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LERNEN MIT ZUKUNFT SEPTEMBER 2021

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information & entwicklung Alltagssituationen: Kinder positiv bestärken WARUM PROFESSIONELLES, PÄDAGOGISCHES HANDELN WICHTIG IST Roswitha Maderthaner BEd Montessoriepädagogin Akademische Trainerin Dipl.Biografiearbeiterin Julian klettert auf einen Baum. Mühsam hangelt er sich hinauf und setzt sich schließlich auf einen etwas höher gelegenen Ast. Voll Stolz blickt er runter und ruft seiner Erzieherin zu. „Guck mal, wie weit ich oben bin.“ Die Erzieherin winkt ihm zu und bestätigt ihm, dass sie ihn sieht und wie weit er es geschafft hat. Sie nimmt Anteil an seinem Erfolg und bestärkt sein Tun. Eine andere Erzieherin, die das Geschehen ebenfalls verfolgt, ruft Julian zu. „Oh mein Gott, bist du weit oben, pass bloß auf, dass du nicht runterfällst. Ehrlich gesagt ist mir das viel zu hoch, komm bitte sofort runter, damit dir nichts passiert.“ Alltagssituationen wie diese fordern Pädagog*innen zum Handeln auf. Wie dieses Handeln gestaltet wird, hängt von der Professionalität der Fachkraft ab und wird von deren Wissen und Können bestimmt. Zudem spiegelt sich in ihrer Art zu handeln, ihre pädagogische Haltung ihre Kompetenz und ihr professionelles Selbst wider. All das unterscheidet sie von nicht professionalisierten Personen. Was aber macht den Unterschied zwischen professionalisiertem pädagogischem Handeln und den nicht professionellen Reaktionen aus? Um pädagogisch professionell handeln zu können, bedarf es laut Helsper (2021) neben dem wissenschaftlichen pädagogischen Wissen, sozialer Kompetenzen, Routinen in der Interaktions- und Beziehungsgestaltung auch einer Sinnerschließung des Fallverstehens. Das heißt, reines Theoriewissen, eine Erziehung nach Buch funktioniert nicht. Vielmehr muss die pädagogische Fachkraft eine Situation richtig interpretieren können, die Situation also verstehen können um dann adäquat, das heißt, professionell darauf reagieren zu können. Dewe (2011) spricht davon, dass ein Handeln nach Regelanwendung nicht dem pädagogischen Anspruch gerecht wird. Im Fall des kleinen Julians heißt das, die Erzieherin muss die Situation richtig interpretieren, damit sie professionell darauf reagieren kann. Die eine Erzieherin beobachtet wie geschickt sich der Junge auf dem Baum bewegt, wie stolz er ist, es geschafft zu haben. Sie traut ihm das zu. Sie weiß, wie wichtig es ist, dass Kinder die Erfahrung machen, dass sie sich etwas zutrauen können, dass sie geschickt sind. Ebenso weiß sie, wie wichtig es ist, dass Kinder am eigenen Leib spüren, was sie sich zutrauen können. Und sie kennt Julian aus früheren Beobachtungen. Sie interpretiert die Situation dahingehend, dass sie sein Können mithilfe ihrer emotionalen Kompetenz und Empathie bestärkt. Sie zeigt ihm, dass sie ihn wahrnimmt, sie sieht ihn. Sie beschreibt was sie wahrnimmt, und nimmt so Anteil an seinem Erfolg. Sie bestätigt ihn in seinen Fähigkeiten und stärkt so sein Selbstvertrauen. Dazu muss sie über ein Theoriewissen verfügen, die Situation, den Fall richtig interpretieren und innerlich ein Stück zurücktreten. Eigene Erfahrungen mit dem Klettern, mögliche Gefahren und eigene eventuell ängstliche anerzogene 28 | SEPTEMBER 2021

Sichtweisen reflektieren und diese zu Gunsten der Professionalität hintenanstellen. All das läuft in Sekundenschnelle ab. Erzieherisches Handeln, will es wirksam sein, muss oft sehr schnell erfolgen. Natürlich hilft einem hier die Erfahrung, um die einzelnen Situationen erfolgreich und schnell interpretieren zu können. Professionelles pädagogisches Handeln hat stets die Eigen - und Selbständigkeit des Kindes zum Ziel. Schließlich soll die Entwicklung vorangetrieben werden, und dies ist dann möglich, wenn es gelingt, dass das Kind kompetenter wird und sein Leben immer selbstbestimmter meistern kann. Anders das Verhalten der zweiten Erzieherin. Möglicherweise veranlassen sie ihre unreflektierten Erfahrungen oder anerzogenen Glaubenssätze, oder schlicht das Nichtwissen dazu, entwicklungshemmend zu reagieren. Auch ihre Botschaft wird das Kind erreichen und dementsprechende Gefühle hervorrufen. Es gibt also immer eine Vielzahl an Möglichkeiten von pädagogischen Handlungsweisen, ob diese professionell sind bestimmen die oben genannten Faktoren. Öffentliche pädagogische Einrichtungen müssen den Anspruch auf Professionalität stellen. Dafür braucht es neben guten Rahmenbedingungen bestausgebildetes pädagogisches Personal. Das erfordert eine sehr gute Grundausbildung, Selbstwahrnehmung, Reflexionsfähigkeit und ständige Weiterbildung. Ohne diese Faktoren läuft die Fachkraft Gefahr, intuitiv, unbewusst und unreflektiert zu handeln. So gesehen wird dann Erziehung zu einem Kinderspiel, einem unprofessionellen, durchaus entwicklungsgefährdenden und kann von sämtlichen ungeschulten Personal geleistet werden. Ein professionelles pädagogisches Handeln ist deshalb wichtig, um Kinder in ihrer Eigenständigkeit zu fördern, sie positiv zu stärken, ihre Talente zu fördern und ihre Entwicklung auf eine salutogene Art und Weise voranzutreiben und zu begleiten. Dazu bedarf es bestausgebildete Fachkräfte. Alles andere als ein Kinderspiel. Foto © 12022868 | pixabay.com 29 | SEPTEMBER 2021