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2021-1 REISE und PREISE

KANADA BRITISH COLUMBIA

KANADA BRITISH COLUMBIA DER NATUR Ob urzeitliche Regenwälder, stürmische Küsten oder wilde Flüsse voller laichender Lachse: In British Columbia erwartet Besucher Wildnis pur. Als Wahl-Kanadier kann unser Autor die Naturschönheiten der Westküste trotz Corona genießen. TEXT & FOTOS: JÖRG MICHEL Das Wasser ist spiegelglatt. Weißkopfseeadler, Fischreiher und Möwen kreisen über der Meeresenge, von der die Kanadier gerne sagen, sie sei wie ein Schlaraffenland der Natur. Mal nieselt der Regen, mal bricht die Sonne durch den Nebel und taucht die schneebedeckten Berge in der Ferne in ein fahles Licht. Ab und zu taucht der Kopf eines Otters aus dem Wasser, ab und zu springt ein Fisch. Dann auf einmal tauchen sie auf. Am Horizont heben sich gewaltige Rückenflossen aus dem Wasser. Erst eine, dann zwei, dann immer mehr. Plötzlich zischt es rechts, dann links. Eine Gruppe Schwertwale hat sich um unser Boot versammelt. Sie scheinen es regelrecht zu genießen, in dieser besucherarmen Zeit auf Touristen gestoßen zu sein. Immer wieder pusten die Wale Luft durch ihre Blaslöcher, tauchen auf und ab – manchmal sogar unter dem Boot hindurch auf der Jagd nach frischen Lachsen. Angerichtet ist das Mittagsmahl in der Queen Charlotte Strait, einem Meeresarm zwischen Vancouver Island und dem Festland von British Columbia. Das maritime Schutzgebiet im Pazifischen Ozean ist eine Wunderwelt der Ökologie. An kaum einem anderen Ort in Kanada sind die Wale, Robben und Adler so zahlreich, die Bären, Wölfe und Lachse so fett und wohlgenährt wie dort. Besonders gilt das für den Spätsommer und Herbst, wenn sich an der Pazifikküste Kanadas Millionen Lachse versammeln, um aus dem Meer zu ihren Laichgebieten im Landesinneren aufzusteigen. »Um diese Jahreszeit ist es fast unmöglich, in dieser Gegend keine Wale oder Bären zu sehen«, erzählt unser Skipper Fraser, während er sein Aluminiumboot geschickt durch die Untiefen des Pazifiks steuert. Fraser ist ein Naturbursche mit Dreitagebart, in Regenjacke und Gummistiefeln. In einem Fjord an der Küste betreibt er mit seiner Familie eine kleine private Wildnis- Lodge mit Hütten und Häusern auf Pontons, die auch während der Corona-Krise geöffnet haben. Eine Straße zur Lodge gibt es nicht – es bleibt also nur das Aluminiumboot, der Hubschrauber oder ein Wasserflugzeug. »Look! Look!«, ruft ein Mitreisender im Boot auf einmal und zeigt in Richtung Land. Ein Schwarzbär sucht gerade einen Strand nach Muscheln und toten Fischen ab. Mit seinen mächtigen Tatzen 88 REISE-PREISE.de 1-2021

Wasserflugzeuge im Hafen der entspannten Kleinstadt Tofino auf Vancouver Island (links). Tourguide Frank aus Kamloops vom Volk der Shuswap während der Paddeltour auf dem Thompson River. Auf dem Foto posiert er mit dem Kopf eines erlegten Schwarzbären (rechts) Drei Schwertwale ziehen in der Queen Charlotte Strait ihre Bahnen durchwühlt er die Kieselsteine, ab und zu streckt er seine Schnauze in die Luft und nimmt Witterung auf. »Der Bär weiß natürlich, dass wir hier im Boot sind«, erklärt Fraser, das Tier immer fest im Blick. Doch der Bär ist an uns nicht interessiert. Nur kurz blickt er auf, dann streift er einfach weiter. Gezeiten von bis zu sieben Meter haben die Strände in der maritimen Inselwelt zwischen Vancouver Island und Festland in ein wahres Buffet verwandelt. Im Herbst ist die Auswahl so groß, dass viele Bären nur die Lachseier verspeisen und das Fleisch liegen lassen. Was für Feinschmecker sie doch sind! Wasser und Wald: Wer British Columbia aus dem Flugzeug betrachtet, sieht vor allem tiefes Blau und sattes Grün. Hier hat die Natur ganze Arbeit geleistet! Dafür sorgt der üppige Regen, denn in manchen Gegenden an der Küste schüttet es an 200 Tagen im Jahr. Das lässt Pflanzen, Moose und Bäume so richtig sprießen. Nicht von ungefähr gehören die Küstenwälder Kanadas zu den urtümlichsten der Welt. Vancouver Island: Schwertwale, Bären und uralte Baumgiganten Mit einem Propellerflugzeug geht es anderntags nach Tofino, einer kleinen Ortschaft im Westen von Vancouver Island. Beim Blick aus dem Kabinenfenster sehen wir Wald, Wald und nochmals Wald. Ab und zu haben Holzkonzerne tiefe Schneisen zwischen die Bäume geschlagen – sie wirken wie schmerzende Wundmale in der immergrünen Wunderwelt der Natur. Auch in Tofino hat das Wetter das Sagen: viel Regen und dazu berüchtigte Winter - stürme mit Wellen so hoch wie ein Ein - familienhaus. Bis zur Grenze von Alaska reichen von hier die pazifischen Regenwälder Kanadas. Nach jahrelangem Streit zwischen Regierung, Umweltschützern und Holzkonzernen stehen sie zumindest teilweise unter Schutz. Am kleinen Hafen von Tofino treffen wir Celine, eine junge Frankokanadierin, die seit drei Jahren in Tofino lebt. Mit ihrem stotternden Motorboot bringt sie uns an einem verhangenen Morgen nach Meares Island, einer kleinen vorgelagerten Insel. Nur 15 Minuten dauert die Überfahrt – und doch es ist ein Trip für die Ewigkeit. Auf Meares Island kann man jene seltenen, uralten Riesenbäume bewundern, ➔ 1-2021 REISE-PREISE.de 89

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