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Compendium Volume 9 German

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mut Rosa das Buch

mut Rosa das Buch Beschleunigung und Entfremdung: Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit, in dem er darlegt, wie das rasante Tempo des technologischen Wandels den Eindruck einer immer schneller vergehenden Zeit erweckt – unser beschleunigtes Leben lässt die Gegenwart „schrumpfen“ und führt dazu, dass sich unser Gehirn mehr denn je auf das „Jetzt“ konzentriert und sowohl Vergangenheit als auch Zukunft marginalisiert. Und nicht zu vergessen die Kern aussage der Studie The Rebel Sell: How the Counterculture Became Consumer Culture von Joseph Heath und Andrew Potter aus dem Jahr 2006, nämlich dass „Coolness“ in den Vereinigten Staaten „Klasse“ als vorherrschendes Statussymbol abgelöst hat. Kein Wunder also, dass „die edle Leidenschaft, die Leidenschaft für Perfektion um jeden Preis“, die für Henry James in seinem Roman Die goldene Schale von 1904 das Sammeln von Kunst ausmachte, dem gewichen ist, was Soziologen heute als „Konsumerlebnis“ bezeichnen. Bedenkt man darüber hinaus die wachsende Erkenntnis, dass der kunsthistorische Kanon überproportional stark von toten weißen Männern dominiert wird, ist es fast folgerichtig, dass altehrwürdige Blue-Chip- Namen ihren Status als sichere Bank für Investitionen eingebüßt haben. Paradebeispiel hierfür ist das Ein-Schnitt-Bild Concetto Spaziale – Attese des italienischen Konzeptkünstlers Lucio Fontana aus dem Jahr 1967, das während der Frieze Week im Oktober bei Christie’s in London mit einem unteren Schätzwert von einer Million USD zum Verkauf stand. Auf den Erfolg Fontanas monochromatischer Schnittbilder war auf dem europäischen Kunstmarkt jahrzehntelang Verlass, und just dieses ikonische Exemplar befand sich seit 2007 in derselben Privatsammlung – und doch fand es keinen Käufer. „Der Begriff der Blue-Chip-Kunst wird missverstanden“, urteilt der einflussreiche New Yorker Berater Josh Baer, dessen Online-Newsletter The Baer Faxt für Brancheninsider zur Pflichtlektüre gehört. „In meinen Augen gibt es weltweit wohl nur drei oder vier zeitgenössische Künstler, die ich als Blue-Chip bezeichnen würde: Calder, Picasso und Richter. Vielleicht noch ein paar andere“, fügt er hinzu. „Um als Blue-Chip-Künstler zu gelten, muss es immer Käufer geben. Wenn man eine Blue-Chip-Aktie wie IBM verkauft, gibt es immer einen Käufer – bei einem Cy Twombly hingegen nicht unbedingt.“ Obwohl 37 Prozent der Befragten in der von der Art Basel und UBS 2023 durchgeführten Untersuchung Survey of Global Collecting angaben, dass „Identität oder Selbstwertgefühl“ als Motivation für den Kauf von Kunst ganz oben stünden, sahen 28 Prozent Kunst in erster Linie als finanzielle Investition. „In dem Moment, in dem ein Kunstwerk gekauft wird, verliert es in der Regel an Wert. Abgesehen von ein paar sehr gefragten Künstlern ist es wie beim Autokauf: Du fährst ein paar Meter auf der Straße und schon ist es 20 Prozent weniger wert“, erläutert Baer und ergänzt: „Die meisten namhaften Sammler haben ihre Gewinne aus nur wenigen Werken gezogen, während sie bei 80 bis 90 Prozent ihrer Sammlung ihr Geld nicht zurückbekommen haben. Grundsätzlich ist es einfacher, Kunst zu kaufen als zu verkaufen.“ Wenn also ultrazeitgenössische Kunst ein unberechenbares Glücksspiel ist und viele Blue-Chip-Namen im Gegensatz zu früher kein Gewinngarant mehr sind – wo findet der investitionsfreudige Sammler dann langfristig Wert und Wertigkeit? Da die traditionelle Kunstgeschichte nicht mehr ohne Weiteres als Richtschnur taugt und eine zunehmende Gleichsetzung von Wertigkeit und Preis in den Köpfen der Käufer zu beobachten ist, bauen diejenigen, die hohe Summen für Kunst ausgeben können, immer stärker auf Namen, die sich auf dem Markt bewährt haben. J.M.W. Turner – zumindest der spätere, impressionistische – ist so ziemlich der einzige britische Künstler aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert, der unter internationalen Sammlern den Status einer „Trophäe“ innehat. Im Sommer wurde sein vermutlich in den 1830er-Jahren entstandenes impulsives Aquarell Coastal sunset near Margate vom Londoner Händler Guy Peppiatt für rund 120.000 USD verkauft. Im Juli erzielte das auf die etwa gleiche Zeit datierte, aber größere und noch lebendiger wirkende Sunset over the Sea bei Christie’s einen Preis von 1,3 Millionen USD. Beide Werke stammen aus der späten Lebensphase des Künstlers, die er an der Küste von Nordkent verbrachte. „Turner ist der einzige englische Aquarellist, der auch von Sammlern anderer Sparten gekauft wird, und alle wollen sie den späteren Turner“, so Peppiatt, der ergänzt: „Diese Margate-Zeichnungen sind recht rar, werden aber oft innerhalb von fünf Jahren weiterverkauft. Entweder sind die Käufer mit der Zeit davon gelangweilt oder sie versuchen, Geld zu verdienen.“ 90

Ende Juli war Phillips in London Gastgeber der Verkaufsausstellung Where the Land meets the Sea, im Rahmen derer rund 100 neue Ölgemälde von Damien Hirst in drei Serien und verschiedenen Größen gezeigt wurden, die von der „lebenslangen Verbindung des Künstlers mit dem Meer“ inspiriert und vom „abstrakten Expressionismus“ beeinflusst sind. Nach dem enormen kommerziellen Erfolg von Hirsts höchst dekorativer Serie Cherry Blossom liegen die Preise für diese in einem ähnlichen Spot-Painting-Stil gehaltenen, jedoch tendenziell düsteren Gemälde zwischen 100.000 und 1,3 Millionen USD und somit in der gleichen Preiskategorie wie die beiden Turners. Hirsts Agent (HENI Primary) und seine Händler (Gagosian und White Cube) wollten sich nicht zu den Umsätzen äußern. Wer über die Mittel, aber nicht die nötige Zeit verfügt, die Künstler en détail zu studieren oder Kontakte zu Galeristen zu kultivieren, kann natürlich einen professionellen Kunstberater heranziehen, um diese zu entwirren. „Wir helfen unseren Kunden dabei, Fehler zu vermeiden“, sagte die angesehene New Yorker Kunstberaterin Kimberly Gould kurz vor ihrem tragisch frühen Tod mit nur 50 Jahren im Oktober in Paris. „Zuerst erfragen wir das Ziel und konzentrieren uns zuerst auf eine Wand oder Wohnung. Dann erstellen wir in der Regel eine Präsentation über unterschiedliche Preissegmente, Genres und Medien hinweg. Sammlerinnen und Sammler entwickeln dann schnell eine Ästhetik und eine Richtung, in die es gehen soll“, so Gould, deren Unternehmen dafür bekannt ist, selbst neuen Klientinnen und Klienten den Erwerb von Werken der begehrtesten aufstrebenden Namen aus der Hand von richtungsweisenden Händlern für zeitgenössische Kunst zu ermöglichen. Gould fasste ihren Ansatz, ihre Kundschaft vor Fehlern zu bewahren, so zusammen: „Wir halten uns an die Formel, die besten Werke, die besten Serien, die besten Künstler und von den besten Galerien zu kaufen.“ Doch in einer Ära der Beschleunigung mit immer stärkerem Fokus auf das Jetzt ist die „beste“ Kunst fast immer gleichbedeutend mit Kunst, die noch keine 100 Jahre alt ist – oder, noch wahrscheinlicher, noch nicht einmal zehn Monate. Die Folge? Eine Unmenge guter, oft herausragender Kunst aller Epochen und Kulturen verschwindet vom trenddominierten Radar des aktuellen Marktes. Für den Galeriepreis eines neuen Gemäldes von einem angesagten jungen Künstler, dessen Wert in zehn Jahren steigt oder auch nicht, kann man auch eine exzellente Zeichnung eines alten Meisters, einen Druck von Dürer oder Goya, ein außergewöhnliches Stück chinesischer Keramik aus der Song-Dynastie, eine Mughal- Miniaturmalerei aus dem 18. Jahrhundert, eine mittelalterliche französische Skulptur oder eine griechische Vase mit schwarzfiguriger Malerei aus dem Jahr 500 v. Chr. erstehen. Während noch vor einem Jahrhundert so ziemlich jeder Sammler, der etwas auf sich hielt, hier zugegriffen hat, pflegt heute kaum noch jemand einen solch eklektischen Geschmack. Einer der wenigen ist der Privathändler und Sammler Ivor Braka aus London. „Es ist eine wunderbare Zeit für Kenner. Der Kunstmarkt hält in vielen Bereichen Kostbares und Wertiges bereit“, so Braka, dessen Londoner Wohnung mit neugotischem englischen Mobiliar, futuristischen Skulpturen aus Italien, Silber aus der Artsand-Crafts-Bewegung und Gemälden von Cecily Brown, einer der derzeit begehrtesten abstrakten Malerinnen der Kunstwelt, dekoriert ist. „Es gibt keinen Nachteil beim Sammeln dieser Dinge. Ich kaufe sie, weil ich sie mag“, fügt Braka hinzu. „Hier wird Wert und Wertigkeit für die Nachwelt bewahrt.“ Es gilt: Schlag zu, wenn dir etwas gefällt, lass dich davon begeistern und mach dir keine Gedanken über das Geld. Darin liegt noch immer der echte und dauerhafte Wert von Kunst. Der Preis? Nebensache. Sobald ein Kunstwerk gekauft wird, verliert es in der Regel an Wert. Abgesehen von ein paar gefragten Künstlern ist es wie beim Auto: Du fährst ein paar Meter und der Verkaufspreis sinkt um 20 Prozent. — Josh Baer, Kunstberater 91

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