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Rotary Magazin 05/2018

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Rotary Magazin 05/2018

THÈME DU MOIS –

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – MAI 2018 fessionellen Designer, der Zutaten, Gänge wissen, wofür er sich entscheiden soll. Das ten, mit einer gewissenhaften oder nach- und die Choreografie ihrer Präsentation Spektrum der Typen und ihrer Unterschie- lässigen Persönlichkeit zu tun hat. Hält plant. Für Kosmetika und Kleidung gibt de fächert sich immer weiter auf. Es ist man sich eher an Regeln? Ist man genau? man heutzutage im Schnitt mehr Geld aus deshalb verblüffend, dass weltweit so gut Ist man pünktlich? Ist man ambitioniert? als für ihr Essen. Die Werbeindustrie er- wie jedes Individuum in ein Schema einzu- Respektiert man Gesetze? Beachtet man zeugt heute meisterhaft die Illusion, gera- ordnen ist, das Psychologen und Sozialfor- soziale Normen? «Sie können einen Poli- de dieses eine Ding fehle noch im Besitz- scher als «Big Five» bezeichnen. Die ersten zisten nehmen, die Krankenschwester, die stand, um wirklich unverwechselbar zu Schritte zu dieser standardisierten Persön- Lehrerin oder den Piloten – bei Menschen, sein. lichkeitsdiagnose wurden Anfang der die in ihrem Job erfolgreich sind, werden siebziger Jahre getan, durchgesetzt hat Sie immer ähnliche Persönlichkeitsstruktu- In den fünfziger und sechziger Jahren wa- sich das Schema in den neunziger Jahren. ren finden», sagt er. Erfolgreiche Men- ren die Ansprüche der Gesellschaft an den Im Deutschen beschreiben etwa 16'000 schen, so das Fazit, können sich eher an- Einzelnen so homogen wie der Druck, die- Wörter, vornehmlich Adjektive und Ver- passen, Regeln beachten, auf andere se Ansprüche einzuhalten. Man fügte sich ben, die Vielfalt der Persönlichkeit und zugehen, sie sind gewissenhaft, im Durch- den Normen, ging selbstverständlich in lassen sich dennoch – um ein Persönlich- schnitt eher extravertiert und grundsätz- die Kirche, Nischen waren kaum zu finden. keitsprofil zu erstellen – auf folgende fünf lich offen für neue Erfahrungen. Mut zum eigenen Typ bewiesen schon Kategorien reduzieren: diejenigen, die abends nicht die Tages- Diese Einschätzung deckt sich mit einer schau guckten. Heute ist das nicht mehr 1. Extraversion versus Introversion Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchun- so einfach, weil es so viele Nischen gibt. 2. Emotionale Stabilität versus gen. Der amerikanische Publizist David «Jeder», sagt Asendorpf, «will sein Ding emotionale Labilität Brooks hat vor drei Jahren eine unschätz- machen.» Und das heisst gleichzeitig: Je- 3. Gewissenhaftigkeit versus bar wertvolle Arbeit vorgelegt. In seinem der muss auch. Immer geht es um das ei- Ungewissenhaftigkeit Buch «Das soziale Tier» fasst er unzählige gene Profil, die individuelle Persona, die 4. Verträglichkeit versus Aggressivität Studien der jüngeren Vergangenheit aus identifizierbare Maske. Permanent souff- 5. Konventionalität versus Offenheit allerlei Disziplinen zusammen, destilliert liert der Geist der Zeit: Du musst dich ab- für neue Erfahrungen und konzentriert ihre Aussagen und Er- 28 grenzen! Du musst interessant sein! Du sollst einmalig sein! Ja, aber wie soll man das sein, wenn es alle sein sollen? Steckt überhaupt noch Individualismus im Indivi- Die fünf Dimensionen sind voneinander unabhängig, erklären die Hälfte aller erklärbaren Unterschiede zwischen Men- kenntnisse über das moderne Menschsein an sich. Die Erfolgreichsten unter uns, so lautet eines der Ergebnisse, hatten nur geringfügig höhere IQs als die weniger duum? Und wenn ja: Wie viel Exzentrik ist schen und sind eine universell gültige, Erfolgreichen. Was sie auszeichnete, so sozialverträglich, gar karrierefördernd? geradezu bewusst naive Rekonstruktion Brooks in Anlehnung an die Kognitions- dessen, wie Menschen andere Menschen wissenschaftlerin Melita Oden, sei ihre «Jeder Mensch strebt nach sozialer Annerkennung, Erfolg und Glück» im Alltag wahrnehmen und beurteilen. Irgendwo in den Weiten der Big Five findet sich zwischen den USA und Japan, dem Kongo und Nordkorea jeder wieder. Wenn dem so ist – müsste dann nicht das ideale überragende Arbeitsmoral gewesen: «Sie hatten schon als Kinder mehr Ehrgeiz gezeigt.» Die Forscher Steven Kaplan, Mark Klebanov und Morten Sorenson untersuchten die Fähigkeiten und Eigenschaf- Ich und sein Weg zum Erfolg beschreibbar ten von Topmanagern und stellten fest, sein? dass die Charakterzüge Detailgenauigkeit, Zweites Kapitel: Erfolg Beharrlichkeit, Leistungsbereitschaft und Verkürzt gesagt, strebt jeder Mensch nach Ja, zumindest was Führungspositionen in analytische Gründlichkeit am stärksten dreierlei: sozialer Anerkennung, Erfolg der Wirtschaft angeht. Offenbar lässt sich mit Erfolg einhergingen – und dazu die und Glück – im besten Fall verschmilzt alles beruflicher Erfolg oder Misserfolg anhand Bereitschaft, Überstunden zu machen. in einem. Dabei steht der Einzelne heute der fünf Hauptkriterien erklären. «Emoti- unter dem Einfluss teilweise höchst ge- onale Stabilität zum Beispiel unterscheidet Die besten Unternehmensführer sind gensätzlicher Maximalansprüche: Er soll in nahezu allen Berufen die Erfolgreichen demnach keine grossartigen Visionäre, Ecken, aber keine Kanten haben. Er soll von den weniger Erfolgreichen», befindet sondern bescheidene, zurückhaltende, selbstmächtig sein und sich zugleich dem Christof Obermann, Professor für Wirt- fleissige, zuverlässige und entschlossene Schicksal der Globalisierung fügen. Er soll schaftspsychologie an der Rheinischen Persönlichkeiten, die einen Bereich gefun- kontrolliert und rational sein, zugleich Fachhochschule Köln und Chef einer auf den haben, in dem sie sich systematisch zu aber charismatisch und begeisterungsfä- Assessment und Entwicklung von Füh- verbessern suchen. Man muss für den hig. Er soll permanent seine Exzellenz rungskräften spezialisierten Beratungsfir- grossen Erfolg also nicht, wie manche Hu- nachweisen und wird unablässig beob- ma. Über Fragebögen und Arbeitssimula- man-Resources-Manager raten, bewusste achtet und bewertet. Er ist stets auf sich tionen in Assessment-Centern vermag Brüche in seinen Lebenslauf einbauen, um allein gestellt und muss ständig wählen Obermann zu erkennen, ob er es mit einer aufregend zu erscheinen. Man muss aus und sich unentwegt entscheiden, ohne zu zuversichtlichen oder negativ eingestell- Karrieregründen keine Wiederaufbauar-

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – MAI 2018 beit in Haiti leisten oder sich einen Iroke- bens sei das Streben nach Glück, nach Der verzweifelten Abiturientin riet Maja senschnitt zulegen, um Mitbewerber aus- eudaimonía. In der Antike wurde Glück Storch schliesslich Folgendes: Sie dürfe zustechen. allgemeingültig bestimmt, in der Moderne doch in ihrem Leben ganz normal un- ist es subjektiviert worden – als Sammel- glücklich werden, wie jeder andere auch. Wenn allerdings, wie Obermann behaup- begriff für die Befriedigung individueller Sie dürfe das Falsche studieren. Sie dürfe tet, fast alle Führungspositionen aufgrund Präferenzen. Und jetzt, in der Spätmoder- nach vier Semestern merken, dass das des Big-Five-Schemas besetzt werden, ne, im Morgenrot einer neuen Epoche, Studium sie ankotze. Sie müsse auch gar könnte man durchaus den Verdacht auf wissen wir nicht mehr, wie schlichtes nicht studieren. Und sie müsse weder eine gewisse Stromlinienförmigkeit he- Glück geht und was genau das ist? zufrieden noch glücklich werden. Das, gen: dass da ein strebsamer, sich selbst antwortete die Abiturientin, entlaste sie ausbeutender Einheitstyp herangezogen Jeder hat seine eigene Sicht aufs Glück, sehr. Glücklich war die junge Frau wird, der nicht widerspricht, nicht rebel- jeder seine eigene Fasson, glücklich zu über das neue Glück des Unglücklichsein- liert, nicht aufbegehrt, der kuscht und sich werden. Um der überwältigenden Grösse dürfens. fügt, weil er weiss, dass man das von ihm des Wortes Glück zu entgehen, spricht die verlangt. Individualismus, Querdenkerei, Forschung seit geraumer Zeit nur noch Dem Zwang zum Glück zu entsagen, er- Ecken und Kanten, die wilde Andersartig- über individuelles Wohlbefinden. In gross fordert eine neue Kompetenz: Mut zur keit der Anarchie? Scheint ausgeschlos- angelegten Erhebungen, dem World Valu- Entscheidung. Gibt es neben dem Indivi- sen. Sei gerade nicht, wer du bist, hiesse es Survey oder dem Euro-Barometer-Sur- dualismus- und Glücks- nun also einen das. Sei, wer du sein sollst. Aber führt das vey etwa, wird nach der Lebenszufrieden- dritten, den Entscheidungsterror? Nein, auf Dauer nicht ins Unglück? heit der Menschen gefragt, weltweit, sagt Maja Storch, alles sei nur eine Frage «Wir wissen nicht mehr, wie schlichtes Glück geht und was das genau ist» europaweit und deutschlandweit. «Generell betrachtet: Wie zufrieden sind Sie heute mit Ihrem Leben als Ganzem?» Angetrieben vor allem vom britischen der Schulung, es geht jetzt um neue Kompetenzen. «Identitätskonstitution ist ein aktiver Akt, das fällt Ihnen nicht in den Schoss.» Bereits bei Zwölfjährigen ist das die wichtigste Entwicklungsaufgabe, Ökonomen Richard Layard und dem weshalb Storchs Institut im Rahmen des Drittes Kapitel: Glück Vor einiger Zeit erhielt die Psychoanalytikerin Maja Storch einen irritierenden An- Schweizer Wirtschaftshistoriker Bruno Frey, haben Wissenschaftler weltweit festgestellt, dass eine massgebliche Bedingung fürs individuelle Glücksemp- Zürcher Ressourcen Modells auf der Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse Lehrmittel entwickelt hat, um damit Techniken zur Entscheidungsfindung in 29 ruf. Eine Schweizer Abiturientin hatte für finden die sozialen Umstände des die Schulen zu bringen. Die Kinder lernen ihre Matura-Arbeit das Thema «Entschei- jeweiligen Menschen sind. Nicht Geld, über die körperliche Wahrnehmung den» gewählt, und Storch, wissenschaftli- Schmuck und Autos sind entscheidend für sogenannter somatischer Marker, wie che Leiterin des Instituts für Selbstma- eine hohe Lebenszufriedenheit, sondern sich Entscheidungen anfühlen. Sie nagement und Motivation in Zürich, die genetischen, soziodemografischen, trainieren, ihrem Körpergefühl zu fragte zurück, warum die junge Frau gera- kulturellen und politischen Bedingungen. vertrauen, ob sich etwas gut und oder de darüber schreiben wolle. Weil sie, so Materieller Wohlstand kann, muss aber schlecht, passend oder grummelig an- die Abiturientin, selbst Entscheidungs- nicht mit gelungenen sozialen fühlt. schwierigkeiten habe; sie wisse nicht, für Beziehungen einhergehen. Und es ist em- welches Fach sie sich einschreiben solle. pirisch belegt, dass Menschen, die gros- Mit Egoismus habe das nichts zu tun, sagt Ob es um eine Entscheidung nach der Art sen Wert auf Besitz und Status legen, Storch, da besagte Marker ein Erfahrungs- «Jura gegen Kunstgeschichte» ginge, unzufriedener sind als Menschen, die das gedächtnis konfigurierten, in das die ver- fragte Storch, und ob die Eltern ihr deswe- nicht tun. Je fester die sozialen Beziehun- mutete oder erfahrene Reaktion des sozi- gen Druck machten. Nein, beschwichtigte gen eines Menschen hingegen sind, umso alen Systems bereits mit eingebucht sei. die Abiturientin, ihre Eltern seien absolut glücklicher ist er; Menschen, die in lang- «Dann kann man Dinge und Eigenschaf- offen und würden sogar sagen, sie, die jährigen Partnerschaften leben, sind weit ten an und von sich akzeptieren, die viel- Tochter, könne machen, was sie wolle, glücklicher als Singles, und extravertierte leicht gerade nicht modisch sind», denn Hauptsache, sie werde glücklich. Das seien Menschen, resümieren die Glücksfor- nur so schaufelt sich das Individuum ja Vorzeigeeltern, so Storch. Aber genau scher, seien zufriedener als introvertierte. Storchs Auffassung zufolge die eigene das sei das Problem, entgegnete die Abi- Man kennt die Berichte von Persönlichkeit aus den Halden der turientin: Sie habe totalen Leistungsdruck, Millionären, die plötzlich zu arbeiten «Must-haves», den Verbotsschildern und glücklich zu werden. «Das arme Kind», aufhören, ihre Villa versteigern, einen Verführungsreizen, der Informationsflut sagt Storch heute, «stand unter Rucksack packen und sich aufmachen, und den Einflüssen der Medien frei. Durch Glücksterror.» die Gebirge Nepals zu durchreisen; das Training in Lektionen werde eine sub- man kennt die Fantasien der Aussteiger, jektive Moral und ihre Begründung ge- Kann es sein, dass wir da etwas falsch ver- deren Glück darin zu bestehen scheint, lernt, eine individualistische, ausschliess- standen haben? Seit Aristoteles geht die dem herkömmlichen Glücksmodus zu lich der jeweiligen Persönlichkeit Menschheit davon aus, der Sinn des Le- entsagen. entsprechende, einmalige Moral.

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