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prima! Magazin – Ausgabe Februar 2020

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Foto © LEXI“So sind

Foto © LEXI“So sind wir schon!“Rede & AntwortPersönlichkeiten im Gesprächmit Walter ReissAlexander van der Bellens Zitat nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre„So sind wir nicht!“ stößt bei der ehemaligen BundespräsidentschaftskandidatinGertraud Knoll auf Widerspruch. 1994 wurde ihre Wahlzur ersten Evangelischen Superintendentin Österreichs zum Medienereignis,und sie war ein Jahr im Amt, als vor 25 Jahren – am 5. Feber1995 – vier Männer in der Romasiedlung in Oberwart durch die von Franz Fuchs gelegte Sprengfalleermordet wurden. Als engagierte Kämpferin für Menschlichkeit hielt sie weder als kirchlicheAmtsträgerin noch später als SPÖ-Politikerin mit Kritik an Gesellschaft, Kirche und Politik niehinter dem Berg. Ämter und Funktionen hat sie längst abgelegt, öffentliche Auftritte sind rar. Für„prima!“ stand sie nun Walter Reiss Rede und Antwort über Erinnerungen an das Attentat, undsie warnt nach wie vor vor unmenschlichem Schüren von Ängsten und Ausgrenzen von „Anderen“.Zählt der 5. Feber 1995 zujenen Tagen, an die Sie sichimmer erinnern werden?Gertraud Knoll: Ja. Als ich inder Früh in den Nachrichtenvom Mord gehört habe, wares, als wäre in dieser Sekundedie Zeit stehengeblieben. Eswar eine Wahrnehmung desUnfassbaren. Und das „Nichtschon wieder!“ ist mir durchden Kopf gegangen: Dassnämlich politisch motivierteAttentate auch in der ZweitenRepublik passieren, hat michsprachlos, traurig und verzweifeltgemacht. Damals warenes ja eigentlich spannendeZeiten: Der Eiserne Vorhangwar weg, der Osten im totalenUmbruch, und man hoffte aufgroße Freiheit durch westlichenKapitalismus. Und imBurgenland – damals in derÄra des SPÖ-LandeshauptmannesKarl Stix – war manrichtig stolz auf gelebte Vielfaltund gutes Miteinander derVolksgruppen und Konfessionen.Und genau das Gegenteildavon war gleichzeitig derAufstieg Jörg Haiders: Spaltender Gesellschaft, Bedienenalter Klischees, Antisemitismusmit Augenzwinkern. AusWorten wurden wieder Waffengeschmiedet. Und dann dasAttentat in Oberwart: DenWorten folgten also Taten!Ich wollte mir einfach nichtvorstellen, dass rassistischesFeindbilddenken wieder zumpolitischen Biotop gehört.Sie waren damals Superintendentin.Was haben Sie amSonntag nach dieser Mordnachtgemacht?Gertraud Knoll: Ich habesofort und unermüdlich telefoniert,auch mit dem Landeshauptmann.Ich wollte so raschwie möglich Fakten erfahren.Stammtisch-Niveau gab es ohnehin,da stand dann sogar inder Kronenzeitung, es sei wohleine Fehde unter Zigeunerngewesen. Es gab aber schon vordem Oberwarter Attentat dieSerie an Briefbomben, und dawaren sie auch wieder: Dieserechten Reflexe mit Täter-Opfer-Umkehr.Ich fand undfinde das erschreckend.„Die Gastfreundschaftder Roma hat michsprachlos gemacht“Haben Sie damals die Hinterbliebenenin der Romasiedlungbesucht?Gertraud Knoll: Ja, einigeTage nach dem Mord. Undzwar war ich gemeinsam mitBischof Paul Iby dort. Eswar eine der Situationen, woman auch als Seelsorgerin umWorte ringt. Außerdem hatmich die Gastfreundschaftder betroffenen Familiensprachlos gemacht. Ich konnteeinfach durch meine Anwesenheitnur zeigen, dass ichmitfühle. Noch dazu wurdendie Leute in der Siedlungdurch den voyeuristischenAnsturm vieler Medien zumzweiten Mal zu Opfern.Die Volksgruppe der Romaist durchwegs katholisch geprägt.Trotzdem wurden Sieals Evangelische Superintendentinersucht, beim – einemStaatsakt sehr ähnlichen undim Fernsehen live übertragenen–Trauergottesdienst fürdie ermordeten vier Männerin Oberwart die Predigt zuhalten.Gertraud Knoll: Ja, stimmt.Eigentlich hätte ich als geistlichagierende Superintendentinbei diesem Gottesdienstgar nichts verloren gehabt,außer natürlich als Zuhörerin.Aber im Einvernehmen mitBischof Paul Iby und LandeshauptmannKarl Stix solltegerade dadurch ein Zeichender Gemeinsamkeit gesetztwerden.Was mich aber nachdenklichgemacht hat, war neben dermedialen Aufregung diese ritualisierteBetroffenheit: „Oh,wie furchtbar!“ Damit hatte essich aber auch schon.In der Vorbereitung zurPredigt kam mir ein Satz desvon den Nazis ermordetenEvangelischen Theologen undWiderstandskämpfers DietrichBonhoeffer in den Sinn:„Wer nicht für die Judenschreit, darf auch nicht gregorianischsingen!“ Christlich zusein, bedeutet nicht nur, sichin Mitgefühl zu üben, sondernohne Wenn und Aber undohne Kompromisse auf Seitender Opfer zu stehen.„Du Judensau wirst auchbald brennen!“4 FEBRUAR 2020www.prima-magazin.at

Foto © Walter ReissHätte es 1995 schon sozialeMedien gegeben, wäre vermutlichein Shitstorm mitaggressiven Hasspostingsüber Sie hereingebrochen. Esgab damals Morddrohungengegen Sie und Ihre Familie.Gertraud Knoll: Schon inder Nacht nach dem Attentathörte ich auf meinem Anrufbeantworter„Und du Judensauwirst auch bald brennen!“Noch schlimmer wurde esdann nach der Predigt beimTrauergottesdienst. Ab dannwar ich nicht nur als ersteFrau im bischöflichen Amtmedial interessant, sondernich war politisch exponiertwie nie zuvor. Und ich bleibedabei: Wer sich Christ nennt,darf nicht schweigen, wennMenschen anderer Hautfarbeoder fremder Herkunft alsWesen zweiter Klasse behandeltwerden. Menschenwürdeund Menschenrechte sindunteilbar.Hat man im politischen Alltagseit diesem furchtbarenpolitisch motivierten Mordaus der Geschichte gelernt?Sie waren ja selbst auchNationalratsabgeordnete undBundesrätin der SPÖ.Gertraud Knoll: Politikwird heute von der Fragebeherrscht: Wie kann manWählerinnen und Wähler ambesten manipulieren? Verpackungund Marketing sindwichtiger als Inhalte. Dochmanipulierte Menschen, dieja nicht dumm sind, kommendrauf, dass sie für blöd verkauftwerden. Es entstehenOrientierungslosigkeit, Wutund Angst. Und schon sindwir wieder bei der Frage: Werist schuld daran? Die Antwortkommt wie ein Reflex: Essind die Ausländer, es sind dieFremden. Diese so verdammteinfach klingende Zuschreibungist das Tiefste undVerhängnisvollste, das wir ausder Geschichte kennen. Wirsollten längst gelernt haben,dass das Treten nach unten,nach den noch Schwächeren,den nicht glücklich macht,der tritt.Und auch im Umgang mitdem Nationalsozialismus undseinen Folgen gilt es nochweiterhin, zu lernen. In einerRede auf dem Fest der FreudeGertraud Knoll-LacinaBekannt wurde die gebürtige Oberösterreicherin schon 1985 alserste Pfarrerin der Evangelischen Diözese AB im Burgenland.Große mediale Aufmerksamkeit galt ihr dann 1994, als sie als ersteSuperintendentin Österreichs ihr Amt im Burgenland antrat, dassie bis 2002 ausübte.Für ihr engagiertes Auftreten gegen Diskriminierung und fürMenschenrechte wurde sie mit der Friedrich-Torberg-Medaille derIsraelitischen Kultusgemeinde und von den Lutherstädten mit demPreis „Das unerschrockene Wort“ ausgezeichnet.Von 1995 bis 1997 beherbergte sie sechs afghanische Kinder, zunächstim Kirchenasyl und danach als Pflegeeltern gemeinsammit ihrem damaligen Ehemann, weil die Flüchtlingskinder aus derBundesbetreuung herausgefallen waren.1989 trat sie als überparteiliche Kandidatin zur Bundespräsidentschaftswahlan. Amtsinhaber Thomas Klestil wurde zum zweitenMal gewählt, Gertraud Knoll erreichte den zweiten Platz vor denMitbewerbern Heide Schmidt und Richard Lugner.Wie schon bei ihrer Predigt beim Trauergottesdienst für die vierermordeten Roma in Oberwart 1995 sorgte auch eine 2000 beieiner Großkundgebung gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖunter Wolfgang Schüssel gehaltene Rede gegen Rassismus undSozialabbau für Anfeindungen vor allem aus dem rechten Lager.2003 bis 2007 leitete sie die Zukunfts- und Kulturwerkstätte derSPÖ, dann war sie Mitglied des Bundesrates und Nationalratsabgeordnete.2008 trat sie aus der Evangelischen Kirche aus, aus Protestgegen einen ‚Hirtenbrief‘ des Kärntner Superintendenten ManfredSauer, in dem betont wurde, Jörg Haider habe „wie kein andererdas politische Geschehen der Zweiten Republik mitgeprägt undgestaltet“...und sei „ein äußerst zuvorkommender, herzlicher undeinfühlsamer Mensch“ gewesen.Nach der Scheidung vom Theologen Otmar Knoll, dem Vater ihrerdrei Kinder, lebte sie mit ihnen in Wien – seit 2006 gemeinsammit ihrem zweiten Ehemann, dem ehemaligen FinanzministerFerdinand Lacina.im Gedenken an das Ende desZweiten Weltkriegs habe ich1995 gesagt: „Gottseidank istdieser Krieg verloren gegangen!“Ich werde nie vergessen,als daraufhin der Leiter desJewish Welcome Service, LeonZelman tief bewegt war. Erhätte sich nie träumen lassen,so einen Satz in Österreichvon einer Österreicherin zuhören.bitte umblättern >>FEBRUAR 20205

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