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Five Nights at Freddy's - Tales from the Pizzaplex 2 - Happs (Leseprobe) YDFIVE011

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#2 HAPPS<br />

Von Scott Cawthon, Elley Cooper<br />

& Andrea Waggener<br />

Ins Deutsche übertragen<br />

von Andreas Kasprzak<br />

Elley Cooper<br />

andrea waggener<br />

<strong>Five</strong> <strong>Nights</strong> <strong>at</strong> Freddys 11 S<strong>at</strong>z.indd 1 07.03.24 14:24


Bibliografische Inform<strong>at</strong>ion der Deutschen N<strong>at</strong>ionalbiblio<strong>the</strong>k<br />

Die Deutsche N<strong>at</strong>ionalbiblio<strong>the</strong>k verzeichnet diese Publik<strong>at</strong>ion<br />

in der Deutschen N<strong>at</strong>ionalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

D<strong>at</strong>en sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

Amerikanische Originalausgabe:<br />

„<strong>Five</strong> <strong>Nights</strong> <strong>at</strong> Freddy’s: <strong>Tales</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>Pizzaplex</strong> #2 – <strong>Happs</strong>“<br />

by Scott Cawthon, Elley Cooper, and Andrea Waggener published<br />

in <strong>the</strong> US by Scholastic Inc., New York, September 2022.<br />

Copyright © 2024 Scott Cawthon. All rights reserved.<br />

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schloßstr. 76, 70176 Stuttgart.<br />

Geschäftsführer: Hermann Paul<br />

Head of Editorial: Jo Löffler<br />

Head of Marketing: Holger Wiest (email: marketing@panini.de)<br />

Presse & PR: Steffen Volkmer<br />

Übersetzung: Andreas Kasprzak<br />

Lektor<strong>at</strong>: Karin Weidlich<br />

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart<br />

S<strong>at</strong>z und E-Book: Greiner & Reichel, Köln<br />

Druck: GGP Media, Pößneck<br />

Printed in Germany<br />

<strong>YDFIVE011</strong><br />

ISBN 978-3-8332-4492-6<br />

1. Auflage, April 2024<br />

Auch als E-Book erhältlich:<br />

ISBN 978-3-7569-9967-5<br />

Findet uns im Netz:<br />

www.paninicomics.de<br />

PaniniComicsDE


INHALT<br />

Mitarbeiter gesucht 7<br />

HAPPS 77<br />

B-7 169<br />

Über die Autorinnen und den Autor 261


MITARBEITER GESUCHT<br />

Warum ist die Herrentoilette immer der reinste Albtraum?<br />

Steve sprühte die Klobrille und die Wände mit Desinfektionsmittel<br />

ein. Schon seltsam. In der Damentoilette musste<br />

man nie mehr tun, als einmal mit dem Mopp durchzugehen,<br />

die Oberflächen abzuwischen und Handwaschseife<br />

und Klopapier nachzufüllen. Doch wenn’s darum ging,<br />

sich um das Herren-WC zu kümmern, h<strong>at</strong>te er immer das<br />

Gefühl, als könnte er genauso gut das Affenhaus im Zoo<br />

putzen.<br />

Steve hätte nie gedacht, dass er mal für ein mehr als bescheidenes<br />

Gehalt Tankstellenklos sauber machen würde.<br />

Dank seiner kre<strong>at</strong>iven Fähigkeiten in puncto digitale Kunst<br />

und Design h<strong>at</strong>te er stets angenommen, später mal für eins<br />

der vielen Technikunternehmen zu arbeiten, die in der Stadt<br />

wie Pilze aus dem Boden schossen, vorzugsweise, um für<br />

gutes Geld Videospiele zu entwerfen. Dafür h<strong>at</strong>te er eine<br />

Milliarde Ideen, viele davon besser als Titel, die bereits<br />

auf dem Markt waren. Jedenfalls redete er sich das selbst<br />

ein.<br />

Und trotzdem war er jetzt hier, mit einer Klobürste in der<br />

einen Hand und einer Flasche Sprühreiniger in der anderen.<br />

7


In den letzten paar Jahren h<strong>at</strong>te er sich bei den örtlichen<br />

Tech-Firmen so ziemlich für jeden Job beworben, für den er<br />

auch nur im Entferntesten qualifiziert war. Doch der Wettbewerb<br />

war gnadenlos. Er musste mit all diesen Kids mit<br />

teuren Elitehochschulabschlüssen konkurrieren, die bereits<br />

irgendwo Praktika absolviert oder für die angesehensten<br />

Unternehmen des Landes gearbeitet h<strong>at</strong>ten. Steve hingegen<br />

h<strong>at</strong>te seinen Abschluss an einem öffentlichen College gemacht<br />

und die Schule damit finanziert, dass er sich in irgendwelchen<br />

beschissenen Jobs die Nächte um die Ohren<br />

geschlagen h<strong>at</strong>te. Und als er seinen Abschluss dann in der<br />

Tasche h<strong>at</strong>te, waren die einzigen Anstellungen, die man<br />

ihm anbot, genauso bescheiden gewesen wie die, die er<br />

vorher h<strong>at</strong>te. Er ging rüber zur zweiten Kabine des Herrenklos.<br />

In diesem Fall war der Begriff „Scheißjob“ t<strong>at</strong>sächlich<br />

wörtlich zu verstehen.<br />

Steves winzige Wohnung lag im Stockwerk über einem<br />

Schnellimbiss namens Käpt’n Ernies Fischkutter. Der Fettgeruch,<br />

der von unten nach oben waberte, sorgte dafür, dass<br />

der Teppich, die Möbel und das Bettzeug in dem Apartment<br />

immer nach frittiertem Fisch rochen. Sogar Steves<br />

Klamotten im Kleiderschrank h<strong>at</strong>ten den Mief angenommen.<br />

Manchmal liefen ihm auf der Straße streunende K<strong>at</strong>zen<br />

hinterher, angelockt von dem Fischgeruch, den er hinter<br />

sich herzog.<br />

Sobald Steve von der Arbeit heimkam, brauchte er dringend<br />

eine Dusche. Manchmal würde er sich am liebsten<br />

mit dem Desinfektionsmittel einsprühen, mit dem er die<br />

Toiletten der Tankstelle reinigte. H<strong>at</strong>te er sich schließlich<br />

8


geduscht und war in saubere, bequeme – und ein bisschen<br />

fischig riechende – Klamotten geschlüpft, war er bereit,<br />

einen Happen zu essen und sich seiner richtigen Arbeit zuzuwenden.<br />

Er legte einen gefrorenen Burrito in die Mikrowelle,<br />

schnappte sich eine Limo aus dem Kühlschrank und<br />

setzte sich an den Computer.<br />

Das Projekt, an dem er gerade arbeitete – Der Apfel fällt<br />

nicht weit vom Stamm –, war ein familienfreundliches,<br />

missionsbasiertes Spiel mit Zeichentrick-Backenhörnchen.<br />

Er war mit dem Design zur Hälfte fertig und hoffte, dass<br />

sich eine Firma dafür interessieren würde. Und falls nicht,<br />

überlegte er, würde er vielleicht versuchen, es einfach auf<br />

eigene Faust rauszubringen. Er war es leid, Toiletten zu<br />

putzen und darauf zu warten, dass irgendwas Besonderes<br />

passierte.<br />

Das erinnerte ihn an etwas. Er musste Amanda noch eine<br />

Nachricht schicken, bevor sie ins Bett ging.<br />

Vor Kurzem h<strong>at</strong>te Steves Ungeduld darüber, dass in seinem<br />

Leben nichts passierte, ihn dazu gebracht, sich bei<br />

einer D<strong>at</strong>ing-App anzumelden. So lange er denken konnte,<br />

träumte er schon davon, eine kluge, gütige, schöne Frau zu<br />

heir<strong>at</strong>en. Sie würden in einem gemütlichen Haus wohnen<br />

und zwei bezaubernde Kinder haben, einen Jungen und ein<br />

Mädchen. Doch Träume waren das eine und die Wirklichkeit<br />

das andere.<br />

Bedauerlicherweise lernte man keine hübschen Frauen<br />

kennen, wenn man im Mini-Markt einer Tankstelle die<br />

Toiletten putzte und die Böden schrubbte. Hin und wieder<br />

kam zwar eine interessante Frau in den Shop, um ihr Benzin<br />

oder eine Flasche Milch zu bezahlen, aber mit einem<br />

9


Wischmopp in der Hand war es ziemlich schwierig, charmant<br />

und weltmännisch zu wirken.<br />

Eine Zeit lang h<strong>at</strong>te er auch nicht das Gefühl gehabt,<br />

dass die App ihm dabei helfen würde, jemanden kennenzulernen.<br />

Doch dann war er auf Amandas Profil gestoßen<br />

und h<strong>at</strong>te ihr zögerlich eine Nachricht geschickt, in der<br />

nur stand: „Hi.“ Sie h<strong>at</strong>te darauf nahezu augenblicklich<br />

mit einem „Hi“ geantwortet. Anschließend h<strong>at</strong>ten sie dann<br />

schnell Fortschritte gemacht und eine richtige Unterhaltung<br />

geführt. Nun, jedenfalls so nah dran an einer richtigen Unterhaltung,<br />

wie es mit Texten geht.<br />

Steve h<strong>at</strong>te sich nicht bloß deshalb von Amandas Profilbild<br />

angezogen gefühlt, weil sie im klassischen Sinne schön<br />

war, sondern vor allem, weil sie ungeheuer freundlich wirkte.<br />

Sie h<strong>at</strong>te schulterlanges braunes Haar und ein einnehmendes<br />

Lächeln. Sie arbeitete als Vorschullehrerin, und da<br />

sie so gütig und geduldig war und einen tollen Sinn für Humor<br />

h<strong>at</strong>te, nahm Steve an, dass sie ihren Job großartig machte.<br />

Das Seltsame an ihrer „Beziehung“ war allerdings, dass<br />

sie zwar schon seit über einem Mon<strong>at</strong> miteinander ch<strong>at</strong>teten,<br />

bislang jedoch bloß zweimal miteinander ausgegangen<br />

waren. Steve arbeitete von 15 Uhr bis 22 Uhr an der Tankstelle<br />

und Amanda unterrichtete von 7 Uhr 30 bis 15 Uhr 30<br />

in der Vorschule. Sie h<strong>at</strong>ten es bis jetzt beim besten Willen<br />

nicht geschafft, mehr Zeit miteinander zu verbringen.<br />

Steve schnappte sich sein Smartphone und textete ihr: Ich<br />

hoffe, du h<strong>at</strong>test einen guten Tag.<br />

Sie schrieb zurück: Als Erstes heute Morgen h<strong>at</strong> ein Kind<br />

auf meine Schuhe gekotzt, aber ab da konnte mein Tag ja<br />

nur besser werden! LOL.<br />

10


Steve gluckste amüsiert. Schien ganz so, als hätten sie<br />

beide in ihren Jobs mit jeder Menge Widerlichkeiten zu<br />

kämpfen. Er tippte: LOL. Wenn’s danach noch weiter bergab<br />

gegangen wäre, wär’s auch zu übel geworden. Ich lass<br />

dich jetzt schlafen. Gute Nacht.<br />

Sie sandte ihm ein Gute Nacht zurück, zusammen mit<br />

einem Emoji von einem verschlafenen Gesicht.<br />

Steve lächelte, legte sein Handy beiseite und machte sich<br />

wieder daran, an seinem Spiel zu arbeiten, bis er schließlich<br />

zu müde war, um seine Augen noch länger offen zu<br />

halten.<br />

Sobald Steve die Tür des Mini-Markts öffnete, schaute sein<br />

Chef, ein humorloser Mann in mittleren Jahren mit dem bedauernswerten<br />

Namen Gilbert Hurlbutt, von seinem Handy<br />

auf und sagte: „Irgend so ’n Gör h<strong>at</strong> hinten bei der linken<br />

Kühltruhe ’n halbes Fass blauen Slushi verschüttet. Mach<br />

das sauber!“<br />

„Kein Problem“, entgegnete Steve. Das war das, was er<br />

Mr. Hurlbutt immer antwortete. Das war der Weg des geringsten<br />

Widerstands.<br />

Er ging rüber zur Abstellkammer und stellte den Eimer<br />

unter den Wasserhahn des Waschbeckens. Hätte sich Mr.<br />

Hurlbutt einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er<br />

Hallo gesagt hätte, bevor er anfing, Anweisungen zu brüllen?<br />

Steve goss etwas Reinigungsmittel in den Eimer und<br />

grübelte – nicht zum ersten Mal – darüber nach, wie bizarr<br />

Mr. Hurlbutts Name war. Mr. Hurlbutts Eltern, vermutlich<br />

Mr. Hurlbutt senior und Mrs. Hurlbutt, wussten, dass<br />

ihr Kind die Bürde ihres lächerlichen Nachnamens tragen<br />

11


musste. Das war doch schon schlimm genug. Warum h<strong>at</strong>ten<br />

sie ihrem Sohn dann nicht wenigstens einen normalen<br />

Vornamen gegeben, wie M<strong>at</strong><strong>the</strong>w oder David oder so was,<br />

anst<strong>at</strong>t ihm einen genauso sperrigen Vornamen zu verpassen?<br />

N<strong>at</strong>ürlich hätte Mr. Hurlbutt sich Gil oder Bert nennen<br />

können. Doch st<strong>at</strong>tdessen war der Name „Gilbert“<br />

dick und fett auf die Brusttasche seines Arbeitshemds gestickt.<br />

Steve war so in seine Grübeleien vertieft, dass der Wischeimer<br />

überlief. Er kippte den Eimer zur Seite und goss etwas<br />

von dem überschüssigen Wasser weg. Dann schleppte<br />

er den Eimer und den Mopp in den hinteren Teil des Ladens,<br />

um den klebrigen Schlamassel zu beseitigen.<br />

Während Steve den Boden wischte, beschäftigte er sich<br />

in Gedanken mit seinem Spiel und damit, woran er arbeiten<br />

würde, sobald er diesen bedeutungslosen Job für heute beendet<br />

h<strong>at</strong>te und wieder zu Hause war.<br />

„Ich sagte: Hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit<br />

für mich?“<br />

Steve war so in Gedanken vertieft, dass er nicht einmal<br />

bemerkt h<strong>at</strong>te, dass ein Mann, der direkt neben ihm stand,<br />

versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der<br />

Mann h<strong>at</strong>te nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Kunden,<br />

die es normalerweise in den Laden verschlug – müde Leute<br />

in billigen Klamotten, die gerade von der Nachtschicht kamen<br />

oder auf dem Weg dahin waren. Obwohl Steve sich mit<br />

Kleidung nicht sonderlich gut auskannte, war unschwer zu<br />

erkennen, dass der dunkle Anzug, den der Mann trug, einiges<br />

gekostet h<strong>at</strong>te. Der Anzug war makellos, faltenfrei und<br />

schien maßgeschneidert zu sein, denn er saß perfekt und<br />

12


etonte die sportliche Figur des Mannes. „Tut mir leid“,<br />

sagte Steve. „Kann ich Ihnen helfen?“<br />

„Gut möglich, dass Sie das können“, entgegnete der<br />

Mann. Er h<strong>at</strong>te ausdrucksstarke Gesichtszüge, die dem Inbegriff<br />

der Redewendung „wie gemeißelt“ mehr als gerecht<br />

wurden, und einen Haarschnitt, der genauso teuer aussah<br />

wie sein Anzug. „Jedenfalls, sofern Sie Steve Snodgrass<br />

sind.“<br />

„Der bin ich“, sagte Steve. Er deutete auf sein Namensschild<br />

und kam sich schlagartig vor wie ein Schwachkopf.<br />

„Könnten wir vielleicht für einen Moment nach draußen<br />

gehen?“, fragte der Mann.<br />

Das Ganze wurde seltsamer und seltsamer. Eigentlich<br />

h<strong>at</strong>te Steve gedacht, der Mann brauche einfach nur Hilfe,<br />

weil er irgendwas Bestimmtes im Laden suchte, doch jetzt<br />

schien es eher, als wollte dieser Typ etwas von ihm persönlich.<br />

Steve spürte, wie er nervös wurde. War der Kerl ein<br />

Cop? Ein Serienkiller?<br />

„Ich weiß nicht recht, Sir“, sagte Steve. „Ich hab gerade<br />

erst mit meiner Schicht angefangen, darum darf ich eigentlich<br />

jetzt noch keine Pause machen. Ich will keinen Ärger<br />

mit meinem Boss kriegen.“<br />

„Nun, wenn Sie mich nach draußen begleiten, besteht<br />

die Möglichkeit, dass Sie schon in Kürze für einen anderen<br />

Boss arbeiten – und das für wesentlich mehr Geld.“ Er lächelte.<br />

Er h<strong>at</strong>te perfekte Zähne.<br />

Steves Verwirrung nahm von Sekunde zu Sekunde zu.<br />

Gehörte dieser Mann etwa zur Mafia? „Ich fürchte, ich verstehe<br />

nicht ganz.“<br />

13


„Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge“, sagte der<br />

Mann und reichte Steve eine Visitenkarte.<br />

Steve blickte auf die Karte hinab und las:<br />

Brock Edwards<br />

Personalanwerbung<br />

Fazbear Entertainment<br />

Es dauerte einen Moment, bis der Name Fazbear bei Steve<br />

eine Glocke zum Läuten brachte. Er erinnerte sich an<br />

diese speziell auf Kids zugeschnittenen Pizzerien, die vor<br />

ein paar Jahren ziemlich beliebt gewesen waren, ehe es mit<br />

dieser Fast-Food-Kette nach einer Reihe strafrechtlich relevanter<br />

Anschuldigungen rasant bergab gegangen war.<br />

Gerüchte über Morde machten die Runde, auch wenn er<br />

sich nicht mehr entsinnen konnte, von wie vielen die Rede<br />

gewesen war. Außerdem gab’s noch schrägeres Zeug …<br />

Geschichten über übern<strong>at</strong>ürliche Vorkommnisse und solchen<br />

Unsinn. Und obwohl Steve immer noch verwirrt war,<br />

musste er zugeben, dass seine Neugierde geweckt war.<br />

„Vielleicht könnte ich ’ne Minute mit rauskommen“, sagte<br />

er.<br />

„Sehr schön, Mr. Snodgrass“, sagte Mr. Edwards und<br />

folgte Steve zur Hintertür hinaus.<br />

Unweit des Müllcontainers hinter der Tankstelle blieben<br />

sie stehen. Abfallgeruch hing in der Luft.<br />

„Sind Sie mit Fazbear Entertainment vertraut?“, fragte<br />

Mr. Edwards.<br />

„Schon, irgendwie“, sagte Steve. „Ich meine, als Kind<br />

war ich ein paarmal in dieser Pizzeria. Bei Geburtstags-<br />

14


feiern und so was. Außerdem weiß ich ein bisschen über<br />

die … Skandale.“<br />

„Bedauerlicherweise ist das genau das, was die meisten<br />

Leute mit Fazbear Entertainment in Verbindung bringen“,<br />

sagte Mr. Edwards. „In den letzten paar Jahren gab es einige<br />

Individuen, die entschlossen waren, den Namen unserer<br />

Firma in den Dreck zu ziehen, indem sie grässliche Gerüchte<br />

über uns in Umlauf brachten. Und n<strong>at</strong>ürlich stürzen<br />

sich Presse und Öffentlichkeit wie die Geier auf solchen<br />

Schmutz.“ Er rückte seine ohnehin schon gerade Kraw<strong>at</strong>te<br />

zurecht. „Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Fazbear Entertainment<br />

bestrebt, sich nach außen hin neu zu postieren.“<br />

„Okay. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit<br />

mir zu tun h<strong>at</strong>.“<br />

Mr. Edwards musterte Steve von oben bis unten. „Sie<br />

sind doch Game-Designer, oder nicht?“<br />

„Ein aufstrebender, könnte man vielleicht sagen.“ Woher<br />

wusste dieser Typ, dass er Spiele machte?<br />

„Sie verkaufen sich unter Wert, Mr. Snodgrass. Sie haben<br />

zwei Spiele ins Internet gestellt, und beide sind ziemlich<br />

gut.“<br />

„Danke“, sagte Steve, auch wenn er sich noch immer<br />

nicht sicher war, woher dieser Kerl das mit seinen Spielen<br />

wusste. Unwillkürlich fragte er sich, was Brock Edwards<br />

noch alles über ihn wusste.<br />

„Tja, und da kommen Sie ins Spiel“, sagte Mr. Edwards.<br />

„In dem Bemühen, unsere Kritiker in die Schranken zu<br />

weisen, beabsichtigt Fazbear Entertainment, eine Reihe<br />

von Videospielen rauszubringen, basierend auf den Lügen,<br />

15


die über unser Unternehmen die Runde machen. Horrorspiele.“<br />

„Sie meinen Horrorspiele, die auf dem basieren, was<br />

die Leute darüber sagen, was in den alten Pizza-Lokalen<br />

passiert ist?“, fragte Steve. Die Idee kam ihm im besten<br />

Fall geschmacklos, im schlimmsten herzlos, gefühllos und<br />

grausam vor.<br />

„Ganz genau“, entgegnete Mr. Edwards. „Sie sollen gruselig<br />

sein und sich gleichzeitig über all diese verleumderischen<br />

Gerüchte und Anschuldigungen lustig machen, die<br />

über uns im Umlauf sind.“ Er ließ ein berechnendes Lächeln<br />

sehen. „Wir möchten, dass Sie vier Spiele für uns<br />

entwickeln, Mr. Snodgrass. Ich bin sicher, Sie werden feststellen,<br />

dass die Bezahlung mehr als großzügig ist, verglichen<br />

mit dem, was man Ihnen gegenwärtig fürs, ähm, Bodenfeudeln<br />

zahlt.“<br />

Ein Jobangebot in der Videospielbranche. Davon träumte<br />

Steve schon sein ganzes Leben. Aber warum kam ihm das<br />

Ganze dann so seltsam vor – und so falsch?<br />

„N<strong>at</strong>ürlich wäre es uns am liebsten, wenn Sie unverzüglich<br />

anfangen. Wir würden Sie zu einem abgelegenen Ort<br />

fliegen, wo Sie alles hätten, um an dem Spiel zu arbeiten,<br />

und auch alles, um ein angenehmes Leben zu führen: eine<br />

geräumige Unterkunft, einen Priv<strong>at</strong>koch, Personal, das sich<br />

um Ihre persönlichen Besorgungen und um Ihre Wäsche<br />

kümmert. Ein eigener Fitnessraum … Falls Sie für so was<br />

Verwendung haben.“ Bei diesen Worten beäugte er Steve<br />

von oben bis unten, auch wenn ein einziger Blick genügt<br />

hätte, um zu erkennen, dass Steve Fitnessstudios allenfalls<br />

von außen kannte. „Wir würden Ihnen bis Freitag Zeit<br />

16


geben, um Ihre Angelegenheiten entsprechend zu regeln.<br />

Das ist, mit Verlaub, eine einmalige Gelegenheit, Mr. Snodgrass.<br />

Was sagen Sie dazu?“<br />

„Horrorspiele, hm?“, sagte Steve zögerlich. Wären es<br />

Horrorspiele gewesen, in denen es um Geister und Kobolde<br />

und andere rein fiktive Kre<strong>at</strong>uren ging, hätte er damit kein<br />

Problem gehabt. Doch der Gedanke daran, dass die Spiele<br />

auf angeblichen, echten Morden basieren sollten, erfüllte<br />

ihn mit Unbehagen. N<strong>at</strong>ürlich behauptete Fazbear Entertainment,<br />

diese Morde habe es nie gegeben, aber was sollten<br />

sie auch anderes sagen?<br />

„Das ist richtig“, sagte Mr. Edwards. „Sie müssen im<br />

Universum von Fazbear Entertainment angesiedelt sein,<br />

aber innerhalb der Grenzen dieses Universums hätten Sie<br />

jede Menge kre<strong>at</strong>ive Freiheit.“<br />

„Und warum kann ich nicht hier daran arbeiten?“ Irgendwas<br />

an dieser ganzen Situ<strong>at</strong>ion, von dem er selbst nicht so<br />

richtig zu sagen vermochte, was genau, machte ihn nervös.<br />

„Ich bedaure, aber das ist leider nicht möglich“, sagte<br />

Mr. Edwards. „Diesbezüglich war die Chefetage sehr bestimmt.<br />

Sie wollen nicht riskieren, dass irgendwas davon<br />

durchsickert. Leaks und dergleichen, Sie wissen schon.“<br />

Für längere Zeit die Stadt zu verlassen, war ein weiterer<br />

Knackpunkt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Arbeitszeiten<br />

war es jetzt schon schwierig, die Zeit zu finden, Amanda<br />

zu sehen. Bislang kannten sie sich einfach noch nicht gut<br />

genug, als dass eine Fernbeziehung zwischen ihnen funktioniert<br />

hätte. Allmählich begann er ernsthaft in Erwägung zu<br />

ziehen, dass er sie wirklich mochte. War es die Sache wert,<br />

sich auf das Risiko mit Fazbear Entertainment einzulassen,<br />

17


einer Firma von bestenfalls zweifelhaftem Ruf, wenn er damit<br />

womöglich seine Chancen bei Amanda verspielte?<br />

„Ich weiß Ihr Angebot ehrlich zu schätzen, Mr. Edwards,<br />

aber irgendwie kommt es mir nicht richtig vor, den Job anzunehmen“,<br />

sagte Steve schließlich. „Die Welt ist auch so<br />

schon furchterregend genug, ohne dass wir sie noch um<br />

weitere Schrecken bereichern. Ich würde mich lieber gern<br />

darauf konzentrieren, familienfreundliche Spiele zu produzieren.“<br />

Abgesehen davon h<strong>at</strong>te er auch noch andere, persönlichere<br />

Gründe, abzusagen, aber das war der Punkt, der<br />

ihm am meisten zu denken gab. Gab es in der heutigen Welt<br />

nicht schon genug Dinge, vor denen die Kids Angst haben<br />

mussten?<br />

Mr. Edwards lachte länger, als angebracht war – so lange,<br />

dass Steve sich unbehaglich fühlte. „Wollen Sie mir damit<br />

sagen, dass Sie diese einmalige Gelegenheit sausen lassen,<br />

um wieder zurück in den Laden zu gehen und sich Ihren<br />

Wischmopp zu schnappen?“<br />

„Ja, ich denke schon“, entgegnete Steve. „Aber vielen<br />

Dank für das Angebot.“<br />

Um ehrlich zu sein, freute er sich nicht sonderlich darauf,<br />

wieder reinzugehen, um sich von Mr. Hurlbutt anbrüllen zu<br />

lassen und die Böden und die Klos zu putzen. Doch gleichzeitig<br />

fühlte es sich auf seltsame Weise gut an, sich so entschieden<br />

zu haben, wie er sich entschieden h<strong>at</strong>te.<br />

Noch immer in seinem Pyjama tapste Steve in die Küche<br />

hinüber, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Eine Kleinigkeit<br />

zu essen und eine ordentliche Ladung Koffein, dann<br />

war er bereit, sich ans Werk zu machen und noch einige<br />

18


Stunden an Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm zu arbeiten,<br />

bis es Zeit wurde, sich auf den Weg zur Tankstelle zu<br />

machen. Er schob zwei Scheiben Toast in den Toaster und<br />

nahm zwei Eier aus dem Kühlschrank.<br />

Sein Handy piepte.<br />

In der Annahme, dass es sich um eine Nachricht von<br />

Amanda handelte, nahm er das Telefon zur Hand. Jemand<br />

h<strong>at</strong>te ihm über die D<strong>at</strong>ing-App geschrieben. Seltsam. Das<br />

war definitiv nicht Amanda, denn die hätte ihm eine ganz<br />

normale SMS geschickt. Seine Neugierde war geweckt. Er<br />

öffnete die App und las: Eine Nachricht von Victoria.<br />

Wer zum Geier war Victoria?<br />

Er klickte auf die Nachricht und las: Hi. Hättest du irgendwann<br />

mal Lust zu ch<strong>at</strong>ten?<br />

Er tippte ihr Foto an, um es zu vergrößern. Dann rang er<br />

nach Luft. Hätte jemand ihn gebeten, zu beschreiben, wie<br />

er sich die perfekte Frau vorstellte, wäre dabei genau die<br />

rausgekommen, die er auf dem Bild sah. Victoria h<strong>at</strong>te langes,<br />

gewelltes, glänzend schwarzes Haar, in dem sich das<br />

Licht fing. Sie h<strong>at</strong>te große braune Rehaugen und sonnengebräunte<br />

Haut. Sie h<strong>at</strong>te hohe Wangenknochen und volle<br />

Lippen. Sie h<strong>at</strong>te gerade genug Make-up aufgelegt, um ihre<br />

n<strong>at</strong>ürliche Schönheit noch mehr zu betonen.<br />

N<strong>at</strong>ürlich, ermahnte er sich, waren die Menschen im Internet<br />

grundsätzlich unehrlich. Gut möglich, dass das Bild<br />

gar nicht die Person zeigte, die hinter diesem Profil steckte;<br />

vielleicht h<strong>at</strong>te sich jemand, der optisch nicht allzu viel<br />

hermachte, einfach ein Foto aus dem Netz besorgt und gab<br />

es für das eigene aus. Ebenso gut konnte es sich um ein Bild<br />

19


handeln, das zwar t<strong>at</strong>sächlich die Frau zeigte, die ihm geschrieben<br />

h<strong>at</strong>te, aber schon zwanzig Jahre alt war.<br />

Aber was, falls nicht? Was, wenn dieser Inbegriff von<br />

Anmut und Liebreiz t<strong>at</strong>sächlich real war und aus irgendeinem<br />

Steve völlig unbegreiflichen Grund beschlossen h<strong>at</strong>te,<br />

Interesse an ihm zu bekunden?<br />

Moment, ermahnte er sich. Was ist mit Amanda?<br />

Amanda war eine nette, liebenswürdige Frau, und soweit<br />

es ihn betraf, schien es zwischen ihnen eine echte Verbindung<br />

zu geben. Doch andererseits waren sie in einer noch<br />

so ganz frühen Phase ihrer Beziehung, dass er sich nicht<br />

einmal sicher war, dass man das Ganze überhaupt schon<br />

als Beziehung bezeichnen konnte. Außerdem h<strong>at</strong>te sie noch<br />

nicht gesagt, dass die Sache exklusiv war. Ebenso gut konnte<br />

Amanda ein halbes Dutzend Typen d<strong>at</strong>en. Woher sollte er<br />

das wissen?<br />

Darum tippte er auf ANTWORTEN und erwiderte auf<br />

Victorias Nachricht ein einziges Wort: Klar.<br />

Im selben Moment, in dem er auf SENDEN drückte,<br />

roch Steve etwas Angebranntes. Ihm war, als hätte er einige<br />

Minuten lang vollkommen vergessen, wo er sich befand<br />

und was er gerade machte. Zu Hause. In der Küche. Beim<br />

Frühstück, rief er sich ins Gedächtnis. Er warf einen Blick<br />

auf die Küchenzeile und sah schwarzen Rauch vom Toaster<br />

aufsteigen.<br />

Nachdem er den verbrannten Toast weggeworfen und ein<br />

Fenster aufgemacht h<strong>at</strong>te, um durchzulüften, goss er sich<br />

einen Becher Kaffee ein. Dann setzte Steve sich wieder an<br />

den Computer, um an seinem Spiel zu arbeiten. Die geheimnisvolle<br />

Nachricht von Victoria – wer immer sie auch<br />

20


sein mochte – h<strong>at</strong>te ihn zu sehr aufgewühlt, als dass er in<br />

diesem Moment imstande gewesen wäre, auch nur einen<br />

einzigen Bissen hinunterzubekommen.<br />

Wieder piepte sein Handy.<br />

Victoria: Hi. Ich bin’s. Schön, dass du Lust hast zu ch<strong>at</strong>ten.<br />

Hast du gerade Zeit?<br />

Klar, tippte Steve. Für dich hab ich immer Zeit! Im selben<br />

Moment, in dem die Worte auf dem Display erschienen,<br />

hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. So viel dazu,<br />

nicht zu interessiert zu klingen.<br />

Victoria: Ich bin das erste Mal bei einer D<strong>at</strong>ing-App.<br />

Eigentlich mag ich’s lieber von Angesicht zu Angesicht.<br />

Hättest du Lust, dich bald mal mit mir zu treffen? Vielleicht<br />

dieses Wochenende?<br />

Steve: Klar.<br />

Victoria: Wenn du willst, kannst du zu mir nach Hause<br />

kommen. Ich wohne etwas außerhalb, draußen auf dem<br />

Land. Hier ist es echt ruhig. Wir wären total ungestört,<br />

könnten in Ruhe über alles qu<strong>at</strong>schen und uns besser kennenlernen.<br />

Steve: Bist du sicher, dass du willst, dass ich dich bei unserem<br />

ersten D<strong>at</strong>e gleich zu Hause besuche? Sollten wir<br />

uns nicht lieber an einem öffentlichen Ort treffen, für den<br />

Fall, dass ich ein Psycho bin oder so?<br />

Victoria: LOL! Ich vertrau dir. Wie wär’s Samstagmittag?<br />

Ich mach uns Essen.<br />

Steve: Klingt super.<br />

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Praktisch im selben Moment, als sie mit dem Ch<strong>at</strong>ten fertig<br />

waren, fiel Steve ein, dass er am Samstag eigentlich schon<br />

mit Amanda verabredet war. Allerdings war sie jemand, der<br />

für so ziemlich alles Verständnis h<strong>at</strong>te. Es würde ihr nichts<br />

ausmachen, wenn sie sich ein andermal trafen. Er schrieb<br />

ihr: Tut mir leid wegen Samstag, aber mir ist was dazwischengekommen.<br />

Fast augenblicklich textete sie zurück:<br />

Schade, aber okay, und dahinter ein Traurig-Emoji.<br />

Steve h<strong>at</strong>te Schuldgefühle, aber er sagte sich, dass er es<br />

wiedergutmachen würde.<br />

M<strong>at</strong>t tunkte einen Donut in seinen Kaffee; er trug noch<br />

immer die Uniform des Computerladens, von dem er Geschäftsführer<br />

war. „Aber ich dachte, mit Amanda läuft alles<br />

super“, sagte er.<br />

„Tut’s auch.“ Steve h<strong>at</strong>te M<strong>at</strong>t angerufen und ihn gefragt,<br />

ob sie sich nach der Arbeit in dem rund um die Uhr<br />

geöffneten Donut-Laden treffen konnten, in dem sie öfter<br />

rumhingen. Mit einem Schlag war in seinem Leben viel<br />

zu viel los, und M<strong>at</strong>t, sein bester Freund seit seinem ersten<br />

Jahr am College, war der Einzige, bei dem er das Gefühl<br />

h<strong>at</strong>te, mit ihm über die Sache reden zu können. M<strong>at</strong>t<br />

war gnadenlos ehrlich und h<strong>at</strong>te noch nie gezögert, Steve<br />

klar zu sagen, wenn er dabei war, einen schrecklichen<br />

Fehler zu machen. (Außerdem besaß M<strong>at</strong>t die frustrierende<br />

Gabe, praktisch immer richtig zu liegen.) „Aber diese<br />

Nachricht“, sagte Steve, „kam praktisch aus heiterem Himmel.<br />

Und diese Frau …“ Mit einem Mal fehlten ihm die<br />

Worte.<br />

„Diese Frau sagte, sie würde dir ’ne Horde Schläger auf<br />

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den Hals hetzen, die die Scheiße aus dir rausprügeln, wenn<br />

du nicht mit ihr ausgehst?“<br />

Steve lachte. „Nein.“<br />

„Diese Frau sagte, wenn du nicht mit ihr ausgehst, sorgt<br />

sie dafür, dass deine dunkelsten Geheimnisse an die Öffentlichkeit<br />

gelangen?“<br />

„Nee“, sagte Steve, noch immer lachend. „Doch um ehrlich<br />

zu sein, war mein bisheriges Leben entschieden zu<br />

langweilig, als dass ich viele dunkle Geheimnisse hätte.“<br />

Er <strong>at</strong>mete tief durch und suchte nach den richtigen Worten,<br />

um auszudrücken, wie es in ihm aussah. „Diese Frau …“<br />

Er nahm sein Smartphone. „Hier, ich zeig’s dir.“ Er öffnete<br />

die D<strong>at</strong>ing-App, fand das Bild von Victoria und hielt<br />

es M<strong>at</strong>t hin.<br />

M<strong>at</strong>ts Unterkiefer fiel genauso herunter wie sein Donut.<br />

„Wow“, sagte er. „Schon kapiert. Aber so was von.“<br />

Steve reichte ihm einen frischen Donut. Er war erleichtert,<br />

dass M<strong>at</strong>t ihn verstand.<br />

Obwohl er allmählich anfing, an seinem Navi zu zweifeln,<br />

bog Steve von der schmalen, gewundenen Landstraße auf<br />

eine andere schmale, gewundene Landstraße ab. Hier draußen<br />

war es wunderschön, mit sanften Hügeln und Bäumen<br />

und gelegentlich einer Weide voller Kühe. Doch Steve<br />

konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, an einem<br />

so abgeschiedenen Ort zu wohnen. Und er konnte sich<br />

auch nicht vorstellen, dass eine so schöne und glamouröse<br />

Frau wie Victoria den Wunsch verspürte, in einer so ländlichen<br />

Gegend zu leben. Eigentlich hätte er gedacht, dass<br />

jemand, der so liebreizend und charmant war wie sie, lieber<br />

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irgendwo wohnen würde, wo mehr los war. Sehen und gesehen<br />

werden und so.<br />

„Jetzt links abbiegen in die Brushy Pine Road“, forderte<br />

ihn das Navi auf. „Ihr Ziel befindet sich auf der linken<br />

Seite.“<br />

Besagtes Ziel schien eine lange Schotterauffahrt zu sein,<br />

die in ein dicht bewaldetes Gebiet führte. Steve h<strong>at</strong>te so<br />

seine Zweifel, dass er hier wirklich richtig war, doch er<br />

fuhr weiter, denn bislang h<strong>at</strong>te das Navi ihn noch nie fehlgeleitet.<br />

Schließlich endete die Auffahrt bei einem Gebäude.<br />

Es war klein und bescheiden, ein hübsches kleines weißes<br />

Häuschen mit grünen Jalousien und einer grünen<br />

Eingangstür. Um ehrlich zu sein, wirkte das Gebäude eher<br />

wie das Zuhause einer Großmutter als wie das Heim einer<br />

<strong>at</strong>traktiven, jungen Singlefrau. Er parkte, schnappte sich<br />

den Strauß Blumen, den er im Supermarkt für sie besorgt<br />

h<strong>at</strong>te, und ging zum Haus hinüber, um an die Tür zu klopfen.<br />

Niemand öffnete. Steve seufzte. H<strong>at</strong>te ihm jemand einen<br />

Streich gespielt?<br />

Er probierte den Knauf und stellte überrascht fest, dass<br />

die Tür unverschlossen war. „Hallo?“, rief er. „Jemand zu<br />

Hause?“ Als darauf keine Antwort kam, tr<strong>at</strong> er ein. Normalerweise<br />

wäre er nicht ohne Erlaubnis ins Haus von jemand<br />

Fremden gegangen, doch er sagte sich, dass er schließlich<br />

eingeladen worden war, und das genügte ihm als Rechtfertigung<br />

vor sich selbst.<br />

Drinnen erwartete Steve die nächste Überraschung, als er<br />

sich in einem leeren Raum wiederfand. Die weißen Wände<br />

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waren leer, vor den Fenstern hingen keine Gardinen und<br />

es gab kein einziges Möbelstück. Er fragte sich, ob er hier<br />

t<strong>at</strong>sächlich richtig war. Oder ob Victoria in Wahrheit als<br />

Immobilienmaklerin arbeitete und sich hier mit ihm treffen<br />

wollte, um ihm ein Haus anzudrehen, anst<strong>at</strong>t ihn zu<br />

d<strong>at</strong>en.<br />

Das Haus mochte leer sein, doch still war es nicht. Er<br />

vernahm ein zwar leises, aber stetes mechanisches Surren,<br />

und dann – so plötzlich, dass Steve erschrak – ein lautes,<br />

schrilles Dröhnen, das nicht bloß seinen Ohren weht<strong>at</strong>,<br />

sondern auch seinem Hirn. Was geht hier vor? Was ist das<br />

für ein seltsamer Ort? Plötzlich fühlte er sich unsicher auf<br />

den Beinen. Er musste sich an der Wand abstützen, um das<br />

Gleichgewicht nicht zu verlieren.<br />

„Steve!“ Das grässliche Dröhnen verstummte und machte<br />

einer Frauenstimme Pl<strong>at</strong>z, so weich und geschmeidig<br />

wie Seide. „Tut mir so leid! Ich hab dich gar nicht klopfen<br />

hören.“ Ihr Aussehen enttäuschte ihn nicht. Als sie so vor<br />

ihm stand, sah sie genauso aus wie auf dem Bild, das er<br />

online gesehen h<strong>at</strong>te, nur noch besser. Sie trug ein eng anliegendes<br />

grünes Kleid, das zu den grünen Sprenkeln in ihren<br />

braunen Augen passte. Sie h<strong>at</strong>te eine sportliche, straffe<br />

Figur, als würde sie regelmäßig Sport treiben, war an den<br />

richtigen Stellen aber auch wunderbar kurvig.<br />

Steve war schockverliebt. „Hi“, sagte er und wünschte, er<br />

hätte sich für diesen besonderen Moment, in dem sie einander<br />

das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden,<br />

einen cleveren Spruch einfallen lassen. Da dem<br />

nicht so war, hielt er ihr st<strong>at</strong>tdessen hastig den Blumenstrauß<br />

hin.<br />

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Sie nahm die Blumen entgegen und lächelte. Sie h<strong>at</strong>te<br />

wundervolle Lippen und strahlend weiße Zähne. „Wie<br />

schön … und so aufmerksam von dir! Vielen Dank.“ Sie<br />

schaute sich im Zimmer um, als würde sie versuchen, sich<br />

auszumalen, welchen Eindruck das alles auf ihn machen<br />

musste. „Ich weiß, ich hab hier bislang noch nicht viel gemacht,<br />

aber ich glaube, wenn alles fertig ist, kann’s hier<br />

echt gemütlich werden. Und wegen des Abendessens: Ich<br />

dachte mir, wir machen so was wie ein Picknick auf dem<br />

Boden. Wir können eine Decke hinlegen. Ich habe Brot und<br />

Käse und Obst und richtig tolle Schokolade.“<br />

„Klingt super.“ Doch bevor Steve noch mehr dazu sagen<br />

konnte, ertönte ein weiterer grässlicher, schriller, elektronischer<br />

Schrei. Er schaute in die Richtung, aus der das Geräusch<br />

kam, und sah das rote Lämpchen am Rauchmelder<br />

blinken. Sonderbar. Er konnte weder Rauch sehen noch riechen.<br />

Er hob den Arm, um das Gerät auszuschalten, doch<br />

dann wurde ihm plötzlich schwindelig, als sich der Raum<br />

um ihn herum immer schneller und schneller zu drehen begann,<br />

wie ein außer Kontrolle ger<strong>at</strong>enes Karussell. Und<br />

dann … war da nichts mehr.<br />

Steve schlug die Augen auf. Er lag auf einer Couch. Aber<br />

wo? Der Grundriss des kleinen Zimmers kam ihm zwar<br />

bekannt vor, doch als er es zuletzt gesehen h<strong>at</strong>te, war es<br />

leer gewesen. Jetzt standen hier das schokoladenbraune<br />

Sofa, auf dem er lag, und ein dazu passender Sessel. Auf<br />

einem Beistelltischchen stapelten sich Modezeitschriften<br />

und Technikmagazine und es gab eine große Schrankwand<br />

mit einem Flachbildfernseher und mehreren verschiedenen<br />

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Videospielkonsolen. An den Wänden, die zuvor nackt gewesen<br />

waren, hingen jetzt Bilder von Victoria. Victoria beim<br />

Wandern in den Bergen, ihr glänzendes Haar vom Wind<br />

zerzaust und wunderschön. Victoria auf einer Sonnenliege<br />

am Strand, sonnengebräunt und <strong>at</strong>emberaubend in einem<br />

smaragdgrünen Bikini. Victoria, die auf einer Parkbank saß<br />

und ein Waffeleis aß und mit dem kleinen Klecks Eiscreme<br />

auf ihrer perfekten Stupsnase einfach bezaubernd aussah.<br />

Dann kam Victoria selbst barfuß ins Zimmer getapst. Sie<br />

trug Jeans und ein schwarzes, hautenges T-Shirt. H<strong>at</strong>te sie<br />

vorhin nicht ein Kleid an? Doch andererseits war der Raum<br />

da ja auch leer gewesen. Steve war vollkommen verwirrt<br />

und desorientiert.<br />

„Hey, Sch<strong>at</strong>z“, sagte Victoria. „Du h<strong>at</strong>test einen schlimmen<br />

Schwindelanfall und bist auf dem Sofa ohnmächtig<br />

geworden. Ich hab dir ein Glas Wasser geholt. Warum versuchst<br />

du nicht, dich aufzusetzen und einen Schluck zu<br />

trinken?“<br />

Steve h<strong>at</strong>te noch nie zuvor einen Schwindelanfall, aber<br />

als er jetzt darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er wegen<br />

der Verabredung mit Victoria so aufgeregt gewesen<br />

war, dass er ganz vergessen h<strong>at</strong>te, heute Morgen zu frühstücken.<br />

Er richtete sich langsam auf. „Weißt du, ich glaube,<br />

ich sollte einfach mal was essen.“ Er nahm das Wasserglas<br />

entgegen und überraschte sich selbst damit, dass er es mit<br />

wenigen großen Schlucken leerte. „Wollten wir nicht ein<br />

Picknick auf dem Boden machen?“<br />

Jetzt war es an Victoria, verwirrt dreinzuschauen. „Ein<br />

Picknick auf dem Fußboden? Du meinst wie bei unserem<br />

ersten D<strong>at</strong>e?“<br />

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