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Rotary Magazin 11/2021

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Rotary Magazin 11/2021

THÈME DU MOIS –

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – NOVEMBRE 2021 ROTARISCHER GASTBEITRAG GROSSMUT, DEMUT UND ÜBERMUT ALS ANTWO 26 Aus dem Nährboden der Alterszumutungen kann Mut entstehen. Dem Kompost durchgestandener Kränkungen entspriessen günstigenfalls die Schösslinge Grossmut, Demut und Übermut. Diese helfen, mit den Alterszumutungen gut umzugehen. ALTERSZUMUTUNGEN Nach Duden heisst zumuten «ein Ansinnen an jemanden richten, Ungebührliches verlangen». Im Alter bekommt man nicht mehr, was einem früher gebührte. Das Alter verweigert das, worauf wir Anspruch zu haben glaubten: ein widerstandsfähiges Selbstbild, das auf der kompetenten Lebensbewältigung, einem zuverlässigen Körper und der Anerkennung von aussen beruhte. Das war einmal. Heute behindern Energiemangel und Verlangsamung das, was wir uns vornehmen. Die Effizienz hat sich verabschiedet. Es wird Abend, bevor auch nur die Hälfte dessen, was ansteht, erledigt ist. Die Vitalitätskurve sinkt und wird bald die Waagrechte kreuzen, die Sein vom Nichtsein trennt. DAS ALTERSLAMENTO Die Altersrealitäten kollidieren frontal mit der Forderung unserer Gesellschaft, jederzeit jung und dynamisch auf dem Sprung zu sein. Das Schreckgespenst Alter ruft sämtliche Abwehrmechanismen auf den Plan. Nicht einmal sich selber mag man die Schwere in allen Gliedern zugeben, den Schreck über das rasend schnelle Schwinden der noch verbleibenden Zeit, die Trauer um die vielen Verluste und die Angst in schlafarmen Nächten, wenn der Überfall durch die bedrohlichen Bilder nicht abgewehrt werden kann. Der kalte Blick einer unversöhnlichen Tochter, die Abwesenheit eines Sohnes, der auch mit fünfundvierzig den Tritt im Leben noch nicht gefunden hat, und die wütende Enkelin, die jedes Gespräch zwischen Erwachsenen stört und ihre alleinerziehende Mutter tyrannisiert, drücken auf die Seele. Das Versäumte kann nicht nachgeholt werden und das Kommende ängstigt. All das darf nicht nach aussen dringen, sondern muss als Privatsache weggesteckt werden, da­ mit das Image des animierten, optimistischen und interessierten Zeitgenossen möglichst intakt bleibt. Der Körper, einst ein zuverlässiger Verbündeter, verlangt nun aufwendige Unterstützung und hat erschreckende Überraschungen bereit. Er scheint früher selbstverständliche Fähigkeiten vergessen zu haben. Man schwimmt mit dem ganzen verbliebenen Rest der Kraft stromaufwärts, um wenigstens am gleichen Ort zu bleiben und nicht weggespült zu werden. Ohne die Lockerungsübungen nach dem Aufstehen schmerzt das Kreuz den ganzen Tag. «Batterie!», brüllt das Hörgerät mitten im Gespräch. Die durch die Coronamaske eingenebelte Brille erschwert die Sicht und macht den Gang noch unsicherer, als er ohnehin schon ist. Beklemmende Berichte von Gleichaltrigen über ihre düsteren Diagnosen, ihre Krankheiten und Funktionsverluste zeigen die fragile Vorläufigkeit der Gesundheit. Der medizinische Unterhalt, Kontrolluntersuchungen, Abklärungen und Therapien fressen sich in die Agenda und belasten das Zeitbudget, von der Anspannung ganz zu schweigen, die das Warten auf Untersuchungsresultate zu einer Vollzeitbeschäftigung macht. Der alte Körper schleppt sich im Schneckentempo zur Heilung. Patient kommt von Patientia, das heisst Geduld. Eine unerbittliche Lektion des Alters besteht in der Notwendigkeit, die Ungeduld zu zügeln. Das Abwägen zwischen medizinischen Eingriffen und momentaner Lebensqualität fordert schwerwiegende Entscheidungen. Wo kippt die Verlängerung des Lebens in ein langsames Sterben um? Die Sterblichkeit deckt die Trutzburg der mentalen Widerstandskraft mit einem Trommelfeuer von Hiobsbotschaften ein. Corona hat uns gerade noch gefehlt. Die Relation zwischen Abdankungen und erfreulichen Anlässen verschiebt sich zuungunsten der Letzteren. Es wird immer anstrengender, die soziale Fassade einigermassen aufrechtzuerhalten. Viele soziale Events haben ihren Reiz verloren. Der Glanz vormaliger Erfolge verblasste. Die Höhenflüge der Selbstbestätigung, die sozialer Status, mentale Präsenz und jugendliche Vitalität generierten, sind Vergangenheit. Früher navigierte man mit Lust und Begeisterung auf dem Meer der Kontaktmöglichkeiten, während heute kaum noch die Zehe das Wasser berührt. Vergesslichkeit und Wortfindungsstörungen behindern die Teilnahme am Gespräch. Als passive Randfigur wird man übergangen oder höflich ausgehalten. Der Rückzug in die Familie und den Freundeskreis, dorthin, wo man sich die wohlwollende Akzeptanz weniger verdienen muss, liegt nahe. Die bange Lektüre der Todesanzeigen zeigt, wie das durchschnittliche Todesalter auf den eigenen Jahrgang zukriecht. Die Zukunft Tod schiebt sich unübersehbar über den Horizont und lässt sich nicht mehr verdrängen. Der grosse Tod, den jeder in sich hat, wie Rilke sagt, macht sich bemerkbar. Und dafür sind wir schlecht vorbereitet. Kaum haben wir begonnen, die Todesverdrängung des 20. Jahrhunderts, die uns geprägt hat, hinter uns zu lassen, knallt uns nun Corona unsere Sterblichkeit äusserst indiskret vor die Füsse. GROSSMUT, DEMUT UND ÜBERMUT Das Alterslamento hat durchaus seine Berechtigung. Aber das Alter bietet mehr. Die Zumutungen stimulieren oft eine mentale Entwicklung. Das althochdeutsche «muot» wird vom Duden mit der Kraft des Denkens, Empfindens und Wollens in Verbindung gebracht. Die Zumutung weckt den Mut. Es geht um eine Haltung der Unerschrockenheit den Zumutungen gegenüber. Man lässt sie sich nicht gefallen und wehrt sich. «Altwerden ist nichts für Feiglinge» heisst der Titel des Buches von Joachim Fuchsberger. Die Dichterin Hilde Domin nennt Grossmut, Demut und Übermut das, was es braucht, um das Alter zu

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – NOVEMBRE 2021 RT AUF ALTERSZUMUTUNGEN bestehen, um mit seinen Gegebenheiten Nerven, die eigenen und die der Opfer der der alten Frauen kämpfte dagegen an und zurechtzukommen und ihnen Gutes abzu­ gut gemeinten Ratschläge. Sie machen es hat von daher mit der Demut ihre liebe gewinnen. Den Alterszumutungen mit anders als wir. Das nicht einfach falsch zu Mühe. Und doch erweisen sich Sinn und Grossmut, Demut und Übermut zu begeg­ finden, sondern den Blickwinkel so zu er­ Freude, die der Dienst am Nächsten, an nen, jedes Mal, wenn es ansteht, ist eine weitern, dass ihr Standpunkt sich als ver­ der Familie und an der Gemeinschaft ge­ aufwendige und lohnende Beschäftigung, ständlich, akzeptabel und sogar unter­ neriert, als zuverlässiges Gegengewicht zu die sich ab und zu zur heiteren Gelassen­ stützenswert präsentieren kann, fordert den Alterszumutungen. heit verdichten kann. den grossmütigen Verzicht auf lieb gewor­ Die Altersverluste setzen die jedem GROSSMUT dene Denkgewohnheiten. Die alten strengen Massstäbe taugen Leben inhärente Serie von unliebsamen Veränderungen fort. Niemand entgeht Ein goldenes Schmuckstück, ein zierlich nicht mehr. Wer das von sich verlangt, was den Demütigungen. Die meisten von uns geschmiedetes Arrangement von kleinen früher möglich war, hat das Spiel verloren. werden das ganze Leben lang mit Entwer­ Efeublättern, wechselte am achtzigsten Die mentalen und körperlichen Altersver­ tungen eingedeckt, die von kleinen Krän­ Geburtstag meiner Tante die Besitzerin. luste führen günstigenfalls über Phasen kungen der Eitelkeit über verlorene Diese Tante verschenkte zur Feier des Ta­ von Verdrängung, Scham und Trauer zu Machtkämpfe bis zu identitätsbedrohen­ ges ihren ganzen Schmuck. Grossmut ihrer Integration, was eine innere Auswei­ den Niederlagen gehen. Vor der ganzen übersetzt sich auf der materiellen Ebene tung stimuliert. Gnädig mit den eigenen Klasse blossgestellt zu werden gräbt sich in Grosszügigkeit. Weshalb später verer­ Altersdefiziten umzugehen begünstigt ins Gedächtnis ein. Die nicht bestandene ben statt mit warmen Händen schenken? deren grosszügige Einordnung bei ande­ Prüfung, das abgebrochene Studium und Mit dem Schenken von Zeit entlasten wir ren. Damit gelingt es besser, irritierende die Scheidung bleiben als schambesetzte unsere sich durch den Trubel der mittleren Jahre durchkämpfenden Kinder. Eltern von Kleinkindern ein schönes Wochenende inklusive Kinderbetreuung spendieren, Verhaltensweisen der Allernächsten zu tolerieren. Die kognitiven Altersverluste lassen sich im alltäglichen Zusammenleben nicht verbergen. Sie müssen gegen­ Gesichtsverluste lange wirksam. Genau diese Erfahrungen sind im Alter hilfreich. Die Zeit milderte die brennende Scham, und die Kränkung rückte in den Hinter­ 27 als Störköchin ein Fest bereichern oder seitig ausgehalten werden. Für das Bezie­ grund. Die aktive Auseinandersetzung mit dem Enkel eine Weiterbildung ermögli­ hungsklima wird es jetzt unverzichtbar, der Verletzung führte manchmal zu neuen chen macht rundum mehr Freude als das fünf gerade sein zu lassen. Das Leiden Erkenntnissen. Was im ersten Moment Horten von Besitz. an den peinlichen Altersfehlleistungen ist wie eine unerträgliche Schmach ausgese­ Das Älterwerden entlässt uns aus Ver­ im Trost viel besser aufgehoben als in hen hatte, erwies sich später als Wende­ pflichtungen. Locker Nein sagen, wo es der Kritik. punkt, dem eine gute Richtungsänderung nicht mehr stimmt, befreit. Aus Kindern werden verantwortungsfähige Erwachse­ DEMUT folgte. Derartige Prozesse schleifen das Ego ab. Wer kein glorioses Selbstbild ver­ ne, die man der Selbststeuerung überlas­ Demut vor Gott verweist das Ego in die teidigen muss, ist weniger verletzlich. sen kann und muss. Die Pensionierung hinteren Ränge. Die dienende Haltung Lebenserfahrene alte Menschen haben beendet für viele berufliche Verantwor­ dem als grösser Erkannten gegenüber gelernt, mit entwertenden Situationen so tungen. Selbstständigerwerbende entlas­ prägte früher als Ideal einer christlichen umzugehen, dass ihre Integrität nicht tan­ ten sich durch Nachfolger. Die Ebbe der Lebensführung die Grundhaltung vieler giert wird. Sie lassen Unangenehmes we­ Verantwortlichkeiten bringt indessen nur Menschen. Dieses Ideal kann leicht miss­ niger an sich herankommen. So ertragen einen Gewinn an Freiheit, wenn der braucht werden und führt dann dazu, le­ viele souverän die Demütigungen der Ab­ Machtverzicht wirklich geleistet wird. Wer gitime Ansprüche zu unterdrücken. Die hängigkeit, die das voranschreitende Alter die alten Einflusssphären nicht verlassen Machtspiele der Herrschenden wurden mit sich bringen kann, nehmen mit dank­ kann, wird zum lästigen Einmischer. Mit und werden von jungen Männern, denen barer Grazie die angebotene Hilfe entge­ zuverlässiger Regelmässigkeit relativiert man den Dienst am Vaterland als erstre­ gen und sind imstande, für sich und ihr das Leben die meisten Gewissheiten, was benswerte Tugend verkauft hatte, mit Umfeld gute Momente zu schaffen. zuerst Irritation, später aber auch Einsicht dem Einsatz ihres Körpers und ihres Le­ Seit der Neuzeit sieht sich das säkula­ und schliesslich Toleranz hervorrufen bens ausgetragen. Eine Sozialisierung, die risierte Individuum als Nabel der Welt, und kann. Die felsenfesten Überzeugungen, den Mädchen dienende Passivität als es­ die Nabelschau nimmt überhand. Ein für die wir mit jugendlichem Eifer kämpf­ sentielle weibliche Tugend einpflanzte, hochbesetztes Ego ist nicht alterstauglich ten, lösen sich in nachdenkliche Fragen hindert Frauen noch heute daran, eine und nicht geeignet, mit den Gegebenhei­ auf. Diese gewähren anderen Auffassun­ faire Arbeitsteilung im Haushalt oder ten der Sterblichkeit umzugehen. Wir neh­ gen mehr Raum. Sich gegen die Gezeiten einen gerechten Lohn im Berufsleben ein­ men uns zu wichtig. Wir sind nicht mehr des Lebens zu stemmen strapaziert die zufordern. Die gegenwärtige Generation als winzige Sandkörnchen an einem un­

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