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2013-4 REISE und PREISE

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SABBATJAHR AUSSTEIGEN

SABBATJAHR AUSSTEIGEN AUF ZEIT Über die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer träumt von einem Ausstieg auf Zeit, doch nur etwa vier Prozent erfüllen sich diesen Wunsch tatsächlich. Die größten Fragezeichen: Wie geht man ein Sabbatical an? Worauf muss man finanziell achten? Und wie überzeugt man seinen Chef? VON CHRISTOPH PFAFF SO FUNKTIONIERT DIE BERUFLICHE AUSZEIT Plötzlich war der Moment gekommen, in dem die Haustür einrastete. Britta Weberich erinnert sich: »Das war ein irres Gefühl – zu wissen, dass wir in diesem Augenblick losziehen und unsere Haustür erst ein halbes Jahr später wieder aufschließen würden.« Die heute 57-Jährige hatte sich vor zwei Jahren dazu entschlossen, gemeinsam mit ihrem Mann ein Sabbatical einzulegen. Die Kinder waren zu dem Zeitpunkt fast aus dem Haus, die Anstellung als Bauzeichnerin seit 30 Jahren nahezu dieselbe – Zeit für Veränderung: Sechs Monate mit dem Rucksack durch Südamerika! Für ihren Mann Frank liefen die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über die berufliche Auszeit reibungslos. Er ist im öffentlichen Dienst tätig und hat – wie viele Landesbeamte – Anspruch auf ein Sabbatjahr. Für normale Angestellte existiert so etwas nur selten. Britta Weberich musste bei ihrem Chef etwas tiefer bohren: »Er hatte wohl schon mal davon gehört, sich aber nie weiter mit dem Thema Sabbatical befasst.« An der Stelle begann die Überzeugungsarbeit. Wie überzeuge ich den Chef? »Ein entscheidender Punkt ist, das Gespräch mit dem Arbeitgeber erst dann zu suchen, wenn man selbst vollständig von der Idee überzeugt ist«, sagt Sabbatical-Coach Andrea Oder. Zum einen müsse man die eigene Motivation für eine Auszeit herausstellen, und zwar: »Nicht einfach nur sagen, dass man gerne diese Reise machen möchte, sondern auch die Bedürfnisse dahinter klar formulieren: den Kopf frei bekommen, Kraft für neue Aufgaben tanken, den Horizont erweitern.« Zum anderen aber sollten auch mögliche Vorteile für den Arbeitgeber aufgezeigt werden. Die Erfahrung von Unternehmen, die betriebliche Sabbaticals anbieten, zeigt, dass Menschen, die sich eine Auszeit gegönnt haben, deutlich motivierter in den Job zurückkehren und ihr Leistungslevel über lange Zeit halten können. Das sorge insgesamt für ein besseres Betriebsklima und ein hohes Gesundheitsniveau. Andrea Oder: »Burn Out ist auf dem Weg zur neuen Volkskrankheit. Dies zu verhindern ist auch Teilaufgabe deutscher Unternehmen.« Letztlich habe der Arbeitgeber durch ein Sabba- 100 REISE & PREISE 4-2013

tical einen doppelten Gewinn: Er bekomme einen frischen Angestellten zurück und müsse die Auszeit nicht selbst finanzieren. Welche Finanzierungsmodelle gibt es? Wer einen Ausstieg auf Zeit plant, braucht finanzielle Mittel. Zum einen, um sich die geplante Reise leisten zu können. Hier hilft es, mit dem Sparen zu beginnen, sobald der Entschluss zum Sabbatical gefasst wurde. Zum anderen gilt es aber auch, genügend Mittel für die Auszeit selbst zu haben. Unbezahlter Urlaub ist nur bedingt eine Lösung, da hier das Gehalt gänzlich wegfällt und es auch bei der Regelung der Pflege- und Rentenbeitragszahlungen etwas knifflig werden könnte. Empfehlenswerter sind daher Teilzeitund Lohnverzichtmodelle. Bei einer Teilzeitregelung einigt man sich mit dem Chef darauf, den Vertrag weit vor dem Sabbatical in eine befristete Teilzeitstelle abzuändern. Bis zur Auszeit zahlt der Arbeitgeber in der Ansparphase ein entsprechendes Teilzeitgehalt, man arbeitet aber weiterhin Vollzeit und schafft sich so ein Zeitguthaben an, das während der Auszeit genutzt werden kann. Das Teilzeitgehalt läuft dann während des Sabbaticals unverändert weiter. Beim Lohnverzichtmodell bleibt es bei einer Vollzeitstelle, allerdings mit vermindertem Gehalt (zum Beispiel vier Jahre lang 80 %), so dass man Geld fürs Sabbatical auf einem Lohnkonto anspart, auf das man dann während der Auszeit Zugriff hat. In beiden Fällen ist sichergestellt, dass der Mitarbeiter weiterhin fest zum Unternehmen gehört – nicht ganz unwichtig, was die Pflegeund Rentenzahlungen betrifft. Was tun während des Sabbaticals? Auf Forschungsreise gehen, Menschen helfen, endlich mal ein Buch schreiben: Die Möglichkeiten für die Gestaltung eines Sabbaticals sind nahezu unerschöpflich. Wer sich für Umweltschutz und soziale Projekte interessiert, findet auf www.freiwilligenarbeit.de Infos zu verschiedenen Diensten im Ausland wie Waisenhausbetreuung in Indien, Naturschutz in Australien oder die Renovierung eines Krankenhauses in Kambodscha. Ähnliches gilt für den Verein »ICJA Freiwilligenaustausch weltweit«, der für zahlreiche Projekte weltweit vermittelt – egal, ob es um die Betreuung eines Jugendcamps in Neuseeland oder das Bäumepflanzen in Kenia gehen soll (www.icja.de). Naturwissenschaftliche Abenteuer erwarten Aussteiger bei der Organisation »Earthwatch«, die Forschungsexpeditionen aller Art anbietet. Dabei geht es um die Population von Schmetterlingen und Bienen im Himalaya genauso wie um das Verhalten von Delfinen und Walen in der norwegischen Arktis (www.earthwatch.org). Mit »Reef Check« können Sie die bedrohten Koralleriffe unseres Planeten untersuchen (www.reefcheck.de). Oder Sie entscheiden sich wie Familie Weberich für den Klassiker: eine ausgedehnte (Welt-)Reise. Hilfreiche Tipps dazu bieten die Webseiten www.weltreise-info.de und www.weltreise-machen.de. Wofür auch immer man sich entscheidet, Sabbatical-Coach Andrea Oder weiß: »Das Besondere an einer Auszeit ist, dass man sich das Recht gibt, seinen Wünschen nachzugehen. Sabbaticals sind Lebensgeschenke an sich selbst.« Buchtipps ZUM PLANEN: Barbara Hess, »Sabbaticals. Auszeit vom Job« Frankfurter Allgemeine Buch 2009, 200 S., € 24,90 Welche Hurden auf dem Weg zum Sabbatical zu uberwinden sind, weiß Barbara Hess. Sie war als Führungskraft tätig und entschloss sich, für dreieinhalb Monate auf Wanderschaft zu gehen. Gute Tipps zu Vorraussetzungen, Motiven und finanziellen Aspekten. ZUM MUTMACHEN: Carsten Alex, »Auszeit als Chance. Mit Sabbatical der Karriere auf die Sprünge helfen« Signum 2009, 256 S., € 19,95 Die Angst um den Job steht bei vielen an erster Stelle. Dabei kann ein Sabbatical die Karriere geradezu beflügeln, findet Carsten Alex. Er selbst ist nach einer 20-monatigen Weltreise durch Asien und Amerika im Management eines Automobilkonzerns durchgestartet. ZUR INSPIRATION: Leon Schulz, »Sabbatical auf See. Eine Familie setzt die Segel« Delius Klasing Verlag 2012, 320 S., € 12 Ein Ehepaar, zwei Kinder, allesamt fest im Leben verankert – bis sie ihre Jobs hinschmeißen, das Haus verkaufen und mit einem Boot in die Karibik segeln. Eine Geschichte über Ängste und Freiheit, Gewohntes und Neues. Erzählt mit viel Witz und Selbstironie. FAMILIEN-AUSSTIEG AUF ZEIT Ein Jahr Australien mit vier Kindern Frauke Gollenstede, 47, Lehrerin aus Buxtehude: auch Janna fühlte sich bald wohl – spätestens als sie ihren ersten festen Freund kennenlernte. »Die Idee, für längere Zeit ins Ausland zu gehen, hatten wir schon lange im Kopf. Als Lehrerin habe ich Anspruch auf ein Sabbatical. Ich habe zunächst ein Jahr bei halbem Gehalt gearbeitet und dann im freien Jahr das zweite halbe Gehalt ausgezahlt bekommen. Mein Mann Cord (49) nahm Elternzeit für unsere beiden Jüngsten Simon (5) und Lisa (7). Niklas (19) war gerade mit dem Abitur fertig und kam mit nach Australien, um »Work & Travel« zu machen. Unser einziges schulpflichtiges Kind war Janna (15), die eine Highschool besuchte. Sie war vor der Abreise die größte Zweiflerin, weil sie ihren intakten Freundeskreis zurücklassen musste. Aber Wir hatten in unserem gemieteten Haus an der Sunshine Coast einen ganz normalen Alltag, haben uns einen Grill gekauft. Das gehört in Australien eben dazu. Und wir hatten endlich mal wieder Zeit für uns. Simon und Lisa haben in dem Jahr Schwimmen gelernt – das werden wir nie vergessen. Es hat einfach alles prima geklappt. Bis auf einen entzündeten Insektenstich bei Cord sind alle gesund geblieben. Heute nach unserer Rückkehr fühlen wir uns noch immer entspannt. Die Hektik in Deutschland ist manchmal schon gewaltig, dem versuchen wir uns zu entziehen. Trotzdem sind wir gerne wieder zurückgekommen. Die Auszeit war Familie Gollenstede während ihres Sabbaticals in Australien ja keine Flucht, wir mögen unser Leben hier. Nur war das Jahr unheimlich wichtig, um unsere Akkus wieder aufzuladen. Davon können wir noch immer zehren. Und eins steht fest: In fünf Jahren werden wir das ein weiteres Mal machen. Aber dann – wie es aussieht – nur noch mit zwei Kindern.« Fotos: Edite Artmann/Panthermedia, Verlage, privat REISE & PREISE 4-2013 101

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