
kann die Formel E im Gegensatz zu Saudi-Arabien
allerdings nichts.
Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine weitere spektakuläre
Saison, deren historischer Wert durch den
mehr als diskutablen Saisonauftakt zumindest
geschmälert worden ist. Audi, BMW, Mercedes-
Benz, Porsche - vier deutsche Giganten im direkten
Wettbewerb, das hat es zuvor noch nie in einer FIA-
Meisterschaft (ab 2020/21 sogar offiziell Weltmeisterschaft)
gegeben.
Da wir uns ganz am Ende dieser Kolumne auch
mit dem Sportlichen befassen wollen, können wir
sagen, dass der Saisonstart vielversprechend war.
BMW holte zwei Poles und einen Sieg, Porsche
fuhr auf Anhieb aufs Podium und Mercedes - das
kennen wir irgendwoher - führt die Meisterschaft
an. Dass von deutschen Herstellern entwickelte
Antriebsstränge in beiden Rennen sämtliche
Podiumsplatzierungen einnahmen, spricht für
sich. Zumindest in dieser Beziehung trumpft die
einheimische Elektromobilität groß auf.
Die Zutaten für eine dramatische Saison sind im
Überfluss vorhanden. Sie müssen nur an der richtigen
Stelle gekocht werden.
FOTOS: LAT IMAGES
12 www.Motorsport-Magazin.com
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WIE NIEMAND ZUVOR.
ABT SQ8 - Verbrauchswerte nach WLTP in l/100 km (die angegebenen Verbrauchswerte beziehen sich
auf das Serienfahrzeug, die durchgeführten Maßnahmen finden jeweils nach Erstzulassung statt):
niedrig 12,0, mittel 9,3, hoch 7,5, extra hoch 8,8, kombiniert 8,9; CO 2-Emissionen kombiniert: 234 g/km.
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KOLUMNE | FORMEL 1
TEXT: STEPHAN HEUBLEIN
EIN DENKWÜRDIGES JAHRZEHNT
WAS BEWEGTE DIE FORMEL 1 IN DEN VERGANGENEN ZEHN JAHREN?
Und wieder liegt ein Jahrzehnt hinter uns.
Umso mehr werden wir an allen Ecken und
Enden mit den Tops und Flops der 2010er
Jahre bombardiert - egal, ob es Filme, Musikalben
oder Tore sind. Da wollen wir natürlich nicht fehlen.
Was ist mir im Gedächtnis hängen geblieben
von den zurückliegenden zehn Jahren Formel 1?
Was waren die besten, spannendsten oder spektakulärsten
Rennen? Die größten Aufreger oder die
verrücktesten Momente?
Um es mit den oft wiederholten Worten von Lewis
Hamilton zu sagen: „Ich kann mich gar nicht mehr
richtig erinnern, was in allen Rennen passiert ist.“
Selbst die Rennen der vergangenen Saison verschwimmen
rasch ineinander. Im Jahr 2020 erwarten
uns zu Beginn des neuen Jahrzehnts sogar 22
Grands Prix - ein neuer Rekord.
Obwohl wir uns nicht immer auf Anhieb an alles
erinnern, ist natürlich trotzdem viel passiert in
den letzten zehn Jahren. Was sticht dabei heraus?
Natürlich einmalige Momente wie das Comeback
von Michael Schumacher bei Mercedes oder auch
die stets unterhaltsamen (Funk-)Sprüche von Iceman
Kimi Räikkönen. Wer erinnert sich nicht an seinen
legendären Auftritt bei der FIA Preisverleihung
2018. „Leave me alone I know what I’m doing“ ist
sogar auf unzähligen T-Shirts in aller Welt verewigt
und wird in den Köpfen der F1-Fans wohl niemals
verblassen - höchstens auf dem T-Shirt von Jonas...
Aber wichtig ist bekanntlich auf dem Plat... nein,
der Rennstrecke. Da kommt mir, aus welchem
Grund auch immer, zunächst der Bahrain GP 2014
ins Gedächtnis. Ich kann es nicht genau begründen,
vielleicht weil wir in dieser Zeit nicht so viele
packende Rad-an-Rad-Zweikämpfe um den Sieg
hatten. Aber das Duell Rosberg gegen Hamilton
unter dem Flutlicht von Sakhir hat einen besonderen
Platz in meinen Erinnerungen erhalten.
Und sonst? Natürlich Chaos-Rennen wie Kanada
2011 mit fünf Safety-Car-Phasen und einer Aufholjagd
von Jenson Button, der sich kurz vor Schluss
Sebastian Vettel doch noch schnappte. Leider gab
es im vergangenen Jahrzehnt aber auch einige
traurige und schwierige Momente, über die wir
berichten mussten. Etwa Michael Schumachers
Ski-Unfall. Und natürlich viel zu viele Mitglieder der
Formel-1-Familie, von denen wir zu früh Abschied
nehmen mussten - Jules Bianchi, Charlie Whiting,
Niki Lauda oder zuletzt auch Anthoine Hubert, um
nur einige zu nennen. Sie werden uns immer in
Erinnerung bleiben, weit über das kommende Jahrzehnt
hinaus.
Einer unserer YouTube-Zuschauer stellte uns für ein
Q&A-Video (#ASKMSM nicht vergessen) die Frage,
ob sich die Formel 1 im Verlauf des Jahrzehnts
verbessert oder verschlechtert habe. Für mich
persönlich, aber auch viele in unserer Redaktion,
ist die Antwort einfach: eindeutig verbessert! Die
Autos sehen seit den Regeländerungen von 2017
deutlich besser aus und die Rennen sind spannender
geworden. Natürlich sind sie das nicht
immer, aber wie viele langweilige Fußballspiele
gibt es pro Jahr? Da kann man auch mal einen
Frankreich oder Abu Dhabi GP zwischendurch
verkraften. Erst recht, wenn es wie 2019 solche
Highlights wie Österreich, Silverstone, Hockenheim
oder Ungarn gibt.
Das Feld wird 2020 wohl noch näher zusammenrücken
und ich bin überzeugt, dass wir dadurch einen
heißen Start ins neue Jahrzehnt hinlegen werden.
Das erhöht aber auch den Druck auf den großen
Umbruch in der Saison 2021. Das neue Regelwerk,
die neuen Autos, die Ideen von Ross Brawn & Co
müssen sitzen, damit wir erneut denkwürdige zehn
Jahre erleben.
FOTOS: LAT IMAGES
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SLIDESHOW | FORMEL 1 | #70 | 2019
BOXENSTOPP IN
SCHWERELOSIGKEIT
TEXT: STEPHAN HEUBLEIN
FOTO: RED BULL RACING
In der Formel 1 vergehen Reifenwechsel im wahrsten Sinne des Wortes
wie im Flug! Das galt nicht nur bei diesem Show-Boxenstopp mit
einem 2005er RB1 in 33.000 Fuß Höhe an Bord eines Ilyushin Il-76
MDK Kosmonauten-Trainingsflugzeugs. Gleich dreimal unterbot die
flinke Boxen-Crew von Red Bull in dieser Saison den vorherigen Weltrekord!
In 1,82 Sek. pulverisierte das Team die alte Bestmarke von
Williams aus dem Jahr 2016, die bei 1,92 Sek. stand. Aber die Jagd
nach immer neuen Rekordzeiten und strategischen Kniffen verlangt
auch ihre Opfer, wie Mercedes in Brasilien und Ferrari in Abu Dhabi
schmerzlich erfahren haben...
16 www.Motorsport-Magazin.com
www.Motorsport-Magazin.com 17
FOTOS: LAT IMAGES
18 www.Motorsport-Magazin.com
Charmanter
KILLER
TEXT: CHRISTIAN MENATH
CHARLES LECLERC: NETTER, WOHLERZOGENER JUNGE AUS
MONACO ODER EINE BRUTALE RENNMASCHINE? MOTORSPORT-
MAGAZIN.COM SPRACH MIT DEM YOUNGSTER ÜBER SEINE
ERSTE FERRARI-SAISON, DEN NÖTIGEN KILLERINSTINKT EINES
RENNFAHRERS UND DAS TEAM-DUELL MIT SEBASTIAN VETTEL.
www.Motorsport-Magazin.com 19
Ich glaube nicht, dass das zusammenhängt. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich in den ersten fünf,
sechs Rennen einfach nicht gut gefahren bin. Ich habe erst ziemlich hart an meiner Qualifying-Pace
und dann an meiner Rennpace gearbeitet. So wurde ich besser. Und wenn mehr Wettkampf zwischen
zwei Fahrern herrscht, dann werden die Dinge etwas knifflig. Aber am Ende ist es nicht so schlecht,
wie es von außen aussieht. Sebastian und ich haben eine gute Beziehung. Im Auto gibt es offensichtlich
manchmal Frustration, aber außerhalb des Autos sind wir clever genug, die volle Situation zu
verstehen.
Also ist es für dich egal, ob du um den Sieg oder Platz vier kämpfst?
Nein, natürlich nicht. Du bist viel motivierter, wenn du um den Sieg kämpfst. Aber das ist ebenfalls
mein Job: Auch wenn du harte Momente hast, musst du so motiviert sein, als würdest du um den Sieg
kämpfen. Das macht am Ende der Saison den Unterschied.
MSM: Wenn dir zu Beginn der Saison jemand
die meisten Pole Positions, die ersten Siege und
ein Top-5-Ergebnis in der WM angeboten hätte
- hättest du es genommen?
CHARLES LECLERC: Das ist eine schwierige
Frage. Auf der einen Seite bin ich sehr froh, es zu
haben. Auf der anderen Seite willst du immer
mehr. Zu Saisonbeginn, bevor wir zum ersten
Rennen gekommen sind, dachten wir alle, dass
wir eine gute Chance auf den Titel haben. Aber
nach den ersten zwei oder drei Rennen hätte ich
es auf jeden Fall genommen. Der Fortschritt war
sehr gut, ich bin als Fahrer sehr gereift. Das war
mein Ziel für diese Saison und damit bin ich sehr
glücklich.
Dachtet Ihr bei den Testfahrten auch, dass Ferrari
vorne ist?
Wir haben versucht, uns selbst davon zu überzeugen,
dass wir nicht vorne sind. Aber tief in mir
drinnen dachte ich - ich habe noch nicht so viel
Erfahrung in der Formel 1 -, dass wir einen Vorsprung
auf Mercedes haben. Es war eine Überraschung,
dann beim ersten Rennen doch ein ganzes
Stück hinter ihnen zu sein.
Genau genommen hat es teamintern schon in Australien begonnen. Auch in Bahrain und China gab
es Teamstrategien. Ist die Situation richtig gewachsen? Wie gehst du damit um?
Um ganz ehrlich zu sein: Zu Beginn ist es ziemlich schwer, wenn dir so etwas am Funk gesagt wird.
Vor allem wenn du aus den Nachwuchsserien kommst, wo du so etwas nicht hast. Da wirst du nie
gefragt, irgendetwas für deinen Teamkollegen zu machen. Da gibt es nur dich und das war es. Am
Ende ist es aber ziemlich klar, dass es in der Formel 1 um Teamwork geht. Ich habe es verstanden. Es
gab ein paar Momente wie in Bahrain, als ich dachte, dass ich in dieser speziellen Situation recht habe
und es nicht akzeptieren soll, weil ich dachte, dass ich im Auto mehr Informationen habe als die Jungs
an der Pitwall. Aber das wichtigste ist, dass Sebastian und ich verstanden haben - und ich glaube, nach
Sotschi ist das klar - dass wir uns an Teamorder halten sollen. Und das ist jetzt der Fall.
In Bahrain sagst du, es war richtig, die Teamanweisung zu ignorieren. Gab es in einem anderen
Rennen etwas, das du nicht hättest tun sollen?
Ich habe ehrlich gesagt nicht alle Episoden parat. [denkt lange nach] Das Beschweren am Funk in
Singapur. Das war keine Teamorder, aber es gab keinen Grund das zu fragen.
Du bezeichnest die Formel 1 als Teamsport. Aber wenn man sich die Historie ansieht, sind die meisten
erfolgreichen Piloten brutale Egoisten. Bleibst du dabei, dass die Formel 1 ein Teamsport ist?
Ich glaube noch immer, dass es ein Mannschaftssport ist. Sobald du gegen ein anderes sehr starkes
Team kämpfst, brauchst du beide Autos, die sich gegenseitig helfen können. Auf der anderen Seite
gibt es bestimmte Situationen, in denen der Fahrer ein bisschen egoistisch sein muss. Man muss hier
die richtige Balance finden.
Charles Leclerc überzeugte in
seiner ersten Saison in Rot
Wie schwierig war es, das dann zu akzeptieren?
Das war nicht so schlimm, zumindest nicht für
mich. Ich habe mich einfach auf meinen Job konzentriert.
Es ist ein bisschen enttäuschend, wenn
du beim ersten Rennen ankommst und du nicht
da bist, wo du sein willst. Aber von diesem
Moment an fokussierst du dich nur auf das Auto
selbst und versuchst, den bestmöglichen Job zu
machen.
Nach der Sommerpause war Ferrari konkurrenzfähig
und es begann ein teaminterner Kampf
zwischen dir und Sebastian. Was ist der Unterschied,
wenn du ‚nur‘ um Platz drei und vier
kämpfst oder wenn es um den Sieg geht?
20 www.Motorsport-Magazin.com
FOTOS: LAT IMAGES
Wie schwierig war es nach dem Qualifying in Monza und den Diskussionen,
dich am Sonntag auf deinen Job zu konzentrieren und zu gewinnen?
Es war schwierig. Vor allem, weil ich ehrlich glaube, dass die Situation nicht
so war, wie es von außen für manche Leute aussah. Ich glaube, manche Leute
haben es verstanden, aber es war einfach ein komplettes Chaos und es war
keine Absicht von meiner Seite. Man würde Situationen wie diese am liebsten
vermeiden, aber es gehört dazu. Ich persönlich war ziemlich glücklich, weil
ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht habe. Trotzdem bin ich etwas
enttäuscht, wenn ich sehe, dass manche Leute die Situation nicht ganz verstehen.
Deshalb war es etwas enttäuschend, aber am Ende okay. Ich habe
mich fokussiert und habe nach dem Rennen noch etwas mehr darüber
nachgedacht.
Rot gegen Silber: das alte
Duell lebte erneut auf
Leclerc war bei den
Reportern viel gefragt
»ICH GLAUBE, WENN DU BERECHNEND BIST,
BIST DU CLEVER. DAS GEHT EIN WENIG HAND
IN HAND. IMMER, WENN ICH IM AUTO BIN,
GEBE ICH MEIN BESTES. SO WAR ICH IMMER.
ICH HABE DIESEN KILLERINSTINKT. JEDES MAL,
WENN ICH IN EIN AUTO STEIGE, WILL ICH
NICHT ZWEITER, DRITTER, VIERTER ODER FÜNF-
TER WERDEN. ICH WILL EINFACH GEWINNEN.«
Für Leclerc glückte der
Einstand bei der Scuderia
Musst du dich dann darauf fokussieren, das aus deinem Kopf zu bekommen
oder bist du ohnehin im Tunnel?
Ich bin einfach im Tunnel. Manchmal passiert es, dass ich Gedanken habe,
die ich nicht haben möchte. Aber ich habe Techniken, die ich in der Vergangenheit
beim Mentaltraining gelernt habe, um sie loszuwerden. Meistens
bist du im Tunnel und denkst an nichts anderes, als daran, den Job zu
erledigen.
Kann ich dir eine persönliche Frage stellen?
Na klar.
Sieg beim Heimrennen von
Ferrari in Monza
Wenn man die Fans da draußen fragt: Viele sehen in dir einen smarten,
cleveren Jungen. In Deutschland gibt es viele Vettel-Fans, die in dir einen
berechnenden, abgeklärten Kerl sehen. Was bist du: Ein berechnender oder
ein smarter Kerl?
Hmm... Ich glaube, wenn du berechnend bist, bist du clever. Das geht ein
wenig Hand in Hand. Aber immer, wenn ich im Auto bin, gebe ich mein
Bestes. So war ich immer. Ich habe diesen Killerinstinkt. Jedes Mal, wenn
ich in ein Auto einsteige, will ich nicht Zweiter, Dritter, Vierter oder Fünfter
werden. Das ist mir egal, ich will einfach gewinnen. Ich glaube, es ist eine
Stärke, aber es kann manchmal auch eine Schwäche sein. Einige Fehler, die
ich dieses Jahr gemacht habe, sind Teil dieser Mentalität. Denn ich habe alles
in Momenten gegeben, in denen ich einfach nur die Punkte hätte mitnehmen
können. Nicht jeder wird mich dafür mögen, aber so bin ich nun mal. Ich
kann aber noch immer lernen, diese Mentalität hat auch positive Aspekte.
Aber es kann in anderen Momenten auch wehtun. Ich muss diese Mentalität
genau in diesen Momenten verstehen und kontrollieren. Ich bin mir ziemlich
sicher, dass das mit der Erfahrung kommen wird.
www.Motorsport-Magazin.com 21
Voller Einsatz beim
Boxenstopp
Schon vor der Saison gab es in den Medien viele Diskussionen
um die Fahrerpaarung bei Ferrari. Mattia
Binotto erklärte daraufhin Sebastian im Zweifel zur
Nummer eins. Du meintest, es wäre deine Aufgabe,
das mit Performance zu ändern. Ist dir das
gelungen?
Das weiß ich nicht, das ist eine Frage für Mattia. Aber
auf meiner Seite bin ich sehr zufrieden damit, wie
meine Saison lief. Ich habe mich stark entwickelt, es
gibt aber noch viel zu lernen. Ich bin zufrieden mit
dem, was ich gezeigt habe. Ich hoffe, dass ich mich
weiter so entwickeln kann wie in dieser Saison.
Mattia muss zwei sehr schnelle, ehrgeizige Fahrer
managen. Wie macht er das?
Mattia wirkt von außen sehr ruhig. Er ist sehr ruhig,
aber er hat auch die richtige Balance, um ein Teamchef
zu sein. Er weiß, wie er in schwierigen Moment auch
hart sein muss, wie zum Beispiel nach Sotschi. Auch
nach Singapur, es gibt viele Beispiele. Wann immer
er etwas sagt, steht er auch dahinter. Ich denke, es
wurde immer respektiert, wenn er nach etwas gefragt
hat.
Blicken wir auf deine Entwicklung in diesem Jahr.
Wenn du sagst, du hast deine Qualifying-Pace verbessert,
was bedeutet das? Du fährst seit deiner Kindheit
möglichst schnell, was ändert sich da in einem
Jahr?
Ich habe zu Saisonbeginn mit einem für mich komplett
neuem Auto begonnen. Ich musste verstehen,
wie das Auto funktioniert und wie es für mich funktioniert.
Ich musste verstehen, wie es am besten
zusammen funktioniert, ich gemeinsam mit dem
Auto. Das ist sehr wichtig, auch mit dem Team zu
arbeiten. Nach vier, fünf, sechs Rennen hat es Klick
gemacht und ich habe verstanden, was ich vom Auto
wollte. Ich war etwas selbstsicherer in dem, was ich
vom Auto wollte. Ich konnte nach Änderungen am
Auto fragen, statt meinen Fahrstil an das Auto anzupassen.
Von diesem Moment an haben wir einige gute
Schritte gemacht.
Konntest du das Auto in diesem großen Team besser
an dich anpassen als du das bei Alfa konntest?
Nein, zu Saisonbeginn war ich ziemlich eingeschüchtert
von der Größe des Teams und von seiner
Geschichte. Das ändert sich nicht, aber ich habe ein
paar Rennen für das Team absolviert und ich habe
mich an die Leute gewöhnt. Das hilft dir, besser zu
verstehen, was du vom Auto willst. Von dem Punkt
an ging alles reibungslos.
Letztes Jahr hattest du mit Alfa auch etwa in Baku
deinen Durchbruch. Ist das Zufall?
Nein, ich glaube nicht, dass es Zufall ist. Letztes Jahr
war es ein kleineres Team, deshalb habe ich weniger
Zeit gebraucht, die Leute kennenzulernen. Das hat
dieses Jahr einfach länger gedauert, weil es mehr Leute
sind. Aber letztes Jahr wusste ich an einem Punkt auch
nicht genau, was ich vom Auto wollte. Ich bin zum
ersten Mal in der Formel 1 gefahren, hatte viel mehr
Am Lenkrad erlaubte sich
Leclerc kaum Fehler
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Abtrieb. Dieses Jahr hatte ich klarere Ideen, aber
ich wollte erst mich selbst anpassen, bevor ich das
Auto anpasse. Und erst an einem Punkt habe ich
dann nach den Änderungen gefragt. Diese beiden
Durchbrüche hatten eine ähnliche Problemlösung.
Es war eigentlich das gleiche.
FOTOS: LAT IMAGES
Leclerc erwartet eine
erfolgreiche Zukunft
Auch neben der Strecke stand
Leclerc immer im Mittelpunkt
Du hast dieses Jahr durchaus ein paar Fehler
gemacht - aber du hast sie nur einmal gemacht.
Du scheinst, dich schnell umstellen zu können.
Auch bei deiner Fahrweise. Nach Österreich hast
du gesagt: Okay, wenn man so fahren darf, fahr
ich in Zukunft auch so. Und dann kam Silverstone...
Wie natürlich gelingt dir eine solche Umsetzung,
wie viel Arbeit steckt darin?
Wenn ich einen Fehler mache, erinnere ich mich
sehr gut daran, was ich zuvor gemacht habe, was
zu diesem Fehler geführt hat. Das analysiere ich.
Daraus verstehe ich, was ich nicht noch einmal
machen sollte, damit es nicht noch einmal passiert.
So gehe ich mit jedem Fehler vor, der mir unterläuft.
Das scheint zu funktionieren, es zahlt sich
aus. Sicherlich werde ich eines Tages den gleichen
Fehler zweimal machen, das passiert. Aber ich gehe
so damit um.
Was hast du beispielsweise aus deinem Qualifying-Unfall
in Baku gelernt?
Da habe ich tatsächlich zweimal den gleichen Fehler
gemacht in dieser Saison. Aber einmal hatte ich
sehr viel Glück, das war im Q2 in Budapest, als ich
gecrasht bin. Jetzt nehme ich Q1 bis Q3 Schritt für
Schritt. Ich gebe erst in Q3 alles, was zuvor nicht
der Fall war. Ich habe zuvor schon von Q1 bis Q3
alles gegeben. Aber Q1 und Q2 sind für uns nicht
so wichtig.
Als dein Wechsel zu Ferrari bekannt wurde, meintest
du, der Schritt von Alfa zu Ferrari sei kleiner
als jener von der Formel 2 in die Formel 1. Denkst
du das noch immer oder hast du den Schritt
unterschätzt?
Ich würde nicht sagen, dass ich etwas unterschätzt
habe, aber es gab eine Menge Dinge, die ich nicht
kannte, bevor ich zu Ferrari gekommen bin. Ich
habe jetzt viel mehr Aufmerksamkeit. Bei Alfa hätte
ich Dinge machen können, über die niemand
gesprochen hätte. Jetzt wird alles analysiert, was
ich mache. Das ist am Anfang schwierig zu verstehen.
Ich würde nun schon sagen, dass der Schritt
von der Formel 2 in die Formel 1 so groß ist wie
der Schritt von Alfa zu Ferrari.
Dein Hauptziel in diesem Jahr war es, zu lernen.
Fühlst du dich nun bereit, das Team
anzuführen?
Ich bin dieses Jahr stark gewachsen. Ich habe an
guten Tagen gezeigt, dass ich sehr, sehr gut sein
kann. Aber es geht darum, jedes Wochenende alles
zusammenzubekommen. Das ist eine andere
Sache. Darauf muss ich mich fokussieren. Wenn
ich das schaffe, dann kann ich es.
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24 www.Motorsport-Magazin.com
FOTOS: F1
DIE FORMEL 1 STARTET 2021 IN EINE NEUE ÄRA. ENDLICH SIND DIE
RAHMENBEDINGUNGEN DAFÜR KLAR. MOTORSPORT-MAGAZIN.COM
NIMMT DIE ZUKUNFT DER KÖNIGSKLASSE GENAU UNTER DIE LUPE.
EINE REVOLUTION IN DREI AKTEN.
TEXT: CHRISTIAN MENATH
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FOTOS: LAT IMAGES, F1
AKT I: ANBRUCH EINER NEUEN ÄRA
»Ich glaube, es ist ein guter Tag für die Formel 1«, sagte
McLaren-Boss Zak Brown an einem denkwürdigen
Wochenende in Austin. Dabei war es weniger der US GP
selbst, der in die Geschichtsbücher des Sports eingehen
sollte. Vielmehr wurde schon am Donnerstag Geschichte
geschrieben, und zwar abseits des Asphaltbandes. Statt
der Strecke war der Pressekonferenzraum der Ort des
Geschehens. Hier wurde nicht weniger als die Zukunft
des Sports präsentiert. Es war keine gewöhnliche Pressekonferenz,
die an diesem winterlichen Tag in Texas
abgehalten wurde. Chase Carey, der Formel-1-Boss
höchstpersönlich, gab sich die Ehre, FIA Präsident Jean
Todt ließ sich live zuschalten. Die Detailfragen beantworteten
F1-Sportchef Ross Brawn und FIA Technikchef
Nikolas Tombazis. Doch der Star der Pressekonferenz
stand vor dem Pult: Das Windkanalmodel eines 2021er
Autos. Die Tage vor der Präsentation wurde es selbst im
streng bewachten Fahrerlager noch gesondert beschützt.
Die Formel 1 ließ es extra aus Hinwil einfliegen. Dort
wurde im Windkanal von Sauber an der Zukunft der
Königsklasse des Motorsports getüftelt.
Rückblick: Im Fahrerlager von Monza kamen 2016 die
ersten Gerüchte auf, dass CVC, der kommerzielle Rechteinhaber,
die Formel 1 an Liberty Media verkaufen wird.
Vor dem Motorhome von Bernie Ecclestone standen sich
seine vertrauten Journalisten die Beine in den Bauch.
Die letzten Tage des Formel-1-Zampanos waren angebrochen.
Im Januar 2017 war der Deal durch, Ecclestone
nur noch Ehrenpräsident. Eine neue Zeitrechnung hatte
begonnen. Liberty Media setzte nicht nur auf die Expertise
von Ross Brawn, sondern ließ den Formel-1-Insider ein
eigenes Team aufbauen. Das Ziel war immer klar: 2021.
Die politische Situation erlaubte bis dahin nur kosmetische
Eingriffe. Mit dem Auslaufen sämtlicher Verträge
Ende 2020 ist in der Folgesaison dafür ein radikaler
Neustart möglich. Darauf arbeitete Liberty Media hin.
dafür selbst Geld in die Hand. Auch die FIA rüstete auf.
Der Doppelpass zwischen kommerziellem Rechteinhaber
und der Sporthoheit funktionierte.
»Alle Parteien haben einen guten Job gemacht«, lobt
Toro Rosso Teamchef Franz Tost und fügt an: »Liberty
Media, die FIA und die Teams haben einen guten Job
bei den neuen Regeln gemacht, denn alle großen Themen
sind abgedeckt.« Obwohl Tost nach der Präsentation
lobende Worte fand, in Eintracht vereint war die Formel
1 bei den Regeln 2021 längst nicht immer. Vor allem
über Einheitsteile und die Kostengrenze wurde lebhaft
gestritten, erneut kristallisierten sich zwei Positionen
unter den Teams heraus: Die großen Top-Teams wollten
so wenig wie möglich ändern, die unabhängigen Privatteams
forderten teils drastische Änderungen. Obwohl
keine Mehrheiten für Regeländerungen nötig sind, so
musste dennoch ein gewisser Kompromiss gefunden
werden. Die Formel 1 wollte die großen Namen nicht vor
den Kopf stoßen. Schließlich sind sie auf Marken wie
Ferrari und Mercedes angewiesen. »Ferrari, Red Bull und
wir glauben, dass die 2021er Regeln bei der Technologie
etwas vom Status der Königsklasse des Motorsports
wegnehmen«, fürchtet Mercedes-Motorsportchef Toto
Wolff. Auf der anderen Seite hätten viele kleine Teams
gerne noch einen aggressiveren Ansatz gesehen. Die
unterschiedlichen Reaktionen zeigen, dass man womöglich
einen guten Kompromiss gefunden hat.
5 HAUPTZIELE DER REGEL-REVOLUTION
So könnten die neuen
F1-Renner 2021 aussehen
Vier Hauptziele gilt es mit den neuen Regeln zu erreichen:
Die Autos sollen zweikampffreundlicher werden, das Feld
enger zusammenrücken, die Formel 1 für die Teams auch
wieder finanziell lukrativ werden und zuletzt sollen die
Autos auch noch gut aussehen. Umweltfreundlichkeit
schrieb man sich erst später auf die Fahnen. Um all die
Ziele auch wirklich zu erreichen, ging Liberty wissenschaftlich
an die Sache heran. Schnellschüsse waren
verboten, der große Schuss 2021 muss sitzen. Deshalb
baute sich Brawn ein eigenes Expertenteam auf, das
selbst Simulationen durchführen kann. Zum Schluss baute
die Truppe sogar ein eigenes Windkanalmodel, das nun
in Austin offiziell präsentiert wurde. Alles nur, um von der
Expertise der Teams unabhängig zu sein. Die Rennställe
haben ihre eigenen Agenden, spuckten schon bei zahlreichen
Regeländerungen in die Suppe. Darauf wollten
sich die neuen Bosse nicht mehr einlassen und nahmen
1. RACEABILITY:
Die Autos sollen enges Racing ermöglichen
2. KONKURRENZFÄHIGES FELD:
Engere Abstände zwischen den Teams
3. FINANZIELLE NACHHALTIGKEIT:
Kostenreduktion und nachhaltiges
Business-Modell
4. UMWELT:
Technischer Vorreiter in Straßenrelevanten
Bereichen
5. ÄSTHETIK:
Gutaussehende Formel-1-Autos
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Brawn, Tombazis & Carey
stellten die Pläne vor
Das erste Modell wurde
von allen genau beäugt
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FOTOS: LAT IMAGES, F1
Das Windkanalmodell gibt
einen Vorgeschmack auf 2021
Die F1 stellte ein erstes
Modell des 2021 Autos vor
Der Anblick der größeren Reifen
ist noch gewöhnungsbefürftig
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AKT II: DIE TECHNISCHE REVOLUTION
Technisch erfährt die Formel 1 2021 die wohl größte Veränderung
ihrer Geschichte. Eine wahre Revolution steht bevor. Im Zentrum
steht das Zweikampfverhalten. »Ich habe nicht verstanden,
warum wir die Regeln vor der Saison 2017 geändert haben«,
kritisiert Brawn. »Die Autos sind schneller, aber sie sind grauenhafte
Rennautos, wenn es ums Racing geht.« Genau das will
der Brite ändern. Dafür ist ein komplett neues Aerodynamik-
Reglement vonnöten. Die Frontflügel werden noch ein Stück
simpler, die Dimensionen bleiben weitestgehend stabil. Dahinter
wird es interessanter. Die extrem komplexen Bargeboards hinter
den Vorderreifen werden komplett verboten. Damit können die
Teams die von den Reifen verwirbelte Luft nicht mehr so gut
kontrollieren. Ein kleines Leitblech über den Vorderreifen kann
da nur bedingt Abhilfe schaffen. Dadurch verlieren die Autos
zwar enorm an Performance, generieren dafür aber deutlich
weniger verwirbelte Luft.
Um den Abtriebsverlust zumindest teilweise zu kompensieren,
wird das Unterbodenkonzept auf den Kopf gestellt. Aktuell
besteht der Unterboden aus drei um jeweils 50 Millimeter versetzten
flachen Ebenen. Erst 175 Millimeter vor der Hinterachse
darf der Diffusor ansteigen. 2021 feiert der Ground-Effekt ein
Comeback. Dafür werden die Seitenkästen radikal erneuert. Die
beiden Seitenaufprallstrukturen, die aktuell bei den meisten
Teams die Grenzen der Lufteinlässe bilden, werden zu einer
Struktur zusammengefasst. Trotzdem bleiben die Einlässe hoch,
weil darunter Luft für die Venturi-Kanäle gesammelt wird. Der
Ground-Effekt-Unterboden beginnt damit an der vorderen Kante
der Seitenkästen und mündet im Diffusor, der 35 Zentimeter
schmaler, dafür aber mit 70 Zentimetern doppelt so hoch ist.
Proportional steuert der Unterboden damit noch immer gleich
viel - rund 50 Prozent - zum Gesamtabtrieb bei. Allerdings funktioniert
der Unterboden anders. Er reagiert weniger sensibel auf
Luftverwirbelungen, dafür haben Änderungen der Bodenfreiheit
größere Auswirkungen.
Weil gleichzeitig die Fahrwerke stark vereinfacht werden, stehen
die Ingenieure vor einem Problem. »Ich kann mir gut vorstellen,
dass es sehr wichtig sein wird, wie man das Fahrzeug abstimmt.
Fahrhöhenabstimmung und Fahrhöhenstabilisierung über eine
komplette Runde steht dann extrem im Fokus«, meint Motorsport-
Magazin.com-Technikexperte Jörg Zander. Mit einem aktiven
Fahrwerk hätte man das perfekt kontrollieren können, doch die
Formel 1 entschied sich dagegen. »Dann würde das Setup möglicherweise
keinen so großen Performance-Unterschied machen,
weil die Teams bei den Einstellungen hier ähnlich clever sind.
Mit einfacheren Einstellungen über Feder und Dämpfer kann ich
mir vorstellen, dass es größere Unterschiede geben wird, je
nachdem, welches Streckensegment priorisiert wird«, erklärt
Zander und fügt an: »Das ist gut für die Show, weil somit auch
die Performance von Strecke zu Strecke stärker schwanken
könnte.«
Eine weitere große Änderung betrifft die Reifen - wobei groß hier
wörtlich zu verstehen ist. Die Formel 1 wechselt von 13 Zoll auf
18 Zoll Felgen. Der Reifenaußendurchmesser steigt dadurch von
670 auf 725 Millimeter. »Die Formel 1 muss hier mit der Zeit
gehen und Ballonreifen mit 13 Zoll Felgen sind nicht mehr zeitgemäß«,
meint Zander und erläutert die Vorteile: »Man hat in
Bezug auf die Seitensteifigkeit viel mehr Möglichkeiten. Dazu
hat man mehr Bauraum im Inneren zur Verfügung, die Bremsanlage
kann viel performanter sein.« Doch es gibt auch Nachteile:
Die größeren Räder bringen zusätzliches Gewicht. Sie sind der
Hauptfaktor, weshalb das Mindestgewicht von 743 auf 768 Kilogramm
ansteigt. »Es geht für mich in die falsche Richtung, dass
die Autos so schwer sind«, sagt Sebastian Vettel stellvertretend
für alle Piloten. Weil bei den Motoren alles beim Alten bleibt und
die Sicherheitsmaßnahmen weiter verschärft werden, lässt sich
kein Gewicht einsparen.
Weniger Abtrieb und mehr Gewicht bedeuten zwangsläufig langsamere
Autos. Die FIA rechnet mit Rundenzeiten auf dem Niveau
von 2016, rund 3,5 Sekunden soll die Formel 1 langsamer werden.
Andere Simulationen sprechen von sechs Sekunden und
mehr. Zander mahnt zur Vorsicht bei den Prognosen: »Wichtig
zu verstehen, ist, was der Reifen leisten kann. Der kann vieles
kompensieren, was an Aero-Performance vielleicht ein Stück
verloren geht.« Bei den Fahrern kommen die Performance-Prognosen
unterschiedlich an. »Für mich kommt es nicht darauf an,
wie es aussieht, auch nicht so auf den Speed - solang wir klasse
Racing sehen«, meint George Russell. Sebastian Vettel will Speed
um jeden Preis: »Die Autos sind seit 2017 viel spektakulärer.«
Max Verstappen präferiert den Mittelweg: »Ich glaube, man kann
mit den Geschwindigkeiten, die wir heute haben, nicht gut hinterherfahren.
Wir müssen ein bisschen langsamer werden, aber
bitte nicht vier oder fünf Sekunden. Maximal zwei oder
zweieinhalb.«
DIE TECHNISCHE REVOLUTION IM ÜBERBLICK
• GRÖSSERE REIFEN: 18 Zoll statt 13 Zoll
• NEUE AERODYNAMIK: Ground-Effect soll für
weniger Dirty Air sorgen
• HÖHERES GEWICHT: Mindestgewicht steigt von
743 auf 768 kg
• PERFORMANCE VON 2016: etwa 3,5
Sekunden langsamer
• MOTOREN: bleiben nahezu unverändert
• SICHERHEIT: Niveau wird weiter angehoben
• STANDARDTEILE: Mehr standardisierte
Komponenten und Open Source Teile
• GETRIEBE: Entwicklung wird eingefroren
• FAHRWERK: wird stark vereinfacht
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AKT III: DIE FINANZIELLE SEITE
Das technische Reglement ist möglicherweise die größte Revolution in der Formel-
1-Geschichte. Viele Kapitel wurden komplett neu geschrieben. Der Umfang des
ohnehin schon umfangreichen Regelwerks wuchs von 111 auf 138 Seiten an.
Ein gravierender Einschnitt? Nichts im Vergleich zum finanziellen Reglement.
Dieses 41 Seiten umfassende Werk ist gänzlich neu. Seit mehr als einem Jahrzehnt
diskutiert die Formel 1 über eine Kostenobergrenze, 2021 kommt sie nun
endlich zum Tragen. 175 Millionen US-Dollar dürfen die Teams dann maximal
pro Saison ausgeben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn vom Grundbudget
sind einige Kostenpunkte ausgenommen: Fahrergehälter, Kosten für den Motor,
Reisekosten, die drei bestbezahlten Teammitglieder und sämtliche Ausgaben für
Marketing. Somit kommen noch immer Summen jenseits der 200 Millionen
zustande. Nur die großen Drei, Mercedes, Ferrari und Red Bull, operieren derzeit
deutlich darüber. McLaren und Renault haben Budgets in dieser Größenordnung,
alle anderen liegen weit darunter. Die Großen hatten sich lange gegen die
Kostenobergrenze gewehrt. Der Finanz-Vorteil ist für sie eine Gewinngarantie,
die sie damit aufgeben.
»Es soll nicht darum gehen, wie viel Geld ein Team ausgibt, sondern wie es das
Geld ausgibt«, wiederholte Ross Brawn gebetsmühlenartig. Die aktuellen Entwicklungen
in der Automobilindustrie spielten den Formel-1-Bossen in die Hände:
Auch Mercedes und Co. blicken inzwischen genauer auf die Budgets. Trotzdem
gehen die Einschnitte nicht allen weit genug. »Wir hätten gerne einen aggressiveren
Ansatz gesehen«, sagt McLaren-Boss Brown. »Wir sehen es als ersten
Schritt an, einen Schritt in die richtige Richtung«, meint Williams Teamchefin
Claire Williams. So ist auch der Plan: Die Grenze könnte über die Jahre sukzessive
herabgesetzt werden. Auch 2021 wird es noch finanzielle Unterschiede zwischen
den großen Konzernen und den kleinen Privatteams geben. Allerdings fallen die
dann bei weitem nicht mehr so drastisch aus. Und: Die Einschnitte sind eine
Gefahr für die Arrivierten. »Sie müssen sich überlegen, wie sie sich verschlanken.
Das wird für sie auf operativer Seite schwierig«, erklärt Zander. »Man muss Mitarbeiter
aus dem Programm nehmen, die in Prozesse involviert sind. Da muss
man vorsichtig sein, dass Prozesse nicht zusammenbrechen. Und auch Soft-
Faktoren sind zu Bedenken: Das kann sich auf die Moral einer Mannschaft auswirken.
Das Aufbauen eines Teams ist schwierig, aber es hat einen positiven
Aspekt. Abbauen ist schwierig und es hat einen negativen Aspekt.«
Kritiker der Regeln befürchten, dass 2020 das teuerste Jahr der Formel-1-Geschichte
wird. Die Kostenobergrenze gilt noch nicht, die Regeln für 2021 sind
aber bereits bekannt. Bevor die finanziellen Einschnitte kommen, werden alle
mit Hochdruck an den neuen Regeln arbeiten. Die FIA besänftigt die Kritiker:
Restriktionen bei Windkanaltests und CFD-Simulationen gelten auch heute schon.
Diese werden 2021 noch weiter angepasst, dazu gibt es auch erstmals Prüfstandsrestriktionen
für die Motorenhersteller. Außerdem gibt es auch im technischen
Reglement Artikel, die auf Kostenreduktion ausgelegt sind. Zahlreiche
nicht Performance-relevante Bauteile wie das Benzinsystem werden standardisiert,
dazu gibt es auch Open-Source-Teile, deren Design die Teams ihren Mitbewerbern
offenlegen müssen. Neben Motoren und Getrieben werden auch
Bremsen für eine Saison limitiert. Wer mehr einsetzt, wird bestraft.
Dagegen sind die Änderungen beim sportlichen Reglement fast dezent. Die
Parc-ferme-Regeln werden teilweise schon auf die technische Abnahme ausgeweitet.
Zwar dürfen die Teams bis Samstag noch Setup-Änderungen vornehmen,
neue Teile dürfen sie dann aber nicht mehr einbauen. Die dürfen nur in den
Trainings getestet werden. Auch das soll dabei helfen, Kosten einzusparen. Teile
werden dann erst in größeren Mengen produziert, wenn sie sich als tauglich
herausgestellt haben. Die Änderung des Wochenendformats hingegen hat nur
bedingt mit Kosten zu tun. Der Donnerstag als Medientag wird gestrichen, Pressekonferenzen
und Co. sollen am Freitagmorgen vor den Trainings stattfinden.
Das hat eben nicht nur zur Folge, dass möglicherweise Kosten eingespart werden
können: Die Formel 1 bereitet damit schon einen Rekordkalender mit bis zu 25
Rennen vor.
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WAS SICH SONST NOCH ÄNDERT...
• BUDGETOBERGRENZE: 175 Millionen US-Dollar + Ausnahmen
• RENNKALENDER: Max. 25 Rennen pro Saison
• WOCHENENDFORMAT: 3 statt 4 Tage (Fr-So)
• TRAININGS: Dauer und Anzahl bleibt bestehen
• NACHWUCHS: 2 Freitagstrainings für Young Driver
• TESTS: 2 x 3 Tage vor Saisonbeginn, 3 nach Saisonende
• TECHNISCHE ABNAHME: Keine neuen Teile am Wochenende
Sieht so die Zukunft
der Formel 1 aus?
FOTOS: LAT IMAGES, F1
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EPILOG: DIE NEUE FORMEL 1
CHASSIS:
Damit größere Fahrer keine Nachteile mehr haben, werden die Innen-Abmessungen des Cockpits vergrößert. Auch die
Unterseite des Chassis wird strikter reglementiert, um flexible Unterböden zu unterbinden und Schäden durch Kerbs
vorzubeugen. Ein Aspekt bei den Chassis-Änderungen ist die Sicherheit. Vor allem beim Seitenaufprall werden die Piloten
zukünftig besser geschützt. Durch eine längere Nase wird außerdem bei einem Frontaufprall mehr Energie absorbiert.
Auch an der Cockpitumrandung gibt es Verbesserungen. Bestimmte Teile am Heck sollen wie die Räder mit Seilen gesichert
werden.
AUSSEHEN:
Einige Fans befürchten, dass die Autos 2021 durch die
neuen Regeln alle gleich aussehen könnten. Dabei gilt
zu bedenken: das vorgestellte Modell ist nur eine mögliche
Variante, von denen bereits unterschiedliche Variationen
gezeigt wurden. So können die Teams sich etwa bei der
Nase, den Frontflügelendplatten, der Airbox, der Motorabdeckung,
den Seitenkästen, den Bremsbellüftungen und
dem Heckflügel samt Endplatten austoben.
GEWICHT:
Zum Graus vieler Fahrer steigt das Fahrzeuggewicht 2021 erneut an. Statt 743 kg wiegen
die Autos dann mindestens 768 kg. Verantwortlich dafür sind die größeren 18-Zoll-Reifen
sowie die damit verbundenen größeren Einheitsfelgen von BBS. Zudem drücken einige
Standardkomponenten und die verbesserte Sicherheit aufs Gewicht. Durch das höhere
Gewicht und die geänderte Aerodynamik sollen die Autos zunächst ca. 3 bis 3,5 Sekunden
langsamer werden. Zudem wird die Geometrie der Bremsen eingeschränkt: Die Anzahl der
Löcher sowie ihre Anzahl wird reglementiert. Der Durchmesser der Bremsscheiben wächst
dank der größeren Räder von 278 auf 330 Millimeter.
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FOTOS: F1
AERODYNAMIK:
Die Formel 1 sagt der Dirty Air den Kampf an. Das Ziel: weniger verwirbelte Luft plus eine geringere Empfindlichkeit für
Verwirbelungen. So soll es einfacher werden, dem Vordermann zu folgen. In Folge dessen wird der Frontflügel weiter
vereinfacht. Dadurch soll die Strömung um die Vorderreifen besser kontrolliert werden. Bargeboards werden verboten,
der Diffusor zieht sich über den gesamten Seitenkasten. Der Ground-Effekt kehrt zurück! Derzeit beträgt die Aero-Performance
des Hintermanns bei einer Fahrzeuglänge Abstand 55%, ab 2021 sollen es 86% sein.
ANTRIEBSSTRANG:
Die Kraftwerke der Boliden bleiben weitestgehend unverändert. Es bleibt also auch 2021 bei 1,6
Liter V6-Hybrid-Turbomotoren. Die Power Units werden nur 5 kg schwerer. Ein bisschen Feintuning
gibt es dennoch: Ab 2021 wir der Anteil der erneuerbaren Ressourcen im Treibstoff auf 20%
verdoppelt. In der Folge soll er weiter ansteigen. Der Benzinfluss und die Hybrid-Komponenten
bleiben identisch. Leistung und Sound dürften sich demnach wohl nicht verändern. Stattdessen
gibt es diverse Standardkomponenten am Benzinsystem; die Entwicklung des Getriebes wird für
fünf Jahre eingefroren. In diesem Zeitraum ist nur eine Änderung der Spezifikation erlaubt.
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FOTOS: LAT IMAGES
DER UNVOLLENDETE
HULK
NICO HÜLKENBERG ERHÄLT FÜR 2020 KEIN COCKPIT IN DER FORMEL
1. EIN RÜCKTRITT SOLL ES NICHT SEIN. HINTER EINER RÜCKKEHR STEHT
DENNOCH EIN GROSSES FRAGEZEICHEN. ÜBER DEN GEPLATZTEN
RENAULT-TRAUM EINES UNGEKRÖNTEN SUPERTALENTS, DAS TROTZDEM
NICHTS BEREUT.
TEXT: JONAS FEHLING
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Es ist kein Rücktritt. Es ist ein Formel-1-Aus für das
Jahr 2020«, sagt Nico Hülkenberg vor dem Großen
Preis von Brasilien 2019. Einen besseren Ort für
diese bittere Bestätigung hätte es kaum geben können.
Hier hatte Hülkenberg neun Jahre zuvor seinen größten
Erfolg in der Königsklasse gefeiert. In seiner Debütsaison
fuhr der damalige Williams-Pilot im Regen von São Paulo
auf die Pole Position. Jetzt also das (vorläufige) F1-Aus an
selber Stelle.
FOTOS: LAT IMAGES
Alles überwältigende Emotionen kommen beim heute 32-Jährigen
dennoch nicht auf. »Die Würfel sind jetzt eben so gefallen«,
kommentiert Hülkenberg das Ende aller Hoffnungen
gewohnt cool. Gerade hatte Alfa Romeo Antonio Giovinazzi
für 2020 bestätigt. Damit war für Hülkenberg die letzte Tür
zugefallen und eine Rückkehr geplatzt. 2013 war der Emmericher
ein Jahr lang Sauber gefahren. Eine andere Rückkehr
ist zu diesem Zeitpunkt zwar noch möglich - zu Williams,
jenem Team, mit dem alles einst so verheißungsvoll begonnen
hatte -, doch hat Hülkenberg diesen Weg längst ausgeschlossen.
»Ich bin nicht der richtige Fahrer für sie. Da, wo ich mich
mit meiner Karriere befinde, und da, wo sie sind. Da passt,
bei allem Respekt für das Team, das Timing nicht«, erklärte
Hülkenberg bereits in Austin.
Beim Großen Preis der USA, gemeinsam mit einigen Rennen
davor und danach, strampelte der Emmericher in einem verbalen
Hamsterrad. Immer wieder sah er sich derselben Frage
ausgesetzt: »Wie geht es weiter, nachdem Renault Sie vor die
Tür gesetzt hat, Herr Hülkenberg?« Genau das war gegen
Ende der Sommerpause geschehen. Die Franzosen verkündeten,
ab 2020 auf Esteban Ocon zu setzen. Weil Daniel Ricciardo
langfristig unterschrieben hatte, stand Hülkenberg als
Verlierer da. Sein Vertrag endet 2019.
Immerhin gab es zu diesem Zeitpunkt noch Optionen neben
Williams. Red Bull, Haas, Alfa Romeo - alle hatten noch ein
Cockpit für 2020 zu vergeben. Hülkenberg gab sich zuversichtlich.
Zunächst machte sogar das Gerücht eines Wechsels
zu Red Bull die Runde, die ebenfalls lange warteten, um den
zweiten Fahrer neben Max Verstappen zu bestätigen. Das
wäre endlich das erlösende Top-Team gewesen, das Hülkenberg
für einige Beobachter längst verdient hatte. Mit Titeln
in Serie hatte Hülkenberg die Formel 1 schon hoch dekoriert
geentert: 2003 deutscher Kart-Meister, 2005 Champion der
Formel BMW-ADAC, 2005 A1 GP Champion, 2007 erfolgreich
beim F3 Masters in Zolder, 2008 Formel-3-Europameister
und 2009 Champion der GP2, damals Unterhaus der
Formel 1. Der Aufstieg Hülkenbergs schien vorbestimmt.
Noch heute ist die Wertschätzung für den Emmericher riesig,
unter Experten wie Fahrerkollegen.
Über mehr als das kam Hülkenberg auf dem Papier allerdings
nie hinaus. Zumindest nicht in der Formel 1. Sein Sieg bei
den 24 Stunden von Le Mans mit Porsche brachte 2015 zwar
noch mehr Lorbeeren, ließ Hülkenbergs Aktien auch in der
F1 wieder steigen. Doch es wollte nicht klappen. Weder das
absolute Top-Cockpit, noch der Durchbruch im Kleinen.
Anders gesagt: dieses verflixte Podium! Tatsächlich hält Hülkenberg
einen unrühmlichen Rekord. 176 Rennen startete
der Emmericher bis Abu Dhabi, nicht eines davon beendete
er auf dem Podium. In Singapur überholte Hülkenberg in
Nico Hülkenberg hatte sich von seiner
Zeit bei Renault mehr erhofft
dieser Disziplin 2017 den bisherigen Rekordhalter. Adrian
Sutil schaffte es bei 128 Starts nie auf das Treppchen.
»Ich musste eine lange Zeit und sehr hart dafür arbeiten, um
Adrian jetzt diesen Titel wegzuschnappen und jetzt selbst der
Rekordhalter zu sein. Ich beende dieses Wochenende die
Sutil-Ära, jetzt beginnt die Hülkenberg-Ära! Darauf freue ich
mich sehr«, sagte Hülkenberg damals selbstironisch. Im
Gespräch mit Motorsport-Magazin.com legte der Renault-
Pilot eine Portion Sarkasmus nach: »Es ist auch eine Leistung
ohne Leistung so lange in der Formel 1 zu sein, oder? Sind
wir doch mal ehrlich! Keine Leistung und immer noch da!«
Zudem habe er für den Rekord mindestens zwei dritte Plätze
freiwillig hergegeben, scherzte Hülkenberg. »Vielleicht war
der Letzte vergangenes Jahr in Monaco. Und dann kommt
mir noch Brasilien 2012 in den Kopf«, erinnerte Hülkenberg
an zwei seiner bittersten Momente.
In letztem Fall hatte Hülkenberg bei Mischbedingungen länger
geführt als jeder andere. Dann verlor er im Duell mit
Lewis Hamilton das Heck seines Force India, kam nicht über
Platz fünf hinaus. In Monte Carlo 2016 zeichnete er immerhin
nicht selbst verantwortlich, ein Strategiefehler kostete das
mögliche erste F1-Podest. Anders lief es beim Europa GP
desselben Jahres. In Baku präsentierte sich Force India in
wundersamer Form, war zweite Kraft hinter Mercedes. Doch
Hülkenberg patzte im Qualifying, wurde im Rennen nur
Neunter, während Teamkollege Sergio Perez das Podium
eroberte. Hülkenberg blieb dieses ebenso verwehrt wie bei
anderen aussichtsreichen Versuchen. Etwa 2014 in Bahrain.
Wieder erzielte Perez ein Podest, Hülkenberg musste sich mit
Platz fünf begnügen. Oder 2016 in Belgien (P4), 2013 mit
Sauber in Italien (P5), Korea (P4) und in seiner ersten Force-
India-Ägide 2012 in Belgien (P4).
Der Podest-Fluch des Nico Hülkenberg hielt bis zuletzt. Auch
in seiner wohl vorerst letzten Saison in der Formel 1 vergab
Hülkenberg eine Großchance. Im Regenchaos von Hockenheim
spülte es Daniil Kvyat im Toro Rosso sensationell auf
das Podium, Hülkenberg trotz seiner bekannten Regenstärke
in die Streckenbegrenzung. Auf Platz vier liegend. Wieder
hatte er aus lukrativer Position ein Podium weggeworfen.
Eines zu viel? »Hockenheim, das war bitter«, sagt Hülkenberg.
Tatsächlich reagierte Renault auf die verpasste Großchance
auch für das von ausbleibenden Erfolgen geplagte
Werksteam wenig begeistert. »Das hat auch für das nächste
Jahr Konsequenzen gehabt«, meint Hülkenberg. Fiel im
36 www.Motorsport-Magazin.com
Die Partnerschaft mit Renault
führte nicht zum erhofften Erfolg
Aus und (vorerst?) vorbei:
2020 steigt Nico in kein F1-Auto
Ausgerechnet in Hockenheim flog
Hülkenberg auf Podestkurs ab
www.Motorsport-Magazin.com 37
Ocon statt Hülkenberg: Renault setzt
2020 nicht mehr auf Hulks Dienste
Zumindest neben der Strecke
hatte Hülk seinen Spaß
2019 erhielt Nico mit Daniel
Ricciardo einen neuen Teamkollegen
38 www.Motorsport-Magazin.com
FOTOS: LAT IMAGES
Regen von Hockenheim also der berühmte letzte Tropfen, der
der Fass zum Überlaufen brachte?
Viel länger dauerte es danach nicht bis zur Renault-Entscheidung
für Ocon. Doch spielten dort noch andere Faktoren hinein.
»Unterschiedliche Fahrer in verschiedenen Karrierephasen, kommerzielle
Dinge, natürlich auch ein Nationalitäten-Faktor und
ein paar andere Dinge«, bilanziert Hülkenberg. »Vielleicht auch
die etwas schwierige Saison, die wir dieses Jahr durchleben.«
Insgesamt sei die Entscheidung in einem fairen Prozess gefallen,
so Hülkenberg trotz all der hier mitschwingenden Kritik. »Ich
akzeptiere die Entscheidung. Ob ich zustimme, ist eine andere
Sache.«
In Teilen bestätigt Renault diese Hintergründe. Nur nicht den
Franzosen-Faktor. »In die Nationalität würde ich nicht zu viel
hineininterpretieren«, sagt Teamchef Cyril Abiteboul. »Es ist ein
Plus. Aber es ist kein Element, das bei der Entscheidung eine
Rolle gespielt hat.« Vielmehr ging es um die gefühlte Notwendigkeit
eines Tapetenwechsels: »Bei der Entscheidung schaust du
nicht nur auf die Pace. Du musst die Gesamtdynamik anschauen
und da ist eine Dynamik innerhalb das Teams, die einen Reset
brauchte. [...] Und Esteban bringt eine neue Dynamik.«
Hülkenberg wundert das nicht. »Ich finde es schade, dass die
Wege sich trennen. Wir haben uns natürlich etwas vorgenommen
in den drei Jahren«, erinnert der Renault-Pilot an große Hoffnungen
mit dem ersten Werksvertrag seiner Karriere. »Zum Teil
haben wir das auch erreicht, vor allem in den ersten beiden Jahren.
Dieses Jahr ist der Fortschritt aber komplett ausgeblieben.
Dann gibt es natürlich eine gewisse Unzufriedenheit im Team
und im Management. Dass dann oftmals nach Veränderung
geschrien wird, ist keine Überraschung«, sagt Hülkenberg. »Das
hat ab Mitte der Saison einfach eine eigene Dynamik
entwickelt.«
Eine allzu große Rolle spielte die gefühlte Podest-Flatter des
Deutschen also auch wieder nicht. Groß zu bemängeln hat Renault
bei Hülkenberg ohnehin nichts. Ganz im Gegenteil. »Es war
schwierig, alle im Team lieben Nico. Er hat bei unseren Fortschritten
eine entscheidende Rolle gespielt«, lobt Abiteboul.
»Dieses Jahr haben wir Probleme. Aber letztes Jahr war er dafür
verantwortlich, dass wir in der Weltmeisterschaft Vierter geworden
sind.«
Eine größere Rolle spielte das fehlende letzte Etwas an anderer
Stelle, der bestmöglichen Anschlussbeschäftigung Red Bull. Im
Gespräch mit Motorsport-Magazin.com wiegelte Motorsportberater
Dr. Helmut Marko dahingehende Gerüchte jedenfalls ab.
»Hülkenberg ist schwer vorstellbar. Wir wissen, Ricciardo hat
ihn ...«, so Marko durch die Blume. Knapp geschlagen, könnte
man ergänzen. Weil Verstappen wiederum Ricciardo bei Red
Bull im Griff hatte, reicht Hülkenberg den Bullen schlichtweg
nicht, um den Austausch eines Piloten aus dem eigenen Juniorkader
zu rechtfertigen.
So blieben Hülkenberg nur noch Haas und Alfa Romeo, in dieser
Reihenfolge. Der US-Rennstall allerdings verlängerte erneut mit
Romain Grosjean, so umstritten die Qualitäten des Franzosen
in weiten Teilen der Szene auch sein mögen. Haas allerdings
fürchtete, anders als Renault, angesichts der sportlichen Achterbahnfahrt
2019 eher um eine weitere Dynamik im Team und
»DIESES JAHR IST DER FORTSCHRITT
KOMPLETT AUSGEBLIEBEN. DANN
GIBT ES NATÜRLICH EINE GEWISSE
UNZUFRIEDENHEIT. DASS DANN
NACH VERÄNDERUNG GESCHRIEN
WIRD, IST KEINE ÜBERRASCHUNG.«
dankt Grosjean noch immer für dessen einst klare Entscheidung
pro Haas. Ein Bekenntnis, das so seitens Hülkenberg, vielleicht
noch mit einem Auge auf Red Bull schielend, offenbar nicht kam.
Aussagen beider Seiten zufolge kam es jedenfalls nie zu einem
formalen Angebot. Nicht von Hülkenberg - aber auch nicht von
Haas.
Alfa Romeo wurde somit die letzte, wenngleich unwahrscheinliche
Option. »Ich habe es nicht länger in der Hand«, sagte Hülkenberg
nach dem gescheiterten Haas-Deal vielsagend. Hintergrund:
Alfa-Motorenpartner Ferrari darf ein Cockpit bestimmen.
Ferrari-Junior Giovinazzi verfügte daher über ein exzellentes
Blatt. Das spielte der Italiener samt ansteigender Formkurve aus,
nach dem USA GP bestätigte Alfa Romeo ihn für 2020. Das finale
Aus für Hülkenberg, der sich zu diesem Zeitpunkt längst neuen
Gerüchten ausgesetzt sah. Von DTM über Formel E bis zu Indy-
Car zumindest abseits der von Hülkenberg ungeliebten Ovale
war alles dabei, das meiste entbehrte zu seinem Ärger jeder
Grundlage.
»Ich will nichts überhasten, nur um irgendwas zu fahren«, wiederholte
Hülkenberg Mal um Mal. Genauso gut könne es eine
Option sein, mal eine Weile nicht zu fahren. »Das ist alles hypothetisch
und steht in den Sternen.« Nur eines nicht: Mehr begrüßen
als ein F1-Comeback würde Hülkenberg nichts. Außer vielleicht
vorübergehend etwas mehr Freizeit. »All die Dinge, die ich
in den letzten Jahren nicht machen konnte, da bin ich gespannt
drauf«, sagt Hülkenberg. »Aber ein großer Teil von mir wird
traurig sein, wenn ich die Rennen vor dem Fernseher verfolgen
muss.« Weil es eben kein Rücktritt ist. Nur ein F1-Aus für 2020.
Gibt es diesen einen Weg zurück? »Ich weiß es nicht«, sagt Hülkenberg
»Aber ich liebe diesen Sport, in der F1 fahren die
schnellsten und hochentwickeltsten Autos der Welt. Ich werde
mich für ein mögliches Comeback bereit halten, wenn sich eine
Möglichkeit ergeben sollte. Aber es wäre natürlich vermessen,
zu sagen, dass Ferrari nächstes Jahr anruft und sagt: ‚So Hülki,
jetzt sind wir aber bereit für dich!‘ Da muss man auch Realist
bleiben.«
Vorzuwerfen, so viel Eigenwerbung muss sein, habe er sich jedenfalls
nichts Gröberes, verpasste Podien hin oder her. »Ich bereue
nichts, nein«, sagt Hülkenberg. »Wenn ich die zehn Jahre reflektiere
sind da natürlich hier und da Dinge, die besser hätten laufen
können. Es hätten Podien stehen können, es hätten vielleicht
sogar mehr werden können.« Seinen Job habe er dennoch erledigt.
»Ich habe über die Jahre gut geliefert. Ich war immer gewillt
und wurde angestellt, um zu fahren. Das spricht für Qualität«,
betont Hülkenberg. »Klar hätte ich gerne eine andere Bilanz.
Mehr Siege, Podien und so weiter. Aber ich weiß, warum es nicht
dazu kam. Ich habe da meinen Frieden mit mir selbst und kann
gut schlafen.« Unvollendet fühlt sich der ‚Hulk‘ also nicht. Auch
wenn seine Bilanz das aussagt.
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FOTOS: LAT IMAGES
DER ULTIMATIVE TALENT-CHECK
TEXT: FLORIAN BECKER & JONAS FEHLING
MOTORSPORT-MAGAZIN.COM SUCHT DIE NÄCHSTEN FORMEL-1-SUPERSTARS. NEUN TALENTE UNTER 25 JAHREN STELLEN SICH
UNSEREM SCHONUNGSLOSEN CHECK. WER UNTER IHNEN WURDE BISLANG UNTERSCHÄTZT, WELCHER FAHRER WIRD GNADENLOS
ÜBERSCHÄTZT?
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FOTOS: RED BULL RACING
FOTOS: LAT IMAGES
PIERRE GASLY
Der Franzose zählt ohne jeden Zweifel zu den
größten Verlierern und Enttäuschungen der
zurückliegenden Formel-1-Saison. Dass Pierre
Gasly in seinem ersten Jahr bei Red Bull gegen
Platzhirsch Max Verstappen ankommen würde,
damit hatte zwar niemand gerechnet. Eine derartige
Unterlegenheit überraschte dann allerdings doch die
meisten Experten. Fünfmal überrundet, bis zur Auswechslung
gegen Alex Albon nach der Sommerpause
1:11 im Qualifying-Duell unterlegen - und das nur
nicht zu null, weil ein Unfall Kevin Magnussens in
Kanada Verstappen seine Runde ruinierte - sowie
dreimal weniger Punkte als Verstappen aus ihren
gemeinsamen zwölf Rennen bei Red Bull. Die Bilanz
liest sich verheerend. Zu verheerend für eine Nummer
zwei bei Red Bull. Gasly war abgeschrieben. Nicht nur
für die Experten, auch für Red Bull. Die Bullen schickten
den 23-Jährigen zurück zu Toro Rosso - wie Daniil
Kvyat vor drei Jahren. Gasly reagierte jedoch völlig
anders. Während der Russe, mental völlig am Boden,
auch bei der kleinen Scuderia auf keinen grünen Zweig
mehr kam, im sportlichen Nirvana verschwand, blühte
Gasly sofort auf. Ohne den riesigen Druck neben Verstappen,
in einem absoluten Top-Team mit sehr viel
mehr Aufmerksamkeit zu sein, fuhr der Franzose groß
auf - bis zum sensationellen Podium beim chaotischen
Großen Preis von Brasilien. Das alles zeigt: Der GP2-
Champion von 2016 ist durchaus besser als sein Ruf
- aber nur, wenn der Kopf stimmt. Genau das war bei
Red Bull das größte Problem. Schon nach gleich zwei
Unfällen bei den Testfahrten war Gasly angeschlagen,
erholte sich nie mehr. Gleichzeitig wollte es der Franzose
gegen Supertalent Max Verstappen erzwingen.
Eine fatale Kombination. Deshalb kann Pierre Gasly
durchaus mehr als nur untaugliche Nummer zwei.
Entweder als Teamleader oder zumindest gleichwertiger
Pilot in einem anderen Team. Oder, mit anderem
Ansatz, auch noch einmal bei Red Bull. Ein Comeback
in unbestimmter Zukunft hat Teamchef Christian Horner
jedenfalls nicht ausgeschlossen. Sonst hätte man
Gasly auch gleich völlig abgesägt, nicht noch einmal
zu Toro Rosso geschickt.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Nur schlechte Nummer zwei
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: Unterschätzt
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LANDO NORRIS
Er gilt als die britische Antwort auf Max Verstappen.
Norris dominierte auf seinem Weg in die Formel
1 schon in jungen Jahren diverse Nachwuchskategorien
und verdiente sich so seinen Ruf als Teil
der Next Generation, die Lewis Hamilton & Co.
eines Tages an der Weltspitze ablösen soll. In seiner
Debütsaison wurde das McLaren-Talent seinen Vorschusslorbeeren
in vielerlei Hinsicht gerecht. Vom
ersten Rennen an bestach er mit starker Pace und
beeindruckender Rennintelligenz. Fehler? Fehlanzeige!
Dass er Teamkollege Carlos Sainz dabei nicht im Griff
hatte, ist auch für ein Supertalent völlig in Ordnung.
Schließlich wurde der Spanier 2015 auch von Verstappen
nicht gebügelt. Ein Fahrer von Sainz‘ Kaliber ist mit
vier Jahren Vorsprung kein Kanonenfutter. Norris fehlt
nur eine Portion mehr Erfahrung, um sein Potential als
zukünftiger Champion voll zu entfalten.
ALLGEMEINE EINSCHÄTZUNG: Supertalent
UNSERE MEINUNG: Richtig!
LANCE STROLL
Jüngstes Rookie-Podium der Geschichte. So
fasste Lance Stroll 2017 seine erste Saison in
der F1 gerne zusammen. Über zwei Jahre später
bringt dem kanadischen Milliardärssohn dieser
Meilenstein herzlich wenig. Tatsächlich hat sich
bei Stroll in mittlerweile 62 Grands Prix wenig bis gar
nichts getan. Fortschritte oder eine Entwicklung sind
bei ihm kaum zu erkennen. Selbst Rookie-Teamkollege
und Paydriver-Genosse Sergey Sirotkin erteilte ihm
2018 bei Williams im Qualifying eine Lektion. Der
Wechsel in ein von seinem Vater aufgekauftes Team
brachte ebenfalls nicht den Durchbruch. Im direkten
Vergleich mit Sergio Perez bestätigt sich bei Racing
Point eigentlich nur, was schon lange klar war. Stroll
zählt zu der Sorte Paydriver, die ihr Cockpit einzig und
allein dem Geld zu verdanken haben.
ALLGEMEINE EINSCHÄTZUNG: Paydriver ohne Potential
UNSERE MEINUNG: Richtig!
www.Motorsport-Magazin.com 43
ANTONIO GIOVINAZZI
Als Alfa Romeo seinem Rookie im Spätsommer
2019 den Rücken stärkte, reagierten viele mit
Unverständnis. Die Fortsetzung seiner F1-Karriere
wurde Antonio Giovinazzi nach einem
schwierigen Start nicht gegönnt. Nico Hülkenberg
habe das Cockpit mehr verdient, Giovinazzi sei
nur wegen seinem Vertrag mit Maranello in der Formel
1. Dass er bereits nach wenigen Wochenenden die
Pace von Kimi Räikkönen zeigte, wurde bei Aussagen
dieser Art gerne konsequent ignoriert - genauso wie
die Tatsache, dass Giovinazzi zwei Jahre lang keine
Rennen gefahren war. Mit seiner Performance und
seiner Lernkurve machte er sich um ein zweites Jahr
in der Königsklasse mehr als verdient. Giovinazzi ist
vielleicht kein Charles Leclerc, doch er ist sicher auch
kein Lance Stroll. Mit mehr Routine kann er sich als
feste Größe im Grid etablieren.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Zweitklassiger Ferrari-Protegé
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: UNTERSCHÄTZT
FOTOS: LAT IMAGES
DANIIL KVYAT
Überschätzt oder unterschätzt? Das lässt sich
bei Daniil Kvyat nur schwer beurteilen. Geht es
danach, wie der Russe einst in die Formel 1
einstieg, wurde er ganz klar überschätzt. Zum
Supertalent hochgejubelt bestätigte Kvyat diese
Vorschusslorbeeren zwar zunächst. Nach einem Jahr
Lehre bei Toro Rosso schlug Kvyat, 2015 zu Red Bull
befördert, an der Seite des frischen Vettel-Bezwingers
Daniel Ricciardo ein, beendete die Saison in der WM
sofort vor dem Australier. Doch der Erfolg und der Druck
durch den nachdrängenden Max Verstappen stiegen
Kvyat zu Kopf. Red Bull wechselte den Russen aus.
Davon erholte er sich nie mehr - bis zu seinem durchaus
beachtlichen Comeback 2019. Eine gewisse Überambition
und mangelnde Coolness in brenzligen Situationen
werden Kvyat allerdings noch immer nachgesagt
- und zwar berechtigt. Ein Superstar wird er als Red
Bulls aktuelle Nummer vier nicht mehr.
ALLGEMEINE EINSCHÄTZUNG: Verbranntes Talent
44 www.Motorsport-Magazin.com
UNSERE MEINUNG: Richtig!
ESTEBAN OCON
Viele Experten zählen Esteban Ocon zur goldenen
neuen Generation und nennen seinen Namen
dabei ganz selbstverständlich in einem Atemzug
mit Verstappen und Leclerc. Und das,
obwohl die Karriere des Mercedes-Zöglings
längst nicht derart beeindruckend wie die seiner Counterparts
verlief. Ocon machte sich zunächst mit Titeln
in der Formel 3 und der GP3 einen Namen, bevor er
2016 nach einem kurzen Intermezzo in der DTM den
Aufstieg in die Formel 1 schaffte. Dort bestätigte er
den ihm vorauseilenden Ruf bisher nicht. Schon sein
erster Teamkollege machte ihm das Leben schwerer,
als es bei einem Fahrer des Schlages Verstappen hätte
der Fall sein dürfen. Zwar hatte Pascal Wehrlein 2016
bei Manor eine halbe Saison mehr F1-Erfahrung, doch
für ein Wunderkind fehlte Ocon auf einen anderen
Rookie einfach zu viel. In den zwei darauffolgenden
Jahren mit Force India zeichnete sich ein Aufwärtstrend
ab, aber auch dort überzeugte er gemessen an
seinem Teamkollegen nicht.
Nach Punkten unterlag er Sergio Perez im über weite
Strecken stärksten Team des Mittelfeldes zweimal.
Zwar entschied er 2018 das Qualifying-Duell mit 16:5
für sich, mit im Durchschnitt nur acht Hundertstelsekunden
Vorsprung fiel dieser Vergleich unter dem
Strich allerdings denkbar knapp aus - zumal Perez
selbst kein Spezialist für eine schnelle Runde ist. Im
Rennen zeigte Ocon gegen den Mexikaner auch deutlich
zu wenig, um als Herausforderer für Verstappen
durchzugehen. In der Formel 3 lieferte er sich mit dem
Niederländer erbitterte Duelle. In der Formel 1 sind
wenn überhaupt nur noch die Animositäten dieser
Rivalität übrig, wie die kontroverse Kollision beim Brasilien
GP 2018 zeigte. Die Rückkehr Ocons 2020 mit
Renault wird den endgültigen Beweis über sein Potential
liefern. Dort heißt seine Messlatte Daniel Ricciardo.
Ein hoher Benchmark, der Verstappen 2017 und 2018
bei Red Bull trotz seines hohen Levels relativ deutlich
unterlag.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Verstappens Endgegner
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: ÜBERSCHÄTZT
www.Motorsport-Magazin.com 45
FOTOS: LAT IMAGES
CARLOS SAINZ
Im Fall des Spaniers wäre das Urteil vor einem Jahr
womöglich noch ganz anders ausgefallen. Das
direkte Teamduell mit Nico Hülkenberg bei Renault
verlor Sainz auf dem Papier zwar nicht haushoch,
allerdings war der heute 25-Jährige seinem deutschen
Teamkollegen durchweg unterlegen. Um sich
doch noch für höhere Aufgaben zu empfehlen, hätte
er selbst einen hoch geschätzten Mann wie Hülkenberg
zumindest schlagen müssen. Zumal Sainz sich
bereits zuvor durch zu viel Konkurrenz aus der Red-
Bull-Familie verabschiedet hatte. Es wirkte wie eine
Flucht. Doch etwas mehr als Durchschnitt, mehr als
ein weiterer verschlissener Fahrer des Juniorenprogramms
Red Bulls ist Sainz dann eben doch. Das hat
er 2019 bei McLaren bewiesen. In seinem bereits
dritten Team in der Formel 1 blühte der Spanier regelrecht
auf, füllte die gigantischen Fußstapfen seines
eigenen Idols und Landsmanns Fernando Alonso besser
als erwartet. Lando Norris, zwar ein Rookie, aber
mit dem Ruf eines absoluten Top-Talents der Zukunft
durchgestartet, hatte Sainz das gesamte Jahr über
weitgehend im Griff. Vor allem im Rennduell war der
‚Smooth Operator‘ unantastbar und bewies damit
gleich auch noch mehr Starpotential denn je. Apropos
Rookie: Was viele Kritiker vergessen haben oder übersehen,
ist Sainz‘ eigene Debütsaison in der Formel 1.
Die bestritt er 2015 bei Toro Rosso immerhin neben
niemand Geringerem als Max Verstappen. Der Niederländer
sorgte für die Aufmerksamkeit, Schlagzeilen
und besonderen Momente, Sainz fuhr mehr unter dem
Radar. Im direkten Vergleich mit dem Jahrhunderttalent
musste sich der Spanier jedoch keineswegs verstecken.
Im Rennduell unterlag er Verstappen mit 7:10
nur knapp, das Qualifying-Duell gewann er sogar
hauchdünn mit 10:9. Um einen kommenden Weltmeister
handelt es sich bei Sainz also eher nicht, dafür
ist das Niveau zu vieler Konkurrenten dann doch einen
Tick zu hoch. Vom grauen Durchschnitt hebt sich der
McLaren-Pilot inzwischen dennoch klar ab.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Nur schlechte Nummer zwei
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: Unterschätzt
46 www.Motorsport-Magazin.com
GEORGE RUSSELL
Back-to-back-Titel in der GP3 und der Formel 2:
Zweifelsfrei zählt George Russell da zu den heißen
Aktien der jungen Wilden. Vor allem, weil
davon im Fall des Briten kaum die Rede sein
kann. Wild wirkt Russell mitnichten, eher derart
unauffällig, dass es schon wieder auffällig ist. Sportlich
ist das als Lob gemeint - Fehler des 21-jährigen Rookies
mussten wir in seiner ersten Saison mit der Lupe suchen.
Gleichzeitig stimmte die Pace, Russells makellose Bilanz
im Qualifying-Duell sagt fast alles. Aber auch nur fast.
Eine echte Messlatte war Robert Kubica nicht mehr. Ihn
bereits ganz klar zum künftigen Champion zu erklären
- auch wenn es sich als korrekt erweisen mag -, kommt
daher noch etwas zu früh. Zumal sich die Verstappens,
Leclercs & Co. auch nicht verstecken müssen - schon
gar nicht, wenn es um Starpotential und Charisma geht.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Zukünftiger Champion
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: (NOCH) ÜBERSCHÄTZT
ALEX ALBON
Ende 2018 noch mit einem Formel-E-Vertrag ausgestattet,
winkte Alex Albon vor wenigen Wochen
die Verlängerung bei Red Bull für 2020. Der Thailänder
debütierte völlig unverhofft in der Formel 1
und überzeugte in seiner Rookiesaison auf ganzer
Linie, verdiente sich bei Toro Rosso die Beförderung
ins Top-Team und hielt dort dem Druck an der Seite von
Max Verstappen stand. Ohne die Personalnot bei den
Bullen wäre dem Sport ein starker Pilot durch die Lappen
gegangen. Albons Pace ist mehr als nur respektabel,
seine Courage im Zweikampf für einen Youngster
überdurchschnittlich. Bemerkenswert ist vor allem seine
mentale Stärke. Der Speed und der Status Verstappens
verunsichern ihn scheinbar nicht im Geringsten. Ob er
dem Wunderkind jemals gefährlich werden kann, muss
sich zeigen. Albon ist aber in jedem Fall mehr als nur
ein Wasserträger.
ALLG. EINSCHÄTZUNG: Red Bulls Wasserträger
UNSERE MEINUNG: Falsch!
UNSER URTEIL: UNTERSCHÄTZT
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BOTTAS
BADASS
TEXT: CHRISTIAN MENATH
VALTTERI BOTTAS MELDETE SICH 2019 NACH EINER SEUCHENSAISON
BÄRENSTARK ZURÜCK. DOCH IRGENDWANN ZOG LEWIS HAMILTON
WIEDER DAVON. MOTORSPORT-MAGAZIN.COM VERRÄT DER
VIZEWELTMEISTER, WIE ER DAS 2020 ZU VERHINDERN SUCHT.
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www.Motorsport-Magazin.com 49
FOTOS: LAT IMAGES
MSM: Wenn man dir nach dem Wintertest Platz
zwei in der WM angeboten hätte: Hättest du ihn
genommen?
VALTTERI BOTTAS: [überlegt etwas] Nein. Du
nimmst nie Platz zwei. Wenn du in einem Team
wie diesem bist, heißt es alles oder nichts. Du willst
das Jahr nicht angehen, indem du bereit für P2 bist.
Nein, ich hätte es nicht genommen. P2 ist besser
als P3 oder P4, aber es ist eben nicht Platz eins.
Auch wenn am Ende ‚nur‘ Platz zwei steht, war
es die beste Saison deiner Karriere?
Ja. Es war in vielerlei Hinsicht ein positives Jahr.
Ich konnte an meiner Fahr-Performance einige
Verbesserungen vornehmen, weshalb ich glaube,
dass es bislang meine beste Saison ist. Aber ich will
noch viel besser werden.
Nach Aserbaidschan warst du richtig dick im
WM-Kampf, hast sogar geführt. Was ist danach
passiert?
Es gab einige Rennen, bei denen ich es direkt am
Start verloren habe. Dann gab es ein paar Rennen,
bei denen ich im Qualifying Fehler gemacht habe,
die mich Positionen gekostet haben. Dann ist es
schwierig, im Rennen gegen deinen Teamkollegen
zurückzukommen. Und schließlich gab es ein paar
Rennen, in denen ich Fehler gemacht habe -
Hockenheim zum Beispiel. Dort hätte ich gute
Punkte geholt und Lewis gar keine. Und dann bin
ich gecrasht. Diese Dinge haben die Sache etwas
verlagert.
War Hockenheim ein kritischer Punkt in dieser
WM?
Ja, einer auf jeden Fall. Es gab einige bittere, knappe
Niederlagen gegen Lewis. Er war sehr konstant,
hatte immer eine sehr gute Performance. Ich habe
es nicht geschafft, ihn zu schlagen. Er war einfach
besser an einigen Wochenenden. Er performt auf
einem sehr guten Level und verbessert sich sicherlich
noch immer. Es ist nicht einfach, aber nichts
ist unmöglich.
Du bist nach einem sehr schwierigen Jahr 2018
als neuer Valtteri beim Wintertest zurückgekommen.
Mit Bart, mit neuer Mentalität. Wie badass
Bottas bist du?
Das weiß ich nicht - ich bin, wer ich bin. Ich habe
nur über den Winter eine andere Einstellung
gefunden. Es liegt nicht an mir, darüber zu urteilen,
wie badass ich bin. Die Leute können darüber denken,
was sie wollen. Ich bin hier, um meine Träume
und Ziele in diesem Sport zu verfolgen.
War das kein Statement, um zu zeigen, dass du
härter zurückgekommen bist?
Nein. Ich habe nicht geplant, irgendetwas zu zeigen.
Ich glaube, die Leute haben es angenommen.
Sie haben es angenommen und lagen damit auch
richtig, dass ich eine andere Herangehensweise für
das Jahr habe.
50 www.Motorsport-Magazin.com
Du bist 30 Jahre lang zu der Person geworden,
die du bist. Wie kannst du da über den Winter
einen Schalter umlegen und anders sein?
Manchmal musst du ziemlich tief gehen, um etwas
Neues von dir zu entdecken, eine neue Einstellung.
Nach der letzten Saison war ich mit der
sportlichen Situation wirklich nicht glücklich. Es
war dann ein schwieriger Winter, sich zu erholen
und die gute Einstellung und Motivation für den
Sport wiederzufinden. Aber wenn du das wieder
gefunden hast in tieferen und nicht so guten
Gedanken, dann kannst du viel besser zurückkommen.
Ich weiß nicht, was passiert ist, aber es
ist, als wäre ein Schalter umgelegt worden.
Machst du das alles selbst oder hilft dir jemand
dabei?
Selbst.
Du hast in einem unserer letzten Interviews
gesagt, dass der Druck nicht von außen kommt,
sondern du dir selbst teilweise zu viel Druck
machst. Ist das noch immer so?
Ich kann nun viel besser damit umgehen. Das
kann für jeden ein Problem sein. Ich habe auf
diesem Gebiet massiv dazugelernt. Dieses Jahr
kann ich mich nicht an viele Situationen erinnern.
Vielleicht ein paar, aber nichts im Vergleich zur
Vergangenheit.
Es gibt so viele Dinge, die das beeinflussen. Es ist
ein ziemlich breites Feld. Es hängt auch damit
zusammen, was du zwischen den Rennen machst,
um deinen Kopf vom Sport freizubekommen.
Damit du nicht 24/7 darüber nachdenkst. Wie ist
deine eigene Situation, wie ist die Beziehung zu
den Ingenieuren, wie ist die Beziehung zu deinem
Boss? Es gibt so viele Dinge, die das beeinflussen.
Das wichtigste für mich ist aber: Immer dann,
wenn ich das Fahren genieße, bin ich am besten.
Ich versuche immer, Wege zu finden, damit das
so läuft. Ich muss in dieser Einstellung sein, um
zu performen. Nach dem letzten Winter war ich
in diesem Jahr mutiger, Dinge so zu machen, wie
ich sie will - und das spiegelt sich in meiner Performance
wider.
Wie sehr nerven dich eigentlich die Fragen über
Lewis?
Ich habe mich daran gewöhnt. Als ich zum Team
gekommen bin, gab es eine Menge davon. Jeder
will wissen, was Lewis‘ Stärken sind, ob er Schwächen
hat, wie unsere Beziehung ist...
Ist es nicht nervig, Leuten ständig zu sagen, wie
großartig ein anderer ist?
Ja, aber so ist es eben im Moment. Er hat die Weltmeisterschaft
erneut gewonnen und verdient es,
in dieser Situation zu sein. So sind die Dinge.
Du sagtest nach einer der 1.000 Fragen über
Lewis, dass Konstanz seine Stärke ist. Ist Kon-
»ES LIEGT NICHT AN MIR,
DARÜBER ZU URTEILEN, WIE
BADASS ICH BIN. DIE LEUTE
KÖNNEN DARÜBER DENKEN, WAS
SIE WOLLEN. ICH BIN HIER, UM
MEINE TRÄUME UND ZIELE IN
DIESEM SPORT ZU VERFOLGEN.«
Valtteri überraschte die
F1 2019 als Bottas 2.0
Bottas fühlt sich bei
Mercedes pudelwohl
FOTOS: LAT IMAGES
stanz etwas, dass man lernen kann? Wie will man das
verbessern?
Konstanz kommt von vielen verschiedenen Faktoren.
Wenn ich von Konstanz rede, meine ich, auf jeder Strecke
Performance zu liefern, vor allem am Sonntag und bei der
Rennpace. Es sind viele Details. Wenn ich es zusammenbekomme,
auf jeder Strecke und bei der Rennpace zu
performen, dann kann ich ihm überall, auf jeder Strecke
auf dieser Welt ebenbürtig sein. Daran arbeiten wir mit
den Ingenieuren. Und es geht auch darum, die Fehler zu
minimieren. Das wäre eine große Hilfe im Kampf um die
Weltmeisterschaft. Der einzige Weg, dich da zu verbessern
ist es, von jedem einzelnen Fehler zu lernen, den du machst
und ihn in der richtigen Weise zu verarbeiten.
Mit Psychospielchen á la Nico Rosberg willst du Lewis
nicht schlagen, das hast du schon klargestellt. Wie
dann?
Ich will mich auf der Strecke beweisen, das ist für mich
das wichtigste. Wenn du siehst, wie die andere Seite der
Garage performt, ist das immer eine Art Psychospielchen.
Wenn Lewis sieht, dass ich in den Trainings und im Qualifying
gut performe, dann kann das manchmal zu Fehlern
bei ihm führen. Das ist bei jedem das gleiche. Auch für
mich: Wenn ich sehe, dass er das ganze Wochenende auf
einem wirklich hohen Niveau fährt und dann im Qualifying
gute Runden zeigt, dann ist es schwieriger für mich,
das Beste herauszuholen. Der beste Weg für mich, um
ihn zu schlagen, ist, schneller als er zu sein. Normalerweise
verunsichert das jeden, auch Lewis ein bisschen.
Und das kann zu Fehlern führen.
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Valtteri gewann 2019 vier Grands
Prix - mehr als je zuvor
Vier Mal heimste Bottas
2019 den Siegerpokal ein
Kann Bottas aus dem Schatten
von Hamilton treten?
Du wirst 2020 in deine vierte Saison mit Mercedes
gehen. Aber erneut hast du nur einen Einjahresvertrag
erhalten. Ist das mangelnde Vertrauen ein Problem für
dich?
Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich glaube, ich würde mich
noch besser fühlen als jetzt, wenn ich einen längeren Vertrag
hätte. Ich hatte auch vorher immer nur kurze Verträge,
aber über die Jahre wird es etwas schwieriger, das zu handeln.
Du weißt immer, dass der Moment wiederkommt,
an dem du auf Messers Schneide bist. Ich weiß, dass das
Team Vertrauen in mich hat, aber ich weiß auch, wie diese
Welt und das Business funktionieren. In der Zukunft will
ich lieber einen Vertrag, der länger als ein Jahr läuft.
Du bist 30 und zählst damit zwar noch nicht zur alten
Garde, aber auch nicht mehr zur jungen Generation.
Steckst du dir Ziele, die du bis zu einem gewissen Zeitpunkt
erreicht haben willst?
Nicht so wirklich. Aber für nächstes Jahr werde ich wieder
alles geben, was ich kann. Manchmal brauchen die Dinge
Zeit. Jeder Fahrer ist anders, wie er sich entwickelt und
wie seine Karriere verläuft. In diesem Sport gibt es kein
gewisses Alter, an dem du deinen Höhepunkt erreichst.
Es ist individuell. Und ich habe das Gefühl, dass ich meinen
Höhepunkt noch erreiche. Ich bin in gewisser Weise
geduldig, aber auf der anderen Seite will ich auch, dass
meine Zeit so schnell wie möglich kommt. Ich kann aber
nicht sagen, dass es innerhalb einer bestimmten Zeit passieren
muss. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich mich
für nächstes Jahr voll ins Zeug legen werde.
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SCHUMI-MANIA 1994
MICHAEL SCHUMACHER GEWANN VOR 25 JAHREN ALS ERSTER DEUTSCHER DIE FORMEL-
1-WELTMEISTERSCHAFT. DIE SAISON 1994 GING IN DIE GESCHICHTSBÜCHER EIN UND PRÄGTE
DIE KARRIERE DES REKORDWELTMEISTERS. DENN DER WEG ZU SEINEM ERSTEN VON SIEBEN
TITELN WAR EINER VON TRIUMPHEN, TRAGÖDIEN UND KONTROVERSEN.
5. SPIEL, SATZ & SIEG IM ERSTEN MATCH
TEXT: FLORIAN BECKER
Für den Weltmeistertitel 1994 gab es vor dem Saisonstart genau einen Favoriten:
Williams-Pilot Ayrton Senna. Nachdem der beste Fahrer im Feld nach mehreren
Anläufen endlich den Wechsel zum besten Team vollzogen hatte, schien sein vierter
WM-Titel nur noch Formsache. Doch gleich beim ersten der 16 Saisonrennen musste
Senna trotz Pole Position feststellen, dass er auch nach dem Rücktritt von Erzrivale
Alain Prost an der Spitze der Formel 1 nicht alleine war. Ausgerechnet beim Heimspiel
in Interlagos fügte ihm Michael Schumacher eine regelrechte Demütigung zu. Erst
jagte der Youngster das Idol der Massen wie besessen, dann leistete die Benetton-
Crew beim direkten Duell in der Box bessere Arbeit und brachte Schumacher in
Führung. Sennas verzweifelter Versuch den Anschluss zu halten endete in einem
Dreher, bei dem er den Motor abwürgte. Die Nummer eins der Welt war geschlagen
und äußerte schon bald erste Zweifel an der Legalität des Benetton B194.
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FOTOS: LAT IMAGES
4. TRIUMPH ÜBER DIE TRAUER
Michael Schumacher reiste mit der maximalen Punkteausbeute aus den ersten drei
Rennen zum Grand Prix von Monaco. Doch über dem Saisonhighlight in den Straßen
des Fürstentums lag ein dunkler Schatten. Die Formel 1 hatte zwei Wochen zuvor
in Imola Roland Ratzenberger und Ayrton Senna verloren. Der Brasilianer war vor
den Augen Schumachers tödlich verunglückt. Für ihn bedeutete das nicht nur den
traumatischen Verlust eines hochgeschätzten Rivalen. Senna war für ihn weit mehr
als nur ein Gegner. Schumacher bewunderte den Magier, wie seine Fans ihn nannten,
seitdem er ihn Anfang der 1980er Jahre bei der Go-Kart-Weltmeisterschaft fahren
gesehen hatte. Der Tod des Jugend-Idols traf ihn schwer. Doch wie der gesamte
Paddock musste auch er in Monaco zur Tagesordnung zurückkehren. Dort wo Senna
zwischen 1989 und 1993 fünf Mal in Folge gewonnen hatte, holte Schumacher im
Qualifying die erste Pole Position seiner Karriere und einen dominanten Sieg.
3. DIE NEUE
NUMMER EINS ZAUBERT
Sennas Tod hinterließ beim einstigen Favorit Williams
eine unermessliche Lücke. Damon Hill war der Mann,
der die WM-Mission des Teams in seiner erst zweiten
Saison daraufhin anführen musste. Doch gegen die
Übermacht von Schumacher und Benetton tat sich
der unerfahrene Brite schwer. Schumacher fuhr auch
am fünften Rennwochenende in Barcelona zur Pole
Position. Im Rennen befand er sich auf dem Weg zu
seinem nächsten Sieg, bis nach 20 Runden ein Problem
an seinem Auto auftrat. Das Getriebe steckte im
fünften Gang fest. Doch Schumacher gab nicht auf.
Tatsächlich gelang es ihm, die letzten zwei Drittel des
Rennens in nur einem Gang über die Runden zu bringen,
wobei er zwei Boxenstopps inklusive Anfahren
im fünften Gang überstehen musste. Einzig Hill gelang
es, von der Misere des Dominators zu profitieren.
Wenige Wochen nach der Tragödie um Senna sicherte
er Williams den ersten Sieg der Saison. Doch die
Geschichte des Rennens schrieb der unaufhaltbare
Schumacher, der einen sicheren Ausfall in einen zweiten
Platz verwandelte.
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FOTOS: LAT IMAGES
2. ALLE FÜR EINEN, EINER FÜR ALLE
Sportlich verlief die Saison bis in den Sommer ganz nach dem Geschmack von
Michael Schumacher und Benetton. Das Dreamteam gewann sechs der ersten
sieben Rennen und lag mit 37 Punkten Vorsprung komfortabel an der Spitze der
WM. Doch Silverstone markierte den Beginn eines Spießrutenlaufs. Schumacher
wurde für das Ignorieren einer Stop-and-Go-Strafe sowie der schwarzen Flagge
disqualifiziert. Benetton musste obendrein eine Geldstrafe in Höhe von 500.000
US-Dollar zahlen, Schumacher erhielt außerdem eine Sperre für zwei Grands Prix.
Ausgerechnet beim Heimrennen in Hockenheim sollte der neue deutsche Nationalheld
damit nicht im Grid stehen. Die aufgebrachten Fans kündigten Proteste
an. Sie wollten sogar die Rennstrecke stürmen. Wenn ihr Schumi beim Deutschland
GP nicht mitfährt, fährt niemand. Die Offiziellen gaben unter dem enormen Druck
nach und verschoben die Rennsperre um drei Wochenenden. Sportlich war
Hockenheim für Schumacher mit einem frühen Defekt kein Erfolg, doch moralisch
erreichte er mit einer ganzen Nation im Rücken einen neuen Höhepunkt.
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Enea Bastianinis erster
Sieg ist nur noch eine
Frage der Zeit
1. SHOWDOWN IN DOWN UNDER
Das Finale auf dem Stadtkurs von Adelaide wurde zu einem der größten Thriller
der Geschichte. Schumacher ging mit lediglich einem Punkt Vorsprung auf Hill
in den Grand Prix von Australien, nachdem dieser ihm zuvor in Suzuka eine
empfindliche Niederlage zugefügt hatte. Mit Nigel Mansell und Johnny Herbert
erhielten Hill und Schumacher zur Unterstützung neue Teamkollegen. Für Williams
ging der Plan auf. Mansell sicherte sich mit dem immer stärker gewordenen
FW16B vor Schumacher und Hill die Pole Position. Am Start setzte sich Schumacher
jedoch durch, woraufhin Mansell auch Hill ziehen ließ und den WM-Kampf
Mann gegen Mann freigab. Hill jagte Schumacher unermüdlich, bis dieser in
Runde 36 Nerven zeigte und nach einem Fahrfehler die Mauer touchierte. Die
rechte Hinterradaufhängung war zerstört, die WM in diesem Moment verloren.
Doch als Hill zum Überholmanöver ansetzte, zog Schumacher herein und kollidierte
mit seinem Rivalen. Der kontroverse Showdown entschied die WM zu
seinen Gunsten, denn auch Hill musste sein Rennen aufgeben. Vom Streckensprecher
erhielt Schumacher die erlösende Nachricht des bis heute denkwürdigen,
ersten Titelgewinns.
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SLIDESHOW | MOTORSPORT | #70 | 2019
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FOTO: MONSTER
KEINE ZEIT
FÜR EINE PAUSE
TEXT: SOPHIE RIGA
Die MotoGP-Saison 2019 ist kaum beendet, da drehen sich die
Gedanken aller schon um das nächste Jahr. Auch das Yamaha-
Lager bildet da keine Ausnahme, schließlich will man mit der neuen
M1 endlich den Rückstand auf die Konkurrenz verringern. Bei
diesem Unternehmen kämpft Valentino Rossi an vorderster Front,
obwohl er gerade seine 20. Saison in der Königsklasse beendet
hat und nach 2020 wohlmöglich gar nicht mehr im Einsatz sein
wird. Bei den Tests in Valencia und Jerez prüfte er den neuen Motor
und das neue Chassis trotzdem auf Herz und Nieren, während sich
Teamkollege Maverick Vinales nur auf den Motor konzentrierte
und die Chassis-Arbeit hinten anstellte. Rossi hingegen kämpft
schon früh an allen Fronten, um aus der 2020er M1 das bestmögliche
Bike zu machen. Bei so viel Motivation auch nach so langer
Zeit heißt das wohl nur eines: Mindestens einen Sieg möchte Rossi
wohl noch feiern.
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FOTOS: LAT IMAGES
ZWISCHEN MENSCH &
MASCHINE
TEXT: MARKUS ZÖRWEG
JORGE LORENZO WAR FAST EINE DEKADE LANG DER ROBOTER UNTER DEN MOTOGP-
PILOTEN. IN SEINEN LETZTEN KARRIEREJAHREN ZEIGTE SICH DER MENSCHLICHE KERN
UNTER DIESER SCHALE.
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Sprüche und martialische, teilweise eigenartig
anmutende Siegesfeierlichkeiten wurden zu
seinen Markenzeichen. Ein Schuss, der für ihn
kräftig nach hinten losging. Der Schutzmantel,
den sich Lorenzo aufbauen wollte, wurde von
vielen Fans als Arroganz missinterpretiert.
Vor allem im Vergleich mit Strahlemann
Valentino Rossi auf der anderen Seite der
Yamaha-Box erntete Lorenzo damit nur
wenige Sympathien.
ICH WERDE ES VERMISSEN, RENNEN ZU FAHREN.
ICH WERDE ES VERMISSEN, ZU GEWINNEN. UND
ICH WERDE DIE LEUTE HIER VERMISSEN. DIESE
FAMILIE, DIE ZUSAMMEN UM DIE WELT REIST -
AUF DER SUCHE NACH GLÜCK UND RUHM.
Das wenig charmante zwischenmenschliche Auftreten Lorenzos fand auf der Strecke seine Ergänzung.
Die Leistungen des Mallorquiners sprachen von Beginn an für sich: Pole Position in seinen ersten
drei MotoGP-Qualifyings, Sieg beim dritten Auftritt in Estoril. Lorenzos Erfolge waren aber selten
spannend mitanzusehen. Meist waren es regelrechte Machtdemonstrationen, in denen er der Konkurrenz
vom Start weg keine Chance ließ und in denen die Rennen früh entschieden waren. Nicht
das, was sich der Motorsportfan vor dem Fernsehgerät und an den Strecken dieser Welt erhofft.
Lorenzo überzeugte nicht durch waghalsige Manöver und spektakuläre Aufholjagden, wie sie etwa
Valentino Rossi und später auch Marc Marquez zeigten. Er erarbeitete sich seine Vorteile durch
beinahe manischen Perfektionismus und unglaubliche Konstanz.
Ich werde es vermissen, Rennen zu
fahren. Ich werde es vermissen, zu
gewinnen. Und ich werde die Leute hier
vermissen. Diese Familie, die zusammen
um die Welt reist - auf der Suche nach
Glück und Ruhm.« Als Jorge Lorenzo
am 17. November in Valencia diese
Worte fand, um seine Gefühlswelt nach
dem letzten MotoGP-Rennen seiner
über 18 Jahre hinweg so erfolgreichen
Karriere zu beschreiben, hatten nicht
wenige Anwesende in der Honda-Hospitality
am Circuit Ricardo Tormo einen
dicken Kloß im Hals.
Es waren die letzten Worte in der Laufbahn eines
großen Champions. Und sie waren sinnbildlich
für die Wandlung, die Jorge Lorenzo in seinen
Jahren im MotoGP-Paddock vollzogen hat. Als
er 2008, im Alter von gerade einmal 20 Jahren,
die ganz große Bühne der Königsklasse betrat,
stand da ein zweifacher 250ccm-Weltmeister mit
dem Anspruch, die Königsklasse im Sturm zu
erobern. Aber auch ein unsicherer Charakter im
Umgang mit der Öffentlichkeit, mit den Medien
und nicht zuletzt mit seinen Rivalen. Diese Unsicherheit
versuchte Lorenzo zu überspielen, um
keine unnötige Angriffsfläche zu bieten. Markige
Seine dadurch möglichen Darbietungen auf der Strecke in Verbindung mit dem kühlen Eindruck,
den Lorenzo abseits davon vermittelte, zeichneten das Bild eines herausragenden Rennfahrers, aber
auch eines wenig liebenswerten Menschen. Für beide Seiten des Jorge Lorenzo trug ein Mann den
größten Teil der Verantwortung: Vater Chicho Lorenzo. Erst kurz vor der Geburt des Sohnemannes
kam Chicho aus Galicien nach Mallorca und brachte die durchaus raue Seefahrermentalität von der
spanischen Atlantikküste mit auf die Mittelmeerinsel. Und mit genau dieser erzog und trainierte er
den kleinen Jorge. Methoden waren da im Spiel, bei denen jeder moderne Pädagoge wohl nur schockiert
mit dem Kopf schütteln kann. »Ich habe Jorge fahren lassen, bis er geweint hat. Und dann noch
eine halbe Stunde«, erklärte Chicho Lorenzo vor Jahren in einem Interview. »Ich war immer sehr
streng im Training. Um das Beste aus einem Menschen herauszupressen, muss man ihn in Grenzsituationen
bringen und bestimmte Situationen eben erzwingen.« Ein Trainingsregime, das Jorge hart
werden ließ. Hart im Umgang mit anderen Menschen, hart aber auch im Umgang mit sich selbst.
Lorenzo schrieb Geschichten, die lange über seine Karriere hinaus in den Köpfen der MotoGP-Fans
verankert sein werden. Wie etwa bei der Dutch TT im Jahr 2013, als er im 2. Freien Training stürzte,
sich das Schlüsselbein brach, zur Operation nach Barcelona flog und weniger als 48 Stunden später
wieder in Assen auf seiner Yamaha saß. Lorenzo beendete das Rennen als Fünfter. Zurück an der
Box musste er unter Tränen vom Motorrad gehoben werden. Ein heroischer Ritt, der sinnbildlich
FOTOS: LAT IMAGES, YAMAHA
Bei Honda schrieb Lorenzo
nur Negativschlagzeilen
2012 wurde er Spaniens erster
MotoGP-Doppelweltmeister
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Nach Sepang entschied sich
Lorenzo für den Rücktritt
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ALS DIE ERGEBNISSE SCHLECHT WAREN, HABEN
NICHT MEHR VIELE AN MICH GEGLAUBT. LEUTE
SAGEN OFT, ICH WÜRDE NUR AUSREDEN SUCHEN.
WENN ICH SAGE, DASS ICH NUR DIE RICHTIGEN
MODIFIKATIONEN BRAUCHE, DANN LÜGE ICH MIT
SOLCHEN AUSSAGEN JA NICHT.
68 Mal durfte Lorenzo über
einen Sieg jubeln
Auch die Ducati bekam
JL99 in der Griff
FOTOS: LAT IMAGES
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für die Karriere von Jorge Lorenzo steht. Nichts, aber wirklich gar nichts,
ließ er unversucht, um noch schneller, noch konstanter, einfach noch besser
zu werden. Als er sich in seinen frühen Jahren mit schlechten Rennstarts
immer wieder das Leben schwer machte, ließ er sich ein Übungsgerät bauen,
mit dem er seine Reaktionszeit an der Ampel Stück für Stück verringern
konnte. Lorenzo verbrachte unzählige Stunden damit - und wurde zu einem
der besten Starter, den die Königsklasse je gesehen hatte. Zur gleichen Zeit
forderte er von seinem damaligen Ausstatter Dainese ständig neue Details
an seinen Lederkombis - und trieb die Damen und Herren in Italien damit
in den Wahnsinn. Wie Motorsport-Magazin.com Jahre später bei einem
Besuch der Firmenzentrale in Vicenza erfuhr, machte sich ein Gefühl von
Erleichterung breit, als Lorenzo zu Alpinestars wechselte. Seine Forderungen
waren aber nie vergebens, er wusste stets was er zu tun hatte.
Das galt insbesondere auch in der Entwicklung von Motorrädern. Bis heute
haftet dem dreifachen MotoGP-Champion das Image an, in diesem Bereich
keine Größe zu sein. Genau das Gegenteil ist aber der Fall, da sind sich
viele Experten im Fahrerlager einig. Wohl kein Fahrer in der Geschichte
war bislang in der Lage, die so schwierig zu kontrollierenden MotoGP-
Raketen derart exakt und konstant zu fahren wie Jorge Lorenzo. Wie ein
Metronom spulte er Runde um Runde deckungsgleich ab - egal ob im
Rennen, im Training oder bei Testfahrten. Lorenzo fuhr immer dieselben
Linien, wählte dieselben Bremspunkte und erzielte am Ende auch dieselben
Zeiten. Alteingesessene MotoGP-Fotografen waren stets erstaunt, als sie
Bilder von der Startnummer 99 auf ihre Rechner luden. Jede Aufnahme
glich exakt der vorangegangenen und der nachfolgenden. So, als hätte man
sie einfach weiterkopiert. Dadurch war Lorenzo in der Lage, den Ingenieuren
besonders aufschlussreiche Daten und persönliches Feedback zu
liefern. Und die Fakten untermauern die These über den grandiosen Entwicklungspiloten
Lorenzo. In seiner letzten Yamaha-Saison holte das Werksteam
mit ihm und Valentino Rossi sechs Siege und 20 Podiumsplatzierungen.
Nach seinem Abgang sanken diese Werte auf vier Siege und zwölf
Podien 2017 und nur noch einen Sieg beziehungsweise zehn Podien im
Jahr 2018. In der abgelaufenen Saison holte man noch weniger Podien
(neun), nur bei den Siegen ging es durch die beiden Erfolge von Maverick
Vinales in Assen und Sepang wieder leicht bergauf. Auch die Tatsache, dass
Yamahas erfolgreiche Satelliten-Piloten Johann Zarco und Fabio Quartararo
in den vergangenen Saisons stets auf Maschinen setzten, die in puncto
Chassis stark den von Lorenzo verwendeten glichen, ist ein Beweis seiner
herausragenden Arbeit.
Bei Ducati brauchte der feinfühligste unter allen MotoGP-Fahrern
länger, um die Desmosedici seinen Bedürfnissen anzupassen.
Kein Wunder, verlangte die Rakete aus Borgo Panigale von ihm
doch eine vollkommene Kehrtwende. Seinen einmaligen, sanften
Fahrstil mit unglaublichen Kurvengeschwindigkeiten, den er auf
der Yamaha M1 so perfektioniert hatte, konnte er bei Ducati
nicht mehr anwenden. Die Maschine verlangte völlig andere
Dinge von ihm, wollte mit viel Körpereinsatz in die Kurven
gedrückt und anschließend wieder hinausbeschleunigt werden.
Lorenzo stürzte in die erste große Krise seiner MotoGP-Zeit. In 18 Saisonrennen
stand er nur drei Mal auf dem Podium und gewann in seinem
zehnten Jahr in der Königsklasse erstmals keinen einzigen Grand Prix.
Kritiker waren sich sicher, dass die Partnerschaft zwischen Lorenzo und
Ducati nie eine glückliche werden würde. Spätestens nach einem desaströsen
Start in sein zweites Jahr in Rot schien sich das zu bewahrheiten.
Doch Lorenzo biss sich einmal mehr durch. Nach unzähligen Anpassungen
und Tests mit unterschiedlichsten Anbauteilen gelang es ihm doch noch,
mit der Ducati Desmosedici zu einer Einheit zu verschmelzen. »Ich musste
in den letzten eineinhalb Jahren so viel Kritik einstecken«, redete er sich
nach seinem ersten Ducati-Sieg, ausgerechnet beim großen Heimspiel in
Mugello, den Frust von der Seele. »Als die Ergebnisse schlecht waren, haben
RIVALEN ZOLLEN
LORENZO TRIBUT
Marc Marquez: »Ich möchte Jorge zu seiner Karriere gratulieren, aber auch
zu dieser Entscheidung, denn die sagt sehr viel über ihn aus. Als er gespürt
hat, dass er nicht mehr um Spitzenposition kämpfen kann, hat er sich für den
Rücktritt entschlossen. Das zeigt, was für ein Champion und starker Charakter
er ist.«
Valentino Rossi: »Jorge ist ein großer Champion, einer der wichtigsten MotoGP-Fahrer
unserer Ära und der härteste Rivale meiner Karriere. Sein Rücktritt
ist ein großer Verlust für unseren Sport. Sein Speed und seine Konzentration
haben mich immer beeindruckt. Er war in der MotoGP von Anfang an extrem
stark und hat dieses Niveau über zehn Jahre gehalten.«
Casey Stoner: »Der Rücktritt von Jorge ist ein großer Verlust für unseren
Sport. Ich empfinde nichts als Respekt für diesen Mann, der über weite Strecken
meiner Karriere einer der härtesten Gegner war.
Dani Pedrosa: »Jorge, es war mir eine Ehre, für einen großen Champion
wie dich ein Rivale zu sein. Ich wünsche dir nur das Beste!«
Andrea Dovizioso: »Ich bin erstmals 2001 in der Europameisterschaft auf
Jorge getroffen. Von da an sind wir immer gleichzeitig in die nächste Klasse
aufgestiegen und waren stets große Rivalen. Er konnte viele Rennen und Weltmeistertitel
gewinnen - darauf darf er wirklich stolz sein. Was er hier geleistet
hat, ist ganz groß.«
Maverick Vinales: »Fünf Weltmeistertitel zu gewinnen ist alles andere als
einfach. Das zeigt, was für ein großartiger Fahrer und was für ein herausragendes
Talent Jorge ist. Er hat das in jedem Rennen und jeder Klasse unter
Beweis gestellt.«
Alex Rins: »Als ich begonnen habe, die Rennen im Fernsehen zu verfolgen,
habe ich immer Jorge die Daumen gedrückt. Es war schön, ein paar Mal gegen
ihn zu kämpfen und die Strecke mit ihm zu teilen.«
nicht mehr viele an mich geglaubt. Leute sagen oft, ich würde nur Ausreden
suchen. Aber das stimmt nicht. Wenn ich sage, dass ich nur die richtigen
Modifikationen brauche, um schnell zu sein, dann lüge ich mit solchen
Aussagen ja nicht. Das ist nur die Wahrheit.« Und so wurde Lorenzo einmal
mehr zum größten Gegenspieler von Marc Marquez. Ehe im September
2018 beim Aragon-Grand-Prix seine unfassbare Verletzungsserie begann,
die ihn gut ein Jahr später zum Karriereende veranlasste.
Jorge Lorenzo schreckte in seiner Laufbahn nie vor Herausforderungen
zurück. 2008 wagte er als Rookie den Aufstieg ins Yamaha-Factory-Team
an die Seite von Valentino Rossi. Dem Mann, der zu diesem Zeitpunkt fünf
der letzten sieben Weltmeistertitel in der Königsklasse geholt hatte und der
weithin als größter Motorradfahrer aller Zeiten gesehen wurde. Sich in
dieser Position zu etablieren, war eine echte Mammutaufgabe. Doch
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Lorenzo biss sich durch, ließ sich von psychologischen Spielchen wie der
Trennwand inmitten der Yamaha-Box nicht verunsichern und krönte sich
2010 erstmals zum MotoGP-Champion. In einem Team, welches immer
noch zu großen Teilen auf Rossi zugeschnitten war und nach dessen Vorstellungen
arbeitete. Eine Leistung, die man kaum hoch genug einschätzen
kann. Rossi sah seine Felle in diesem stallinternen Duell davonschwimmen,
packte entnervt seine Koffer und entschied sich zu einem erfolglosen zweijährigen
Abenteuer bei Ducati. Dort sollte sechs Jahre später auch Lorenzo
andocken und ein Motorrad fahren, das all das verlangte, was er in seiner
bisherigen Karriere mied: Aggressivität, körperbetontes Fahren und damit
eine grundlegende Umstellung seines Stils. Lorenzo schaffte auch das. Und
wer weiß, vielleicht wäre er ein viertes Mal MotoGP-Weltmeister geworden,
hätte er sich nicht just am Wochenende seines ersten Ducati-Sieges für die
nächste große Herausforderung, den Wechsel zu Repsol Honda an die Seite
von Dominator Marc Marquez, entschieden.
Eine Herausforderung, an der Lorenzo schlussendlich aufgrund zweier
Faktoren scheitern sollte: Zum einen wäre da sein unglaubliches Verletzungspech.
Zur Erinnerung: Lorenzo brach sich innerhalb von gut
neun Monaten eine Zehe und renkte sich eine weitere aus (Aragon-GP
2018), verletzte sich einen Knöchel und brach sich die Speiche (Thailand-GP
2018), zog sich eine Fraktur im Bereich des linken Kahnbeins
zu (Wintertraining 2019), demolierte eine Rippe (Katar-GP 2019),
zog sich Verletzungen am Oberkörper zu (Barcelona-Test 2019) und
brach sich schließlich zwei Rückenwirbel (Dutch TT 2019). Diverse
Knochenbrüche steckte er noch souverän weg, doch der schwere Sturz im 1.
Freien Training zur Dutch TT in Assen bedeutete ein Umdenken in der
Vollgasmaschine Jorge Lorenzo. »Wir alle wissen, welche Konsequenzen
unser Sport haben kann«, sagt er. »Als ich nach diesem Sturz aufgestanden
bin, habe ich mich aber zum ersten Mal gefragt, ob es das alles wirklich noch
wert ist. Ich habe mich dennoch entschieden, es noch einmal zu versuchen.
Der Berg war für mich aber bereits zu groß. Ich hatte nicht mehr die Motivation
und Leidenschaft, um ihn zu erklimmen.« Ein zweifacher Wirbelbruch,
wie ihn sich Lorenzo in Assen zuzog, hat ganz andere Auswirkungen auf die
Psyche eines Fahrers als die Standard-Blessuren an Schlüsselbeinen, Schultern
oder Handgelenken. Wirbelverletzungen können ein Leben im Rollstuhl
bedeuten. Wayne Rainey ist dafür das bekannteste und traurigste Beispiel in
der Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft. Auch er wirkte in den Jahren
vor seiner lebensverändernden Verletzung unantastbar, beinahe übermenschlich
- wie Lorenzo Dekaden später. Es sind Situationen wie diese, die auch
den Piloten selbst klar machen, dass sie trotz ihrer teilweise außerirdisch
wirkenden Leistungen nur Menschen sind. Und als solche haben auch sie
Ängste, die ein Vorankommen in ihrem Sport unmöglich machen können.
Für Jorge Lorenzo wurde dieses Gefühl im Sommer 2019 real.
ES TUT MIR LEID FÜR HONDA, DASS ES SO
GELAUFEN IST. VOR ALLEM TUT ES MIR LEID
FÜR ALBERTO. ER WAR DERJENIGE, DER MIR
DIESE CHANCE GEGEBEN HAT. ICH HABE SIE
ENTTÄUSCHT.
Lorenzo zerbrach
aber nicht nur an seinen
Verletzungen,
sondern auch an den
gewaltigen Erwartungen,
die von
außen und von ihm
selbst an ihn gestellt
wurden. Marc Marquez
und Jorge Lorenzo - das war das logische Dream-Team der MotoGP.
Zusammen hatten sie acht der letzten neun Weltmeistertitel in der Königsklasse
gewonnen. Und im Sommer 2018 waren Marquez und Lorenzo
die stärksten Fahrer im Feld. Nach all seinen Verletzungen war Lorenzo
aber eben nicht mehr derselbe wie zuvor, an der Erwartungshaltung
änderte das aber nichts. Seine Ergebnisse - kein einziges Top-Ten-Resultat
2019 - waren nicht das, wofür ein Mann seiner Klasse Rennen fährt. Und
auch nicht das, wofür Honda ihn an Bord geholt hatte. »Es tut mir leid
Drei Rennen gewann
Lorenzo für Ducati
JORGE LORENZOS KARRIERE IN ZAHLEN
297 Grands Prix
68 Siege
152 Podien
69 Pole Positions
37 Schnellste Rennrunden
3946 Punkte
5 WM-Titel
für Honda, dass es so gelaufen ist«, meinte er deshalb auch in seiner
Rücktrittspressekonferenz. »Vor allem tut es mir Leid für Alberto (Teamchef
Puig, Anm.). Er war derjenige, der mir diese Chance gegeben hat.
Ich habe ihm bei einem unserer ersten Gespräche über den Wechsel
gesagt, dass er sich das gut überlegen und nicht den falschen Fahrer holen
soll. Er meinte nur: ‚Wir werden es sicher nicht bereuen!‘ Aber ich habe
sie enttäuscht.«
Was bleibt, ist dennoch der Fakt, dass der Mann mit der Nummer 99 die
größten Fahrer seiner Ära allesamt schlagen konnte. 2015 entriss er als
bislang einziger Pilot Marc Marquez einen Titel in der Königsklasse und
gewann das dramatischste Duell der letzten Jahre gegen Teamkollege Rossi.
Zuvor hatte er bereits Superstars wie Casey Stoner oder Dani Pedrosa
schachmatt gesetzt. Und so saß am 14. November ein fünffacher Weltmeister
im Pressekonferenzraum des Circuit Ricardo Tormo von Valencia und
verkündete seinen Rücktritt. Keine Spur war an diesem Tag mehr vom
unsicheren und sozial ungelenken jungen Mann, der viele Jahre zuvor die
MotoGP im Sturm erobert hatte. Lorenzo war, spät aber doch, auch menschlich
gereift. Die Souveränität, mit der er seinen Abschied aus dem Sport
bekanntgab, gepaart mit viel Emotion und weise gewählten Worten, rang
allen Anwesenden Respekt ab: Journalisten, Teammitgliedern und
Fahrerkollegen.
Im Rahmen des Grand Prix von Spanien 2020 wird Jorge Lorenzo offiziell
zur MotoGP-Legende. Kaum jemand hat es mehr verdient als er.
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Das Honda-Abenteuer
blieb erfolglos
FOTOS: LAT IMAGES
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LORENZOS
BESTE RENNEN
JORGE LORENZO HAT IN SEINEN ZWÖLF JAHREN ALS MOTOGP-PILOT VIELE
LEGENDÄRE SCHLACHTEN GESCHLAGEN. DIE FÜNF BESTEN RENNEN SEINER
KARRIERE IM RÜCKBLICK.
TEXT: SOPHIE RIGA
5. SILVERSTONE 2013
Im letzten Teil seiner langen und erfolgreichen Karriere war Marc Marquez
einer der größten Gegner, mit denen Jorge Lorenzo zu kämpfen hatte. Und das
bereits in Marquez' Rookie-Saison 2013. Beim Großbritannien GP in Silverstone
liefern sich Lorenzo und Marquez eines ihrer ersten Duelle. Mit Dani Pedrosa
im Schlepptau fighten die beiden Spanier auf der letzten Runde verbissen um
den Sieg. Anfangs liegt der Vorteil bei Lorenzo, doch Marquez will sich einmal
mehr beweisen und liefert dem mehrfachen Champion ein knallhartes Duell.
Der Neuankömmling drückt sich innen an Lorenzo vorbei, der ihm erst einmal
nichts entgegensetzen kann. Nur ein paar Kurven weiter bläst er zum Gegenangriff
und zieht seinerseits an Marquez vorbei. Am Ende der Gegengeraden
profitiert der Honda-Pilot aber von der Power seiner RC213V und erobert die
Führung zurück. Das lässt Lorenzo nicht auf sich sitzen und drängt sich eine
Kurve weiter ebenfalls innen an Marquez vorbei. Danach hat der Rookie keine
Chance mehr, an seinem Konkurrenten vorbeiziehen. Er muss sich für dieses
Mal geschlagen geben, während Lorenzo den vierten Saisonsieg über die
Ziellinie fährt.
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FOTOS: LAT IMAGES, YAMAHA, REPSOL, DUCATI
4. JEREZ 2010
Die Rivalität zwischen Lorenzo und Dani Pedrosa in der MotoGP ist legendär. Einst
musste sogar der spanische König die beiden Konkurrenten zum Händeschütteln
auf dem Podium zwingen. Kein Wunder, dass aus dieser Rivalität einige spannende
Duelle resultierten. So zum Beispiel der Spanien GP in Jerez aus dem Jahr 2010.
Lorenzo und Pedrosa lassen auf den letzten zwei Runden ihre Konkurrenten zurück
und machen den Kampf um die Vorherrschaft in Jerez unter sich aus. Zu Beginn
des Fights auf der vorletzten Runde hat Pedrosa die Nase vorn, aber Lorenzo lauert
dicht hinter seinem Landsmann und startet mehr als nur ein aggressives Manöver.
Das nützt ihm aber nichts, denn Pedrosa kann alle seine Angriffe parieren. Damit
bleibt Lorenzo nur noch die Chance auf der letzten Runde. Und er hat Glück:
Es gelingt ihm, Pedrosa eine weitere Linie aufzudrängen, sodass er selbst in
Führung gehen kann. Die verbleibende halbe Runde nutzt Lorenzo, um seinen
Konkurrenten soweit es geht hinter sich zu lassen und er geht als triumphaler
Sieger aus diesem Zweikampf hervor.
3. MUGELLO 2018
Nach neun Jahren als Yamaha-Pilot ist es für Lorenzo
Zeit für Veränderung. Der Spanier sucht in seiner
Karriere immer wieder neue Herausforderungen, die
ihn an sein Limit und darüber hinaus treiben. Im Jahr
2017 entscheidet Lorenzo, dass seine neueste Challenge
die Ducati Desmosedici GP sein soll. Dass diese
für ihn kaum zu bewältigen sein wird, damit hatte
Lorenzo sicher nicht gerechnet. Der Spanier durchlebt
harte Zeiten und als er seinen Weg gefunden hat, ist
es bereits zu spät. Im ersten Jahr als Ducati-Pilot
kann Lorenzo keinen einzigen Sieg verzeichnen. Die
Erlösung kommt erst in seinem zweiten und letzten
Jahr bei den Italienern - ausgerechnet beim Heimspiel
in Mugello. Lorenzo liefert hier eine totale Machtdemonstration
ab, wie er es im Laufe seiner Karriere
immer wieder tut, wenn alle Bedingungen stimmen.
Er legt einen perfekten Start hin und entwischt der
Konkurrenz nach zehn Runden über eine Sekunde.
Valentino Rossi, Andrea Dovizioso, Marc Marquez -
keinem von ihnen lässt er an diesem Nachmittag auch
nur den Hauch einer Chance. Mit über sechs Sekunden
Vorsprung überquert er als Sieger die Ziellinie.
Ein Lorenzo-Sieg, wie er im Buche steht und eine
Performance, die alle Kritiker ganz plötzlich verstummen
lässt.
www.Motorsport-Magazin.com 67
FOTOS: LAT IMAGES, YAMAHA, REPSOL, DUCATI
2. BARCELONA 2009
Nachdem Lorenzo seinen Rücktritt erklärt hatte, meldeten sich viele Weggefährten
mit ihren besten Erinnerungen zu Wort. Darunter auch Lorenzos ehemaliger Teamkollege
Valentino Rossi. "Jorge war sicher einer der größten Konkurrenten meiner
Karriere", erklärte Rossi. Kein Rennen stellt diese Behauptung des Doktors besser
unter Beweis als Barcelona 2009. Lorenzo und Rossi, damals beide Piloten im
Yamaha-Werksteam, sind sich ohnehin schon nicht grün und kämpfen um die Vormachtstellung
innerhalb des Teams. In den letzten Runden des Katalonien GPs 2009
heben sie diesen Kampf dann aber auf einen völlig neuen Level. Über zwei Runden
liefern sich die beiden Giganten ein Duell der Extraklasse. Lorenzo und Rossi jagen
sich gegenseitig um den Circuit de Barcelona-Catalunya, lauern hintereinander auf
die beste Chance für ein Überholmanöver und bieten den Fans an der Strecke und
vor dem Fernseher ein haarsträubendes Finale. Keiner der beiden denkt auch nur
eine Sekunde lang ans Zurückstecken. Den Sieg trägt letztendlich Altmeister Rossi
davon, allerdings mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0.095 Sekunden.
68 www.Motorsport-Magazin.com
1. ASSEN 2013
Das MotoGP-Piloten aus anderem Holz geschnitzt sind als normale Menschen,
zeigen sie immer wieder. Niemand machte diese Tatsache aber deutlicher als
Lorenzo bei der Dutch TT im Jahr 2013. Am Donnerstag crasht er im FP2
schwer. Die Ärzte stellen danach fest: Der Yamaha-Pilot hat sich das linke
Schlüsselbein gebrochen. Ans Aufgeben denkt der selbsternannte Spartaner
aber nicht. Stattdessen entscheidet er sich für eine fast schon absurde Alternative:
Noch am selben Tag fliegt er nach Barcelona, lässt sich dort operieren
und kehrt am Samstag nach Assen zurück. Mit seinem verletzten Schlüsselbein
startet er von P12 im Grid ins Rennen - was allein schon eine Sensation ist.
Auf den folgenden 26 Runden leistet Lorenzo dann aber Unmögliches: Er pusht
seinen in Mitleidenschaft gezogenen Körper bis über seine Grenzen hinaus
und überquert schließlich als Fünfter die Ziellinie. Als er in die Box zurückkehrt,
muss er unter Tränen vom Motorrad gehoben werden. Lorenzo zeigt an diesem
Tag in Assen eine beinahe übermenschliche Leistung, die ihm noch heute von
Fans und selbst von seinen erbittertsten Rivalen große Bewunderung
einbringt.
Enea Bastianinis erster
Sieg ist nur noch eine
Frage der Zeit
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FOTOS: LAT IMAGES
FOTOS: LAT IMAGES
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MARQUEZ
TOTAL
DAS
TEXT: MARKUS ZÖRWEG
GAB ES NOCH NIE. MIT MARC
UND ALEX MARQUEZ KÄMPFEN
2020 ZWEI BRÜDER FÜR REPSOL
HONDA UM SIEGE UND TITEL IN DER
KÖNIGSKLASSE DES MOTORRAD-
SPORTS. EIN PROJEKT MIT
GEWALTIGEN CHANCEN, ABER
AUCH GROSSEN RISIKEN.
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Donnerstag, 14. November 2019,
kurz vor 12:00 Uhr mittags. Der
Autor dieser Zeilen landet zum
MotoGP-Saisonfinale in Valencia.
Im Paddock hat man sich auf
einen gemütlichen Jahresabschluss
eingestellt. Die WM-Titel
sind in allen drei Klassen vergeben.
Bei den Testfahrten am
Dienstag und Mittwoch wird es
keine aufregenden Wechsel oder
Debüts geben. So zumindest die
Annahme. Diese stellt sich aber
schnell als falsch heraus. Als der
Flugmodus am Smartphone deaktiviert wird, poppt
als erstes eine WhatsApp-Nachricht des Kollegen
Michael Höller am Display auf: »Servus! Pressekonferenz
mit Jorge Lorenzo und Carmelo Ezpeleta
heute um 15:00 Uhr.«
Was das zu bedeuten hat, ist jedem klar. Jorge
Lorenzo wird seinen Rücktritt bekanntgeben - und
der vermeintlich ruhige Ausklang in Valencia wird
damit - zumindest abseits der Strecke - zum spektakulärsten
MotoGP-Wochenende des Jahres 2019.
Die Gerüchteküche brodelt nicht mehr vor sich
hin, sie kocht regelrecht über. Stefan Bradl, Cal
Crutchlow, Johann Zarco, Takaaki Nakagami - alle
gelten als mögliche Nachfolger von Lorenzo für
den Platz im Honda-Werksteam 2020. Die Spekulationen
laufen in der Folge völlig aus dem Ruder.
Jedes Treffen, jede Bewegung der Akteure im
Fahrerlager wird als Zeichen für eine Verpflichtung
gewertet. Abseits all der Mutmaßungen zeichnet
sich am Samstag ein wahrer Sensationsdeal ab. Kein
etablierter MotoGP-Fahrer, sondern Marc Marquez‘
jüngerer Bruder Alex soll den zweiten Platz
bei Repsol Honda übernehmen. Die offizielle
Bestätigung lässt lange auf sich warten. Montagabend,
exakt um 18:30 Uhr ist es dann endlich
soweit. »HRC sign Alex Marquez«, verkündet das
Team mittels Presseaussendung.
Einer der spektakulärsten Transferdeals der
MotoGP-Geschichte ist damit perfekt. Ein Deal,
der im Fahrerlager für jede Menge Gesprächsstoff
sorgt. Zu Recht, könnte er sich doch entweder als
absolut genial oder völlig falsch herausstellen. Was
am Ende der Fall sein wird, weiß jetzt noch niemand.
Motorsport-Magazin.com analysiert aber,
was aus aktueller Sicht für die Verpflichtung von
Alex Marquez spricht - und was dagegen.
ALEX‘ LEISTUNGEN
Blickt man auf die nackten Zahlen, war Alex
Marquez für Repsol Honda die logische Besetzung
2020. Der amtierende Moto2-Weltmeister
hat in der abgelaufenen Saison fünf Rennen gewonnen.
Und mit 23 Jahren ist Alex immer noch jung.
Die Alternativen der HRC wären MotoGP-Fahrer
72 www.Motorsport-Magazin.com
gewesen, die jeweils unterschiedliche Gründe gegen
sich sprechen hatten: Stefan Bradl ist für Honda als
Testfahrer zu wichtig, um ihn von dieser Position
abzuziehen. Außerdem war er seit seinem WSBK-
Abenteuer 2017 nicht mehr Stammfahrer. Cal
Crutchlow ist mittlerweile 34 Jahre alt, durch seine
MotoGP-Karriere körperlich schwer gezeichnet
und damit alles andere als eine Zukunftsperspektive.
Johann Zarco kann zweifelsohne ein sehr
schneller MotoGP-Fahrer sein, wäre nach seiner
desaströsen KTM-Zeit aber auch eine sehr riskante
Verpflichtung gewesen. Takaaki Nakagami schließlich
hat in der Moto2 weniger gewonnen als Alex
Marquez, in der MotoGP bislang nur selten restlos
überzeugt und ist auch bereits 27 Jahre alt. »Wenn
man nicht auf den Namen blicken würde, könnte
niemand etwas gegen diese Verpflichtung einwenden«,
fasste Teamchef Alberto Puig die Situation
völlig richtig zusammen.
DAS MARKETING
Der geneigte Fan an der Rennstrecke oder vor
dem TV-Gerät vergisst oft gerne, dass die
MotoGP mehr ist als nur sportlicher und ingenieurstechnischer
Wettkampf. Für die Hersteller
ist der treibende Grund für ein Engagement im
Motorsport stets derselbe: Man will mehr Motorräder
oder Autos verkaufen. Das gelingt zum einen
über Erfolge, zum anderen über eine spannende
Geschichte, die es zu erzählen gibt. Paradebeispiel
hierfür ist Yamaha, wo Valentino Rossi seit Jahren
nicht mehr für die großen sportlichen Triumphe
sorgt. Aber Rossi ist immer noch der Liebling der
Massen und mit seinem Sunnyboy-Image definitiv
für den Verkauf von deutlich mehr Yamahas verantwortlich
als der wesentlich erfolgreichere Maverick
Vinales. Solange man bei Honda einen Marc
Marquez in seinen Reihen hat, muss man sich um
die sportlichen Erfolge kaum Sorgen machen.
In Valencia drehten die Brüder
bereits zusammen ihre Runden
Gewann 2019 fünf GPs:
Alex Marquez
FOTOS: LAT IMAGES
LEGENDÄRE BRÜDER
DER MOTORRAD-WM
Brüder gab es in der über 70-jährigen Geschichte der
Motorrad-WM schon viele. Wenige sorgten aber wirklich
für Furore. Nur Marc und Alex Marquez konnten sich bislang
beide WM-Titel sichern, in fünf anderen Familien
krönte sich zumindest ein Bruder zum Champion.
MARC & ALEX MARQUEZ
Seit der Saison 2019 sind Marc und Alex Marquez die
erfolgreichsten Brüder der WM-Geschichte. Mit den Titelgewinnen
von Marc in der MotoGP und Alex in der Moto2
schraubten sie ihr gemeinsames Konto auf zehn Weltmeisterschaften.
94 Siege und 172 Podiumsplatzierungen
holten sie zusammen bislang. Damit liegen sie in diesen
beiden Wertungen aber nur auf Rang zwei.
VALENTINO ROSSI & LUCA MARINI
Streng genommen sind Valentino Rossi und Luca Marini
nur Halbbrüder. Interessanterweise ist der gemeinsame
Elternteil nicht Valentinos erfolgreicher Vater Graziano (3
Grand-Prix-Siege, WM-Dritter 1979 in der 250ccm-
Klasse), sondern Mutter Stefania Palma. Für den Löwenanteil
der Erfolge ist noch Valentino Rossi verantwortlich,
der alle neun WM-Titel sowie 115 der 118 GP-Siege und
234 der 243 Podiumsplatzierungen holte, die in diesen
Wertungen die Ränge zwei, eins und eins bedeuten.
WALTER & FRANCESCO VILLA
Walter Villa war einer der erfolgreichsten Fahrer der
1970er Jahre. Von 1974 bis 1976 wurde er drei Mal in
Serie 250ccm-Weltmeister, in der letzten Saison holte er
zusätzlich den 350ccm-Titel. Insgesamt brachte er es auf
24 Siege und 38 Podiumsplatzierungen. Bruder Francesco
kam an diese Erfolge nie heran. Siege und Titel blieben
ihm verwehrt, immerhin schaffte er zwei Mal den Sprung
auf das Treppchen.
Haruchika, Takuma & Nobuatsu Aoki
Gleich drei Aoki-Brüdern gelang der Sprung in die WM.
Haruchika war mit zwei 125ccm-Weltmeistertiteln, neun
Siegen und 20 Podien der erfolgreichste von ihnen.
Takuma gewann ein Rennen und stand sieben Mal auf
dem Treppchen, Nobuatsu musste sich mit vier Podien
begnügen.
POL & ALEIX ESPARGARO
Neben Marc und Alex Marquez sind sie das zweite Brüdergespann
der MotoGP 2020. Pol feierte 2013 den
Titelgewinn in der Moto2. Er hat bislang 15 Rennsiege
und 45 Podien geholt. Für Aleix blieb es bisher bei zwei
Besuchen auf dem Podest.
Für Alex gibt es in der
MotoGP viel zu lernen
CHRISTIAN & DOMINIQUE SARRON
Auch Frankreich hat ein erfolgreiches Brüderpaar zu bieten.
Beide Sarron-Geschwister gewannen WM-Läufe
(Christian sieben und Dominque vier) und holten mit 37
beziehungsweise 16 beide einige Podiumsplatzierungen.
Weltmeister wurde aber nur Christian, 1984 auf der
250ccm-Yamaha.
www.Motorsport-Magazin.com 73
Mit dem Brüderpaar im Werksteam hat man nun
auch eine Story zu bieten, die nicht nur von der
Motorsportpresse aufgegriffen wird, sondern auch
von den Mainstream-Medien gerne gespielt wird.
Geschafft: Alex
Marquez ist
Moto2-Champion
DER DRUCK
MotoGP zu fahren bedeutet Druck. Für Repsol
Honda MotoGP fahren bedeutet mehr
Druck. Und als jüngerer Bruder von Marc
Marquez an dessen Seite bei Repsol Honda
MotoGP zu fahren, bedeutet wohl den größten
Druck, den man sich als Rookie vorstellen kann.
Die Königsklasse des Motorradsports kann auf
Neueinsteiger ohnehin schnell überwältigend
wirken. Die Gegner sind stärker, die Maschinen
schneller, die Konsequenzen größer. Ein Vielfaches
der bisherigen Sponsoren- und Medientermine
wartet plötzlich auf die Rookies. All das
gilt im Fall von Alex Marquez noch viel mehr
als bei anderen Aufsteigern. Auf ihn waren
bereits in den November-Testfahrten alle Augen
gerichtet. Daran wird sich 2020 nichts ändern.
Noch ist Alex weit von der MotoGP-Spitze entfernt
und einen gewissen Welpenschutz wird
man ihm gewähren, aber früher oder später
muss er liefern. Läuft es in den ersten Rennen
nicht nach Wunsch, wird die Kritik an ihm
schnell laut werden. Und damit der Druck
rasant in schwindelerregende Sphären wachsen.
Druck kann im Spitzensport ein zweischneidiges
Schwert sein. Manche Athleten erzielen
unter großer Erwartungshaltung ihre besten
Leistungen, andere fühlen sich dadurch
gehemmt oder zerbrechen sogar daran. Zu den
Piloten, die Druck brauchen, um abzuliefern,
gehört Alex Marquez definitiv nicht. Ein Blick
auf Alex‘ Moto2-Weltmeistersaison 2019 zeigt
das eindrucksvoll: Im Sommer gewann er fünf
von sechs aufeinanderfolgenden Rennen, in
Assen wurde er in aussichtsreicher Position
abgeschossen. Dann geriet Marquez ins Straucheln.
Von den letzten neun GPs 2019 gewann
er keinen einzigen mehr, stand nur drei Mal auf
dem Podium und kam zwei Mal zu Sturz. Er
wirkte nervös und machte Fehler, die man so
früher im Jahr nicht von ihm gesehen hatte. Um
ein Haar hätte er den Moto2-Titel am Ende noch
an Brad Binder verspielt - nur drei Punkte
Abstand entschieden. Sollte Alex in der MotoGP
mit Druck ähnlich schlecht umgehen können,
könnte es für ihn schnell eng werden. Denn eine
reibungslose Anpassung an eine neue Klasse
gelang ihm etwa in der Moto2 ganz und gar
nicht. Dorthin kam er ebenfalls als amtierender
Weltmeister - damals aus der Moto3. Er brauchte
aber 32 Rennen für seine erste Podiumsplatzierung
und gar 40 Anläufe für den ersten Sieg.
Mit dem ersehnten Weltmeistertitel klappte es
erst im fünften Jahr.
FOTOS: LAT IMAGES
Marc feierte den Titel
mit seinem Bruder
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Den Valencia-Test bestritt Alex
noch für LCR
Alex tauscht die Moto2-Kalex
gegen die MotoGP-Honda
Im fünften Moto2-Jahr
gelang der große Coup
MARCS BINDUNG
Marc Marquez ist aktuell die kostbarste Aktie
auf dem Fahrermarkt der MotoGP. Jeder Hersteller
hätte den Mann, der sechs der letzten
sieben Titel in der Königsklasse geholt hat, gerne
auf seinem Motorrad. Nicht jedem Werk wird es,
entweder aus sportlichen, persönlichen oder finanziellen
Gründen, möglich sein, ernsthaft um ihn
zu buhlen. Zumindest zwei Hersteller scheinen
aktuell für Marquez aber eine durchaus realistische
Alternative zu seiner langjährigen Heimat Honda
zu sein. Ducati hat bislang noch jeden einzelnen
MotoGP-Weltmeister mit Ausnahme von Marquez
selbst nach Borgo Panigale gelockt: Casey Stoner
fuhr von 2007 bis 2010 für die Roten und feierte
dort seine größten Erfolge, Valentino Rossi saß
2011 und 2012 auf der Desmosedici, Nicky Hayden
von 2009 bis 2013 und Jorge Lorenzo 2017 und
2018. Marc Marquez würde sich in diese Reihe
perfekt eingliedern. Dass man bei Ducati nicht
davor zurückscheut, für den gewünschten Fahrer
auch eine Menge Geld in die Hand zu nehmen,
zeigte die Verpflichtung von Jorge Lorenzo. Für die
Rekordgage von 25 Millionen Euro in zwei Jahren
verließ er damals Yamaha. Interessant für Marquez:
Die Desmosedici GP ist in ihrem Charakter seiner
geliebten Honda RC213V nicht unähnlich. Beide
Maschinen belohnen einen aggressiven und körperbetonten
Fahrstil. Die Umstellung würde Marquez
also wohl nur geringe Sorgen bereiten. Was
für Ducati gilt, gilt auch für KTM. Finanzielle
Mittel sind durch das Sponsoring von Energy-
Drink-Gigant Red Bull ausreichend vorhanden.
Und auch die RC16 ist als Motorrad bekannt, dass
seine Qualität dann richtig zeigt, wenn es der Fahrer
ordentlich um die Strecke prügelt - Marquez-
Style eben. Für KTM sprechen außerdem sportpolitische
Überlegungen. Man teilt sich Sponsor
Red Bull mit Marquez, was vertragliche Probleme
verhindert. Außerdem hat der einen historischen
Draht zum Hersteller, bestritt er doch seine ersten
beiden WM-Saisons auf Material aus Österreich.
Honda weiß also, dass die Dienste von Marc Marquez
nicht auf ewige Zeiten gesichert sind. Dementsprechend
unternimmt man alles, um ihn
zufriedenzustellen. Zwar soll Marc nie aktiv in die
Wahl seines Teamkollegen eingegriffen haben, aber
es ist klar, dass er lieber seinen eigenen Bruder als
irgendeinen anderen Fahrer auf der anderen Seite
der Repsol-Honda-Box wollte. Ein vielleicht nicht
geäußerter Wunsch, den man ihm dennoch
erfüllte. Und den die HRC in der nächsten Verhandlungsrunde
definitiv ins Rennen führen wird.
DIE MOTORRADENTWICKLUNG
Die Honda RC213V gilt seit Jahren als das am
schwierigsten zu fahrende Motorrad der
MotoGP. Vor allem in der abgelaufenen
www.Motorsport-Magazin.com 75
Saison wurde das augenscheinlich. Cal Crutchlow
und vor allem Jorge Lorenzo bissen sich am
Modelljahrgang 2019 die Zähne aus. Nur Marc
Marquez war mit diesem Motorrad erfolgreich
unterwegs. Weil er eben Marc Marquez ist und
jede Maschine mit seinem unglaublichen Talent
und seinen teils surrealen Reflexen irgendwie
kontrollieren kann. Er zeigte bislang kein großes
Interesse daran, die Honda fahrbarer und damit
auch für seinen Markenkollegen konkurrenzfähig
zu machen. Für ihn ging es stets nur um die Suche
nach mehr Performance. Und warum sollte das
auch anders sein? Das 2019er Bike war die wohl
forderndste Honda seit dem MotoGP-Einstieg
von Marquez 2013. Und damit war er erfolgreicher
als je zuvor. Dass Crutchlow und Lorenzo
auf demselben Motorrad gewaltige Probleme
hatten, kann ihm egal sein. Ob es Marc aber auch
so egal sein wird, wenn Bruder Alex strauchelt,
darf zumindest bezweifelt werden. Das könnte
Marc dazu bringen, die Maschine in Zukunft
nicht nur schneller, sondern auch fahrbarer zu
machen. Eine Entwicklung, von der Honda als
gesamtes MotoGP-Projekt profitieren würde.
Marc Marquez dämpfte derartige Hoffnungen
nach dem Valencia-Test aber bereits wieder:
»Natürlich arbeiten wir am Chassis, um zu versuchen,
konstanter zu werden. Ich denke aber,
dass der Charakter mehr oder weniger gleichbleiben
wird. Ein einfacher zu fahrendes Motorrad
würde sicher allen anderen Honda-Fahrern
helfen, aber mein Ziel ist es, das schnellstmögliche
Bike zu haben. Mir ist egal, ob es schwierig
ist oder nicht - wichtig ist nur, dass ich gewinne.«
DIE ABLENKUNG
Vielleicht wird Marc Marquez also das gemeinsame
Motorrad nicht im Sinne seines Bruders
entwickeln. Auf jeden Fall wird er aber immer
wieder mit einem Auge auf die andere Seite der
Box schielen. Nicht, um sich dadurch einen Vorteil
zu erarbeiten, sondern um zu sehen, wie es dem
Rookie-Kollegen denn da so geht. Die Marquez-
Brüder stehen sich sehr nahe. Sie reisen zusammen,
sie trainieren zusammen und sie wohnen
zusammen - zuhause in Cervera ebenso wie an
den Rennstrecken der Welt im gemeinsamen
Motorhome. Marc Marquez ist auf der Strecke ein
eiskalter Killer, abseits davon aber eine absolut
liebenswerte Person mit großem Interesse an seinen
Mitmenschen, vor allem seinem engsten
Umfeld. Es scheint unmöglich, dass der Bruder
im eigenen Team für Marc nicht irgendwann zur
Ablenkung wird. Das muss kein Drama sein, wenn
Marc ansonsten eine ähnliche Dominanz an den
Tag legt wie in der abgelaufenen Saison. Es könnte
aber zum Zünglein an der Waage werden, wenn
es nicht ganz so nach Wunsch läuft und ein echter
Titel-Showdown wie 2013 gegen Jorge Lorenzo
oder 2017 gegen Andrea Dovizioso entsteht.
EIN EINFACHER ZU FAHRENDES MOTORRAD WÜRDE
SICHER ALLEN ANDEREN HONDA-FAHRERN HELFEN,
ABER MEIN ZIEL IST ES, DAS SCHNELLSTMÖGLICHE BIKE
ZU HABEN. MIR IST EGAL, OB ES SCHWIERIG IST ODER
NICHT - WICHTIG IST NUR, DASS ICH GEWINNE.
Bedenken, die Teamchef Alberto Puig allerdings
nicht teilt: »Ich glaube, dass Marc an gar nichts
denkt, außer wieder Weltmeister zu werden.«
DER LEHRMEISTER
Was zur Belastung für Marc werden könnte,
kann für Alex nur ein Vorteil sein. Er wird
als Rookie den besten MotoGP-Fahrer der
Gegenwart zum Teamkollegen haben. Wie schwierig
es ist, als Neueinsteiger in der Königsklasse Fuß
zu fassen, wurde in diesem Artikel bereits thematisiert.
Marc Marquez in dieser Situation als Lehrmeister
zu haben, noch dazu mit sieben Saisons
Routine auf diesem Motorrad und in diesem Rennstall,
ist ein Segen. Für Marc gibt es keinen Grund,
nicht seinen vollen Erfahrungsschatz an den jüngeren
Bruder weiterzugeben. Schließlich wird Alex
in absehbarer Zeit kein wirklich ernstzunehmender
Gegner für ihn sein. Der wiederum muss
nur aufpassen, bei all den wertvollen Informationen,
die er von Marc erhält, nicht die Realität aus
den Augen zu verlieren. Denn was für Marc Marquez
richtig ist oder funktioniert, kann für andere
Piloten ein absoluter Irrweg sein. Honda-Kollege
Cal Crutchlow fasste es beim Saisonfinale in Valencia
treffend zusammen: »Ich kann mir Marcs
Der Moto2-Ttiel war für
Alex eine echte Erlösung
Eigentlich wäre Alex auch
2020 Moto2 gefahren
76 www.Motorsport-Magazin.com
Alex Marquez stand bei
den November-Tests im
Rampenlicht
FOTOS: LAT IMAGES
Daten ansehen und weiß genau, was er besser oder
anders macht. Das ist schön, aber es bringt mir
nichts. Ich weiß zwar, was er macht, aber ich weiß
auch, dass ich es einfach nicht nachmachen kann.«
DIE HARMONIE
Egal, wie und in welcher Form Marc Marquez
seinem Bruder Alex bei Repsol Honda nun
helfen oder auch nicht helfen wird. Eines kann
man jetzt schon als Tatsache annehmen: Mit diesen
beiden Fahrern im Team wird es keinen Stallkrieg
geben. Diese Garantie ist schon mehr, als sich die
meisten anderen Hersteller in ihren Factory-Truppen
erträumen können. Ein gewisses Konfliktpotenzial
schwelt da nämlich immer vor sich hin, ist
der Teamkollege gemäß einer alten Motorsportweisheit
ja stets der erste Gegner. Es liegt in der
Natur der Sache, dass in den schlagkräftigsten
Rennställen stets echte Alphatiere aufeinandertreffen,
die um Siege und Weltmeistertitel kämpfen.
Wie schnell aus dem gesunden Konkurrenzverhältnis
eine vergiftete Feindschaft wird, zeigten die
letzten Jahre in der MotoGP immer wieder. Jorge
Lorenzo und Andrea Dovizioso etwa wurden als
Ducati-Teamkollegen nie beste Freunde. Im Titelkampf
2017 schien Lorenzo seinem Stallgefährten
sogar Schützenhilfe zu verweigern. Man erinnere
sich nur an die wiederholten Aufrufe zum Wechsel
in ‚Mapping 8‘ und die verzweifelten Gesichter von
Gigi Dall‘Igna, Paolo Ciabatti & Co. In den folgenden
Monaten führten Dovizioso und Lorenzo
dann sogar einen offenen Krieg der Worte über
die Medien. Ganz ähnlich lief es zwischen Lorenzo
und Valentino Rossi in den beiden gemeinsamen
Yamaha-Partnerschaften ab. Auslöser war hier eine
große sportliche Rivalität, die aber spätestens im
Saisonfinale 2015 auf eine sehr persönliche Ebene
abrutschte. Die Fronten zwischen Rossi und
Lorenzo waren so verhärtet, dass der Abgang eines
der beiden Fahrer mit Ende 2016 praktisch unvermeidbar
war. Und auch zwischen Marc Marquez
und Dani Pedrosa gab es Reibereien, etwa als Rookie
Marquez seinem Kollegen in Aragon 2013 das
Kabel der Traktionskontrolle kappte. Derartige
Duelle können das Beste aus beiden Piloten
herausholen, oftmals lähmen sie aber die Zusammenarbeit
und den Fortschritt im Team. Ein
Risiko, dass man bei Honda für 2020 ganz bewusst
vermieden hat.
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FOTOS: LAT IMAGES
TEXT: MARKUS ZÖRWEG
FÜR EIN UNTERNEHMEN, DESSEN FIRMENLOGO AUS DREI STIMMGABELN BESTEHT,
KÄMPFT MAN BEI YAMAHA SEIT JAHREN MIT HEFTIGEN DISSONANZEN. EIN ENDE
DERER SCHEINT UNWAHRSCHEINLICH.
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www.Motorsport-Magazin.com 79
nglaubliche 655 Punkte
konnte das Yamaha-
Werksteam mit seinen
Piloten Jorge Lorenzo
und Valentino Rossi in
den 18 Rennen der Saison
2015 anhäufen. Nie
zuvor und auch nie
danach war ein MotoGP-Team erfolgreicher. In der
Fahrerwertung holte sich Lorenzo die Weltmeisterschaft
vor Teamkollege Rossi, Marc Marquez folgte
mit großem Respektabstand. Auch in der Herstellerwertung
triumphierte Yamaha. Es war der Höhepunkt
einer glorreichen Ära für die japanische
Marke, in der man innerhalb von zwölf Saisons 18
WM-Titel (sieben Mal in der Fahrer-, sechs Mal in
der Team- und fünf Mal in der Herstellerwertung)
erringen konnte. Der Höhepunkt wurde aber
gleichzeitig zu einem vorläufigen Endpunkt, denn
in den vergangenen vier Jahren gelang mit dem
Team-Titel 2016 nur noch ein voller Erfolg.
Yamaha wurde innerhalb kürzester Zeit vom Überflieger
zu einem der Sorgenkinder der MotoGP. Mit
der Umstellung von Bridgestone- auf Michelin-
Reifen zum Jahr 2016 und der parallellaufenden
Einführung der Einheitselektronik stürzten die
stolzen Japaner in der Hackordnung der Königsklasse
ab. Seither geht es bei Yamaha mal etwas
bergauf, mal wieder bergab. An den vorhandenen
Problemen hat sich in Iwata seither aber kaum
etwas geändert. Die Klagen der Fahrer blieben bis
heute unverändert: Es fehlt an Motorleistung, vor
allem gegenüber den zuletzt dominierenden Marken
Honda und Ducati. Die Suche nach den fehlenden
Pferdestärken gestaltet sich schwierig. Verpasst
man dem Reihenvierzylinder der M1 mehr
Power, muss die ECU restriktiver eingreifen. Da
Yamaha im Feld der Elektronik jahrelang die Zeichen
der Zeit verschlafen hat, fehlen dafür aber die
passenden Lösungen und der gefunden geglaubte
Leistungszuwachs verpufft. Die Alternative: Man
lässt das Triebwerk ohne große Eingriffe seinen
Dienst tun, verheizt dabei aber die Michelin-Pneus
und zahlt dafür spätestens am Rennsonntag einen
teuren Preis.
Die Vorgaben für 2020 sind also klar: Man braucht
deutlich mehr Motorleistung, gleichzeitig aber dürfen
Fahrbarkeit - seit jeher der große Trumpf der
M1 - und Reifenverschleiß nicht darunter leiden.
Was simpel klingt, gleicht der Quadratur des
Kreises. Und an der dürfte man bei Yamaha wohl
auch 2020 scheitern. Bereits beim Brünn-Test im
August rollte man erstmals Prototypen für die kommende
Saison aus der Box. Deutlich früher als in
den vergangenen Jahren und auch vor den fünf
Konkurrenten Honda, Ducati, Suzuki, KTM und
Aprilia. In den November-Testfahrten von Valencia
und Jerez spulten Maverick Vinales und Valentino
Rossi weitere hunderte Runden auf dem 2020er
Modell ab und fuhren direkte Vergleiche mit dem
80 www.Motorsport-Magazin.com
Modell aus der abgelaufenen Saison. An den Statements
der Fahrer hatte sich allerdings wenig geändert.
»Besser, aber nicht gut genug«, war da beinahe
wortgleich aus den Mündern der Werkspiloten zu
hören.
Yamaha scheint auf der Suche nach mehr Motorleistung
gegen eine Wand zu fahren. Zunehmend
wird hinterfragt, ob das traditionelle Konzept des
Reihenvierzylinders noch eine Zukunft hat. Auf
flüssigen Strecken wie Silverstone oder Phillip
Island ist man damit stets konkurrenzfähig, doch
der größte Teil der modernen MotoGP-Kurse weist
eine grundlegend andere Charakteristik auf. Es sind
Stop-and-Go-Strecken mit harten Brems- und
Beschleunigungszonen, auf denen gegen die
V4-Raketen von Honda und Ducati nur selten ein
Stich zu machen ist. Yamaha muss sich zumindest
den Vorwurf gefallen lassen, langfristig gesehen auf
das falsche Pferd zu setzen.
Aber nicht nur bei der Wahl des technischen Konzepts
gibt es Zweifel am Yamaha-Management. Seit
Jahren tritt man in der Weiterentwicklung auf der
Stelle - und das wohl nicht zufällig. Während Ducati
oder Honda seit Jahren mindestens ein aktuelles
Motorrad in ihren Kundenteams Pramac Racing
beziehungsweise LCR einsetzen und damit durch
einen dritten Fahrer mit Factory-Status wertvolle
Informationen gewinnen, speiste man bei Yamaha
seine Kunden jahrelang billig ab. Das hervorragend
geführte und im Rahmen seiner Möglichkeiten
auch durchaus erfolgreiche Tech3-Team von Herve
Poncharal musste stets mit veraltetem Material und
vergleichsweise sehr geringer Unterstützung durch
das Werk auskommen. Für die Saison 2019 hatte
Poncharal genug, wechselte mit seiner Truppe zu
KTM und genoss dort sofort umfangreichen Support.
Nun hatte man wohl auch bei Yamaha den
Fehler eingesehen, musste sich aber erst ein neues
Satelliten-Team schaffen. Mit Mineralölkonzern
Maverick Vinales feierte 2019
immerhin zwei Siege
YAMAHA WURDE INNER-
HALB KÜRZESTER ZEIT
VOM ÜBERFLIEGER ZU
EINEM DER SORGEN-
KINDER DER MOTOGP.
DIE JAPANER STÜRZTEN
IN DER HACKORDNUNG
DER KÖNIGSKLASSE AB.
2019 lief für Rossi
nicht rund: Defekte…
…und Stürze machten
ihm zu schaffen
FOTOS: LAT IMAGES
Dringend benötigte Erfolge
bleiben aus und Frust macht sich breit.
Die Probleme liegen
im Inneren der M1
Petronas und den Verantwortlichen des Sepang
International Circuit an Bord gelang das, Yamaha
lieferte besseres Material, bot mehr Unterstützung
und siehe da - der neue Rennstall schlug voll ein.
Die verpassten Möglichkeiten, die das Tech3-Team
geboten hätte, kann man aber freilich so schnell
nicht wettmachen. Vor allem, weil Yamaha auch in
der werksinternen Entwicklungsabteilung träge und
zuletzt sogar unverständlich handelte. Testtage für
die Einsatzfahrer der MotoGP wurden in der jüngsten
Vergangenheit durch das Reglement mehr und
mehr reduziert, was die Arbeit guter Testpiloten
umso wichtiger machte. Ducati und KTM
erkannten das schnell und setzten mit Michele Pirro
beziehungsweise Mika Kallio auf schnelle Männer.
Honda und Suzuki zogen nach, installierten europäische
Testteams mit MotoGP-erfahrenen Routiniers
wie Stefan Bradl und Sylvain Guintoli. Für
2019 sah schließlich auch Yamaha ein, dass man
FOTOS: LAT IMAGES
Ungewisse Zukunft:
Macht Rossi 2021 weiter?
mit Katsuyuki Nakasuga und Kohta Nozane, die
mittlerweile mehrere Sekunden abseits der Pace an
der MotoGP-Spitze fuhren, keine großen Sprünge
mehr machen würde. Jonas Folger wurde unter
großem Lob von Vinales und Rossi als Testfahrer
verpflichtet - nur um ihn ein Jahr später wieder vor
die Türe zu setzen und erneut auf das Duo Nakasuga/Nozane
zu bauen. Der Rauswurf wurde
Anfang November von Folger selbst publik
gemacht, der sich in einem Statement über die Vorgehensweise
Yamahas ärgerte. Kein Wunder, hatte
Teamchef Massimo Meregalli wenige Wochen
zuvor noch im italienischen Fernsehen eine Verlängerung
mit Folger als fix verkündet. Sowohl die
getroffene Entscheidung als auch der Prozess der
Entscheidungsfindung werfen hier viele Fragen auf,
die sich kaum logisch beantworten lassen.
Eine Menge fragwürdiger Schachzüge also, die
Yamaha da zuletzt gesetzt hat. Weitere, sehr schwierige
und möglicherweise folgenschwere könnten
aber bevorstehen. Sollte sich nämlich Valentino
Rossi tatsächlich dazu entscheiden, seinen aktuell
bis Ende 2020 laufenden Vertrag noch einmal zu
verlängern, hat man bei Yamaha im wahrsten Sinne
des Wortes die Qual der Wahl. Rossi ist die ultimative
Ikone der MotoGP. Wenn er im Werksteam
bleiben will, dann bleibt er es auch. Yamaha wird
es nicht wagen, ihn auszubooten. Hier hat man sich
selbst in ein Abhängigkeitsverhältnis manövriert.
Zu wichtig ist ‚Il Dottore‘ für die Außenwirkung
der Marke, auch wenn er sportlich nur noch selten
für Schlagzeilen sorgt. Zur Erinnerung: Rossis letzter
Sieg ist zweieinhalb Jahre her (Assen 2017), sein
letztes Podium liegt acht Monate zurück (Austin
2019).
Teamkollege Maverick Vinales hingegen ist der
erfolgreichste Yamaha-Fahrer der letzten drei Saisons,
hat in diesem Zeitraum sechs Mal so viele
Siege geholt wie Rossi. Dennoch hat er seinen Platz
im Werksteam ab 2021 alles andere als sicher. Weil
man bei Yamaha mit Fabio Quartararo aus dem
Petronas-Team einen jungen Mann im Fahrerkader
hat, der von vielen Experten als aktuell einzig möglicher
Herausforderer von Marc Marquez in näherer
Zukunft gesehen wird. Man wird sich hüten, diese
heiße Aktie an einen Konkurrenten zu verlieren.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob man Vinales etwa
gerne auf einer Ducati gegen sich hätte. Die Roten
aus Borgo Panigale sollen bei MV12 bereits angeklopft
haben...
www.Motorsport-Magazin.com 81
FOTOS: LAT IMAGES, KTM
82 www.Motorsport-Magazin.com
TEXT: MICHAEL HÖLLER
DAS ABGELAUFENE MOTOGP-JAHR WAR IN VIELERLEI HINSICHT EINE
SAISON DER REKORDE. SIEGESSERIEN UND NEUE ALLZEIT-BESTMARKEN
GAB ES EBENSO WIE NEGATIVREKORDE. DAS MOTORRAD-JAHR 2019
IM RÜCKSPIEGEL.
www.Motorsport-Magazin.com 83
Niemand kann Marquez
zurzeit aufhalten
REKORD-DOMINATOR
Die MotoGP-Saison 2019 stand ganz im Zeichen
eines Mannes: Marc Marquez. Der Weltmeister
holte nicht nur seinen sechsten Titel
in der Königsklasse (und achten gesamt),
sondern dominierte das Jahr wie selten zuvor.
Zwölf Saisonsiege, sechs zweite Plätze und
nur ein Ausfall (in Führung liegend) stehen in
seiner Jahresbilanz. In 18 der 19 Rennen verbuchte
er zumindest eine Führungsrunde
(nur in Sepang nicht), insgesamt lag er 264
Runden in Führung, was rund 57 Prozent der
gesamten Rennrunden des Jahres entspricht.
In mehreren Kategorien stellte Marquez
Rekorde auf: Zum ersten Mal holte ein Fahrer
in einer Saison 18 Podestplätze, zudem pulverisierte
der Spanier den alten Punkterekord
von Jorge Lorenzo und stellte mit 420 Punkten
eine neue Bestmarke auf. An starken Tagen
war kein Kraut gegen ihn gewachsen, so
holte er in Argentinien, Jerez, am Sachsenring,
in Brünn, Aragon und Motegi ungefährdete
Start-Ziel-Siege. An »schwachen Tagen«
verpasste er den Sieg nur knapp: 0,023
Sekunden fehlten in Katar, 0,043 Sekunden
in Mugello, 0,213 Sekunden in Spielberg und
Acht WM-Titel konnte
Marquez bisher feiern
Marquez krönte sich in Buriram zum
Weltmeister
0,013 in Silverstone. Nur in Assen und Sepang kämpfte Marquez nicht bis zur letzten Runde
um den Sieg. Neben der Fahrer-WM gewann er damit auch die Konstrukteurs-WM im Alleingang
für Honda. In der Team-Wertung steuerte er 420 der 458 von Repsol Honda erzielten
Punkte bei und legte damit den Grundstein zum dritten WM-Titel des Jahres für seinen Arbeitgeber.
»Das ist ohne Zweifel meine bislang beste Saison in der MotoGP. Ja, 2013 habe ich 13
Rennen gewonnen, aber damals waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Herstellern
und Motorrädern ziemlich groß. Jetzt ist das Feld extrem konkurrenzfähig und du kannst mit
vier Herstellern gewinnen«, analysierte der Dominator nach seiner Titelverteidigung, die ihm
bereits im 15. der 19 Rennen im thailändischen Buriram gelang. Dabei war er mit Handicap
in die Saison gestartet, denn aufgrund der Folgen einer Schulteroperation konnte er beim
Testauftakt in Sepang lediglich sechs Runden am Stück absolvieren, ehe die Schmerzen und
die Erschöpfung zu groß wurden. Die Konkurrenz muss sich damit auch im kommenden Jahr
warm anziehen, denn 2020 geht Marquez topfit in die neue Saison.
84 www.Motorsport-Magazin.com
Fabio Quartararo beeindruckte in
seiner Rookie-Saison
REKORD-JUGEND
Es war zwar eine Rekord-Saison für Marc Marquez, eine Allzeit-Bestmarke verlor er allerdings
in der abgelaufenen Saison. Denn am 4. Mai fuhr Fabio Quartararo im erst vierten MotoGP-
Qualifying seiner Karriere auf Pole Position. Der Franzose war damals gerade Mal 20 Jahre
und 14 Tage alt und damit um 48 Tage jünger als Marquez bei seiner Rekord-Pole in Austin
2013. Immerhin: Die Rekorde als jüngster GP-Sieger und jüngster Weltmeister konnte er
gegen Quartararo verteidigen, doch der Franzose war definitiv die große Überraschung
des abgelaufenen MotoGP-Jahres. Er holte sechs Pole Positions und 75 Führungsrunden
- in beiden Kategorien war nur Marc Marquez stärker. Quartararo erreichte mit sieben
Podestplätzen nicht nur die drittmeisten aller Fahrer, sondern schnappte sich souverän die
Titel als Rookie des Jahres und als bester Fahrer eines Privat-Teams. Für beides wurde er
bei der großen FIM-Gala unmittelbar nach dem Finale in Valencia ausgezeichnet. Für viele
ist Fabio Quartararo somit der große Gegenspieler von Marc Marquez in den kommenden
Jahren. Yamaha weiß um die Qualität des Rohdiamanten, der ihnen allerdings ganz ohne
Zutun in den Schoß fiel. Denn die Verpflichtung von Quartararo ging alleine auf die Kappe
von Wilco Zeelenberg und Johan Stigefelt, der Doppelspitze des neuen Petronas-Teams.
Yamaha dankte es dem Duo, indem man Quartararo nur fünf Motoren (anstatt sieben)
zur Verfügung stellte und dem Franzosen auch noch die Drehzahl drosselte. 2020 erhält
Quartararo aber gleichwertiges Material wie die Yamaha-Werkstruppe, ein Vertragsangebot
für das Factory-Team sollte nicht lange auf sich warten lassen. Quartararo stieg 2019 zum
Anführer einer neuen Generation auf, die in den kommenden Jahren Jagd auf Marc
Marquez machen wird. Ein Blick auf das
Fahrerfeld für die kommende Saison
beweist, dass der einstige »junge Wilde«
Marquez mit seinen 26 Jahren beinahe
schon zum alten Eisen gehört: Mit Jack
Miller, Francesco Bagnaia, Alex Marquez,
Brad Binder, Iker Lecuona, Miguel Oliveira,
Joan Mir, Alex Rins, Maverick Vinales, Fabio
Quartararo und Franco Morbidelli sind elf
Fahrer und somit zum ersten Mal das
halbe Starterfeld jünger als Marquez.
Quartararo ist Teil des
Petronas-Teams
www.Motorsport-Magazin.com 85
2019 war die 20. MotoGP-
Saison für Rossi
Bis 2020 läuft Rossis
Yamaha-Vertrag noch
REKORD-ROSSI
Der älteste Fahrer im Feld ist Valentino Rossi
schon seit vielen Jahren. In seinem 24. Jahr
in der Motorrad-WM knackte der 40-Jährige
weitere atemberaubende Meilensteine.
Auf Phillip Island bestritt er sein 400.
Rennen in der Weltmeisterschaft und hält
somit nach dem Finale in Valencia bei 402
Starts. Damit war Rossi bei 42,7 Prozent aller
je ausgetragenen Rennwochenenden der
Motorrad-WM im Einsatz. Seinen Rekord
wird ihm in absehbarer Zeit niemand streitig
machen, denn von den noch aktiven
Piloten haben nur drei mehr als 250 Rennen:
Andrea Dovizioso (313), Tom Lüthi
(286) und Simone Corsi (273). Rossi verbesserte
aber auch weitere Rekordmarken: So
stellte Platz zwei in Austin den 234. Podestplatz
seiner Karriere dar, der erste noch
aktive Verfolger, Marc Marquez, hat exakt
100 weniger. Den Punkterekord schraubte
Rossi auf 6.247 Zähler, womit er 2.613 Zähler
Vorsprung auf Andrea Dovizioso hat, der
unter den aktiven Piloten der zweitbeste ist.
In einer Kategorie konnte sich Rossi allerdings
nicht verbessern: Wie schon im Vorjahr
blieb er 2019 erneut ohne Sieg. Somit
hat Valentino Rossi bei keinem seiner letzten
46 Starts gewonnen - die längste Serie seiner
gesamten Karriere. Zudem blieb er
zuletzt 16 Mal in Folge ohne Podestplatz
und egalisierte damit seinen persönlichen
Negativrekord aus den Ducati-Jahren.
Damals blieb er zwischen den beiden Rennen
in Le Mans in den Jahren 2011 und
2012 ebenfalls für exakt 16 Events in Folge
ohne Podium. In der Endabrechnung
belegte Rossi den siebten Rang in der Weltmeisterschaft
- so weit hinten fand er sich
ansonten in der Königsklasse nur in seinem
ersten Ducati-Jahr 2011 wieder. Mit 174 Zählern
holte er zudem die geringste Punkteausbeute
aller seiner 14 Jahre bei
Yamaha. Doch in der kommenden Saison
will der Altmeister noch einmal durchstarten.
Er holt David Munoz aus seinem eigenen
Moto2-Team als neuen Crewchief an
seine Seite und will erst nach einigen Rennen
entscheiden, ob 2020 tatsächlich seine
letzte Saison sein soll. »Wir werden schon
bei den Wintertests und in den ersten Rennen
sehen, wie gut mein Speed ist. Danach
werde ich eine Entscheidung treffen«, sagte
Rossi in Sepang.
86 www.Motorsport-Magazin.com
In Orange konnte Lorenzo
nicht an alte Erfolge anknüpfen
REKORD-NIEDERLAGEN
Nach Dani Pedrosas Abschied im Vorjahr
verließ ein weiterer großer Name 2019 das
MotoGP-Fahrerlager. Jorge Lorenzo checkte
in Valencia aus der Boxengasse aus, die seit
Mai 2002 seine Heimat war. Ein Jahr vor
Ablauf seines Vertrags mit Repsol Honda verkündete
er am 14. November in Valencia
seinen Rückzug. Ein Abschied, der sich zuvor
schon angebahnt hatte, denn seit Spätsommer
2018 eilte Lorenzo von Verletzung zu Verletzung.
Von den letzten 24 Rennwochenenden
seiner Karriere verpasste er acht
verletzungsbedingt. Nach einer in Assen
erlittenen Wirbelverletzung dachte der
32-Jährige deshalb auch zum ersten Mal
über ein Karriereende nach, zu dem er sich
während seiner letzten Fernost-Tour letztlich
durchringen konnte. Das finale Jahr seiner
18-jährigen WM-Karriere war in vielerlei Hinsicht
sein schwächstes. So beendete Lorenzo
zum ersten Mal eine Saison ohne Top-10-Platzierung,
Platz 19 und nur 28 WM-Punkte
bedeuteten die schlechtesten Werte seit seiner
Rookie-Saison 2002. Der Tiefpunkt war auf
Phillip Island erreicht, als er zum ersten Mal
in einem Rennen der Königsklasse mehr als eine Minute auf den Sieger verlor. Mit Lorenzo
geht die Nummer drei der ewigen Bestenliste nach WM-Punkten, die Nummer vier nach
Podestplätzen und die Nummer sechs nach Siegen. 2019 war aber nicht nur für Lorenzo ein
Jahr der Rekord-Niederlagen. Andrea Iannone holte mit nur 43 Punkten die geringste Ausbeute
seit er in der MotoGP-Klasse fährt, WM-Rang 16 bedeutet die schlechteste Platzierung
seit 2007, als der Italiener noch in der 125cc-Klasse unterwegs war. Für Johann Zarco endete
die Saison mit lediglich 30 Zählern und damit dem geringsten Kontostand seiner gesamten
Karriere. Wie Lorenzo löste er seinen Vertrag mit KTM vorzeitig auf und wurde wenige Rennen
später von seinem Arbeitgeber komplett vor die Tür gesetzt. Dem gewieften Leser fällt bei
den drei in diesem Absatz genannten Namen eine große Gemeinsamkeit auf: Jorge Lorenzo,
Andrea Iannone und Johann Zarco - das waren im Winter die drei spektakulärsten Transferkracher.
Wie die nackten Zahlen zum Saisonende belegen darf man getrost von Transferflops
sprechen.
Im Honda-Team fand der
Spanier sein Glück nicht
Lorenzos RC213V landete
häufiger im Kies
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Zarco blickt auf
harte Monate zurück
REKORD-TEMPO
2019 haben wir die MotoGP so schnell wie nie zuvor erlebt. An
sieben Wochenenden durften die Fans die schnellste Runde
mitansehen, die je auf einem Motorrad auf dem entsprechenden
Kurs gedreht wurde. Marc Marquez stellte in Katar, Mugello, Spielberg
und Silverstone neue Bestmarken auf, in Jerez, Assen und
Sepang war es Fabio Quartararo. Auch der absolute Topspeed-
Rekord wurde verbessert, wobei in dieser Kategorie Ducati seine
Bastion verteidigen konnte: Im dritten Training des Rennwochenendes
in Mugello wurde Andrea Dovizioso mit 356,7 km/h gemessen
und verbesserte damit seinen eigenen Bestwert aus dem
Vorjahr um 0,2 km/h. Neue Topspeed-Bestmarken für die jeweilige
Strecke gab es zudem in Katar (Marc Marquez), Aragon und
Spielberg (Andrea Dovizioso) sowie Silverstone (Cal Crutchlow).
Der »kleine Bruder« übertrumpfte die Königsklasse sogar noch. In
der Moto2 kamen zum ersten Mal die 765cc-Dreizylinder-Motoren
von Triumph zum Einsatz, die neben mehr Leistung auch mehr
Elektronik in die Motorräder brachten. Das hatte zur Folge, dass
die Rekorde aus der Honda-Ära nur so purzelten. An elf Wochenenden
gab es neue Rundenrekorde, die Topspeed-Bestwerte
wurden sogar an 15 der 19 GP-Events geknackt. In Mugello durchbrach
sogar zum ersten Mal eine Moto2-Maschine die Schallmauer
von 300 km/h. Den Geschwindigkeitsrekord der mittleren
Klasse hält seither Nicolo Bulega, der seine Kalex auf 300,2 km/h
beschleunigen konnte. Unter dem neuen Reglement ist die Moto2
der MotoGP eine Spur näher gerückt. Am deutlichsten sichtbar
wurde das auf Phillip Island: Rennsieger Brad Binder absolvierte
die Renndistanz dort mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von
171,5 km/h. Damit fehlten ihm auf das durchschnittliche Renntempo
des Letztplatzierten des MotoGP-Rennens, Jorge Lorenzo,
nur 0,7 km/h. Selbst Sieger Marc Marquez war auf die volle Renndistanz
nur 5,4 km/h schneller als Binder. Auch die kleinste Klasse
wartete mit vielen Bestmarken auf: Zehn Topspeed- und acht
Rundenrekorde fielen im Lauf der Saison, den Geschwindigkeitsrekord
hält nun der Japaner Kaito Toba mit 248,1 km/h.
88 www.Motorsport-Magazin.com
MotoGP-Fans konnten 2019 so viele
Rennen wie noch nie verfolgen
REKORD-KALENDER
Für die Fans vor den Fernsehbildschirmen war
2019 ebenfalls eine Rekord-Saison: Zum
ersten Mal in der Geschichte konnten sie 19
Mal die volle Renn-Action von der Wohnzimmercouch
aus verfolgen. 19 Rennen waren
zwar bereits im Vorjahr geplant, doch damals
fiel der Grand Prix von Großbritannien aufgrund
der miserablen Asphaltqualität von
Silverstone bei typisch britischem Wetter ins
Wasser. Die neue Bestmarke soll allerdings
nicht lange halten, denn die MotoGP verfolgt
in den kommenden Jahren eine exzessive
Expansionspolitik. 2020 kommt der brandneue
KymiRing in Finnland neu hinzu, 2021
soll es zusätzlich nach Indonesien gehen und
2022 klopfen Portugal (mit dem bestehenden
Algarve Circuit) sowie Brasilien und Ungarn
mit noch zu errichtenden Strecken lautstark
mit Vorverträgen in der Hand bei der Dorna
an. In drei Jahren soll der MotoGP-Rennkalender
22 Events umfassen, wie Carmelo
Ezpeleta unlängst bekanntgab. Dieser
Umstand soll zur Einführung eines Rotationsprinzips
der dann fünf iberischen Strecken
führen. Dass aktuelle Events komplett aus
dem Programm fliegen, ist freilich nicht ausgeschlossen. Brünn gilt schon lange als Wackelkandidat,
der Sachsenring ist mit dem laufenden Vertrag nur bis 2021 abgesichert. Dem
neuen Monster-Kalender zollen die Terminplaner der Dorna schon in der kommenden Saison
Tribut: Die traditionellen Testfahrten nach dem Saisonfinale in Valencia fallen künftig weg.
Ab 2021 erwischt es im Februar auch den Wintertest in Katar, was die Tür für einen früheren
Saisonstart öffnet. 2020 beginnt die neue MotoGP-Saison am 8. März und somit so früh wie
seit den Sechzigerjahren nicht mehr. Sehen wir also bald ein Auftaktrennen im Februar? In
der ebenfalls von der Dorna geführten Superbike-WM ist das schon seit vielen Jahren üblich.
Sollte sich die MotoGP am dortigen Rennformat mit drei WM-Läufen pro Wochenende orientieren,
sind neuen Rekord-Jahren kaum Grenzen gesetzt. Im Paddock sollte man dann
aber über die Errichtung eines Burnout-Centers neben der Clinica mobile
nachdenken.
Der Rennkalender soll in
Zukunft weiter wachsen
www.Motorsport-Magazin.com 89
FOTOS: LAT IMAGES
90 www.Motorsport-Magazin.com
HAPPY
BRAD BINDER ZÄHLT ZU DEN GROSSEN AUFSTEIGERN DER ABGELAUFENEN MOTO2-SAISON.
2020 FÄHRT ER IN DER MOTOGP UND DARF SOGAR IN EINEM WERKSTEAM RAN. DER
SÜDAFRIKANER IM INTERVIEW.
TEXT: MICHAEL HÖLLER
www.Motorsport-Magazin.com 91
Binder steigt 2020
in die MotoGP auf
Brad Binder sah im Juni 2019 wie
einer der großen Absteiger der
Moto2-Saison aus. Nach sieben
Saisonrennen hatte der einstige
Titelfavorit keinen einzigen Podestplatz
auf dem Konto, von einem
MotoGP-Aufstieg konnte er zu diesem
Zeitpunkt nur träumen. Doch
dann ging für den Moto3-Weltmeister
von 2016 alles ganz schnell: P2
in Assen und am Sachsenring,
MotoGP-Vertrag mit Tech3, erster
Saisonsieg beim KTM-Heimrennen
in Spielberg und im Oktober plötzlich sogar im Titelrennen
und von seinem Arbeitgeber überraschend
für 2020 ins MotoGP-Werksteam befördert. Aus
einem potenziellen Absteiger wurde einer der ganz
großen Aufsteiger des Jahres. Motorsport-Magazin.
com traf Brad Binder zum Gespräch über die Achterbahnfahrt
der vergangenen Monate.
MSM: Brad, du hast bereits im Juli deinen MotoGP-
Vertrag unterschrieben - allerdings beim Tech3-
Team. Wo und wann hast du von deiner Beförderung
ins Werksteam erfahren?
BRAD BINDER: In Motegi hatte ich mein erstes
Meeting mit Teamchef Mike Leitner. Dort hat er
mich aufgeklärt, dass ich in der MotoGP direkt im
Factory-Team eingesetzt werde. Als die Nachricht
etwas gesackt ist, war ich völlig aus dem Häuschen.
Das war ein sehr aufregender Moment für mich und
ich möchte mich auf jeden Fall schon vorab bei KTM
für diese große Chance bedanken. Das zeigt, dass sie
mir voll vertrauen und glauben, dass ich gute Ergebnisse
für sie einfahren kann.
Wurde dieser Schritt vorab mit dir besprochen?
Oder wurdest du von Mike Leitner einfach vor vollendete
Tatsachen gestellt?
Ich habe das überhaupt nicht erwartet, als ich zu
dem Meeting geladen wurde. Das kam für mich
völlig überraschend.
Hast du darauf gehofft, als die Trennung mit Johann
Zarco nach dem Grand Prix von Österreich
bekanntgegeben wurde?
Natürlich hoffst du darauf, dass du derjenige bist,
der ihn ersetzt. Vor allem, wenn du deinen Vertrag
für das Satellitenteam ohnehin schon in der Tasche
hast. Erwarten konnte ich das aber natürlich nicht,
denn ich komme ja als totaler Neuling in die
MotoGP-Klasse und weiß überhaupt nicht, was mich
dort erwartet. Einige Leute haben mir im Sommer
zwar gesagt, dass die Möglichkeit besteht, direkt in
das Werksteam aufzurücken, aber als es tatsächlich
passiert ist, kam es dennoch überraschend für mich.
Verfolgst du die Aktivitäten von KTM in der
MotoGP-Klasse stärker, seit du im Sommer deinen
Vertrag unterschrieben hast?
Ja, ich verfolge das schon sehr genau. Sie haben sich
gut entwickelt und ich habe volles Vertrauen in
92 www.Motorsport-Magazin.com
In seiner Karriere feierte
Binder schon viele Erfolge
KTM. Sie haben mir in der Moto3 und in der Moto2
gute Motorräder gegeben und ich habe in beiden
Klassen Rennen damit gewonnen. Ich bin mir sicher,
dass KTM mir auch in der MotoGP erstklassiges
Material zur Verfügung stellen wird.
Fühlst du dich ausreichend gewappnet für deine
neuen Aufgaben in einem MotoGP-Werksteam?
Nein, ich habe absolut keine Ahnung was mich
erwartet. Das wird ein völlig anderer Job als alles,
was ich bisher in meinem Leben gemacht habe. In
Brünn durfte ich beim Montags-Test kurz auf der
RC16 Platz nehmen. Ich habe aber lediglich zwei
Runden absolviert und war dabei auch noch verdammt
langsam. [lacht] Ich bin mir aber sicher, dass
ich in der MotoGP jede Menge Spaß haben werde.
Was erwartest du von deinem Job als offizieller
Werksfahrer?
Dieser Job bedeutet für mich vor allem eine große
Veränderung. Wie genau meine Aufgaben aussehen,
werde ich wohl erst im Laufe der Monate begreifen.
Im Moment will ich gar nicht zu viel über Erwartungen
nachdenken, denn das belastet nur den Kopf.
Ich nehme die Dinge in den kommenden Monaten
einfach so, wie sie kommen.
Entspricht diese Lockerheit deiner generellen Mentalität
als Rennfahrer?
[lacht] Ja, ich gehöre generell wohl eher zu den entspannteren
Fahrern hier im Paddock. In der Box
stresse ich nicht allzu sehr herum, sondern versuche
einfach nur an jedem Tag, meinen Job so gut wie
möglich zu erledigen.
Mit dieser Einstellung hast du es jetzt ja in die
MotoGP geschafft. Eine Krönung deiner Karriere,
Als Moto2-Pilot war Binder mit der
Nummer 41 unterwegs
Binders neue Startnummer
ist die 33
FOTOS: LAT IMAGES
die nicht jeder Motorradrennfahrer erreicht. Gab
es bei dir jemals einen »Plan B«? Hast du dir darüber
je Gedanken gemacht?
Nein, ich habe nie auch nur eine Sekunde über einen
»Plan B« nachgedacht. Seit meinem 12. Lebensjahr,
als ich noch in Südafrika gefahren bin, habe ich dem
alles untergeordnet, was ich jetzt erreicht habe. Ich
habe jeden einzelnen Tag hart dafür gearbeitet und
ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ohne Motorradsport
aus mir geworden wäre. Racing gibt dir so viele
Möglichkeiten in deinem Leben. Man muss sich ja
nur einmal ansehen, welche tollen Orte wir bereisen
dürfen und wie viele tolle Leute wir kennenlernen
können. Ohne Racing hätte ich keine Aufgabe in
meinem Leben.
Kommen wir auf die abgelaufene Moto2-Saison zu
sprechen. Du bist als einer der Top-Favoriten in die
Saison gestartet, hattest zu Beginn große Probleme,
warst dann aber der erfolgreichste Fahrer der zweiten
Saisonhälfte und hast das Jahr als Vizeweltmeister
abgeschlossen. Wie fällt dein Fazit aus?
Mein Fazit lautet, dass dieses Jahr leider viel zu
schnell vorbei war. [lacht]
Du warst erst im achten Saisonrennen zum ersten
Mal auf dem Podest. Warum ist KTM der Einstieg
in die Saison mit den neuen Triumph-Motoren so
schwergefallen?
Wir lagen zu Beginn ganz klar hinter unseren Konkurrenten.
Wir waren leider nicht wirklich gut vorbereitet
auf die Triumph-Motoren. Erst durch viel
harte Arbeit von KTM konnte unser Package deutlich
konkurrenzfähiger werden. Die Erfolge gegen
Ende der Saison geben uns Recht.
Habt ihr bereits während der Testfahrten bemerkt,
dass ihr gegenüber Kalex und SpeedUp im Nachteil
seid?
Auf Binder warten
neue Aufgaben
Ich war schon nach dem ersten Test absolut unglücklich,
denn ich konnte nicht das nötige Vertrauen in
das Motorrad aufbauen. Jede Anpassung, die wir
danach vorgenommen haben, hat wenig bis gar nicht
geholfen. Die Basis des Bikes war einfach nicht gut.
Erst als wir in Le Mans eine brandneue Konfiguration
des Motorrads bekommen haben, wurden die
Ergebnisse allmählich besser.
Wie hat dieser miserable Saisonstart deine mentale
Einstellung beeinflusst?
Es war früh klar, dass ich nichts mehr zu verlieren
habe und eigentlich ohne Bedenken in jedem Rennen
Vollgas geben kann. Sozusagen konnte ich pures
Rennfahren genießen, ohne irgendwelche WM-
Stände im Hinterkopf zu haben. Das war ganz
angenehm.
Dir hat die Rolle als Außenseiter also gefallen?
Ja, das war eine Erfahrung, die ich seit der Zeit vor
meinem WM-Titel in der Moto3 nicht mehr so wirklich
hatte.
Gegen Saisonende warst du der mit Abstand konstanteste
Fahrer unter den Spitzenpiloten. Von den
letzten sechs Rennen hast du vier gewonnen und
ein weiteres auf dem zweiten Platz beendet. Wieso
warst du so stark im Saisonfinish?
Es war eigentlich ganz schön krank, dass wir zu
Beginn der Fernost-Tournee noch eine Chance auf
den Titel hatten, wenn man bedenkt, dass wir erst
in Assen zum ersten Mal auf dem Podest standen.
Da die Chance aber noch intakt war, wollte ich alles
versuchen, um es doch noch zu schaffen. Ich habe
alles gegeben, um jedes einzelne dieser Rennen zu
gewinnen. Denn das war die einzige Möglichkeit für
mich. Ich hatte absolut nichts mehr zu verlieren, da
ja der MotoGP-Deal auch schon lange durch war.
Ich denke aber auch, dass die Strecken, die gegen
Ende des Jahres auf dem Programm stehen, der
KTM entgegenkommen. Denn schon in den beiden
vorangegangenen Jahren waren unsere Ergebnisse
dort sehr gut.
Letzten Endes musstest du dich aber in Sepang im
Titelduell geschlagen geben und Alex Marquez zum
Gesamtsieg gratulieren. Die Favoritenrolle wechselte
im Laufe der Saison aber mehrfach. Zunächst
war Lorenzo Baldassarri dominant, ist dann aber
abgesackt. Dann hat Alex Marquez viele Rennen in
Folge gewonnen, gegen Ende des Sommers sah aber
Augusto Fernandez wie der stärkste Mann aus.
Gegen Ende hin warst hingegen du der große
Gejagte in den einzelnen Rennen. Woran lag es,
dass in dieser Saison so viele Titelanwärter binnen
weniger Rennen vom strahlenden Sieger zum biederen
Mittelfeldfahrer mutierten?
Jeder von uns Fahrern ist unterschiedlich. Manchen
liegen einfach spezifische Strecken mehr als andere.
Mit ist das in diesem Jahr aber entgegengekommen,
denn sonst hätte ich den WM-Kampf gar nicht so
lange offenhalten können.
www.Motorsport-Magazin.com 93
Seit 2018 war Dalla Porta
bei Leopard Racing
FOTOS: LAT IMAGES
Auch vor Massen-Crashs
blieb er nicht verschont
Mit 22 Jahren krönte sich
Dalla Porta zum Champion
Das Leopard-Team war
2019 Stammgast im Parc Ferme
Dalla Porta machte es der
spanischen Konkurrenz schwer
94 www.Motorsport-Magazin.com
TEXT: MICHAEL HÖLLER
ITALIENISCHE
AUFHOLJAGD
NOCH BEHERRSCHT SPANIEN DIE MOTORAD-WM. DOCH DIE ITALIENISCHE FAHRER-
FRAKTION RÜSTET SICH ZUM GEGENSCHLAG. 2019 KONNTE MAN DANK LORENZO DALLA
PORTA DIE EINSTEIGERKLASSE ZURÜCKEROBERN.
Es war ein Duell, das stellvertretend für die
Machtverhältnisse im Paddock der Motorrad-
WM stand: Auf der einen Seite der heißblütige
Spanier Aron Canet, auf der anderen Seite der
stets entspannt wirkende Lorenzo Dalla Porta.
Spanien und Italien - die beiden stärksten Fraktionen
im Zweikampf um nichts Geringeres
als den WM-Titel in der Moto3-Klasse. Diesem
Schauspiel durften die Fans der kleinsten Kategorie
der Weltmeisterschaft in den vergangenen Monaten beiwohnen.
Wie so oft in der Moto3 hatte das Titelduell auch in der
abgelaufenen Saison sämtliche Facetten zu bieten: Vom direkten
Zweikampf der Konkurrenten um Siege über Pech mit Defekten
bis hin zu unverschuldeten Kollisionen, die den WM-Kampf
entscheidend prägten. Letzten Endes setzte sich Dalla Porta klar
durch und punktete vor allem durch seine Konstanz. Elf Podestplätze
- davon sechs zweite Ränge - bei nur zwei Nullnummern
(eine davon nach der Titelentscheidung) gaben den Ausschlag.
Italien konnte somit die kleinste Klasse von Spanien nach eineinhalb
Jahrzehnten zurückerobern, denn Dalla Portas Triumph
war der erste eines Italieners in der Einsteigerkategorie seit sich
Andrea Dovizioso 2004 durchgesetzt hatte. In diesem titellosen
Zeitraum konnte Spanien nicht weniger als acht der 13 möglichen
Titel erringen und unter anderem fallen die ersten Titel von
Alvaro Bautista, Marc Marquez, Maverick Vinales, Alex Marquez
und Joan Mir in diese Zeitspanne. All diese Weltmeister fahren
längst MotoGP oder sind - wie im Falle Bautistas - aus dieser
sogar schon zurückgetreten. Dalla Portas Titel ist auch insofern
bemerkenswert, als es der erste italienische WM-Titel seit einem
Jahrzehnt ist, an dem Valentino Rossi nicht beteiligt war. Denn
seit Marco Simoncellis 250cc-Triumph in der Saison 2008 holte
Rossi zunächst selbst den bislang letzten MotoGP-Titel Italiens
(2009), ehe 2017 und 2018 mit Franco Morbidelli und Francesco
Bagnaia zwei Fahrer aus Rossis VR46 Riders Academy in der
Moto2 triumphieren konnten. Italiens Motorradherz ist somit
nicht länger nur auf Rossis Rennfahrerschule angewiesen, denn
neben Dalla Porta gibt es mit Tony Arbolino und Romano Fenati
zwei weitere »unabhängige« Moto3-Laufsieger aus Italien. In der
Moto2 holten zudem Enea Bastianini und Fabio Di Giannantonio
(ebenfalls beide nicht Teil der VR46 Academy) Podestplätze. In
den kleinen Klassen macht Italien somit Spanien immer heftiger
seinen Platz als Nation an der Spitze streitig. Nach Siegen ging
die Moto3 im »Ländermatch« der beiden Motorrad-Giganten 8:8 aus,
in der Moto2 setzte sich Spanien mit 8:5 durch, beide Nationen holten
jeweils einen Titel - neben Dalla Porta in der Moto3 war es der Spanier
Alex Marquez in der mittleren Kategorie. »Rookie des Jahres« wurde
allerdings in beiden Klassen ein Italiener: VR46-Schützling Celestino
Vietti in der Moto3, Di Giannantonio in der Moto2. Die Zukunftsaussichten
der Italiener sind in jedem Fall rosig: In der kleinsten Kategorie
stellt man 2020 mit sieben Fahrern gleich viele wie Spanien, in der
mittleren Klasse hat man mit neun Fahrern im Vergleich mit Spaniens
sieben Piloten sogar die Oberhand. Nur in der Königsklasse bleibt das
von Marc Marquez angeführte Spanien unangefochten: Ganze neun
Fahrer stellt das iberische Königreich 2020, von denen lediglich zwei
(Tito Rabat und Aleix Espargaro) ihren 30. Geburtstag hinter sich
haben. Von Italiens sechs Fahrern haben Andrea Iannone, Andrea
Dovizioso und Valentino Rossi den 30er bereits hinter sich, Danilo
Petrucci wurde im Oktober 29 Jahre alt. Für frisches Blut in der italienischen
MotoGP-Fraktion sorgen aktuell lediglich Morbidelli und
Bagnaia. Doch wie sich 2019 in den beiden kleinen Klassen zeigte, hat
Italiens Aufholjagd begonnen.
Vier Siege feierte
Dalla Porta in dieser Saison
www.Motorsport-Magazin.com 95
SLIDESHOW | MOTORSPORT | #70 | 2019
NÄCHSTE HALTESTELLE:
RENNSTRECKE!
FOTO: DTM
TEXT: ROBERT SEIWERT
Nein, das ist kein Photoshop. Beim Dream Race zwischen DTM und
Super GT in Fuji tourten in einer speziellen Session tatsächlich Reisebusse
zusammen mit Rennwagen über die Strecke. Was in Japan
seit vielen Jahren zum gewohnten Bild gehört, bringt Motorsport-
Fans hierzulande zum Staunen. Apell an DTM-Boss Berger: Lieber
Gerhard, bitte hole die Busse auch nach Deutschland! Ein größeres
Fan-Spektakel kann man sich kaum vorstellen. Der deutsche Motorsport
muss offen sein für neue Ideen statt sich wegen Sicherheitsbedenken
in der letzten Reihe zu verkriechen - die Japaner haben
den Fahrschein längst gelöst.
96 www.Motorsport-Magazin.com
www.Motorsport-Magazin.com 97
FOTOS: BMW MOTORSPORT
HELDEN
BRAUCHEN
KEINE
BEINE
TEXT: ROBERT SEIWERT
PHÄNOMEN
ALEX ZANARDI.
DIE BMW-IKONE
VERBLÜFFT AUCH
IN DIESEM JAHR
MIT HÖCHSTLEI-
STUNGEN IM
MOTORSPORT.
ABEI IST DER
BEINAMPUTIERTE
ITALIENER SO VIEL
MEHR ALS NUR
RENNFAHRER.
98 www.Motorsport-Magazin.com
www.Motorsport-Magazin.com 99
»Jetzt nimm dir endlich einen Stuhl, du weißt doch,
wie lange ich immer rede!« Alex Zanardi ist aufgefallen,
wie mir langsam die Beine einknicken, während
ich vor seinem Rollstuhl hocke und seinen
stets ausschweifenden Erzählungen lausche.
Zanardi kennt dieses Gefühl noch. Bis zu seinem
schweren Unfall am 15. September 2001 beim
Champ-Car-Rennen auf dem Lausitzring hatte er
selbst ein Paar Beine. Seitdem sprintet der inzwischen
53-Jährige im Rollstuhl durchs Leben.
FOTOS: BMW MOTORSPORT
Dabei wollte ich abschließend eigentlich nur wissen,
wie er die japanischen Besucher beim ‚Dream Race‘-
Showrennen in Fuji zwischen der Super GT und
der DTM wahrnimmt. Hätte mir denken können,
dass Zanardi dazu mehr als zwei Sätze einfallen...
Und vor allem: Dass man alles andere als die
üblichen Phrasen erwarten kann, wenn er über
Menschen und Menschlichkeit spricht.
Alex‘ Erzählungen über seine Begegnung mit den
japanischen Fans am Fuji Speedway waren etwa so
lange wie die Warteschlange, die sich wenige Stunden
zuvor vor der Box gebildet hatte, in der das
BMW Team RBM eifrig an seinem speziell angepassten
M4-DTM-Rennwagen schraubte. Dass der
Mann, der seit Jahrzehnten Menschen auf der
ganzen Welt inspiriert, dabei noch einmal so emotional
reagieren würde, erschien durchaus
verblüffend.
Vor allem ein japanischer Fan hatte es Zanardi angetan.
Verstehen konnte er ihn nicht, doch das war
auch gar nicht nötig. Die Begeisterung in seinen
Augen reichte dem Italiener aus, um die Bedeutsamkeit
dieses Augenblickes zu verstehen. »Der
Mann hat sich wahnsinnig gefreut, seinen Helden
zu treffen«, berichtete Zanardi ebenso begeistert.
»Dabei bin ich doch ein Niemand. Ein ganz normaler
Typ, der das Privileg hatte, so viele fantastische
Dinge erleben zu dürfen.«
George Foreman sagte einst über seinen großen
Ringrivalen Muhammad Ali: »Er ist größer als der
Boxsport. Wenn man über Ali als Boxer sprechen
würde, wäre das eine Herabwürdigung. Der Mann
war etwas Besonderes.« Ähnliches könnte man auch
über Zanardi schreiben, bei dem der Motorsport
schon längst nicht mehr das Hauptthema ist. Seit
2015 hat er nur sieben Rennveranstaltungen in
diversen BMW-Rennwagen bestritten.
»Wir Menschen können in so vielen Bereichen
wichtig sein«, philosophierte Zanardi nach seinem
jüngsten Auftritt in Fuji. »Wir sollten nicht die Gelegenheit
verschwenden, auf irgendeine Art und
Weise wichtig zu sein für andere Menschen. Hier
in Japan hatte ich das Gefühl, wichtig für andere
Menschen zu sein und dafür möchte ich mich
bedanken.«
Dabei strahlte Zanardi zu jedem Zeitpunkt eine
100 www.Motorsport-Magazin.com
Aura der Positivität aus, die einen fast vergessen
lässt, dass er keine Beine mehr hat. Nicht wegen
seines Rollstuhls ist er am Boden geblieben. Sondern,
weil er das Leben mit all seinen Chancen zu
schätzen weiß und diese Erkenntnis gern mit anderen
teilt.
»Er zeigt den Menschen da draußen, dass es zwar
Grenzen gibt, man aber immer versuchen muss, sie
zu erweitern«, schwärmte BMW Motorsport Direktor
Jens Marquardt. »Das ist die Botschaft, die wir
alle lernen müssen: Akzeptiere nicht das Limit, das
du vielleicht als solches ansiehst, sondern mache
immer weiter.«
Marquardt, im gleichen Alter wie Zanardi, war
damals am Lausitzring vor Ort, als Zanardi beinahe
sein Leben verloren hätte. Zwei Jahre später nahm
BMW den Fan-Liebling auf und ermöglichte ihm
bis heute zahlreiche Renneinsätze. Wer hätte damals
schon ahnen können, dass Zanardi im Jahr 2019
zunächst bei den 24 Stunden von Daytona und später
beim Auftritt der DTM in Fuji für den Autobauer
aus München Rennen auf allerhöchstem Niveau
bestreiten würde?
Dabei ist es inzwischen nicht mehr Zanardis primäre
Aufgabe, ein Rennen als Erster zu beenden.
»BMW hat mich nicht eingeladen, um das Rennen
Alex Zanardi bereitet sich auf die
Paralympics 2020 in Tokio vor
Zanardi bremst und beschleunigt
im BMW M4 mit der Hand
zu gewinnen«, war er sich seiner Leistungsfähigkeit
im Vergleich zu Fahrern, die allesamt seine Kinder
sein könnten, bewusst. »Ich soll die Marke repräsentieren
und mein Bestes geben. Aaaaber... Wir
sind alle Racer und jeder will sein Bestes geben. Es
wäre die größte Sünde, es nicht zu probieren und
auch nicht zu erwarten, dass ich eine bessere Leistung
zeigen kann.«
Als Zanardi in Fuji nach den ersten Trainingsfahrten
einige Sekunden hinter seinen Kollegen zurücklag,
wollte er nicht einmal gelten lassen, den Umgang
mit dem neuen DTM-Turboauto nicht gewohnt zu
sein. Klare Ansage: So viel langsamer ist ein Zanardi
auch heute nicht! »Ich habe in meiner Karriere als
Rennfahrer zu viel erlebt, um akzeptieren zu können,
auf so einem niedrigen Level zu fahren«, zeigte
er sich trotziger als erwartet.
Und wieder einmal verblüffte Zanardi die versammelte
Motorsportwelt, als er im völlig chaotischen
Sonntagsrennen die Übersicht behielt und
die Ziellinie auf dem 13. Platz überquerte. »Es war
fantastisch, wieder einmal wegen der Performance
wichtig für die Menschen gewesen zu sein«, sagte
Zanardi. »Bei jedem Autogramm, jedem Selfie mit
einem Fan oder wenn ich ihre Hände schüttelte, war
das wunderbar. Vielleicht fühlt sich das jetzt so an,
weil ich älter und damit emotionaler werde.«
»Alex ist nicht Alex Superstar, sondern der Typ von
nebenan«, gab Marquardt Einblicke ins Teaminnere.
»Er weiß zu schätzen, was wir für ihn tun. Und wir
wissen zu schätzen, was er für uns leistet. Alex ist
ein ganz besonderer Mensch, mit dem die Arbeit
unheimlich viel Spaß bereitet. Er gibt seine Energie
weiter, anstatt sie für sich selbst zu behalten.«
Und davon mangelt es Zanardi keinesfalls. So
nutzte er das Show-Rennwochenende am Fuji des
Mount Fuji auch noch, um sich auf die Paralympics
2020 in Tokio vorzubereiten. Bei den Spielen
wird die Handbike-Disziplin, die Zanardi seit
vielen Jahren äußerst erfolgreich bestreitet, unter
anderem auf dem Fuji Speedway ausgetragen.
Bei den Paralympischen Spielen in London 2012
und Rio 2016 gewann er insgesamt vier Goldmedaillen
in der Paracycling-Kategorie. Ein gutes
Omen für Tokio? Auch damals errang Zanardi
seine Siege an den Orten früherer Formel-1-Rennstrecken,
namentlich Brands Hatch respektive
Jacarepagua (Autodromo Internacional Nelson
Piquet).
»Das ist schon eine romantische Geschichte«,
erzählte Zanardi. »Als die Austragungsstätte bei
meinen ersten Paralympics entschieden war, sagte
ich, dass ich als Rennfahrer nie ein Rennen in
Brands Hatch gewonnen habe - und dass es Zeit
wäre, das zu ändern! Dann in Rio wurde das Olympische
Dorf an der Stelle aufgebaut, wo früher Jacarepagua
war. Vor allem dort, wo der Ovalkurs war,
auf dem ich damals IndyCar-Rennen gefahren bin.
Und nie gewonnen habe... Dann hat es geklappt,
und jetzt für Tokio haben sie diesen Ort hier
ausgewählt.«
Wie gut Zanardi im Saft steht - acht Jahre nach seiner
ersten olympischen Goldmedaille - stellte er
Mitte dieses Jahres bei seinem Heimrennen, dem
UCI Para-Cycling Road World Cup in Corridonia,
unter Beweis, als er das Einzelzeitfahren mit deutlichem
Vorsprung gewann. »Im Schnitt hatte ich
beim letzten Rennen 42,7 km/h drauf bei einer
Länge von 21 Kilometern«, machte Zanardi deutlich,
was er auf dem von Dallara gefertigten Handbike
zu leisten imstande ist.
Und weiter: »Ich bin nicht mehr der Stärkste, verliere
jedes Jahr an Performance. Aber ich kenne meine
innere Maschine ziemlich gut. In der Vergangenheit
habe ich Rennen gewonnen, weil ich die Performance
über den längsten Zeitraum liefern konnte.«
Und so werden die japanischen Fans auch im kommenden
Jahr zu Zanardi aufschauen, wenn der Hero
das Rennauto gegen sein Handbike eintauscht und
nach weiteren Meilensteinen einer einzigartigen
Karriere als Mensch und Sportler strebt.
Vom Handbike ins DTM-Autos:
Zanardi ist ein Tausendsassa
Superhelden brauchen keine Capes, um Großes
zu leisten. Und Alex Zanardi braucht keine
Beine.
www.Motorsport-Magazin.com 101
FOTOS: LAT IMAGES, DTM, HANKOOK
Einsteigen, bitte! Hankook ist
seit 2011 DTM-Reifenlieferant
Novum im Sport: Die erste
Frauen-Formelserie W Series
102 www.Motorsport-Magazin.com
Reifen waren eines der großen
Themen in der DTM 2019
DER REIFE(N)-PROZESS
TEXT: ROBERT SEIWERT
MANFRED SANDBICHLER, HANKOOK MOTORSPORT DIREKTOR EUROPA, BLICKT AUF DIE SAISON 2019 ZURÜCK.
IM INTERVIEW MIT MOTORSPORT-MAGAZIN.COM ERKLÄRT ER, WARUM DEM REIFENHERSTELLER BESONDERS
DER MOTORSPORTNACHWUCHS AM HERZEN LIEGT.
MSM: Herr Sandbichler, Hankook hat sich in der Saison 2019
erneut in zahlreichen Rennserien als Reifenlieferant engagiert.
Woher kommt diese breite Aufstellung?
MANFRED SANDBICHLER: Wir versuchen, überall unsere Duftmarken
zu setzen und uns aus verschiedenen Gründen breit aufzustellen.
Wenn man sich nur auf eine Kategorie konzentriert, wäre
man meiner Meinung nach auch nicht glaubwürdig. Wir möchten
ein großes Portfolio bedienen, darunter auch den Breitensport wie
die RCN-Meisterschaft auf der Nürburgring-Nordschleife oder
den Histo-Cup in Österreich. Hier spürt man, wie der Motorsport
gelebt wird und alle mit Herzblut dabei sind. Diese Begeisterung
und die Emotionen sind ein ganz wichtiger Baustein im
Motorsport.
Das gilt auch für den Nachwuchs im Motorsport. Seit Ende 2018
beliefert Hankook den Formel Renault Eurocup mit Reifen. Was
waren die Gründe und wie zufrieden waren Sie mit der
Debütsaison?
Die Gründe lagen auf der Hand, Renault Sport ist eine große Marke
im Motorsport. Für uns war es eine besondere Freude, als wir den
Zuschlag für den Formel Renault Eurocup erhalten haben. 2019
kam ein neues Fahrzeug zum Einsatz und die Serie steht im internationalen
Wettbewerb mit anderen Nachwuchsrennserien. Wir
waren beeindruckt, wie professionell dort gearbeitet wird und mit
welch hohem Engagement junge Fahrer an den Sport herangeführt
werden. Das Programm ist von A bis Z durchdacht, der Standard
ist wirklich sehr hoch einzuordnen.
Warum ist der Nachwuchsbereich wichtig für einen
Reifenhersteller?
Uns als Hankook ist das sogar sehr wichtig. Wir verfolgen die
Werdegänge der Rennfahrer durch die unterschiedlichen Serien
hindurch genau. Nico Hülkenberg kenne ich etwa seit seiner Zeit
in der Formel 3 Euro Series, für die wir ebenfalls die Reifen geliefert
haben. Es hat Sinn und Verstand, in die Jugend zu investieren -
denn sie bilden die Zukunft des Motorsports. Es macht mich auch
persönlich stolz, zu sehen, wie Fahrer mit Hankook Reifen ihre
ersten Schritte im Automobilsport machen und es später in die
Formel 1 schaffen. Von der Britischen über die spanische Formel
4, die SMP F4 NEZ bis hin zum Formel Renault Eurocup sind wir
in den europäischen Nachwuchsformelserien sehr gut
aufgestellt.
Hankook stattet auch die neue W Series aus, die im Rahmenprogramm
der DTM gastiert. Wie blicken Sie auf die erste Saison der
Frauen-Formelserie zurück?
Die W Series ist eine ganz einmalige Geschichte. Die erste Formelserie
nur für Frauen im Motorsport ist hochprofessionell aufgestellt
und fördert die Pilotinnen in allen Bereichen. Wenn Namen
wie David Coulthard dahinterstecken, ist das ein weiterer Beleg
für ein sehr hohes Niveau. Die W Series ist alles andere als die
belächelte neue Rennserie, für die sie zu Beginn von einigen Kritikern
gehalten wurde. Die Damen sind hier auf unseren Hankook
Reifen pfeilschnell unterwegs, es hat großen Spaß gemacht, die
Debütsaison zu verfolgen.
Mit der DTM hat Hankook in diesem Jahr den Vertrag vorzeitig
bis 2023 verlängert. Warum diese langfristige Bindung?
Für uns ist es ganz wichtig, langfristige Partnerschaften einzugehen.
Wir sind bereits seit neun Jahren Partner der DTM und sehr stolz
darauf. Wir begrüßen den eingeschlagenen Weg der Internationalisierung.
Für uns war es deshalb ein logischer und konsequenter
Schritt, sich frühzeitig zu einem langjährigen Engagement zu verpflichten.
Ein Vertrag mit solcher einer Dauer ist sicherlich eine
Hausmarke, aber für uns ist die Zielsetzung ganz klar: Wir wollen
gemeinsam mit der DTM diesen internationalen Weg gehen und
mit unserem Engagement auch anderen Herstellern aufzeigen, dass
sie mit der DTM aufs richtige Pferd setzen.
Wird es in der kommenden DTM-Saison neue Reifenspezifikationen
von Hankook geben?
Wir werden für die DTM-Saison 2020 keinerlei Änderungen an
den Reifen vornehmen. Das ist nicht notwendig, unser bewährter
Reifen performte auch zusammen mit den neu eingeführten Turbo-
Rennwagen auf einem hohen Niveau. Wir waren vorbereitet und
wussten, dass der Reifen den Belastungen standhält. Aus dieser
Sicht waren wir mit der DTM-Saison 2019 mehr als zufrieden.
Wäre Hankook einem ‚Reifenkrieg‘, wie er etwa in der japanischen
Super GT-Meisterschaft herrscht, gegenüber aufgeschlossen?
Generell sind wir für alles offen. Eine Freigabe der Reifen in der
DTM macht aus unserer Sicht allerdings keinen Sinn. Das würde
nicht zu den zahlreichen Einheitsbauteilen passen, die in der Serie
zum Einsatz kommen. Der Hintergrund ist ganz klar: Es geht
darum, dass der beste Fahrer gewinnen soll - und nicht das beste
Performance-Paket. Dazu gibt es andere Spielwiesen als die DTM,
auf denen man sich austoben kann.
Manfred Sandbichler blickt auf
die Motorsport-Saison zurück
Audi Sport Team Phoenix gewinnt Best
Pit Stop Award von Hankook
www.Motorsport-Magazin.com 103
FOTOS: EXTREME E
104 www.Motorsport-Magazin.com
volution
VOLKSWAGEN SCHICKT DEN VERBRENNUNGSMOTOR IN RENTE,
NEUE RENNSERIEN WERBEN MIT VISIONÄREN KONZEPTEN: DER
MOTORSPORT ERLEBT DEN GRÖSSTEN WANDEL UNSERER ZEIT.
TEXT: ROBERT SEIWERT
www.Motorsport-Magazin.com 105
a staunte selbst ein
Mann aus dem eigenen
Konzern nicht
schlecht. Als Journalisten
in Fuji von
Audi-Motorsportchef
Dieter Gass wissen
wollten, was er von der
Volkswagen-Ankündigung
über die Einstellung
des Verbrenner-Motorsportprogrammes
vom Vorabend halte, reagierte dieser
verblüfft. »Um ehrlich zu sein, war es auch für mich
eine kleine Überraschung, das zu lesen«, gab Gass
am Rande des Dream Race zwischen Super GT und
DTM in Japan zu.
Das dürfte nicht nur für den Motorsportverantwortlichen
im Hause Audi gegolten haben, als der
VW-Konzern am 22. November per Pressemitteilung
informierte: ‚Volkswagen richtet Motorsport-
Strategie konsequent auf E-Mobilität aus‘. Oder
andersherum ausgedrückt, wie es Vorstandsmitglied
Dr. Frank Welsch formulierte: »Volkswagen
bekennt sich auch im Motorsport konsequent zur
E-Mobilität und verabschiedet sich werksseitig vom
Verbrennungsmotor.«
Als erster großer Autobauer preschten die Wolfsburger
hervor und schickten den traditionellen
Verbrenner auf der Rennbahn in den Ruhestand.
Und damit unter anderem den Golf GTI, der in
den TCR-Serien ausgedient hat. Was bleibt, sind
Erinnerungen an Volkswagens vier aufeinanderfolgende
Siege in der Rallye-Weltmeisterschaft mit
dem Polo. Oder auch die werksseitigen Gesamtsiege
bei der Rallye Dakar mit einem Diesel angetriebenen
Touareg.
Dafür ist nun kein Platz mehr im VW-Portfolio.
Wohin die Reise künftig führen soll, hat der Traditionshersteller
mit dem Konzeptfahrzeug ID.R
gezeigt und dabei Elektro-Streckenrekorde auf der
Nürburgring-Nordschleife, dem Goodwood Festival
of Speed sowie dem chinesischen Kurvenmonster
namens Tianmen Mountain geknackt.
In diesen umwälzenden Zeiten der Automobilbranche,
wo lieber hunderte Millionen in die Erforschung
künftiger Antriebstechnologien statt in den
Motorsport investiert werden, war es nur eine Frage
der Zeit, bis der erste Hersteller den Schritt hin zur
reinen Elektromobilität wagen würde. Volkswagen
hat einen Präzedenzfall geschaffen. Folgen weitere
Autobauer diesem Beispiel?
»Ich hoffe es nicht, weil ich denke, dass Motorsport
etwa in der DTM oder der Formel 1 sehr erfolgreich
mit Verbrennungsmotoren betrieben werden
kann«, gab Audi-Motorsportchef Gass schließlich
seine Antwort. »Ich denke auch, dass das noch
106 www.Motorsport-Magazin.com
Elektro statt Verbrenner:
VW stellt im Motorsport um
einige Jahre lang so weitergehen wird.«
Im Zuge des globalen Elektrifizierungs-Hypes hat
sich gerade in der Motorsportwelt ein Gegenpol
herauskristallisiert, der den Wert der Verbrennungsmotoren
hochhält. Vor allem der bewährte
Dieselmotor, der in den vergangenen Jahren regelrecht
niedergemacht wurde, findet Platz in den
Lobeshymnen.
Und wo Gass und Co. sicherlich Recht haben: So
schnell wird die neue und noch längst nicht vollständig
erschlossene Elektromobilität die traditionellen
Antriebe nicht von der Straße und auch nicht
aus dem Rennsport verdrängen.
Was Volkswagen - mit den Konzerntöchtern Audi
und Porsche in einer motorsportlichen Luxussituation
- nun so radikal vorgemacht hat, könnte allerdings
das Modell der Zukunft sein. Die großen
Hersteller werden nach dem abgeschlossenen Wandel
hin zur E-Mobilität keinen Werkssport mehr
mit Verbrennungsmotoren betreiben.
»Wenn es in die Richtung geht, dass Verbrennungsmotoren
auf der Straße aussterben, muss das nicht
notwendigerweise ein Ende des traditionellen
Motorsports bedeuten«, führte Gass aus. »Früher
verlief der Transport auf Straßen mit Pferden. Als
Der Volkswagen ID.R auf
E-Rekordjagd in aller Welt
FOTOS: DTM, EXTREME E, VOLKSWAGEN
Extreme E ist die neueste
Idee von Alejandro Agag
DTM-Vision: E-Tourenwagen
mit bis zu 1.000 PS
dann die Autos kamen, gab es aber weiterhin Pferderennen.
Ähnlich kann man sich das im Motorsport
vorstellen. Dann würde ich erwarten, dass
private Teams diesen Sport betreiben - und nicht
mehr die Hersteller.«
Schon jetzt müssen sich die Hersteller und Organisationen
auch im Motorsport für die Zukunft
wappnen. Da kam die Formel E im Jahr 2014 als
gelungene Marketing-Plattform gerade recht, um
die eigenen E-Produkte zu bewerben. Nicht zuletzt
der Diesel-Skandal hat der jungen Rennserie einen
in der Geschichte des Motorsports unvergleichlichen
Boom beschert. Zehn internationale Autobauer
treten inzwischen in der von Geschäftsmann
Alejandro Agag gegründeten Formel E an, darunter
die deutschen Premiumhersteller Audi, BMW, Porsche
und Mercedes-Benz.
Auch der clevere Agag weiß, dass es nur eine Frage
der Zeit sein wird, bis der erste Hersteller sich neu
ausrichtet und in der Formel E den Stecker zieht.
Für diesen Fall hat der Spanier mit einer weiteren
Rennserie vorgebaut. Im Februar 2021 geht die
sogenannte Extreme E an den Start, oder konventioneller
ausgedrückt: Rennsport mit
Elektro-SUVs.
Filmisch eindrucksvoll aufbereitete Rennen an
entlegenen Orten wie dem Himalaya, Grönland,
dem Amazonas oder dem vor allem finanziell
lukrativen Saudi-Arabien als Werbebotschaft für
eine bessere Umwelt: Dieser Kniff hat sich schon
bei der Formel E bewährt und soll mit der Extreme
E eine Fortsetzung finden.
Rennfahrer wittern hier attraktive Möglichkeiten,
im Fahrer-Pool finden sich prominente Namen wie
Daniel Abt, Timo Scheider, Billy Monger oder auch
Serienbotschafter Sebastien Ogier. »Viele junge
Menschen demonstrieren auf der Straße, andere
engagieren sich in der Politik oder in NGOs«, sagt
Formel-E-Pionier Abt. »Ich habe die Chance, durch
ein Projekt wie Extreme E neue und saubere Technologien
zu fördern und das Bewusstsein für die
Herausforderungen in Umgebungen auf der ganzen
Welt zu schärfen.«
Dass hinter der Extreme E noch etwas mehr stecken
könnte, haben der Kemptener Tuner Abt und auch
HWA aus Affalterbach gewittert. Die beiden deutschen
Teams haben sich frühzeitig einen Startplatz
gesichert und zählen zum Aufgebot der insgesamt
zwölf Rennställe. Neben sportlichem Erfolg winkt
hier ganz besonders die gewinnbringende Partnerschaft
mit einem großen Hersteller.
Das aus der Formel E bekannte ‚Abt-Prinzip‘ - der
spätere Verkauf des Startplatzes an einen Autobauer
- könnte auch in der Extreme E zünden, denn:
Anstelle von Formelautos mit gewissen Marketing-
Hürden fahren hier Boliden, die sich künftig nach
»ICH HABE DIE CHANCE,
DURCH DIE EXTREME E
NEUE UND SAUBERE TECH-
NOLOGIEN ZU FÖRDERN
UND DAS BEWUSSTSEIN
FÜR DIE HERAUSFORDE-
RUNGEN AUF DER GANZEN
WELT ZU SCHÄRFEN.«
der Optik der diversen Herstellerangebote richten
könnten. Eine neue und überaus attraktive Marktlücke
im Elektro-Rennsport!
Die Zeichen der Zeit hat auch die DTM-Dachorganisation
ITR erkannt und zuletzt eine Konzeptstudie
über Tourenwagen mit Elektro-Antrieb und
bis zu 1.000 PS Leistung präsentiert. Hinzukommt
die Einführung eines einheitlichen Hybridsystems
in der regulären DTM ab 2022. In der E-Vision
könnten Hersteller ebenfalls ihre Serienprodukte
mit Silhouetten auf der Rennstrecke bewerben -
und das sogar wahlweise mit Batterie- oder
Brennstoffzellen-Antrieb.
»Wir brauchen keine Neuauflage der Formel E«,
zeigte sich BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt
aufgeschlossen. »Wir müssen etwas Anderes
machen, so wie die Formel E damals. Sie kam zur
richtigen Zeit am richtigen Ort. Der nächste Schritt
in diese Richtung muss produktbezogen sein und
das zeigt diese Vision. Ein interessantes Thema,
welches beweist, dass die DTM nicht in alten Zeiten
feststeckt, sondern die Zukunft angeht.«
Welches Konzept sich in der elektrischen Antriebstechnologie
am Ende durchsetzen wird, das weiß
auch DTM-Chef Gerhard Berger noch nicht. »Wir
haben keine hunderttausend Ingenieure, also können
wir künftige Technologien nicht definieren«,
sagte der frühere Formel-1-Fahrer. »Aber wir können
eine Plattform bieten, auf der sich diese Technologien
beweisen und weiterentwickelt
werden.«
Von Volkswagen über Extreme E bis hin zur Elektro-
DTM: Die Motorsportwelt befindet sich im größten
Wandel unserer Zeitgeschichte. Was spannend und
visionär klingt, trifft jedoch auf die harte Realität,
oder wie es der alte Racer Berger ausdrückte: »Man
könnte so viele Dinge machen, doch am Ende des
Tages entscheidet das liebe Geld.«
www.Motorsport-Magazin.com 107
RASANTER
ZUKUNFTSTREIBER
DIE FORMEL E ALS SCHNELLSTES TESTLABOR DER WELT FÜR DIE ELEK-
TROMOBILITÄT VON MORGEN. ZF NUTZT DIE INNOVATIVE PLATTFORM,
UM SEINE EXPERTISE UNTER BEWEIS ZU STELLEN.
TEXT: ROBERT SEIWERT
108 www.Motorsport-Magazin.com
Aus Friedrichshafen raus in die weite Welt. Vor etwa zehn Jahren
machte Pascal Wehrlein in der Stadt am Bodensee seine Ausbildung
zum Feinwerkmechaniker - und wer hätte damals
schon ahnen können, was alles folgen sollte. Jüngster DTM-
Champion der Geschichte, zwei Saisons in der Formel 1, nun
kämpft der 25-Jährige in der Formel E um Podestplätze und
Rennsiege.
Nicht nur Wehrlein hat sich aufgemacht, die Motorsport-Welt zu erobern.
Ein paar Jahre zuvor - genauer gesagt: 1937 - hatte ZF aus Friedrichshafen
bereits die Relevanz des Motorsports für die Serienentwicklung
erkannt. In jenem Jahr drehten die ersten Mercedes-Silberpfeile mit
Sachs-Dämpfern und Kupplungen aus dem Portfolio des Unternehmens
eifrig ihre Runden.
Pascal Wehrlein startet mit
ZF Power in der Formel E
Mahindra zählt zu den
Pionieren der Elektro-Serie
Wehrlein visiert seinen
ersten Sieg in der Formel E an
FOTOS: MOTORSPORT IMAGES, ZF
Weitere Meilensteine sollten folgen, darunter Grand-Prix-Siege 1964 von
Formel-1-Ikone Jim Clark mit ZF-Getriebe in seinem Lotus 33 R9, der
Le-Mans-Triumph von Porsche 1985 mit Sachs-Produkten und nicht
zuletzt die sechs Weltmeisterschaften von Ferrari und Michael Schumacher
mit Dämpfern von ZF.
Zukunft auf Rädern:
Das ZF EVplus Konzeptfahrzeug
Der rasanten Entwicklung der Automobilindustrie folgend, engagiert sich
ZF seit 2016 in der aufstrebenden Formel E. Hier kommt es zum Wiedersehen
der beiden ‚Friedrichshafener Globetrotter‘: In der sechsten
Saison der Formel E tritt ZF als neuer Antriebsstrang-Partner von Mahindra
Racing auf. Wehrlein und sein Teamkollege Jerome D‘Ambrosio wollen
den indischen Rennstall zu weiteren Erfolgen führen.
»Die Formel E ist für ZF eine großartige Bühne, um die Qualität und
Leistungsfähigkeit unserer Antriebslösungen für die E-Mobilität von morgen
unter Beweis zu stellen«, sagt Wolf-Henning Scheider, der Vorsitzende
des Vorstands von ZF. »In keiner anderen Rennserie ist der Know-how-
Transfer vom Rennsport hinein in die Serienentwicklung so groß wie in
der Formel E.«
Während die Formel-E-Rennwagen für immer größere Begeisterung sorgen,
herrscht in unserer Gesellschaft weiter Skepsis gegenüber der
E-Mobilität. Dem Wunsch nach ständig verfügbarer, bezahlbarer, sauberer
und sicherer Mobilität steht eine Realität gegenüber, die von Staus, Emissionen
und mangelndem Angebot geprägt ist.
Mit der Unternehmensstrategie ‚Next Generation Mobility‘ arbeitet ZF
täglich daran, dass die Mobilität von morgen für alle zugänglich und
zugleich erschwinglich bleibt, bequem verfügbar ist, noch sicherer, komfortabler
und dabei zugleich effizienter sowie nachhaltiger wird. Diese
Haltung fokussiert der Konzern in seiner #MobilityLifeBalance-Initiative.
Im Vordergrund steht hier der Nutzen für jeden mobilen Menschen und
seine Bedürfnisse.
Neben den aktuell vergleichsweise hohen Anschaffungskosten für Elektro-
Autos taucht immer wieder die Frage nach der Reichweite auf. Während
die Profis in der Formel E ihre Ressourcen bis aufs letzte Kilowatt einteilen
müssen, wäre das im öffentlichen Verkehr sicherlich nicht die optimale
Herangehensweise...
Bert Hellwig, Leiter des Systemhauses E-Mobility bei ZF: »Für den Alltagsnutzen
von E-Autos ist es wichtig, so viel Reichweite wie möglich
aus einer Batterieladung zu gewinnen. Jedes Prozent mehr Effizienz im
Wirkungsgrad mündet in zwei Prozent mehr Reichweite.«
Mit dem auf der IAA 2019 erstmals präsentierten ZF EVplus Konzeptfahrzeug
zeigt der Technologiekonzern, wohin die Reise führen kann: Der
Plug-in-Hybrid fährt rein-elektrisch im Realbetrieb mehr als 100 Kilometer
weit. Für lange Strecken springt der Verbrennungsmotor mit ein.
Ziel war es auch beim EVplus, alle Komponenten des Antriebsstrangs so
gut wie möglich zu gestalten und perfekt aufeinander abzustimmen. So
bringen auch vermeintlich kleine Optimierungen in Summe einen spürbaren
Effizienzgewinn.
In der Formel E setzten die Experten von ZF beispielsweise erstmals
Siliziumkarbid statt des üblichen Siliziums als Halbleiter in der Leistungselektronik
ein. Durch den sinkenden Innenwiderstand der Leistungselektronik
steigen Wirkungsgrad und Reichweite des Fahrzeugs an. Diese
Innovation plant der Konzern auch in seine Serientechnologie zu
übernehmen.
»ZF ist ein riesiges Unternehmen und die Zusammenarbeit wird uns sehr
helfen«, sagt Wehrlein. »Mit ZF haben wir einen Partner, der zusammen
mit uns die Entwicklung vorantreibt und uns hoffentlich weiter nach vorne
bringt. Das ist eine Win-Win-Situation.«
www.Motorsport-Magazin.com 109
LE MANS
TEXT: ROBERT SEIWERT
NORDSCHLEIFE
DER TRADITIONSREICHE REIFENHERSTELLER GOODYEAR DREHT AB 2020 SEINE
RUNDEN AUCH AUF DEUTSCHEN RENNSTRECKEN.
Ein Name mit großer Tradition startet ab 2020
auf der Bühne des deutschen Motorsports
durch: Goodyear-Reifen werden im kommenden
Jahr auf zahlreichen heimischen Rennstrecken
ihre Runden drehen.
Auch in Deutschland möchte die Reifenmarke an ihre
lange und erfolgreiche Tradition im Rennsport
anknüpfen. Und die kann sich sehen lassen: Bis
heute fuhr Goodyear bei den legendären 24 Stunden
von Le Mans insgesamt 14 Siege ein und avancierte
mit 368 Grand-Prix-Siegen zum erfolgreichsten Reifenhersteller
in der Geschichte der Formel 1.
Nächster Halt: Deutschland. Und das auf Anhieb auf
der anspruchsvollsten Rennstrecke der Welt. Auf der
Nordschleife des Nürburgrings wird Goodyear zahlreiche
Teams in der VLN-Langstreckenmeisterschaft
sowie beim weltberühmten 24-Stunden-Rennen
ausstatten. Auch in den beiden Rennserien DMV GT
und Touring Car Cup sowie DMV National Endurance
Series 500 werden die Rennreifen der traditionsreichen
Marke eingesetzt.
»Beim Einstieg in Deutschland wird sich Goodyear
auf den GT- und Tourenwagensport konzentrieren«,
sagt Alexander Kühn, Motorsport Produkt Manager
EMEA. »Wir freuen uns auf einen spannenden Wettbewerb
der Reifenhersteller auf der legendären Nordschleife
und die partnerschaftliche Zusammenarbeit
mit den Rennserien und Motorsport-Teams.«
Dieser Schritt soll die Marke Goodyear in den
Bereichen Motorsport und Ultra-Ultra-High-Performance
stärken.
»Nachdem Goodyear in den Innovationszentren in
Hanau und im luxemburgischen Colmar-Berg bereits
erfolgreich eine neue Reifenpalette für die Le-Mans-
Prototypen entwickelt hat, werden wir im kommenden
Jahr das Reifenangebot für den deutschen und
europäischen Motorsport mit neuen Produkten erweitern«,
erklärt Alexander Kühn weiter.
Als einer der größten Reifenhersteller mit weltweit
rund 64.000 Mitarbeitern war Goodyear zuletzt in
den internationalen Motorsport zurückgekehrt. Nach
dem Einstieg in die FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft
auf LMP2-Rennwagen wurde das Motorsportengagement
in der European Le Mans Series weiter
ausgebaut. In Großbritannien kehrt Goodyear zudem
als exklusiver Reifenpartner der British Touring Car
Championship zurück.
FOTOS: GOODYEAR
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FOTOS: ADAC MOTORSPORT
Auch 2020 gibt der ADAC
im Esports-Bereich Vollgas
ADAC ESPORTS 2020
ÜPPIGE PREISGELDER UND NOCH MEHR ACTION
DIE ADAC GT MASTERS ESPORTS CHAMPIONSHIP WAR 2019 EIN VOLLER ERFOLG FÜR AMBITIONIERTE
SIM-RACER. NÄCHSTES JAHR GEHT ES IN DIE NÄCHSTE RUNDE. BIGGER, BETTER, ADAC ESPORTS!
TEXT: HARIS DURAKOVIC
Race it like Max! Sim-Racing ist spätestens seit den Erfolgen von Max Verstappen
und Lando Norris in der virtuellen Welt auch auf dem Radar etablierter Rennserien
angekommen. Motorsport-Enthusiasten weltweit können am Simulator zeigen, ob
sie es wie die Profis draufhaben, Grenzen ausloten und an der Ideallinie arbeiten,
um das »letzte Tausendstel« herauszuholen. Das einzige Risiko, das die Sim-Racer
im Gegensatz zu ihren Vorbildern eingehen, ist ein hoher Puls. Eigene Ligen und
große Live-Events mit zahlreichen prominenten Vertretern aus dem realen Motorsport
machen es für die Sim-Racer möglich, sich mit den besten ihrer Zunft zu
messen.
Seit vergangenem Jahr mischt auch der ADAC im virtuellen Motorsport mit,
und das durchaus erfolgreich. Die ADAC GT Masters eSports Championship
fand in ihrem ersten Jahr großen Zulauf. Eine weitere Saison ist also Ehrensache.
Die Veranstalter haben sämtliche Erkenntnisse aus dem Vorjahr in ein
neues Konzept einfließen lassen. Plattform werden erneut die Rennsimulatoren
von Partner RaceRoom sein. Ganz getreu dem Motto: Never change a winning
team!
Die Anzahl der Startplätze wurde auf 24 Sim-Racer aufgestockt, genauso wie die
Anzahl der Veranstaltungen. In acht Rennen und bei fünf Live-Events kämpfen die
Teilnehmer um Geld- und Sachpreise im Gesamtwert von 80.000 Euro. Ein besonderes
Schmankerl für GT-Fans: Auch 2020 stehen die Sportwagen im Originaldesign
des ADAC GT Masters zur Auswahl. Eine eigene Lackierung ist aber auch
möglich.
Vier der fünf Live-Events werden vor Ort an den Rennstrecken im Rahmen der ADAC
GT Masters-Rennwochenenden abgehalten. In der Motorsport Arena Oschersleben,
am Hockenheimring, am Nürburgring und beim Saisonfinale am Sachsenring mit
Doppellauf wird virtuell Rad an Rad gekämpft. Eine weitere Live-Veranstaltung
findet außerhalb des ADAC GT Masters statt, zwei weitere Online-Rennen kommen
außerdem hinzu.
Die 24 Startplätze werden anhand der Online-Qualifying-Events vergeben. Für Infos
zur Teilnahme und weiteren Informationen rund um die ADAC GT Masters eSports
Championship 2020 lohnt sich ein Besuch auf adac.de/esports.
112 www.Motorsport-Magazin.com
TICKETVORVERKAUF
HOCH
3
MOTORSPORT-FANS AUFGEPASST! Bereits jetzt sind Tickets für drei
der beliebtesten Events im nationalen Motorsport erhältlich. Der Ticket-Vorverkauf
zur ADAC Rallye Deutschland (15.-18.10.2020) und zum deutschen
MotoGP-Lauf auf dem Sachsenring (19.-21.06.) laufen bereits auf
Hochtouren. Außerdem sind Tickets für alle sieben Events des ADAC GT
Masters ab sofort erhältlich. Der frühe Vogel fängt dabei den Wurm: Fans
können für einen bestimmten Zeitraum von Frühbucher-Rabatten profitieren.
ADAC MOTORSPORTLER
DES JAHRES 2019
Eine knappe Kiste ist es geworden, aber im vierten
und letzten Wahlgang stach Dennis Ullrich bei der
Wahl zum ADAC Motorsportler des Jahres DTM-Dominator
René Rast aus. Der fünffache ADAC MX Masters-
Champion ist eine Konstante im nationalen Motocross
und auch international respektiert. Als ADAC Motorsportler
des Jahres reiht sich Ullrich nun in illustre Gesellschaft
mit Motorsport-Größen wie DTM-Dominator
René Rast ein.
ADAC JUNIOR MOTORSPORTLER
DES JAHRES 2019
Er setzte der ADAC TCR Germany 2019 den Stempel
auf: Max Hesse gewann nach dem Rookie-
Titel 2018 in diesem Jahr die Fahrermeisterschaft.
Der 18-Jährige setzte sich dabei gegen wesentlich
erfahrenere Piloten durch. Als frisch gebackener
ADAC Junior Motorsportler tritt Hesse die
Nachfolge seines berühmten Vorgängers Mick
Schumacher an.
www.Motorsport-Magazin.com 113
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