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Radiata-1995-3

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Praxis und Theorie bei

Praxis und Theorie bei der Aufzucht einer Hieroglyphen- Schmuckschildkröte, Chry s emy s concinna A. Hiller, Dingelstedt Im April 1988 brachte mir ein Freund eine kleine Hieroglyphen-Schmuckschildkröte (Chrysemys concinna): "Sie frißt nicht, sie wächst nicht! Vielleicht kann sie bei Euch mit anderen Jungtieren gemeinsam aufwachsen- " Das Tierchen war 7,1 cm lang, wog 70 g und der flache Panzer fühlte sich wie einlagiges Zeitungspapier an. Zwei gleichaltrige Partnertiere der gleichen Art waren im Laufe der zweijährigen Haltgng gestorben. Was tun Pflegeeltern, wenn sie plötzlich mit einer solchen "Zwangsneuerwerbung" konfrontiert werden? Sie wälzen sofort dicke Bücher. Wir taten das erst einige Jahre später und waren überrascht. Siehe unten: Die kleine Schildkröte erhielt ein abwechslungsreiches Nahrungsangebot: Wasserflöhe, kleine Mehlwürmer, Säugetierfleisch, Mückenlarven und all das, was ein Schildkrötenpfleger als Delikatesse ftir Schmuckschildkröten ansieht. Auch die Vorbildwirkung sehr gierig fressender, zehn Monate alter Emys orbicularis vermochten die Chrysemys concinna nicht zu Freßorgien zu bewegen. Im Sommer des gleichen Jahres wurde die Schmuckschildkröte ins Freiland gebracht (Plastikwanne, 5 cm Wasserstand mit Insel). Wasserpestranken und reichlich Wasserlinsen sorgten für Deckung von oben. Wasserflöhe und Mückenlarven gab es ad tibitum. Die Imagines der Mücken besuchten uns auf der nahen Terasse, die Wasserflöhe filterten das Beckenwasser ausgezeichnet. Die Wasserpflaruen wurden immer weniger, und der Schildkrötenkörper wurde mehr und fester. Im Herbst und im Winter wurden die Wasserlinsen knapp. Die Chrysemys entwickelte sich prächtig und konnte mit einer Gruppe Graptemys kohnii vergesellschaftet werden. Sie nahm auch Salat- und Löwenzahnblätter und rohes und gekochtes Obst auf' ln der Zwischenzeit ist das Chrysemys concinna-Weibchen auf 16,5 cm Carapaxlänge und 650 g Gewicht herangewachsen und zeigt keine kÖrper- Iichen Mängel. Ietzt verschmäht das Tier jede pflanzliche Kost und ernährt sich nur carnivor. , Jetzt kommt die Theorie! "schlag nach bei Shakespeare, da steht was drin. '. ", brachte nichts. Die Autoren älterer Fachliteratur (P. Krefft, 1907, KlingelhÖffer, 1931, und t6

Jahn, 1959) meinen, mit einer carnivoren Ernährung mit vegetarischer Beikost die Tiere richtig zu ernähren. G. Krefft schränkt 1949 in der Fußnote auf Seite 46 die carnivore Ernährung junger Schmuckschildkröten ein: "...fraßen gierig die zafien Wurzeln und Blüten von Ludwigia und Salat...". Vogel (1962) hält auf Seite 196 Wassergetier ftir die Hauptnahrung. Im Lexikon fi.ir Terraristik (Obst, Richter und Jakob, 1984) heißt es zur Ernährung der Schmuckschildkröten: "...vorwiegend animalisch, mit zunehmendem Alter erhöht sich der Anteil an pflanzlicher Kost. " Bei Obst (1985) ist auf Seite 83 zu lesen: "In der Jugend, von der Zeit nach dem Schlupf bis etwa zum zweiten Sommer. ernähren sich die Schmuckschildkröten nahezu ausschließlich carnivor.", und auf Seite 84 erfahren wir: "Einzelne erwachsene Individuen von Chrysemys concinna und Chrysmys floridana können strenge Vegetarier werden,... " Der allwissende Geheimrat Goethe hatte 'mal wieder Recht, obwohl er gerade über Schmuckschildkröten nichts veröffentlicht hat: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum. Literatur: Jahn, J. (1959) Schildkröten. Minden Klingelhöffer, W. ( 1 93 1) Terrarienkunde. Stuttgart Krefft, G. (1949) Die Schildkröten. Braunschweig Krefft, P. (1907) Das Terrarium. Berlin Obst, F. -J. ( 1 985) Schmuckschildkröten. Wittenberg-Lutherstadt Obst, F.-J., Richter, K. und Jakob, U. (1984) Lexikon der Terraristik und Herpetologie. Leipzig Vogel, Z. (1962) WunderweltTerrarium. Leipzig, Jena, Berlin t (Anmerkung der Redaktion: Hier sieht man sehr gu1, wie wichtig auch die Bekanntgabe "kleiner" Beobachtungen sind, und daß es, neben dem Großteil der Tiere, die sich "Literatur-gemäß" verhalten, immer auch Individualisten vorkommen. Berichte darüber helfen mit, das Wissensspektrum um eine Art zu erweitern und vielleicht auch, Problemtiere besser zu pflegen, die sich offensichtlich nicht ganz an ihre Art-rypischen Charakteristika halten. So frißt zum Beispiel mein Geoemyda spenglei-Weibchen gern Weintrauben... Bestimmt auch nicht die jagdbare Beute, auf die diese Art eigentlich spezialisiert ist! S. Fischer) l7

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