Jörg. Fritzsche Der Abschluss von Verträgen, §§ 145 ff - Ja-Aktuell
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AUFSATZ<br />
AUFSATZ ZIVILRECHT · BGB AT<br />
Prof. Dr. <strong>Jörg</strong> <strong>Fritzsche</strong>, Universität Regensburg*<br />
<strong>Der</strong> <strong>Abschluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Verträgen</strong>, <strong>§§</strong> <strong>145</strong> <strong>ff</strong>. BGB<br />
<strong>Der</strong> <strong>Abschluss</strong> <strong>von</strong> <strong>Verträgen</strong> ist in der marktwirtschaftlichen<br />
Wirtschaftsordnung <strong>von</strong> elementarer Bedeutung. Nicht zuletzt<br />
deshalb zählt er zum Grundwissen, das Jurastudierende bereits<br />
im ersten Semester erlernen und beherrschen müssen.<br />
A. DER VERTRAG: BEGRIFF, FUNKTION, ARTEN<br />
Verträge sind das typische und wirtschaftlich bedeutsamste Mittel<br />
zur Verwirklichung der <strong>von</strong> Art. 2 I GG gewährleisteten Privatautonomie.<br />
Sie dienen der rechtlichen Ordnung zwischenmenschlicher<br />
Beziehungen durch selbstbestimmtes Handeln der<br />
Beteiligten: Durch den <strong>Abschluss</strong> eines Vertrages binden sich die<br />
Parteien wechselseitig; sprachlich stammt das Wort Vertrag <strong>von</strong><br />
»sich vertragen« ab, dadurch wird die erforderliche Einigung der<br />
Parteien signalisiert. Daher erfordert ein Vertrag grundsätzlich<br />
zwei Willenserklärungen der beiden Vertragspartner, die hinsichtlich<br />
des Inhalts der vertraglichen Regelung übereinstimmen und<br />
beide besagen, dass diese Regelung gelten soll. Ein Vertrag ist also<br />
ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, das zu seiner Wirksamkeit<br />
übereinstimmender (kongruenter) Willenserklärungen <strong>von</strong> mindestens<br />
zwei Personen bedarf. Verträge können aber auch <strong>von</strong><br />
mehr als zwei Personen abgeschlossen werden: A, B, C und D<br />
können einen Gesellschaftsvertrags i.S.v. § 705 BGB abschließen<br />
und die Miteigentümer M1 und M2 eine Wohnung an die Eheleute<br />
A und B vermieten.<br />
Verträge gibt es in allen Gebieten des bürgerlichen Rechts.<br />
Zwar dominieren die Verträge des Schuldrechts (z.B. <strong>§§</strong> 433 <strong>ff</strong>.,<br />
535 <strong>ff</strong>., 611 <strong>ff</strong>., 631 <strong>ff</strong>. BGB), doch gibt es auch im Sachen-, Familien-<br />
oder Erbrecht wichtige Verträge (z.B. § 929 S. 1 bzw.<br />
§ 1408 I bzw. § 2274 BGB). Die Vorschriften über den Vertragsschluss<br />
stehen im Allgemeinen Teil des BGB, weil sie für alle<br />
Arten <strong>von</strong> <strong>Verträgen</strong> gelten.<br />
B. ABSCHLUSS UND INHALTSFREIHEIT<br />
Die Privatautonomie ermöglicht es dem Einzelnen, einen Vertrag<br />
abzuschließen. Jeder ist in seiner Entscheidung frei, einen Vertrag<br />
abzuschließen oder nicht (sog. <strong>Abschluss</strong>freiheit). Da<strong>von</strong> gibt es<br />
Ausnahmen, vor allem in speziellen Gesetzen, etwa in § 22 PBefG<br />
für Verkehrsunternehmen oder in <strong>§§</strong> 33 I 1, 19 I GWB für<br />
marktbeherrschende Unternehmen. 1 Die Vertragsfreiheit umfasst<br />
zusätzlich die Ausgestaltung des Vertragsinhalts nach den Vorstellungen<br />
und Bedürfnissen der jeweiligen Parteien (sog. Inhaltsfreiheit).<br />
Auch die Inhaltsfreiheit unterliegt Einschränkungen,<br />
etwa durch <strong>§§</strong> 134, 138, 242, 307 <strong>ff</strong>. BGB sowie Vorschriften<br />
des besonderen Schuldrechts (etwa § 475 BGB).<br />
C. VERTRAGSSCHLUSS: ANTRAG UND ANNAHME<br />
I. Überblick über den Vertragsschluss nach <strong>§§</strong> <strong>145</strong> <strong>ff</strong>. BGB<br />
Im BGB ist der Vertragsschluss in den <strong>§§</strong> <strong>145</strong> <strong>ff</strong>. BGB geregelt.<br />
Ein Vertrag kommt durch zwei inhaltlich übereinstimmende, aufeinander<br />
bezogene Willenserklärungen zustande. Die zeitlich frühere<br />
der beiden notwendigen Willenserklärungen bezeichnet das<br />
Gesetz in § <strong>145</strong> BGB als Antrag; man spricht auch <strong>von</strong> einer O<strong>ff</strong>erte<br />
oder meist <strong>von</strong> einem Angebot. 2 Die zeitlich spätere Erklärung,<br />
die sich auf den Antrag bezieht, nennt man Annahme,<br />
<strong>§§</strong> 147 <strong>ff</strong>. BGB. Welche der Parteien welche Erklärung abgibt, ist<br />
unerheblich.<br />
Entscheidend für den Vertragsschluss ist die Einigung der Beteiligten.<br />
Dieser entscheidende Aspekt ist im Gesetz etwas verborgen,<br />
weil er den Gesetzesverfassern selbstverständlich erschien.<br />
Man kann aber das Erfordernis <strong>von</strong> Antrag und Annahme z.B.<br />
§ 151 S. 1 BGB und die Notwendigkeit ihrer völligen inhalt-<br />
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lichen Übereinstimmung den <strong>§§</strong> 150 II, 154, 155 BGB entnehmen.<br />
Weder Angebot noch Annahme sind für sich allein Rechtsgeschäfte.<br />
Denn sie vermögen die <strong>von</strong> den Parteien gewollten<br />
Rechtsfolgen nur durch ihr Zusammenwirken hervorzubringen.<br />
Antrag und Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen,<br />
auf welche die <strong>§§</strong> 104 – 144 BGB Anwendung finden. Sie<br />
werden also grundsätzlich durch Zugang wirksam und können<br />
nur bis zu ihrem Zugang frei widerrufen werden (vgl. § 130 I<br />
BGB). Ist eine der beiden Erklärungen aus irgendeinem Grunde<br />
unwirksam, so ist damit notwendigerweise der Vertrag als zweiseitiges<br />
Rechtsgeschäft nichtig, so z.B. bei Beteiligung eines Geschäftsunfähigen<br />
am Vertragsschluss wegen § 105 I BGB.<br />
Das Modell des Vertragsschlusses, das die <strong>§§</strong> <strong>145</strong> <strong>ff</strong>. BGB vorgeben,<br />
ist sehr schematisch und passt nur auf einfache Verträge.<br />
Schließen die Parteien einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag<br />
über einen komplizierten Gegenstand ab, also z.B. über die Errichtung<br />
einer großen industriellen Fertigungsanlage, so handeln<br />
sie typischerweise alle möglichen Einzelheiten nacheinander aus.<br />
Erst am Ende kommt es dann zur Willenseinigung, zum Vertragsschluss.<br />
Die Willenserklärungen werden dann unter Umständen<br />
gleichzeitig abgegeben, ohne dass man Antrag und Annahme<br />
noch unterscheiden könnte. Gleichwohl sollten sich insbesondere<br />
Anfänger, die in einer Fallbearbeitung den Vertragsschluss prüfen<br />
müssen, strikt an das Modell <strong>von</strong> Antrag und nachfolgender Annahme<br />
halten, sofern der Sachverhalt einen entsprechenden Austausch<br />
<strong>von</strong> Willenserklärungen erkennen lässt. Ist dagegen <strong>von</strong><br />
einem Vertragsschluss die Rede oder da<strong>von</strong>, dass K <strong>von</strong> V etwas<br />
kauft, entfällt eine nähere Untersuchung.<br />
II. Antrag (<strong>§§</strong> <strong>145</strong>, 146 BGB)<br />
<strong>Der</strong> erste Schritt auf dem Weg zum Vertragsschluss ist das Vertragsangebot<br />
(O<strong>ff</strong>erte), das in § <strong>145</strong> BGB als »Antrag« bezeichnet<br />
wird.<br />
1. Begri<strong>ff</strong> und Inhalt<br />
<strong>Der</strong> Vertragsantrag i.S.v. § <strong>145</strong> BGB ist eine empfangsbedürftige<br />
Willenserklärung, durch die der Erklärende einem anderen den<br />
<strong>Abschluss</strong> eines konkreten Vertrags so anträgt, dass das Zustandekommen<br />
des Vertrages nur noch vom Einverständnis des Empfängers<br />
abhängt. <strong>Der</strong> Antrag wird meist ausdrücklich erklärt; bei<br />
alltäglichen Geschäften kann er aber auch konkludent (stillschweigend)<br />
geäußert werden, etwa durch Vorlage <strong>von</strong> Waren<br />
an der Supermarktkasse.<br />
a) Bestimmtheit<br />
Das Angebot muss inhaltlich so bestimmt sein, dass der Vertrag<br />
durch einfache Zustimmung des Empfängers (»<strong>Ja</strong>, einverstanden.«)<br />
zustande kommen kann. Damit das möglich ist, muss es den wesentlichen<br />
Vertragsinhalt enthalten. Die wesentlichen Bestandteile<br />
des Vertrags, die der Antrag grundsätzlich festlegen muss, nennt<br />
man mit dem Fachausdruck auch »essentialia negotii«.<br />
Beispiel: Erklärt A dem B, er wolle seinen gebrauchten Rasenmäher<br />
verkaufen, reicht das als Vertragsantrag nicht aus, da der Preis<br />
völlig o<strong>ff</strong>en ist.<br />
* <strong>Der</strong> Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht<br />
an der Universität Regensburg.<br />
1 Nachw. und weitere Fälle bei Palandt/Heinrichs BGB, 65. Aufl. 2005, Einf. v. § <strong>145</strong><br />
Rn. 8 <strong>ff</strong>.<br />
2 Das BGB meint damit etwas anderes, vgl. <strong>§§</strong> 293 <strong>ff</strong>. BGB.
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Für den Kaufvertrag bilden – neben den Vertragsparteien, die in<br />
der Regel aufgrund der beginnenden Vertragsverhandlungen feststehen<br />
– Kaufgegenstand und Kaufpreis die essentialia negotii.<br />
Dies ergibt sich aus dem Charakter eines Kaufvertrages, bei dem<br />
ein Austausch <strong>von</strong> Geld gegen Ware stattfindet, vgl. § 433 BGB.<br />
Verallgemeinernd muss das Vertragsangebot also (nur) die für den<br />
jeweiligen Vertrag typischen Hauptleistungen festlegen. Weitere<br />
Einzelheiten, die man in einem Vertrag regeln könnte, wenn man<br />
wollte (z.B. Zahlungsfristen, Haftung für Mängel usw.), sind<br />
dagegen nicht notwendig. Was die Parteien nicht ausdrücklich<br />
regeln, richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften des BGB<br />
oder einer spezielleren Regelung.<br />
Selbst die essentialia negotii muss der Antrag nicht stets ausdrücklich<br />
bestimmen. Es reicht, wenn sie ihm im Wege der Auslegung<br />
zu entnehmen sind und ggf. durch Bezugnahme auf vorherige<br />
Verhandlungen, Kataloge, Preislisten usw. bestimmbar<br />
sind.<br />
Beispiel: A geht in eine Fachbuchhandlung und sagt zur Verkäuferin:<br />
»Ich möchte einen Schönfelder kaufen.« Dadurch wird<br />
der Kaufgegenstand ausdrücklich bezeichnet. <strong>Der</strong> Kaufpreis wurde<br />
nicht ausdrücklich genannt, jedoch ergibt die Auslegung, dass<br />
A zum Ladenpreis kaufen will. Auch dadurch sind die essentialia<br />
negotii im Angebot enthalten.<br />
Beim Dienst-, Werk- und Maklervertrag geht das Gesetz da<strong>von</strong><br />
aus, dass eine fehlende ausdrückliche Vereinbarung über die Entgeltlichkeit<br />
den Vertragsschluss nicht hindert (<strong>§§</strong> 612 I, 632 I,<br />
653 I BGB 3 ) und ggf. der übliche Preis gilt (jeweils Abs. 2). Ebenso<br />
verhält es sich bei Kaufleuten (§ 354 I 1 HGB).<br />
Beispiel: A steigt in ein Taxi und sagt »Zum Bahnhof bitte!« -<br />
<strong>Der</strong> Taxifahrer sagt »OK«. Durch diesen Dialog wird ein Beförderungsvertrag<br />
(Werkvertrag) abgeschlossen. Obwohl über eine<br />
Vergütung nicht gesprochen wurde, schuldet A eine solche nach<br />
Maßgabe des § 632 BGB.<br />
b) Bindungswille und Abgrenzung zur invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum<br />
<strong>Der</strong> Antrag muss – wie jede Willenserklärung – <strong>von</strong> einem<br />
Rechtsbindungswillen getragen sein. <strong>Der</strong> Antragende muss also<br />
den Willen haben, den Vertrag mit dem Inhalt seines Angebots<br />
gelten zu lassen, wenn das Angebot angenommen wird. Ob dies<br />
der Fall ist, ist im Wege der Auslegung der Erklärung des Antragenden<br />
vom objektiven Empfängerhorizont (<strong>§§</strong> 133, 157 BGB)<br />
zu ermitteln.<br />
Liegt aus der Sicht eines objektiven Dritten ein Bindungswille<br />
vor, kann sich der Antragende nicht mehr einseitig <strong>von</strong> seinem<br />
Antrag lösen und demzufolge den Vertragsschluss auch nicht<br />
mehr verhindern. <strong>Der</strong> Wille, sich rechtlich zu binden, fehlt insbesondere<br />
im gesellschaftlichen Bereich (Einladung zu einer Party)<br />
und bei sog. Gefälligkeiten, also z.B. Hilfszusagen unter Bekannten.<br />
Ist die Angelegenheit für eine Partei aber erkennbar besonders<br />
wichtig, kann auch hier ein Rechtsbindungswille anzunehmen<br />
sein. 4<br />
Abzugrenzen ist der bindende Antrag gegenüber einer bloßen<br />
Au<strong>ff</strong>orderung zur Angebotsabgabe (invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum),<br />
bei der der Erklärende sich die Entscheidung über den Vertragsschluss<br />
noch vorbehalten will. Bei der invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum<br />
fehlt dem Erklärenden also noch der Rechtsbindungswille, und<br />
dies ist für den Erklärungsempfänger auch erkennbar. Typische<br />
Fälle einer invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum sind Zeitungsanzeigen und<br />
sonstige Werbemaßnahmen, Übersendung <strong>von</strong> Katalogen oder<br />
Preislisten, Auslagen in Schaufenstern, Homepages mit Bestellmöglichkeit<br />
im Internet, Verkaufssendungen im Fernsehen, Speisekarten<br />
im Restaurant.<br />
Beispiel: A schaltet in der Lokalzeitung eine Kleinanzeige: »Verkaufe<br />
Polo GTI, Bj. 2005, 150 PS, schwarz, Alu, Spoiler,<br />
12.500 E.«<br />
Obwohl Kaufgegenstand und Preis genau bestimmt sind, kann A<br />
– für den Leser erkennbar – nicht den Willen haben, sich damit<br />
bereits zu binden. Denn andernfalls käme ein Kaufvertrag mit jedem<br />
zustande, der den A anruft und erklärt, den Golf zu den angegebenen<br />
Konditionen kaufen zu wollen. Die Konsequenz wäre<br />
der <strong>Abschluss</strong> mehrerer Verträge, <strong>von</strong> denen A aber nur einen<br />
erfüllen könnte; gegenüber den anderen Käufern würde er sich<br />
zwangsläufig nach <strong>§§</strong> 280 <strong>ff</strong>. BGB schadensersatzpflichtig machen.<br />
Da<strong>von</strong> abgesehen will der Inserent bzw. Werbende sich<br />
im Zweifel die Person des Vertragspartners aussuchen können, etwa<br />
im Hinblick auf die Zahlungsfähigkeit. Das mag ein weiteres<br />
Beispiel illustrieren:<br />
Beispiel: V inseriert in der Zeitung: 5 ZKB, 143 m 2 , EG, Terrasse,<br />
TG-Stellplatz, ab sofort zu vermieten, 1.000 E zzgl. NK,<br />
Hzg.<br />
Hier wird V wahrscheinlich nur an einen zahlungskräftigen Interessenten<br />
vermieten wollen, um die Miete regelmäßig und<br />
pünktlich zu erhalten. Daher liegt kein Antrag, kein Angebot<br />
im Rechtssinne vor, obwohl man im allgemeinen Sprachgebrauch<br />
durchaus <strong>von</strong> einem »Angebot« sprechen würde. Typischerweise<br />
richten sich solche Fälle einer invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum an einen<br />
unbeschränkten Personenkreis. Dann stehen zugleich meist einzelne<br />
essentialia negotii nicht fest, wie etwa der Vertragspartner<br />
oder die konkrete Menge, die gekauft werden soll. Es ist aber auch<br />
möglich, einzelne Personen, z.B. Händler oder Bauunternehmer,<br />
gezielt um die Abgabe <strong>von</strong> Angeboten zu bitten; auch darin liegt<br />
eine invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum.<br />
c) Angebot ad incertas personas<br />
Man kann aber auch echte Angebote an einen unbestimmten<br />
Personenkreise richten (o<strong>ff</strong>erta ad incertas personas):<br />
Beispiel: In der CafØteria der Universität stehen Warenautomaten,<br />
an denen man Getränke, Schokoriegel und Eis kaufen kann.<br />
<strong>Der</strong> Kunde kann die darin enthaltenen Waren erkennen und<br />
durch Bedienung des Automaten und Geldeinwurf erreichen,<br />
dass er das gewünschte Produkt erhält (näher unten IV.4.).<br />
Hier bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Automatenaufsteller<br />
noch die letzte Entscheidung vorbehalten wollte, ob ein<br />
Vertrag zustande kommt. Insbesondere ist ihm auch die Person des<br />
Vertragspartners gleichgültig. Ebenso verhält es sich etwa bei Fahrkartenautomaten.<br />
Solche Angebote ad incertas personas können<br />
unter Vorbehalte gestellt, an Bedingungen geknüpft werden.<br />
2. Wirkungen des Antrags: Bindung<br />
Im Interesse des Angebotsempfängers bestimmt § <strong>145</strong> BGB, dass<br />
der Antragende an seinen Antrag gebunden ist und sich ohne<br />
Zustimmung des Empfängers (Privatautonomie) nicht mehr einseitig<br />
<strong>von</strong> ihm lösen kann. Diese Bindung tritt mit dem Zugang des<br />
Antrags ein; bis dahin kann der Antragende sein Angebot gem.<br />
§ 130 I 2 BGB frei widerrufen, sofern das für die Übermittlung der<br />
Willenserklärung gewählte Medium dies überhaupt zulässt.<br />
<strong>Der</strong> Empfänger eines Vertragsangebots erhält eine für ihn günstige<br />
Rechtsposition. Daher kann der Antrag gem. § 131 II 2 BGB<br />
auch einem beschränkt Geschäftsfähigen ohne weiteres zugehen.<br />
3 Bei Maklerverträgen <strong>von</strong> den Umständen abhängig, vgl. BGH NJW 2005, 3779.<br />
4 Vgl. BGHZ 21, 102 (106 f.); 56, 204 (210). – Zur Fallbearbeitung s. <strong>Fritzsche</strong> Fälle zum<br />
BGB AT, 2. Aufl. 2006, Fall 2.<br />
10/2006 675<br />
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Denn nach dem Zugang des Antrags hängt es allein vom Willen<br />
seines Empfängers ab, ob der Vertrag zustande kommt oder nicht.<br />
<strong>Der</strong> Antragsempfänger hat also eine rechtlich gesicherte Erwerbschance.<br />
Man charakterisiert seine Rechtsposition häufig als Option<br />
oder Vertragsanwartschaft. 5 Innerhalb der Annahmefrist<br />
(<strong>§§</strong> 146 <strong>ff</strong>. BGB) kann der Empfänger konkurrierende Angebote<br />
sondieren und sich für das günstigste entscheiden.<br />
3. Ausschluss der Bindung, § <strong>145</strong> BGB a.E.<br />
Nach § <strong>145</strong> BGB a.E. kann der Antragende seine Bindung an den<br />
Antrag ohne weiteres ausschließen. Ein solcher Vorbehalt muss<br />
im Antrag enthalten sein oder zumindest gleichzeitig mit dem<br />
Antrag zugehen (Rechtsgedanke des § 130 I 2 BGB). Dies geschieht<br />
typischerweise durch Klauseln wie »freibleibend«, »ohne<br />
obligo«, »Zwischenverkauf vorbehalten« usw. Die genaue rechtliche<br />
Bedeutung eines solchen Vorbehalts lässt sich nicht allgemein<br />
festlegen; sie ist vielmehr im Einzelfall durch Auslegung zu<br />
ermitteln. 6 Deshalb ist die Rechtsprechung zu solchen Klauseln<br />
nicht völlig einheitlich: 7<br />
So kann ein »freibleibendes« Angebot bedeuten, dass der Vertragsschluss<br />
<strong>von</strong> der Zustimmung des Antragenden abhängen soll;<br />
dann liegt kein Angebot, sondern nur eine invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum<br />
vor, die den Antragenden allerdings verpflichtet, der »Annahme«<br />
unverzüglich zu widersprechen, um einen Vertragsschluss<br />
zu vermeiden. 8 Dies scheidet aber aus, wenn dem freibleibenden<br />
Angebot bereits eine invitatio seines Empfängers vorangegangen<br />
war. 9 Das »freibleibende Angebot« kann auch einen Widerrufsvorbehalt<br />
beinhalten, der es dem Antragenden ermöglicht, seinen<br />
Antrag auch noch nach dessen Zugang beim Empfänger zu<br />
widerrufen; dabei ist umstritten, ob ein Widerruf nur bis zum Zugang<br />
einer Annahmeerklärung oder auch noch unverzüglich danach<br />
möglich ist. 10 Die erkennbare Interessenlage des Antragenden,<br />
der eine endgültige Bindung ausschließen wollte, spricht für<br />
letzteres. Auch eine gravierende ¾nderung der tatsächlichen Verhältnisse<br />
kann bei einem längerfristig bindenden Antrag analog<br />
§ 313 BGB die Bindung entfallen lassen.<br />
4. Erlöschen des Antrags<br />
In der Regel will der Antragende nicht »bis in alle Ewigkeit« an<br />
seinen Antrag gebunden sein, sondern in absehbarer Zeit Gewissheit<br />
erlangen, ob es zum <strong>Abschluss</strong> mit dem Angebotsempfänger<br />
kommt oder nicht, damit er ggf. einen anderen Vertragspartner<br />
suchen kann. Daher muss die Bindung an den Antrag zu einem<br />
Zeitpunkt enden, der auch für den Empfänger erkennbar sein<br />
sollte. In der Fallbearbeitung erörtert man diese Aspekte übrigens<br />
bei der Annahme.<br />
a) Erlöschen durch Ablehnung, <strong>§§</strong> 146 Alt. 1, 150 II BGB<br />
Ein Angebot erlischt gem. § 146 Alt. 1 BGB, wenn es abgelehnt<br />
wurde. Die Ablehnung ist ihrerseits eine einseitige empfangsbedürftige<br />
Willenserklärung (sinngemäßes »NEIN!«).<br />
Wichtig und stets zu beachten ist, dass nach § 150 II BGB auch<br />
eine »Annahme« unter Erweiterungen, Einschränkungen oder<br />
sonstigen ¾nderungen als Ablehnung des Antrags gilt, verbunden<br />
mit einem neuen Angebot. Daher bedeutet bei Vertragsverhandlungen<br />
jeder neue Vorschlag, jede noch so kleine Abweichung<br />
vom Antrag dessen Ablehnung und gleichzeitig ein neues Angebot.<br />
<strong>Der</strong> Antrag, welcher den Vertragsinhalt festlegt, ergibt sich<br />
erst am Ende der Vertragsverhandlungen.<br />
Beispiel: A bietet dem B einen gebrauchten Pkw zum Preis <strong>von</strong><br />
15.000 E an. B sagt: »Einverstanden, aber ich will in zehn Raten<br />
zahlen.« A verlangt eine Anzahlung <strong>von</strong> 5.000 E und monatliche<br />
Raten <strong>von</strong> 1.000 E. B will nur 4.000 E an- und monatlich 500 E<br />
zahlen. A will 500 E im Monat nur akzeptieren, wenn die Anzahlung<br />
5.000 E beträgt. B ist einverstanden.<br />
676 10/2006<br />
Hier lehnt zunächst B gem. § 150 II BGB das Angebot des A ab,<br />
weil er die Abrede mit A um die Ratenzahlung erweitert hat. Dieser<br />
neue Antrag erleidet dasselbe Schicksal usw. Nur die Annahme<br />
des B am Ende ohne weitere ¾nderung stellt eine Annahme im<br />
Rechtssinne dar, die zum Vertragsschluss führt.<br />
b) Erlöschen durch Ablauf der Annahmefrist, <strong>§§</strong> 146 Alt. 2,<br />
150 I BGB<br />
Nach § 146 Alt. 2 BGB erlischt der Antrag auch, wenn er nicht<br />
rechtzeitig angenommen wird. Denn der Rechtsverkehr verlangt<br />
nach baldiger Rechtssicherheit. Immerhin gilt eine verspätete Annahme<br />
nach § 150 I BGB als neuer Antrag, so dass der ursprünglich<br />
Antragende entscheiden kann, ob er den Vertrag doch noch<br />
schließen will.<br />
Die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme wird im Gesetz auf<br />
zwei Wegen geregelt: <strong>Der</strong> Antragende kann nach § 148 BGB dem<br />
Angebotsempfänger eine Frist zur Annahme setzen (Privatautonomie!).<br />
Dann kann der Antrag nur innerhalb dieser Frist angenommen<br />
werden. Hat der Antragende keine Annahmefrist bestimmt,<br />
so legt das Gesetz sie fest: Nach § 147 I 1 BGB kann ein Angebot<br />
unter Anwesenden nur sofort angenommen werden, also ohne<br />
jegliches Zögern (im Gegensatz zu »unverzüglich« i.S.v. § 121 I 1<br />
BGB). Bei einem direkten Gespräch kann man eine sofortige Antwort<br />
erwarten; notfalls kann der Angebotsempfänger um die Gewährung<br />
einer Annahmefrist nach § 148 BGB bitten. Als Angebot<br />
unter Anwesenden gilt auch ein Angebot über Telefon oder<br />
eine sonstige technische Einrichtung (§ 147 I 2 BGB).<br />
Gem. § 147 II BGB kann ein Angebot unter Abwesenden nur<br />
bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, bis zu dem der Antragende<br />
die Annahme erwarten durfte. Die Dauer dieser Frist<br />
lässt sich pauschal nicht festlegen; sie hängt <strong>von</strong> drei Faktoren ab,<br />
nämlich (1) der Dauer für den Transport des Antrags zu seinem<br />
Empfänger, (2) einer angemessenen Überlegungsfrist des Empfängers<br />
und (3) der Dauer für den (Rück-)Transport der Antwort.<br />
Die Übermittlungsdauer hängt naturgemäß stark vom gewählten<br />
Übermittlungsmedium ab. Bei der postalischen Übermittlung<br />
liegt sie bei ein bis drei Tagen, beim Telefax in der reinen Übertragungszeit.<br />
Bei E-Mails wird man wenige Stunden annehmen<br />
müssen, da es erfahrungsgemäß zu serverbedingten Verzögerungen<br />
kommen kann. Für die Übermittlung der Antwort ist grundsätzlich<br />
<strong>von</strong> derselben Übermittlungstechnik auszugehen. Auch<br />
die Überlegungsfrist des Empfängers, ob er den Antrag annehmen<br />
will oder nicht, hängt <strong>von</strong> den Umständen ab, insbesondere der<br />
Eiligkeit oder Wichtigkeit der Angelegenheit. Sie beträgt in der<br />
Regel jedenfalls mehrer Tage, ist aber bei wirtschaftlich bedeutsamen<br />
und/oder komplizierten Vertragsgegenständen meist länger<br />
(Kauf eines Hauses, Bau eines Großprojektes). Sie kann bei<br />
Eilbedürftigkeit wegen der Umstände (verderbliche Ware, Saisonartikel)<br />
oder bereits länger dauernden Vertragsverhandlungen<br />
kürzer sein.<br />
Letztlich kann man nur sagen, dass die gesetzliche Annahmefrist<br />
bei nicht besonders wichtigen Geschäften kaum unter einer<br />
Woche liegen wird. Wer der Ungewissheit ausweichen will, sollte<br />
eine (vertragliche) Annahmefrist bestimmen.<br />
c) Folgen des Erlöschens des Angebots; Klausuraufbau<br />
Erlischt ein Angebot nach § 146 BGB, entfällt seine Bindungswirkung<br />
und damit die Möglichkeit seiner Annahme. Obwohl<br />
5 Vgl. Bork AT, 2. Aufl. 2006, Rn. 723 <strong>ff</strong>.; Köhler AT, 29. Aufl. 2005, § 15 Rn. 14; Larenz/<br />
Wolf AT, 9. Aufl. 2004, § 29 Rn. 42 f.<br />
6S.Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 13; MüKo/Kramer BGB, 4. Aufl. 2001, § <strong>145</strong> Rn. 7 m.w.N.<br />
7 Vgl. BGH NJW 1984, 1885 f., aber auch NJW 1996, 919 (920).<br />
8 S. RGZ 102, 227 (229 f.); BGH NJW 1984, 1885 m.w.N.; Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 13;<br />
Staudinger/Bork BGB (Neubearb. 2003), § <strong>145</strong> Rn. 30.<br />
9 BGH NJW 1984, 1885 f.; s.a. <strong>Fritzsche</strong> (Fn. 4) Fall 9.<br />
10 Faust AT, 1. Aufl. 2005, § 3 Rn. 9; Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 13.
AUFSATZ ZIVILRECHT · BGB AT<br />
das Gesetz diese Fragen in § 146 BGB der Bindung an den Antrag<br />
zuweist, spricht man sie in der Fallbearbeitung besser erst bei<br />
der Annahme an. Sonst müsste man die Annahme und z.B. ihre<br />
Rechtzeitigkeit in den Antrag hineinprüfen. Das wäre zwar nicht<br />
falsch, würde die Lösung aber unübersichtlich machen. Außerdem<br />
gilt eine dennoch erklärte Annahme nach § 150 BGB als<br />
neuer Antrag, dessen Annahme man sogleich untersuchen kann.<br />
d) Geschäftsunfähigkeit und Tod des Antragenden<br />
<strong>Der</strong> Tod und der Verlust der Geschäftsfähigkeit des Antragenden<br />
berühren die Wirksamkeit des Antrags gem. § 130 II BGB nicht<br />
und führen gem. § 153 BGB auch nicht zu seinem Erlöschen.<br />
Nach dem Tod des Antragenden kann der Antrag durch Erklärung<br />
gegenüber dessen Erben, die gem. § 1922 I BGB vollständig<br />
in die Rechtsposition des Erblassers eintreten, angenommen werden.<br />
Das gilt gem. § 153 BGB a.E. aber nur, wenn sich aus dem<br />
Antrag kein anderer Wille des Antragenden ergibt. Da sich der<br />
Antragende über die Umstände Tod und Geschäftsunfähigkeit<br />
regelmäßig keine Gedanken macht, ist sein hypothetischer Wille<br />
zu ermitteln (ergänzende Auslegung). Im Regelfall ist <strong>von</strong> der<br />
Fortdauer der Wirksamkeit des Antrags auszugehen, es sei denn,<br />
die Person des Antragenden war für die Vertragsdurchführung<br />
erkennbar wichtig oder die Leistung des Empfängers war für den<br />
persönlichen Bedarf des Antragenden bedacht (Zahnprothese,<br />
Lesebrille).<br />
III. Annahme<br />
1. Begri<strong>ff</strong> und Inhalt<br />
Die Annahme ist eine Willenserklärung, durch die der Antragsempfänger<br />
dem Antragenden sein Einverständnis mit dem Vertragsangebot<br />
zu verstehen gibt. Sie ist grundsätzlich empfangsbedürftig,<br />
so dass sie nach § 130 BGB mit ihrem Zugang wirksam<br />
wird, wenn der Annehmende sie nicht bis dahin einseitig widerrufen<br />
hat.<br />
Inhaltlich muss die Annahmeerklärung mit dem Antrag übereinstimmen,<br />
ihn uneingeschränkt akzeptieren. Außerdem muss<br />
sie sich auf den Antrag beziehen. Senden A und B einander zufällig<br />
zeitgleich sich inhaltlich deckende Vertragsangebote, so wird<br />
dadurch allein kein Vertrag geschlossen, weil niemand den Antrag<br />
des anderen annimmt. <strong>Der</strong> Vertrag ist hier aber dennoch geschlossen,<br />
wenn die Parteien den Vertrag auf der Grundlage ihrer<br />
Schreiben durchführen (erfüllen). Dann liegt in der ersten Erfüllungshandlung<br />
die konkludente Annahme des gegnerischen Angebots.<br />
2. Annahmemodalitäten<br />
Wie bereits gesehen, kann der Antragende für die Annahme seines<br />
Antrags eine Frist nach § 148 BGB setzen. Er kann – Privatautonomie<br />
– auch weitere Annahmemodalitäten festlegen, z.B. dass<br />
die Annahme nur persönlich ihm gegenüber oder nur mittels eingeschriebenen<br />
Briefs etc. erfolgen kann. <strong>Der</strong> Antragende kann die<br />
Annahmemodalitäten aber nicht nur erschweren, sondern auch<br />
erleichtern.<br />
3. Schweigen auf den Vertragsantrag<br />
Die Annahmeerklärung erfordert eine Zustimmung zum Angebot.<br />
An einer Zustimmung fehlt es grundsätzlich, wenn der Angebotsempfänger<br />
auf das Angebot lediglich schweigt, nicht reagiert.<br />
Denn das Schweigen ist nach allgemeinen Grundsätzen<br />
keine Willenserklärung. Daran kann auch der Antragende nichts<br />
ändern: Sendet ein Unternehmer jemandem unbestellte Ware zu,<br />
kommt allein dadurch kein Vertrag zustande, selbst wenn in<br />
einem Begleitschreiben steht, die Nichtrücksendung werde als<br />
Annahmeerklärung gewertet. Dieses Ergebnis ist für das Verhältnis<br />
<strong>von</strong> Unternehmern zu Verbrauchern in § 241a I BGB klar-<br />
gestellt; die Norm schließt darüber hinaus auch gesetzliche Ansprüche<br />
auf Herausgabe oder Schadensersatz usw. aus.<br />
Das Schweigen kann aber als Annahme zu werten sein, wenn<br />
die Parteien zueinander in Geschäftsbeziehungen stehen und auf<br />
einen Antrag der einen Partei die andere bislang Lieferungen<br />
kommentarlos ausgeführt hat. Dann besteht eine Obliegenheit,<br />
dem Vertragsschluss zu widersprechen. Auch messen einige gesetzliche<br />
Vorschriften dem Schweigen die Bedeutung einer Annahme<br />
bei, z.B. § 516 II 2 BGB für vollzogene Schenkungen und<br />
§ 362 HGB beim Schweigen eines Kaufmanns auf bestimmte Anträge.<br />
Im Handelsrecht kann aber auch beim Schweigen auf ein<br />
kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das das Ergebnis zuvor<br />
geführter Vertragsverhandlungen ohne böswillige Abweichungen<br />
zusammenfasst, zum Vertragsschluss führen. 11 Die Einzelheiten<br />
dazu gehören zum Sto<strong>ff</strong> des Handelsrechts.<br />
4. Ausnahme <strong>von</strong> der Empfangsbedürftigkeit<br />
Auf den ersten Blick scheint auch § 151 S. 1 BGB einen Fall des<br />
Schweigens auf den Vertragsantrag zu regeln, doch ist in Wirklichkeit<br />
nur der Wortlaut missglückt. 12 Nach § 151 S. 1 BGB<br />
kann der Zugang der Annahmeerklärung beim Vertragsschluss entbehrlich<br />
sein, weil er entweder nach einer Verkehrssitte nicht erwartet<br />
wird oder weil der Antragende darauf verzichtet hat. Es ist<br />
also nicht die Annahme als solche entbehrlich, sondern nur der<br />
Zugang der Annahmeerklärung. Hauptschulbeispiel für die Entbehrlichkeit<br />
kraft Verkehrssitte ist die Reservierung eines Hotelzimmers<br />
per Brief oder Telefax: Hier bietet der »Reservierende«<br />
den <strong>Abschluss</strong> eines Übernachtungsvertrages an und erwartet<br />
keine Bestätigung. Es reicht also aus, wenn der Hotelier dem<br />
Wunsch entspricht und die Reservierung einträgt. Darin liegt<br />
die objektiv feststellbare Annahmehandlung, die auch beim Vertragsschluss<br />
über § 151 BGB erforderlich bleibt. 13 Auch bei einer<br />
Bestellung im Versandhandel wird grundsätzlich keine Annahmeerklärung<br />
vor Zusendung der Ware erwartet. Außerdem ist der<br />
Zugang der Annahmeerklärung kraft Verkehrssitte entbehrlich<br />
bei Vertragsanträgen, die für den Empfänger lediglich vorteilhaft<br />
sind, z.B. die Übersendung einer Bürgschaftserklärung durch den<br />
Bürgen an den Gläubiger als Antrag auf <strong>Abschluss</strong> eines Bürgschaftsvertrags<br />
i.S.v. § 765 BGB oder einer Erlasserklärung des<br />
Gläubiger an den Schuldner als Antrag auf <strong>Abschluss</strong> eines Erlassvertrags<br />
i.S.v. § 397 BGB, nicht aber der Erlassantrag des<br />
Schuldners an den Gläubiger, weil dieser seine Forderung verliert.<br />
14 Gleichwohl bedarf es stets einer feststellbaren Annahmehandlung,<br />
also z.B. der Veranlassung der Warenlieferung, Ablage<br />
der Bürgschaftserklärung, Gebrauchs- und Aneignungshandlungen<br />
usw.<br />
Hinsichtlich der Annahmefrist gilt in diesen Fällen die Sonderregelung<br />
des § 151 S. 2 BGB; die Annahmefrist bestimmt sich<br />
nach dem (hypothetischen) Willen des Antragenden.<br />
Auch im Falle ihrer notariellen Beurkundung ist die Annahmeerklärung<br />
gem. § 152 BGB nicht empfangsbedürftig.<br />
5. Wirkung der (rechtzeitigen uneingeschränkten) Annahme<br />
Entspricht die rechtzeitige Annahmeerklärung inhaltlich dem Angebot,<br />
so ist der Vertrag mit Zugang der Annahme geschlossen.<br />
Enthält die Annahme ¾nderungen, so gilt sie als Ablehnung,<br />
verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 II BGB). Auch die<br />
verspätet zugehende Annahmeerklärung gilt gem. § 150 I BGB als<br />
neuer Antrag. In beiden Fällen kommt es nur zum Vertragsschluss,<br />
wenn der Antragende das neue Angebot annimmt.<br />
11 Vgl. BGH NJW-RR 2001, 680 m.w.N.<br />
12 Vgl. Palandt/Heinrichs (Fn. 1) § 151 Rn. 1, 2b m.w.N.<br />
13 BGHZ 74, 352 (356); 111, 97 (101).<br />
14 BGH NJW 1997, 2233; 2001, 2324 f. m.w.N.<br />
10/2006 677<br />
AUFSATZ
AUFSATZ<br />
AUFSATZ ZIVILRECHT · BGB AT<br />
6. Vertragsschluss trotz verspäteter Annahme<br />
Nach Ablauf der Annahmefrist ist der Antrag erloschen und ein<br />
Vertragsschluss ohne Willen des Antragenden nicht mehr möglich.<br />
Diesen in § 150 I BGB statuierten Grundsatz schränkt § 149<br />
BGB im Interesse des Annehmenden ein,<br />
n wenn der Annehmende die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesendet<br />
hat,<br />
n die Verspätung auf einer unregelmäßigen Beförderung beruht<br />
und<br />
n der Antragende dies erkennen musste (z.B. Poststempel, bekannter<br />
Streik).<br />
Beispiel: K erhält <strong>von</strong> V bis zum 30.11. »Bedenkzeit«. Er schickt<br />
seine Annahmeerklärung am 27.11. per Brief ab, doch erreicht<br />
der Brief mit dem Poststempel des 27.11. den V erst am 2.12. V<br />
wirft ihn in den Papierkorb. Am 6.12. verlangt K <strong>von</strong> V Vertragserfüllung.<br />
Für diesen Fall verpflichtet § 149 S. 1 BGB den Antragenden<br />
zunächst nur, dem Annehmenden die Verspätung unverzüglich<br />
(§ 121 I 1 BGB) nach Empfang der Erklärung anzuzeigen. Unterlässt<br />
er dies, so gilt nach § 149 S. 2 BGB die Annahme als nicht<br />
verspätet. Über diese gesetzliche Fiktion kommt es trotz der<br />
<strong>§§</strong> 146, 150 I BGB noch zum Vertragsschluss. Ohne § 149<br />
S. 2 BGB könnte der Annehmende lediglich nach § 280 I BGB<br />
Ersatz der Schäden verlangen, die er aufgrund der Verletzung der<br />
Pflicht nach § 149 S. 1 BGB aus dem Vertragsverhandlungsverhältnis<br />
(§ 311 II Nr. 1 BGB) und durch sein Vertrauen auf den<br />
Vertragsschluss erlitten hat.<br />
IV. Sonderfälle des Vertragsschlusses<br />
In Sonderfällen kann der Vertragsschluss aber auch anders ablaufen.<br />
Im Folgenden seien einige der wichtigsten Fälle genannt.<br />
1. Sonderregeln für den Vertragsschluss<br />
Sonderregelungen sieht das Gesetz für Versteigerungen vor. Gem.<br />
§ 156 BGB 15 gibt der Bieter das Angebot (Gebot) ab, welches<br />
durch den Zuschlag angenommen wird. <strong>Der</strong> Zuschlag ist eine<br />
nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. 16 Ein Gebot erlischt<br />
außerdem durch Übergebot. – Zum Schweigen und den <strong>§§</strong> 151,<br />
152 BGB oben.<br />
2. Faktische Verträge und sozialtypisches Verhalten<br />
Früher hat man diskutiert, ob bei Massengeschäften des täglichen<br />
Lebens (Bus- und Bahnfahrten, Parkplatzbenutzung) und der Inanspruchnahme<br />
<strong>von</strong> Versorgungsleistungen (Energie und Wasser)<br />
Verträge ohne Willenserklärungen zustande kommen, weil die<br />
Parteien sich eines Vertragsschlusses nicht aktuell bewusst seien.<br />
Man sprach <strong>von</strong> »faktischen <strong>Verträgen</strong>«, später vom Vertragsschluss<br />
durch sozialtypisches Verhalten. 17 Diese Diskussion ist<br />
an sich überholt, da seit langem weitgehende Einigkeit darüber<br />
besteht, dass man auch solche Vorgänge in der Regel mit Angebot<br />
und Annahme erklären kann: 18 Lässt ein Verkehrsunternehmen<br />
einen Bus an der Haltestelle halten, so bedeutet dies einen Antrag<br />
an die unbestimmte Vielzahl der dort wartenden Personen, gegen<br />
Bezahlung des tariflichen Entgelts einen Beförderungsvertrag zu<br />
einem vom Kunden zu wählenden Ziel abzuschließen. Das Einsteigen<br />
führt dann zum <strong>Abschluss</strong> des Vertrages. ¾hnlich verhält<br />
es sich grundsätzlich bei der Inanspruchnahme <strong>von</strong> Versorgungsleistungen<br />
(Energie, Wasser) durch einen Endkunden (z.B. Mieter),<br />
sofern das Versorgungsunternehmen nicht bereits mit einem<br />
Dritten (Vermieter) einen Versorgungsvertrag geschlossen hat. 19<br />
Probleme ergeben sich, wenn eine Partei gleichzeitig erklärt, zu<br />
den »üblichen« Bedingungen der anderen Partei keinen Vertrag<br />
abschließen zu wollen, die Leistung aber gleichwohl in Anspruch<br />
nimmt. So verhielt es sich im berühmten Hamburger Parkplatz-<br />
678 10/2006<br />
fall, wo ein Autofahrer einen ö<strong>ff</strong>entlichen Parkplatz benutzte, aber<br />
beim Einfahren ausdrücklich erklärte, für die Nutzung kein Entgelt<br />
entrichten zu wollen. 20 Von der h.M. wird ein solcher Widerspruch<br />
als ein nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unbeachtlicher<br />
Vorbehalt angesehen. 21 Nach der Mindermeinung darf<br />
man den tatsächlich geäußerten Willen aber nicht einfach ignorieren,<br />
so dass kein Vertrag zustande kommt und die ausgetauschten<br />
Leistungen nach § 812 I 1 Alt. 1 i.V.m. § 818 BGB herauszugeben<br />
sind, 22 was bei marktgängigen Leistungen wirtschaftlich<br />
meist zu keinem abweichenden Ergebnis führt. Die neuere Rechtsprechung<br />
des BGH scheint eher zur letztgenannten Lösung zu<br />
tendieren. 23<br />
3. Vertragsschluss im Selbstbedienungsladen<br />
Heftig umstritten ist auch der Ablauf des Vertragsschlusses in<br />
Geschäften mit Selbstbedienung.<br />
Beispiel: A nimmt im Supermarkt S eine Packung Ka<strong>ff</strong>ee, die<br />
mit 3,29 E ausgezeichnet ist, aus dem Regal. Als die Kassiererin K<br />
den Strichcode einscannt, zeigt die Kasse 3,99 E an. A protestiert<br />
und will nur 3,29 E bezahlen. K räumt die Falschauszeichnung<br />
ein, verlangt aber 3,99 E.<br />
<strong>Der</strong> Antrag könnte bereits darin liegen, dass der Betreiber des<br />
Supermarktes in seinem Geschäft mit Preisen ausgezeichnete<br />
Waren bereit hält, welche die Kunden zur Kasse tragen können.<br />
Kaufsache und Preis stehen also fest. Entscheidend ist, ob sich der<br />
SB-Markt-Betreiber aus der Sicht eines objektiven vernünftigen<br />
Kunden (<strong>§§</strong> 133, 157 BGB) bereits durch die Warenauslage<br />
binden will. Eine im Vordringen begri<strong>ff</strong>enen Ansicht bejaht dies,<br />
weil kein schutzwürdiges Interesse des SB-Markt-Betreibers erkennbar<br />
sei, sich nicht zu binden. Denn die Kunden könnten<br />
Verträge nur über die vorhandenen Waren zustande bringen.<br />
Daher liege ein annahmefähiger Antrag i.S.v. § <strong>145</strong> BGB vor. 24<br />
Annahme und Vertragsschluss erfolgen dadurch, dass der Kunde<br />
die Ware an der Kasse zur Zahlung vorlegt, weil er sie nach der<br />
Verkehrsanschauung vorher noch zurückstellen darf. 25<br />
Die zutre<strong>ff</strong>ende, überwiegende Au<strong>ff</strong>assung sieht die Warenauslage<br />
mit Preisauszeichnung in Selbstbedienungsläden nur als invitatio<br />
ad o<strong>ff</strong>erendum an. 26 Zwar besteht in einem SB-Geschäft<br />
keine Gefahr der Mehrfachverpflichtung, doch dürfte der Durchschnittskunde<br />
da<strong>von</strong> ausgehen, dass sich der Ladeninhaber mit<br />
der Auslage noch nicht binden will. Es ist ersichtlich, dass der Ladenbetreiber<br />
den Vertragsschluss etwa im Falle der falschen Preisauszeichnung<br />
noch verhindern können will, ohne den Vertrag<br />
nach § 119 BGB anfechten 27 und dem Kunden ggf. nach § 122<br />
BGB den Vertrauensschaden ersetzen zu müssen. Gleiches gilt für<br />
15 Zu den historischen Hintergründen Rüfner JZ 2000, 715 (716).<br />
16 BGHZ 138, 339 (342).<br />
17 BGHZ 21, 319 (333 <strong>ff</strong>.) m.w.N.; 23, 175 (177 <strong>ff</strong>.); 132, 198 (200) m.w.N.; Larenz NJW<br />
1956, 1897 <strong>ff</strong>.<br />
18 BGHZ 95, 393 (399); BGH NJW-RR 1991, 176 (177); OLG Frankfurt NJW-RR 1998,<br />
1515 f.; Bamberger/Roth/Eckert BGB, 2. Aufl. 2006, § <strong>145</strong> Rn. 45, § 133 Rn. 9; Bork<br />
(Fn. 5) Rn. 744 f.; Brox AT, 28. Aufl. 2004, § 8 Rn. 194; Larenz/Wolf (Fn. 5) § 30<br />
Rn. 25 <strong>ff</strong>.<br />
19 BGH NJW 2003, 3131; NJW-RR 2004, 928 (929) m.w.N.<br />
20 BGHZ 21, 319 (322).<br />
21 Faust (Fn. 10) § 3 Rn. 2; Larenz/Wolf (Fn. 5) § 30 Rn. 28; Weth JuS 1998, 795 (797).<br />
22 Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 29; Larenz AT, 7. Aufl. 1989, § 28 II (S. 536).<br />
23 BGH NJW 2002, 817 m.w.N. zum Maklervertrag.<br />
24 Bamberger/Roth/Eckert (Fn. 18) § <strong>145</strong> Rn. 43; Bork (Fn. 5) Rn. 719; HK/Dörner BGB,<br />
4. Aufl. 2005, § <strong>145</strong> Rn. 6; MüKo/Kramer, (Fn. 6) § <strong>145</strong> Rn. 10; Muscheler/Schewe JURA<br />
2000, 565 (567); Soergel/Wolf BGB, 13. Aufl. 1999, § <strong>145</strong> Rn. 7.<br />
25 So z.B. Bork (Fn. 5) Rn. 719 m.w.N.; Faust (Fn. 10) § 3 Rn. 4; Medicus AT, 8. Aufl. 2002,<br />
Rn. 363; MüKo/Kramer (Fn. 6) § <strong>145</strong> Rn. 10 m.w.N.<br />
26 Erman/Armbrüster BGB, 11. Aufl. 2004, § <strong>145</strong> Rn. 10; Faust (Fn. 10) § 3 Rn. 4; Hirsch<br />
AT, 1. Aufl. 2004, Rn. 309 f.; <strong>Ja</strong>uernig/<strong>Ja</strong>uernig BGB, 11. Aufl. 2004, § <strong>145</strong> Rn. 3; Köhler<br />
(Fn. 5) § 8 Rn. 11; Larenz/Wolf (Fn. 5) § 29 Rn. 20.<br />
27 Dafür HK/Dörner (Fn. 24) § <strong>145</strong> Rn. 6.
AUFSATZ ZIVILRECHT · BGB AT<br />
den Umstand, dass der Geschäftsinhaber mit einzelnen Kunden<br />
gar keine Verträge schließen will, etwa bei Bestehen eines Hausverbots<br />
wegen früherer Ladendiebstähle 28 oder beim Versuch <strong>von</strong><br />
Konkurrenten, Sonderangebote durch Aufkauf zu vereiteln oder<br />
für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Die Gegenau<strong>ff</strong>assung führt<br />
letztlich zu einem faktischen Kontrahierungszwang mit jedem,<br />
dem es gelingt, das Geschäft zu betreten; das wäre nur durch<br />
Eingangskontrollen zu verhindern, die für die Kunden mit einer<br />
erheblichen Belästigung verbunden wären. Daher stellt das Auslegen<br />
<strong>von</strong> Waren in einem SB-Geschäft nur eine invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum<br />
dar; Antrag und Annahme erfolgen an der Kasse durch<br />
Vorlage der Ware und Eintippen des Preises in die Kasse.<br />
4. Vertragsschluss unter Verwendung <strong>von</strong> Automaten<br />
Eine ähnliche Kontroverse gibt es beim Vertragsschluss an Waren-<br />
und Fahrkartenautomaten. Hier ist umstritten, ob der betriebsbereite<br />
Automat aus der Sicht eines objektiven Beobachters<br />
(<strong>§§</strong> 133, 157 BGB) als Vertragsantrag zu verstehen ist. Die möglichen<br />
Kaufgegenstände und Kaufpreise stehen fest, nicht aber die<br />
konkrete Ware als Vertragsgegenstand und die Person des Vertragspartners.<br />
Das spricht für eine bloße invitatio ad o<strong>ff</strong>erendum.<br />
<strong>Der</strong> Antrag geht dann vom Kunden aus, der den Automaten bedient.<br />
Die konkludente Annahme liegt in der automatischen<br />
Warenausgabe; der Betreiber erklärt sie bereits vorweggenommen<br />
durch das Aufstellen des Automaten. 29 Erfolgt keine Warenausgabe,<br />
kommt es nicht zum Vertragsschluss.<br />
Nach der h.M. 30 bedeutet bereits der betriebsbereite Automat<br />
einen Vertragsantrag über alle darin enthaltenen Waren. <strong>Der</strong> Antrag<br />
richtet sich an jeden Kaufinteressierte, stellt also eine sog. O<strong>ff</strong>erte<br />
ad incertas personas dar. <strong>Der</strong> verständige Kunde entnimmt<br />
dem Automaten, dass der Antrag auf den Warenvorrat beschränkt<br />
und durch das Funktionieren sowie eine ordnungsgemäße Bedienung<br />
des Automaten bedingt ist. 31 Solche Einschränkungen<br />
des Vertragsantrags müssen aufgrund eines Schlusses a maiore ad<br />
minus möglich sein, da der Antragende gem. § <strong>145</strong> BGB sogar<br />
jegliche Bindung an seinen Antrag ausschließen kann. <strong>Der</strong> Kunde<br />
nimmt durch Geldeinwurf und Warenauswahl das Angebot<br />
an, das ihm gefällt und schließt so den Vertrag. Auf den Zugang<br />
der Annahmeerklärung verzichtet der Automatenbetreiber gem.<br />
§ 151 S. 1 BGB.<br />
Wenn nun der Kunde den Automaten durch Einwurf einer<br />
ungültigen Geldmünze »überlistet« oder der Automat keine Ware<br />
ausgibt, das Geld aber behält, kommt nach h.M. kein Vertrag<br />
zustande, und der Vorgang muss über die <strong>§§</strong> 812 <strong>ff</strong>., 823 <strong>ff</strong>. BGB<br />
abgewickelt werden. Nach der erst genannten Ansicht kommt es<br />
zum Vertragsschluss, und es bestehen Ansprüche auf Kaufpreiszahlung<br />
bzw. Warenlieferung.<br />
5. Vertragsschluss mittels elektronischer Medien allgemein<br />
In der Regel werden elektronische Medien beim Vertragsschluss<br />
nur als Kommunikationsmittel verwendet. Es bestehen dann keine<br />
Unterschiede zu anderen Übermittlungsformen.<br />
Beispiel: A schickt dem B ein Angebot über den Verkauf <strong>von</strong><br />
500 Barhockern via E-Mail. B erklärt mittels E-Mail, dass er das<br />
Angebot annehme.<br />
Hier wird nur die traditionelle durch die elektronische Post ersetzt.<br />
Können Absender und Empfänger unmittelbar miteinander<br />
kommunizieren (Chat-Room), liegt ein Angebot unter Anwesenden<br />
vor, auch wenn A in Aachen und B in Berlin sitzt. Diese Fälle<br />
werden wie ein Vertragsschluss am Telefon behandelt, § 147 I 2<br />
BGB.<br />
Allerdings können die auf den <strong>Abschluss</strong> eines Vertrages gerichteten<br />
Willenserklärungen auch direkt vom elektronischen Medium<br />
abgegeben und empfangen werden.<br />
Beispiel: A betreibt einen Bücherverkauf über das Internet. Dabei<br />
richtet der Kunde seinen Kaufwunsch direkt an die Webseite<br />
des A, diese ermittelt den Lagervorrat und bestätigt dem Kunden<br />
dessen Auftrag.<br />
Hier geht das Kaufangebot vom Kunden aus und wird an ein<br />
Computersystem gerichtet. <strong>Der</strong> Antrag geht nicht einer natürlichen<br />
Person zu, sondern dem Computersystem, das aufgrund<br />
seiner Programmierung entscheidet, ob der Antrag angenommen<br />
wird oder nicht. 32 Gleichwohl kommt der Vertrag natürlich nicht<br />
mit dem Computer zustande, denn Computer sind nicht rechtsfähig<br />
und können auch selbst keinen rechtsgeschäftlichen Willen<br />
bilden. Daher werden die Willenserklärungen und ihr Zugang<br />
dem Betreiber des Internetshops zugerechnet, und mit ihm wird<br />
auch der Vertrag geschlossen. Somit ergeben sich letztlich keine<br />
Unterschiede zum Vertragsschluss in klassischer Mensch-zu-<br />
Mensch-Kommunikation.<br />
Zu beachten ist, dass bei einem Vertragsschluss im elektronischen<br />
Geschäftsverkehr i.S.v. § 312e I BGB den Unternehmer<br />
(§ 14 BGB) im Verhältnis zu allen Kunden bestimmte Pflichten<br />
tre<strong>ff</strong>en, auf die hier nur hingewiesen sei. Dabei birgt v.a. § 312e I<br />
Nr. 3 BGB gewisse Gefahren in sich, der den Unternehmer verpflichtet,<br />
den Zugang einer Bestellung des Kunden zu bestätigen.<br />
Diese Zugangsbestätigung darf man nicht mit einer Annahmeerklärung<br />
verwechseln; sie muss, damit sie nicht als Annahmeerklärung<br />
ausgelegt werden kann, allerdings entsprechend eindeutig<br />
formuliert sein. 33 Außerdem regelt § 312e I 2 BGB den Zugang<br />
<strong>von</strong> Bestellung und Auftragsbestätigung klarer als § 130 I 1 BGB<br />
dahingehend, dass es auf die Abrufmöglichkeit ankommt; 34 der<br />
Zugang der Bestellung ist nicht da<strong>von</strong> abhängig, dass eine Zugangsbestätigung<br />
erfolgt.<br />
Außerdem sollte man bei »Angeboten« im Internet stets überlegen,<br />
ob die allgemeinen Grundsätze im Einzelfall passen. So ist<br />
grundsätzlich ein »Shop« im Internet wie ein Katalog als invitatio<br />
ad o<strong>ff</strong>erendum zu werten. Es kann aber auch einmal anders sein.<br />
Wenn insbesondere das Herunterladen <strong>von</strong> Dateien zu einem<br />
feststehenden Preis möglich ist, passt jedenfalls das Argument<br />
nicht, der Anbieter wolle sich den Vertragsschluss im Hinblick<br />
auf seine Leistungsfähigkeit noch vorbehalten. Denn digitale Inhalte<br />
lassen sich grundsätzlich beliebig vervielfältigen.<br />
6. Vertragsschluss bei Internetauktionen<br />
In den letzten <strong>Ja</strong>hren ist insbesondere der Vertragsschluss bei sog.<br />
Internetauktionen über ebay und ähnliche Handelsplattformen<br />
diskutiert worden. 35 Auslöser war ein Fall, in dem der Anbieter<br />
der Auktion einen Neuwagen eingestellt und vergessen hatte,<br />
einen Mindestpreis anzugeben, so dass er den Wagen letztlich<br />
deutlich unter dem Marktpreis verkaufte.<br />
Hier stellt sich zunächst die Frage, ob eine Versteigerung i.S.v.<br />
§ 156 BGB vorliegt. Mit der h.M. ist dies zu verneinen, weil nach<br />
den Erklärungen, die auf den Angebotsseiten solcher »Internetauktionen«<br />
typischerweise nachzulesen sind, der Vertrag mit demjenigen<br />
zustande kommen, der am Ende der vorgesehenen Auktionslaufzeit<br />
das höchste Gebot abgegeben hat. Es fehlt also am<br />
Zuschlag i.S.v. § 156 BGB als abschließende Willenserklärung<br />
28 Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 11.<br />
29 Bamberger/Roth/Eckert (Fn. 18) § <strong>145</strong> Rn. 41 m.w.N.; Faust (Fn. 10) § 3 Rn. 4; Medicus<br />
(Fn. 25) Rn. 362; Köhler (Fn. 5) § 8 Rn. 10.<br />
30 Bork (Fn. 5) Rn. 717 m.w.N.; Brox (Fn. 18) § 8 Rn. 166; MüKo/Kramer (Fn. 6) § <strong>145</strong><br />
Rn. 10.<br />
31 HK-BGB/Dörner (Fn. 27) § <strong>145</strong> Rn. 6 (»dreifache Bedingung«); <strong>Ja</strong>uernig/<strong>Ja</strong>uernig<br />
(Fn. 26) § 929 Rn. 4; Brox (Fn. 18) § 8 Rn. 166.<br />
32 Vgl. LG Köln MMR 2003, 481.<br />
33 Vgl. LG Gießen MMR 2004, 194; LG Hamburg NJW-RR 2004, 1568; näher Bodenstedt<br />
MMR 2004, 719 <strong>ff</strong>. m.w.N.<br />
34 LG Nürnberg-Fürth NJW-RR 2002, 1721; ebenso bereits OLG Köln NJW 1990, 1608.<br />
35 Zusammenfassend Deutsch MMR 2004, 586.<br />
10/2006 679<br />
AUFSATZ
AUFSATZ<br />
AUFSATZ ZIVILRECHT · BGB AT<br />
des Verkäufers, so dass es beim Vertragsschluss durch Antrag und<br />
Annahme verbleibt. 36 Von einem Rechtsbindungswillen ist auszugehen,<br />
und die erforderliche Bestimmtheit <strong>von</strong> Vertragsgegenstand,<br />
Vertragspartner des Anbieters und Kaufpreis steht jedenfalls<br />
im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fest, 37 so dass sich auch<br />
insofern keine Probleme ergeben.<br />
Umstritten ist ferner, worin Antrag und Annahme liegen. Dazu<br />
werden zwei Möglichkeiten diskutiert. So kann bereits die Freischaltung<br />
der Angebotsseite im Internet einen Antrag darstellen,<br />
der gem. § 148 BGB befristet ist und sich an einen unbestimmten<br />
Personenkreis richtet. 38 Die Annahme liegt dann im Höchstgebot.<br />
Nach der Gegenmeinung enthält die Internetseite nur eine invitatio<br />
ad o<strong>ff</strong>erendum, die aber mit einer vorweggenommenen Annahmeerklärung<br />
des Inhalts verbunden ist, dass der Vertrag mit<br />
demjenigen geschlossen wird, der am Ende der vorgesehenen<br />
Laufzeit das höchste Gebot, also den Antrag mit dem höchsten<br />
Kaufpreis abgegeben hat. 39 <strong>Der</strong> BGH hat dies zunächst o<strong>ff</strong>en gelassen,<br />
weil es darauf im Ergebnis nicht ankomme, sich später aber<br />
der erst genannten Lösung angeschlossen. 40 Letztlich entscheiden<br />
aber die Angaben des Anbieters auf seiner Angebotsseite darüber,<br />
wie sich der Vertragsschluss vollzieht.<br />
Nur erwähnt sei hier, dass des Weiteren umstritten ist, ob Verbraucher<br />
bei Internetauktionen ein Widerrufsrecht nach § 312d<br />
BGB haben oder nicht. 41<br />
D. VERTRAGSBINDUNG UND VERTRAGSINHALT<br />
Ist der Vertrag geschlossen, ist man an ihn grundsätzlich gebunden<br />
(»pacta sunt servanda«). Das ist so selbstverständlich, dass das<br />
Gesetz es nicht explizit erwähnt. Die selbst herbeigeführte Bindung<br />
verpflichtet die Parteien zur Durchführung, zur Erfüllung<br />
des Vertrags. In der Regel müssen sie also die vereinbarten Leistungen<br />
erbringen; ausnahmsweise kann der Vertrag aber auch nur<br />
etwas feststellen, z.B. den streitigen Grenzverlauf zwischen zwei<br />
Grundstücken, vgl. § 920 BGB.<br />
Die Bedeutung der Bindung an den Vertrag liegt zunächst vor<br />
allem darin, dass keine der Parteien ihre Erklärung einseitig frei<br />
widerrufen kann. Jede Partei kann vom anderen Teil am Vertrag<br />
festgehalten werden. Schließen die Parteien die rechtliche Bindung<br />
in dem Vertrag ausdrücklich aus, liegt kein Vertrag im<br />
Rechtssinne vor.<br />
Die <strong>von</strong> den Parteien im Vertrag gesetzte Regelung gilt grundsätzlich<br />
nur für die Parteien selbst (inter partes). Dadurch unterscheidet<br />
sich die vertragliche Regelung <strong>von</strong> einer gesetzlichen<br />
Regelung, die für eine unbestimmte Vielzahl <strong>von</strong> Personen und<br />
Anwendungsfällen gilt. Es gibt keinen Vertrag zu Lasten Dritter,<br />
denn dies würde dem Selbstbestimmungsrecht (Privatautonomie)<br />
widersprechen.<br />
Die Bindung an den Vertrag und die <strong>von</strong> ihm vorgesehenen<br />
Rechtsfolgen treten grundsätzlich mit dem Vertragsschluss ein.<br />
Die Parteien haben aber die Möglichkeit, die Bindung allgemein<br />
oder einzelne Vereinbarungen vom Eintritt einer Bedingung abhängig<br />
zu machen, vgl. § 158 BGB. Sie können aber auch einen<br />
Wegfall der Bindung ermöglichen, so durch Vereinbarung eines<br />
vertraglichen Rücktrittsrechts (vgl. § 346 I BGB). Damit vergleichbar<br />
sind die gesetzlichen Widerrufsrechte für Verbraucher<br />
(etwa <strong>§§</strong> 312 I, 312d I i.V.m. 355 I BGB).<br />
E. VERTRAGSINHALT UND DISSENS<br />
<strong>Der</strong> Vertrag hat als Ausdruck des zwischen den Parteien bestehenden<br />
Konsenses den Inhalt, über den sich die Parteien geeinigt<br />
haben. Allerdings kann sich die Frage stellen, worin dieser Konsens<br />
genau besteht, welchen Inhalt ein geschlossener Vertrag hat:<br />
Kommt es auf den tatsächlichen Wille der Parteien an oder auf<br />
die geäußerten Erklärungen? <strong>Der</strong> Grundsatz der objektiven Auslegung<br />
empfangsbedürftiger Willenserklärungen (<strong>§§</strong> 133, 157<br />
BGB) führt dazu, dass in erster Linie die objektive Bedeutung<br />
680 10/2006<br />
der Erklärungen entscheidet. Hat eine Partei etwas anderes gemeint,<br />
als ihre Erklärung für einen objektiven Dritten bedeutet,<br />
so gilt das objektiv Erklärte, und der Partei bleibt nur die Möglichkeit<br />
der Irrtumsanfechtung nach § 119 I BGB (mit der Folge<br />
der Schadensersatzpflicht nach § 122 I BGB). Da die objektive<br />
Auslegung den Rechtsverkehr und damit den Empfänger schützen<br />
soll, gilt aber etwas anderes, wenn der Empfänger die Erklärung so<br />
verstanden hat, wie sie der Erklärende gemeint hatte. Außerdem<br />
gilt nicht der objektive Inhalt eines Vertrags, wenn die Parteien<br />
ihn übereinstimmend in einem abweichenden Sinne verstehen. So<br />
verhielt es sich im berühmten Falle »Haakjöringsköd« des Reichsgerichts:<br />
42 Die Parteien wollten eine Schi<strong>ff</strong>sladung Walfleisch verkaufen<br />
und bezeichneten die Ware mit dem norwegischen Begri<strong>ff</strong><br />
»Haakjöringsköd«, der aber Haifischfleisch bedeutet. Da ihr tatsächlicher<br />
Wille übereinstimmt, ist der Vertrag dennoch über<br />
Walfleisch geschlossen. <strong>Der</strong> abweichende objektive Erklärungswert<br />
spielt keine Rolle (falsa demonstratio non nocet). 43<br />
Stimmen die Willenserklärungen der Parteien weder nach dem<br />
tatsächlichen Willen noch nach ihrer objektiven Bedeutung überein,<br />
fehlt es an der Willenseinigung, und es liegt ein Dissens vor.<br />
Solange sich die Parteien nicht über den wesentlichen Vertragsinhalt<br />
(essentialia negotii) geeinigt haben (und diese Lücke auch<br />
nicht mit Vorschriften wie <strong>§§</strong> 612 II, 632 II, 653 II BGB zu<br />
schließen ist 44 ), ist ein Vertrag nicht geschlossen. Man nennt das<br />
Totaldissens; das BGB regelt ihn nicht.<br />
Beispiel: A und B sind Chemie-Handelsunternehmen. A schreibt<br />
an B per Telegramm: »100 t Flusssäure zu 200 Mark je Tonne.« B<br />
antwortet: »Einverstanden.« Beide Parteien halten sich für den<br />
Verkäufer. 45 Die Auslegung führt zu keinem klaren Ergebnis, ein<br />
Vertrag ist nicht geschlossen.<br />
Was das Gesetz näher regelt, ist die fehlende Einigung über Nebenaspekte<br />
des Vertrags, über die eine Regelung <strong>von</strong> mindestens<br />
einer Partei angestrebt wurde. Damit beschäftigen sich die<br />
<strong>§§</strong> 154, 155 BGB.<br />
In § 154 BGB beschäftigt sich das Gesetz mit dem sog. o<strong>ff</strong>enen<br />
Dissens: Die Parteien wissen, dass sie sich noch nicht vollständig<br />
geeinigt haben. Dann ist nach § 154 I 1 BGB im Zweifel<br />
der Vertrag noch nicht geschlossen, solange eine Einigung über<br />
einen Punkt fehlt, den auch nur eine Partei regeln wollte. Das<br />
gilt selbst dann, wenn bzgl. einiger Vertragspunkte eine Einigung<br />
erzielt und schriftlich festgehalten wurde (Punktation),<br />
§ 154 I 2 BGB.<br />
Die Vorschrift des § 154 I BGB enthält eine (materielle) Auslegungsregel.<br />
Sie greift nur ein, wenn sich ein abweichender Wille<br />
der Parteien nicht feststellen lässt. Ist also im Einzelfall feststellbar,<br />
dass sich die Parteien trotz der noch o<strong>ff</strong>enen Punkte vertraglich<br />
binden wollten, greift § 154 I BGB nicht ein. Die Parteien<br />
können sich daher übereinstimmend für die Geltung im Rahmen<br />
der bisherigen Einigung entscheiden. Das ist insbesondere dann<br />
anzunehmen, wenn die Parteien in Kenntnis des Dissenses einvernehmlich<br />
mit der Vertragsausführung begonnen haben, denn dadurch<br />
bringen die Parteien zum Ausdruck, dass ihnen die bishe-<br />
36 BGHZ 149, 129 (133 <strong>ff</strong>.); BGH NJW 2005, 53 (54); MüKo/Kramer (Fn. 6) § 156 Rn. 3;<br />
a.A. AG Hannover MMR 2002, 262; Petersen Jura 2002, 389.<br />
37 Hartung/Hartmann MMR 2001, 278 (282); Rüfner JZ 2000, 715 (718).<br />
38 BGH NJW 2005, 53 (54).<br />
39 So – zumindest i. Erg. – Lettl JuS 2002, 220 (221 f.); Mehrings BB 2002, 469 (472 <strong>ff</strong>.).<br />
40 BGHZ 149, 129 (133 <strong>ff</strong>.); BGH NJW 2005, 53 (54).<br />
41 Bejahend BGH NJW 2005, 53 (54).<br />
42 RGZ 99, 147, dazu: Cordes Jura 1991, 352.<br />
43 S. auch BGH NJW-RR 1993, 373.<br />
44 Vgl. BGH NJW 2002, 817 (818); 2005, 3779 (3780).<br />
45 Vgl. RGZ 104, 265; im Originalfall aber wegen vorangegangener Verhandlungen zweifelhaft.
AUFSATZ STRAFRECHT · STRAFPROZESSRECHT<br />
rige Einigung wichtiger ist als der Streit über Nebenpunkte. Dies<br />
kommt in der Praxis immer wieder vor. 46<br />
Beim versteckten Dissens wissen die Parteien dagegen gar<br />
nicht, dass sie sich nicht geeinigt haben. Diese Fälle sind praktisch<br />
eher selten, weil sie nur in Betracht kommen, wenn sich die Parteien<br />
weder objektiv noch subjektiv geeinigt haben. Das kann v.a.<br />
der Fall sein bei der Verwendung <strong>von</strong> Begri<strong>ff</strong>en, die keine objektiv<br />
feststehende Bedeutung haben und <strong>von</strong> den Parteien unterschied-<br />
AUFSATZ STRAFRECHT · STRAFPROZESSRECHT<br />
Prof. Dr. Matthias <strong>Ja</strong>hn, Universität Erlangen-Nürnberg* und Martin Müller**<br />
lich verstanden werden, so etwa die Begri<strong>ff</strong>e »Best-of-Album« im<br />
Musikbereich 47 oder im Baubereich das »lichte Maß« 48 im Gegensatz<br />
zu den klar definierten »Senkungsschäden«. 49<br />
46 Vgl. BGH NJW 2002, 817 (818 f.).<br />
47 OLG Köln NJW-RR 2000, 1720.<br />
48 OLG Jena NZBau 2004, 438 (439).<br />
49 BGH NJW 1961, 1668 (1669).<br />
<strong>Der</strong> Widerspenstigen Zähmung – <strong>Aktuell</strong>e Gesetzgebungsvorschläge zu den<br />
Urteilsabsprachen im Strafprozess<br />
A. EINLEITUNG<br />
I. Zum Diskussionsstand um die Absprachen im Strafverfahren<br />
Vor knapp einem Vierteljahrhundert begann mit einem unter<br />
dem Pseudonym »Detlev Deal aus Mauschelhausen« verö<strong>ff</strong>entlichten<br />
Beitrag 1 die wissenschaftliche Diskussion um verfahrensbeendende<br />
Urteilsabsprachen im deutschen Strafprozess. Mit diesem<br />
Bericht wurden einer breiteren Fachö<strong>ff</strong>entlichkeit erstmals<br />
Vorgänge bekannt, die zu einer der kontroversesten Auseinandersetzungen<br />
zwischen Theorie und Praxis des Strafverfahrens geführt<br />
haben: 2 Auf der einen Seite steht die Phalanx der Praktiker<br />
in der Instanzgerichtsbarkeit, bei den Staatsanwaltschaften und in<br />
der Strafverteidigung. Dort wird seit jeher die Notwendigkeit der<br />
Absprachen für das Funktionieren des Strafprozesses unter den<br />
heutigen institutionellen und finanziellen Rahmenbedingungen<br />
betont. 3 Die überwiegende Lehre und ein großer Teil der obergerichtlichen<br />
Rechtsprechung stehen hingegen verfahrensbeendenden<br />
Absprachen tendenziell kritisch gegenüber. Die Befunde reichen<br />
innerhalb eines denkbar breiten Meinungsspektrums vom<br />
Verdikt der Verfassungswidrigkeit 4 über den Vorwurf des Verstoßes<br />
gegen das geltende (einfache) Prozessrecht 5 bis zur Qualifikation<br />
als richterliche Rechtsfortbildung contra oder – bestenfalls<br />
– praeter legem. 6 Nur wenige Stimmen im Schrifttum 7 halten<br />
die Absprachenpraxis demgegenüber schon heute für grundsätzlich<br />
vereinbar mit tragenden Maximen des geltenden Prozessrechts<br />
wie etwa dem Amtsaufklärungsgrundsatz.<br />
Die Rechtsprechung hat in den ersten fünfzehn <strong>Ja</strong>hren der (o<strong>ff</strong>iziellen)<br />
Geschichte der Absprachen im deutschen Strafverfahren<br />
eindeutige Festlegungen vermieden und sich auf Randkorrekturen<br />
beschränkt. Erst mit dem Beschluss des 4. Strafsenats aus dem<br />
<strong>Ja</strong>hr 1997 8 hat sich der BGH der Fragestellung in grundsätzlicher<br />
Weise angenommen. Umstritten ist aber auch heute noch, ob<br />
dieser Beschluss die Frage nach der Zulässigkeit <strong>von</strong> Absprachen<br />
im Sinne eines »<strong>Ja</strong>, aber« oder eher eines »Nein, aber« beantwortet.<br />
Dessen ungeachtet wird der nunmehr ebenfalls fast eine<br />
Dekade alte Karlsruher Vorstoß <strong>von</strong> nicht wenigen Stimmen –<br />
auch und gerade aus Sicht der Revision 9 – als gescheitert angesehen.<br />
Eine der Ursachen soll der zunehmende »Ungehorsam« der<br />
Tatgerichte gegenüber den höchstrichterlichen Vorgaben sein.<br />
Diese Entwicklung wiederum sei, wie auch Richter monieren, 10<br />
der realitätsfernen Rechtsprechung geschuldet. Sie habe sich <strong>von</strong><br />
den Bedürfnissen der Praxis nach rascher und einvernehmlicher<br />
Erledigung zu weit entfernt.<br />
II. Zielsetzung des Beitrags<br />
Dieser Beitrag möchte nicht die einander nach wie vor unversöhnlich<br />
gegenüber stehenden Frontlinien zur Frage der prinzi-<br />
piellen Zulässigkeit <strong>von</strong> Absprachen begradigen helfen. Angesichts<br />
der verfahrenen Situation richtet er sein Augenmerk vielmehr<br />
auf die in die Zukunft weisenden Bestrebungen, den Problemkreis<br />
der Absprachen noch in dieser Legislaturperiode zu<br />
kodifizieren. Denn für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass<br />
sich diese Pläne realisieren sollten, dürfte ein nicht geringer Teil<br />
der Bibliotheken zum Absprachenproblem zwar nicht gleich Makulatur,<br />
wohl aber doch zur Einlagerungsmasse für das rechtshistorische<br />
Magazin werden.<br />
B. DIE FORDERUNG NACH EINER GESETZLICHEN REGE-<br />
LUNG<br />
I. Die erste Phase zwischen 1982 und 2000: Eine vielstimmige<br />
Kakophonie<br />
Bereits in den späten achtziger <strong>Ja</strong>hren des letzten <strong>Ja</strong>hrhunderts<br />
wurde in der Lehre die Forderung erhoben, der Gesetzgeber müsse<br />
im Absprachenbereich tätig werden. Anfangs war dies eher auf<br />
ein Verbot der Absprachen als auf eine umfassende Regelung<br />
gerichtet. 11 Zahlreiche Vertreter der Praxis und ihre Berufsverbände<br />
votierten zwar gegen ein Verbot. Andererseits verneinten sie<br />
bereits einen Handlungsbedarf und wollten die weitere Entwicklung<br />
der höchstrichterlichen Rechtsprechung überlassen. 12 Vor<br />
* <strong>Der</strong> Autor ist Inhaber eines Lehrstuhls für Straf- und Strafprozessrecht an der Friedrich-<br />
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Richter am OLG.<br />
** <strong>Der</strong> Autor ist Jurist (Univ.) und Doktorand.<br />
1 StV 1982, 545. Sein Verfasser Hans-Joachim Weider war – wie auch der Mitautor <strong>Ja</strong>hn –<br />
an der Erarbeitung des Gesetzesvorschlages des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
beteiligt, siehe dazu unten C.I.<br />
2 Es ist in einer ausbildungsorientierten Zeitschrift nicht überflüssig zu erwähnen, dass sich<br />
diese Kontroversen wegen ihres engen Bezuges zu den Prozessmaximen (vgl. nur Rössner<br />
30 Probleme aus dem Strafprozessrecht, 2005, 2. Problem) nicht nur in zahlreichen<br />
mündlichen Staatsexamensprüfungen sowie prozessualen Zusatzfragen in Klausuren reflektiert<br />
haben – und auch in Zukunft reflektieren werden.<br />
3 Siehe etwa Dahs NStZ 1988, 153; Böttcher/Dahs/Widmaier NStZ 1993, 375; Landau/<br />
Eschelbach NJW 1999, 321 (322 f.). Zur Entwicklung der Rspr. zusammenfassend Meyer-<br />
Goßner StPO, 49. Aufl. 2006, Einl. Rn. 119c – h.<br />
4 Schünemann FS Rieß, S. 525; Küpper/Bode Jura 1999, 351, 393 (400).<br />
5 Moldenhauer Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den Bundesgerichtshof,<br />
2004, S. 60 <strong>ff</strong>., 265 <strong>ff</strong>. Zusammenfassend zur Diskussion in der Wissenschaft<br />
Sinner <strong>Der</strong> Vertragsgedanke im Strafprozess, 1999, S. 185 <strong>ff</strong>.<br />
6 Beulke Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Rn. 394; Hellmann Strafprozessrecht, 2. Aufl.<br />
2006, Rn. 689; Volk Grundkurs StPO, 5. Aufl. 2006, § 30 Rn. 2 <strong>ff</strong>. Umfassend zur<br />
Diskussion in dieser Zeitschrift bereits Eschelbach JA 1999, 694 und Berenbrink JA 2005,<br />
889 f.<br />
7 <strong>Ja</strong>hn ZStW 118 (2006), 427 (441 <strong>ff</strong>.); ders. GA 2004, S. 272 (286 f.); Weichbrodt Das<br />
Konsensprinzip strafprozessualer Absprachen, 2006, S. 152 f.<br />
8 BGHSt 43, 195. Dazu bereits ausf. Berenbrink JA 2005, 889, 890.<br />
9 Kuckein/Pfister FS 50 <strong>Ja</strong>hre BGH, S. 661; Hamm FS Meyer-Goßner, S. 33.<br />
10 Meyer-Goßner StraFo 2003, 401; Siolek FS Rieß, S. 563; Schmitt GA 2001, 411.<br />
11 Schünemann Gutachten B für den 58. DJT 1990, B 176; Schmidt-Hieber DRiZ 1989, 150,<br />
152.<br />
12 Zu den sog. Münsteraner Thesen des Deutschen Richterbundes Kintzi JR 1990, 309, 311.<br />
10/2006 681<br />
AUFSATZ