architektur FACHMAGAZIN 16 Magazin Wohnen in der Endlosschleife Im Jahre 1858 beschrieb der Mathematiker August Ferdinand Möbius erstmals eine nicht orientierbare Fläche, die nur eine Kante und eine Seite aufweist. Dieses „Möbiusband”, das innen und außen nicht zu trennen vermag, inspirierte damals wie heute neben Denkern auch Literaten und Kreative zu immer neuen Interpretationen. So auch Antony Gibbon. Seiner neuesten Studie MOBIUST liegt Gibbons ganz persönliche Entdeckung eben jener Endlosschleife als raumbildendes Element zugrunde. Text: Linda Pezzei Rendering: @antonygibbondesigns
www.architektur-online.com 17 Magazin Der britische Architekt, Innenarchitekt und Designer Antony Gibbon repräsentiert jene Riege junger Kreativer, die gleichzeitig experimentell und spielerisch gestalten und dabei dennoch Objekte oder Räume konzipieren möchten, die menschlich und funktional sind. Die Natur dient Gibbon dabei ebenso als Inspirationsquelle wie klare geometrische Formen und Strukturen: „Bei meinem Studium organischer Muster in der Geometrie bin ich auf diese besondere Form gestoßen, die auch zu den kreisförmigen Elementen passt, die mich besonders interessieren. Das Möbiusband schien mir auf natürliche Weise einen perfekten Innenraum zu schaffen, sobald es seine Form angenommen hatte.” Von außen – im Sinne der möbiusschen Definition sollte man vielleicht eher von einem vogelperspektivischen Blickwinkel sprechen – wirkt die Visualisierung des MOBI- UST, als wäre ein Band aus Beton mitten in die Natur gegossen, anschließend ein Ende um 180 Grad gedreht und dann mit dem anderen Ende unsichtbar verbunden und zurechtgezurrt worden. Die so erzwungene Anordnung von Innen- und Außenbereichen erscheint dennoch leicht und natürlich. Filigrane Glaselemente definieren den tatsächlich geschützten Wohnraum, der sich – aufgrund seiner Öffenbarkeit – allerdings bis ins Unendliche zu ziehen vermag. Die Trennung von Innen- und Außenraum wird nahezu entmaterialisiert. Der ellipsenförmige Außenpool, der sich als Eklipse um die skulpturale Form der Möbiusschleife legt, verstärkt dieses Gefühl noch. Insbesondere die über eine Wendeltreppe begehbare Dachfläche eröffnet einen interessanten zusätzlichen Wohnraum im Freien. Das kreisförmige Loch in der Mitte der Dachebene spiegelt die nach oben projizierte Küche wider, und schafft eine direkte Verbindung zwischen dem Herzstück der offenen Wohnfläche im Inneren und dem weiten Himmelszelt darüber, das sich wiederum in der Wasserfläche des Pools bis in die Unendlichkeit spiegelt. Es mag kein Zufall sein, dass Möbius nicht nur Mathematiker, sondern auch Astronom war. Die Mehrzahl der Entwürfe aus dem Antony Gibbon Design Studio beschäftigen sich mit der Verschmelzung von Innen- und Außenraum, der Interaktion von gebautem Volumen mit der umgebenden Natur. Das MOBIUST mag das dahin gehend vielleicht konsequenteste Gedankenspiel Gibbons bislang darstellen. Die skulpturale Form fungiert gleichermaßen als Wand, Decke und Boden und trägt sich sozusagen selbst. Ob das von Gibbon fiktiv erdachte Bauherrenpaar tatsächlich bis zur Umsetzung des Projektes vorstoßen würde, bleibt allerdings fraglich. „Wie alle meine Entwürfe ist das MOBIUST-Haus so konzipiert, dass es gebaut werden kann, auch wenn die Form sicherlich den Preis nach oben treibt,” räumt Gibbon selbst ein. Andererseits generiere der spezielle Innenraum ein ganz besonderes Wohnerlebnis: „Die Hülle nimmt sehr stark Einfluss auf das Leben der Bewohner. Schlaf- und Badezimmer heben sich durch ihre organische Form ebenso von konventionellen Wohnräumen ab wie die kreisförmige Küche mit dem großen Himmelslicht.” So ermögliche sich laut Gibbon eine völlig neue räumliche Wahrnehmung, wobei Raum eben viel weiter gefasst werden kann, als die bekannten vier Wände. Das MOBIUST ist wohl kein Haus für Jedermann oder Allerorten, mit Sicherheit aber inspirierendes Sehnsuchtsobjekt für Mathematiker, Philosophen und romantische Freigeister.
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