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ERFURT HISTORISCH<br />
Allerdings: Vor Empfang des Abzeichens<br />
musste jeder Bettler nachweisen,<br />
dass er »des Bettelns notdürftig« war und<br />
dass er das Vaterunser, das Ave Maria,<br />
das Glaubensbekenntnis und die Zehn<br />
Gebote kannte. Und er brauchte von seinem<br />
Pfarrer die Bescheinigung, dass er<br />
gebeichtet hatte …<br />
Die Regelungen gingen noch weiter:<br />
Wer gesunde Kinder über acht Jahre<br />
hatte, hatte Bettelverbot. Singen und das<br />
Aufsagen von Gedichten auf der Straße<br />
waren untersagt. Erlaubt dagegen: das<br />
Zeigen von wunderlichen Tieren. Nur<br />
arme und kranke Priester durften vor<br />
den Kirchen betteln.<br />
In einem Schreiben der Räte des Erzbischofs<br />
von Mainz an den Rat der<br />
Stadt aus dem Jahr 1459 wurde ein<br />
heikles Problem dokumentiert: In dieser<br />
Ur kunde, die ebenfalls im Stadt archiv<br />
aufbewahrt wird, bitten die Räte aus<br />
Sorge ums Seelenheil der Priester um<br />
Verlegung des Frauen hauses aus der<br />
Gasse neben der Stiftskirche St. Marien<br />
(heute Domstraße).<br />
Geholfen hat es nichts, das Hurenhaus<br />
blieb. Und zu Luthers Zeit gab es<br />
sogar noch ein zweites an der Hühnergasse.<br />
Erfurt sei nichts bessers gewest<br />
dann ein hurhauß und bierhauß und<br />
diese »tzwo lectiones hätten die Studenten<br />
am fleißigsten alda gehoret«, sagte<br />
Luther später. Im Zuge von Luthers<br />
Refor mation wurden beide Häuser<br />
wenige Jahre später geschlossen. Der<br />
Reformator sagte über die Schwächen<br />
der Menschen: »Die Begierde ist nach<br />
der Erfüllung ebenso ungestillt, wie sie<br />
es vorher war.«<br />
Apropos Bierhaus: Wer heute durch<br />
Erfurt geht, dem fallen vielleicht<br />
zwei runde Öffnungen beiderseits<br />
so mancher Haustore auf. Sie waren im<br />
Mittelalter ein Zeichen dafür, dass in diesem<br />
Haus Bier gebraut werden durfte.<br />
Wenn frisches Bier ausgeschenkt wurde,<br />
steckte man in die Löcher Strohwische,<br />
die das symbolisch verkündeten. Außerdem<br />
wurde der Viertelsknecht losgeschickt,<br />
der durch die Straßen lief und<br />
das »junge, gute Bier« ausrief. Es gilt als<br />
sicher, dass auch Luther als Student Bier<br />
geholt und im Collegium (ein Art Studentenwohnheim)<br />
mit seinen Kommilitonen<br />
geteilt hat.<br />
Denn: In den »Statuta et Ordinationes«<br />
des Collegium Amplonianum (damalige<br />
Stiftung zur Versorgung und Förderung<br />
von Studenten der Universität Erfurt)<br />
von 1433, die in 61 Paragraphen das<br />
Leben im Kolleg regeln, ist festgelegt,<br />
dass sowohl zum Prandium (Mittagsmahl-<br />
zeit) wie auch zur Coena (Abendbrot) Bier<br />
aufgetragen werden sollte. Den Brauern<br />
war aufgetragen, »ein schmackhaftes und<br />
hinreichend gehopftes Bier« zu brau en.<br />
Außerhalb der Studenten unter kunft war<br />
der Genuss von Bier und Wein verboten,<br />
Studenten sollten Kneipen und Würfelspiele<br />
meiden. Besonders streng war<br />
verboten, »unzüchtige Frauen einzuführen<br />
und nicht Unzucht geschehe« …<br />
Luthers Denkmal an der Kaufmannskirche.<br />
Luther verlässt Erfurt 1508 zum Studium<br />
der Theologie — Ziel Wittenberg.<br />
1510/11 hält er sich auf einer Romreise<br />
auf, kehrt von dort im März 1511 noch<br />
einmal nach Erfurt zurück und verlässt<br />
die Stadt im Sommer 1511 endgültig<br />
zugunsten von Wittenberg. Nach Erfurt<br />
kommt er später noch mehrmals, doch<br />
stets nur für kurze Zeit. •<br />
Q HENRY KÖHLERT<br />
I STEVE BAUERSCHMIDT<br />
Mehr zu Luther und dem Reformationsjubiläum<br />
unter www.luther2017.de<br />
SWE JOURNAL 01_2017 9