Aufrufe
vor 1 Jahr

medizin&technik 04.2022

  • Text
  • Medizinprodukte
  • Medizintechnik
  • Nachhaltigkeit

TITELTHEMA Weitere

TITELTHEMA Weitere Informationen Über die Stabsstelle Nachhaltigkeit und Klimamanagement beim UKE: http://hier.pro/YXan8 Zum Tuttlinger Innovation Forum Medizintechnik im Oktober 2022 (Keynote Nachhaltigkeit): https://innovation-forum-medizin technik.de/ Über Ökotec (Stichwort CSRD) http://hier.pro/BZc6k Mehr zu den Konsequenzen der Richtlinie ab Seite 54 Über digitales Abfallmanagement und das Start-up Resourcify: www.resourcify.com/de/ Studie Sustainable Productivity http://hier.pro/hYtS0 Mehr dazu, wie man mit Industrie 4.0 – aber auch ohne – zu Nachhaltigkeit kommt: s. Beitrag Seite38 Nachhaltigkeit aus der Sicht von Medizinern: Interview mit Prof. Wirtz ab Seite 10 (Bild: B. Braun SE) Sind die für das Recycling gesammelten Späne sortenrein? Das überprüft der Mitarbeiter bei Aesculap hier mittels Röntgen-Fluoreszenz-Analyse cheren Verpackungen ist in Arbeit, weitere sind geplant. Alle haben klein angefangen, mit überschaubaren Tests. „Ich glaube, dass es nur so wirklich vorangeht“, sagt der Sustainability Manager, „nach dem Motto ‚einfach mal anfangen‘.“ Im Konzern habe er dafür viel Unterstützung bekommen, soziale und ökologische Nachhaltigkeit sei bei Johnson&Johnson schon lange Tradition. Laut Unger hängt der Erfolg von Nachhaltigkeitsprojekten auch davon ab, dass sich eine Verbesserung datenbasiert nachweisen lässt. „Ich muss belegen können, dass eine Recycling-Idee am Ende – trotz zusätzlicher Transportschritte und der Aufwände für die Weiterverarbeitung – zu einem niedrigeren Kohlendioxid-Ausstoß führt als die Verbrennung eines Einmalproduktes“, sagt er. Diesen Nachweis zu führen, sei nicht einfach. Daher hat Ethicon externe Partner gesucht. Es gab Sitzungen mit einem Entsorgungsdienstleister, mit Fachleuten aus der Stadt Hamburg und dem Land Schleswig-Holstein. So richtig Schwung in die Sache brachte der Kontakt zu einem spezialisierten Start-up in der Hansestadt, der Resourcify GmbH. „Resourcify hat es geschafft, das Abfallgeschehen zu digitalisieren“, erläutert Unger. Die Plattform veranschauliche, welcher Abfall wo entsteht, was damit passiert und wo es eventuell Entsorger gibt, die damit etwas anfangen können. „Man hat das Gefühl, dass die Details bis zum Inhalt des Papierkorbs unter meinem Schreibtisch reichen.“ Genau das sei erforderlich, um zu belegen, dass eine Maßnahme den CO 2 -Ausstoß tatsächlich senkt. Manchmal machen Details das Recycling zur Herausforderung Doch es geht nicht nur darum, das Ende des Produktlebenszyklus genauer zu betrachten. „Die Zusammenarbeit hat auch gezeigt, dass eine Verpackung für orthopädische Schrauben in der aktuellen Form nicht recycelbar war“, erzählt Unger. Vier Werkstoffe, ein Klebeband für den Verschluss – für die Wieder - verwendung ist das nicht ideal. Aber nach einer Möglichkeit auch dafür wird derzeit schon gesucht, denn so schnell wollen die Nachhaltigkeitsexperten dann doch nicht aufgeben. Dennoch geht die Botschaft an De - signer und Ingenieure, es in Zukunft anders, nämlich möglichst von Anfang an recy clinggerecht zu machen. Wie, das sei am besten bei Entsorgungsfachleuten in Erfahrung zu bringen. Die Projekte, die in Hamburg mit mehreren Asklepios-Kliniken für Ethicon funk - tionierten, ließen sich laut Unger schnell skalieren und auf andere europäische Länder übertragen. Damit hat Ethicon Vorarbeit geleistet, sagt der Sustainabi - lity Manager und will die Vorreiterrolle auch nutzen. Aber nicht für lange, das ist klar. „Wenn wir mehr Recyceln und daher mehr Produkte oder Verpackungen einsammeln wollen, geht das nur, wenn nicht jeder Hersteller sein eigenes System schafft.“ Zig Abfallbehälter im OP, um alles säuberlich zu trennen? Unrea - listisch. „Ich denke, dass es eher zu einer Art Allianz kommen kann. Einem ein - heitlichen System, das viele Hersteller nutzen wollen und auf das sie einzahlen. Das wäre meine persönliche Vision.“ Entwicklung, Verpackung, Recycling können also das Thema Nachhaltigkeit voranbringen. Aber auch in der Produk - tion gibt es Ansatzpunkte. Ein Beispiel dafür ist die Aufbereitung von Metallspänen im Chirurgie-Bereich von B. Braun in Tuttlingen. Bei der Produktion von Implantaten und Chirurgieinstrumenten fallen dort Prozessabwässer an. Die Entsorgung über einen Dienstleister erwies sich schon früh als kostspielig. „Daraus entstand die Idee, eine interne Lösung zu pla- 24 medizin&technik 04/2022

sie mit Patienten nicht in Kontakt kommen. Richtung Kreislaufwirtschaft gehen die Überlegungen beim Prozesswasser. Kühlschmierstoffhaltige Lösungen oder das Abwasser aus Reinigungsschritten behandeln die Tuttlinger mit einer Vakuumverdampfungsanlage. Diese liefert am Ende ein Destillat, das alle Anforderungen erfüllt, um in kommunale Kläranlagen eingeleitet zu werden. „Aber wir würden es gern intern weiterverwenden, es in unserem Kreislauf halten“, sagt Riester. Für den letzten Reinigungsschritt an Medizinprodukten in einer validierten Anlage geht das zwar nicht. Aber für Reinigungsvorgänge im Verlauf der Fertigung, für neue Kühlschmierstofflösungen, das Ausspülen von Spänekübeln oder das Kühlen des Gebäudes könnte das Destillat interessant sein. Insgesamt sieht Riester Umweltprojekte als guten Start, um sich dem Thema Nachhaltigkeit zu nähern. Das sei auch für kleine Betriebe machbar, als erster Schritt mit vertretbarem Aufwand. „Wer ein Umweltmanagementsystem einführt, begegnet vielen Aspekten, die Nachhaltigkeit betreffen.“ Das gelte für die Zertifizierung nach ISO 14001 oder EMAS (Eco- Management and Audit Scheme) für Umweltmanagementsysteme. Da sich die Vorgaben auch bei den Umweltmanagementsystemen weiterentwickeln, behalte man auf diese Weise veränderte Anforderungen gleich mit im Blick. Bei Aesculap sollen die Ansätze bald über das Späne-Recycling deutlich hinausgehen. „Wir haben tolle Projekte in der Pipeline“, sagt Isabell Riester. Für - Details sei es noch zu früh, aber für aus - gewählte Produkte aus Metall und Kunststoff sei der Einstieg in das Thema Öko - bilanzen und Life Cycle Assessment, also Lebenszyklusanalysen, geplant. Das Sterilcontainersystem Aicon bietet Aesculap für Instrumente schon seit langem an. Es hilft, steriles Einweg-Verpackungsmaterial zu vermeiden und kann mehrfach verwendet werden. Da es nicht direkt mit den Patienten in Kontakt kommt, lassen sich die Container aus Sekundärrohstoffen wie recycelten Spänen herstellen nen“, berichtet Isabell Riester, die das Thema als Umweltingenieurin bei Aesculap betreut. Geplant und genehmigt wurden eine Anlage für die Wasseraufbereitung und das Schreddern von Metallspänen schon in den Jahren 2014 und 2015. „Wie wir das System heute nutzen, leistet aber einen Beitrag zur Nachhaltigkeit des Unternehmens“, sagt Riester. Potenzial für eine nachhaltigere Produktion von Metallteilen Heißt konkret: Die Metallspäne aus Edelstahl, Titan, Kobalt-Chrom-haltigen Legierungen oder auch Aluminium sammeln die Mitarbeiter in der Fertigung sortenrein. Durch das Schreddern der Späne schrumpft das Volumen der Abfälle – der Entsorgungsdienstleister muss also seltener kommen und hat weniger zu transportieren. Das ist gut für die Entsorgungskosten, aber auch gut für den CO 2 -Ausstoß. Die Späne aus hochwertigen Metallen haben zwar als Sekundärrohstoffe derzeit keine Chance, direkt in Medizinpro dukten verwendet zu werden. „Dem stehen re - gulatorische Vorgaben entgegen“, sagt Riester. „Aber die Automobilindustrie ist offen dafür.“ Für metallene Steril - container seien Sekundärrohstoffe sogar im Gesundheitsbereich verwendbar, da (Bild: B. Braun SE) Studie Sustainable Productivity zeigt Ansatzpunkte Jetzt anfangen. Das ist, wie eingangs erwähnt, auch die Maxime von Prof. Wolfgang Boos von der RWTH Aachen. Und hier folgt auf das „Warum“ das „Wie“. Was die entscheidenden Bausteine für eine „Sustainable Productivity“ sein könnten, hat Boos mit weiteren Fachleuten in einer gleichnamigen Studie zusammengefasst. Unternehmen müssen neben finanziellen Faktoren auch ökologische und soziale Belange berücksichtigen und eine Umgebung schaffen, in der wirklich innovative Ideen für mehr Nachhaltigkeit umgesetzt werden können. Veränderungen, die nur finanzielle Vorteile, aber Nachteile bei der Nachhaltigkeit mit sich bringen, sollten Entscheider laut Boos vermeiden. Unterstützung für die Suche nach besseren Ansatzpunkten sei inzwischen über Institutionen und Verbände verfügbar, sagt er. Hauptsache, es geht los. Je mehr Ideen umgesetzt werden, desto schneller entwickeln sich nachhaltigere Systeme , von denen langfristig alle profitieren. Denn es lässt sich kaum leugnen, dass letzten Endes wir alle „dran“ sind. ■ Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de Online weiterlesen Mehr zu den Projekten bei Ethicon und über die Unterstützung, die das Start-up Resourcify bietet, lesen Sie in unserem Online-Magazin unter www.medizin-und-technik.de/ nachhaltigkeit-medizintechnik 04/2022 medizin&technik 25

Medizin und Technik