Aufrufe
vor 1 Jahr

medizin&technik 04.2022

  • Text
  • Medizinprodukte
  • Medizintechnik
  • Nachhaltigkeit

TITELTHEMA lichst

TITELTHEMA lichst umweltgerechte Mobilität der Mitarbeiter und vieles mehr. Ebenfalls auf der langen Liste: die Nachhaltigkeit bei Medizinprodukten. Daten dazu seien bisher nur schwer zu bekommen, sagt Stabsstellenleiter Dzukowski. Man arbeite zum Teil mit Schätzungen. Ein Beispiel: Betrachte man den Stromverbrauch von Medizingeräten, so mache dieser einen Anteil von 20 bis 25 % des gesamten Stromverbrauchs des Klinikums aus. Ob ein Haus eine Radiologie betreibt und dazu ein IT-System, das die Daten verwaltet, spielt dabei natürlich eine Rolle, ebenso die Zahl der Operationssäle mit ihren vielen Geräten. Unabhängig von Details: Da steckt Potenzial für Verbesserungen. Patientensicherheit mit dem Klimaschutz vereinbaren Das gilt laut Dzukowski genauso für das Verbrauchsmaterial, von der Elektrode über den Katheter bis zum Schlauch. „Natürlich kann man nicht einfach etwas an den Produkten verändern, denn die sichere Diagnose und Therapie für die Patienten stehen an erster Stelle.“ Aber man könne es klug anfangen und versuchen, Patientensicherheit mit einem verbesserten Klimaschutz zu vereinbaren. Diese Frage mit Herstellern zu diskutieren, erfordere oft aufwendige Kleinprojekte. Fachleute erstellen eine Gefährdungsanalyse, um zu sehen, wo sich Ansatzpunkte bieten könnten. Muss es eine Kunststoffverpackung sein? Kann diese entfallen, wenn die Raumluft im Lager anders eingestellt ist? „Das ist ganz schnell eine komplexe Geschichte.“ Trotzdem werden Aspekte der Nachhaltigkeit in Ausschreibungen schon jetzt mit berücksichtigt – auch wenn bisher die Bedienbarkeit oder die Patientensicherheit den Ausschlag geben. „Mittelfristig erwarten wir aber, dass Hersteller uns ihre Produkte CO 2 -neutral zur Verfügung stellen, wie es sich im Consumer-Bereich jetzt schon durchsetzt“, sagt Dzukowski. Solche Erwartungen werden nicht nur in Hamburg formuliert. Das Universitätsklinikum Heidelberg beispielsweise startete im Juli 2022 mit einem Kick-off-Event ein neues Projekt. Ziel: Den vollständigen Treibhausgasausstoß zu ermitteln, inklusive Lieferketten und Mobilität von Mitarbeitenden, Patienten und Besuchern, Emissionen für Medikamente, dem Entsorgen der Abfälle und Emissionen durch Medizinprodukte. Unter anderem geplant ist ein Pilotprojekt zur Mülltrennung in einem OP-Bereich, um Praxistauglichkeit und Effekte zu überprüfen. Was diese Entwicklung für Hersteller bedeutet, fasst Britta Norwat zusammen: „Nachhaltigkeit ist kein ‚nice to have‘ mehr, sondern Bestandteil wirtschaftlichen Denkens.“ Norwat leitet bei Medical Mountains in Tuttlingen das Ressort Innovationsprojekte und organisiert auch das Innovation Forum im Oktober 2022 – bei dem Frank Dzukowski als Keynoter über die Herangehensweise des UKE berichtet. In der Medizintechnik gibt es noch Nachholbedarf Dass Nachhaltigkeit die Medizintechnik betrifft, betont auch Ronald Kröger, der in der B.Braun-Konzernzentrale in Melsungen als Sustainability Manager tätig ist. Das Team, in dem er arbeitet, entstand im Jahr 2021. „Generell kann man sagen, dass die Medizintechnik als Branche noch Aufholpotenzial hat, was die Nachhaltigkeit angeht“, sagt Kröger. Über die Gründe dafür könne man spekulieren, entscheidend sei, dass Anforderungen auch an Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich formuliert werden. „Unsere Kunden (Bild: UKE) „Mittelfristig erwarten wir, dass Hersteller uns ihre Produkte CO 2 -neutral zur Verfügung stellen“, sagt Frank Dzukowski, der am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) die Vorstandsstabsstelle für Nachhaltigkeit und Klimamanagement leitet fragen vermehrt nach, was wir in dieser Richtung tun.“ Das gelte besonders für Skandinavien und für das Vereinigte Königreich. Krögers Fazit braucht wenige Worte: „Wenn wir in Sachen Nachhaltigkeit nichts tun, verlieren wir Umsätze.“ Selbst Banken berücksichtigten in Kreditverträgen inzwischen, was der Kreditnehmer hier vorzuweisen hat. Für ein traditionsreiches Unternehmen wie B.Braun sei es aber selbstverständlich, nicht in Quartalszahlen zu denken, sondern in Zeiträumen, die Generationen umfassen. „Wir müssen und wollen unseren Beitrag leisten, um dem Klimawandel entgegenzutreten.“ Auf Konzernebene und angesichts von rund 5000 Produkten ist Nachhaltigkeit allerdings eine komplexe Angelegenheit. Eine Roadmap definiert bereits Ziele. Zum Beispiel den CO 2 -Ausstoß bis 2030 zu halbieren, den Einfluss der Lieferkette zu berücksichtigen und Produkte, Dienstleister, Prozesse und Logistik unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu optimieren. Ohne eine zentrale Abteilung wäre das kaum zu schaffen, sagt Kröger. „Es gibt so viele Ansatzpunkte – und je größer das Unternehmen, desto wichtiger ist es, die Aktivitäten in Bahnen zu lenken. Wenn wir zum Beispiel an Life Cycle Assessment denken, müssen wir konzernweit einheitlich rechnen, sonst kommen wir nicht zu sinnvollen Ergebnissen.“ 22 medizin&technik 04/2022

Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit Dafür wird auch externes Wissen gebraucht. Der Melsunger Konzern hat daher seinen B.Braun-Accelerator 2022 dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet. Im Rahmen des „Accelerator“ stellen innovative Unternehmen Lösungen vor, mit denen B.Braun aktuellen Anforderungen gerecht werden kann. Software und Systeme für das Life Cycle Assessment, das Erfassen der relevanten Daten über den gesamten Produktlebenszyklus, zählen dazu. Zeitlichen Druck, bei der Nachhaltigkeit voranzukommen, erzeugt auch die von der EU vorgegebene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie sieht vor, dass Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und mehr als 40 Mio. Euro Umsatz ab 2025 jährlich über ihre Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit Rechenschaft ablegen müssen. „Da rollt eine Riesenwelle an Vorgaben auf uns zu“, sagt Kröger. Kleine Unternehmen müssen solche Reports zwar nicht erstellen. Doch wenn ihre (größeren) Kunden, wie zum Beispiel Krankenhäuser, berichtspflichtig sind, werden sie auf Zahlen aus der Lieferkette angewiesen sein – und auch Investoren dürften sich für das Thema interessieren. Darauf weist die Berliner Ökotec Energiemanagement GmbH hin, die Softwarelösungen und Beratung für den Weg zur klimaneutralen Wirtschaft anbietet. Mit Lösungen auf die Krankenhäuser zukommen Doch es gibt ja schon Medizinproduktehersteller, die sich intensiv mit der Nachhaltigkeit befassen und auf die Krankenhäuser zukommen. Genau diesen Ansatz hat auch Daniel Unger verfolgt. „Ich wollte Lösungen, keine Claims“, sagt Unger, der bei Ethicon, einem Geschäftsbereich von Johnson&Johnson Medtech, zunächst im Vertrieb gearbeitet hat und auch die Wünsche von Medizinern und Pflegepersonal zu Abfall und Nachhaltigkeit zu hören bekam. Seit Mai 2022 ist er in Vollzeit Sustainability Manager, und aus seiner Sicht ist klar: Für Anwender von Medizinprodukten entstehe „eine kognitive Dissonanz“, wenn Hersteller Nachhaltigkeit zum Ziel machen, es aber immer noch jeden Tag „Berge von Müll im Operationssaal gibt“. Daher wollte Unger handeln, Ideen mit umsetzen und das Gelernte möglichst schnell in größerem Maße nutzen. Bisherige Bilanz: Zwei Recycling-Projekte zu Einweginstrumenten und Aluminiumbestandteilen in Verpackungen sind abgeschlossen, ein Projekt zu umweltfreundli- Der Begriff der Nachhaltigkeit bezieht sich darauf, Ressourcen nur so stark zu nutzen, wie sie diese Inanspruchnahme dauerhaft aushalten können, ohne Schaden zu nehmen. Als Kreislaufwirtschaft wird die Idee bezeichnet, Produktion und Verbrauch so zu gestalten, dass Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Der Lebens zyklus eines Produktes soll also möglichst lang sein, um Abfälle zu minimieren. Auch am Ende der Lebensdauer verbleiben die Ressourcen und Materialien dann so weit wie möglich in der Wirtschaft und werden produktiv weiterverwendet. Die Kreislaufwirtschaft ist also das Gegenteil der Wegwerfwirtschaft, dem traditionellen, linearen Wirtschaftsmodell. Im März 2020 legte die Europäische Kommission einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vor – als wichtigen Baustein des europäischen Grünen Deals und Teil der neuen EU-Industriestrategie. Mehr zu den Plänen der EU: http://hier.pro/ZIA9n Eine geeignete Verpackung für ein Medizinprodukt kann aus Recyclingmaterial bestehen. Dass zum Beispiel alle wichtigen Informationen im Einsatz lesbar sind, haben Tests gezeigt. Akzeptanz laut Hersteller: In der Klinik kamen Idee und Umsetzung gut an (Bild: Ethicon) 04/2022 medizin&technik 23

Medizin und Technik