PDF - Vorsicht Fuchsjagd….
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2 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Editorial<br />
Zehn Jahre ist es jetzt her, dass in Göttingen zuletzt eine Broschüre veröffentlicht worden ist, die sich kritisch mit<br />
Studentenverbindungen beschäftigt. Der Reader ” Klüngel, Corps und Kapital“, damals vom AStA herausgegeben,<br />
schildert ausführlich die historische Rolle von Studentenverbindungen als Wegbereiter des Faschismus und enthält<br />
darüberhinaus reichlich Rechercheergebnisse zum verbindungsstudentischen Weltbild.<br />
Der Reader ist leider seit mehreren Jahren vergriffen. Und auch sonst hat sich einiges verändert. Das Klima an<br />
der Uni ist rauher geworden. Der AStA ist nicht mehr verbindungskritisch eingestellt. Inzwischen sitzen dort sogar<br />
Verbindungsstudenten. Die Korporationen werben im ZHG für ihre Partys und treten auch sonst verstärkt öffentlich in<br />
Erscheinung. Als trauriger Höhepunkt ist hier ein Fackelmarsch durch die Göttinger Innenstadt zur Sommersonnwende<br />
2003 zu nennen.<br />
Es ist also höchste Zeit, wieder ein breiteres Bewusstsein dafür zu schaffen, welches Weltbild hinter den bunten<br />
Verbindungsmützen eigentlich herrscht, warum das Leben ” auf“ einem Verbindungshaus nicht mit einer Studi-WG<br />
vergleichbar ist und welche gesellschaftliche Rolle den Korporationen zukommt.<br />
Darum haben sich im Sommer 2005 ein paar Menschen zusammengesetzt, miteinander diskutiert und Texte 1<br />
geschrieben. Beteiligt waren neben Einzelpersonen die Gruppen Antifa Aktion & Kritik, redical M, A.L.I. und Gruppe<br />
Gegenstrom. Dank finanzieller Unterstützung durch das Rosa Luxemburg Bildungswerk Niedersachsen e.V. und den<br />
Fachschaftsrat Biologie konnte daraus dieser Reader entstehen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen und freuen<br />
uns über Rückmeldungen.<br />
Kontaktadresse:<br />
Burschi-Reader-Redaktion<br />
c/o Buchladen Rote Strasse<br />
Nikolaikirchhof 7<br />
37073 Göttingen.<br />
Hrsg.: Plast, Hans. A.<br />
Schutzgebühr: 1,50 Euro<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung 3<br />
2 Geschlechterbilder von Verbindungen 7<br />
3 Völkische Ideologie 10<br />
4 Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen 14<br />
5 Verbindungen von Verbindern in die Unipolitik und nach ganz rechts 18<br />
6 Studentische Verbindungen in Göttingen 21<br />
1 Nicht alle Texte spiegeln in allen Punkten die Meinung der gesamten Redaktion wider.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 3<br />
1 Einleitung im Wesentlichen übernommen von Stephan Peters. 2<br />
Nein, auch wenn das Wort ” Burschi“ nichtkorporierten<br />
StudentInnen beim Anblick seltsam verkleideter<br />
Jungmänner leicht über die Lippen kommt, bei weitem<br />
nicht alles was sich im Verbindungsstudententum tummelt,<br />
ist zugleich ein Burschenschafter: Der Untertitel<br />
des Verbindungsbuches ” Der Convent“, der ” Vielfalt und<br />
Einheit der deutschen Korporationsverbände“ lautet, beschreibt<br />
das deutsche Verbindungswesen ziemlich gut: Viele<br />
verschiedenen Verbindungen vieler verschiedener Verbindungstypen<br />
weisen nämlich, trotz teilweise vorhandener<br />
politischer Differenzen, doch einige Gemeinsamkeiten<br />
in Hinsicht auf Geschichte, Habitus und vertretene Werte<br />
auf.<br />
Was ist aber nun eine Verbindung (oder Korporation)?<br />
Verbindungen waren über Jahrhunderte hinweg die hegemoniale<br />
Form der studentischen Organisierung. Doch erst<br />
im Laufe des 19. Jhd. entwickelte sich das, was wir heute<br />
unter dem Korporationswesen verstehen.<br />
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ungefähr<br />
1.000 studentische Korporationen mit etwa 22.000 Studierenden<br />
und 135.000 sogenannten Alten Herren (Stand<br />
1997). Alte Herren sind die fertig studierten Mitglieder.<br />
Grob zu gliedern sind die Verbindungen nach folgenden<br />
Kriterien.<br />
1. Danach, ob die Verbindung schlagend oder nichtschlagend<br />
ist. Dabei heißt schlagend, dass ihre Mitglieder<br />
die Mensur fechten. Bei einigen schlagenden<br />
Verbindungen ist das Fechten der Mensur freigestellt<br />
(fakultativ-schlagend).<br />
2. Danach, ob die Verbindung farbentragend oder nichtfarbentragend<br />
ist. D.h. danach ob die Korporationsmitglieder<br />
die Farben des Verbindungswappens in<br />
Form von Kleidung (besser: Uniform), Bändern und<br />
Mützen zu bestimmten Anlässen am Körper tragen<br />
oder nicht.<br />
3. Danach, ob die Verbindung konfessionell gebunden<br />
ist oder nicht.<br />
Auch wenn es vereinfacht ist, ist es nicht ganz falsch zu<br />
sagen, dass Verbindungen, die nicht farbentragend sind,<br />
weniger reaktionär sind als die farbentragenden und diejenigen,<br />
die nichtschlagend sind weniger reaktionär sind, als<br />
die schlagenden. Praktisch alle schlagenden Verbindungen<br />
sind zugleich farbentragend.<br />
1.1 Die Mittel der korporierten Erziehung<br />
Eine studentische Verbindung, in der Regel als reiner<br />
Männerbund mit Lebensbundprinzip organisiert, weist ein<br />
umfassendes Regelwerk auf, dem sich die Mitglieder unterordnen<br />
müssen. Erzogen werden die Mitglieder angeblich<br />
zu ” Vertretern eines ehrenhaften Studententums und<br />
zu charakterfesten, tatkräftigen, pflichttreuen Persönlichkeiten“.<br />
3 Ein weiterführendes Ziel der Erziehung: ” Das<br />
in der kleinen Gemeinschaft der Korporation Geübte soll<br />
den einzelnen Bundesbruder befähigen zur Übernahme seiner<br />
Verantwortung in dem größeren Kreis von Staat und<br />
Gesellschaft.“ 4<br />
Um eine Erziehung der Persönlichkeit mit elitärem<br />
Führungsanspruch gewährleisten zu können, bedient sich<br />
eine Korporation eines ganzen Kanons unterschiedlicher<br />
Regeln, die in den sogenannten Comments zusammengefasst<br />
sind. Der Comment, das offizielle und auch schriftlich<br />
verfügbare Regelwerk, umfasst sämtliche Bereiche des<br />
korporierten Lebens, vom Farbentragen bis zum Biertrinken<br />
(Bier- und Kneipcomment) und regelt darüber hinaus<br />
auch das Zusammenleben der Mitglieder.<br />
Ziel der zahlreichen Regeln ist die Formung des einzelnen<br />
Mitgliedes durch Unterwerfung. Entscheidendes Kriterium<br />
ist dabei die korporierte Gemeinschaft, in die sich<br />
der Einzelne einzufügen hat. Drei Erziehungs- und Formungsmittel<br />
seien hier kurz genauer erläutert:<br />
1. Der ” Convent“, also die verbindungsstudentische<br />
Mitgliederversammlung,<br />
2. Die ” Kneipe“, gemeint ist das ritualisierte Feiern<br />
3. Die ” Mensur“, die sicherlich eines der härtesten Erziehungsmittel<br />
darstellt.<br />
Der Convent Der erzieherische Wert des Conventes als<br />
verbindungsstudentische Mitgliederversammlung liegt in<br />
der Vermittlung eines Feingefühls für das Machbare. Das<br />
einzelne Mitglied erfährt, wie weit es gehen kann, ohne<br />
den Unmut der anderen auf sich zu ziehen. Es wird demnach<br />
auch als besonders geschickt empfunden, ” jene Meinung<br />
zu erforschen, welche den geringsten Widerstand findet.“<br />
5 Bei dieser Zielsetzung hat aber die zu erforschende<br />
Meinung opportunistischen Charakter und der Convent<br />
birgt in seinen Entscheidungen wenig Veränderungspotential.<br />
Ferner wird behauptet, dass der ” Verbindungsconvent<br />
ein wesentlich besserer und wertvollerer Erziehungsfaktor<br />
ist als die öffentlichen Parlamente.“ 6<br />
Was eine Korporation darunter versteht und worin genau<br />
der ” wertvollere Erziehungsfaktor“ bestehen soll, wird<br />
im folgenden eingehender beschrieben: ” Der erzieherische<br />
Wert des Conventes in sprachlicher und psychologischer<br />
Schulung wird immer unterschätzt. Erst muß ich einmal<br />
im Kreis der Freunde, der Bundesbrüder die inneren Hemmungen<br />
überwinden lernen, sonst werde ich – im Berufe<br />
stehend und in das öffentliche Leben gestellt – unter<br />
meinen Hemmungen eine Niete bleiben und das Feld dem<br />
hemmungslosen Demagogen überlassen.“ 7<br />
2Stephan Peters. Studentische Korporationen – Gemeinschaften mit elitärer Zielsetzung. in: AStA der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.<br />
2002<br />
3Vorstand des Verbandes Alter Corpsstudenten (Hg.), Handbuch des Kösener Corpsstudenten. Würzburg 1985. Bd. 2, S. 2/3.<br />
4Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum e.V. (Hg.), CV-Handbuch. 1990. S. 269.<br />
5 ebd. S. 218.<br />
6 ebd. S. 217.<br />
7 ebd. S. 222.
4 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Erzogen wird auf diesen Mitgliederversammlungen<br />
durch Selbstüberwindung. Der Korporierte soll lernen, seine<br />
eigenen Grenzen – in Abwägung zu den Grenzen der<br />
Bundesbrüder – zu überwinden. Es wird allerdings in der<br />
Darstellung nicht reflektiert, woher die genannten ” inneren<br />
Hemmungen“ rühren. Auch die Gegnerschaft, hier<br />
der ” hemmungslose Demagoge“, wird nicht spezifiziert.<br />
Es wird seitens der Gemeinschaft vielmehr ein dubioses<br />
Feindbild suggeriert, das es zu bekämpfen, bzw. zu überwinden<br />
gilt – innen wie außen.<br />
Die Kneipe Eine Kneipe meint ein geselliges Trinken<br />
”<br />
in festgelegter Form“. 8 Begrüßungen und Ansprachen, Ehrungen<br />
und bestimmte Arten des Trinkens (geregelt im<br />
Biercomment) sind Formbestandteile der Kneipe. Durch<br />
den vorgegebenen Verhaltenskodex und der innerhalb der<br />
Ordnung noch bestehenden Freiheit soll sich eine – so heißt<br />
es – Atmosphäre von festlicher Spannung“ und glückli-<br />
” ”<br />
cher Entspannung“ ergeben. 9<br />
Die Kneipe soll durch ihre Form den alten und jungen<br />
”<br />
Studenten in eine Gemeinschaft“ aufnehmen, in der er<br />
”<br />
ganz Mensch sein kann.“ 10<br />
Bei der Kneipe bildet also eine Ordnungsvorgabe den<br />
Rahmen, innerhalb dessen sich der Korporierte zurechtfinden<br />
muß. Überschreitet er den Rahmen, wird er nach<br />
Härte des Vergehens“ abgestraft (meist muß er in einer<br />
”<br />
gewissen Form trinken, er kann aber auch der Kneiptafel<br />
verwiesen werden). Der erziehende und kontrollierende<br />
Aspekt der Kneipe wird folgendermaßen beschrieben:<br />
” Trotz eines gewissen einzuhaltenden Zeremoniells darf<br />
nicht vergessen werden, dass [. . . ] auch die Kneipe ein<br />
Prüfstand ist, auf dem der junge Corpsstudent zeigen soll,<br />
mit welcher Sicherheit er sich in dem ihm vorgegebenen<br />
Rahmen frei und ungezwungen bewegen kann. Beherrscht<br />
er ihn einmal, wird es ihm später im gesellschaftlichen und<br />
beruflichen Leben gut zustatten kommen.“ 11<br />
Nur durch die Befolgung der Regeln, bzw. Einhaltung<br />
dieses von außen gesetzten Rahmens kann der Korporierte<br />
an der Gemeinschaft teilhaben, bzw. kann er ” glückliche<br />
Entspannung“ erleben. Das bedeutet aber auch, dass sich<br />
der Korporierte den Regeln der Gemeinschaft unterordnen<br />
muß, bevor er ein wenig Freiheit genießen darf. Und<br />
zusätzlich wird der Verbindungsstudent mit sich selbst<br />
und seinen eigenen Grenzen konfrontiert: ” Dazu gehört<br />
auch, und gewiß nicht an letzter Stelle, die Erfahrung und<br />
die Kraft der Selbsteinschätzung, wann die eigene Grenze<br />
erreicht ist. Auch im vorgerücktem Stadium [z.B. des<br />
Alkoholkonsums, S. P.] die guten Sitten und Bräuche zu<br />
beherrschen, läßt sich wohl kaum besser als auf der Kneipe<br />
im überschaubaren Kreise der Corpsbrüder erlernen.“ 12<br />
Die Kneipe stellt somit ein Medium korporierter Erziehung<br />
dar, in der der Verbindungsstudent durch dauerndes<br />
Abwägen seiner selbst und der gesetzten Vorgaben<br />
Freiräume zu entdecken lernt, innerhalb derer er sich bewegen<br />
darf. Er lernt sozusagen einen Balanceakt durchzuführen,<br />
um in den Genuss der gelebten Gemeinschaft<br />
zu kommen. Dabei ist der Rahmen einer Kneipe von der<br />
Gemeinschaft selbst gesetzt, also konstruiert. Die Kneipe<br />
ist ein ” Spiel“ zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen<br />
Verbotenem und Erlaubtem, zwischen Beherrschung und<br />
Exzess, zwischen Ordnung und Chaos.<br />
Die Mensur Die Mensur gibt es nur in schlagenden<br />
Korporationen, in denen sie neben dem Convent und der<br />
Kneipe als drittes Erziehungsmittel hinzutritt. Die Mensur,<br />
der ritualisierte Kampf mit scharfen Waffen, ist für<br />
pflichtschlagende Bünde ein Grundprinzip. Es kann nur<br />
derjenige aufgenommen werden, der mindestens einmal eine<br />
sogenannte Bestimmungsmensur gefochten hat. Weitere<br />
Mensuren kann der Convent festlegen und von einzelnen<br />
Mitgliedern verlangen. Der genaue Verlauf, Umfang<br />
der Vorbereitungen und die Regeln sind im jeweiligen<br />
Paukcomment festgehalten. Ernsthafte Verletzungen<br />
kommen heutzutage kaum noch vor, meistens handelt es<br />
sich lediglich um Platzwunden und kleinere Schnitte auf<br />
der Schädeldecke oder anderen freiliegenden Gesichtspartien.<br />
Augen, Nase, Ohren sowie der Hals sind geschützt.<br />
Zur Sicherheit ist ein Arzt anwesend, der die Verletzten<br />
nach der Mensur ohne Betäubung versorgt, also z.B. die<br />
Wunden näht.<br />
Bei der Mensur geht es nicht darum, den Gegenüber zu<br />
besiegen, sondern vielmehr die eigene Angst vor der scharfen<br />
Waffe und eventuell drohenden Verletzungen zu überwinden,<br />
sich dadurch für die Gemeinschaft einzusetzen<br />
und diese zu stärken: ” Die Mensur ist ein Mittel der Erziehung<br />
oder – wenn diese Bezeichnung etwa als zu schulmeisterisch<br />
empfunden wird – der Persönlichkeitsentwicklung<br />
dadurch, dass sie anleitet zu Mut, Selbstüberwindung,<br />
Selbstbeherrschung und Standhalten. Wer auf scharfe<br />
8Robert Paschke, Studentenhistorisches Lexikon. Aus dem Nachlass hrausgegeben und bearbeitet von Friedhelm Golücke. Köln 1999. S. 153.<br />
9ebd. S. 154.<br />
10ebd. S. 154.<br />
11Handbuch des Kösener Corpsstudenten (aaO.) Bd. 1, S. 176<br />
12ebd. Bd. 1, S. 176
Werte, Wichs und Waffenbrüder 5<br />
Waffen antritt, muß soldatisch ausgedrückt – den inneren<br />
Schweinehund überwinden, nämlich die [. . . ] Angst. Nicht<br />
’ kniesen‘ oder reagieren verlangt Selbstbeherrschung. [. . . ]<br />
Die Mensur ist nach Innen ein Bindemittel, ein Integrationsmittel,<br />
also ein Mittel zur Verstärkung der Bindung<br />
an den Bund und die Brüder. Wer wiederholt auf die Farben<br />
seines Corps gefochten, sich dabei bewährt und meist<br />
auch kleinere Blutopfer gebracht hat, fühlt sich diesem ritterlichen<br />
Männerbunde unvergleichlich enger verbunden,<br />
als in aller Regel ein Mitglied irgendeines anderen Vereins<br />
sich diesem verbunden fühlt. [. . . ] Die Mensur ist nach außen<br />
ein Abschreckungsmittel, nämlich gegenüber solchen,<br />
die es nicht fertigbringen, den inneren Schweinehund‘ zu<br />
’<br />
überwinden, und die wir deshalb in unseren Reihen nicht<br />
haben wollen.“ 13<br />
Es finden sich hier Parallelen zur Kneipe: Wieder gibt<br />
es einen fest reglementierten Rahmen, innerhalb dessen<br />
das Waffenspiel“ Mensur stattfinden muß. Wieder sieht<br />
”<br />
sich das Mitglied seinen eigenen Grenzen ausgesetzt, die<br />
es zu überwinden gilt, und wieder geht es um das Erlernen<br />
eines Balanceaktes zwischen den eigenen Grenzen und<br />
den Gesetzen der Gemeinschaft. Die Regeln müssen unter<br />
der Gefahr von Schmerz erlernt und angewandt werden,<br />
erst dann kann der Korporierte vollwertiges Mitglied der<br />
Gemeinschaft werden. Die Mensur stellt somit eine Zugangsbeschränkung<br />
zur ritterlichen Gemeinschaft“ dar.<br />
”<br />
Da sie durch Anordnung beliebig wiederholt werden kann,<br />
ist sie als ein wichtiges Mittel der Disziplinierung nach<br />
innen zu verstehen. Insgesamt ist die Intensität der so-<br />
”<br />
zialen Kontrolle in schlagenden Verbindungen [. . . ] vergleichbar<br />
der in asketischen Sekten.“ 14 Die Unterwerfung<br />
unter das Reglement dient sowohl dem Zusammenhalt der<br />
männerbündischen Gemeinschaft, als auch der Abgrenzung<br />
nach außen.<br />
1.2 Der Verlauf einer Mitgliedschaft<br />
Die Mitgliedschaft als Student, also die Karriere“ eines<br />
”<br />
Korporierten, weist eine Drei-PhasenStruktur auf:<br />
1. Die Phase der Integration, in der es der Korporation<br />
darum geht, das neue Mitglied möglichst vollkommen<br />
und zügig in die Gemeinschaft einzugliedern.<br />
2. Die Phase der Festigung, in der sich das neue Mitglied<br />
mehr oder weniger unwiderruflich für die Korporation<br />
entschieden hat und die Korporation ihn<br />
aktiv für ihre Zwecke einsetzt und<br />
3. Die Angliederungsphase, in der der mittlerweile zum<br />
” inaktiven“ Burschen aufgestiegene Student aus vie-<br />
Die Integrationsphase Die Integrationsphase ist variabel<br />
und umfasst den Zeitraum vom Beginn der Anwerbung<br />
bis zur offiziellen Aufnahme des neuen Mitgliedes als<br />
Vollmitglied. Meistens dauert sie bis zu einem Jahr, selten<br />
länger. Mit der sogenannten Burschung findet die Phase<br />
ihren Abschluss. Zum Verlauf:<br />
Korporationen werben ihren Nachwuchs meist gezielt<br />
an, z.B. anläßlich der ZVS-Einschreibung durch Einladung<br />
zu einem Mittagessen oder bieten den Erstsemestern<br />
billigen, meist durch die Altherrenschaft subventionierten<br />
Wohnraum an. Ein solches Entgegenkommen ist nicht zu<br />
unterschätzen, van Gennep schreibt dazu: Ein solcher<br />
”<br />
Gabentausch hat eine unmittelbar verpflichtende Wirkung:<br />
ein Geschenk von jemanden akzeptieren heißt, sich an ihn<br />
binden.“<br />
len Pflichten entlassen wird, um sein Studium zu beenden<br />
und sich auf den Einstieg in das Berufsleben<br />
vorbereiten zu können. Diese Phase endet mit der<br />
Aufnahme in die Altherrenschaft“.<br />
”<br />
Die drei Phasen werden im Folgenden genauer geschildert:<br />
15<br />
Lebt der sogenannte<br />
”<br />
Nach dem Fechten<br />
Spefuchs“<br />
dann im<br />
Hause der Korporation,<br />
wird er<br />
zunächst unverbindlich<br />
zu einigenVeranstaltungeneingeladen,<br />
usw. Auch<br />
hier bleibt seitens<br />
der Verbindung<br />
nichts dem<br />
Zufall überlassen.<br />
Der Neue<br />
wird gezielt in die<br />
Korporation integriert<br />
(z.B. darf<br />
er am Mittagstisch<br />
teilnehmen,<br />
lernt im öffentlichen<br />
Leben bedeutende<br />
” Alte<br />
Herren“ kennen,<br />
etc.). Nach einer kurzen Phase der Orientierung erklärt<br />
sich der Neue dann unter Umständen bereit, dem Bund<br />
beizutreten. Oder er wird auf seinen Beitritt zur Gemeinschaft<br />
hin gefragt. Tritt er bei, bekommt er zunächst das<br />
meist zweifarbige Band als Zeichen der Mitgliedschaft<br />
verliehen (jetzt darf er z.B. auch die anderen Mitglieder<br />
duzen), ist damit Fuchs, also sozusagen Anwärter auf eine<br />
Vollmitgliedschaft und befindet sich in der Probezeit.<br />
Damit ist eine eindeutige Statuszuweisung verbunden.<br />
Als eine Art Novize ist der Fuchs derjenige, der in der<br />
Hierarchieleiter an unterster Stelle steht. Zur Erleichterung<br />
der Integration, aber auch zur Kontrolle muß sich<br />
der Fuchs einen sogenannten Leibburschen“ wählen, der<br />
”<br />
ihn in schwierigen Lagen vertreten kann. Zusätzlichen bekommt<br />
er Unterricht vom für die Nachwuchserziehung<br />
zuständigen Fuchsmajor“ (gelernt wird das Reglement,<br />
”<br />
die Geschichte der Korporation, des Dachverbandes, etc.).<br />
Erst nach und nach werden die Regeln der Korporation<br />
angewandt, so dass das neue Mitglied die beginnende Er-<br />
13Joachim Raack, Vom Sinn und Wert der Zensur, in: Die Wachenburg, Zeitschrift des Weinheimer Senioren Convents 1983. S. 116<br />
14Paschke (aaO.) S. 179<br />
15Arnold van Gennep, Übergangsriten. Frankfurt am Main/New York 1986. S. 37<br />
16CV-Handbuch 1990 (aaO.) S. 159
6 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
ziehung kaum bemerkt: ” Dieser Formungsprozeß vollzieht<br />
sich in der Regel weitgehend unmerklich für das einzelne<br />
Mitglied“. 16<br />
Der Fuchs hat nur eingeschränkte Rechte in den Organen<br />
der Korporation, aber volle Pflichten, so sollte er an jeder<br />
Veranstaltung teilnehmen und Anweisungen (z.B. vom<br />
Fuchsmajor) mit ” unbedingtem Gehorsam“ 17 ausführen.<br />
Manchmal ist es aus Sicht der Korporation auch<br />
notwendig, inhaltlich und zeitlich mehr Druck auf das<br />
neue Mitglied auszuüben, um eventuell vorhandenen Widerständen<br />
und Differenzen zu begegnen, schließlich soll<br />
der Korporierte die Regeln rückhaltlos akzeptieren und<br />
verinnerlichen. Dazu wird die Einbindung des Neuen<br />
verstärkt, zusätzlich finden lange Gespräche, meist mit<br />
dem Leibburschen, statt.<br />
Die kurze Integrationsphase wird begleitet von einer<br />
Anzahl unterschiedlicher Rituale. Zu nennen sind u. a.<br />
ein Adoptionsritual, das mit einer Namensgebung (Biername)<br />
verbunden ist, das offizielle Aufnahmeritual als Initiation<br />
(mit Statusänderung) und bei den schlagenden<br />
Korporationen die Bestimmungsmensur als besonderes<br />
Initiations- und Männlichkeitsritual. Daneben gibt es eine<br />
Vielzahl kleinerer, sich ständig wiederholender Rituale,<br />
z.B. Trinkrituale. Die Rituale erfüllen u.a. den beabsichtigten<br />
Zweck einer emotionalen Vermittlungsrolle: ” Die zwischenmenschlichen<br />
Tugenden, die uns zur Persönlichkeit<br />
prägen, lassen sich indessen nicht durch Vorlesungen, Seminare<br />
oder Predigten tradieren, man muß sie durch die<br />
Riten einer kleinen Gruppe, durch das Brauchtum einer<br />
Lebensform, durch das Vorbild der Älteren mehr unterschwellig<br />
als lehrhaft, mehr emotional als verstandesmäßig<br />
zur Gewohnheit, zum Habitus, zur Lebensart machen.“ 18<br />
Durch die Rituale lernt das Mitglied das Reglement<br />
kennen, erfährt die für die Korporation wichtigen inhaltlichen<br />
Zusammenhänge und vor allem den Umgang mit den<br />
anderen Korporierten, sowie mit der Gemeinschaft, in die<br />
er sich integrieren muss. Insgesamt zeichnet sich die Integrationsphase<br />
für das neue Mitglied durch hohe zeitliche<br />
und inhaltliche Dichte aus, durch die er einerseits aus der<br />
universitären Umgebung in die Korporation hineingezogen<br />
wird und ihm andererseits die Möglichkeit zur Reflexion<br />
seines Tuns bewusst stark eingeschränkt wird. Ziel ist dabei<br />
nicht nur das Erlernen der Regeln, sondern auch eine<br />
Reduzierung des Fuchsen zur sogenannten ” prima materia“,<br />
die müheloser geformt, geschliffen, bzw. erzogen werden<br />
kann.<br />
Die Phase der Festigung Die aktive Burschenzeit umfasst<br />
ca. drei Semester, so dass der Korporierte zuzüglich<br />
der Fuchsenzeit mindestens vier Semester der Korporation<br />
aktiv zur Verfügung steht. Auch in dieser Phase bleibt<br />
die zeitliche und inhaltliche Belastung des Korporierten<br />
hoch. Jedoch hat sich durch die ” Burschung“ sein Status<br />
verändert. Er ist nun vollwertiges Mitglied auf Lebenszeit<br />
und genießt die vollen Rechte. Er ist damit in der Lage,<br />
seinerseits die Gemeinschaft mitzugestalten, Ämter zu<br />
bekleiden und die Korporation nach außen zu vertreten.<br />
Wurde der Korporierte in der Integrationsphase erzogen,<br />
so ist er nun in der Position selbst zu erziehen. War er<br />
vorher derjenige, der die Befehle auszuführen hatte, so ist<br />
er nun derjenige, der die Befehle gibt. Zeichnete sich die<br />
Integrationsphase durch eine Erziehung durch Zwang aus,<br />
so wird in der Festigungsphase durch angeleitete Regelanwendung<br />
erzogen. Der Korporierte hat als Fuchs“ die Re-<br />
”<br />
geln verinnerlicht, die ihm nun als Leitlinien zur Ausgestaltung<br />
des korporierten Gemeinschaftsleben dienen.<br />
Die Festigungsphase ist die Zeit des spielerischen Umgangs<br />
mit den Regeln, also die Zeit, in der sich der Student<br />
” frei“ im Raum der Regeln bewegen und diese auf andere<br />
Mitglieder anwenden darf. Freiheit ist hier im Sinne des<br />
folgenden Zitates zu verstehen, nämlich als schon vordefiniert:<br />
Freiheit heißt nicht, tun und lassen können, was<br />
”<br />
man will, sondern was man soll.“ 19<br />
Die Angliederungsphase Die Phase der Angliederung<br />
bezeichnet die inaktive“ Zeit des Korporierten, in der<br />
”<br />
dieser sein Studium beendet und sich auf den Eintritt in<br />
das Berufsleben (und damit auf seine Rückkehr“ in die<br />
”<br />
Gesellschaft) vorbereitet. Je nach Studiumsdauer umfasst<br />
diese Phase einen Zeitraum von zwei Jahren und mehr.<br />
Die Inaktivität“ des Korporierten wird auf Antrag an die<br />
”<br />
Gemeinschaft von dieser auf dem zuständigen Convent“<br />
”<br />
beschlossen. Den Abschluss der Inaktivenzeit bildet die<br />
” Philistrierung“, also die förmliche Übernahme des Korporierten<br />
in die Altherrenschaft“, die gleichfalls durch Be-<br />
”<br />
schluss des zuständigen Conventes“ vollzogen wird. Als<br />
”<br />
inaktiver Bursche muss der Korporierte nicht mehr allen<br />
Verpflichtungen der korporierten Gemeinschaft nachkommen<br />
und steht dieser eher beratend zur Verfügung. Seine<br />
Rechte bleiben davon unberührt. Erst der Status als Al-<br />
”<br />
ter Herr“ verändert noch einmal sowohl Rechte als auch<br />
Pflichten. Der Alte Herr“ subventioniert die korporierte<br />
”<br />
Gemeinschaft, steht beratend zur Seite, kann aber notfalls<br />
auch in die Geschicke der sogenannten Aktivitas“<br />
”<br />
eingreifen. Nicht unwichtiger ist seine Aufgabe, in der Gesellschaft<br />
seine erlernten korporierten Vorstellungen umzusetzen.<br />
1.3 Schluss<br />
Die studentische Korporation kann in ihrer Funktion als<br />
ein Übergangsritual bezeichnet werden, das seinen Sinn<br />
in der ” Kontrolle der Dynamik des sozialen Lebens“ haben<br />
soll. Sie trennt dazu die neuen Mitglieder aus ihrem<br />
bisherigen Leben/Umfeld, fügt sie in ihr ” sicheres Zwangssystem“<br />
mit einer Vielzahl von Methoden ein. Dabei wendet<br />
die Gemeinschaft teilweise Methoden an, die auf eine<br />
gezielte Bewusstseinsveränderung abzielen. Insbesondere<br />
durch die Vielzahl und Intensität der Rituale erfolgt eine<br />
emotionale Vereinnahmung des Neuen durch die korporierte<br />
Gemeinschaft. Letzteres wird sogar von Korporierten<br />
öffentlich propagiert, denn die Erziehung soll schließlich<br />
den ” ganzen“ Menschen formen. 20<br />
Es ist deutlich geworden, dass eine Korporation mehr<br />
als eine sich gegenseitig stützende Gemeinschaft ist. Sie ist<br />
eine Schicksals-, Erziehungs-, und Lebensgemeinschaft.<br />
17Satzung der KDStV Palatia im CV, 1984, §24 c<br />
18Herbert Kessler, Rede anläßlich des Stiftungsfestes des Corps Franconia Berlin zu Kaiserslautern. in: Die Wachenburg, 1986. S. 3<br />
19CV-Handbuch 1990 (aaO.) S. 360<br />
20Herbert Kessler, in: CDA/CDK (Hg.), Vielfalt und Einheit des deutschen Korporationsverbände. 1998.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 7<br />
2 Geschlechterbilder von Verbindungen<br />
Wenn man sich mit den Geschlechterbildern – insbesondere<br />
dem Frauenbild – von Verbindungen befasst, dann<br />
fällt als erstes eine scheinbare Banalität auf: Die Mitglieder<br />
von Verbindungen sind fast ausschließlich männlichen<br />
Geschlechts. Ob Burschenschaft, Verbindung, Korporation<br />
oder Sängerschaft, soweit es sich nicht um eine der<br />
wenigen Frauen- oder gemischten Verbindungen handelt,<br />
dürfen Frauen meistens höchstens als Gäste und ” nettes<br />
Beiwerk“ auftreten. Sie sind die Freundinnen, Ehefrauen<br />
oder Töchter der aktiven Korporierten und alten Herren.<br />
Mit der Entwicklung<br />
der bürgerlichen Gesellschaft<br />
ab dem 18. Jahrhundert<br />
und den damit verbundenen sozioökonomischen<br />
und politischen Veränderungen entwickelte sich das Geschlechterverhältnis<br />
zur modernen Geschlechterpolarität.<br />
Der häusliche Raum, als Einheit des Wohnens und Arbeitens<br />
löste sich immer mehr auf und wurde immer<br />
mehr durch die moderne bürgerliche Familie abgelöst.<br />
Gleichzeitig kam es zur Konstruktion von Geschlechtercharakteren,<br />
die angeblich durch die Natur bestimmt seien.<br />
Sie sollten bestimmte Wesenszüge verkörpern und eine<br />
Einordnung der Personen in ein universales Zuordnungssystem<br />
gewährleisten. Den Inhalt der Geschlechtercharaktere<br />
lieferte die polaristische Geschichtsphilosophie,<br />
die der Frau emotional-reproduktive, dem Mann hingegen<br />
rational-kreative Wesensmerkmale zusprach. 22 Obwohl<br />
philosophisch zunächst keine explizite Hierarchie der<br />
Geschlechtercharaktere formuliert wurde, verankerten sie<br />
sich insbesondere in der Restaurationsphase immer stärker<br />
in der Gesellschaft.<br />
Während Männer als Akteure der Öffentlichkeit, des<br />
Erwerbs- und Staatslebens, sowie des sonstigen politischen<br />
Engagement galten, sollten Frauen sich um das Ehe- und<br />
Familienleben kümmern, die häusliche Zufriedenheit, ihre<br />
Mitmenschlichkeit und Emotionalität vermitteln und für<br />
die Erziehung der Kinder sorgen. Partizipation am politischen<br />
Geschehen oder die Mitgliedschaft in politischen<br />
Vereinen war Frauen weitgehend verwehrt.<br />
Auf diese Art und Weise bildete sich eine Trennung<br />
der konstruierten Geschlechtercharaktere heraus, die trotz<br />
Veränderungen zum Teil bis heute als gültig angesehen<br />
wird. So bezieht sich der Verein Deutscher Studenten<br />
(VDSt) zu Göttingen auf seiner Internetseite unter der<br />
Rubrik ” Männerbundprinzip“ folgendermaßen auf diese<br />
Tradition der Geschlechterpolarität: ” Bei uns können aus<br />
Tradition heraus lediglich Männer Mitglied werden! Das<br />
heißt natürlich nicht, dass wir frauenfeindlich sind. Ehefrauen,<br />
Verlobte, Freundinnen und weibliche Gäste sind<br />
auf vielen unser Veranstaltungen dabei. In unserer Gesellschaft<br />
gibt es schließlich auch andere Vereine und Organisationen,<br />
die nach Geschlechtern getrennt sind, beispielsweise<br />
Sportvereine.“<br />
Als Begründung<br />
wird auf die Bedeutung<br />
des männlichen<br />
Geschlechts für das verbindungsstudentische<br />
Selbstverständnis verwiesen:<br />
” Unser Burschenbrauchtum<br />
ist immer<br />
auf eine bestimmte<br />
männliche Gruppe abgestimmt.<br />
Die menschliche<br />
Weltordnung ist<br />
auf das Männliche ausgerichtet.“<br />
21<br />
Männerbild<br />
Während des Übergangs von der Feudal- zur bürgerlichen<br />
Gesellschaft wurde dem deutschen, Mann, in seinem<br />
körperlichen Erscheinungsbild, mehr Bedeutung zugemessen.<br />
Er wurde als mutig, stark und potent charakteri-<br />
Geschlechterpolarität<br />
siert und stereotypisiert. Leibesertüchtigungen, militäri-<br />
”<br />
sche Übungen“, Patriotismus und männliche Ästhetik“<br />
”<br />
wurden miteinander verbunden um neue Deutsche“ zu<br />
”<br />
erschaffen. Nicht in das Bild der Männlichkeit passte emotionalisiertes<br />
Verhalten wie sexuelle Leidenschaften oder<br />
Triebe.<br />
Die<br />
” männlichen<br />
Qualitäten“ würden die<br />
entsprechenden Aufgaben<br />
bestimmen, die in<br />
den Dienst der Gesellschaft<br />
und Nation gestellt<br />
werden sollten.<br />
Als besonders männlich<br />
und heroisch galt es in<br />
den Krieg zu ziehen.<br />
Entsprechend wurden<br />
sowohl Gesellschaft<br />
und Öffentlichkeit als<br />
auch deren militärische<br />
Verteidigung als<br />
” männlich-militärischer<br />
Raum“ verstanden. Daher<br />
sollte die Nation<br />
auch ein Brüderbund<br />
”<br />
von Kriegern“ sein. So<br />
wurde der Nationalkrieg,<br />
wie z.B. der Befreiungskrieg gegen das napoleonische<br />
Frankreich, als Bewährungsprobe wahrer Männlich-<br />
”<br />
keit“ verstanden. Die meisten Burschenschaften würden<br />
das wahrscheinlich noch heute als heroische Tat“ glorifi-<br />
”<br />
zieren.<br />
21 Burschenschaftliche Blätter 5/1980, zitiert nach: AStA Uni Hamburg, Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg. 2005. S. 19<br />
22 Dietrich Heither, Verbündete Männer. Köln 2000. S. 123
8 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Das Frauenbild<br />
Im Gegensatz zum vermeintlich heldenhaft männlichen<br />
wurden Frauen, während der Herausbildung der modernen<br />
Geschlechterpolarität weitgehend auf sexuell-biologische<br />
Funktionen reduziert. Aus dieser Unterscheidung zwischen<br />
Männlichkeit und Weiblichkeit entwickelten sich im 19.<br />
Jahrhundert fest umrissene, klar abgegrenzte und quasi<br />
unveränderbare Rollen. Eine Frau habe die Aufgabe Kinder<br />
zu erziehen und sich um den Haushalt zu kümmern<br />
und somit Hüterin von Moral und privater Ordnung zu<br />
sein. Frauen sollten sich aus der ” Männerwelt“ heraushalten,<br />
sie sollten durch Fürsorge und Beistand, die Männer<br />
in ihren gesellschaftlichen Aufgaben und im Privaten unterstützen.<br />
So wurden etwa Frauen auf einem Stiftungsfest<br />
des Corps Rhenania zu Braunschweig 1990 folgendermaßen<br />
beschrieben: ” Meine lieben Damen, Sie sind für uns<br />
Männer ein Geschenk des Himmels. Ihnen verdanken wir<br />
Zufriedenheit und Erfolg im Studium oder in unserem Beruf,<br />
denn wenn wir es vielleicht auch nicht immer zugeben,<br />
wir wissen jedoch alle, wie wohltuend ein ruhiges, ein lustiges<br />
oder auch ein aufmunterndes Wort aus ihrem Munde<br />
wirken kann. Ich stelle also fest: Die hochverehrten Damen<br />
erleichtern unser Leben nicht nur in vielen vielen Dingen,<br />
sondern durch ihre Liebe und Zuneigung und durch ihre<br />
Reize versüßen und verschönern sie unser Leben.“ 23<br />
Hier wird die klassisch<br />
patriarchalische<br />
Polarität von männlich<br />
zugeschriebener,<br />
produktiver und weiblich<br />
zugeschriebener,<br />
reproduktiver Arbeit<br />
deutlich. Ein Geschlechterbild,<br />
das jedememanzipatorischen<br />
Anspruch konträr<br />
entgegensteht.<br />
An diesem Punkt<br />
schließt sich der Kreis<br />
zum oben skizzierten<br />
und immer noch bestehendenpatriarchalischen<br />
Frauenbild in der Gesellschaft und dessen Reproduktion.<br />
Denn Verbindungen betreiben die Verbreitung ihrer<br />
Werte und Vorstellungen in der Gesellschaft und tragen<br />
so zu der Festigung der Geschlechterpolarität in der<br />
Gesellschaft bei.<br />
Ein Mitglied der Mainzer Landsmannschaft Hercyna<br />
brachte sein Frauenbild und die Aufnahme von Frauen in<br />
seine Landsmannschaft so auf den Punkt: ” Ein Golf GTI-<br />
Club nimmt auch keine Mantas auf.“ 24<br />
Verbindungen als Männerbünde<br />
Historisch war die Universität im 19. Jh. ein Raum, in<br />
dem Frauen nicht zugelassen waren. Daher war ihr ex-<br />
23zitiert nach: AStA Uni Göttingen, Klüngel, Corps und Kapital. 1994. S. 15<br />
24AStA der Universität Mainz, Herrschaftszeiten nochmal! 2001, S. 52<br />
25Dietrich Heither, Verbündete Männer. S. 123<br />
26ebd. S. 310<br />
27ebd. S. 388. Vergleiche auch Abschnitt 1 in diesem Reader.<br />
pliziter Ausschluss aus Studentenverbindungen auch nicht<br />
erforderlich. Die Nichtzulassung von Frauen wurde erst<br />
um die Jahrhundertwende relevant. Bis dahin zeigte sich<br />
der männerbündische Charakter der Korporationen in der<br />
Überhöhung des in der Gesellschaft und damit auch an der<br />
Universität geltenden geschlechterpolaren Wertesystems,<br />
was einen Dominanzanspruch des männlichen Geschlechts<br />
bedeutete, deren Mitglieder sich in einem Bund, einer Studentenverbindung,<br />
zusammenschließen sollten. 25<br />
Aus dieser Konzeption<br />
heraus entwickelten<br />
sich Verbindungen als<br />
Männerbünde. Ein solcher<br />
Männerbund bilde<br />
eine Instanz, die über<br />
dem Individuum angesiedelt<br />
sein soll, die über<br />
persönliche Sympathien<br />
und Antipathien hinausginge<br />
und für ein<br />
Sakral- beziehungsweise<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
verantwortlich<br />
sei, das durch Rituale<br />
und Bräuche immer<br />
wieder hergestellt werden<br />
müsste. 26 Zur Bildung<br />
eines solchen Bundes,<br />
der sich gegen die<br />
als profan verstandene<br />
Umwelt abgrenzt, seien<br />
ausschließlich Männer im Stande. Das Sicherstellen der<br />
” Reinhaltung“ des Männerbundes ist ein wesentliches Ziel<br />
der korporierten Erziehung. In deren Verlauf muss sich der<br />
Einzelne durch martialische Rituale wie der Mensur oder<br />
kollektive und streng reglementierte Besäufnisse beweisen<br />
und wird zur wahren Männlichkeit“ erzogen. Ein weiteres<br />
”<br />
Ziel einer solchen Erziehung ist, die Fähigkeit, Schmerz<br />
zu ertragen zu fördern und auf die Weise Härte gegen sich<br />
selber und andere zu entwickeln und Gemeinschaftsgefühle<br />
zu stärken. Die Zugehörigkeitsgefühle zur Gemeinschaft<br />
werden dabei einerseits über die emotionale Dimension<br />
der Rituale und das gemeinsame Regelwerk hergestellt.<br />
Andererseits wird Gemeinsamkeit über Abgrenzung nach<br />
Außen gestiftet. 27<br />
Ein weiteres wichtiges Axiom des Männlichkeitsbildes<br />
für Burschenschaften ist die Einsatz- und Opferbereit-<br />
”<br />
schaft für das Vaterland“, welches sie als nationale Elite<br />
qualifiziere und ihren Herrschaftsanspruch über die Welt<br />
”<br />
der Frauen und Kinder“ legitimiere.<br />
Verschränkung des Geschlechterbildes mit politischen<br />
Konzeptionen<br />
Die Mitgliedschaft von Frauen ist in Studentenverbindungen<br />
unerwünscht, einerseits weil Frauen, wie erwähnt,<br />
von Burschenschaftlern von Natur aus als das ” schwache
Werte, Wichs und Waffenbrüder 9<br />
Einladung zur Party ” auf dem Haus“<br />
Geschlecht“ angesehen werden und andererseits weil die<br />
Erziehungsziele in Burschenschaften ein ” Bekenntnis zur<br />
reinen Männergesellschaft“ beinhalten. Diese Gesellschaft<br />
ist, nach eigenem Verständnis, national, ” gehärtet“ und<br />
unvereinbar sowohl mit ” Weiblichkeit“ als auch der ” sozialistischen<br />
Idee der Gleichheit“ als auch dem ” extremen<br />
Liberalismus“, der das Individuum über die ” nationale<br />
Gemeinschaft“ stellt. Individuen sollen sich der ” nationalen<br />
Gemeinschaft“ unterordnen. Männerbund und Weltanschauung<br />
bilden hier eine Einheit. Auch die Gesellschaft<br />
wird z.T. wegen angeblich mangelnden Nationalempfindens,<br />
als ” verweichlicht“ bzw. ” verweiblicht“ angesehen.<br />
Soldaten stehen für den Inbegriff des Nationalverteidigers.<br />
Somit kann nicht verwundern, dass es zu einer mystischen<br />
Überhöhung von Soldaten kommt, einem ” Soldatenkult“.<br />
Ein solcher Kult führt z.B. bei der Deutschen Burschenschaft<br />
unter anderem zur Parteinahme für die deutsche<br />
Wehrmacht, deren Ruf gerettet werden müsse. Im<br />
Zuge der Ausstellung ” Vernichtungskrieg. Verbrechen der<br />
Wehrmacht 1941–1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung<br />
richtete sich die Deutsche Burschenschaft ge-<br />
28 ebd. S. 377ff.<br />
gen die angebliche Hetzkampagne gegen<br />
die Wehrmacht, wobei die Teilnahme<br />
am nationalsozialistischen Vernichtungsprojekt<br />
geleugnet wurde. 28<br />
Frauenverbindungen<br />
Es könnte hier der Anschein erweckt<br />
werden, dass es sich bei Frauenverbindungen<br />
um ein emanzipiertes Gegenprojekt<br />
oder eventuell einem ironischen WG-<br />
Projekt handelt. Doch das Gesellschaftsbild<br />
dieser Verbindungsstudentinnen basiert<br />
nicht auf der Grundlage von Emanzipation,<br />
sondern manifestiert sich in der<br />
Negation dessen. Die Rolle der Frau ist für<br />
diese Gruppierung ebenso selbstverständlich,<br />
wie für ihre männlichen Kamera-<br />
”<br />
den“. Das schließt das Bekenntnis zur<br />
”<br />
deutschen Nation“ und den Willen, den<br />
” Eliten“ gute Mütter zu sein, ein. Auch<br />
in dem internen Hierarchiegeflecht stehen<br />
sie den Burschen“ um nichts nach.<br />
”<br />
Das Äquivalent zu den Burschen“ ist<br />
”<br />
” Mädels“ und anstatt alter Herren“ gibt<br />
”<br />
es als Synonym die hohen Damen“. Auch<br />
”<br />
hier steht das Lebensbundprinzip im Mittelpunkt<br />
dieser Verbindungen. Unser<br />
”<br />
Bund ist auf die Braut, die Freundin, die<br />
Frau gebaut, ohne sie verlör’ er ganz die<br />
äußere Form und die Substanz.“ Nach eigenen<br />
Angaben der Parnassia Göttingen<br />
gebe es in keiner Form Veranstaltungen<br />
wie Zwangstrinken, Zwangskneipen usw.<br />
Doch, wie bei allen Verbindungen dieser<br />
Coleur steht das Individuum in dem Konflikt,<br />
in der Gruppierung aufzugehen oder<br />
doch eigene Interessen wahrzunehmen. Es<br />
müssen somit überhaupt keine Zwangsmaßnahmen durchgesetzt<br />
werden, wenn Konformität lebensgestaltend wird<br />
und sich das Individuum freiwillig in das Lebensbundprinzip<br />
unterordnet.<br />
aus: Academia, Zeitschrift des CV 4/2005
10 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
3 Völkische Ideologie von der Gruppe Antifa Aktion & Kritik<br />
Konservative, liberale, farbentragende, schlagende Verbindungen:<br />
Sie alle eint ihr offensiv positiver Bezug zum<br />
deutschen Vaterland.<br />
Damit stehen sie nicht alleine, denn das möglichst<br />
unverkrampfte Bekenntnis zur Nation gilt mittlerweile<br />
als nicht zu begründende Selbstverständlichkeit. Ob sie<br />
nun als Fackeln tragende Burschis Deutschland über al-<br />
”<br />
les“ gröhlen oder zeitgemäßer als hippe Deutschpopper<br />
” MIA“s Ode an das geläuterte Vaterland mitsingen; ob sie<br />
als antifaschistische weltoffene BürgerInnen am 8. Mai in<br />
Berlin gegen Neonazis demonstrieren oder auf zahlreichen<br />
Demos gegen den Irakkrieg Deutschland als pazifistische<br />
Alternative zu den USA bejubeln: so unterschiedlich deutsche<br />
Nationalisten sind, wenn es drauf ankommt, stehen<br />
sie alle zu ihrem Vaterland.<br />
Auf die Frage, wieso es Völker und Nationen im Allgemeinen<br />
und Deutschland im Besonderen gibt, folgen<br />
Unverständnis oder krude Erklärungen von der Naturhaftigkeit<br />
der Nation überhaupt oder der Schicksalsge-<br />
”<br />
meinschaft“ (Lafontaine) der Deutschen. Das gebildete<br />
rot-grüne Milieu jedoch verweist lieber auf den Verfas-<br />
”<br />
sungspatriotismus“ (Habermas), das Bekenntnis zu den<br />
Werten des Grundgesetzes. Auch wenn jene aufgeklärte<br />
PatriotInnen von der Standortgemeinschaft Deutschland<br />
sprechen und das völkische Modell mitunter anachronistisch<br />
wirkt, so bricht der Wunsch nach der Nation<br />
als Volksgemeinschaft immer wieder durch: als Dauerzustand<br />
in den national befreiten Zonen“, als sich unter<br />
”<br />
der Parole Wir sind das Volk!“ versammelnde Montags-<br />
”<br />
DemonstrantInnen oder eben im Denken der deutschen<br />
Burschenschaften. Deutsches Volk: jene Vorstellung, für<br />
die es keine vernünftige Begründung, sondern allenfalls eine<br />
historische Erklärung geben kann, soll im Folgenden<br />
Gegenstand unserer Kritik sein.<br />
Nation building auf deutsch<br />
Dass es ein ” deutsches Volk“ gäbe, war nämlich bis ins 19.<br />
Jahrhundert hinein keine besonders verbreitete Vorstellung.<br />
Das änderte sich um 1800, als sich die Ideen der Aufklärung<br />
verbreiteten und Napoleon dem ein wenig nachhalf<br />
und halb Europa besetzte. Im Gepäck hatte er den<br />
Code Napoleon, ein Bürgerliches Gesetzbuch, das auf den<br />
Ideen von ” Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ aufgebaut<br />
war und gleichzeitig notwendige Rahmenbedingungen für<br />
kapitalistische Produktionsweise schuf. Die Autorität der<br />
deutschen Fürsten in den besetzten Gebieten wurde dadurch<br />
massiv eingeschränkt und ihre Herrschaft überhaupt<br />
in Frage gestellt. So appellierten sie an das ” deutsche Volk“<br />
und meinten damit zum ersten mal eben all jene Menschen,<br />
die ihren Vorstellungen von ” deutsch“ entsprachen,<br />
um zum Aufstand gegen Napoleon zu mobilisieren. Einige<br />
Studenten ließen sich nur zu gern fürs Vaterland begeistern,<br />
gründeten ” Corps“ und engagierten sich besonders<br />
in den Kriegen gegen Napoleon. Als ihre eben noch<br />
geschürten Hoffnungen auf ein einiges Deutschland nach<br />
Napoleons Niederlage und im Zuge der Restauration nach<br />
dem Wiener Kongress enttäuscht wurden, begannen sie<br />
sich in Burschenschaften zu organisieren und den Prozess<br />
eines einigen Vaterlandes selbst in die Hand zu nehmen. So<br />
kämpften sie sowohl gegen die absolutistisch regierenden<br />
Fürsten, die nicht bereit waren, ihren Herrschaftsanspruch<br />
an einen gemeinsamen deutschen Souverän abzutreten, auf<br />
der anderen Seite gegen den Einfluss von ” außen“, den<br />
Ideen der Französischen Revolution. Die Aufklärung und<br />
die erfolgreiche Gründung einer Französischen Republik<br />
führten jedoch zu unterschiedlichen Einschätzungen unter<br />
den Studenten, wie denn Deutschland verwirklicht werden<br />
könne, sich entweder am französischen Modell zu orientieren<br />
oder in Abgrenzung dazu. Es setzten sich diejenigen<br />
durch, die einen auf Kultur und Abstammung beruhenden<br />
Weg zum Nationalstaat gehen wollten. Eine erste<br />
öffentlichkeitswirksame Demonstration dessen, was sie<br />
darunter verstanden, lieferten sie im Oktober 1817 beim<br />
Wartburgfest, wo sich ca. 500 Burschenschaftler versammelten,<br />
um unter anderem den Sieg über Napoleon zu<br />
feiern. Im Laufe des Fests veranstalteten einige Studenten<br />
eine Bücherverbrennung. Verbrannt wurde das Buch<br />
Bücherverbrennung beim Wartburgfest 1817<br />
des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher ” Germanomanie“<br />
mit den Worten: ” Wehe über die Juden, so da festhalten<br />
an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum<br />
schmähen und spotten!“ 29 , des weiteren der Code Napoleon<br />
sowie weitere sogenannte antideutsche, liberale aber<br />
auch konservative 30 Bücher und Symbole. Hier zeigt sich,<br />
dass schon mit der Gründung der ersten Burschenschaften<br />
ein völkisch-nationalistisches Denken Wirkung entfaltete,<br />
welches sich bis heute wie ein roter Faden durch die Geschichte<br />
des deutschen Verbindungswesens zieht; entgegen<br />
der bis heute verbreiteten Vorstellung, alle studentischen<br />
Verbindungen seien zumindest in ihren Anfängen, liberale,<br />
29 Zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 27<br />
30 Konservativ bezeichnet in diesem Fall die Restauration nach dem Wiener Kongress, womit die ” alte Ordnung“ mit einzelnen, absolutistisch<br />
regierten Fürstentümern gemeint war.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 11<br />
demokratische ” Freiheitskämpfer“ gewesen.<br />
Die ideologische Grundlage dieses völkischen Nationalismus<br />
bildete der deutsche Idealismus von Fichte und<br />
Schelling, welche die organische und naturhafte Gemeinschaft<br />
der Deutschen halluzinierten und diese mit einer<br />
langen Abstammungskette bis hin zu den Germanen und<br />
Ur-Ariern zurückverfolgen wollten. Demnach sei das deutsche<br />
Volk auch keine ” Willensgemeinschaft“, als rein politisches<br />
Wesen, wie die Nation etwa in Frankreich begründet<br />
wurde, sondern ausdrücklich eine archaische, vorpolitisch<br />
begriffene Gemeinschaft. Dass die Deutschen alle<br />
etwas ganz besonderes gemeinsam hätten, nämlich ihr<br />
Blut, sei die Grundlage, auf der eine deutsche Nation zu<br />
errichten sei. Darüber hinaus galt das ” deutsche Blut“ als<br />
Träger von Charaktereigenschaften, Sprache, Kultur und<br />
Aussehen.<br />
Bis dieses Deutschland dann aber gegründet wurde,<br />
dauerte es noch über ein halbes Jahrhundert und schließlich<br />
konnte dieser Schritt, der doch eigentlich die Umsetzung<br />
dessen sein sollte, was von Natur aus eh notwendig<br />
sei, nur mit Gewalt erreicht werden.<br />
Design veraltet – Aussage modern.<br />
Nachdem sich Preußen gegen Österreich um die Vorherrschaft<br />
des erwünschten Deutschlands durchgesetzt<br />
hatte (bis dahin war auch nicht klar was denn nun alles<br />
dazugehören sollte) und nachdem Preußen Dänemark und<br />
Frankreich besiegt hatte, konnte die Gründung Deutschlands<br />
” von oben“ vollzogen werden. Der Mythos von<br />
der organischen Volksgemeinschaft wurde beibehalten und<br />
fand als offizielle Staatsdoktrin mit dem ius sanguis ihren<br />
Niederschlag im Reichsgesetz. Das ius sanguis ist das preußische<br />
Bluts- und Abstammungsgesetz von 1842, demzu-<br />
folge deutscher Staatsbürger nur sein kann, wer deutsche<br />
Vorfahren hat also ” deutsches Blut“. Das deutsche Kaiserreich<br />
war die Blütezeit des deutschen Verbindungswesens,<br />
stellten sie doch einen Großteil der gesellschaftlichen<br />
Elite. So war Bismarck, der die Reichsgründung 1871 umgesetzt<br />
hat, Mitglied in der Corps Hannovera Göttingen.<br />
(Zur weiteren Bedeutung von Burschenschaften im Kaiserreich<br />
der Weimarer Republik und im NS siehe Abschnitt<br />
4 ” Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen“)<br />
Nur mit einer Homogenisierung nach innen und Abgrenzung<br />
nach außen konnte sich der völkische Nationalismus<br />
durchsetzen. Die Homogenisierung wurde unter anderem<br />
durch das ius sanguis herbeigeführt. Die ab Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts sich durchsetzenden Rassentheorien<br />
ermöglichten völkischen Deutschen die wissenschaftliche<br />
Legitimiation ihres Denkens. Wurde die Trennung zwischen<br />
” Deutschen“ und ” Franzosen“ hauptsächlich über<br />
Kultur vollzogen, wurde die ” jüdische Rasse“ als absolutes<br />
Gegenstück zur ” deutschen“ betrachtet. Bei der deutschen<br />
Burschenschaft sah das gegen Ende des 19. Jhd.<br />
so aus, dass diese in ihrer Postille ” Burschenschaftliche<br />
Blätter“ feststellten, ” dass gegenwärtig die deutsche aktive<br />
Burschenschaft, [. . . ] den Kampf gegen das Judentum<br />
als eine nationale Aufgabe ansehen an deren Lösung sich<br />
die Burschenschaft beteiligen soll.“ 31 Einzig aus diesem<br />
Grund entstand der ” Verein Deutscher Studenten“ (siehe<br />
6.7). Auch in anderen Verbindungen kam es seit diesem<br />
Zeitpunkt vermehrt zum Ausschluss jüdischer Studenten,<br />
was zur Folge hatte, dass 1895 diese in der Deutschen Burschenschaft<br />
nicht mehr vertreten waren.<br />
Schon 1879 entbrannten (später als ” Antisemitismusstreit“<br />
bezeichnete) Auseinandersetzungen an den Universitäten<br />
darüber, ob sich assimilierende Juden Teil der<br />
deutschen Nation sein könnten. Die verschiedenen Burschenschaften<br />
ergriffen einhellig die Partei für Professor<br />
von Treitschke, der in diesem Zusammenhang den folgenschweren<br />
Satz ” die Juden sind unser Unglück“ formulieren<br />
sollte.<br />
” Antisemitismus verrät uns nichts über die Juden,<br />
aber eine Menge über die Antisemiten und die<br />
Kultur, die sie hervorbringt.“ (Daniel Jonah Goldhagen)<br />
” Jawohl die Völkischen hassen die Juden, aber nicht die<br />
Juden als mechanisch wirkende Krankheitserreger; sondern<br />
den jüdischen Geist, der mit seinem Intellektualismus<br />
die Welt entgöttert, die Kulturen zersetzt, die<br />
historisch-soziale Ordnung auflöst, eine ästhetische Genießerphilosophie<br />
verbreitet, die reinen Geschlechtsbeziehungen<br />
des Germanen pervertiert und dank seiner Eignung<br />
zu abstrakten Geldgeschäften die Völker – ob bewußt oder<br />
unbewußt [. . . ] – zu Knechten macht.“ 32<br />
Die gewaltsame Durchsetzung und Universalisierung<br />
kapitalistischer Warenvergesellschaftung wurde von vielen<br />
Menschen als Bedrohung oder als Katastrophe empfunden,<br />
weil sie alle bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse und<br />
Beziehungen aufbrach. Insbesondere in jenen Gesellschaften,<br />
in denen die kapitalistische Modernisierung durch den<br />
Staat durchgeführt wurde, entstand das Bedürfnis, eine<br />
31 Zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 71f.<br />
32 Burschenschaftliche Blätter, 1924. zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 91f
12 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Zusammengehörigkeit zu finden, die auf mehr beruht als<br />
auf dem Zufall der Unterworfenheit aller einzelner unter<br />
die selbe abstrakte Herrschaft. In Deutschland war es der<br />
Wunsch nach konkreter, und ” natürlicher“ Gemeinschaft<br />
einerseits und der Identität der ” guten“ Herrschaft mit<br />
den Beherrschten anderseits, dem ” Volksstaat“ (U. Enderwitz).<br />
Der gegen Ende des 19. Jahrhunderts als politische<br />
Massenbewegung aufkommende moderne Antisemitismus<br />
unterscheidet sich von seinem Vorgänger, dem sich religiös<br />
legitimierenden Antijudaismus insbesondere darin, dass er<br />
die Vorstellung globaler Macht zum Inhalt hat; der moderne<br />
Antisemitismus ist ” die prominenteste Verschwörungstheorie,<br />
um den Weltmarkt zu erklären“ (M. Postone).<br />
Darin liegt der fundamentale Unterschied zum Rassismus,<br />
aus: Burschenschafter und nationale Identität, herausgegeben<br />
von der Burschenschaft Ghibellinia im Auftrag der Burschenschaftlichen<br />
Gemeinschaft in DB und DBÖ, Stuttgart 1984<br />
der ” die anderen“ als unterlegen abwertet, sollen doch ” die<br />
Juden“ eine universale, unfassbare Macht darstellen, die<br />
eine Gefahr für alle authentischen Völker bedeutet.<br />
Dem Antisemitismus zugrunde liegt die rigide Trennung<br />
zwischen Wesen und Erscheinung des Kapitalismus:<br />
die als konkret empfundene Seite kapitaler Vergesellschaftung<br />
gilt dem Alltagsbewusstsein als natürlich und nicht<br />
zu hinterfragen, als bedrohlich gilt ausschließlich das Abstrakte,<br />
nur jene Seite erscheint überhaupt als kapitalistisch.<br />
Der moderne Antisemitismus formuliert den Gegensatz<br />
von stofflich Konkretem und dem Abstrakten als ” rassischen“<br />
Gegensatz zwischen Deutschen und Juden, er vollzieht<br />
die Biologisierung des Kapitalismus als ” Weltjudentum“.<br />
Bezogen auf die Nation bedeutet dies, dass Jüdin-<br />
33 Homepage der ” Deutschen Burschenschaft“<br />
nen und Juden zwar deutsche StaatsbürgerInnen, aber<br />
eben keine Deutschen waren. Sie galten ausschließlich auf<br />
der abstrakt rechtlichen Ebene als Teil der Nation, jedoch<br />
nicht als konkrete Individuen. Das Konstrukt des Juden“<br />
”<br />
erfüllte vielmehr die Funktion des Anti-Volkes“ (Améry<br />
”<br />
1990, 201) und der Gegenrasse“ (Rosenberg 1934, 462),<br />
”<br />
als dessen negativer Doppelgänger der Deutsche“ bzw.<br />
”<br />
” der Arier“ gesetzt wurde.<br />
Als Konstitutionsprinzip des Volkes gilt jener Ideologie<br />
zusätzlich der spezifisch deutsche Begriff von Ar-<br />
”<br />
beit“. Die Vorstellung einer ehrlichen, fleißigen deutschen<br />
Arbeit lieferte die Grundlage der Projektion einer raffenden<br />
jüdischen Nicht-Arbeit: eine Projektion, die auch bei<br />
Teilen der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung<br />
nicht nur auf Ablehnung stieß. Das völkische<br />
Denken impliziert zudem notwendig, dass Klassengegensätze<br />
innerhalb der deutschen Gesellschaft verschleiert<br />
werden. Die völkische Homogenität darf nicht durch<br />
partikulare Klasseninteressen beeinträchtigt werden, daher<br />
gilt es, diese zu negieren. Das nationale Bündnis zwi-<br />
”<br />
schen Kapital und Arbeit“ im Nationalsozialismus wurde<br />
nach 1945 transformiert in das korporatistische Gesellschaftsmodell<br />
der BRD. Vor dem Hintergrund dieser klas-<br />
”<br />
senlosen Klassengesellschaft“ (T.W. Adorno) laufen auch<br />
heute noch die sozialpolitischen Auseinandersetzungen in<br />
Deutschland ab.<br />
” Größer als die BRD. . .“<br />
Wie bereits oben erwähnt, wird im völkischen Denken,<br />
die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft über scheinbar<br />
natürliche und organische Eigenschaften definiert. Wichtigstes<br />
Kriterium stellen demnach das Blut bzw. in der<br />
modernen Form die Gene da. Jetzt ist Blut aber bei allen<br />
Menschen rot, hat einen Rhesusfaktor oder nicht und weltweit<br />
gibt es die Blutgruppen 0, A, AB und B. Charaktereigenschaften<br />
oder Aussehen haben damit nichts zu tun. Die<br />
Herleitung, die Deutschen seien die direkten Nachfahren<br />
der Germanen, rührt aus einem solchen Denken. Demnach<br />
seien die Charaktereigenschaften, die bei den Germanen<br />
zu finden gewesen wären, wie Stolz, Fleiß, Mut, Treue,<br />
Ehre usw. alles auch Eigenschaften, die sie direkt weiter<br />
an die Deutschen vererbt hätten. Nun klingen diese Ideen<br />
heute doch ziemlich albern und längst überholt. Wer<br />
dazu gehört wird jedoch immer noch in etwas abgewandelter<br />
Form nach dem ius sanguis (s.o.) bestimmt. Für die<br />
Deutsche Burschenschaft ist demnach auch klar, wer denn<br />
” deutsch“ und wo Deutschland“ überall ist.<br />
”<br />
” Die Deutsche Burschenschaft sieht das deutsche Vaterland<br />
unabhängig von staatlichen Grenzen in einem freien<br />
und einigen Europa, welches Osteuropa einschließt. Sie<br />
setzt sich für eine enge Verbundenheit aller Teile des deutschen<br />
Volkes in Freiheit ein [. . . ]. Unter dem Volk versteht<br />
sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches<br />
Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und<br />
gleiche Sprache verbunden ist. Pflicht der Burschenschaften<br />
ist das dauernde rechtsstaatliche Wirken für die freie<br />
Entfaltung deutschen Volkstums“. 33<br />
Entsprechend wurden in den letzten Jahren in Osteuropa<br />
Verbindungen gegründet und in die Deutsche Bur-
Werte, Wichs und Waffenbrüder 13<br />
schenschaft mit aufgenommen. Mit ihrer Forderung nach<br />
” dem Recht jedes einzelnen und jedes Volksteiles auf seine<br />
angestammte Heimat“ 34 wird folgendes deutlich: Die<br />
Grenzen der BRD seien nicht die wahren Grenzen, sondern<br />
das deutsche Volk“ habe seine Heimat auch den ehe-<br />
”<br />
maligen Ostgebieten des Deutschen Reiches, so werden die<br />
” neuen Bundesländer“ gerne auch als ” Mitteldeutschland“<br />
bezeichnet. Diese Meinung teilen Verbindungen mit revisionistischen<br />
Gruppen wie dem Bund der Vertriebenen,<br />
der sich der Unterstützung von Teilen der bürgerlichen<br />
Mitte sicher sein kann.<br />
” Deutschland? Nie wieder!“ (Marlene Dietrich)<br />
Ziel einer Kritik des völkischen Nationalismus deutscher<br />
Burschenschaften ist keineswegs die Propagierung eines<br />
besseren, weil aufgeklärten Bezugs zur Nation. Dies sei der<br />
rot-grünen Zivilgesellschaft zur Rationalisierung ihres Nationalstolzes<br />
überlassen. Jedoch kann gerade in Deutschland<br />
die Kritik der Nation keine ausschließlich allgemeine<br />
sein, sie muss nicht zuletzt eine spezifische Kritik des regressivsten<br />
Konzepts von Nation, und zwar dem völkischdeutschen,<br />
sein.<br />
Die deutsche Volksgemeinschaft wurde verwirklicht<br />
durch das nationale Projekt der Deutschen“ (Goldha-<br />
”<br />
gen), die Vernichtung der Jüdinnen und Juden. In heutiger<br />
Zeit zieht der deutsche Nationalismus seine vermeintliche<br />
Legitimität aus dem Bekenntnis zur deutschen Schuld<br />
und einem hieraus resultierenden antifaschistischen Selbstverständnis.<br />
Zugleich dient der Diskurs über die Leichen<br />
der Deutschen im Zweiten Weltkrieg dazu, die Grenzen<br />
zwischen Tätern und Opfern zu verwischen. Während des<br />
Gedenkens an die deutschen Opfer“ des alliierten Bom-<br />
” ”<br />
benkriegs“ in Dresden und anderen Städten vollzieht sich<br />
34 ebd.<br />
der gesellschaftliche Schulterschluss zwischen den Generationen.<br />
Die deutsche Mehrheitsgesellschaft mag sich noch<br />
sehr um Abgrenzung zur offen neonazistischen Minderheit<br />
bemüht sein; indem sie sich jedoch als Opfer des alliierten<br />
Luftkriegs oder des amerikanischen Heuschrecken-<br />
Burschenschaftler beim neonazistischen ” Heldengedenken“ in<br />
Halbe, November 2004<br />
Kapitalismus (Müntefering) stilisiert, halluziniert sie sich<br />
immer wieder aufs neue als Gemeinschaft, der von außen<br />
durch finstere Mächte übel mitgespielt wird. Gegen die<br />
deutsche Nation und die in ihr stets enthaltenen Möglichkeit<br />
völkischer Barbarei setzt emanzipatorische Kritik das<br />
Konzept der ” Assoziation freier Individuen“ (Marx), den<br />
Kommunismus. Eine solche Gesellschaft, die ” Differenz<br />
ohne Angst“ (Adorno) ermöglicht, ist ohne die Absage an<br />
das nationale Kollektiv jedoch nicht zu haben.
14 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
4 Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen<br />
Über das Elitenwesen der studentischen Korporationen<br />
Bei dem Gedankenan studentische Verbindungen ist die Assoziation mit dem Elite-Gedanken nicht weit. Der Elitebegriff<br />
(lat. = Auswahl) kann von verschiedenen Standpunkten betrachtet werden. Zum Einen beschreibt er eine<br />
Zusammenfassung überdurchschnittlich qualifizierter Personen (Funktionseliten), zum Anderen die herrschenden bzw.<br />
einflussreichen Kreise in einer Gesellschaft (Machteliten). Ebenso kann der Elitebegriff im militärischen Zusammenhang<br />
genutzt werden, wobei er besonders ausgebildete und bewaffnete Truppenteile beschreibt.<br />
Die meisten Mitglieder von Studentenverbindungen werden sich höchstwahrscheinlich unter dem funktionalen Elitebegriff<br />
einordnen. Dabei verkennen sie aber, was Qualifikation bedeutet. Letztlich besteht die Hauptfunktion der<br />
Verbindungen darin, gesellschaftliche Macht zu bündeln und unter den eigenen Mitgliedern zu verteilen. Einige mögen<br />
in ihrer Erziehung auch eine besondere ” Ausrüstung“ oder ” Bewaffnung“ für den Kampf in der Gesellschaft sehen, irgendwelche<br />
relevanten Aussagen bezüglich der gesellschaftlichen Funktion lassen sich vom Standpunkt der letztgenannten<br />
Definition aber wohl nicht ernsthaft treffen. Deswegen wird im folgenden ausschließlich auf die Machtelitenbildung<br />
eingegangen.<br />
4.1 Vetternwirtschaft und Elitedünkel gestern<br />
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden mit den Corps<br />
die ersten Studentenverbindungen nach heutigem Muster.<br />
Mitglieder der Corps waren fast ausschließlich adelige<br />
Studenten. Im Gegensatz zu den Burschenschaften und<br />
Landsmannschaften der damaligen Zeit, war es Ende des<br />
19.Jahrhunderts nur noch mit Empfehlung der Alten Herren<br />
oder der Aktivitas des Corps möglich in die Verbindung<br />
des Corps aufgenommen zu werden. Weitere Vorrausetzungen<br />
waren hohe Eintrittsbeiträge und die Herkunft<br />
aus einem reichen, am besten adeligen Elternhaus.<br />
In den feudal-aristokratisch gesinnten Corps, mit dem Hohen<br />
Kösener Senioren-Convents Verband als Dachverband,<br />
befanden sich fast ausschließlich aus Studenten aus dem<br />
Adel, aus Offiziersfamillien, aus Familien von Industriellen,<br />
Bankiers, hohen Beamten oder Großgrundbesitzern.<br />
Die Karriereförderung und der Nepotismus (Vetternwirtschaft)<br />
waren in den Kösener Corps am stärksten ausgeprägt.<br />
Das bekannteste Corps-Mitglied zu dieser Zeit, Kaiser<br />
Wilhelm II., nannte die Erziehung im Corps ” die beste<br />
Erziehung, die ein junger Mann für sein späteres Leben<br />
bekommt.“<br />
Die ehemals bürgerlich-demokratischen Burschenschaften<br />
vollzogen spätestens mit dem Beginn des Kaiserreiches<br />
den ideologischen Schulterschluss mit den gesellschaftlichen<br />
Eliten. Ihnen kam jetzt die wichtige Aufgabe zu,<br />
bürgerliche Studenten zu ” feudalisieren“, um sie so an<br />
vorindustriell-adlige Eliten zu binden. 35<br />
Das aufstrebende Industriebürgertum, geprägt von einem<br />
wachsenden Nationalismus, versuchte seine Position<br />
gegenüber der ebenfalls aufstrebenden Arbeiterbewegung<br />
zu verteidigen. Zusammen mit den traditionellen<br />
Eliten verfolgten sie die wilhelminische Forderung nach<br />
einem deutschen ” Platz an der Sonne“. 36 Zu dieser Zeit<br />
Mitglied in einer Studentenverbindung zu sein, bedeutete<br />
einen Aufstieg in das Establishment, in die Oberschicht<br />
Deutschlands, und zwar nicht nur innerhalb einer Stadt,<br />
sondern national. Man galt als Zugehöriger einer Elite,<br />
deren Mitglieder eine eigene Werte- und Normenvorstel-<br />
35Heiter, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 71.<br />
36AStA der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Verbindungs(un)wesen. S. 16/17.<br />
37ebd. S. 16/17.<br />
38Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 71.<br />
39 ebd. S. 94ff.<br />
lung verband. Ein Beispiel hierfür ist das Duell mit Waffen<br />
bei Ehrverletzungen, das trotz des Verbots des Waffengebrauchs<br />
während der Kaiserzeit toleriert wurde. 37<br />
Neben dem<br />
Konstrukt der<br />
”<br />
Corpsstudent 1925<br />
Ständegesellschaft“<br />
kam Ende<br />
des 19. Jahrhunderts<br />
mit<br />
dem völkischbiologistischen<br />
Nationalismus<br />
noch ein ganz<br />
anderer Elitegedanke<br />
hinzu.<br />
In den Ausgaben<br />
der Burschenschaftlichen<br />
Blätter dieser Zeit<br />
findet man eine<br />
Vielzahl von<br />
nationalistischvölkischen<br />
und<br />
rassistischen Artikeln. 1894 wurde dort ein Aufruf<br />
veröffentlicht, in dem die Verfasser die Gründung einer<br />
all-germanischen Bewegung“ beschwören und zum<br />
”<br />
” Kampf der Rassen“ aufrufen.38<br />
Auch der moderne politische Antisemitismus, der sich<br />
zeitgleich rasend schnell in studentischen Kreisen verbreitete,<br />
hatte elitäre Komponenten. Die Juden wurden<br />
zur Gegenrasse“ der arischen Rasse stilisiert, zu Unter-<br />
” ”<br />
menschen“, die innerhalb Deutschlands zersetzend wirken<br />
und somit im Kampf der Rassen“ der Hauptfeind wa-<br />
”<br />
ren.’ 39<br />
Mit der Abschaffung der Monarchie verloren die Corps<br />
ihre dominante Stellung als Rekrutierungsinstanz für die<br />
deutsche Elite an die Burschenschaften und vor allem an<br />
die katholischen Studentenverbindungen CV und KV. Die<br />
soziale Herkunft spielte bei den katholischen Verbänden eine<br />
nur untergeordnete Rolle. Wichtiger waren gemeinsame
Werte, Wichs und Waffenbrüder 15<br />
christliche Wertvorstellungen und Ideale. Im Gegensatz zu<br />
den aristokratischen Corps ermöglichten die katholischen<br />
Verbindungen auch Studenten aus den mittleren und unteren<br />
Schichten den gesellschaftlichen Aufstieg und das Erlangen<br />
hoher Positionen. 40<br />
Die Einflüsse der bürgerlich-demokratischen Errungenschaften<br />
der Weimarer Republik auf die Studentenverbindungen<br />
blieben sehr gering. Die Verbindungen waren weiterhin<br />
stark dem Monarchismus und der Wilhelminischen<br />
Ära verhaftet. 41<br />
” Die Legende vom ’ Dolchstoß‘ der ’ vaterlandslosen<br />
Gesellen‘ wurde genauso verbreitet wie monarchistisches<br />
Gedankengut. Schließlich bedeutete Demokra-<br />
’<br />
tie‘ für die Verbindungen Herrschaft der Masse‘ – und zu<br />
’<br />
dieser Masse‘ wollte man nicht gehören.“<br />
’ 42<br />
Viele Korporationsstudenten zählten schon Mitte der<br />
zwanziger Jahre zu den Gründungsmitgliedern und Unterstützern<br />
des Nationalsozialistischen Studentenbundes<br />
(NSDStB). Auch die Göttinger Burschenschaft Holzminda<br />
engagierte sich schon früh im NSDStB. Schon 1929<br />
”<br />
trugen Bundesbrüder zu Band und Mütze stolz das Zeichen<br />
der Bewegung, und zwei Holzminder waren unter<br />
dem ersten Dutzend Mitglieder, die der NSDStB damals<br />
in Göttingen zählte [. . . ] In Göttingen damals gab es kaum<br />
eine Versammlung des NSDStB, zu der wir nicht in Farben<br />
Vertreter schickten.“ 43<br />
Allerdings war das Verhältnis zwischen den Studentischen<br />
Korporationen und dem NSDStB auch von Konflikten<br />
geprägt. Vor allem das elitäre Selbstverständnis der<br />
Corps kollidierte mit der als populistisch empfundenen<br />
Ausrichtung des NSDStB. Der Konflikt wurde erst 1928<br />
mit der Benennung des ehemaligen Corps-Studenten Baldur<br />
von Schirach zum Führer“ des NSDStB abgemildert.<br />
”<br />
Offensichtliches Ziel dieses Führungswechsels war die Anpassung<br />
des NSDStB an die elitär-akademischen Vorstellungen<br />
der Korporationen. So bekamen die Studentenverbindungen<br />
die Gelegenheit, auf ihre Art Teil des Nationalsozialismus<br />
zu sein.<br />
Baldur von Schirach erklärte zu der Kooperation: Es<br />
”<br />
ist kein Zufall, daß der Nationalsozialistische Deutsche<br />
Studentenbund und die schlagenden Verbindungen eine gewisse<br />
Auslese des Menschenmaterials der heutigen Studentenschaft<br />
in ihren Reihen vereinen: der Wille zur Tat und<br />
zur Waffe hat hier die einzig wertvollen aktivistischen Elemente<br />
zusammengefasst.“ 44<br />
Auch in der Zeit des Nationalsozialismus und nach dem<br />
Übergang der Deutschen Burschenschaft in den NSDStB<br />
besetzten Burschenschafter hohe Positionen in der neuen<br />
Verbindung. Die frisch gegründete Alte Burschenschaft“<br />
”<br />
bestand fast nur aus ehemaligen Alten Herren“ der ver-<br />
”<br />
schiedenen Korporationen. Die Seilschaften der alten Verbindungen<br />
funktionierten auch während des Nationalsozialismus<br />
zur Zufriedenheit ihrer Protagonisten. 45<br />
4.2 Vetternwirtschaft und Elitedünkel heute<br />
Nach 1945 erstarkten<br />
die studentischenVerbindungen<br />
relativ<br />
schnell zu alter<br />
Blüte. Zunächst<br />
als nationalistisch<br />
und das<br />
Naziregime unterstützendeingestuft<br />
und daher<br />
verboten, wurden<br />
die Verbindungen<br />
Bündnispartner<br />
der Alliierten im<br />
Kampf gegen die<br />
”<br />
Chargen des VdSt heute<br />
kommunistische<br />
Gefahr“. In der<br />
Folgezeit galten<br />
sie (zum größten<br />
Teil fälschlicherweise)<br />
als nicht<br />
belastet oder entnazifiziert.<br />
Zügig konnten die Alten Herren“ daher ihre<br />
”<br />
alten Seilschaften wieder in alter Form nutzen und Verbindungsbrüder<br />
teils offen, meist verdeckt, in gehobene<br />
Positionen hieven. Im Folgenden soll dargestellt werden,<br />
wie und auf welcher ideologischen Basis beruhend die Korporierten<br />
heutzutage ihre Beziehungen spielen lassen und<br />
inwiefern sie hierbei Erfolg haben.<br />
Systematische Protektion und ideologische Unterfütterung<br />
Bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses<br />
werben Studentenverbindungen, Corps und Burschenschaften<br />
mit den beruflichen Vorteilen, die eine Mitgliedschaft<br />
mit sich führen kann. Häufig werden neben der<br />
Vergabe von Stipendien berufliche Einstiegsmöglichkeiten<br />
geboten. 46 Förderer und Finanziers des Nachwuchses<br />
sind ehemalige Aktive, die so genannten Alten Herren,<br />
zu denen zahlreiche Politiker und führende Wirtschaftsgrößen<br />
zählen. 47 Die Alten Herren sind verpflichtet den<br />
” Zum Natur- oder Geistes- oder Gesellschaftswissenschaftler,<br />
zum Mediziner oder Techniker wird<br />
man an der Hochschule ausgebildet zum Akademiker<br />
aber bildet man sich im Lebensbund.“ ∗<br />
∗ Herbert Kessler, ” Vielfalt und Einheit der deutschen Korporationen“<br />
in: Der Convent, H. 9/1985, S. 194 (198).<br />
40 vgl. Felix Krebs in: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, ” . . . und er muss deutsch sein“. S. 180.<br />
41 vgl. Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 181.<br />
42 Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 181.<br />
43 Alte-Herren-Zeitung der Burschenschaft Holzminda, Göttingen 1935, zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden.<br />
S. 94f.<br />
44 Baldur von Schirach, Wille und Weg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer,<br />
Blut und Paukboden. S. 95.<br />
45 vgl. Heither in: Heither, Gehler, Kurth, Schäfer, Blut und Paukboden. S. 237–249.<br />
46 vgl. Peter Schmitt: ” Es ist natürlich etwas anderes, wenn man weiß, der andere war auch aktiv“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung,<br />
26.03.2000)<br />
47 vgl. Gute Verbindungen nach rechts (http://www.Freitag.de/2001/30/01300402.php)
16 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Nachwuchs ideologisch und finanziell zu unterstützen. Die<br />
primäre Aufgabe der Universitäten wird von den Korporationen<br />
auf die Vermittlung von Fachwissen reduziert, die<br />
akademische Erziehung geschehe hingegen auf dem Verbindungshaus.<br />
Erst die Weitergabe überdurchschnittlicher Leistungserträge<br />
sichert den sozial Schwachen eine<br />
menschenwürdige Existenz. Die unter dem Deckmantel<br />
der Gleichheit geführten Angriffe gegen das<br />
Leistungsprinzip zielen auf die Produktivität unserer<br />
Gesellschaft und damit zugleich auf ihre Fähigkeit,<br />
humane Verhältnisse zu schaffen. ∗<br />
∗ Christian Wagner, Elitebildung in der Demokratie in: Spiegel<br />
der Korporationspresse, hrsg. Vom Presse- und Informationsamt<br />
der Bundesregierung, Bonn 1989. S. 6f.<br />
Die spezifischen Erziehungsideale der durch Seilschaften,<br />
Vetternwirtschaft und elitären Standesdünkel geprägten<br />
Korporationen, ermöglichen korporierten Studenten<br />
den Zugang zu berufliche Stellen, deren Zugang Nichtkorporierten<br />
verwehrt bleibt. 48<br />
” Hier werden Nachfolger<br />
aufgebaut, Geld und Einfluß geltend gemacht, Helfer<br />
und Verbündete unterstützt und beharrlich Männer<br />
für Machtpositionen selektiert.“ 49 Diese Mauscheleien und<br />
Pöstchenschiebereien schränken den Wettbewerb auf dem<br />
Arbeitsmarkt ein und setzen die Chancengleichheit außer<br />
Kraft. Die Elite will sich selbst erhalten. Aus diesem<br />
Grund soll die Besetzung wichtiger Positionen mit identisch<br />
geprägten Kandidaten die Reproduktion konservativer<br />
Wertvorstellungen gewährleisten. 50<br />
”<br />
Seminar der CV-Akademie<br />
Die Masse<br />
ist nicht besonders<br />
klug. Die<br />
Masse ist noch<br />
weniger fleißig,<br />
und am allerwenigsten<br />
ist sie<br />
ausdauernd. Die<br />
Schwachen suchen<br />
das Kollektiv,<br />
um in der<br />
Addition der Masse sich stark zu fühlen. Dieser Masse<br />
gegenüber steht jene ’Elite’, die [. . . ] in jeder Gesellschaft<br />
vorhanden sein muss, um eine Ordnung in Freiheit und<br />
Recht zu gewährleisten.“ 51 Der zum elitären Kreis der<br />
Korporierten gehörende Ex-Innenminister Manfred Kan-<br />
ther Alter Herr des Studentencorps Guestphalia et Suevoborussia<br />
52 beschreibt, dass es das Ziel der Burschenschaften<br />
und Corps sei ” [. . . ] auch weiterhin national gesinnte<br />
Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft<br />
zu entsenden.“ 53<br />
Je bedeutender<br />
die gesellschaftliche<br />
Position, desto<br />
eher ist<br />
sie mit einem<br />
Mann aus dem<br />
Milieu des gehobenen<br />
und<br />
konservativ<br />
eingestellten<br />
Bürgertums<br />
besetzt. 54<br />
Treffend heißt<br />
es in der ZeitschriftCapital:<br />
” Wer in<br />
einer Studentenverbindung<br />
ist, hat für die<br />
Zukunft ausgesorgt<br />
fährt<br />
wie von einem<br />
Turbo-Lader<br />
Papst Benedikt XVI. in den Farben der Rupertia<br />
Regensburg<br />
beschleunigt der Karriere entgegen.“ 55 Folglich bekleiden<br />
zahlreiche Korporierte wichtige Positionen in Wirtschaft,<br />
Politik und gesellschaftlichen Verbänden.<br />
Verbindende Verbinder in Politik und Wirtschaft<br />
Die Einflussnahme und Postenschieberei in der Politik begann<br />
bereits mit der ersten deutschen Nachkriegsregierung.<br />
So waren in der Adenauer-Ära so viele Ämter in<br />
den Ministerien von Alten Herren aus katholischen Korporationen<br />
besetzt, dass der Ex-Bundespräsident Theodor<br />
Heuß den Satz prägte: ” In Bonn wird Zufall mit CV 56 geschrieben“.<br />
Denn während Mitglieder der Burschenschaften<br />
und Corps vor allem im Industrie- und Finanzsektor<br />
vertreten sind, 57 lassen sich im CV neben Unternehmern 58<br />
und Geistlichen 59 zahlreiche Politiker 60 wieder finden. 61<br />
Allein neun CVer waren als Mitglieder der christlichen<br />
Parteien im 14. Bundestag vertreten (zusätzlich zwei in der<br />
FDP). 62 In den Eigenwerbungen der zum CV gehörenden<br />
Verbindungen wird auf das Berufperspektiven eröffnende<br />
48vgl. Krebs in: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 181ff<br />
49 ”<br />
Robert W. Conell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. 1999, zitiert nach: Peters, Elite sein.<br />
50vgl. Stephan Peters, Elite sein.<br />
51Prof. Hettlage (1966), damaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zitiert nach: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer,<br />
” . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 183<br />
52Vgl. Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 183<br />
53 ”<br />
vgl. ebd. S. 183<br />
54vgl. Stephan Peters, Elite sein.<br />
55zitiert nach: Kollektive Kampftrinker: Einmal korporiert, immer korporiert (http://www.jungewelt.de/2000/08-04/017.shtml)<br />
56Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen<br />
57vgl. Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 180<br />
58 ”<br />
z.B. Hans und Friedrich Berentzen<br />
59z.B. Joseph Alois Ratzinger (Papst Benedikt XVI), Eugenio Pacelli (Papst Pius XII); Anton Schlembach (Bischof v. Speyer)<br />
60z.B. Edmund Stoiber, Erwin Teufel, Jürgen Rüttgers, Friedrich Merz, Klaus Kinkel oder Roland Koch usw.<br />
61Wer sich über weitere Verbinder aus dem CV informieren möchte: http://de.wikipedia.org/wiki/Cartellverband.<br />
62In der Legislaturperiode von 1987 bis 1991, also zur Hochzeit christdemokratischer Macht, waren allein 30 CVer im Bundestag vertreten.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 17<br />
Netzwerk verwiesen: Im CV sind neben den genannten<br />
”<br />
Persönlichkeiten über 30000 weitere Akademiker und Studenten<br />
aktiv, damit ist der CV einer der größten Akademikerverbände<br />
Deutschlands“<br />
Diese<br />
Dominanz<br />
macht sich<br />
vor allem<br />
in der Politik<br />
bezahlt.<br />
Insbesonderekatholische<br />
(CV<br />
und KV<br />
Der andere Bierpapst<br />
63 ),<br />
aber auch<br />
andere Korporationen,<br />
wurden in<br />
der Kohl-<br />
Ära seit<br />
1989 kontinuierlich<br />
mit staatlichenGeldernunterstützt.<br />
Neben Korporationen aus dem evangelischen Wingolfbund,<br />
dem Bund Deutscher Ingenieure-Corporationen,<br />
dem musischen Sonderhäuser Verband erhielten vor allem<br />
CV- und dem KV-Verbindungen staatliche Zuschüsse<br />
von insgesamt 720.000 D-Mark. 64 Hierzu gehört auch<br />
die Förderung von politischen, korporationsspezifischen<br />
und eliteorientierten Tagungen, Schulungen und Seminaren.<br />
Diese tragen so bezeichnende Titel wie Verbin-<br />
”<br />
dungsarbeit und Nachwuchsarbeit“, Chargenschulung<br />
”<br />
mit Schwerpunkt Presse und Öffentlichkeitsarbeit“ oder<br />
” Hat Deutschland zu wenig geistige Elite?“.<br />
Trotz vermeintlich liberaler und dem Korporationswesen<br />
an sich feindlich gegenüber stehender politischer<br />
Ausrichtung sind auch in Parteien wie der SPD und<br />
den Grünen Mitglieder aus Korporationen vertreten.<br />
Als bekannteste Verbinder sind hier Johannes Kahrs65 (SPD – aktuell im Bundestag), Norbert Kastner66 (SPD<br />
– Oberbürgermeister Coburg) oder Rezzo Schlauch67 (Grüne) zu nennen.<br />
Bei gleichzeitigen Versuchen in der Öffentlichkeit die<br />
Bedeutung der hochfunktionellen und undemokratischen<br />
Netzwerke herunterzuspielen ( Wenn sich einer bewer-<br />
”<br />
be, sei das Korporiertsein letztlich nur ein kleiner Unterscheidungsgrad<br />
im Einheitsbrei.“ Oder: Seilschaften oder<br />
”<br />
Netzwerke gibt es seiner Meinung nach allerdings nicht.<br />
Mit Vorurteilen wie diesen tun sich Korporierte noch immer<br />
schwer.“), wird aus Gründen der Werbewirksamkeit,<br />
mit der eigenen Erfolgsgeschichte gern hausieren gegangen.<br />
So sind nach eigenen Angaben von den rund 20.000<br />
Alten Herren der Corps ca. 600 als Hochschulprofessoren<br />
tätig; 2000 als Rechtsanwälte oder Notare. Die Anzahl von<br />
Geschäftsführern oder in Verbänden aktiver Corps wird<br />
auf 2.800 (14%) beziffert. Nahezu 3600 sind praktizierende<br />
Ärzte. Das durchschnittliche Monatseinkommen wird<br />
auf ca. 5000 Euro geschätzt. 68<br />
4.3 Abschließende Betrachtung<br />
Abschließend betrachtet zeigt sich, dass sich an der Funktion<br />
korporierter Protektion damals wie heute nicht viel<br />
geändert hat. Das Ziel war und ist gleich. Es geht einzig<br />
darum herrschende bzw. einflussreiche Kreise in dieser<br />
Gesellschaft mit eigenen, hier konservativen Leuten zu besetzen.<br />
Damit stehen die studentischen Verbindungen mit diesem<br />
Eliten- und Protektions-Habitus in einer Gesellschaft,<br />
die auf Konkurrenz und Leistungsdenken beruht, natürlich<br />
nicht alleine. Letztendlich versuchen doch alle, die sich<br />
an dieser Form des politischen und gesellschaftlichen Systems<br />
beteiligen, irgendwie besser, schneller und weiter als<br />
der Rest zu sein. Offenbar sind die studentischen Verbindungen<br />
hierbei noch am Besten organisiert. Um also kein<br />
Missverständnis aufkommen zu lassen: Wir wollen mit der<br />
Kritik an konservativer Elitenbildung nicht die Elitenbildung<br />
in der parlamentarischen Demokratie als demokratiefeindlich<br />
kritisieren. Wir kritisieren vielmehr einen politischen<br />
Gegner (weil völkisch-nationalistisch, sexistisch<br />
etc.), der sich letztendlich genauso verhält wie alle anderen<br />
Akteure, die das Konkurrenz- und Leistungsprinzip<br />
unterstützen.<br />
63Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine<br />
64Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS, Finanzielle Unterstützung von studentischen Korporationen aus<br />
Bundesmitteln. Bundestagsdrucksache 13/7686 vom 15.05.1997.<br />
65Wingolfsbund 66Schülerverbindung Casimiriana Coburg<br />
67Rezzo Schlauch war lange Zeit bei der Saxo-Silesia Freiburg und hat dort insgesamt 5 Mensuren geschlagen ist ausgetreten, als ihm die<br />
Verbindung zu unliberal“ wurde. Diskutiert aber auch jetzt noch ganz gerne mit ihnen weiter.<br />
68 ”<br />
vgl. Peter Schmitt: Es ist natürlich etwas anderes, wenn man weiß, der andere war auch aktiv“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung,<br />
”<br />
26.03.2000)
18 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
5 Verbindungen von Verbindern in die Unipolitik und nach ganz rechts<br />
Die Aktivitäten von Studentenverbindungen bleiben nicht auf die Verbindungshäuser beschränkt. Burschenschafter,<br />
Corpsstudenten und andere Korporierte bewegen sich auch in der Universität, pflegen Kontakte und betreiben Politik.<br />
Activas oder Alte Herren sind im Grunde in allen Parteien zu finden, vor allem in CDU und FDP. Dabei kommt<br />
es insbesondere auch zur Zusammenarbeit von Korporierten mit rechts-konservativen Kräften bis weit hinein in eine<br />
Grauzone zwischen nationalem Konservatismus und offen auftretendem Rechtsextremismus.<br />
Seit Ende der 80er lässt sich in der BRD ein verstärk-<br />
69 ter rechtskonservativer Backslash beobachten. Während Karlheinz Weißmann lebt in Bovenden und ist einer der<br />
die zu offensichtlich neonazistisch auftretenden Strömun- führenden Strategen der so genannten Neuen Rechten, die sich<br />
gen in Göttingen vor allem aufgrund von organisier- ideologisch an die Nouvelle Droite“ und deren Vordenker Alain<br />
”<br />
tem antifaschistischen Widerstand, aber auch weil es ih- de Benoist anlehnt. Durch die angestrebte Kulturrevolution von<br />
”<br />
nen nicht gelang an das bürgerliche Lager anzudocken“, rechts“ von Intellektuellen wird eine systematische, schrittwei-<br />
”<br />
nicht Fuß fassen konnten, ist es den sich bürgerlichse gesellschaftliche Normenveränderung angestrebt, um so eine<br />
rechtkonservativ gebenden Elite-Grüppchen gelungen, geistig-politische Vormachtstellung als Voraussetzung für poli-<br />
diesen Trend voll zu ihren Gunsten auszunutzen. Die tische Macht zu erlangen. Weißmann beschrieb diese Strategie<br />
von der Uni-Leitung forcierte Verdrängung linksradika- 1986 in Criticón: Die Fähigkeit, in die Offensive zu gehen, muss<br />
”<br />
ler bis linker Kräfte, tat ihr übriges um die Stimmung entwickelt werden und dazu die Fähigkeit, die Situation zu be-<br />
auch an der Universität mehr oder weniger schleichend urteilen: ob hier der offene Angriff oder die politische Mimikry<br />
nach rechts zu verschieben. Auch in den immer häufiger gefordert ist.“ (Criticón, 1986, Nr. 96, S. 61ff) Weißmann be-<br />
von Rechten gestellten ASten finden die Verbindungen wegt sich so zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus.<br />
ein Vehikel für die Verbreitung ihres patriarchalen, na- Seine Artikel erschienen sowohl in der Wochenzeitung des Buntionalistischen<br />
und chauvinistischen Weltbildes.<br />
destages Das Parlament“ als auch in eindeutig rechtsextremen<br />
”<br />
Im Folgenden werden einige dieser Verstrickungen auf- Publikationsorganen. (http://www.lexikon.idgr.de)<br />
gedeckt und skandalöse Vorkommnisse der letzten Jahre<br />
geschildert.<br />
5.1 Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda<br />
Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda gehören<br />
zum rechten Rand des Göttinger Verbindungswesens. Am<br />
21. Juni 2003 führten sie anlässlich der Sonnenwende<br />
einen Fackelmarsch in der Göttinger Innenstadt durch.<br />
Derartiges wurde von der NSDAP häufig inszeniert und<br />
wird heutzutage in Deutschland nur noch von FaschistInnen<br />
und ” traditionsbewussten“ Burschenschaftern veranstaltet.<br />
Angesichts der absehbaren Proteste verzichteten<br />
die Burschenschafter allerdings auf eine Widerholung des<br />
Fackelmarschs im folgenden Jahr. So beschränkte sich die<br />
Sonnenwendfeier in den folgenden Jahren auf den Garten<br />
des Burschenschaftshauses der Hannovera. Zu den Hauptaktivitäten<br />
der Männerbünde zählen neben dem Trinken<br />
Veranstaltungen, oftmals auch mit Vertretern aus rechten<br />
bis faschistischen Kreisen. So hielt der neurechte Ideologe<br />
Karlheinz Weißmann 69 am 03. November 2004 im Haus<br />
der Holzminda einen Vortrag über den ” Weg zur Wiedervereinigung“.<br />
Drei Wochen später sprach der durch die<br />
Medien bekannt gewordenen Ex-KSK-General Reinhard<br />
Günzel 70 über das ” Ethos des Offiziers“. Beide Referenten<br />
sind unter anderem für das Institut für Staatspolitik<br />
(IfS) 71 tätig und traten in der Vergangenheit bei Veranstaltungen<br />
der offen faschistischen Münchener Burschenschaft<br />
Danubia auf.<br />
Momentan bekleidet der Sprecher der Holzminda, Markus<br />
Guth, den Posten des Finanzrevisors, zu dem ihn<br />
die AStA-Koalition – bestehend aus ” Arbeitsgemeinschaft<br />
demokratischer Fachschaftsmitglieder (ADF)“ und ” Ring<br />
christlicher demokratischer Studenten (RCDS)“ – am 14.<br />
April 2005 gewählt hat. Zu den die kriegsverbrecherische<br />
SS verharmlosenden Aussagen des Ex-KSK-Generals<br />
70 Günzel wurde von Verteidigungsminister Peter Struck in<br />
den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er in einem auf<br />
Bundeswehr-Briefpapier erstellten Schreiben Martin Hohmanns<br />
Rede gelobt hatte, was als, BundeswehrsoldatInnen verbotene,<br />
politische Betätigung im Dienst gewertet wurde. Seitdem hält er<br />
vor einem mehrheitlich rechtem Publikum Vorträge etwa über<br />
” Mut, die Opferbereitschaft und Tapferkeit der deutschen Soldaten<br />
im Nationalsozialismus“<br />
71 Das Institut für Staatspolitik (IfS), dessen Zielgruppen sind<br />
der konservative und rechte akademische Nachwuchs, aber auch<br />
Teile der politischen Elite sind, wurde im Mai 2000 wurde ge-<br />
gründet. Mittels Seminaren, Veröffentlichungen und der Förde-<br />
rung von Forschungsarbeiten sollen die Strategiediskussion der<br />
so genannten ” Neuen Rechten“ vorangetrieben und intellektu-<br />
elle Netzwerke geknüpft werden. Omnipräsent bei diesen ver-<br />
schiedenen Treffen und Tagungen sind die Gründungsmitglie-<br />
der Dr. Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek. Für den<br />
Brückenschlag in den Konservatismus sollte schon 2001 Martin<br />
Hohmann sorgen, der im Rahmen der Sommerakademie 2001<br />
einen Redebeitrag unter dem bezeichnenden Titel ” Strategie<br />
im Parlamentarismus“ hielt. (http://www.nadir.org/nadir/<br />
periodika/aib/archiv/63/26.php)<br />
Günzel befragt, verweigerte er jede Aussage. Die fehlende<br />
Distanzierung muss hier wohl als Zustimmung bewertet<br />
werden.<br />
Bei der diesjährigen Sonnwendfeier im Garten der Hannovera<br />
offenbarten deren Mitglieder einmal mehr ihr nationalchauvinistisches<br />
Weltbild. So soll, in der dort gehaltenen<br />
Rede: ” die Feinde unser Kultur sind rings um Europa
Werte, Wichs und Waffenbrüder 19<br />
aufgereiht“ gesagt worden sein. Im Anschluss an die Feier<br />
sollen Marschlieder gesungen worden sein, unter anderem<br />
das ” Westerwald-Lied“ und ” Es zittern die morschen<br />
Knochen“ von Hans Baumann. Das Lied des ehemaligen<br />
HJ-Führers und NS-Lyrikers endet mit dem mehr als programmatischen<br />
” Und morgen gehört uns die Welt“.<br />
Göttingen, Februar 1999. Infostand der Jungen Union während<br />
ihrer rassistischen Kampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft.<br />
Rechts Karlheinz Weißmann (Publizist der Neuen<br />
Rechten), links Holger Welskop (CDU-Ratsmitglied und -<br />
Stadtverbandsvorsitzender).<br />
5.2 Kontakte zur NPD?<br />
Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda<br />
müssen auch über gute Kontakte zum Göttinger NPD-<br />
Ortsverband verfügen. Das zeigt sich insbesondere daran,<br />
dass die NPD-Homepage des öfteren zeitnah und erstaunlich<br />
gut informiert über Veranstaltungen dieser Burschenschaften<br />
berichtet. So war im Juni 2004 von einem antifaschistischen<br />
Angriff auf die Sonnwendfeier obiger Burschenschaft<br />
sowie über die Veranstaltung mit R. Günzel<br />
und die gegen diese stattfindende Demonstration zu lesen.<br />
Die in ihrem Bericht über die Veranstaltung mit R.<br />
Günzel enthaltenen Informationen legen den Schluss nahe,<br />
dass Vertreter der NPD bei der Veranstaltung persönlich<br />
anwesend waren oder zumindest aus erster Hand von dieser<br />
erfahren haben. Die Berichte wurden in jedem Fall so<br />
zeitnah nach den Veranstaltungen veröffentlicht, dass die<br />
Informationen nicht den öffentlichen Medien entnommen<br />
werden konnten. Die Göttinger NPD schrieb über den<br />
Vortrag, dass ” Günzel [. . . ] erstaunlich kompromiss- und<br />
schonungslos mit dem noch bestehenden BRD-System<br />
abrechnete. [. . . ] Erfreulich fiel auf, dass Brigadegeneral<br />
Günzel, im Gegensatz zu Martin Hohmann und so vielen<br />
anderen, ganz und gar auf irgendwelche ’ Distanzierungen‘<br />
verzichtete, sondern ausschließlich seine klare und direkte<br />
Sicht der Dinge und momentanen Zustände wiedergab.“. 72<br />
Stephan Pfingsten, der damalige NPD-Kreisvorsitzende<br />
und Beisitzer im NPD-Landesvorstand Niedersachsen,<br />
hinterließ nach der Günzel-Veranstaltung einen Eintrag<br />
im Gästebuch auf der Homepage der Holzminda, welcher<br />
aber, politisch klug, umgehend wieder gelöscht wurde. 73<br />
72 Homepage der NPD Göttingen<br />
73 Schwarz-Rot-Kollabs, Blutgrätsche Nr. 10, S. 3<br />
5.3 Christian Marcel Vollradt<br />
Zu den hervorstechenden Personen der Hannovera zählt<br />
der ehemalige Fuxmajor (Wintersemesters 01/02) Christian<br />
Marcel Vollradt. Er ist Mitglied des RCDS und der Jungen<br />
Union (JU) und beobachtete und fotografierte in seiner<br />
Freizeit auch gerne mal linke Demonstrationen. Auch<br />
Zutritt zu linken Veranstaltungen versuchter er in der Vergangenheit<br />
zu bekommen. So erschien er mit anderen Vertretern<br />
des ADF/RCDS-AStA beim Bündnistreffen gegen<br />
den Naziaufmarsch am 15. April 2000. Seit 1998 schreibt<br />
Vollradt Artikel für die rechtspopulistische Zeitung Junge<br />
”<br />
Freiheit“, in denen er hauptsächlich gegen die Göttinger<br />
Linke hetzt. Darüber hinaus publiziert er seit 2003 auch<br />
regelmäßig für die vom IfS herausgegebene Zeitschrift Se-<br />
”<br />
zession“.<br />
Gemeinsam mit Karlheinz Weißmann und dem heutigen<br />
CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Holger Welskop beteiligte<br />
sich Vollradt im Frühjahr 1999 an einem gegen<br />
die Doppelte Staatsbürgerschaft“ gerichteten Infostand<br />
”<br />
der JU in der Göttinger Innenstadt. Die damalige Unterschriftenaktion<br />
der CDU setzte auf eine rassistische Mobilisierung<br />
gegen den ohnehin noch diskriminierenden rotgrünen<br />
Gesetzesentwurf zur doppelten Staatsbürgerschaft.<br />
Im März 2000 wurde er Sprecher der neu gegründeten<br />
Jugendorganisation des Landesverbandes der Paneuropa<br />
Union, der Paneuropa Jugend Niedersachsen. Christian<br />
Vollradt gehörte auch Ende 2003 zu den Erstunterzeichnern<br />
eines Aufrufs Kritische Solidarität mit Martin Hoh-<br />
”<br />
mann“. Dieser war aus der CDU ausgeschlossen worden,<br />
nachdem er in einer Rede anlässlich des Tags der deutschen<br />
Einheit 2003 in Neuhof die Möglichkeit, Juden als<br />
” Tätervolk“ zu bezeichnen diskutiert hatte. Er verneinte<br />
dies zwar, distanzierte sich aber nicht von den antisemitischen<br />
Äußerungen anhand derer er es diskutiert hatte.<br />
Christian Vollradt am 1.11.2004 im ZHG der Uni Göttingen.<br />
Gemeinsam mit anderen Burschis Saalschutz bei einer RCDS-<br />
Veranstaltung mit dem niedersächsischen Innenminister Uwe<br />
Schünemann.<br />
Häufig ist er mit dem Ex-AStA-Vorsitzenden Thorsten<br />
Scharf (damals ADF) anzutreffen, der bei der oben beschriebenen<br />
Günzel-Veranstaltung an den Eingangskon-
20 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
trollen beteiligt war. Während seiner Tätigkeit als AStA-<br />
Vorsitzender erwirkte Thorsten Scharf gemeinsam mit Nicolo<br />
Martin die Räumung des Raumes der Basisgruppe<br />
Geschichte und fiel hierbei mehrfach durch rechtsextreme<br />
Äußerungen und das Zeigen des Hitlergrußes auf.<br />
5.4 Nicolo Martin, Moritz Strate und die FDL<br />
Anlässlich der Wahlen zum StudentInnenparlament 2003<br />
trat der damals 23 jährige Moritz Strate, Mitglied des<br />
katholischen Studentenvereins Winfridia Göttingen, als<br />
Spitzenkandidat der Freiheitlich Demokratischen Liste<br />
”<br />
(FDL)“ an. Mit auf der rechtsextremen Tarnliste kandidierte<br />
auch Tobias Fabiunke, Mitglied der Landsmann-<br />
”<br />
schaft Gottinga“ und damaliger Geschäftsstellenleiter der<br />
FDP. Mit der FDL, einer rechten Abspaltung der Libe-<br />
”<br />
ralen Hochschulgruppe (LHG)“ sollte am äußersten rechten<br />
Rand des studentischen Spektrums auf Stimmenfang<br />
gegangen werden. Als Symbol benutzte die FDL eine lodernde<br />
Flamme, die bereits der neofaschistischen Na-<br />
”<br />
tionalen Sammlung“ als Erkennungszeichen diente und<br />
von der französischen neofaschistischen Partei Front Na-<br />
”<br />
tional“ verwendet wird. Da das Symbol ebenso wie die<br />
neofaschistische Nationale Sammlung“ in der BRD seit<br />
”<br />
1989 verboten sind, ermittelte Anfang des Jahres 2003 die<br />
Göttinger Staatsanwaltschaft gegen Moritz Strate wegen<br />
” Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“.<br />
Ein Verfahren wurde aber gegen den Vorsitzenden<br />
des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik“ der<br />
”<br />
FDP, wie wohl auch nicht anders zu erwarten, nicht eröffnet.<br />
In ihrem Programm betonte die FDL ihren Glauben<br />
”<br />
an Werte und Traditionen, die eine starke Gemeinschaft<br />
begründen“. Bei einer derartigen Haltung in Bezug auf die<br />
” deutsche Volksgemeinschaft“ verwundert der Law-andorder-Vorschlagskatalog<br />
der FDL kaum:<br />
” Ausländisches Studierendenparlament (ASP) abschaffen“,<br />
Keine AStA-Deutschkurse für ausländische Nicht-<br />
”<br />
Studenten“, Konsequente Maßnahmen gegen alkoholi-<br />
”<br />
sierte Herumtreiber und Bettler auf dem Campusgelände“,<br />
” Schutz von Gesundheit und Eigentum durch private<br />
Wachdienste“ und Wirksame Kontrolle sicherheitsgefähr-<br />
”<br />
deter Bereiche durch Videoüberwachung“ lauteten die Forderung<br />
der FDL. 74<br />
Beteiligt am FDL-Projekt war auch Nicolo Martin,<br />
Mitglied der national-konservativen Verbindung ” Lunaburgia“,<br />
damaliger LHG-Spitzenkandidat sowie Kreisvorsitzender<br />
und Bundestagskandidat der Göttinger FDP. Nicolo<br />
Martin, der zum so genannten ” Möllemann-Flügel“ innerhalb<br />
der FDP gehörte, hatte an Programm und Layout<br />
der FDL gefeilt und per Brief die Göttinger Verbindungen<br />
und Burschenschaften umworben diese zu wählen. 75<br />
Dass Nicolo Martin nicht nur Briefe schreibt, zeigte sich<br />
am Rande des Göttinger Ringfestes 2003. In den frühen<br />
Morgenstunden des 20. Juli drangen Moritz Strate und Nicolo<br />
Martin in den Keller eines Hauses im Kreuzbergring<br />
ein und zündeten die sich dort befindende Ausstellung zur<br />
74 Flugblatt der FDL, FDL – Die neue Kraft. Göttingen 2003.<br />
75 Flugblatt der Autonomen Antifa [M], Rechte Verbindungen kappen. Göttingen 2003.<br />
76 http://.www.goest.de/freiraum_modell.html<br />
Moritz Strate (kath. Studentenverein Winfridia) und Nicolo<br />
Martin (Verbindung Lunaburgia)<br />
mehrmonatigen Besetzung eines Raums der Basisgruppe<br />
Geschichte im AStA-Gebäude an. Als sie von einer in den<br />
Räumlichkeiten übernachtenden Person entdeckt wurden,<br />
suchten sie schnell das Weite. Der Zeuge, der versucht hatte<br />
ihnen zu folgen, bemerkte gleich nach seiner Rückkehr<br />
den Brandgeruch und konnte ein Ausbreiten des Feuers im<br />
Haus, in dem zu dieser Zeit 16 Menschen schliefen, verhindern.<br />
Die Ausstellung thematisierte insbesondere auch die<br />
Rolle der beiden FDP-Politiker als maßgebliche Akteure<br />
gegen die BesetzerInnen des Basisgruppenraums und<br />
linke Universitätsstrukturen im Allgemeinen. Die herbei-<br />
gerufene Polizei sah die beiden Verbindungsstudenten als<br />
” dringend tatverdächtig“ an.<br />
Die folgenden Ermittlungen gegen Moritz Strate und<br />
Nicolo Martin waren jedoch von Anfang an durch Pannen<br />
und Schlamperei gekennzeichnet. Insgesamt häuften sich<br />
16 Ermittungs- und Verfahrensfehler an. Da das Brandgutachten<br />
von falschen Tatsachen ausging, wurde die Nebenklage<br />
der HausbewohnerInnen abgelehnt. Das Strafverfahren<br />
gegen Strate und Martin wurde gegen ein Zahlung<br />
von jeweils 300e eingestellt, da es kurz nach Prozessbeginn<br />
hinter den Kulissen und unter Ausschluss der<br />
Öffentlichkeit offensichtlich zu einer Absprache zwischen<br />
Gericht und Verteidigung kam. Über das Zustandekommen<br />
der Einigung hüllte sich der Richter allerdings entgegen<br />
des Öffentlichkeitsgrundsatzes der Gerichtsverfassung<br />
(§169 GVG) in Schweigen. 76<br />
Die Göttinger FDP wollte sich zur kriminellen Karrie-<br />
”<br />
re“ ihres Vorsitzenden erst recht nicht äußern. Personelle<br />
Konsequenzen erfolgten trotz erheblichen öffentlichen<br />
Drucks nicht. Langfristig scheinen die Geschehnisse aber<br />
dennoch einen Karriereknick verursacht zu haben, zumindest<br />
hat Nicolo Martin heute keine Parteiämter mehr inne.<br />
Die LHG, die bisher mit sexistischer Wahlwerbung von<br />
sich reden machte, versuchte im Sommer diesen Jahres<br />
wieder ein positiveres Image zu bekommen und holte dafür<br />
eine Ausstellung über die antifaschistische Widerstandgruppe<br />
Weiße Rose“ in das Zentrale Hörsaalgebäude der<br />
”<br />
Universität. Dass es aber augenscheinlich zu keiner Tren-
Werte, Wichs und Waffenbrüder 21<br />
nung von ihrem extrem rechten Flügel gekommen ist, ersieht<br />
man an der Tatsache, dass der Ex-FDLer Tobias Fabiunke<br />
auch weiterhin für die LHG kandidierte.<br />
5.5 Unipolitik<br />
Von den sieben zur letzten StudentInnenparlamentswahl<br />
angetretenen Gruppen treten nur auf den Listen der ADF,<br />
der LHG und des RCDS Verbindungsstudenten an. Spitzenreiter<br />
ist der RCDS: Von den 88 KandidatInnen waren<br />
mehr als ein Siebtel Korporierte, die zudem meist aus den<br />
politisch weiter rechts stehenden Verbindungen stammten;<br />
6 Studentische Verbindungen in Göttingen<br />
unter anderem die beiden schon erwähnten Burschenschafter<br />
Christian Vollradt und Markus Guth. Bei der LHG<br />
sind mindestens drei von 22 und bei der ADF sieben<br />
von 153 Kandidaten Verbindungen zugehörig, darunter<br />
der ehemalige Präsident des Studentenparlaments Percy-<br />
Constantin von Samson-Himmelstjerna, welcher Mitglied<br />
der Studentenverbindung ” Teutonia-Hercynia“ ist. Diese<br />
wünscht sich, ganz an der aktuellen Debatte um deutsche<br />
Leitkultur orientiert von ihren Mitgliedern das ” Bekenntnis<br />
zum deutschen Staat in der europäischen Völkergemeinschaft“.<br />
Wir wollen nun eine Übersicht über die in Göttingen ansässigen Verbindungen geben. Die Einschätzungen beruhen auf<br />
Beobachtungen, diversen Veröffentlichungen sowie eigenen Angaben der Verbindungen. Viele Göttinger Verbindungen<br />
halten sich aber bedeckt, was ihr Innenleben betrifft, oder sie stellen sich nach aussen bewusst anders dar. Daher sind<br />
die Angaben hier mit Sicherheit unvollständig.<br />
Zur leichteren Orientierung haben wir die Verbindungen nach Dachverbänden und Verbindungstypen sortiert und<br />
zu den einflussreichsten Dachverbänden auch noch ein paar Beschreibungen 77 hinzugefügt. Denn meistens sagt der<br />
Charakter des Dachverbands auch etwas über die Mitgliedsbünde aus.<br />
Andererseits darf man die Aufteilung in Dachverbände nicht als strikte Trennung verstehen. Verbindungen aus<br />
verschiedenen Dachverbänden sehen sich in einer gemeinsamen Tradition, sie feiern und fechten miteinander und sie<br />
arbeiten im CDK und CDA 78 zusammen.<br />
6.1 Burschenschaften<br />
Die Bezeichnung<br />
” Burschenschaft“ wird<br />
oft fälschlich als Sammelbegriff<br />
für Studentenverbindungenbenutzt.<br />
Gerade Verbindungsstudenten<br />
legen<br />
aber viel Wert darauf,<br />
dass es sich dabei<br />
nur um einen Typ von<br />
Verbindungen handelt.<br />
Burschenschaften berufen<br />
sich meist auf die<br />
1815 in Jena gegründete<br />
Urburschenschaft, sowie<br />
das Wartburgfest von<br />
1817. Sie stehen damit<br />
in einer Tradition von Deutschtümelei und Bücherverbrennungen.<br />
Die meisten Burschenschaften sind im Dachverband<br />
Deutsche Burschenschaft“ organisiert.<br />
”<br />
Deutsche Burschenschaft (DB)<br />
Die DB hat anders als der Name vermuten lässt auch<br />
Mitgliedsbünde in Österreich und Chile. Ihr Wahlspruch<br />
ist ” Ehre – Freiheit – Vaterland“. Es werden keine Frauen,<br />
Ausländer, Homosexuelle und Kriegsdienstverweigerer<br />
aufgenommen.<br />
In der DB ist eine völkisch nationalistische Politik hegemonial,<br />
so fordert die DB zum Beispiel die Rückgabe der<br />
deutschen Ostgebiete. Die meisten DB-Burschenschaften<br />
verfügen über gute Kontakte in rechtsextremistische Kreise<br />
oder sind selber dem rechtsextremen Lager zuzuordnen.<br />
Veranstaltungen mit NPD-Funktionären in Burschenschaftshäusern<br />
sind an der Tagesordnung.<br />
In Göttingen sind die Burschenschaften Holzminda<br />
(Wilhelm-Weber-Str. 26/30, fakultativ-schlagend) und<br />
Hannovera (Herzberger Landstr. 9, pflichtschlagend) in<br />
der DB. Sie arbeiten bei Veranstaltungen eng zusammen.<br />
So haben sie Ende 2004 unter massivem Polizeischutz<br />
Reinhard Günzel über das ” Ethos des Offiziers“ vortragen<br />
lassen. Günzel war vorher aus der Bundeswehr entlassen<br />
worden, nachdem er Martin Hohmann für dessen antisemitische<br />
” Tätervolk“-Rede gelobt hatte.<br />
Andere Burschenschaften<br />
In Göttingen gibt es noch drei Burschenschaften, die nicht<br />
in der DB organisiert sind.<br />
Die Burschenschaft Brunsviga (Schildweg 40,<br />
fakultativ-schlagend) ist 1995 aus der DB ausgetreten und<br />
hat zusammen mit Burschenschaften aus anderen Städten<br />
die ” Neue Deutsche Burschenschaft“ als Dachverband gegründet.<br />
Damit wollten sie sich von den rechtsextremen<br />
Strömungen in der DB abgrenzen. Ganz so liberal und<br />
offen, wie sie sich gerne darstellt, ist die Brunsviga allerdings<br />
nicht, so können FH-Studenten nur Gastmitglied<br />
werden.<br />
Die Burschenschaft Germania (Bühlstr. 11) ist nichtschlagend,<br />
hat als Wahlspruch ” Gott, Freiheit, Vaterland“<br />
und ist im Schwarzburgbund organisiert. Zur Burschenschaft<br />
Germania gehört auch das sog. ” Studentenwohn-<br />
77 aus der Datenbank http://www.fzs-online.de des freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften<br />
78 CDA (Convent Deutsche Akademikerverbände) ist Dachorganisationen der Alten Herren, CDK (Convent Deutscher Korporationsverbände)<br />
das Pendant der Aktiven.
22 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
heim Albert Schweitzer e.V.“ – also <strong>Vorsicht</strong>, wenn Ihr<br />
dort günstige Zimmerangebote seht.<br />
Die Königsberger Burschenschaft Gothia (Ewaldstr.<br />
23) ist pflichtschlagend. Sie ist bereits 1974 aus der DB<br />
ausgetreten und jetzt Mitglied im Süddeutschen Kartell.<br />
6.2 Landsmannschaften<br />
Landsmannschaften gelten als die älteste Form studentischer<br />
Zusammenschlüsse. Sie nahmen ursprünglich nur<br />
” Landsmänner“ aus derselben Region auf, nach der sie in<br />
der Regel bis heute benannt sind. Ihr Dachverband ist der<br />
Coburger Convent (CC), in dem etwa 100 pflichtschlagende<br />
Verbindungen zusammengeschlossen sind. Jedes Mitglied<br />
einer CC-Verbindung muss mindestens zwei Pflichtpartien<br />
fechten.<br />
Der CC versteht sich selbst als tolerant“, da die Ver-<br />
”<br />
bindungen im CC auch Ausländer, Juden oder Kriegsdienstverweigerer<br />
aufnehmen dürfen. Mit dem Toleranzprinzip<br />
werden aber oft auch Kontakte zur rechtsextremen<br />
Szene gerechtfertigt. Mittlerweile verzichtet der CC allerdings<br />
darauf, die 1. Strophe des Deutschlandlieds in der<br />
Öffentlichkeit zu singen.<br />
In Göttingen aktive CC-Verbindungen sind die Landsmannschaft<br />
Gottinga (Nikolausberger Weg 25) und die<br />
Landsmannschaft Verdensia (Theaterstr. 15). Daneben<br />
gibt es noch die Landsmannschaft Cimbria, die aber seit<br />
1997 keine Aktivitas und kein Haus mehr hat.<br />
6.3 Turnerschaften<br />
Turnerschaften sind Studentenverbindungen, die sich<br />
über Sport und Leibesertüchtigung definieren. Man kann<br />
sie grob einteilen in die nicht-schlagenden und nichtfarbentragenden<br />
Verbindungen, die im Akademischen<br />
Turnbund organisiert sind, und die übrigen, die heute in<br />
Göttingen fast alle verbandsfrei sind.<br />
Fuxentaufe der Albertia<br />
Akademischer Turnbund (ATB)<br />
Die Verbindungen im ATB sind nicht-farbentragend<br />
und nicht-schlagend. Sie vertreten das Lebensbund- und<br />
das Konventsprinzip, pflegen verbindungsstudentisches<br />
Brauchtum und sehen sich in der Tradition von Studentenverbindungen.<br />
Das Turnen ist für sie ” wichtiges Mittel zur<br />
Persönlichkeitsbildung, eigenen Ertüchtigung und Ausbildung<br />
der Gesellschaftsfähigkeit“.<br />
In Göttingen gibt es zwei ATB-Verbindungen: die Albertia<br />
(Friedländer Weg 57, reiner Männerbund) und<br />
die Gothia-Alemannia (Schillerstr. 68), die auch Frauen<br />
aufnimmt. Beide betreiben einen seltsamen Initiationsritus<br />
(die ” Fuxentaufe“), bei der neue Mitglieder einen<br />
verbindungsinternen Spitznamen erhalten. Nach Fotos auf<br />
der Albertia-Homepage zu urteilen, handelt es sich dabei<br />
um eine schleimige Orgie mit sexistischem Einschlag, wenn<br />
Fuxentaufe der Albertia<br />
zum Beispiel die ” Täuflinge“ am ausgestopften Busen eines<br />
Bundesbruders nuckeln.<br />
Andere Turnerschaften<br />
Die Turnerschaften, die nicht im ATB organisiert sind, waren<br />
bis Anfang der 1970er Jahre zusammen mit den Landsmannschaften<br />
im Coburger Convent. Dann gab es Unstimmigkeiten<br />
über die ” Bestimmungsmensur“, woraufhin<br />
die Turnerschaften, die die Mensur freiwillig machen wollten,<br />
austraten oder ausgeschlossen wurden. Sie gründeten<br />
dann den Marburger Konvent (MK), dem aber heute nur<br />
noch die Turnerschaft Gottingo-Normannia (Leonard-<br />
Nelson-Str. 14, fakultativ-schlagend) angehört.<br />
Die übrigen Turnerschaften in Göttingen sind verbandsfrei:<br />
Turnerschaft Ghibellinia (Hermann-Föge-<br />
Weg 8, fakultativ-schlagend), Turnerschaft Cheruscia<br />
(Herzberger Landstr. 67, fakultativ-schlagend) und<br />
Turnerschaft Salia-Jenensis (Nikolausberger Weg 114,<br />
fakultativ-schlagend?).<br />
6.4 Sängerschaften<br />
Sängerschaften sind Studentenverbindungen, die sich ” die<br />
Musik auf ihre Fahnen geschrieben haben“. Die meisten<br />
Sängerschaften sind im Dachverband Deutsche Sängerschaft<br />
organisiert.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 23<br />
Deutsche Sängerschaft (DS)<br />
Die in der DS zusammengeschlossenen Sängerschaften<br />
sind farbentragend und fakultativ-schlagend. In<br />
Göttingen gehören die Sängerschaft Arion-Altpreußen<br />
(Reinhäuser Landstr. 51a) und die Sängerschaft Gotia et<br />
Baltia Kiel (Planckstr. 14) zur DS.<br />
Sie sind bekennende Männerbünde. Die Gotia et Baltia<br />
Kiel schreibt dazu: ” Wir meinen, dass durch eine aus beiden<br />
Geschlechtern bestehende Mitgliedschaft innere Konflikte<br />
entstehen können, die uns nicht helfen, unsere Ziele<br />
zu verwirklichen.“<br />
Diese Ziele bezeichnet die DS als nicht politisch: ” Musische<br />
statt politische Orientierung ist Sache.“ Es wird<br />
viel ” deutsches Liedgut“ gesungen, über die deutsche Rolle<br />
in Europa debattiert und dabei schon mal die ehemalige<br />
DDR als ” mitteldeutsch“ bezeichnet.<br />
Sondershäuser Verband akademisch-musikalischer<br />
Verbindungen (SV)<br />
Der 1867 gegründete Sondershäuser Verband (SV) ist ein<br />
Zusammenschluss von 22 musischen“ Studentenverbin-<br />
”<br />
dungen aus dem deutschsprachigen Raum. Konzerte und<br />
gemeinsames Musizieren prägen das Bundesleben der SV-<br />
Korporationen. Traditionen wie das Lebensbundprinzip<br />
werden auch hier gepflegt. Grundsätze sind Lied, Freund-<br />
”<br />
schaft, Vaterland“. Unter Vaterland“ versteht der SV<br />
”<br />
” die Bereitschaft seiner Mitglieder, sich im Rahmen einer<br />
rechtsstaatlichen Ordnung für ihr Land und seine Menschen<br />
einzusetzen“.<br />
Der Verband ist nicht-farbentragend, lehnt das studentische<br />
Fechten seit 1951 ab. Nationalität und Religion spielen<br />
bei der Aufnahme von Mitgliedern angeblich keine Rolle.<br />
In Göttingen gehört die Studentische Musikvereinigung<br />
Blaue Sänger (Düstere-Eichen-Weg 26), die auch Frauen<br />
aufnimmt, dem SV an. Über ihre wechselvolle Geschichte,<br />
zu der auch eine Periode als Kameradschaft Schlage-<br />
”<br />
ter“ während des Nationalsozialismus zählt, schreibt Ulrich<br />
Witt auf der Homepage der Blauen Sänger, dass die<br />
Wandlungen nicht immer zum Vorteil“ geschahen.<br />
”<br />
Außerdem beklagen sich die Blauen Sänger auf ihrer<br />
Homepage darüber, von der Universität nicht als Kultureinrichtung<br />
anerkannt zu werden. Sie sind aber nicht<br />
bereit, sich von ihrer Tradition als studentische Verbindung<br />
zu lösen.<br />
6.5 Katholische Studentenverbindungen<br />
Cartellverband der deutschen katholischen Studentenverbindungen<br />
(CV)<br />
Der CV ist mit insgesamt ca. 32.000 Mitgliedern der größte<br />
deutsche Korporationsdachverband (davon ca. 6000 Studierende<br />
und 26000 Alte Herren in 127 Verbindungen). Da<br />
nur katholische Männer aufgenommen werden, ist der CV<br />
in Norddeutschlad, wo die katholische Konfession weniger<br />
verbreitet ist, längst nicht so stark vertreten, wie beispielsweise<br />
in Süddeutschland und im Rheinland, wo ihm eine<br />
hegemoniale Rolle in der Korporationsszene zufällt.<br />
Die CV-Verbindungen sind farbentragend, aber nichtschlagend,<br />
da das Fechten im Widerspruch zu den<br />
Grundsätzen der katholischen Kirche stehe. Die Prinzipien<br />
der CV-Bünde lauten Religio (Glaube), Scientia (Wissenschaft),<br />
Amicitia (Freundschaft) und Patria (Vaterland).<br />
Der katholische Glauben ist Grundlage der gemeinsamen<br />
Lebensgestaltung, gemeinsame Gottesdienstbesuche sind<br />
fester Bestandteil des CV-Alltags. Den Vorwurf, nationale<br />
Vorstellungen zu vertreten entgegnen CV-Mitglieder gerne<br />
mit einem Verweis auf die europäischen Verbandsaktivitäten<br />
– ” Patria“ wird also gerne mit Europa identifiziert.<br />
Dass das noch lange den Vorwurf des Nationalismus nicht<br />
entkräftet, wird dabei gewöhnlich übersehen.<br />
In Göttingen gibt es drei CV-Verbindungen: die Akademische<br />
Verbindung Palatia (Lotzestr. 44), die Sugambria<br />
(Jena) zu Göttingen (Planckstr. 5) und die Forstakademische<br />
Verbindung Rheno-Guestfalia (Herzberger<br />
Landstr. 3).<br />
Traditionell gilt der CV als Kaderschmiede für konservative<br />
Politiker (Edmund Stoiber, Jürgen Rüttgers, Joseph<br />
Ratzinger . . . ). Anfang Februar 2005 hat sich der CV<br />
in einer Pressemitteilung für Studiengebühren ausgesprochen;<br />
das Geld solle aber in den Hochschulen bleiben.<br />
Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine<br />
(KV)<br />
Der Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine<br />
(KV) wurde 1866 gegründet und ist heute der<br />
drittgrößte korporationsstudentische Dachverband. Er ist<br />
nicht-schlagend und nicht-farbentragend. Im Gegensatz<br />
zum CV werden auch nicht katholische Christen aufgenommen.<br />
Frauen sind aber ausgeschlossen. Ähnlich wie<br />
der CV bekennt der KV sich zum Katholizismus als seiner<br />
Grundlage. Zu den Verbandsprinzipien zählen aber nur<br />
” Religio, Scientia und Amicitia“.<br />
In Göttingen gibt es zwei KV-Verbindungen:<br />
Die Winfridia (Otto-Wallach-Weg 12) wurde 2003 vor<br />
allem durch ihr Mitglied Moritz Strate bekannt. Strate<br />
kandidierte bei der StuPa-Wahl für eine Liste, die mit dem<br />
Symbol der rechtsextremen Front National in den Wahlkampf<br />
zog und eine Säuberung des Campus von bestimmten<br />
Menschengruppen forderte. Außerdem wurde Strate<br />
beschuldigt zusammen mit Nicolo Martin (Verbindung Lunaburgia)<br />
in einem Wohnheim im Kreuzbergring einen<br />
Brand gelegt zu haben (vgl. 5.4).<br />
Die zweite Göttinger KV-Verbindung heißt Franko-<br />
Borussia-Breslau (Friedländer Weg 48). Der Charakter<br />
dieser Verbindung ist immer wieder Anlass für Diskussionen.<br />
Das Leben auf dem Haus ist jedenfalls sehr<br />
verbindungsuntypisch und ähnelt eher einer Wohngemeinschaft.<br />
Aber solange noch Leute die Tradition dieser Exil-<br />
Breslauer Studentenverbindung aufrecht erhalten wollen,<br />
kann sich das auch wieder ändern.<br />
6.6 Corps<br />
Die ersten Corps entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts.<br />
Sie wurden überwiegend von adligen Studenten getragen<br />
und boten ihren Mitgliedern einen feudalen Lebensstil<br />
der Sauferei, Völlerei und des Duellwesens.<br />
Heute sind die meisten Corps in dem Kartell der Dachverbände<br />
KSCV (Kösener Senioren-Convents-Verband)<br />
und WSC (Weinheimer Senioren Convent) organisiert. Sie
24 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
sind farbentragend und schlagend. Politisch stehen sie eher<br />
rechts auch wenn sie sich selbst als unpolitisch bezeichnen.<br />
Wie viele andere Dachverbände verschweigen und<br />
beschönigen auch der KSCV und der WSC dunkle Kapitel<br />
ihrer Geschichte. Der KSCV schloss als einer der ersten<br />
Verbände Juden aus, begrüßte die Machtübernahme<br />
durch die NSDAP und erklärte am 1.6.1933: ” Das deutsche<br />
Corpsstudententum hat in einer einmütigen Kundgebung<br />
den Willen dargetan, sich ohne jeden Vorbehalt einzugliedern<br />
in die nationalsozialistische Bewegung.“ 79 Auch<br />
heute kommt es noch vor, dass Mitglieder des KSCV oder<br />
des WSC (wie der Corps Marcomannia aus Siegen) an<br />
Hitlers Geburtstag Cocktailparties feiern.<br />
In Göttingen gibt es viele Corps. Allein im KSCV sind<br />
sechs organisiert: Corps Hannovera (Bürgerstr. 56/58),<br />
Corps Teutonia-Hercynia (Nikolausberger Weg 38/40),<br />
Corps Brunsviga (Bürgerstr. 31), Corps Hildeso-<br />
Guestphalia (Wilhelm-Weber-Str. 36, Tanzverbindung,<br />
Wahlspruch: ” Es muss mehr gesoffen werden“), Corps Curonia<br />
Goettingensis (Hainholzweg 20) und Corps Saxonia<br />
(Ewaldstr. 91, Adligenverbindung?). Bis zu seinem<br />
Austritt aus dem KSCV gehörte das Corps Bremensia<br />
(Reinhäuser Landstr. 23) auch noch dazu.<br />
Mitglieder im WSC sind das Corps Agronomia Hallensis<br />
(Friedländer Weg 47) und das Corps Frisia (Nikolausberger<br />
Weg 78). Das Corps Frisia ist durch Umbenennung<br />
aus der Burschenschaft Frisia entstanden, es hat den<br />
bezeichnenden Wahlspruch ” Ohne Bewusstsein muss kein<br />
Verlust sein“.<br />
Bücherverbrennung am 10. Mai 1933<br />
in Göttingen, Adolf-Hitler-Platz (heute:<br />
Albaniplatz) ” Das Braun der SAund<br />
SS-Studenten beherrscht das lebensvolle<br />
Bild. Daneben sieht man das<br />
Grau der Hochschulgruppe des Bundes<br />
der Frontsoldaten, die im Stahlhelm<br />
angetreten ist, und dann die<br />
schier endlosen Reihen der Korporationsstudenten<br />
in bunten Mützen und<br />
Bändern, deren Farben im ungewiß<br />
flackernden Lichte der Flammen hell<br />
aufleuchteten.“ 80<br />
6.7 Sonstige Dachverbände<br />
Verband der Vereine deutscher Studenten<br />
(VVdSt)<br />
Der VVDSt ist der Dachverband der Vereine Deutscher<br />
Studenten (VDSt). Seit seiner Gründung 1881 war der<br />
VVDSt vor allem mit der Konstituierung und Verbreitung<br />
des studentischen Antisemitismus beschäftigt. Der erste<br />
” Verein Deutscher Studenten“ hatte sich 1880 in Berlin<br />
gegründet und direkt eine Petition gegen die rechtliche<br />
Gleichstellung von Juden verabschiedet.<br />
In der ab 1886 existierenden Verbandszeitschrift Aka-<br />
”<br />
demische Blätter“ heißt es zum zehnjährigen Bestehen:<br />
” Eine Verbindung, die dem Judentum ihre Reihen öffnet,<br />
verfällt heute der allgemeinen Mißachtung der Gesamtheit<br />
der Studierenden. Kein Teil des deutschen Volkes ist in so<br />
weitem Umfange heute von der Berechtigung und Notwendigkeit<br />
des Antisemitismus überzeugt, in so hohem Maße<br />
von antijüdischem Geiste beseelt, als die Blüte der deutschen<br />
Jugend.“<br />
Bald findet sich auch der rassistisch definierte Antisemitismus,<br />
z.B. in einer Satzungserläuterung von 1896:<br />
” Die VVDSt dürfen nicht Leute aufnehmen, unter deren<br />
Zu den Prinzipien des nicht-schlagenden und nichtfarbentragenden<br />
VVDSt zählen unter anderem das Lebensbundprinzip,<br />
das Männerbundprinzip und das Politische<br />
Prinzip. Der VDSt Göttingen (Nikolausberger<br />
Weg 75) beschreibt auf seiner Homepage auch noch<br />
sein Convents- und Demokratieprinzip“: demnach habe<br />
”<br />
”<br />
Eltern sich getaufte oder ungetaufte Juden befinden.“<br />
grundsätzlich jeder Aktive gleiches Stimmrecht“, der Senior<br />
sei aber primus inter pares (Erster unter Gleichen)“.<br />
”<br />
Auch bei George Orwell sind manche Tiere gleicher als<br />
andere . . .<br />
Wingolfbund<br />
Der christlichen Wingolfsbund wurde 1860 gegründet. Seine<br />
Vorstellungen und Ideale basieren auf dem christlichen<br />
Glauben ( uns eint das Bekenntnis zum Glauben an Jesus<br />
”<br />
Christus“), daher gehört der Wingolf zu den nichtschlagenden<br />
Verbindungen. Die anderen üblichen Sitten und<br />
Gebräuche des Verbindungsstudententums werden auch<br />
vom Wingolf gepflegt.<br />
” Weltoffenheit, Freundschaft, gegenseitige Achtung,<br />
Verantwortungsbewusstsein“ – von diesen Tugenden, die<br />
sich der Wingolf heute auf die Fahnen schreibt, war in der<br />
Vergangenheit leider nicht viel zu erkennen. So unterstützte<br />
der Wingolfsbund im Jahre 1919 aktiv den Kapp-Putsch<br />
79 Elm, Heither, Schäfer, Füxe, Burschen, Alte Herren. S. 133f.<br />
80 Göttinger Tageblatt vom 11.10.1933 zitiert nach: Werner Treß, ” Wider den undeutschen Geist!“ Bücherverbrennung 1933. Berlin 2003.<br />
S. 150.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 25<br />
zum Sturz der Weimarer Demokratie, bei dem er die Bildung<br />
eines beweglichen Stoßtrupps übernommen hatte.<br />
Und in einer gemeinsamen Erklärung von Wingolf, Deutscher<br />
Burschenschaft und anderen studentischen Bünden<br />
im Jahre 1927 kamen rassistische Elemente zum Ausdruck:<br />
” Die dem Deutschen Volkstum im Grenz- und Auslande<br />
drohenden Gefahren verlangen eine unbedingte Reinhaltung<br />
der Hochschulen von volksfremden Elementen, um<br />
die Lebensähigkeit des Deutschtums in diesen Gebieten<br />
zu wahren.“ 81 Allgemeiner Pennälerring (APR)<br />
Vor diesem Hintergrund erscheint der unbekümmerte<br />
Umgang des Wingold mit seiner Vergangenheit<br />
unverständlich. Eine Aufarbeitung der Verbandsgeschichte<br />
steht bislang aus.<br />
Das Haus des Göttinger Wingolf befindet sich in der<br />
Calsowstr. 18.<br />
Seit den 1980er Jahren versuchen einige Burschenschaften,<br />
sich mit völkisch-nationalistischen, frauenfeindlichen<br />
und elitären Ideologien an den Schulen zu betätigen, um<br />
frühzeitig ihren Nachwuchs zu rekrutieren. Schülerverbindungen<br />
sind im 1989 gegründeten Dachverband Allgemei-<br />
”<br />
ner Pennäler Ring“ (APR) zusammengeschlossen.<br />
Die Schülerverbindungen sind ähnlich organisiert wie<br />
die Burschenschaften. Die meisten teilen den Wahlspruch<br />
”<br />
Wartburg-Cartell (WK)<br />
Die Akademisch-evangelische Verbindung Wartburg-<br />
Coburgia (Keplerstr. 7) zu Göttingen ist insgesamt die<br />
einzige Verbindung in diesem Dachverband“. Sie ist<br />
”<br />
nicht-schlagend und farbentragend. Von ihr selber erfährt<br />
man, dass sie regelmäßig gegen eine katholische Verbindung<br />
Tischtennis spielt: . . . und es gibt immer einen hei-<br />
”<br />
ßen Kampf, erst an der Platte, dann am Bierglas.“<br />
Ehre, Freiheit, Vaterland!“ mit der DB, verlangen von<br />
ihren Mitgliedern die Bereitschaft, das studentische Fechten<br />
zu erlernen, sind farbentragend, hierarchisch organisiert<br />
und pflegen die Bräuche von studentischen Verbindungen.<br />
Wie in studentischen Verbindungen gilt auch in<br />
den Schülerverbindungen das Lebensbundprinzip, d.h. das<br />
Fortbestehen der Mitgliedschaft auch nach Beendigung<br />
der Schulzeit.<br />
Für die Pennalverbindung Hansea zu Göttingen fungiert<br />
Holger Teuteberg aus Lohne als Kontaktperson. Organisatorisch<br />
arbeitet sie eng mit der Burschenschaft Germania<br />
in Kassel zusammen, so hat sie dort am 2.10.04<br />
” Teilwiedervereinigung“ gefeiert. Außerdem hat die Hansea<br />
2001 der Jungen Freiheit“ zum 15jährigen Bestehen<br />
”<br />
gratuliert.<br />
Miltenberger Ring (MR)<br />
Der Miltenberger Ring wurde ursprünglich 1919 gegründet.<br />
Seine sechs Mitgliedsverbindungen sind nichtfarbentragend<br />
und fakultativ-schlagend.<br />
In der in Göttingen ansässigen Verbindung Lunaburgia<br />
(Leonard-Nelson-Str. 23) ist Nicolo Martin. Er hat<br />
es in der FDP bis zum Bundestagskandidaten gebracht.<br />
Zusammen mit Moritz Strate (Winfridia) wird er beschuldigt,<br />
2003 in einem Wohnheim im Kreuzbergring einen<br />
Brand gelegt zu haben.<br />
Deutsche Gildenschaft (DG)<br />
Ursprünglich aus der bündischen Jugendbewegung hervorgegangen,<br />
fanden sich sich in der Deutschen Gildenschaft<br />
nach dem Ersten Weltkrieg Offiziers- und Akademiker-<br />
Wandervögel auf völkischer und militaristischer Grundlage<br />
zusammen. Nach ihrem Zusammenschluss mit Österreichern<br />
und Böhmen zur Großdeutschen Gildenschaft (1923)<br />
umfasste diese Organisation am Ausgang der Weimarer<br />
Republik etwa 30 Hochschulgilden, in denen schon damals<br />
führende Nationalsozialisten tätig waren.<br />
Die DG bezeichnet sich selbst als wertkonservativ“,<br />
”<br />
vertritt aber einen völkischen Nationalismus mit engen<br />
personellen und organisatorischen Verbindungen ins<br />
rechtsextreme Lager. Zu den Mitgliedern der DG zählen<br />
zum Beispiel Andreas Molau, der in Göttingen studiert<br />
hat und für neofaschistische Blätter wie Junge Freiheit“,<br />
”<br />
” Nation und Europa“ und Criticon“ geschrieben hat so-<br />
”<br />
wie Karlheinz Weißmann, ein rechts-konservativer Lehrer<br />
am Northeimer Gymnasium Corvinianum.<br />
Die DG ist farbentragend und nicht-schlagend. Die<br />
Verbindung in Göttingen nennt sich Deutsche Hochschulgilde<br />
Trutzburg Jena.<br />
81 Elm, Heither, Schäfer, Füxe, Burschen, Alte Herren. S. 118<br />
6.8 Verbindungen ohne Dachverband<br />
Es ist auffällig, dass viele Verbindungen aus ihrem angestammten<br />
Dachverband austreten oder ausgeschlossen<br />
werden, ohne einem anderen Dachverband beizutreten.<br />
Zwar pflegen die meisten verbandsfreien Verbindungen<br />
durchaus überregionale Kontakte zu anderen Verbindungen.<br />
Dabei beschränken sie sich aber wohl eher auf Saufen<br />
und Partymachen, ohne einen formellen Verband zu<br />
gründen. Das macht die Einschätzung dieser Verbindungen<br />
für Außenstehende schwieriger.<br />
Verbandsfreie Verbindungen in Göttingen sind neben<br />
den schon aufgezählten Turnerschaften und dem Corps<br />
Bremensia:<br />
• Akademische Damenverbindung Parnassia zu<br />
Göttingen (farbentragend)<br />
• Studentische Verbindung Agronomia Gottingensis<br />
(Friedländer Weg 61, farbentragend, fakultativschlagend?)<br />
• Studentische Jägerschaft Hubertia (farbentragend,<br />
nicht-schlagend, nimmt auch Frauen auf)<br />
• Forstakademische Gesellschaft Freia (Jakob-Henle-<br />
Str. 7, farbentragend, fakultativ-schlagend)<br />
• Göttinger Gesellschaft Max Eyth (Weender Str.<br />
32), die im November 1993 den niedersächsischen<br />
Republikaner-Vorsitzenden Haase aus Göttingen zu<br />
einem Gastvortrag eigeladen hatte, der aber angesichts<br />
der Ankündigung antifaschistischen Protests<br />
nicht stattfand.
26 Werte, Wichs und Waffenbrüder<br />
Literatur<br />
Demonstration gegen die Günzel-Veranstaltung am 24.11.2004<br />
[1] AStA der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Verbindungs-(Un)Wesen. Anachronismus an den Hochschulen?<br />
Reader über Burschenschaften und andere Zumutungen. Düsseldorf. 2002.<br />
[2] AStA der Universität Göttingen. Klüngel, Corps und Kapital: Antifaschistische Recherche zur Ideologie und gesellschaftlichen<br />
Stellung studentischer Verbindungen. Göttingen. 1995<br />
[3] AStA der Universität Hamburg. Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg: Falsch Verbunden. rat – reihe<br />
antifaschistischer texte. Hamburg. 2005<br />
[4] AStA der Universität Mainz. herrschaftszeiten nochmal! Ein Reader zu Studentenverbindungen in Mainz. Mainz.<br />
2001<br />
[5] Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer. ” ...und er muss deutsch sein...“–Geschichte und Gegenwart der<br />
studentischen Verbindungen in Hamburg VSA-Verlag. Hamburg. 2000<br />
[6] Elm, Heither, Schäfer. Füxe, Burschen, Alte Herren – Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute<br />
PapyRossa Verlag. Köln 1992<br />
[7] Diethrich Heither. Verbündete Männer: Die Deutsche Burschenschaft – Weltanschauung, Politik und Brauchtum.<br />
PapyRossa Verlag. Köln. 2000<br />
[8] Heither, Gehler, Kurth, Schäfer. Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften. Fischer. Frankfurt.<br />
1997.<br />
[9] Alexandra Kurth. Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Campus Verlag. Frankfurt. 2004.<br />
[10] Jens Mecklenburg. Handbuch deutscher Rechtsextremismus. Elefanten Press. Berlin. 1996.<br />
[11] Stephan Peters. Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Verbindung? Tektum<br />
Verlag. Marburg. 2004.
Werte, Wichs und Waffenbrüder 27<br />
7 Wo sie sitzen<br />
Karte bekannter Verbindungshäuser in Göttingen.<br />
1. Forstakademische Verbindung Rheno-<br />
Guestfalia<br />
2. Burschenschaft Holzminda<br />
3. Burschenschaft Brunsviga<br />
4. Landsmannschaft Gottinga<br />
5. Landsmannschaft Verdensia<br />
6. Akademische Verbindung Palatia<br />
7. K.D.St.V. Sugambria (Jena) zu Göttingen<br />
8. Burschenschaft Hannovera<br />
9. Winfridia Göttingen<br />
10. Katholischer Studentenverein Franko-<br />
Borussia-Breslau<br />
11. Corps Hannovera<br />
12. Corps Teutonia-Hercynia<br />
13. Corps Brunsviga<br />
14. Corps Hildeso-Guestphalia<br />
15. Corps Curonia Goettingensis<br />
16. Corps Saxonia<br />
17. Corps Agronomia Hallensis Göttingen<br />
18. Corps Frisia<br />
19. Akademische Turnverbindung Albertia<br />
Göttingen<br />
20. Akademische Turnverbindung Gothia-<br />
Alemannia Göttingen<br />
21. Sängerschaft Arion-Altpreußen<br />
22. Sängerschaft Gotia et Baltia Kiel zu<br />
Göttingen<br />
23. Verein Deutscher Studenten zu Göttingen<br />
24. Studentische Musikvereinigung Blaue<br />
Sänger<br />
25. Burschenschaft Germania zu Göttingen<br />
26. Turnerschaft Gottingo-Normannia<br />
27. Göttinger Wingolf<br />
28. Akademisch-evangelische Verbindung<br />
Wartburg-Coburgia zu Göttingen<br />
29. Verbindung Lunaburgia<br />
30. Königsberger Burschenschaft Gothia zu<br />
Göttingen<br />
31. Turnerschaft Ghibellinia<br />
32. Studentische Verbindung Agronomia<br />
Gottingensis<br />
33. Turnerschaft Cheruscia<br />
34. Turnerschaft Salia Jenensis zu Göttingen<br />
35. Forstakademische Gesellschaft Freia<br />
36. Corps Bremensia<br />
37. Göttinger Gesellschaft Max Eyth