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Compendium Volume 9 German

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PLUS ODER MINUS Es sind

PLUS ODER MINUS Es sind stürmische Zeiten für die Kunstwelt, und die Frage nach dem wahren Wert eines Werks ist aktueller denn je. Scott Reyburn spricht mit Sammlern, Galeristen und Kunstberatern über die besten Sammelstrategien für heute und morgen. Es kriselt auf dem Kunstmarkt. Wirtschaftliche und politische Faktoren wie die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine, hohe Zinsen und eine Immobilienkrise in China sorgen für Gegenwind und bremsen die Nachfrage auf internationalen Auktionen und Messen. Häuser wie Christie’s, Sotheby’s, Phillips und Bonhams verzeichnen laut dem im November von der Art Basel und UBS veröffentlichten Jahresbericht Survey of Global Collecting für die erste Jahreshälfte 2023 einen Umsatzrückgang von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Selbst im Spitzensegment werden bei Kunstauktionen Gebote im unteren Bereich oder gar unterhalb des Schätzpreises immer mehr zur Regel. Im November versteigerte Sotheby’s die Sammlung der Kunstmäzenin Emily Fisher Landau aus Manhattan. Die wichtigste Versteigerung der Sammlung einer Einzelperson in diesem Jahr umfasste Werke der größten Künstler des 20. Jahrhunderts und erzielte 424,7 Millionen USD inklusive Aufgeld – wesentlich weniger als die Schätzung ohne einkalkuliertes Aufgeld. Für das Glanzstück der Auktion, Picassos Frau mit Armbanduhr aus dem Jahr 1932, wurde nur ein einziges Gebot über dem im Vorfeld festgelegten Auktionslimit abgegeben – am Ende wechselte es für 139,4 Mio. USD den Besitzer. „Die Nervosität ist förmlich mit Händen zu greifen“, so Robert Read, Head of Fine Art and Private Clients bei der Londoner Versicherungsgesellschaft Hiscox. „Es gibt Schnäppchen vor allem abseits zeitgenössischer Kunst und wenn man willens ist, das Erstandene vorerst zu behalten. Die Zeiten des schnellen Geldes durch einen umgehenden Wiederverkauf sind aber vorerst passé“, fügt er hinzu. „Wir erleben einen Markt für mittel- und langfristige Investitionen. Es wäre also sinnvoll, etwas zu kaufen, das einem gefällt, denn man wird es eine Weile anschauen.“ Aber was genau ist eigentlich ein „Schnäppchen“ auf dem ebenso undurchsichtigen wie teuren globalen Kunstmarkt mit seinem Jahresvolumen von 68 Milliarden USD? Was taugt als mittel- oder langfristige Investition? Oder kauft man einfach, was gefällt? Der Herzchirurg Luc Haenen aus Antwerpen sammelt seit über 20 Jahren die Werke aufstrebender Künstlerinnen und Künstler aus jungen Galerien – er sagt, man müsse in die Rolle eines Entdeckers schlüpfen. Belgische Sammler stehen in dem Ruf, gekonnt durch den Markt für zeitgenössische Kunst zu navigieren, ohne auf Berater angewiesen zu sein. Mit relativ bescheidenem Budget ist es Haenen gelungen, an Gemälde von heiß begehrten Kunstschaffenden wie Issy Wood aus London oder Ben Sledsens aus Antwerpen zu kommen, deren Werke kürzlich bei einer Auktion für über 500.000 USD wiederverkauft worden sind. 88

„Es hilft, vor der eigenen Haustür anzufangen und nach Museen oder Galerien in der Nähe Ausschau zu halten“, empfiehlt Haenen und ergänzt: „Ich bin ein großer Fan von Akademieausstellungen. Manchmal kann man Stücke kaufen [und in diesem Zuge] den Künstler und die Schule unterstützen.“ Seine Heimatstadt Antwerpen erfreut sich einer lebendigen kommerziellen Galerieszene, die von Absolventen der Königlichen Akademie der Schönen Künste Antwerpen wie Ben Sledsens oder dem ebenso gefragten Maler Bendt Eyckermans unterstützt wird. „Sei offen für Gespräche und stelle Fragen, werde Freund einer Einrichtung und vor allem: Schau hin, schau genauer hin, schau noch mal hin und lies, lies, lies“, so sein Rat. Haenen ist ein aktiver, unabhängiger Käufer auf dem als „Red Chip“, „Ultra-Contemporary“ oder „Wet Paint“ bezeichneten Markt für aufstrebende Künstler unter 40 Jahren. Bei kurzfristigen Investitionen oder „Flips“ können die Renditen spektakulär sein. Im März des vergangenen Jahres wurde mit Warm, Wet N’ Wild der britischen Malerin Flora Yukhnovich ein Rokoko-inspiriertes Gemälde aus dem Jahr 2020 im Rahmen von Sotheby’s London The Now Evening Auction mit Arbeiten angesagter Nachwuchskünstler für 2.697 GBP verkauft. Das Werk war erst zwei Jahre zuvor von einem europäischen Sammler bei der recht unbekannten Galerie Parafin in London zu einem Primärmarkt-Preis von unter 100.000 USD erstanden worden. In diesem Herbst veröffentlichte Hiscox einen Bericht über den Markt für zeitgenössische Werke, die innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Entstehung auf einer Auktion wiederverkauft werden. Daraus geht hervor, dass Sotheby’s, Christie’s und Phillips im Jahr 2022 insgesamt 1.033 solcher Werke verkauft haben – 116 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch der Wind auf dem Kunstmarkt dreht sich schnell – so ist auch der Hype um das oft von Spekulanten aus Asien befeuerte „Flipping“, den schnellen Wiederverkauf von Werken vieler noch vor Kurzem angesagter Namen, wieder abgeflaut. In den letzten sechs Monaten wurden nur zwei Gemälde von Yukhnovich, die jetzt von der Londoner Galerie Victoria Miro vertreten wird, bei einer Auktion weiterverkauft, und keines erzielte mehr als 50.000 Dollar, wie die französische Datenbank für Auktionsergebnisse Artprice berichtet. Der Erwerb von Red-Chip-Kunst ist ein Glücksspiel, außer man kauft etwas nicht zu Spekulationszwecken, sondern um es (wie Haenen) zu behalten und auf diesem Wege eine fruchtbare Beziehung mit wichtigen Galerien zu pflegen. Und wie sieht es mit Blue-Chip-Kunst aus? Warum nicht in die kanonischen älteren oder toten Künstler investieren, deren Wert über viele Jahre hinweg von renommierten Kritikern und Kuratoren bestätigt wurde? Wäre das nicht die smartere Wahl? Tatsächlich hat auch die Investition in Blue-Chip-Kunst ihre Tücken. Vor etwa hundert Jahren, im Goldenen Zeitalter, als die Preise (inflationsbereinigt) für Kunst so hoch und das Niveau der Einkommensunterschiede so ausgeprägt waren wie heute, strahlten Namen wie Leonardo, Raffael, Rembrandt, Reynolds und Gainsborough als die hellsten Sterne am von der Kunstgeschichte abgesteckten Firmament. Der russische Zar etwa bezahlte 1914 für Leonardos Madonna Benois die damalige Rekordsumme für Kunst von 1,5 Millionen USD. M it den schwindelerregenden 450,3 Millionen USD, bei denen 2017 bei Christie’s der Hammer für Salvator Mundi fiel, bleibt Leonardo da Vinci der teuerste Künstler der Welt, während ein Großteil der anderen alten Meister an Bedeutung verloren hat. Dank des Einflusses von milliardenschweren Sammlern wie François Pinault (Eigentümer von Christie’s und Gründer der Firmengruppe für Luxusgüter Kering) sowie Bernard Ar nault (Président-directeur général von LVMH) sind Namen wie Picasso, Warhol, Basquiat und sogar Leonardo zu prestigeträchtigen Trophäen in einer exorbitant kostspieligen Erweiterung der Luxusindustrie geworden, die sich vom traditionellen Verständnis von Kennerschaft und historischem Wert abgekoppelt hat. „Arnault und Pinault haben zum Aufstieg der Kunstwelt an der Spitze der Luxuspyramide beigetragen“, urteilt Neal Meltzer, ein in New York ansässiger Kunstberater und ehemals Verantwortlicher für zeitgenössische Kunst bei Christie’s. „Was früher intuitiv und vorhersagbar war, fühlt sich heute eher saisonalen oder modischen Strömungen unterworfen an.“ Wie kann er dann seine Kunden zur Frage beraten, welche Kunst sich als langfristige Investition lohnt? „Ich halte Fünf-Jahres-Prognosen für realistisch“, so Meltzer. „Trends und Historie sind unterschiedliche Dinge. Die Frage ist, was sich durchsetzen wird. Vielleicht wenden wir uns wieder den Klassikern zu, wir wissen es nicht.“ Kein Soziologie-Institut wäre hier überrascht. Im Jahr 2013 veröffentlichte der deutsche Soziologe Hart- 89

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