28 PRAXIS JEDES GELÄNDE WILLKOMMEN: Im Kalksteinwerk in Emmingen-Liptingen wird der Gladiator herausgefordert. Fotos: Jerôme Herr, OniBox Media Harter Kerl mit feinen Manieren Endlich wieder ein GP-Fahrtest, und dabei steht direkt der Jeep Gladiator im Mittelpunkt. Genau den hätte man wohl vor einigen Jahren noch etwas abwertend als Pritschenwagen durchgehen lassen. Aber mit markanter Karosserie, noblem Interieur, großzügiger Ladefläche, Fahrkomfort und jeder Menge Geländetauglichkeit ist der kantige Allradler aus den USA weit entfernt vom grobschlächtigen Arbeitstier. Zur hohen Fahrdynamik passt ein kraftvoll vor sich hinschnurrender Sechszylinder Diesel, dank dem der Gladiator seine Qualitäten auf Langstreckenfahrten oder Diensteinsätzen abseits der Landstraßen zeigt. Ein Auto fürs sandige, steinige Gelände und vieles mehr: Der Jeep Gladiator ist eigentlich das Schweizer Taschenmesser unter den Geländewagen. Nach zwei Wochen Praxis-Tests auf Baustellen, in Steinbrüchen, im Morast und Sand, zwischen Muldenkippern und 40-Tonnern, aber auch auf Autobahnen und engen Landstraßen steht fest: Mit all seinen Annehmlichkeiten und erstaunlich auf Sparsamkeit getrimmtem V6- Turbodiesel zeigt der Gladiator, dass artgerecht eingesetzte große Pick-ups selbst in der heutigen Zeit ihre Daseinsberechtigung haben, wenngleich sie mit 77.500 Euro Basispreis kein Schnäppchen unter den Nutzfahrzeugen sind. Die Jeep-Gene müssen sein In dieser Zeit, in der nahezu alle Hersteller ihre Modelle höher legen und damit zumindest optisch fit fürs Grobe machen (oder doch nur Platz fürs Batteriepackage schaffen wollen), mussten die Jeep-Designer und Entwickler in Auburn Hills im US-Bundesstaat Michigan nachschärfen. Um Gelände liebenden Wrangler-Kunden eine weitere, noch größere Variante schmackhaft zu machen, galt es, etwas völlig Eigenständiges und dennoch Robustes zu entwickeln. Sie durften dafür eine 153 cm lange und 1,45 m breite Ladefläche an den allemal schon geräumigen und viertürigen Jeep Wrangler hängen, dem Gladiator mit 25,3 cm noch mehr Bodenfreiheit geben und dabei natürlich weiterhin das Allradsystem mit dicken Reifen verbauen. Und sie versahen den Gladiator mit dem typischen, leicht nach hinten geneigten Seven Slot Grill samt runder Scheinwerfer, langer Haube und extradicker Stoßstange für besseren Luftdurchsatz mit verbreiterten Öffnungen. Ganz nebenbei ist, weil man das abnehmbare Dach der Wrangler-Kabine übernommen hat, der Gladiator der einzige zivile 4x4-Pick-up geworden, der Open-Air-Vergnügen bietet. Bei alledem schwingt Nostalgie und Filmgeschichte mit: Der Ur-Gladiator war ein großer Pritschenwagen auf Basis des Jeep SJ Wagoneer aus den 1960er- und 1970er-Jahren, der mit verschiedenen Radständen nicht nur als Abschleppwagen oder mit Camperaufbau ausgeliefert wurde, sondern auch ab 1969 im vorabendlichen Fernsehprogramm im schwarz- GESTEINS Perspektiven 1 | 2024
PRAXIS 29 UNTERWEGS: Der Jeep Gladiator nimmt mit mehreren Untersetzungen und elektronisch zuschaltbaren Achsen alle Bedingungen unter die Räder. Innere Werte Jeep Gladiator, 3,0 V6 Multijet, automatischer Allradantrieb Motor: 3-l-V6-Dieselmotor, Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie und Ladeluftkühlung Hubraum: 2987 ccm Leistung: 194 kW/264 PS bei 3600 U/min Max. Drehmoment/Drehzahl: 600 Nm bei 1400 bis 2800 U/min Höchstgeschwindigkeit: 177 km/h Beschleunigung: 0–100 km/h in 8,6 s Getriebe: Acht-Stufen-Automatik Kraftstoffverbrauch, Werksangabe: kombiniert zwischen 9,2 und 9,7 l/100 km CO 2 -Emissionen: zwischen 241 und 254,4 g/km L x B x H: 5591 x 1894 x 1843 mm Bodenfreiheit: 253 mm Wattiefe: 760 mm bei bis zu 8 km/h Böschungswinkel vorne/hinten: 42°/25° Leergewicht/zul. Gesamtgewicht: 2495 kg/2925 kg Anhängelast: 2721 kg Bereifung: 255/70 R18 Ladefläche: 1531 x 1442 mm Tankinhalt: 71 l Basispreis: 77.500 Euro, inkl. MwSt. Extras: Sonderlackierungen, Softtop, Offroad-Frontkamera, dreifach zu faltende Ladeabdeckung. Zugelassen als Nutzfahrzeug der Klasse N1 weißen Zebralook für den afrikanischen Dschungeldoktor Daktari über die Steppenpisten hoppelte. Auf der Ladefläche hatten damals der schielende Löwe Clarence und die Schimpansin Judy genügend Platz. Der erste Pick-up der Marke nach der Einstellung des Comanche vor fast 30 Jahren bekam zudem viel „Jeepness“ in Form einer frei auf dem Kotflügel stehenden Stabantenne, robuster Kotflügelverbreiterungen oder den auf Scheiben, Felgen und Karosserie versteckten Eastereggs mit kleinen Willys MB, einem Herz mit der Nummer 419 als Toledos Postleitzahl oder großformatigen Schriftzügen mit auf die Reise. Warum auch immer, führte diese den in den USA als Mid-Size Pick-Up gehandelten Gladiator erst ein paar Jahre nach dem dortigen Verkaufsstart nach Europa und seit 2021 auf Deutschlands Straßen. Wer den hierzulande schon riesigen Gladiator in der etwa mit 18-Zöllern ausgestatteten Overland-Version und auffälligem Feuerwehr-Rot oder in der Farout Edition in High-Velocity-Gelb fährt, sollte eine starke Persönlichkeit und den nötigen Hang zum amerikanischen Lifestyle mitbringen. Wird das leicht demontierbare dreiteilige Hardtop in die gepolsterten Koffer gepackt, setzt das ungefilterte Frischluftvergnügen ein: Sind die Alu-Türen mit dem in einer Box mitgelie- GROSSE KLAPPE HINTEN: Die Ladefläche des Pick-ups ist ausreichend dimensioniert und gegen Kratzer immun. 1 | 2024 GESTEINS Perspektiven
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