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Taxi Times DACH - 4. Quartal 2020

CORONA Mit einem

CORONA Mit einem Brandbrief bittet der Bundesverband die Bundesregierung um schnelle Hilfe für die Taxibranche. DIREKT? INDIREKT? MASSIV! Durch den erneuten Lockdown droht einem Drittel aller Taxiunternehmen das Aus. Unter anderem auch deshalb, weil die Branche durch das Raster bei den staatlichen Hilfen durchrutscht. Dagegen wehrt man sich massiv. DER SUIZID DER MASKENVERWEIGERER Ein Kommentar von Taxi Times-Herausgeber Jürgen Hartmann Der kleine Aufschwung im Sommer, Sie hatten bemängelt, dass Taxifahrer als die Maßnahmen gelockert wurden während der Beförderung keine Maske und das gesellschaftliche Leben wieder tragen würden. ein wenig an Fahrt aufnahm, nährte Es mag viele Begründungen geben, die Hoffnung der Taxiunternehmer, warum sich Taxifahrer*innen scheinbar dass man die Krise noch einigermaßen legitimiert sehen, keinen Mund-Nasenunbeschadet überstehen würde. Doch Schutz zu tragen: beschlagene Brille, dann kam der zweite Lockdown und für eingebauter Trennschutz, unklare die Taxibranche rächte sich, dass man Rechtsvorschriften etc. seit Monaten durch das Raster vieler Doch sie alle zählen staatlicher Hilfsmaßnahmen fällt (siehe NICHTS im Vergleich Beitrag nebenan). zu dem Schaden, Diese Schieflage durch politische den man mit solch Gespräche zu korrigieren, war natürlich einer Haltung auch Aufgabe der Branchenvertreter. verursacht. Hier Doch deren Ressourcen wurden bedauerlicherweise anderweitig gebunden, verbliebenen Fahrgäste werden die wenigen indem man in den Geschäftsstellen vergrault, die wahrscheinlich gerade wegen des vieler Taxiverbände die empörten Anrufe vieler Fahrgäste annehmen musste. Schutzes vor einer möglichen Ansteckung mit dem Taxi anstatt mit dem Bus fahren. Wer also in diesen Zeiten Kunden tatsächlich ohne Maske befördert, begeht Suizid an der eigenen Branche. jh TAXI Zahlen lügen nicht. In Berlin wurden 2020 über eintausend Taxis dauerhaft abgemeldet, in München ebenso viele stillgelegt. Beide Städte stehen exemplarisch für das, was derzeit in der ganzen Republik, in ganz Europa, auf der ganzen Welt passiert: Wo Veranstaltungen abgesagt und Restaurants und Hotels geschlossen werden, leiden auch diejenigen, die für den An- und Abtransport der Menschen zu diesen Veranstaltungen zuständig sind. Bundesweit rechnet der Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM) mit einem Verlust von 12.000 Taxi- und Mietwagenunternehmen und etwa 80.000 Arbeitsplätzen. Mit ein Grund dafür: Die staatlichen Hilfsgelder zur Abmilderung der Pandemie-Folgen greifen beim Taxigewerbe oftmals nicht. Kurzarbeit hat ihre Tücken (siehe Beitrag auf Seite 22). Überbrückungshilfen basieren auf der prozentualen Anrechnung von Betriebskosten, erkennen aber beispielsweise die Tilgungsraten bei der Fahrzeugfinanzierung nicht als förderfähig an. Gerade dies ist aber ein wichtiger Kostenfaktor bei Taxibetrieben. Was für den Geschäftsinhaber die Ladenmiete (förderfähig), ist für den Taxibetrieb sein Fahrzeug. Das Taxigewerbe fordert deshalb seit Monaten, dass diese Ungleichheit aufgehoben wird. Bisher vergeblich. Einzig Baden-Württemberg hat ein individuelles Förderpaket aufgelegt, das speziell Taxiunternehmern die Möglichkeit bietet, ihre Tilgungskosten erstattet zu bekommen. Die bisher fehlende Berücksichtigung von Unternehmerlohn wird erst zum Jahreswechsel endlich korrigiert. Allerdings ist die sogenannte „Neustarthilfe“ auch wieder nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Maximal 5.000 Euro werden damit einmalig ausbezahlt – für einen Zeitraum von sieben Monaten. Das entspricht also einer Summe von 714,29 Euro pro Monat. Damit bleibt die Lage für die Kleinunternehmen im Gewerbe dramatisch, weil der Unternehmer in der Regel selbst Taxi fährt und hiervon mit seiner Familie leben muss. Leider fällt das Taxi auch bei den November-/Dezemberhilfen nahezu vollständig durch das Raster der Antragsberechtigten. Direkt betroffene Betriebe, also solche, die aufgrund der Beschränkungen ihr Geschäft seit November komplett schließen mussten, erhalten 75 Prozent des November- bzw. Dezember-Umsatzes. Auch indirekt betroffene Betriebe können diese Unterstützung beantragen, sofern sie nachweisen, dass 80 Prozent ihrer Umsätze unmittelbar mit den nun geschlossenen Betrieben erzielt werden. Genau dieser Punkt trifft auf die Taxibranche nicht zu, „weil unsere Gäste nicht die geschlossenen Hotels und Restaurants sind, sondern eben deren Gäste sind“, wie es der Bundesverband Taxi und Mietwagen e. V. treffend formulierte. FAZIT: Während andere Bereiche der Mobilität spezifische Hilfen bekommen (Busse, Bahnen, Fahrzeughersteller, Luftfahrt), geht das Taxi- und Mietwagengewerbe weitgehend leer aus. Der BVTM hat deshalb Ende November einen offenen Brandbrief an die beiden Bundesminister Peter Altmaier und Olaf Scholz geschrieben, wenige Tage später ist auch das Münchner/bayerische Taxigewerbe mit einem ähnlichen Schreiben an den Ministerpräsidenten Söder herangetreten. Sie schildern darin die oben beschriebene Insolvenzwelle und zählen die Lücken auf, durch die das Taxigewerbe bei allen aktuellen staatlichen Hilfspaketen durchrutscht. Sie betonen darin die Verlässlichkeit der Taxibranche gerade während der Corona-Pandemie. „Unsere Unternehmen haben umgehend in Hygienemaßnahmen zum Schutz von Fahrgästen und Fahrpersonal investiert und den Dienst als Teil der Daseinsvorsorge trotz der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Herausforderungen aufrechterhalten“, schreibt der BVTM. Und weiter: „Wir arbeiten mit strikten Hygienekonzepten, viele Unternehmen bieten zusätzlich Lieferdienste und sonstige Dienstleistungen an. In Hamburg haben Taxis sogar Dachwerbung mit dem Hashtag ,#stayathome‘ gefahren, um die Maßnahmen zu unterstützen.“ Das Taxigewerbe lebt von der Mobilität der Menschen, kann davon aktuell aber nicht mehr leben. Stellvertretend für die gesamte Branche bitten der Präsident, seine beiden Vizes, der Geschäftsführer und weitere Vorstandsmitglieder deshalb die beiden Minister, das Taxigewerbe in den Blick zu nehmen. Sie erinnern beide Minister an ihre Aussage vom 13. März 2020 während FOTO: Adobe Stock / d1sk FOTO: Aobe Stock / AA+W einer Pressekonferenz. Dort hatten sowohl der Wirtschaftsminister Altmaier als auch der Finanzminister Scholz auch die Taxifahrerinnen und Taxifahrer als Zielgruppe der Hilfen adressiert. Beide Brandbriefe stießen medial auf ein großes Echo. Nahezu sämtliche großen Nachrichtenportale berichteten darüber, was den Druck auf die Politik noch mal verstärken durfte. Ein Druck, der auch von der Straße kommen könnte und sollte. In Berlin beispielsweise haben zwei Taxiunternehmer mittags um 11.55 Uhr ihre Brandbriefe persönlich in den Briefkasten des Bundeswirtschaftsministeriums eingeworfen. Sie fordern darin, dass die November-/Dezemberhilfen explizit auch den Taxiunternehmern als indirekt Betroffene zuerkannt werden. Anschließend sind sie im stillen Protest dreimal um den Block des Ministeriums gefahren. „Wir werden nicht als indirekt Betroffene der Schließungen anerkannt, dabei sind wir nicht nur indirekt, sondern massiv betroffen“, schildert einer der Initiatoren gegenüber Taxi Times. „Im Brief haben wir deshalb angekündigt, dass wir unsere ,5 vor 12‘-Aktion so lange wiederholen, bis sich der Minister zu einer direkten Hilfe durchringt.“ Über soziale Kanäle und auch aufgrund einer Berichterstattung in Taxi Times hatte sich die Aktion langsam herumgesprochen. Dadurch nahmen täglich mehr Unternehmer und Taxifahrer an der Aktion teil und gaben ihre Briefe ab. Mittlerweile taucht jeden Werktag am Ministerium eine zweistellige Anzahl an Taxis auf, deren Fahrer*innen ihren Brandbrief abgeben. Der verbale Druck wird dadurch also visualisiert und könnte eventuell in anderen Städten und Regionen zu ähnlichen Aktionen führen, schließlich werden Corona-Hilfspakete nicht nur von der Bundesregierung, sondern ergänzend dazu auch von den Bundesländern und sogar von den einzelnen Kommunen geschnürt. Bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Ausgabe lag übrigens noch keine Reaktion aus der Politik auf die Brandbriefe vor. Vielleicht haben die Minister ja zu dem Zeitpunkt, in dem dieser Beitrag gelesen wird, bereits reagiert. Falls nicht, ist es dringend nötig, dass die Taxiunternehmer*innen und Fahrer*innen ihren Protest verstärken. jh Sie können es nicht mehr hören? „Wir stehen uns die Reifen eckig und der fährt alles alleine weg!“ Machen Sie endlich was! 22 4. QUARTAL 2020 TAXI TAXI 4. QUARTAL 2020 23

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