Sozialpädagogische Familienhilfe Erfolgs- und Misserfolgskriterien ...
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<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong><br />
<strong>Erfolgs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Misserfolgskriterien</strong><br />
anhand von zwei exemplarischen Fallbeispielen<br />
Diplomarbeit<br />
vorgelegt von<br />
Romy Witte<br />
Studiengang Soziale Arbeit<br />
Sommersemester 2008<br />
urn:nbn:de:gbv:519-thesis2008-0160-6<br />
Erstleserin: Prof. Babara Bräutigam<br />
Zweitleser: Prof. Werner Freigang<br />
Neubrandenburg 09.07.2008
Gliederung<br />
1 EINLEITUNG .............................................................................................................1<br />
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN.........................................................................3<br />
2.1 Begriffsklärung <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> (SPFH) ..........................................................3<br />
2.2 Geschichtlicher Hintergr<strong>und</strong><strong>und</strong> Entwicklung der SPFH ............................................................5<br />
2.3 Entwicklung <strong>und</strong> Stand der SPFH ..................................................................................................8<br />
2.4 Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen.....................................................................................................................9<br />
2.4.1 Verfassungsrechtliche Gr<strong>und</strong>lagen.............................................................................................9<br />
2.4.2 Sozialrechtliche Gr<strong>und</strong>lagen .....................................................................................................10<br />
2.4.3 Datenschutz.................................................................................................................................11<br />
2.5 Organisationsformen ......................................................................................................................13<br />
2.5.1 Trägerschaft ...............................................................................................................................13<br />
2.5.2 Anstellungsverhältnis der Mitarbeiter .....................................................................................13<br />
2.5.3 Mitarbeiterqualifikation............................................................................................................14<br />
2.5.4 Teamanbindung .........................................................................................................................14<br />
2.6 Finanzierung....................................................................................................................................15<br />
2.6.1 Honorarmodell ...........................................................................................................................16<br />
2.6.2 Einzelfallfallbezogene Pauschalen ............................................................................................16<br />
2.6.3 Pauschale Gesamtfinanzierung.................................................................................................17<br />
2.7 Adressaten .......................................................................................................................................18<br />
2.7.1 Zugang ........................................................................................................................................18<br />
2.7.2 Problemlagen..............................................................................................................................18<br />
2.7.2.1 Allein Erziehende mit niedrigem Einkommen...............................................................19<br />
2.7.2.2 Kinderreiche unterprivilegierte Familien.......................................................................20<br />
2.7.2.3 Zwei- Elternteil- Familien mit niedrigem Bildungsstand..............................................20<br />
2.7.2.4 Zwei- Elternteil- Familien mit mittlerem Bildungsstand ..............................................20<br />
2.7.2.5 Familien mit erwerbstätigen Eltern ................................................................................20<br />
2.8 Methoden der SPFH .......................................................................................................................21<br />
2.9 Spannungsfelder der SPFH............................................................................................................23<br />
2.9.1 Nähe <strong>und</strong> Distanz .......................................................................................................................24<br />
2.9.2 Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle ....................................................................................................................25<br />
2.9.3 Erfolg <strong>und</strong> Wirkung...................................................................................................................28<br />
3 UNTERSUCHUNGSMETHODE............................................................................29<br />
3.1 Pädagogische Kasuistik ..................................................................................................................29<br />
3.2 Die Fallstudie...................................................................................................................................31<br />
3.2.1 Fallbeobachtung.........................................................................................................................32<br />
3.2.2 Falldarstellung............................................................................................................................32<br />
4 ZWEI EXEMPLARISCHE PRAXISBEISPIELE ................................................34
4.1 Fallstudie Hans................................................................................................................................34<br />
4.1.1 Hans.............................................................................................................................................34<br />
4.1.1.1 Kontaktaufnahme mit Hans <strong>und</strong> seiner Mutter ............................................................34<br />
4.1.1.2 Interview mit Hans ...........................................................................................................35<br />
4.1.2 Mutter von Hans ........................................................................................................................37<br />
4.1.2.1 Interview mit der Mutter von Hans ................................................................................37<br />
4.1.3 Familienhelfer Herr X. ..............................................................................................................42<br />
4.1.3.1 Kontaktaufnahme mit Herrn X.......................................................................................42<br />
4.1.3.2 Interview mit Herrn X. ....................................................................................................42<br />
4.1.4 Jugendamt Frau Q. ....................................................................................................................46<br />
4.1.4.1 Kontaktaufnahme mit Frau Q.........................................................................................46<br />
4.1.4.2 Interview mit Frau Q. ......................................................................................................46<br />
4.2 Fallstudie Christian ........................................................................................................................52<br />
4.2.1 Christian .....................................................................................................................................53<br />
4.2.1.1 Kontaktaufnahme mit Christian.....................................................................................53<br />
4.2.1.2 Interview Christian...........................................................................................................54<br />
4.2.2 Mutter von Christian .................................................................................................................55<br />
4.2.2.1 Kontaktaufnahme mit der Mutter ..................................................................................55<br />
4.2.2.2 Interview mit der Mutter .................................................................................................56<br />
4.2.3 Vater von Christian....................................................................................................................59<br />
4.2.3.1 Kontaktaufnahme mit dem Vater ...................................................................................59<br />
4.2.3.2 Interview mit dem Vater..................................................................................................60<br />
4.2.4 Familienhelfer Herr Y. ..............................................................................................................62<br />
4.2.4.1 Kontaktaufnahme mit Herrn Y.......................................................................................62<br />
4.2.4.2 Interview mit Herrn Y. ....................................................................................................62<br />
4.2.5 Jugendamt Frau R. ....................................................................................................................67<br />
4.2.5.1 Kontaktaufnahme mit Fr. J.............................................................................................67<br />
4.2.5.2 Interview mit Frau R........................................................................................................67<br />
5 FALLANALYSE.......................................................................................................70<br />
5.1 Fallanalyse Hans .............................................................................................................................70<br />
5.1.1 Hans.............................................................................................................................................70<br />
5.1.1.1 Wahrnehmung der Interviewsituation von Hans ..........................................................70<br />
5.1.1.2 Perspektive von Hans .......................................................................................................71<br />
5.1.2 Mutter von Hans ........................................................................................................................72<br />
5.1.2.1 Wahrnehmung der Interviewsituation der Mutter........................................................72<br />
5.1.2.2 Perspektive der Mutter ....................................................................................................73<br />
5.1.3 Familienhelfer Herr X. ..............................................................................................................76<br />
5.1.3.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Familienhelfers Herrn X..........................76<br />
5.1.3.2 Perspektive des Familienhelfers Herr X.........................................................................76<br />
5.1.4 Jugendamt Frau Q. ....................................................................................................................78<br />
5.1.4.1 Wahrnehmung der Interviewsituation Frau Q..............................................................78<br />
5.1.4.2 Perspektive von Frau Q....................................................................................................78<br />
5.2 Fallanalyse Christian......................................................................................................................83<br />
5.2.1 Christian .....................................................................................................................................83<br />
5.2.1.1 Wahrnehmung der Interviewsituation von Christoper.................................................83<br />
5.2.1.2 Perspektive von Christian................................................................................................83<br />
5.2.2 Mutter von Christian .................................................................................................................84<br />
5.2.2.1 Wahrnehmung der Interviewsituation der Mutter........................................................84<br />
5.2.2.2 Perspektive der Mutter ....................................................................................................84<br />
5.2.3 Vater von Christian....................................................................................................................87<br />
5.2.3.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Vaters.........................................................87<br />
5.2.3.2 Perspektive des Vaters .....................................................................................................87<br />
5.2.4 Familienhelfer Herr Y. ..............................................................................................................89<br />
5.2.4.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Familienhelfers Herrn Y..........................89<br />
5.2.4.2 Perspektive des Familienhelfers Herr Y.........................................................................89<br />
5.2.5 Jugendamt Frau R. ....................................................................................................................92<br />
5.2.5.1 Wahrnehmung der Interviewsituation Frau R. .............................................................92
5.2.5.2 Perspektive von Frau R....................................................................................................93<br />
5.3 Gegenüberstellung der Fallbeispiele ..............................................................................................94<br />
5.3.1 Fall Hans ......................................................................................................................................94<br />
5.3.2 Fall Christian...............................................................................................................................97<br />
5.3.3 Vergleich Fall Hans mit Fall Christian ....................................................................................99<br />
6 RESÜMEE UND HYPOTHESEN ........................................................................100<br />
LITERATURVERZEICHNIS........................................................................................102<br />
ANHANG
1 Einleitung<br />
1<br />
Der Titel meiner Diplomarbeit lautet „<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>, <strong>Erfolgs</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Misserfolgskriterien</strong>“. Während ich in meiner Diplomarbeit erst die Theorie <strong>und</strong> dann die<br />
praktischen Inhalte formuliere, ist der Werdegang zu meiner eigenen Berufserfahrung<br />
genau entgegengesetzt. Dort habe ich als erstes durch gezielte Anleitung <strong>und</strong> eigenem Tun<br />
die Praxis der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> (SPFH) kennen gelernt. Erst durch mein<br />
Berufsbegleitendes Studium beim IfW (Institut für Weiterbildung) in Neubrandenburg,<br />
bekam ich die gr<strong>und</strong>legenden theoretischen Kenntnisse.<br />
Meine Motivation zu diesem Thema haben mir meine eigenen Praxiserfahrungen bei der<br />
Durchführung der Hilfen zur Erziehung nach dem SGB (Sozialgesetzbuch) VIII gegeben.<br />
In diesem Arbeitsfeld arbeite ich seit 2001 bei der Evangelischen Jugend Schwerin.<br />
Schwerpunkte meiner Arbeit sind die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> neben der Erziehungsbeistandschaft,<br />
Betreutes Einzelwohnen <strong>und</strong> soziale Gruppenarbeit.<br />
Bei der Bearbeitung des Themas „<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> <strong>Erfolgs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Misserfolgskriterien</strong><br />
anhand von zwei exemplarischen Fallbeispielen“ möchte ich auf der einen<br />
Seite darstellen, was die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> ist <strong>und</strong> auf der anderen Seite<br />
über eine Befragung in Form eines fokussierten Interviews aller Beteiligten mit ihrer subjektiven<br />
Sicht zu Wort kommen lassen. Dabei beschreiben die Betroffenen, wie sie die<br />
SPFH sehen. Anhand ihrer Aussagen möchte ich Hypothesen für <strong>Erfolgs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Misserfolgskriterien</strong><br />
in der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> aufstellen.<br />
Meine Arbeit teilt sich in sechs Abschnitte.<br />
Beginnen werde ich mit der Einleitung. Im zweiten Abschnitt stelle ich verschiedene Definitionen<br />
der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> gegenüber, um so mehrere Blickwinkel<br />
betrachten zu können. Nach einem geschichtlichen Hintergr<strong>und</strong>wissen zur Entstehung der<br />
SPFH <strong>und</strong> Entwicklung, gehe ich auf den heutigen Stand ein. Danach befasse ich mich mit<br />
den rechtlichen Rahmenbedingungen, den verschiedenen Organisationsformen, sowie der<br />
Finanzierung der SPFH. Es folgen dann die Adressaten, <strong>und</strong> ich beschreibe, wie Personen<br />
zu Klienten einer SPFH werden. Ganz konkret gehe ich nun darauf ein, welche<br />
Problemlagen die Betroffenen haben. Danach befasse ich mich mit den Spannungsfeldern<br />
der SPFH, in denen der Familienhelfer sich in seiner täglichen Arbeit befindet.
2<br />
Im dritten Abschnitt stelle ich die Untersuchungsmethode dieser Arbeit vor. Darin beschreibe<br />
ich, nach welchen Kriterien ich die Fälle darstelle.<br />
Der vierte Abschnitt ist die Falldarstellung. Ich führe fokussierte Interviews von zwei<br />
exemplarischen Praxisbeispielen mit allen Beteiligten durch, die sich aus Kollegen, ehemaligen<br />
Klienten <strong>und</strong> der Fallführenden Fachkraft des Jugendamtes zusammensetzen. Die<br />
Beispiele sind ein abgeschlossener Fall <strong>und</strong> ein Fall in der Ablösephase von Kollegen.<br />
Diese Interviews wurden auf ein Tonbandgerät aufgezeichnet <strong>und</strong> anschließend transkripiert.<br />
Im fünften Abschnitt werde ich die beiden Fälle analysieren <strong>und</strong> diese dann miteinander<br />
vergleichen.<br />
Im sechsten Abschnitt befasse ich mich schließlich mit dem eigentlichen Ziel. Ich bilde<br />
anhand der Auswertung Hypothesen für <strong>Erfolgs</strong> <strong>und</strong> <strong>Misserfolgskriterien</strong> <strong>und</strong> ziehe daraus<br />
das Resümee.<br />
Allen Beteiligten, die sich für das Interviews zur Verfügung gestellt haben, möchte ich<br />
hiermit auf diesem Wege noch einmal danken. Sie wurden in der Arbeit anonymisiert.<br />
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich zur Vereinfachung <strong>und</strong> für eine bessere<br />
Lesbarkeit auf die weibliche Personenbezeichnung verzichtet habe. Daher gelten alle<br />
Personen- <strong>und</strong> Funktionsbezeichnungen auch für die weibliche Form.
2 Theoretische Gr<strong>und</strong>lagen<br />
2.1 Begriffsklärung <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> (SPFH)<br />
3<br />
Die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> ist ein präventives Angebot der Jugendhilfe nach<br />
§27 Abs.1 SGB VIII <strong>und</strong> wird angewendet:<br />
„…wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung<br />
nicht gewährleistet ist <strong>und</strong> die Hilfe für seine Entwicklung geeignet <strong>und</strong> notwendig<br />
ist.“<br />
Kennzeichnend für die <strong>Familienhilfe</strong> ist der aufsuchende Charakter, um alle Beteiligten in<br />
ihrem üblichen Lebensumfeld zu erleben <strong>und</strong> sie dort begleiten <strong>und</strong> beraten. Das strategische<br />
Ziel der Hilfe ist „die Hilfe zur Selbsthilfe“. Letztlich geht es darum, die Familienmitglieder<br />
zu befähigen, ein autonomes <strong>und</strong> verantwortungsvolles Leben zu führen. Martin<br />
Schmidt beschreibt in seinem Buch „<strong>Sozialpädagogische</strong> Diagnose „Die SPFH <strong>und</strong> andere<br />
ambulante Angebote der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe“ wie folgt:<br />
„Ein zentraler Aspekt der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> besteht in der aufsuchenden<br />
Arbeit, also der Installation des Hilfeprozesses im Lebensumfeld der<br />
Familien. Der kontextuelle Ansatz dieser ambulanten Intensivhilfe (intensiv nicht<br />
zuletzt auch aufgr<strong>und</strong> deren zeitlichen Dimension) versucht die durch die einzelnen<br />
Familienmitglieder entstehenden Dynamiken untereinander zu deuten <strong>und</strong> zielgerichtet<br />
in eine lösungsorientierte Bahn zu lenken.<br />
Hier ist das Postulat der Hilfe zur Selbsthilfe von Bedeutung, weil als Zielvorstellung<br />
die autonome Lebensfähigkeit der Familie wieder hergestellt werden soll.<br />
Hierzu bedarf es auch der Miteinbeziehung außerfamiliärer Faktoren, so z.B. des<br />
familiären Umfeldes, des Sozialraumes <strong>und</strong> der darin einbeziehbaren Angebote für<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche.“ (Schmidt 2007, S.9)<br />
Eine ähnliche Begriffserklärung ist auch im Fachlexikon der „sozialen Arbeit“ zu finden in<br />
dem es heißt, die:<br />
„<strong>Familienhilfe</strong>, sozialpädagogische ist eine ambulante <strong>und</strong> betreuungsintensive<br />
Form öffentlicher Erziehungshilfe (Hilfe zur Erziehung), die entweder als präventive<br />
Maßnahme im Vorfeld der Heimerziehung, als Alternative zu ihr oder als<br />
nachgehende Hilfe bei Rückführung eingesetzt wird (Familienberatung). Ziel ist die<br />
Stabilisierung der Eigenkräfte der Familie <strong>und</strong> eine Erweiterung ihrer Selbsthilfekompetenz<br />
(Selbsthilfe).“ (Fischer/Schulze 1986, S.295)
4<br />
Ebenso beinhaltet das Buch “Gr<strong>und</strong>wissen Erzieherische Hilfen Ausgangsfragen,<br />
Schlüsselthemen, Herausforderungen“ von den Herausgebern Hans- Ullrich Krause <strong>und</strong><br />
Friedhelm Peters die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> indem es lautet:<br />
„<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> (SPFH) ist als eine aufsuchende Hilfe für die<br />
gesamte Familie konzipiert, erfolgt in teilweise hoher zeitlicher Intensität <strong>und</strong> soll<br />
diese „in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen,<br />
der Lösung von Konflikten <strong>und</strong> Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern <strong>und</strong> Institutionen<br />
unterstützen <strong>und</strong> Hilfe zur Selbsthilfe geben (31 SGB VIII).““<br />
(Krause/Peters 2006, S.22)<br />
Die drei Auslegungen der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> belegen, dass die gesamte<br />
Familie in den Blick des Familienhelfers genommen wird, auch wenn der Anlass erstmal<br />
einen Mangel an Erziehung des Kindes darstellt. Der Helfer bekommt einen tiefen Einblick<br />
in die Privatsphäre der Familien <strong>und</strong> ist auf die Mitarbeit der einzelnen Familienmitglieder<br />
angewiesen. Die Akzeptanz von Teilerfolgen, der Respekt vor den Familien <strong>und</strong> das<br />
Zutrauen, eigene Lösungen der Familie zu finden sind dabei wichtige Schlüsselqualifikationen,<br />
die ein Familienhelfer mitbringen muss.<br />
Was ist eigentlich eine Familie?<br />
In dem Wörterbuch der Sozialarbeit <strong>und</strong> Sozialpädagogik wird Familie wie folgt beschrieben:<br />
„Sie gehört in ihrer Gr<strong>und</strong>struktur als „Kernfamilie“ zu den wenigen universalen<br />
Erscheinungen menschlicher Gesellschaften. In vormodernen Gesellschaften finden<br />
wir die Kernfamilie- bestehend aus den Ehegatten <strong>und</strong> deren nicht- erwachsenen<br />
Kindern- typischerweise in einer, mehrere Generationen umfassende verwandtschaftliche<br />
Haushaltsgemeinschaft (Großfamilie) integriert.“<br />
(Schwendtke 1980, S.90)<br />
Im Lexikon der Sozialen Arbeit wird Familie folgendermaßen beschrieben:<br />
„Als Familie werden soziale Gruppen bezeichnet, deren Mitglieder durch Abstammung,<br />
Heirat oder Adoption unmittelbar miteinander verb<strong>und</strong>en sind. Die<br />
Mitglieder einer Familie können, müssen aber nicht zusammen leben, d.h. einen<br />
Haushalt bilden. Merkmale der Familie aus soziologischer Sicht sind:<br />
- ihre biologisch- soziale Doppelnatur, die sich aus ihrer Reproduktions- <strong>und</strong><br />
ihrer Sozialisationsfunktion ergibt;<br />
- ihre Generationsdifferenzierung, die mindestens zwei Generationen umfasst<br />
(Mutter- Kind <strong>und</strong> oder Vater- Kind; eine formal geschlossene Ehe kann, muss<br />
aber nicht vorhanden sein);
5<br />
- ein spezielles Solidaritäts- <strong>und</strong> Kooperationsverhältnis, das sich in gesellschaftlich<br />
sanktionierten Rollenerwartungen niederschlägt <strong>und</strong> z. T. auch verpflichtenden<br />
Charakter hat (Subsidiaritäts- Prinzip)“<br />
(Mogge- Grotjahn/Boeckh 2002,S.74- 75)<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Familie eine Gemeinschaft ist, die aus biologischen<br />
Gründen oder durch Heirat miteinander verb<strong>und</strong>en ist. Die Mitglieder der jeweiligen<br />
Gemeinschaft sind gegenseitig füreinander verantwortlich, besonders in Bezug auf die<br />
minderjährigen Kinder.<br />
2.2 Geschichtlicher Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Entwicklung der SPFH<br />
Die Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hat für mich eine doppelte Bedeutung.<br />
Einerseits bin ich in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geboren<br />
<strong>und</strong> sozialisiert worden. Und andererseits arbeite ich jetzt nach einer „friedlichen Revolution“<br />
in der „neuen“ B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Meinen Schulabschluss habe ich vor der<br />
“Wende“ absolviert, hingegen habe ich meinen Berufsabschluss zur Staatlich anerkannten<br />
Erzieherin in den alten B<strong>und</strong>esländern realisiert.<br />
Ich möchte nun auf die geschichtlichen Hintergründe der SPFH eingehen.<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts untersuchte die Settlement- Bewegung in den USA, wie gesellschaftsbedingte<br />
Familienbiographien dazu beitragen, einen Hilfebedarf zu erzeugen. Diese<br />
Ursachenforschung wurde durch ein Zusammenleben von Armen <strong>und</strong> gebildeten<br />
Menschen ermöglicht (vgl. Schmidt 2007, S.9).<br />
Neben der unmittelbaren Hilfe war es das Ziel, strukturelle Verbesserungen für die armen<br />
Familien zu erreichen. Dieses wurde durch den Aufbau der Infrastruktur in bestimmten<br />
Stadtgebieten wie zum Beispiel durch die Errichtung von Krabbelstuben, Kindergärten,<br />
Schulspeisungen <strong>und</strong> Beratungsmöglichkeiten erreicht. Die Arbeit wurde von Krankenschwestern<br />
durchgeführt, mit der Perspektive, sich für die Familien mittel- oder langfristig<br />
entbehrlich zu machen. Schon damals wurde der präventive Ansatz dieser Hilfe praktiziert,<br />
indem es für die Familien Unterweisungen beispielsweise in Säuglingspflege <strong>und</strong> Hygiene<br />
gab <strong>und</strong> so stationäre Unterbringungen in Krankenhäusern vermieden wurden. Durch die<br />
Einführung der Arbeit in Stadtteilen konnten beispielsweise Freizeiten, Tageserholungen<br />
für Mütter <strong>und</strong> Kinder, Bildungsarbeit in handwerklichen <strong>und</strong> künstlerischen Bereichen<br />
<strong>und</strong> Jugendgruppenarbeit durchgeführt werden (vgl. Elger 1990, S.11).
6<br />
In Deutschland konnten sich ähnliche Vereine wie die „Settlements“ nicht durchsetzen.<br />
Gleichwohl gab es bereits ähnliche Arbeitsansätze, so die Familienpflege <strong>und</strong> Hauspflege<br />
nach § 185 b Reichswohlfahrtsversicherungsordnung (RVO), die Erziehungsbeistandschaft<br />
nach §§ 55 ff Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) <strong>und</strong> die Bezirkssozialarbeit im Rahmen der<br />
Familienfürsorge <strong>und</strong> der sozialen Dienste der Jugendämter. Die drei Hilfeformen vereint,<br />
beinhalten letztendlich den Gr<strong>und</strong>gedanken der eigentlichen <strong>Sozialpädagogische</strong>n<br />
<strong>Familienhilfe</strong>. Sie ist eine zeitlich intensive Hilfe wie die Familien- <strong>und</strong> Hauspflege, sie ist<br />
eine offene erzieherische Hilfe, die die Erziehungssituation in den Familien stabilisieren<br />
soll <strong>und</strong> übernimmt Konzeptgedanken von der Bezirkssozialarbeit. Dennoch gab es bei der<br />
Einführung der SPFH kaum eine Rückbesinnung auf diese schon vorhandenen Formen<br />
(vgl. Elger 1990, S.12- 13).<br />
Durch den Verein, „Berliner Gesellschaft für Heimerziehung“, der sich für die Verbesserungen<br />
in der Heimerziehung einsetzte, wurde 1969 in West- Berlin die erste SPFH umgesetzt.<br />
Lange blieb die Zahl der durchgeführten SPFH sehr gering. Erst 1978 wurde die<br />
SPFH von allen zwölf Bezirksjugendämtern in Berlin- West auf Honorarbasis mit 400<br />
Familienhelfern, Sozialarbeitern, Psychologen, Soziologen sowie von Studenten dieser<br />
Fachrichtungen umgesetzt. Dabei wurden die Familienhelfer von dem Verein „Berliner<br />
Gesellschaft für Sozialarbeit“ früher „Berliner Gesellschaft für Heimerziehung“, organisiert.<br />
1980 wurde der qualitative Aufbau mit 665 Familienhelfern erreicht (vgl. Elger 1990,<br />
S.12- 13).<br />
1981 wurde der Stellenwert der SPFH im Jugendhilfeangebot gefestigt, indem der Senat<br />
die Berliner Familienhelfervorschriften erließ <strong>und</strong> damit Rahmenbedingungen für diese<br />
Arbeit schaffte. Darunter waren auch prekäre Bedingungen wie zum Beispiel die Bezahlung.<br />
Familien mit Einzelkindern wurden von der Betreuung ausgeschlossen. Außerdem<br />
fehlten Regelungen zur Qualifizierung <strong>und</strong> zur Teamanbindung der Helfer. Daraus folgten<br />
die Isolation in der Arbeit, sowie keine ausreichende fachliche Begleitung wie Fortbildung<br />
oder Supervision (vgl. Elger 1990, S.13- 14).<br />
Außerhalb von Berlin wurde mit der SPFH erst acht Jahre später begonnen (1977).<br />
1980 hatten mehr als 10% der Jugendämter nach §§ 5,6 JWG in der B<strong>und</strong>esrepublik SPFH<br />
im Leistungsangebot. Die SPFH als Modellversuch zur Vorbereitung der Jugendrechtsreform<br />
wurde damals aus Mitteln des B<strong>und</strong>esjugendplanes gefördert. In dieser Zeit führte die<br />
Änderung des § 1666 a B<strong>und</strong>esgesetzbuch (BGB) zu einer besseren rechtlichen Absicherung<br />
der offenen Erziehungshilfen. Dies führte u.a. zu einer stärkeren Berücksichtigung der<br />
Kostenaspekte im Sozialbereich. Daraus resultierte, dass 1985 über die Hälfte der
7<br />
Jugendämter in der BRD (B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland) SPFH mit eigenen Fachkräften<br />
oder in Zusammenarbeit mit freien Trägern durchführten (vgl. Elger 1990, S.14). Die<br />
mehrmaligen Versuche, die SPFH als Rechtanspruch durchzusetzen, konnte damals nicht<br />
durchgesetzt werden (vgl. Elger 1990, S.14).<br />
Die Hilfeleistungen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren beim<br />
Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesen angegliedert <strong>und</strong> im Familiengesetzbuch (FGB), sowie in<br />
angrenzenden Gesetzen <strong>und</strong> Bestimmungen geregelt. Sie hatten einen starken Eingriffscharakter<br />
ohne Rechte für die Betroffenen. Darüber hinaus hatte das Gesetz einen starken<br />
politischen Hintergr<strong>und</strong>. Freiwillige Hilfen wie im SGB (Sozialgesetzbuch) VIII gab es<br />
nicht. Der § 49 Abs. 2 FGB beinhaltete, dass sich die Erziehungsberechtigten Hilfe <strong>und</strong><br />
Unterstützung beispielsweise bei der Schule, Elternbeirat, Organen der Jugendhilfe,<br />
Kollektiven oder Ehe- <strong>und</strong> Familienberatungsstellen holen konnten.<br />
Im Jugendwohlfahtsgesetz (JWG) <strong>und</strong> im Familiengesetzbuch (FGB) waren die Hilfen von<br />
einer Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung geprägt. Verwahrloste<br />
Jugendliche wurden geschlossen untergebracht <strong>und</strong> wurden einer Arbeitserziehung unterzogen,<br />
oder Kinder mussten vor dem gefährlichen Einfluss der Eltern gerettet werden.<br />
Mit der Einführung des SGB VIII am 01.01.1991 hat sich in der Jugendhilfe ein Paradigmenwechsel<br />
vollzogen. Nicht mehr die ordnungsrechtliche Hilfe mit dem Kontroll- <strong>und</strong><br />
Eingriffsverständnis stehen im Vordergr<strong>und</strong>, sondern ein Sozialleistungsgesetz, welches<br />
die „Hilfeempfänger“ in die Rechtsposition der Leistungsberechtigten hebt.<br />
Die Einführung des SGB VIII hatten in beiden Teilen Deutschlands unterschiedliche<br />
Herausforderungen zu bewältigen.<br />
Während in der ehemaligen DDR nur in der Heimerziehung auf eine Struktur zurückgegriffen<br />
werden konnte, gab es in den „alten“ B<strong>und</strong>esländern schon gewachsene Strukturen<br />
<strong>und</strong> ein funktionierendes Netzwerk, welches die rechtlichen Rahmenbedingungen des<br />
neuen SGB VIII umsetzen mussten.<br />
Im SGB VIII ist es der Auftrag der Jugendhilfe, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu<br />
fördern <strong>und</strong> die Integration in die Gesellschaft durch allgemeine Förderangebote <strong>und</strong><br />
Leistungen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen (vgl. Wiesner/Zarbock 1991,<br />
S.18). Mit dem Inkrafttreten des SGB VIII kam es schließlich zu einem Abschluss der<br />
Jahrzehnte hinweg geführten Reformdiskussion. Durch die Umgestaltung des Gesetzes zu<br />
einer präventiv orientierten <strong>und</strong> partizipativen Dienstleistung, wurde auch die Veränderung<br />
der ambulanten Erziehungshilfen eingeleitet (vgl. Wiesner u.a. 1995, S.13).
2.3 Entwicklung <strong>und</strong> Stand der SPFH<br />
8<br />
Kühl beobachtete in den verschiedenen B<strong>und</strong>esländern drei Phasen, wie sich <strong>Familienhilfe</strong><br />
vollzog <strong>und</strong> heute noch vollzieht. Die erste Phase beschreibt er als „Pionierphase“, entstanden<br />
aus der klassischen Familienfürsorge, in der die Haushaltshilfe, der Nachhilfeunterricht<br />
<strong>und</strong> die Schuldenregulierung im Vordergr<strong>und</strong> standen. Diese Hilfe hatte einen<br />
sehr stark eingreifenden <strong>und</strong> kontrollierenden Charakter, verb<strong>und</strong>en mit sehr viel Zeitaufwand.<br />
Strukturelle Merkmale, wie eine saubere Wohnung, regelmäßiger Kindergartenoder<br />
Schulbesuch <strong>und</strong> Finanzübersicht standen u.a. im Vordergr<strong>und</strong>. In dieser Form der<br />
Hilfe werden die Familien für ihre Defizite verantwortlich gemacht sind daher von Moralisierung<br />
geprägt. Diese teilweise bevorm<strong>und</strong>ende Betreuungsarbeit brachte auf lange Sicht<br />
nur wenig Erfolg, denn es schien nach Beendigung der Betreuung, dass sich die Familien<br />
nur wenig weiterentwickelten <strong>und</strong> schnell in ihre alten Verhaltensweisen zurück fielen. Die<br />
Eltern nahmen diese Hilfe als Zwangsmaßnahme wahr. Sie fühlten sich mit ihren Defiziten<br />
beschämt <strong>und</strong> abgewertet. Ausgehend von diesen Problemen entwickelte sich die SPFH<br />
weiter unter Einbeziehung von systemischen Ansätzen. Die Hilfe hatte nun einen<br />
Charakter der Akzeptanz von Teilerfolgen Sie delegierte mehr <strong>und</strong> war auf die Ressourcen<br />
der Familienmitglieder gerichtet. Die zweite Phase nennt Kühl, die Phase der elementaren<br />
Gr<strong>und</strong>qualifizierung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ausstattung, welche die Notwendigkeit für eine genaue<br />
Regelung des Datenschutzes <strong>und</strong> des Hilfeplanverfahrens erfordert. Die Hilfe war nun alltagsorientiert,<br />
jedoch wurde der Hilfeplan als Druck produzierende Regieanweisung missbraucht.<br />
Die Hilfe wurde größtenteils von ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme)<br />
Personen umgesetzt. In der dritten Phase haben sich nach Kühl fachliche Standards entwickelt,<br />
<strong>und</strong> es wurde damit begonnen, das Jugendamt als Kooperationspartner für die<br />
Hilfen zu sehen. Die meisten Helfer waren nun fest angestellt <strong>und</strong> hatten eine Zusatzausbildung<br />
(vgl. Kühl 1997, S.154-168).<br />
Heute hat sich die SPFH zu einer intensiven <strong>und</strong> vielseitigen Hilfe zur Erziehung entwickelt.<br />
Die Hilfe ist aber immer noch von sehr unterschiedlicher Qualität geprägt, die von<br />
Honorarmitarbeitern bis zu Familienhelfern mit familientherapeutischen Zusatzausbildungen<br />
reicht. Sie arbeiten in Teams, oder auch in der Anbindung an einen Stadtteil<br />
oder eine Region, die soziale Gruppenarbeit <strong>und</strong> andere familienübergreifende Projekte mit<br />
einbeziehen.<br />
Der Familienhelfer muss sehr kreative Ideen entwickeln, um Veränderungen in den<br />
Familien <strong>und</strong> im sozialen Netzwerk zu bewirken.
2.4 Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />
9<br />
<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> hat sich immer mehr zu einem fachlich anerkannten<br />
Angebot der Jugendhilfe entwickelt <strong>und</strong> ist heute als eine Pflichtleistung des Jugendamtes<br />
anzusehen, die von den Betroffenen eingefordert werden kann (vgl. Elger 1990, S.55).<br />
2.4.1 Verfassungsrechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Die folgend aufgeführten Paragrafen haben eine f<strong>und</strong>amentale Bedeutung für die SPFH<br />
<strong>und</strong> haben einen großen Einfluss auf sie.<br />
Der Art. 1 Abs. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz (GG) beschreibt, dass der Umgang mit den betroffenen<br />
Familien respektvoll sein soll, selbst wenn sie die Probleme schuldhaft verursacht haben.<br />
Im Entscheidungs- <strong>und</strong> Hilfeprozess soll die Selbstverantwortung <strong>und</strong> die Autonomie der<br />
Familie <strong>und</strong> deren Mitglieder gestärkt werden.<br />
Ebenso tangiert der Art. 2 Abs. 1 GG die SPFH. Dort heißt es:<br />
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung <strong>und</strong> Persönlichkeit, soweit er nicht die<br />
Rechte anderer verletzt <strong>und</strong> nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das<br />
Sittengesetz verstößt.“<br />
Dieses bedeutet, dass jede Familie so leben kann <strong>und</strong> darf, wie es ihren Vorstellungen entspricht.<br />
Eine große Bedeutung kommt dabei dem Art. 6 Abs. 1-4 GG zu, in dem es lautet, dass die<br />
Ehe <strong>und</strong> die Familie staatlich geschützt ist <strong>und</strong> die Eltern das Recht <strong>und</strong> die Pflicht haben,<br />
ihre Kinder zu pflegen <strong>und</strong> zu erziehen. Dabei ist es die Aufgabe des Staates, diese Umsetzung<br />
zu überwachen. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf<br />
Gr<strong>und</strong> eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten<br />
versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Des<br />
Weiteren hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz <strong>und</strong> die Fürsorge der Gemeinschaft.<br />
Die verfassungsrechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> die Sozialrechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen sind eng<br />
miteinander verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> finden ihren Bezug zum Beispiel im § 1 SGB I <strong>und</strong> § 1 SGB<br />
VIII, die nachfolgend beschrieben werden.
2.4.2 Sozialrechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />
10<br />
Folgende Sozialrechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen beeinflussen die SPFH.<br />
In § 1 Abs.1 SGB I sind die gr<strong>und</strong>legenden Ziele des Sozialgesetzbuches festgelegt.<br />
Der Abs. 2 SGB I fordert, dass der Gesetzgeber von der öffentlichen Jugendhilfe, die notwendigen<br />
sozialen Dienste <strong>und</strong> Einrichtungen rechtzeitig <strong>und</strong> ausreichend zur Verfügung<br />
stellt.<br />
In der Vorschrift des § 1 Abs.1 SGB VIII werden die Zielvorstellungen <strong>und</strong> Aufgaben der<br />
Jugendhilfe beschrieben. Dieses Recht ist nicht einklagbar, wird aber als Leitvorstellung<br />
bei der Auslegung der Einzelnormen mit berücksichtigt. Dennoch besteht ein Anspruch auf<br />
die Bereitstellung der erforderlichen Hilfen. Die Aufgabe der Jugendhilfe ist es dabei, die<br />
Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen <strong>und</strong> so die Entwicklung des<br />
Kindes oder Jugendlichen zu fördern (vgl. Schellhorn/Wienand 1991, S.38).<br />
Der § 1 Abs. 2 SGB VIII stellt die klare Abgrenzung des Elternrechts Art. 6 Abs. 2 GG<br />
gegenüber dem Jugendhilferecht dar <strong>und</strong> hat keinen eigenständigen Erziehungsauftrag.<br />
Eingriffe in das Elternrecht können nur auf gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lage durch das Familiengericht<br />
vollzogen werden, nämlich wenn nach § 1666 BGB die Erziehungsberechtigten das<br />
Wohl des Kindes nicht mehr gewährleisteten können (vgl. Schellhorn/Wienand 1991,<br />
S.39- 40). Nach Wiesner hat selbst das staatliche Wächteramt:<br />
„…nicht die beste oder optimale Erziehung für das Kind zu gewährleisten, sondern<br />
das Kind vor Schaden zu bewahren.“ (Wiesner 1996 a, S.286)<br />
Der Entzug der elterlichen Sorge sollte das letzte Mittel sein <strong>und</strong> nur Anwendung finden,<br />
wenn eine Gefahr für das Kind nicht auf andere Art abgewendet werden kann (vgl:<br />
Wiesner 1996 a, S. 286).<br />
Der § 1 Abs. 3 SGB VIII beschreibt die Gr<strong>und</strong>ziele der Jugendhilfe, die sich aus § 1Abs. 1<br />
SGB VIII ableiten. Dieser beinhaltet, dass zum Beispiel die jungen Menschen gefördert<br />
werden sollen, um Benachteiligung zu vermeiden oder abzubauen, Eltern bei der Erziehung<br />
beraten <strong>und</strong> unterstützt werden <strong>und</strong> dazu beitragen sollen, dass positive Lebensbedingungen<br />
für junge Menschen <strong>und</strong> ihre Familien sowie eine kinder- <strong>und</strong> familienfre<strong>und</strong>liche<br />
Umwelt zu erhalten oder zu schaffen. Dabei kann gerade die SPFH vorbeugend <strong>und</strong> unterstützend<br />
mit den Familien zusammenarbeiten, damit mit deren Hilfe diese genannten<br />
Bedingungen geschaffen werden können.
11<br />
Der Gesetzgeber gibt in § 2 SGB VIII der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung<br />
einschließlich der Planungsverantwortung, wenn eine Hilfe installiert wird. Dazu<br />
gehört die Erfüllung des Aufgabenkataloges, zudem auch die Leistungen nach §§ 27 ff<br />
SGB VIII (Hilfen zur Erziehung) <strong>und</strong> schließlich auch die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong><br />
nach § 31 SGB VIII gehören, selbst wenn diese Leistungen von Jugendhilfeträgern<br />
angeboten werden. Die Feststellung eines erzieherischen Bedarfs nach § 27 Abs. 1 SGB<br />
VIII definiert die Anspruchsvoraussetzungen für die Hilfen. Die Hilfe muss von den Fachkräften<br />
des örtlichen Jugendamtes als notwendig <strong>und</strong> geeignet eingeschätzt werden, egal<br />
welche Gründe für die Erziehungsbedürftigkeit vorliegen. Die Zuordnung einer geeigneten<br />
Hilfe <strong>und</strong> die Konkretisierung der Hilfeart geschehen in einem Klärungs-, Beratungs-, <strong>und</strong><br />
Aushandlungsprozess mit den Beteiligten unter Einbeziehung mehrerer Fachkräfte. Der<br />
Hilfeplanprozess nach § 36 SGB VIII orientiert sich dabei an die vorhandenen Ressourcen<br />
der Familie. Die Hilfe der SPFH nach § 31 SGB VIII setzt immer an Problemlagen von<br />
Familien an, welche sich auf die Kinder oder Jugendlichen beziehen. Dabei soll die<br />
gesamte Familie in das Blickfeld genommen werden. Die Hilfe ist vom Gesetzgeber<br />
gesehen eine Sollleistung <strong>und</strong> muss daher nach § 1666a (Bürgerliches Gesetzbuch) BGB<br />
vorgehalten werden (vgl. Schellhorn/Wienand 1991, S. 156).<br />
Die SPFH wird immer dann angewandt, wenn im Einzelfall ein erzieherischer Bedarf<br />
fachlich durch einen Situationsbericht begründet <strong>und</strong> dies die notwendige <strong>und</strong><br />
ausreichende Hilfe ist (vgl. Elger 1990, S.58).<br />
2.4.3 Datenschutz<br />
In der SPFH ist die Einhaltung des Datenschutzes von großer Bedeutung, denn Familienhelfer<br />
bekommen in den Familien viele private Informationen. Zudem sind sie in ein Netz<br />
kooperierender Institutionen eingeb<strong>und</strong>en. Daher sollte sich Form <strong>und</strong> Inhalt der Informationen<br />
immer am Schutz der Familien orientieren.<br />
Groner beschreibt 1993 folgende Datenschutzprinzipien, indem er zwischen dem Zweckbindungsprinzip,<br />
dem Erforderlichkeitsgr<strong>und</strong>satz <strong>und</strong> dem Transparentgebot unterscheidet.<br />
Das Zweckbindungsprinzip beinhaltet, dass nur Daten verwendet werden dürfen, zu dem<br />
sie erhoben wurden. Dieses Prinzip kann nur außer Kraft gesetzt werden, wenn die Einwilligung<br />
zu einer Zweckänderung gegeben wurde, aber nur unter der Bedingung der genauen<br />
Information, was überhaupt wofür gebraucht wird. So sind pauschale Einwilligungen
12<br />
immer rechtswidrig. Ausnahmen bestehen, wenn es ein großes Interesse der Öffentlichkeit<br />
gibt, wie zum Beispiel in § 35 SGB I. Der Erforderlichkeitsgr<strong>und</strong>satz stellt die Bedingung<br />
auf, dass nur so viel erhoben werden darf, wie für die Erfüllung der konkreten Aufgaben<br />
notwendig ist. Im Transparenzgebot ist festgelegt, dass die Betroffenen immer genau<br />
informiert werden müssen, was mit ihren Daten passiert. Ebenso können die Akten jederzeit<br />
von ihnen eingesehen werden (vgl. Groner 1993, S.32 f).<br />
Nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) ist der Familienhelfer verpflichtet, die Verschwiegenheitspflicht<br />
einzuhalten. Informationen werden somit als Geheimnis gesehen <strong>und</strong> dürfen<br />
nur unter bestimmten Bedingungen bekannt gegeben werden. Diese Bedingungen können<br />
zum Beispiel eine Einwilligung des Betroffenen sein, dass die bestimmten Informationen<br />
weitergegeben werden dürfen. Außerdem muss der Familienhelfer Auskunft geben, wenn<br />
sich die Informationen nach § 138 StGB auf eine Straftat beziehen wie Mord, oder Totschlag.<br />
Familienhelfer haben kein Zeugnisverweigerungsrecht. Informationen müssen aber<br />
nur nach § 34 StGB weitergegeben werden, wenn die Informationsweitergabe den Notstand<br />
abwendet (vgl. Groner 1993, S.32 f).<br />
Im SGB VIII finden sich die Datenvorschriften in den §§ 61 ff SGB VIII wieder, in dem<br />
Vorschriften zur Erhebung, Speicherung, Verwendung, Offenbarung <strong>und</strong> Löschung von<br />
Daten geregelt werden. Der § 65 SGB VIII definiert das besondere Beratungsgeheimnis.<br />
Die Weitergabe an Informationen darf auch hier nur mit Einwilligung der Betroffenen<br />
geschehen. Ausnahme ist, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt <strong>und</strong> das<br />
Familiengericht:<br />
„…ohne diese Mitteilung eine für die Gewährdung von Leistungen notwendige<br />
gerichtliche Entscheidung nicht ermöglicht werden kann.“ (vgl. Groner 1993, S.32 f)<br />
Der § 62 SGB VIII besagt, dass bei den Betroffenen nur die Informationen erhoben werden<br />
dürfen, die für die Gewährung der Leistung auch notwendig sind.<br />
Einen besonderen Schutz haben die Informationen nach § 64 Abs. 2 SGB VIII, denn diese<br />
Daten können offenbart werden, jedoch nicht, wenn durch die Weitergabe der Erfolg der<br />
zu gewährenden Leistung fraglich ist.<br />
Der § 65 SGB VIII legt den besonderen Vertrauensschutz in der persönlichen <strong>und</strong> erzieherischen<br />
Hilfe fest, denn die anvertrauten Informationen (meist persönliche), dürfen nur<br />
unter den in diesen Paragrafen genannten besonderen Bedingungen preisgegeben werden.<br />
Hier müssen Gründe nach dem § 203 StGB vorliegen. Somit müssen die Familienhelfer<br />
nicht alle Informationen dem Jugendamt gegenüber preisgeben. Jedoch muss die gewäh-
13<br />
rende Instanz soviel Informationen erhalten, um eine fachliche Entscheidung treffen zu<br />
können, ob die Hilfe geeignet <strong>und</strong> weiterhin notwendig ist. Somit ist die Mitwirkungspflicht<br />
in Form von Informationen nach § 36 SGB VIII eine wichtige Voraussetzung, um<br />
eine Hilfe zu gewähren (vgl. Groner 1993, S.32 f).<br />
2.5 Organisationsformen<br />
Die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> ist in Deutschland sehr unterschiedlich organisiert<br />
<strong>und</strong> unterscheidet sich vor allem in der Art der Anstellung <strong>und</strong> die Qualifikation der<br />
Mitarbeiter. Der übergeordnete Begriff der SPFH ist der „Dienst“. Die Kriterien zur<br />
Bestimmung der unterschiedlichen Organisationsformen von Familiendiensten unterscheiden<br />
sich u.a. von der Trägerschaft, dem Anstellungsverhältnis, der Qualifikation <strong>und</strong> der<br />
Teamanbindung (vgl. Elger 1990, S.41).<br />
2.5.1 Trägerschaft<br />
Die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> kann in freier <strong>und</strong> kommunaler Trägerschaft, als<br />
Verb<strong>und</strong> von kommunalem Träger <strong>und</strong> einem oder mehreren freien Trägern oder als Verb<strong>und</strong><br />
mehrerer freier Träger organisiert sein. Ein Vorteil, die SPFH beim Jugendamt anzusiedeln<br />
kann darin liegen, dass es größere Möglichkeiten gibt, das Angebot besser in<br />
andere Erziehungshilfen zu integrieren. Zum Nachteil könnte dagegen sein, dass die SPFH<br />
beim Jugendamt stärker als beim freien Träger als Eingriffsbehörde gesehen wird.<br />
Insgesamt ist in Deutschland die SPFH am meisten beim freien Träger angesiedelt (vgl.<br />
Elger 1990, S 41- 42).<br />
2.5.2 Anstellungsverhältnis der Mitarbeiter<br />
In Deutschland können die Familienhelfer in unterschiedlichen Anstellungsverhältnissen<br />
wie zum Beispiel die Festanstellung <strong>und</strong> die Honorar- bzw. befristete Anstellung arbeiten.<br />
Am vorteilhaftesten ist dabei die Festanstellung mit einem Kern von Mitarbeitern, die eine<br />
regelmäßige Wochenarbeitszeit von wenigstens 30 St<strong>und</strong>en haben. Nur so ist der fachliche
14<br />
Austausch durch Supervision <strong>und</strong> Teamberatung gewährleistet, <strong>und</strong> die berufliche<br />
Erfahrung bekommt eine größere Bandbreite (vgl. Elger 1990, S.42).<br />
2.5.3 Mitarbeiterqualifikation<br />
Daraus resultierend, dass es für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> keinen qualifizierenden<br />
Berufsabschluss gibt, existieren auf diesem Gebiet sehr unterschiedliche Berufsgruppen<br />
wie zum Beispiel Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Diplom- Psychologen,<br />
Erzieher, Familienpfleger, Krankenpfleger, Hauswirtschaftler <strong>und</strong> Lehrer. Einen geringen<br />
Anteil bilden Hausfrauen <strong>und</strong> andere Laienkräften in der SPFH. Verbindliche Kriterien<br />
sind bisher nicht erhoben worden, weil die Fähigkeit des fachlichen Handelns, das<br />
Einbringen der eigenen Persönlichkeit <strong>und</strong> die praktische Alltagskompetenz gleichermaßen<br />
notwendige Voraussetzungen für die Ausübung der SPFH sind. Darüber hinaus sollte<br />
jedoch die Qualifikation eine dominante sozialpädagogische Dimension wie sie Sozialarbeiter/Sozialpädagogen,<br />
Erzieher <strong>und</strong> Diplom- Pädagogen erfüllen, darstellen. Der<br />
Familienhelfer sollte außerdem die Fähigkeit besitzen, die gesamte Familie in den Hilfeprozess<br />
mit einzubeziehen. Dabei sollte der Aspekt der gesellschaftlichen Benachteiligung<br />
der Familien berücksichtigt werden, um positive Anknüpfungspunkte für eine positive<br />
Veränderung zu finden. Der Familienhelfer sollte Kenntnisse über das Arbeitslosen- <strong>und</strong><br />
Sozialhilferecht <strong>und</strong> der Schuldenregulierung sowie einen guten Umgang mit Ämtern<br />
besitzen. Jeder Familienhelfer muss seine eigene Grenze erkennen <strong>und</strong> kann auf andere<br />
spezialisierte Angebote wie zum Beispiel die Schuldnerberatung zurückgreifen. Die<br />
gemischten Teams haben den Vorteil, von den vorhandenen unterschiedlichen Berufsgruppen<br />
zu profitieren <strong>und</strong> so eine dynamische Weiterentwicklung zu ermöglichen. Dazu<br />
bilden Supervisionen <strong>und</strong> kollegiale Beratung eine ideale Plattform (vgl. Elger 1990,<br />
S.42- 43).<br />
2.5.4 Teamanbindung<br />
Da die Familienhelfer ohnehin schon oft alleine in den Familien agieren, ist es umso<br />
notwendiger, die eigene Arbeit ständig in Form eines fachlichen Austausches zu reflektie-
15<br />
ren. Eine angestellte Leitungsfachkraft, oftmals mit einer höheren Qualifikation, berät <strong>und</strong><br />
koordiniert das Team <strong>und</strong> vertritt den Dienst nach außen (vgl. Elger 1990, S.44).<br />
Auf Honorarbasis arbeitende Familienhelfer sind in ihrer Tätigkeitsausübung sozial nicht<br />
abgesichert <strong>und</strong> haben keine bezahlte Zeit für Teambesprechungen oder Supervisionen. Sie<br />
sind auf das Wohlwollen des Jugendamtes angewiesen <strong>und</strong> haben keinen Rückhalt. Teamanbindungen<br />
können dagegen professionelle Kompetenzen entwickeln. Dadurch entstehen<br />
geeignete Arbeitsbedingungen, <strong>und</strong> verschiedene professionelle Systeme können sich<br />
gegenseitig unterstützen. Zu den fördernden Rahmenbedingungen gehört zum Beispiel die<br />
kollegiale Beratung.<br />
2.6 Finanzierung<br />
In Schwerin wurde die Hilfe zur Erziehung bis zum Jahr 2004 in Form von Fachleistungsst<strong>und</strong>en<br />
von der Stadt beglichen. Das hieß, die real anfallenden Kosten für einen Familienhelfer<br />
pro St<strong>und</strong>e wurden errechnet <strong>und</strong> waren Gr<strong>und</strong>lage für die Kostenerstattung der<br />
erbrachten Leistungen.<br />
In dem Artikel „ohne Preis kein Fleiß“ von Reiner Haferkamp aus dem Buch „Flexible<br />
Erziehungshilfen“ werden die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen einer solchen Finanzierungsform<br />
beschrieben:<br />
„Der Preis der Fachleistungsst<strong>und</strong>e gibt die Kosten der Inanspruchnahme der<br />
Organisation Jugendhilfestation zum Zwecke der Konzeption <strong>und</strong> Durchführung<br />
von Hilfen zur Erziehung auf Dienstleistungsst<strong>und</strong>enbasis an. Betriebswirtschaftlich<br />
gesehen ist dessen Kalkulation, wie beim Tages,- Pflege- bzw. Kostensatz, eine<br />
zeitbezogene Vollkostenrechnung auf der Gr<strong>und</strong>lage des Selbstkostendeckungsprinzips,<br />
wonach bei wirtschaftlicher <strong>und</strong> sparsamer Betriebsführung eine konzeptgerechte<br />
Leistungsfähigkeit zu gewähren ist.“ (Haferkamp 1994, S.107)<br />
Im Jahre 2005 wurde eine neue Rahmenvereinbarung (siehe Anhang) zwischen der<br />
Landeshauptstadt Schwerin <strong>und</strong> den Freien Trägern der Jugendhilfe geschlossen. Dieser<br />
regelt u.a. die Ziele <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze der Zusammenarbeit, die Aufgaben des freien Trägers,<br />
die personelle Ausstattung, sowie die Finanzierungsform. Demnach wurde im Mai 2005<br />
die Finanzierungsform in eine Festbetragsfinanzierung für den Bereich der ambulanten<br />
Hilfe zur Erziehung umgewandelt.<br />
Es lassen sich drei gr<strong>und</strong>sätzliche Finanzierungsformen in der SPFH feststellen:<br />
- der einzelfallbezogene Einsatz von Honorarkräften,
16<br />
- die einzelfallbezogene Finanzierung von Diensten mit festangestellten Mitarbeitern,<br />
die über eine Tages- oder St<strong>und</strong>enpauschale finanziert werden,<br />
- <strong>und</strong> die pauschale Gesamtfinanzierung von Diensten mit festangestellten<br />
Mitarbeitern (vgl. Elger 1990, S.67).<br />
2.6.1 Honorarmodell<br />
Diese Form der Finanzierung von SPFH ist für den Kostenträger sehr günstig, denn es<br />
fallen der Arbeitgeberbeitrag sowie die gesetzliche Sozialversicherung weg. Niedrige<br />
St<strong>und</strong>envergütungen reduzieren die Personalkosten <strong>und</strong> sofern es kein Team gibt, entstehen<br />
auch keine Raummieten. Das Jugendamt hat in dieser Form eine gute Steuerungsmöglichkeit,<br />
indem es die Dauer <strong>und</strong> den St<strong>und</strong>enumfang der Hilfe bestimmt. Nachteilig<br />
wirkt sich in dieser Finanzierungsform aus, dass die Familienhelfer ohne geltenden tariflichen<br />
Standard arbeiten. Deshalb wird diese Arbeit oft als „Übergangsjob“ mit einer<br />
personell hohen Fluktuation benutzt. Durch mangelnde Flexibilität können zum Beispiel<br />
Betreuungspausen entstehen, die aus fachlicher Sicht nicht professionell sind. Das Honorarmodell<br />
sollte dauerhaft nicht als Finanzierungsform allein gelten. Neben den anderen<br />
Finanzierungsformen hat die Honorarvariante ihre Berechtigung, nämlich zur Deckung des<br />
zusätzlichen Bedarfs (vgl. Elger 1990, S.68).<br />
2.6.2 Einzelfallfallbezogene Pauschalen<br />
Die einzelfallbezogene Pauschale wird in der Regel aus den veranschlagten Personal- <strong>und</strong><br />
Sachkosten eines Jahres des durchführenden Dienstes berechnet. Diese Form der Finanzierung<br />
ermöglicht eine Festanstellung der Familienhelfer. Der Kostenträger hat dabei kein<br />
Risiko zu tragen, während der Anstellungsträger immer in der Gefahr der mangelnden<br />
Auslastung steht. Eine 100% ige Finanzierung wird also nur dann erreicht, wenn eine vollständige<br />
Auslastung des Dienstes gewährleistet wird. Die Familienhelfer geraten durch<br />
Finanzierungslücken schnell unter Druck, wenn es um die Abbrüche der betreuten<br />
Familien oder Urlaub sowie Krankheit der Mitarbeiter geht (vgl. Elger 1990, S.69-70).
17<br />
Laut Rahmenvereinbarung vom 15.06.2005 hat die Landeshauptstadt Schwerin mit der<br />
Evangelischen Jugend Schwerin eine Festbetragsfinanzierung vereinbart. Dieses kommt<br />
der einzelfallbezogenen Pauschale gleich.<br />
2.6.3 Pauschale Gesamtfinanzierung<br />
Diese pauschale Gesamtfinanzierung erfordert gegenüber den anderen Finanzierungsformen<br />
einen geringeren Verwaltungsaufwand <strong>und</strong> der durchführende Träger kann<br />
flexibler auf die Familiensituation in der Betreuungsphase reagieren. Die Finanzierung<br />
wird unabhängig von kurzfristigen Schwankungen des Betreuungsbedarfs gezahlt. Es<br />
können Zeiten für Teamberatungen, Supervisionen <strong>und</strong> Fortbildungen eingebaut werden.<br />
Als negativ könnte sich die Abhängigkeit von den jeweiligen Haushaltsansätzen der<br />
Kommunen erweisen (vgl. Elger 1990, S.71).<br />
Davon ausgehend, dass festangestellte Mitarbeiter motivierter sind <strong>und</strong> sich mit ihnen eine<br />
fachliche Weiterqualifizierung besser planen lässt, sollte im Interesse aller Beteiligten ein<br />
Finanzierungsmodell geschaffen werden, das diesem Rahmen entspricht. Erfahrungsgemäß<br />
kann ich aus meiner persönlichen Sicht sagen, dass mir erst ein berufsbegleitendes<br />
Studium möglich wurde, als ich eine Festanstellung bei der Evangelischen Jugend<br />
Schwerin erhielt. Voraussetzungen war hierzu eine unbefristeter Arbeitsvertrag, sowie die<br />
Möglichkeit, das kostenintensive Studium zu finanzieren. Betrachtet man den sozialen<br />
Bereich, so muss man realistisch einschätzen, dass es wohl immer Mischfinanzierungsmodelle<br />
geben wird, die aus meiner Sicht auch sinnvoll sind. Ohne diese Mischfinanzierung<br />
wäre der Träger „Evangelische Jugend Schwerin“ in seiner jetzigen Form<br />
nicht denkbar. Beispielsweise finanzierte sich im Jahr 2007 die Evangelische Jugend<br />
Schwerin aus Eigenmitteln (8.39 %), Dritte (20,35%), Landeshauptstadt (43,26 %),<br />
Ministerium für Arbeit <strong>und</strong> Tourismus (15,30%), Sozialministerium (4,75 %), Europäische<br />
Mittel (7,04 %) <strong>und</strong> aus dem Diakonischen Werk (0,89 %).
2.7 Adressaten<br />
2.7.1 Zugang<br />
18<br />
Wie erhält eine Familie die nötige Unterstützung durch das Jugendamt?<br />
Hier gilt es gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Zugangaswege zu unterscheiden. Einerseits die „Selbstmelder“<br />
<strong>und</strong> andererseits die „Fremdmelder“.<br />
Selbstmelder sind Personen,<br />
- die ihre Problemlagen erkennen <strong>und</strong> sich beim Jugendamt melden, oder<br />
- die durch Andere auf ihre Probleme aufmerksam gemacht werden <strong>und</strong> sich beim<br />
Jugendamt melden.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist bei den Selbstmeldern zu erkennen, dass sie den möglichst direkten Weg<br />
zum Jugendamt suchen <strong>und</strong> aus eigener Motivation heraus einen Antrag auf Hilfe zur<br />
Erziehung stellen.<br />
„Fremdmelder“ sind Personen,<br />
- die durch Einrichtungen (Schule, Kindertagesstätte, Krippe, Jugendtreff, Ätzte,<br />
Polizei u. s. w.) dem Jugendamt gemeldet werden,<br />
- die durch ihr soziales Umfeld (Familienangehörige, Nachbarn, Arbeitskollegen u. s.<br />
w.) dem Jugendamt gemeldet werden.<br />
Bei Fremdmeldern bleibt festzustellen, dass meist ein Außenstehender einen Hilfebedarf<br />
erkennt <strong>und</strong> diesen dem Jugendamt <strong>und</strong> oder der Familie mitteilt. Diese Mitteilung ist in<br />
den meisten Fällen mit dem Ziel einer Unterstützung verb<strong>und</strong>en.<br />
In beiden Fällen prüft das Jugendamt die Zuständigkeit <strong>und</strong> den Hilfebedarf im Sinne des<br />
SGB VIII. Sollte hier eine Hilfe notwendig <strong>und</strong> geeignet sein, wird diese in den meisten<br />
Fällen auch installiert. Die mögliche Hilfe ist freiwillig für die Klienten. Ausnahme ist<br />
auch hier die Kindeswohlgefährdung im Sinne des §1666 BGB.<br />
2.7.2 Problemlagen<br />
<strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> erhalten Familien, die oft als „Multi- Problem Familien“<br />
beschrieben werden. Zudem sind sie meist sozial benachteiligt, was über Generationen<br />
weiter gegeben wurde. Oft hat sich dieses schon über Generationen verfestigt <strong>und</strong> führt
19<br />
immer wieder zu neuen Problemen. In mehrfacher Hinsicht sind die Familien in vielen<br />
Dingen unterversorgt, wie zum Beispiel in der finanziellen Situation, in der Bildung, der<br />
Ges<strong>und</strong>heit, der Wohnsituation <strong>und</strong> der Arbeitswelt. Diese Unterversorgung zieht große<br />
Einschränkungen in der Vernetzung von Familien nach sich. Kinder dieser Familien sind<br />
materiell, vom Bildungsstand <strong>und</strong> auch sozial von vornherein ausgegrenzt <strong>und</strong> haben kaum<br />
Wahl- <strong>und</strong> Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft. Darüber hinaus ist oft die<br />
Ges<strong>und</strong>heit der Familienmitglieder beeinträchtigt. Suchtprobleme der Eltern wie zum<br />
Beispiel Alkoholismus, sind oft in den Familien vorzufinden. Weiterhin erhalten Familien<br />
SPFH, die Familienmitglieder mit Behinderungen wie psychische Erkrankungen haben.<br />
Außerdem wird die SPFH vom Jugendamt eingesetzt, wenn es um notwendige Klärungsprozesse<br />
geht, ob Kinder <strong>und</strong> Eltern weiterhin zusammen leben können (vgl.<br />
Helming/Schattner/Blüml 1999). Generell ist die SPFH ein freiwilliges Angebot der<br />
Jugendhilfe. Auch wenn der Gr<strong>und</strong> einer SPFH von außen gegeben wurde, so müssen doch<br />
die Bereitschaft zur Entgegennahme der Hilfe sowie ein gewisses Maß an Kooperation<br />
stattfinden (vgl. Günder 1997, S.76).<br />
Besonders sinnvoll ist der Einsatz einer SPFH in akuten Einzelkrisen von Familien wie<br />
zum Beispiel beim Tod eines Ehe- Lebenspartners, bei deren Trennung, bei besonderen<br />
Schwierigkeiten mit Kindern, bei Problemen allein erziehender Eltern (vgl. Günder 1997,<br />
S.76-77).<br />
In der SPFH lassen sich fünf relevante Gruppen der betreuten Familien unterscheiden:<br />
- Allein Erziehende mit niedrigem Einkommen,<br />
- kinderreiche unterprivilegierte Familien,<br />
- Zwei- Elternteil- Familien mit niedrigem Bildungsstand,<br />
- Zwei- Elternteil- Familien mit mittlerem Bildungsstand <strong>und</strong><br />
- Familien mit erwerbstätigen Eltern (vgl. Elger 1990, S.32).<br />
2.7.2.1 Allein Erziehende mit niedrigem Einkommen<br />
Diese Familien sind in der Betreuung der SPFH in Deutschland am meisten vertreten.<br />
Kennzeichnend für diese Gruppe ist, dass sie typische Belastungsfaktoren bei Allein<br />
Erziehenden aufweisen <strong>und</strong> dadurch sozial benachteiligt sind. Sie sind auf staatliche<br />
finanzielle Unterstützung angewiesen, haben ein niedriges Bildungsniveau <strong>und</strong> die alleinige<br />
Verantwortung der Kinderversorgung- <strong>und</strong> erziehung (vgl. Elger 1990, S.32-33).
20<br />
2.7.2.2 Kinderreiche unterprivilegierte Familien<br />
Die betreuten Familien sind durch eine ökonomische <strong>und</strong> soziale Benachteiligung gekennzeichnet,<br />
die sich durch ein niedriges Einkommen, hohe Verschuldung, ungünstige Wohnbedingungen<br />
oder eine hohe Kinderzahl bemerkbar machen. Zu Beginn einer Betreuung<br />
werden häufig hauswirtschaftliche Probleme (Defizite in Haushaltsführung <strong>und</strong> Haushaltsfinanzierung)<br />
thematisiert. Schulprobleme bei den Kindern treten in diesen Familien<br />
vermehrt auf. Diese hohen Belastungen führen bei den Eltern oft zu Trennungs- <strong>und</strong><br />
Scheidungssituationen. Die Familien erfordern häufig einen hohen fachlichen Betreuungsaufwand<br />
(vgl. Elger 1990, S.33-34).<br />
2.7.2.3 Zwei- Elternteil- Familien mit niedrigem Bildungsstand<br />
In diesen Familien finden sich Eltern wieder, die einen sehr niedrigen Bildungsstand aufweisen,<br />
keinen Hauptschulabschluss besitzen <strong>und</strong> auf finanzielle Unterstützung vom Staat<br />
angewiesen sind, da sie keinem Erwerb nachgehen. Die Eltern sind oft noch sehr jung <strong>und</strong><br />
haben meist nur ein oder zwei Kinder. Die SPFH soll hier vor allem präventiv tätig werden<br />
(vgl. Elger 1990, S.34-35).<br />
2.7.2.4 Zwei- Elternteil- Familien mit mittlerem Bildungsstand<br />
Die Hilfe der SPFH in diesen Familien bezieht sich vor allem auf die Kommunikation in<br />
den familiären Beziehungen, die Förderung des produktiven Umgangs mit Konflikten<br />
sowie die Stärkung, auf Probleme angemessen reagieren zu können. Gr<strong>und</strong>sätzlich weisen<br />
diese Familien tragfähige Beziehungen auf <strong>und</strong> haben eine hohe Veränderungsbereitschaft.<br />
(vgl. Elger 1990, S.35).<br />
2.7.2.5 Familien mit erwerbstätigen Eltern<br />
Bei diesen Problemlagen handelt es sich vor allem um Konflikte auf der Elternebene als<br />
auch auf der Eltern- Kind Konflikt Ebene. Beide Eltern oder der allein erziehende Eltern-
21<br />
teil sind erwerbstätig <strong>und</strong> verfügen dementsprechend über ein gutes Einkommen.<br />
Besonders häufig werden zu Beginn der SPFH Schulprobleme der Kinder benannt. Auftrag<br />
der SPFH kann es auch sein, stationär untergebrachte Kinder wieder in die Familie zu<br />
integrieren (vgl. Elger 1990, S.36).<br />
2.8 Methoden der SPFH<br />
Die methodische Herangehensweise der Familienhelfer ist der Qualifizierung entsprechend<br />
sehr unterschiedlich. Viele haben eine sozialpädagogische oder sozialarbeiterische Ausbildung<br />
oder holen diese gerade nach. Andere haben Zusatzqualifikationen wie zum Beispiel<br />
im systemischen Arbeiten, haben therapeutische Ausbildungen oder haben Qualifikationen<br />
in der Schuldner- oder Suchtberatung. Der Ausbildungstand beeinflusst in der Arbeit mit<br />
den Familien das pädagogische Handeln. Wichtig ist dabei zu klären, wie das methodische<br />
Repertoire in der sozialpädagogischen <strong>Familienhilfe</strong> seine Anwendung findet (vgl.<br />
Helming/Schattner/Blüml 1999, S.255).<br />
Welche Methode die Familienhelfer auch immer einsetzten, ein professionelles Handeln<br />
wird vor allem auch immer durch ein systematisches Vorgehen bestimmt. Aufgr<strong>und</strong> der<br />
Methodenvielfalt möchte ich nun exemplarisch die Methode der „Multiperspektivischen<br />
Fallarbeit“ vorstellen, eine Methode von vielen in der Sozialen Arbeit.<br />
Der Begriff „Multiperspektivische Fallarbeit“ ist eine Erweiterung der Einzelfallhilfe. Sie<br />
geht über die Beziehungsarbeit zwischen Sozialpädagoge <strong>und</strong> Klient hinaus, indem sie die<br />
komplexen Handlungsbedingungen <strong>und</strong> die spezifischen institutionellen Begebenheiten<br />
mitberücksichtigt (vgl. Galuske 1999, S.175).<br />
Müller definiert in seinem Buch „<strong>Sozialpädagogische</strong>s Können“ folgendermaßen:<br />
„Unter multiperspektivischem Vorgehen verstehe ich demnach eine Betrachtungsweise,<br />
wonach sozialpädagogisches Handeln bewusste Perspektivwechsel zwischen<br />
unterschiedlichen Bezugsrahmen erfordert. Multiperspektivisches Vorgehen heißt<br />
zum Beispiel, die leistungs- <strong>und</strong> verfahrensrechtlichen, die pädagogischen, die<br />
therapeutischen <strong>und</strong> die fiskalischen Bezugsrahmen eines Jugendhilfe- Falles nicht<br />
miteinander zu vermengen, aber dennoch sie als wechselseitig füreinander<br />
relevante Größen zu behandeln.“ (Müller 1994, S.15)
22<br />
Nach dieser Methode lassen sich drei unterschiedliche Perspektiven eines Falles unterscheiden.<br />
Die erste Sichtweise ist der “Fall von“ indem das sozialpädagogische Handeln in<br />
ein Verwaltungshandeln umgewandelt wird. So sind Jugendhilfefälle beispielsweise in die<br />
Kategorie des Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetzes einzuordnen (vgl. Galuske 1999, S.175-<br />
176).<br />
Die zweite Sichtweise „Fall für“ klärt, wer für den Fall zuständig ist. Sozialarbeiter können<br />
dabei die Aufgabe übernehmen, im Sinne von ganzheitlich, zu vermitteln, welche spezialisierte<br />
Hilfe <strong>und</strong> Kompetenz für den Fall in Frage kommen würde. Dazu muss der Sozialarbeiter<br />
das Problem kennen <strong>und</strong> ein ausgeprägtes Wissen haben, welche Instanz für die<br />
Betroffenen mit welchen Auswirkungen in Frage kommt (vgl. Galuske 1999, S.176-177).<br />
Die dritte Sichtweise ist der „Fall mit“. Diese Perspektive beinhaltet die Art <strong>und</strong> Weise der<br />
Zusammenarbeit mit den Betroffenen (vgl. Galuske 1999, S.177).<br />
In der Arbeit der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> können alle drei Perspektiven auftauchen.<br />
Wichtig ist dabei zu prüfen, in welcher Ebene der Sozialarbeiter sich gerade in der<br />
Zusammenarbeit mit seinem Klienten befindet. Wenn Verwaltungsarbeit mit Beziehungsarbeit<br />
oder Verweisungsarbeit vom Helfer verwechselt werden, kann dieses schon zum<br />
Scheitern des Hilfeprozesses führen (vgl. Galuske 1999, S.177).<br />
Der Hilfeprozess wird dabei wie bei der Einzelfallhilfe in vier Phasen unterteilt:<br />
- sozialpädagogische Anamnese oder Situationsanalyse,<br />
- sozialpädagogische Diagnose oder Handlungsorientierung,<br />
- sozialpädagogische Intervention oder Handeln <strong>und</strong><br />
- Evaluation oder Bewertung in der Sache.<br />
Mit dieser Methode gibt die multiperspektivische Fallarbeit die Möglichkeit zu prüfen, ob<br />
die gewählte Handlung fachlich angemessen <strong>und</strong> begründbar ist (vgl. Galuske 1999,<br />
S.182).<br />
Die Anamnese ist die Rekonstruktion der Vorgeschichte. Es kommt aus dem griechischen<br />
„Anamnesis“ <strong>und</strong> bedeutet Erinnerung. Dabei sollen vergessene <strong>und</strong> verdrängte Erinnerungen,<br />
sowie Zusammenhänge wieder aktiviert werden. In der Anamnese ist es von<br />
großer Bedeutung, welche Informationen die Geschichte beinhaltet, da einem Arzt zum<br />
Beispiel andere Themen wichtiger sind als die für einen Familienhelfer. So ist es schwierig<br />
bei der <strong>Sozialpädagogische</strong>n Arbeit herauszufinden, welche Informationen aus der Vorgeschichte<br />
wichtig sind. Es können kritische Lebensereignisse <strong>und</strong> Belastungen sein. In der
23<br />
Anamnese ist neben der Vorgeschichte auf jeden Fall zu klären, was für den Betroffenen<br />
wirklich wichtig ist (vgl. Müller 1994, S.53).<br />
Das Wort Diagnose kommt auch aus dem griechischen <strong>und</strong> bedeutet „Erkennen“. Die<br />
Beantwortung der Frage „was tun?“ ist Ziel in der Diagnose <strong>und</strong> hilft beim Sortieren <strong>und</strong><br />
Gewichten von Gesichtspunkten (vgl. Müller 1994, S.53-54).<br />
Das Wort Intervention kommt aus dem Lateinischen <strong>und</strong> bedeutet „Dazwischentreten“. In<br />
der Sozialpädagogik tritt der Helfer somit zwischen die betroffene Person <strong>und</strong> dem<br />
Problem. Diese Form stellt die Behandlung des Problems <strong>und</strong> damit die Fallbearbeitung<br />
dar. Es stellt sich die Frage: „Wer hat welches Problem?“ (vgl. Müller 1994, S.53-54).<br />
Das Wort Evaluation kommt aus dem Lateinischen <strong>und</strong> bedeutet „ Auswertung“. Es geht<br />
dabei um die Werte <strong>und</strong> der Überprüfung der Vorgehensweise. Die Werte sind dabei an die<br />
ethischen Prinzipien angelehnt. Die Evaluation in der Sozialen Arbeit kann mit Hilfe von<br />
Selbstevaluation oder Supersvision erfolgen (vgl. Müller 1994, S.53-54).<br />
2.9 Spannungsfelder der SPFH<br />
Familienhelfer befinden sich in ihrer Arbeit in den Familien immer wieder in einem<br />
Balanceakt zwischen vielen Chancen <strong>und</strong> Risiken (vgl. Frindt 2006, S.4).<br />
Zudem sind die Erwartungen an die Helfer nicht immer die Gleichen. Es kann sein, dass<br />
die gewährende Instanz (Jugendamt) sich eine stärkere Kontrolle wünscht. Die Anspruchsberechtigten<br />
(die Betroffenen) aber die Erwartung einer konkreten Hilfe, die keinen<br />
Kontrollcharakter hat. Unter den Betroffenen kann es wiederum auch passieren, dass diese<br />
unterschiedliche Erwartungen an die Hilfe haben. Eltern können zum Beispiel eine ganz<br />
andere Sicht auf die Hilfe haben als die Kinder. Sich da nicht von einer Seite instrumentalisieren<br />
zu lassen, setzt ein hohes Reflexionsvermögen voraus. Auch die Öffentlichkeit wie<br />
zum Beispiel Schulen <strong>und</strong> Kindertagesstätten haben Erwartungen, die in der Regel darauf<br />
abzielen, dass diese Familien nicht mehr auffallen. Aus dieser Beschreibung wird deutlich,<br />
dass sich der Familienhelfer immer wieder in einem Dilemma befindet. Im Folgenden<br />
sollen die Spannungsfelder Nähe <strong>und</strong> Distanz, sowie Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle näher beleuchtet<br />
werden.
2.9.1 Nähe <strong>und</strong> Distanz<br />
24<br />
Die emotionale Beziehung in der Arbeit mit Familien ist die Gr<strong>und</strong>lage für Lernerfolge.<br />
Nur so hat ein Familienhelfer die Möglichkeit, Einfluss auf die Familie zu nehmen. Dies<br />
hängt stark vom gegenseitigen Vertrauen zwischen Helfer <strong>und</strong> Familie ab. Durch<br />
Emotionen der Fachkraft auf die Familie besteht die Gefahr der Parteinahme für einzelne<br />
Familienmitglieder. Die Folge kann sein, dass der Familienhelfer in die Familiendynamik<br />
mit einbezogen wird, ohne dieses genügend reflektiert zu haben. Das kann die Wahrnehmungsfähigkeit<br />
des Helfers für andere kritische Situationen einschränken. Eine emotionale<br />
Verstrickung in die Belange der Familie lässt sich manchmal nicht ausschließen, es ist aber<br />
ein Prozess, der bearbeitet werden muss, um weiterhin in der Lage zu sein, mit der Familie<br />
weiterhin Lösungen zu entwickeln (vgl. Pressel 1981, S.65 ff). Nach Nielsen, Nielsen <strong>und</strong><br />
Müller können nur eine Erweiterung der Handlungsspielräume <strong>und</strong> die Befähigung zur<br />
eigenen Bewältigung des Alltags der betreuten Familien erreicht werden, wenn die<br />
Beziehung auf Offenheit <strong>und</strong> Ernsthaftigkeit basiert. Nur dann kann der Prozess der Hilfe<br />
in der Familie positiv gestaltet werden. Die Ziele können bearbeitet <strong>und</strong> aktiv gestaltet<br />
werden, die der Lebenswirklichkeit der Familie entsprechen <strong>und</strong> dementsprechend gewünscht<br />
werden. Dagegen kann eine durch Zwang zustande gekommene Hilfe als Zusatzbelastung<br />
der betreuten Familien empf<strong>und</strong>en werden. Ein Vertrauensaufbau ist so schwer<br />
möglich <strong>und</strong> kann dieser nicht erreicht werden, ist für eine SPFH keine Arbeitsbasis<br />
gegeben (vgl. Nielsen/Nielsen/Müller 1986 a, S.120).<br />
Frau Kircher beschreibt 1992 in ihrem Artikel „Nähe <strong>und</strong> Distanz im helfenden Prozess“,<br />
dass Hilfeprozesse Lebensprobleme <strong>und</strong> Lebensfragen betreffen, auf die fremde Person<br />
normalerweise keinen Zugriff haben. Dem Familienhelfer müssen diese Bereiche eröffnet<br />
werden. Dieses ist nur möglich, wenn sich die Klienten sicher fühlen <strong>und</strong> Vertrauen haben,<br />
Zuwendung, Respekt <strong>und</strong> Verlässlichkeit erfahren. Dafür muss der Familienhelfer die<br />
Bedingungen schaffen <strong>und</strong> sich auf die entstehende Nähe einlassen können. Dennoch muss<br />
der Helfer soviel Distanz zur Familie wahren, dass er die fremden Belastungen ertragen<br />
kann <strong>und</strong> selbst keinen Schaden nimmt (vgl. Kircher 1992, S.264).<br />
Eine Aufgabe des Familienhelfers ist es, Nähe <strong>und</strong> Distanz zwischen Helfer <strong>und</strong> Familie in<br />
Einklang zu bringen. Manchmal sind sich die Klienten in Bezug auf ihre eigenen Bedürfnisse<br />
unsicher, sie schwanken zwischen Harmonie, Vertrauen <strong>und</strong> Konflikt, Ablehnung<br />
sowie Fremdheit. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Vorgeschichte fällt es den Familien schwer, die<br />
Beziehung zum Helfer differenziert zu sehen <strong>und</strong> verfallen schnell in ein „Schwarz- Weiß-
25<br />
Denken“ wie beispielsweise Bindung, Wertschätzung, Verb<strong>und</strong>enheit oder Ablehnung,<br />
Abgrenzung <strong>und</strong> Distanz (vgl. Kircher 1992, S.264). Absprachen über einen zeitlichen <strong>und</strong><br />
inhaltlichen Rahmen, die Klärung der wechselseitigen Erwartungen, das Aushandeln von<br />
Zielen, die Vereinbarung von Regeln für das gemeinsame Arbeiten helfen dabei, dass<br />
durch klare Strukturen weniger Missverständnisse <strong>und</strong> Enttäuschungen auftreten (vgl.<br />
Kircher 1992, S.264).<br />
Die Aufgabe der <strong>Familienhilfe</strong> ist es, dass die Klienten ihre Selbsthilfekräfte stärken <strong>und</strong><br />
Unterstützung geben, damit die Familien ihren Alltag bald wieder unabhängig von Hilfe<br />
bewältigen können. Zusätzlich können die Möglichkeiten, Nähe <strong>und</strong> Distanz zu regulieren<br />
durch Mimik, Gestik <strong>und</strong> bestimmten Ritualen wie die Begrüßung verstärkt werden.<br />
Dieses trägt zu einer professionellen Gr<strong>und</strong>haltung der Familienhelfer bei. Außerdem<br />
gehören zu Professionalität des Helfers, der Respekt vor der anderen Persönlichkeit <strong>und</strong><br />
das Zutrauen, dass Klienten etwas selbst schaffen. Dieses wird immer wichtiger, je mehr<br />
der Klient etwas von seinem Intimleben offenbart. Weitere Bestandteile der<br />
professionellen Einstellung von Familienhelfern sind Verlässlichkeit, Echtheit,<br />
Transparenz <strong>und</strong> Kongruenz. So soll die Familie den Hilfeprozess überschauen können, so<br />
dass nichts ohne ihr Wissen <strong>und</strong> Einverständnis passiert. Die Transparenz ist manchmal<br />
sehr schwer einzuhalten, gerade in Familien, wo Kontrolle ausgeübt wird. Transparenz<br />
bedeutet hier Mut zum Konflikt (vgl. Kircher 1992, S.269). Die intensive Arbeit in den<br />
Familien auf Zeit <strong>und</strong> Dauer machen es erforderlich, dass es klare Absprachen über<br />
Auftrag, Rolle der Helfer, Ziele <strong>und</strong> Regeln gibt. Um die notwendige Nähe <strong>und</strong> Distanz<br />
auszubalancieren, sind Supervisionen <strong>und</strong> kollegiale Beratungen von großer Bedeutung<br />
(vgl. Kircher 1992, S.263). Das professionelle Wissen sowie die Bereitschaft <strong>und</strong><br />
Fähigkeit, kontrolliert Beziehungen einzugehen, erleichtert ein ausgewogenes Verhältnis<br />
zwischen Nähe <strong>und</strong> Distanz zu den Familien. Ebenso kann eine klare Absprache von<br />
zeitlicher Betreuungsbegrenzung in den Familien sowie eine konsequente<br />
Ressourcenorientierung <strong>und</strong> Selbstevaluation vor dem Burn- Out- Syndrom schützen (vgl.<br />
Helming/Schattner/Blüml 1999, S.118 ff).<br />
2.9.2 Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle<br />
Nach Procksch sollen die Interventionen der Jugendhilfe als freiwillige Leistung an die<br />
Familien vermittelt werden. Selbst auch, wenn in extremen Krisenfällen, in denen es nach
26<br />
§1666 BGB um eine Abwendung der Kindeswohlgefährdung geht, sollen die Eltern ein<br />
kooperatives Leistungsangebot zur Konfliktlösung angeboten bekommen, welches Vorrang<br />
hat. Darin wird die stärkere Orientierung am familiären Bezugssystem der Kinder oder<br />
Jugendlichen deutlich (vgl. Proksch 1995, S.92). Eingriffe in die elterliche Erziehungsverantwortung<br />
nach Art. 6 GG sind dann nötig, wenn die Angebote der Jugendhilfe zur<br />
Gefahrenabwehr zu spät kommen oder nicht angenommen werden. Dann muss das<br />
Jugendamt Kontakt mit dem Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht aufnehmen. Diese muss nach Wiesner<br />
in schwierigen Fragen abwägen:<br />
„…ob die Gefährdung des Kindeswohls besser durch umfassende Hilfen für die<br />
Familie abgewendet werden kann, oder aber durch Maßnahmen des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts,<br />
die häufig eine Trennung des Kindes von der Familie zur Folge<br />
haben, eine Trennung, die vom Kind nicht immer als Befreiung, sondern auch als<br />
Strafe <strong>und</strong> Verlust erlebt wird.“ (Wiesner 1996 b, S.288)<br />
Die Entscheidung zwischen Kinderschutz <strong>und</strong> Elternrecht ist eine schwierige Abwägung.<br />
Das Jugendamt hat die Aufgabe, für die Familien helfend <strong>und</strong> unterstützend, aber auch<br />
zum Schutz der Kinder eingreifend zu reagieren. Deshalb ist es sehr wichtig, den Familien<br />
die Funktion des Jugendamtes <strong>und</strong> deren Vorgehensweise transparent zu machen. Die<br />
Unterscheidung des Jugendamtes <strong>und</strong> der sozialpädagogischen <strong>Familienhilfe</strong> zwischen<br />
Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle liegt in der Informationsverarbeitung entsprechend des Datenschutzes.<br />
Ohne die Zustimmung der Familie dürfen die Informationen nicht an das Jugendamt von<br />
der SPFH Fachkraft weitergegeben werden. Die Familie <strong>und</strong> der Helfer müssen sich vorher<br />
absprechen, welche Themen mit dem Jugendamt besprochen werden können. Die Form<br />
sowie der Inhalt der Informationen müssen sich am Interesse <strong>und</strong> Schutz der Familie<br />
orientieren (vgl. Elger 1990, S.58ff). Ebenso müssen die Umgangsformen zwischen<br />
Jugendamt <strong>und</strong> dem Helfer so gestaltet werden, dass die Klienten sie nicht als Verrat<br />
sehen. Die Wirksamkeit <strong>und</strong> die Beziehung zwischen Helfer <strong>und</strong> Familie werden erheblich<br />
geschädigt, wenn Informationen hinterrücks weitergegeben werden oder diese im Hilfeplan<br />
erzwungen werden (vgl. Wolf/Frindt 2004, S.137).<br />
Helming sagt, dass eine SPFH nicht zwangsläufig gescheitert sein muss, wenn es zu einer<br />
Fremdunterbringung der Kinder kommt. Diese kann auch Teil eines Klärungsprozesses<br />
sein <strong>und</strong> als die geeignete Lösung gesehen werden. Aufgabe der SPFH kann es hier sein,<br />
die Bindungen zwischen Eltern <strong>und</strong> Kindern zu erhalten <strong>und</strong> den Ablösungsprozess so<br />
wenig traumatisch wie möglich zu gestalten (vgl. Helming 2001 a, S.351).
27<br />
Peters kritisierte 1990 heftig den Kontrollaspekt der SPFH vor dem Hintergr<strong>und</strong> der<br />
Stigmatisierung. Nach seiner Meinung stellt die SPFH einen staatlichen Zugriff dar:<br />
„Was im Verständnis von Hilfe Fürsorge <strong>und</strong> Erziehung auf Seiten der Sozialpädagogen<br />
<strong>und</strong> präventiven Ausgestaltung der Sozialisationsinstanzen daherkommt,<br />
erweist sich bei näherer Betrachtung als Bestandteil eines übergreifenden Prozesses<br />
der Sozialdisziplinierung.“ (Peters 1990, S.29)<br />
Peters vertritt den Standpunkt, dass durch die regelmäßige Anwesenheit der Familienhelfer,<br />
kaum ein Familiengeheimnis verborgen bleibt <strong>und</strong> zudem die Gefahr bestehe, dass<br />
die Selbsthilfekräfte der Familie geschwächt werden. Die Familien begeben sich in eine<br />
Abhängigkeit, indem der Helfer für jedes Problem eine professionelle Antwort parat hat<br />
(vgl. Frindt 2006, S.11). Die Familienhelfer müssen in ihrer Arbeit immer zwei Seiten<br />
gleichzeitig gerecht werden, zum einen den Klienten <strong>und</strong> zum anderen der Gesellschaft. Da<br />
die <strong>Familienhilfe</strong> auch immer mit Kontrolle gleichgesetzt wird, kann es ein Arbeitsschwerpunkt<br />
sein, wenn vom Jugendamt ein Erziehungsmangel der Kinder festgestellt wird, auch<br />
wenn die Betroffenen das anders sehen (vgl. Allert u.a.1989, S.343). Soll eine Distanz zum<br />
Jugendamt aufgebaut werden <strong>und</strong> eine Arbeitsbeziehung zur Familie hergestellt werden,<br />
dann müssen nach Allert die Träger unabhängig vom Jugendamt sein. Ebenso muss<br />
transparent gegenüber den Betroffenen sein, wie die Kooperation zwischen Familienhelfer<br />
<strong>und</strong> Jugendamt sich gestaltet. Es müssen Teamarbeit <strong>und</strong> Supervision der Helfer gewährleistet<br />
sein (vgl. Frind 2006, S.50-51). Darüber hinaus sollten die Familienhelfer beim<br />
freien Träger überwiegend fest angestellt sein. In einer Diagnostik des Jugendamtes sollte<br />
abgeklärt werden mit welchem Auftrag der Helfer in die Familie geht. Ziele der Hilfe<br />
können immer nur im nahen Veränderungsbereich der Familie liegen. Des Weiteren fordert<br />
Allert eigenständige Organisationsformen, die weniger Vertrauensprobleme provozieren<br />
(vgl. Allert u.a. 1994, S.222). Elisabeth Helming vertritt ebenfalls die Aussage, dass sich<br />
die SPFH in der ständigen Ambivalenz zwischen Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle bewegt, denn die<br />
Helfer vertreten immer bestimmte gesellschaftliche Normen. Sie richten danach ihre<br />
Arbeitshypothesen aus mit der Überzeugung, welche Veränderungen sinnvoll für die<br />
Familie erscheinen. Unter Einbindung der SPFH in die Jugendhilfe steht das Wohl des<br />
Kindes immer an erster Stelle. Ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht muss<br />
dabei immer im Einzellfall von der helfenden Institution entschieden werden. Dennoch ist<br />
die SPFH gr<strong>und</strong>sätzlich an der Würde <strong>und</strong> Integrität der Familienmitglieder orientiert,<br />
immer mit dem Hintergr<strong>und</strong>, wie die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Familie erhöht<br />
werden können (vgl. Helming 2001 a, S. 350 f).
28<br />
Aus den obigen genannten Gründen sollte es eine klare Trennung zwischen den Mitarbeitern<br />
des Jugendamtes <strong>und</strong> den SPFH- Mitarbeitern geben. Soziale Arbeit ist gekennzeichnet<br />
von dem Spannungsfeld Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle. Trotzdem unterscheiden sich die beiden<br />
Arbeiten im Ausmaß <strong>und</strong> der Intensität der sozialen Kontrolle. Während der Jugendamtsmitarbeiter<br />
die soziale Kontrolle direkt <strong>und</strong> unmittelbar ausübt, legitimiert durch das staatliche<br />
Wächteramt, übt die <strong>Familienhilfe</strong> diese Kontrolle eher indirekt <strong>und</strong> mittelbar aus<br />
(vgl. Frindt 2006, S.13). Trotz aller Kritik kann nach Wolf eine soziale Kontrolle nützlich<br />
<strong>und</strong> notwendig sein, denn sie kann <strong>und</strong> soll die Familienmitglieder befähigen, wieder<br />
Kontrolle über ihr eigenes Leben zu gewinnen. Jedoch müssen für diese sozialpädagogisch<br />
legitimierte Kontrolle bestimmte Vorraussetzungen erfüllt sein. So muss die Kontrolle von<br />
einer Person ausgeführt werden, die der Familie bekannt ist <strong>und</strong> als wohlwollend erlebt<br />
wird. Dabei sollte die Kontrolle nur für einzelne Bereiche eingesetzt werden <strong>und</strong> nicht<br />
allumfassend sein. Eine Kontrolle ist nur sinnvoll, wenn die Ziele von den betroffenen<br />
Personen aufgestellt werden unter der Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des<br />
Kindes. Außerdem sollte der Helfer die Familie nach außen hin immer verteidigen (vgl.<br />
Wolf 2006).<br />
2.9.3 Erfolg <strong>und</strong> Wirkung<br />
Um den Erfolg <strong>und</strong> die Wirkung einer SPFH messen zu können, müssen die Ergebnisse<br />
<strong>und</strong> die Beendigungsgründe untersucht werden.<br />
Konnten die Ziele oder Teilziele erreicht werden?<br />
Welchen Beendigungsgr<strong>und</strong> gab es?<br />
Welche Rahmenbedingungen lagen für die Hilfe vor?<br />
Es können nicht alle Ziele einer Familie komplex benannt <strong>und</strong> erfüllt werden. Ein Erfolg<br />
wird aber sichtbar, wenn sich Veränderungen in der Familie einstellen. Diese können zum<br />
Beispiel sein, wenn das Selbstwertgefühl der Familienmitglieder gestiegen ist. Die Eltern<br />
mehr Selbstsicherheit im Umgang mit ihren Kindern haben, die Kinder gut in der Nachbarschaft<br />
<strong>und</strong> der Schule integriert, oder Fördermöglichkeiten der Kinder geschaffen wurden.<br />
Die Fortschritte, die die Familien machen, müssen somit prozesshaft wahrgenommen<br />
werden. Von einem „weniger“ zum „mehr“, denn sonst ist die Gefahr groß, dass normative<br />
Vorstellungen über „richtig“ <strong>und</strong> „falsch“ einseitig gesehen werden. Dabei ist die<br />
Auswertung <strong>und</strong> Bewertung des Ergebnisses der SPFH Teil des Hilfeplanverfahrens in der
29<br />
Form eines gemeinsamen Einschätzungsprozesses von allen Beteiligten. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
lässt sich die SPFH daran messen, ob die unbestimmte Bezeichnung „das Wohl des<br />
Kindes“ gewährleistet ist (vgl. Helming 2001 b, S.559-561).<br />
Canon beschreibt in dem „Handbuch Erziehungshilfen“, dass Misserfolge einer SPFH<br />
immer dann vorprogrammiert sind, wenn der Familienhelfer die Eltern vor den Kindern<br />
abwertet <strong>und</strong> bevorm<strong>und</strong>et, so dass dieses die Kinder schnell in Loyalitätskonflikte bringt.<br />
Die Konflikte zwischen den Kindern <strong>und</strong> Eltern verschärfen sich dann eher <strong>und</strong> stürzen sie<br />
in noch in tiefere Konflikte. Sozialarbeiter geraten schnell in Konkurrenz zu den leiblichen<br />
Eltern, wenn sie beispielsweise die Loyalitäten der Kinder zur Herkunftsfamilie nicht<br />
beachten, oder gar Bezugspersonen sein wollen (vgl. Conen 1993). Nielsen fand 1986<br />
heraus, indem er Fallbeispiele von SPFH untersuchte, dass <strong>Familienhilfe</strong>n erfolglos<br />
blieben, oder sogar Familien destabilisieren, wenn der Helfer sich zu sehr mit den Kindern<br />
gegen die Eltern identifiziere. Die „Ausblendung“ der Eltern führt ganz sicher zur<br />
Erfolglosigkeit, selbst wenn die Kinder intensiv betreut werden (vgl.<br />
NielsenNielsen/Müller 1986 b, S. 177). Grenzen zur Förderung der Kinder treten immer<br />
dann auf, wenn sich die Eltern durch solche Maßnahmen abgewertet <strong>und</strong> die Kinder sich<br />
zerrissen fühlen. Nach Herrmanns, der 1998 Risiko <strong>und</strong> Schutzfaktoren von Kindern<br />
auswertete, hat eine SPFH den größten Erfolg, wenn die Eltern unterstützt werden <strong>und</strong> das<br />
soziale Netzwerk mit einbezogen wird. Er kommt zu dem Ergebnis:<br />
„…dass soziale Unterstützung von Eltern direkte als auch indirekte positive Wirkungen<br />
auf das elterliche Verhalten <strong>und</strong> auf die kindliche Entwicklung hat.“<br />
(Herrmanns 1998, S.17)<br />
3 Untersuchungsmethode<br />
3.1 Pädagogische Kasuistik<br />
Die Erfahrungen <strong>und</strong> das Handeln in der konkreten pädagogischen Alltagspraxis werden in<br />
der Wissenschaft der Sozialen Arbeit ergründet <strong>und</strong> erforscht. Binneberg fordert, dass die<br />
pädagogische Praxis durch Erfahrungsberichte aus der alltäglichen Realität in der Wissenschaft<br />
gehört werden soll (vgl. Binneberg 1997, S.8). Es ist wichtig, dass die Realität der<br />
pädagogischen Praxis in der Welt der pädagogischen Theorie Berücksichtigung findet.<br />
Konkrete Schwierigkeiten <strong>und</strong> Probleme sowie bereits erprobte Lösungen aus dem
30<br />
pädagogischen Alltagsgeschehen sollen dargestellt werden. Dabei sollen die Einzelerfahrungen<br />
u.a. die Einzelerfahrungen <strong>und</strong> Berichte aus der Praxis der Anlass <strong>und</strong><br />
Ausgangspunkt für die Theorie sein. Eine Methode, die versucht diesen Anspruch zu<br />
erfüllen, ist die pädagogische Kasuistik (vgl. Binneberg 1997, S.7-9).<br />
Aber was verbirgt sich konkret dahinter <strong>und</strong> was ist die Zielstellung der Kasuistik?<br />
Der Begriff „Kasuistik“ geht auf den lateinischen „Casus“ zurück- den Einzelfall. Die<br />
kasuistische Methode wurde zur Zeit der römischen Jurisprudenz angewandt. Ausgehend<br />
von Einzellfällen gelangte man im Bereich des Rechts zu allgemeinen Regeln <strong>und</strong><br />
Prinzipien. Diese waren dann Maßstab für die Beurteilung ähnlich gelagerter Fälle.<br />
Entsprechend der Rechtskasuistik musste dieses allgemeine Prinzip den sich wandelnden<br />
Lebensverhältnissen folgen können (vgl. Binneberg 1985, S.776).<br />
Binnenberg definiert die Kasuistik folgendermaßen:<br />
„Kasuistik ist die Kunst, eine Fallbeobachtung in eine Falldarstellung zu<br />
überführen <strong>und</strong> sie mit einer Fallanalyse zu verbinden.“ (Binneberg 1997, S.9)<br />
In der Kasuistik geht es also in erster Linie um Fälle. Der Begriff „Fall“ ist im allgemeinen<br />
nicht beschränkt auf einzelne Personen <strong>und</strong> deren Biographien, sondern er ist auch<br />
anwendbar auf Gruppen, wie zum Bespiel eine Familie <strong>und</strong> auch größere abstrakte<br />
Einheiten wie zum Beispiel eine Erziehungstheorie. In der pädagogischen Kasuistik ist<br />
jedoch die Beschäftigung mit individuellen Personen <strong>und</strong> ihren Lebensgeschichten bzw.<br />
Ausschnitten aus ihren Lebensgeschichten zentral (vgl. Fatke 1997 a, S.219). Dabei ist der<br />
bearbeitete Fall nur ein Teil bzw. Ausschnitt aus dem in der Regel konfliktreichen Alltag<br />
des betreffenden Menschen. Durch die Falldarstellung wird die Wirklichkeit somit auf<br />
bestimmte Ereignisse, Situationen bzw. Beobachtungen reduziert (vgl. Weigland 1986,<br />
S.48).<br />
Innerhalb der Kasuistik unterscheidet Fatke die Begriffe Fallarbeit <strong>und</strong> Fallstudie. Mit<br />
einer Fallarbeit ist die praktische Arbeit an einem Fall gemeint. Deren vorrangiges Ziel es<br />
ist, ein Praxisproblem zu lösen (vgl. Fatke 1997 b, S.58). Wie schon in dem Kapitel<br />
Methoden beschrieben kategorisiert Müller im Bereich der Fallarbeit drei verschiedene<br />
Typen von Fällen, die er als „Fall von“, Fall für“ <strong>und</strong> „Fall mit“ bezeichnet. Hiermit sind<br />
unterschiedliche Betrachtungsweisen bzw. Dimensionen eines Falles gemeint, die sich<br />
gegenseitig nicht ausschließen (vgl. Müller 1994, S.33-34).<br />
(Sozial)- Pädagogische (Fall-) Arbeit ist ganzheitlich orientiert am Menschen in seiner<br />
gesamten Lebenssituation. Es ist demnach nicht möglich, nur eine Perspektive auf einen
31<br />
Fall einzunehmen, wie es zum Beispiel ein Arzt praktiziert. Dieser muss sich in der Regel<br />
beim Patienten beispielsweise nur auf dessen gebrochenen Arm konzentrieren. Andere<br />
Perspektiven der Fallbetrachtung kann der Arzt ausblenden. Dagegen müssen Sozialpädagogen<br />
in ihrer Arbeit mit Fällen multiperspektivisch vorgehen <strong>und</strong> oftmals ihr Handeln im<br />
Verhältnis zum Handeln anderer am Fall beteiligter Personen bzw. Institutionen<br />
bestimmen. Der Inhalt <strong>und</strong> die Art <strong>und</strong> Weise, in der ein Fall bearbeitet werden soll, sind<br />
in der Sozialpädagogik somit sehr viel offener <strong>und</strong> unbestimmter (vgl. Müller 1994, S.26).<br />
In Abgrenzung zur Fallarbeit ist eine Fallstudie die wissenschaftliche Analyse von<br />
Informationen über eine bestimmte Person nach einer bestimmten Methode. Der Einzelfall<br />
wird mit bekanntem Wissen über den Fall in Beziehung gesetzt. Es wird geprüft, was aus<br />
dem schon Bekannten heraus erklärbar ist <strong>und</strong> wo gegebenenfalls Korrekturen an den<br />
Wissensbeständen vorgenommen werden müssen. Somit soll durch eine Fallstudie eine<br />
Erkenntnis erzielt werden, die geprüft <strong>und</strong> erweitert wird <strong>und</strong> woraus neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse gewonnen werden können (vgl. Fatke 1997 b, S.59). Nach Fatke ist die<br />
Kasuistik ein übergeordneter Begriff, der sowohl Fallarbeit als auch Fallstudie meinen<br />
kann. Diese beiden Vorgehensweisen schließen einander nicht aus. Im günstigen Fall<br />
sollten sie zusammengeführt werden. Letztlich handelt es sich dabei jedoch um<br />
verschiedene Aufgaben <strong>und</strong> Tätigkeiten mit einer jeweils unterschiedlichen Handlungslogik.<br />
Deshalb sollten die beiden Begriffe differenziert verwendet werden (vgl. Fatke 1997<br />
b, S.59).<br />
Den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden zwei sozialpädagogische Fallstudien, die ich mit der<br />
Methode des qualitativen Interviews, speziell dem fokussierten Interview aus<br />
verschiedenen Perspektiven darstellen <strong>und</strong> analysieren möchte.<br />
3.2 Die Fallstudie<br />
Kasuistik bedeutet u.a., dass Einzellfälle beobachtet, dargestellt <strong>und</strong> anschließend<br />
analysiert werden. Die Gesamtheit dieser drei Vorgänge wird in der Literatur als Fallstudie<br />
bezeichnet. Praxis <strong>und</strong> Theorie bleiben somit nicht isoliert nebeneinander stehen. Sie<br />
werden miteinander verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ergeben so eine neue Ganzheit. Die Fallstudie stellt<br />
somit einen Bezug zur Praxis her (vgl. Beck/ Scholz 1997, S.679).
32<br />
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte einer Fallstudie, Fallbeobachtung, Falldarstellung<br />
<strong>und</strong> Fallanalyse genauer erläutert <strong>und</strong> anhand von zwei exemplarischen<br />
Fallbeispielen angewandt.<br />
3.2.1 Fallbeobachtung<br />
Dass, was der Fall ist, wird in der pädagogischen Praxis beobachtet <strong>und</strong> wahrgenommen,<br />
so zum Beispiel Vorgänge, Situationen <strong>und</strong> Verhaltensweisen von Menschen. Idealtypisch<br />
ist hierbei eine Vorgehensweise, die sich auf Tatsachen stützt, die allgemein zugänglich<br />
bzw. zumindest nachweisbar sind (vgl. Binneberg 1997, S. 14/ Binneberg 1985, S.778).<br />
3.2.2 Falldarstellung<br />
Qualitative Interviews werden nach fokussierten <strong>und</strong> narrativen Interviews unterschieden.<br />
Diese Formen von Interviews haben einen starken Gesprächs- <strong>und</strong> Erzählcharakter, in<br />
denen Sichtweisen, Meinungen <strong>und</strong> Interpretationen erhoben werden. In qualitativen<br />
Interviews wird eine kleine Anzahl von Personen befragt, deren Aussagen auf allgemeine<br />
Motive <strong>und</strong> Einstellungen hin rekonstruiert <strong>und</strong> miteinander verglichen werden. Speziell<br />
das fokussierte Interview, auch Leitfadeninterview genannt, ist eine ältere Form des<br />
qualitativen Interviews in der Methodenforschung. Es ist in den 40er Jahren in den USA<br />
aus der Propaganda- Wirkungsforschung hervorgegangen. 1965 entwickelten Kendall <strong>und</strong><br />
Merton diese Interviewform zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Forschungsmethode<br />
(vgl. Merton/Kendall 1984, S.171).<br />
Das fokussierte Interview geht davon aus, dass die Befragten eine konkrete Situation<br />
erfahren <strong>und</strong> erlebt haben. Der Forscher formuliert einen Leitfaden für das Interview,<br />
indem die relevanten <strong>und</strong> wichtigen Themen für diese Situation erfragt werden können.<br />
Die Fragestellung wird dabei offen gestaltet, so dass der Interviewte erzählend <strong>und</strong><br />
berichtend antworten kann. Das Ziel der Befragung ist es, die subjektiven Erfahrungen der<br />
interviewten Personen in ihrer früher erlebten Situation zu erfassen (vgl. Grunow 1978,<br />
S.362).
33<br />
Zu Beginn der Interviewtranskription beschreibe ich kurz die Situation, wie es zum<br />
Kontakt gekommen ist <strong>und</strong> welche Gefühlslage bei den Befragten vorherrschte, damit der<br />
Leser sich besser auf die Interviews einstimmen kann.<br />
Um die gewonnenen Informationen aus den Interviews möglichst realgetreu festzuhalten,<br />
wurden die Gespräche mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Dieses behinderte den<br />
Gesprächsverlauf kaum, da das Gerät sehr klein ist <strong>und</strong> schnell vergessen wurde. Dadurch<br />
konnte eine entspannte Atmosphäre, ähnlich eines Gespräches in einer Alltagssituation<br />
erreicht werden. Von allen Beteiligten wurde eine Einverständniserklärung zur Aufzeichnung<br />
eingeholt. Ebenso wurde die Anonymisierung zugesagt <strong>und</strong> eingehalten (vgl. Lamnek<br />
1995, S.97).<br />
Die erfassten Daten wurden nun auf ein Transkript Wort für Wort verschriftlicht. Auf<br />
Transkriptionszeichen wurde der besseren Lesbarkeit wegen verzichtet. Lediglich das ähm<br />
<strong>und</strong> äh wurde mit verschriftlicht. Diese Verschriftlichung ermöglicht einen kritischen<br />
Nachvollzug der Gespräche, sowie auch der anschließenden Interpretationen, wo auch<br />
immer die subjektive Sichtweise des Forschers miteinbezogen ist. Dennoch soll dadurch<br />
das Maß der Beliebigkeit so gering wie möglich gehalten werden. Das Ziel der Befragung<br />
ist es, die subjektiven Erfahrungen der befragten Personen in ihrer früher erlebten Situation<br />
zu erfassen (vgl. Merton/Kendall 1984, S.171).<br />
In dieser Arbeit ist die Fallbeobachtung die Wahrnehmung der Interviewsituation <strong>und</strong> die<br />
Transkription des Interviews die Falldarstellung<br />
Die Reihenfolge der tatsächlich geführten Interviews ist nicht mit der Abfolge der<br />
Darstellung der Interviews <strong>und</strong> der Fallanalyse identisch.<br />
Der Kontakt zu den beiden Familien kam wie folgt zustande. Während der Teamberatung<br />
fragte ich meine Kollegen, ob sie mir einen möglichst abgeschlossenen Fall zur Verfügung<br />
stellen würden. Folgende Angaben waren anhand eines Strukturfragebogens von den<br />
Helfern bekannt.
34<br />
4 Zwei exemplarische Praxisbeispiele<br />
4.1 Fallstudie Hans<br />
Im ersten Fall Hans handelt es sich um eine allein erziehende Mutter mit ihrem zu Beginn<br />
der Hilfe 12 jährigen Hans. In dieser Zeit setzte sich das Einkommen der Familie aus dem<br />
Einkommen der Mutter, ergänzende Sozialhilfe, Kindergeld <strong>und</strong> Unterhalt zusammen. Die<br />
Familie lebt in einem ruhigen Stadtteil von Schwerin mit Einfamilienhäusern. Die Hilfe<br />
dauerte 1 Jahr <strong>und</strong> 2 Monate <strong>und</strong> setzte sich aus durchschnittlich vier Wochenst<strong>und</strong>en<br />
zusammen, in denen die Familie von dem Familienhelfer betreut wurde. Die Interviews<br />
fanden im Mai 2008 in den Beratungsräumen der Evangelischen Jugend statt.<br />
Insgesamt gab es im Fall Hans vier Beteiligte. Mit ihnen wurden die Interviews durchgeführt:<br />
- Interview mit Hans,<br />
- Interview mit der Mutter,<br />
- Interview mit dem Familienhelfer Herrn X.,<br />
- Interview mit der fallverantwortlichen Fachkraft im Jugendamt Frau Q.<br />
Nach Ablauf der SPFH lebte die Familie einige Zeit selbständig zusammen, bis die<br />
Situation erneut eskalierte <strong>und</strong> Hans freiwillig für fünf Wochen in einem Heim in<br />
Schwerin wohnte.<br />
4.1.1 Hans<br />
4.1.1.1 Kontaktaufnahme mit Hans <strong>und</strong> seiner Mutter<br />
Hans Mutter machte telefonisch den Vorschlag, das Interview bei der Evangelischen<br />
Jugend durchzuführen. Der Beratungsraum ist harmonisch eingerichtet, <strong>und</strong> die Räumlichkeiten<br />
sind der Familie vertraut. Aus diesen Gründen habe ich diesen Vorschlag<br />
befürwortet. Schließlich war ich für diese Familie auch eine fremde Person.<br />
Nach einer fre<strong>und</strong>lichen Begrüßung von Hans <strong>und</strong> seiner Mutter, bot ich beiden einen<br />
Kaffee an, <strong>und</strong> wir setzten uns in den Beratungsraum. Beide machten auf mich einen sehr<br />
offenen Eindruck. Die Mutter „brannte“ förmlich darauf, ihre Informationen einmal loszu-
35<br />
werden. Ich erklärte ihnen zuvor, warum ich dieses Interview führen möchte. Dann ließ ich<br />
mir schriftlich die Einverständniserklärung geben, dass ich das Gespräch aufzeichnen <strong>und</strong><br />
die Daten für meine Diplomarbeit anonymisiert verwenden darf.<br />
Wichtig war mir dabei, dass immer ihre subjektive Sichtweise zum Ausdruck kommt, was<br />
ich noch einmal besonders betonte.<br />
Zuerst begann das Interview mit Hans.<br />
4.1.1.2 Interview mit Hans<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Hans: „Der Anlass war ja eigentlich, dass ich stationär 13 Wochen auf Therapie war, aufgr<strong>und</strong><br />
einiger Diskrepanzen <strong>und</strong> falschen Umgang, den ich hatte, <strong>und</strong> da sind uns dann<br />
eigentlich so, oder mir sind denn da Leute begegnet, die gesagt haben, sie sind in<br />
ambulanter Betreuung <strong>und</strong> haben mir erzählt, wie das so abläuft, <strong>und</strong> dann hab ich gedacht,<br />
dass mach ich auch mal <strong>und</strong> dann hab ich das nach der Betreuung, also nach der Therapie<br />
hab ich mich dann in Betreuung begeben mit Einverständnis von meiner Mutti, ja <strong>und</strong>.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Hans: „Ich war ja bei Herrn X. <strong>und</strong> ich fand das eigentlich immer total entspannend, <strong>und</strong><br />
also ich konnt’ mit ihm über so ziemlich alles reden. Wir haben auch ziemlich viel<br />
zusammen erlebt <strong>und</strong> so. Er konnte nicht immer helfen, weil er manchmal ein bisschen<br />
hilflos war <strong>und</strong> auch nur noch die Hände hochgerissen hat, aber ansonsten war das in<br />
Ordnung.<br />
Beispiele dafür waren, wenn meine Mutter <strong>und</strong> ich dann irgendein Problem hatten <strong>und</strong> das<br />
sollte ausdiskutiert werden, <strong>und</strong> keiner wollte aber irgendwie auf’ nen Kompromiss<br />
zugehen, dann war Herr X. da also schon ziemlich hilflos <strong>und</strong> wusste dann auch nicht wie<br />
weiter. Ich war dann aber nicht irgendwie enttäuscht oder so, ich hab’ das denn halt so<br />
genommen wie es war.<br />
Das Jugendamt konnte da auch nicht wirklich was machen. Ich habe mit dem Jugendamt<br />
selber nicht so viel zu tun gehabt, ja, mehr mit Herrn X.“
36<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Hans: „Würde ich jetzt mal ehrlicher Weise sagen, nicht. Also es haben sich Dinge<br />
verändert, es haben sich aber auch andere Dinge dazu gefügt, die sich dann verschlechtert<br />
haben <strong>und</strong> einige Dinge sind dann auch einfach so geblieben. Nicht Veränderung war das<br />
zum Beispiel mit dem Rauchen. Das war ja auch mehrfach im Hilfeplan drin. Weder Mutti<br />
noch ich haben aufgehört zu rauchen <strong>und</strong> ähm Veränderung ansonsten hat sich zum<br />
Beispiel meine Pünktlichkeit verändert, so also ich komm also immer pünktlich nach<br />
Hause, fast, also wirklich ganz wenige Ausnahmen <strong>und</strong>, ja. Die Kommunikation hat sich<br />
eigentlich auch nicht verbessert, bis heute nicht, nicht wirklich. Ähm. Auf einer Skala von<br />
Eins bis Sechs würde ich dem eine vier geben, doch würde ich sagen.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
Hans: „Zu Beginn war die Einstellung eigentlich total genial, weil ich das ja eben auf<br />
Therapie so mitgekriegt hab von den Leuten <strong>und</strong> die gesagt haben, dass ist ’ne total tolle<br />
Sache <strong>und</strong> wenn man denn ein Vertrauensverhältnis mit demjenigen aufbaut <strong>und</strong> sich mit<br />
dem einfach mal frei unterhalten kann, was man vielleicht auch mal Mutti mal nicht<br />
erzählen würde, dann befreit das auch <strong>und</strong> das hilft auch. Also meine Einstellung war zu<br />
Beginn total toll <strong>und</strong> zum Ende kann ich eigentlich immer noch sagen, das war eigentlich<br />
’ne positive Sache.“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Hans: „Die Hilfe wurde beendet, weil einfach die Zeit zu Ende war, also ich hab ja schon<br />
zwei Mal ’ne Verlängerung gekriegt <strong>und</strong> wie, ja, indem man das langsam hat auslaufen<br />
lassen, also die Termine wurden dann weniger vereinbart, weil das denn auch irgendwie<br />
mit den Pauschalen <strong>und</strong> das hat das Jugendamt dann geklärt. Frau Q., ja, so wurde das<br />
Ganze dann beendet.“
4.1.2 Mutter von Hans<br />
37<br />
4.1.2.1 Interview mit der Mutter von Hans<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Mutter: „Der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong> war der Klinikaufenthalt,<br />
wie Hans schon sagte. Der Klinikaufenthalt beruhte aber auf einer, ähm, Frage, ob Hans<br />
von seinem damaligen Trainer möglicherweise sexuell missbraucht worden sei. Was ich<br />
nicht rausbekommen hab’, der, äh, Kinderpsychologe nicht rausbekommen hat <strong>und</strong> dann<br />
gesagt hat, wir bringen ihn mal stationär <strong>und</strong> gucken, ob wir da weiterkommen. Ähm, das<br />
hat sich dann nicht ähm, ähm bestätigt, Gott sei Dank, äh, allerdings mal so als Nebensatz,<br />
der Trainer ist mittlerweile vorbestraft. Ein anderes Kind aus der Trainingsgruppe hat ihn<br />
angezeigt, <strong>und</strong> es ist tatsächlich so gewesen. Also ich hatte offensichtlich ein waches Auge.<br />
Der Anlass war begründet, aber Hans ist gut bei raus gekommen, sagen wir mal so. Beim<br />
anderen Kind dann eben nicht so gut, ne. Also diese äh, vermutete Missbrauchsgeschichte<br />
war der eigentliche Anlass für die Klinikeinweisung <strong>und</strong> in der Klinik, dann so wie Hans<br />
schon gesagt hat, äh, ähm, wobei damals auch, er war 12, seine kindliche Sichtweise noch<br />
kam. Och die fahrn mit dir Boot, gehen mit dir ins Kino <strong>und</strong> alles ganz toll. Hans, der<br />
sicherlich auch viele Highlights gesehen hat, na ja gut, <strong>und</strong> ähm <strong>und</strong> ich hab äh, Hans<br />
Wunsch dann entsprochen, weil ich natürlich auch Sinn drin gesehen hab, weil wir hatten<br />
zu Hause schon nicht unerhebliche Schwierigkeiten, ne, da war, ähm, gut, ne, dann lief das<br />
an.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Mutter: „Ähm, Unterschiedlich. Beim Jugendamt haben wir, ähm, zwei verschiedene<br />
Verantwortliche gehabt. Dass war erst ein, ein männlicher, ähm, Sozialpädagoge, ich<br />
glaube auch am Ende der Ausbildung, ja, weiß ich nicht. Wollen sie den Namen hier drauf<br />
haben oder nicht, nein ne, am Ende der Ausbildung glaube ich, auch irgendwie, ne. Dass<br />
fand ich gut <strong>und</strong>, äh, wechselte dann nachher zu unserer letzten Betreuerin, die aber länger,<br />
äh, ähm, damit befasst war <strong>und</strong> mit der hatte ich zu Anfang sehr viel Schwierigkeiten. Da<br />
fühlte ich mich in gewisser Weise dominiert, besserte sich aber nachher. Also da hab ich so<br />
dass Gefühl gehabt, äh, äh, ich sollte eigentlich ihren Stil fahren, ne. Und was mir, äh,<br />
gefehlt hat, also, ein, ein Hindernis für mich oder in meiner Wahrnehmung zu dieser
38<br />
ganzen Geschichte, weshalb ich jetzt auch so relativ kontrovers dazu stehe ist, äh, dass ich<br />
ne suchttherapeutische Ausbildung hab, mir als Beratung <strong>und</strong> wie sie ablaufen sollte nicht<br />
ganz, ähm, unfremd ist. Und, ähm, was mir am meisten gefehlt hat, ähm, über Herrn X.<br />
<strong>und</strong> auch über dass Jugendamt, ähm, äh, auch die klinischen Therapeuten, ähm, äh, muss<br />
ich sagen, ist die Bezugnahme auf die konkreten Umstände in unserer Familie. Also ich<br />
hatte, äh, an manchen Strecken wirklich das Gefühl, dass ist jetzt das Lehrbuchschema <strong>und</strong><br />
was, was von meiner Seite aus nicht gepasst hat: Wir waren nicht die Beispielfamilie aus<br />
dem Lehrbuch. Verstehen sie was ich meine? Wir waren ne andere Familie mit anderen<br />
Umständen, wurden ähm, äh, <strong>und</strong> die wurde, äh, die die spezielle familiäre Ausgangslage,<br />
ähm, äh zu wenig individuell berücksichtigt. Und dann lief da vieles an mir vorbei, hab ich<br />
so dass Gefühl gehabt. Und, ähm, ja, davon abgesehen, oder vielleicht auch darauf<br />
basierend, ähm, hab ich mich in mancherlei Hinsicht auch nicht ernst, ähm, äh, genug<br />
genommen gefühlt. Und dass passt sehr schön zu dem, ähm, äh, was Hans jetzt sagt. Also<br />
Hans fand, äh, die Zusammenarbeit mit Herrn X. ganz, ganz toll. Und ich hab Herrn X.,<br />
ihm als Zweiten nach der Klinik darauf hingewiesen, dass, ähm, äh, Hans auch eine Art<br />
hat, sag ich mal, ähm, die anderen Erwachsenen zu betören, ne, äh, so zu ziehen <strong>und</strong> ähm,<br />
ja da kommt ne Bagatellisierung oder, äh, wie auch immer ins Spiel. Und ähm, äh, Herrn<br />
X. hab ich einmal im Gespräch gesagt auch, also ganz offen, direkt angesprochen auch, ne,<br />
dass ich das Gefühl hab, weil Hans ja im Verhältnis zu den Kindern mit denen Herr X.<br />
sonst arbeitet, ne, war Hans, er war ein Gymnasiast. Er war dies, <strong>und</strong> dann hatten sie beide<br />
auch noch diesen Wassersport, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong> da hab ich so das Gefühl gehabt, das<br />
Hans als Klient bei Herrn X. auch eine angenehme erholsame St<strong>und</strong>e war. Ja ist das richtig<br />
ausgedrückt? Oder muss ich dass noch erklären? Ne. Und dass ich dann das Gefühl hatte,<br />
mein Gott <strong>und</strong> bei all den Problemen <strong>und</strong> der manchmal fehlenden Individualisierung. Was<br />
machen die da? Ne so. Dann hab ich Herrn X. einen weiteren Hinweis gegeben, ähm. All<br />
die Kompromisse, die er wirklich gut <strong>und</strong> mühevoll versucht hat auszuarbeiten, dass wir<br />
eben beide Federn lassen müssen, ne. Also das es wirklich auch ein beiderseitiges wird,<br />
ähm. Auch da hat, ähm, die Sozialarbeit, sag ich jetzt mal, unpersönlich, ähm, Hans<br />
unterschätzt, ähm. Und meinen Hinweis darauf nicht Ernst genug genommen. Hans hat<br />
sehr wohl begriffen, worum es in allen Bestimmungen geht. Er hat den IQ dazu, ne. Und er<br />
hat zu Hause, äh, den Hauptwert darauf gelegt, mich zu erziehen, ne. Also, wann immer<br />
ich eine von Herrn X.’s neuen Kompromissregeln nicht eingehalten hab, kriegte ich von<br />
ihm sofort Bescheid. Umgekehrt für ihn galt dass überhaupt gar nicht. Und nachteilig oder<br />
verantwortlich für das Entstehen dieser Konstellation ist vielleicht, dass was man unter den
39<br />
Spruch packen muss: „Im Nachhinein ist man immer schlauer.“ Es war wahrscheinlich<br />
nicht so gut, dass Herr X., Hans <strong>und</strong> ich die, äh, Kritikpunkte, die meine Kritik betraf zu<br />
Dritt besprochen haben. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wir hätten Hans daraus<br />
gelassen, dann hätte, äh, Herr X., hätte mir die Kritik gegeben, nicht in Hans Anwesenheit.<br />
Dann hätte Hans nicht so ’ne Angriffsfläche, ähm, auf mich gehabt. Und das ist ein Punkt,<br />
mit dem wir heute noch kämpfen, muss ich ehrlich sagen. Also Hans hat die Kritik an sich<br />
aufgenommen, aber wenig beachtet. Gar nicht will ich nicht sagen, aber wenig beachtet.<br />
Aber die Kritik an mir, die hat er durchgepeitscht, zu Hause bis zum …. Und ich fühlte<br />
mich dann erzogen von Hans. Das gab den nächsten zusätzlichen Aggressionsstau. Und<br />
das ganz klar, ne, diesen Punkt hätten wir nicht gehabt, ohne die Beratung. Also das ich<br />
auch, ne, dass vielleicht auch ein Teil dessen, was Hans meinte. Andere Sachen kamen da<br />
noch hinzu. Probleme die wir vorher überhaupt gar nicht hatten, ne. Ja gut. Und ähm, ich<br />
wünsche mir manchmal, dass auch Herr X., ähm, im Nachhinein ein bisschen was<br />
mitnehmen könnte aus diesen Geschichten, ähm, äh. Jetzt, ähm, äh, sag ich mal. Kinder,<br />
die nicht den Durchschnitt in der üblichen Sozialarbeit entsprechen, eben nicht zu unterschätzen<br />
<strong>und</strong> darauf wirklich mal hinterzugucken, was läuft da, ne. Dass hätte ich mir<br />
gewünscht, ja.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Mutter: „Ähm, nicht wirklich. Also. Die Punkteskala nehme ich mal vorweg. Ich würde<br />
dem maximal Drei geben, vielleicht auch eher Richtung Zwei oder Zwei Komma fünf<br />
tendieren. Ne, es hat einige wenige Punkte gegeben, die haben wir klären können <strong>und</strong> den<br />
von Hans angesprochenen, ähm, Pünklichkeitspart, das war so ein Verzweiflungsakt von<br />
Herrn X., weil Hans hat wirklich zwei Jahre mit Wehements, ne, <strong>und</strong> ich hab genauso mit<br />
Konsequenz <strong>und</strong> Wehements mit Stubenarrest reagiert <strong>und</strong> da kam Herr X. nicht mit<br />
weiter. Dass ist völlig richtig, ne. Ähm, Hans hat hinterher gesagt, er hat nie vorgehabt sich<br />
an die Kompromisse zu, ähm, äh, halten, die Herr X. mit uns, ne. Auch das hat Herr X.<br />
nicht durchschaut. Für Hans war das alles Dallerei. Für mich war es wertvolle Zeit. Ich hab<br />
geackert, krieg Frust von meinem Kind, <strong>und</strong> er sagt hinterher, ich hab das alles nie wirklich<br />
gewollt. Ne, also buh <strong>und</strong> ähm, äh. Die Pünktlichkeit die Hans ansprach, ähm, geht jetzt<br />
aus dieser Hilfeform weg. Hans ist ja im Herbst letzten Jahres doch ins Heim gegangen. Er
40<br />
hat sich doch selber eingewiesen für fünf Wochen, ne. Und die ähm, äh, die Sozialarbeiterinnen<br />
waren in dieser ganzen Geschichte Klinik, ambulante Hilfe <strong>und</strong> Heim jetzt die<br />
Ersten, bei denen ich das Gefühl hatte <strong>und</strong> die sehen das, ne, was wirklich läuft. Und die,<br />
äh, schätze Hans ein. Die hatten natürlich auch gegenüber den vorherigen Helfern, sag ich<br />
mal, den Vorteil, dass Hans dort gelebt hat, ne. Dass die eben nicht nur ein, zwei St<strong>und</strong>en<br />
Blick drauf hatten, sondern sie, ähm, äh, mehr Zeit gesehen haben <strong>und</strong>, ähm, sie hatten<br />
gesagt, dass die Kinder dort oben in der Regel nach vier Wochen angepasst sind <strong>und</strong> dann<br />
die Probleme zum Tragen kommen. Hans hat das in 14 Tagen geschafft, ne. Und dann<br />
hatten die da oben genau die gleichen Probleme wie ich zu Hause <strong>und</strong> da fühlte ich mich<br />
dann verstanden. Das war natürlich Hans nicht Recht. Wir haben auch ein Nachangebot<br />
bekommen was Hans abgelehnt hat, weil das war nicht in seinem Sinne. Hans konnte die<br />
Frauen dort oben nicht so manipulieren wie er das mit Herrn X. geschafft hat, ne. Also da<br />
oben war es da eng gewesen für ihn <strong>und</strong>, äh, abgebrochen. Und wenn man jetzt diese<br />
wirklich verschiedenen, äh, Punkte: Klinik, Ambulante <strong>und</strong> Heim zusammen nimmt, ne,<br />
dann hoffe ich, dass ich rüberbringen konnte, dass, äh, <strong>und</strong> das passiert wirklich auch spät,<br />
haben wir mehr Stress gekriegt als wir schon hatten, ne. Wenn mich andere Eltern fragen<br />
würden, ne, dass ist wirklich auch subjektiv, dass weiß ich, ich würde die anderen Eltern<br />
nicht beeinflussen, aber, äh, wenn ich nach meiner Einstellung dazu gefragt werde, ich<br />
würde wirklich sagen: Nie wieder. Ich bin der Meinung, äh, diese Kampflinie, die wir zu<br />
Hause gefahren haben, das ist ja ein Machtkampf, ganz klar. Dass ist das ganz große<br />
Thema, ne, ähm, äh. Er kommt, ich teste meine Grenzen, ich komm zu spät, mal sehen wie<br />
weit du gehst. Und ich komm natürlich aus meiner allein erziehenden Angst dagegen, las<br />
ihn jetzt bloß nicht wegrutschen. Zeig ihm wo seine Grenze ist, weil Grenzen werden ja<br />
auch gefordert. Und reagier natürlich darauf dementsprechend. Und, ähm, dass hätte auch<br />
ohne Herrn X. böse ins Auge gehen können, wenn das so weiter gegangen wäre. Auf der<br />
Stelle war das vielleicht gut, sag ich mal, dass Herr X. da eingegriffen hat <strong>und</strong> was<br />
gemacht hat. Aber letzten Endes ein Ziel wirklich ist nicht dabei raus gekommen. Und die,<br />
ähm, Pünktlichkeit, ne, kam ganz abrupt an dem Tag, äh, wo Hans aus dem Heim zu Hause<br />
war, ne. Der ist nie wieder zu spät gekommen. Ich glaub einmal fünf Minuten. Ne, <strong>und</strong> der<br />
ist seit November zu Hause. Wir haben gekämpft, also ich hab natürlich gekämpft. Dass<br />
war natürlich ne Situation, mit der ich überhaupt gar nicht klar kam, ne, ähm. Das Jugendamt<br />
kam natürlich gleich mit Sorgerecht wegnehmen. Ich hab’ nen Anwalt eingeschaltet.<br />
Ein riesen Theater. Die wollten klagen <strong>und</strong> Hans mit, ne. Ich sag Hans. Bist du dir klar,<br />
dass du jetzt hier gerade vorm Familiengericht A. gegen A.? Ja, wenn du so blöd bist <strong>und</strong>
41<br />
dass nicht unterschreibst, ne, so. Und das ging überhaupt gar nicht. Und das war so weitreichend,<br />
was ich da unterschreiben sollte. Hans hat jetzt ’nen Lehrvertrag unterschrieben.<br />
Die hätten, die für ihn unterschrieben. Also in allen Positionen wollten die das Sorgen<br />
haben. Und dafür gab’s für mich überhaupt gar keinen Gr<strong>und</strong>, weil, äh, diesen 1666 BGB,<br />
die den da zugr<strong>und</strong>e gelegt haben. Hans ist kein misshandeltes Kind. Ne, so <strong>und</strong> mein<br />
Anwalt hat sich denn da auch durchgesetzt. Wir machen gar nichts. Wenn sie klagen<br />
wollen, dann klagen sie. In den 1666 BGB kriegen sie Frau A. nicht rein, ne. Und das<br />
Jugendamt sagt, ja einen anderen Paragraphen haben wir nicht. Mein Anwalt grinst <strong>und</strong><br />
sagt, Richter aber auch nicht, ne. Eine Kindeswohlgefährdung war überhaupt nicht<br />
gegeben. Hans ist einfach, ähm, äh, an diesem Machtkampf mit mir punktuell gescheitert<br />
sag ich mal. Er ist der Minderjährige, er ist der Unterlegene, ich bin die Mutter <strong>und</strong> jetzt<br />
hat er gesagt: OK. Jetzt kann ich hier nicht durch, jetzt hau ich ab. So Bums <strong>und</strong> dann war<br />
er weg, ne. Also auch diese Heimeinweisung ist in meiner, ähm, äh, weniger als ein Notruf<br />
gewesen, weil er hat ja dort auch dieses Hilfsangebot bekommen <strong>und</strong> wieder ausgeschlagen.<br />
Und jetzt noch mal die Brücke dazu. Alles was hier mit Herrn X. war, äh, außer Kanu<br />
fahren, hab ich wirklich nie gewollt, ne. Wirklich Hilfe hat Hans nie gewollt. Deswegen,<br />
äh, nie nehm ich zurück. Überwiegend, jedenfalls dann, wenn’s ernst wurde, überwiegend<br />
nicht gewollt. Es hat eine ganze Weile gedauert bis ich dahinter kam. Ich kenn mein Kind<br />
sicher besser als Herr X., aber er manipuliert natürlich auch mich. Ne, er hat nu, äh, in<br />
diesem Falle leider Gottes meine Rethorik, ne, <strong>und</strong> quatscht mich auch zu Hause auch an<br />
die Wand, also es ist, ne. Und jedes Mal <strong>und</strong> jedes Versprechen, ne, ähm, äh. Ja, jetzt wird<br />
alles gut Mutti. Jetzt wird alles gut Mutti, <strong>und</strong> ich hab ihn das jedes Mal wieder geglaubt.<br />
Er ist mein Kind, trotz allem.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
Mutter: „Auf die Hilfe war ich zeitweise wütend, ne, sauer würde ich sagen, wütend wäre<br />
eine Stufe zu hoch. Sauer war ich <strong>und</strong> ähm, enttäuscht in den Punkten, weil ich davon ausgehe,<br />
dass wahrscheinlich auch nicht viele Mütter so reflektiert rangehen <strong>und</strong> sagen. So<br />
Herr X.. Hier, mein Kind nutzt unsere Hilfegespräche um mich zu Hause zu manipulieren<br />
<strong>und</strong> dass das dann wenig aufgegriffen wurde, das mit dem was ich gesagt hab nicht weitergearbeitet<br />
wurde, ne. Da war ich dann enttäuscht, würde ich sagen, also <strong>und</strong> äh. Diese<br />
Enttäuschung führt dann sicherlich zu Absinken der Motivation, ne. Das waren nachher
42<br />
dann auch nur noch Termine. So würd ich das vielleicht beschreiben. Das war jetzt viel<br />
ne?“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Mutter: „Äh, eines sagte Hans schon. Wir haben, ich glaub sogar drei Verlängerungen<br />
gehabt. Also ich würde jetzt mal sagen, geschätzte zwei Jahre. Bin mir jetzt aber auch nicht<br />
ganz sicher, ne. Und ähm, das Herr X. dieses Ohnmachtsgefühl entwickelt hat, <strong>und</strong> gesagt<br />
hat, wir haben alles 100 Mal durchgekaut. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, hat<br />
Herr X. zu Protokoll gegeben, dem Jugendamt gegenüber, das er selber auch gar kein Land<br />
mehr sieht, ja, gut. Hans mit seinem Eingeständnis, hab ich ohnehin nicht gewollt. Und ich<br />
mit meinem Motivationsknick, ne.“<br />
4.1.3 Familienhelfer Herr X.<br />
4.1.3.1 Kontaktaufnahme mit Herrn X.<br />
Mit Herrn X., meinem Kollegen, führte ich das erste Interview durch. Ich merkte, dass ich<br />
ganz schön aufgeregt war <strong>und</strong> konnte das auch mit ihm thematisieren. Er unterschrieb mir<br />
die Einverständniserklärung, dass seine Angaben in meiner Diplomarbeit anonym<br />
verwendet werden dürfen, <strong>und</strong> wir gingen den Strukturfragebogen durch, welcher sich<br />
auch im Anhang dieser Arbeit wieder findet.<br />
Mit einem Kaffe in der Hand begannen wir unser Interview.<br />
4.1.3.2 Interview mit Herrn X.<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Herr X.: „Also aus meiner Sicht war das so, dass damals die allein erziehende Mutter Frau<br />
A., wollen wir das so sagen. Frau A. ähm, mit ihren Sohn Hans, äh, lebten also zusammen.<br />
Und aus meiner Sicht war das halt so, dass die Mutter ihren Sohn sehr ambivalent, äh,<br />
behandelt hat. Also auf der einen Seite hat sie ihn faktisch fast wie so`n Partnerersatz<br />
behandelt. Also ein Beispiel dafür war, dass sie damals selbständig war <strong>und</strong> er äh am
43<br />
Computer relativ fit, äh, war uns so die Abrechnung für die Mutter so gemacht hat. So zum<br />
Beispiel <strong>und</strong> so ’ne Sachen. Da hat sie ihn dann sehr ernst genommen <strong>und</strong> dagegen auf der<br />
anderen Seite, äh, hat sie ihn sehr wie ein Kleinkind zu Hause gehalten. Also er musste,<br />
weiß ich um 6.00 Uhr zum Abendbrot sein <strong>und</strong> mit 15 Jahren <strong>und</strong>, äh. Aus meiner Sicht<br />
kam's denn auch erst Mal dadurch dazu, dass er denn so abgehauen ist <strong>und</strong> seine Freiräume<br />
für sich gesucht hat. Das war so der Anlass der <strong>und</strong> kurz bevor die Hilfe losging, war er in<br />
der Klinik in Schwerin, in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychatrie. Und dort, äh, gab’s also auch<br />
’ne Situation äh, äh, dass natürlich äh, die, die, der Psychologe mit der Mutter zusammen<br />
gearbeitet hat, äh. Und das ist aus irgendwelchen Gründen dann von der Mutter beendet<br />
worden. So, <strong>und</strong> denn, äh, hat Hans aber dort wohl festgestellt, oder ist ihm gesagt worden,<br />
dass es übers Jugendamt, äh, Hilfemöglichkeiten gibt <strong>und</strong> das wollte er dann. Und dadurch,<br />
äh, hat er seine Mutter also da belatschert <strong>und</strong> die hat dann Hilfe beantragt.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Herr X.: „Also zuerst äh, muss ich mal sagen, die Zusammenarbeit war an sich gut. Mit<br />
der Familie, äh, nicht immer, äh, konfliktlos, sag ich mal, äh. Besonders mit der Mutter, äh.<br />
Es war anfänglich so, dass, äh, ’ne Kollegin von der AWO noch in der Hilfe drin war. Und<br />
es war so gedacht, dass ich hauptsächlich eben für Hans eben, äh, zuständig sein soll. Und<br />
die Kollegin von der AWO für die Mutter. So nur Elterngespräche äh, führen, äh, dass hat<br />
irgendwie nicht funktioniert <strong>und</strong> äh, äh, ist dann umgeändert worden. Die Hilfe sozusagen,<br />
die Kollegin von der AWO ist dann raus gegangen <strong>und</strong> ich habe die Familie so ganz übernommen.<br />
Und hatte dann also auch die Aufgabe, ähm, Familiengespräche zu führen.<br />
Hochtrabend vielleicht Familienkonferenzen kann man sagen, äh, also, hauptsächlich war<br />
ich für Hans zuständig. Aber wir haben dann, ähm in regelmäßigen Abständen so<br />
Dreiergespräche in der Häuslichkeit bei denen zu Hause geführt. Und es ging dann immer<br />
wieder darum, dass, äh, die Mutter versuchte, mich auf ihre Seite zu ziehen, so. Und ich ihr<br />
dann auch deutlich sagen musste, dass ich nicht der verlängerte Arm ihrer Erziehung bin,<br />
so. Also dass ich nur versuchen kann so zu vermitteln, dass es natürlich gewisse Regeln<br />
geben muss in einer Familie. Und der ist ja nun mal 15 Jahre alt gewesen, damals, äh, äh,<br />
an die er sich zu halten hat. Aber auf der anderen Seite ist also auch immer wieder, äh,<br />
denk ich, Kompromisse geben muss, weil sie das ja auf der anderen Seite von ihm immer<br />
fordert. Also, äh, es war nicht immer ganz stressfrei. Also irgendwann kamen wir dann mal<br />
an einem Punkt, wo sie gesagt hat, sie sind ja genauso wie der Psychologe, der hat auch<br />
gesagt, ich muss mich an gewissen Punkten verändern. Das will ich aber nicht, weil ich
44<br />
von meiner Erziehung <strong>und</strong> meinen Methoden überzeugt bin, <strong>und</strong> sie sagen jetzt das Selbe.<br />
Und dann hat das hier alles keinen Sinn. Ich will mich nicht verändern <strong>und</strong> so. Und dann<br />
gab’s immer mal so ’ne Flaute <strong>und</strong>, äh. Aber es war dann immer so, dass sie von sich aus<br />
dann wieder ankam <strong>und</strong>, äh, äh, um Hilfe gebeten hat, so. Und selbst, nachdem die Hilfe<br />
beendet war, äh, gab’s immer noch Kontakte. Und ich hab das denn nachher über die<br />
Erziehungsberatungsstelle, äh, so gemacht, dass, äh, dass sie nicht extra noch mal wieder<br />
beantragen müssen beim Jugendamt. Sondern die sind dann einfach mal in die Erziehungsberatungsstelle<br />
gekommen <strong>und</strong> das kann man dann ja auch machen. Also es gibt heute<br />
noch Kontakt zu dem Jungen, vor allem Dingen, aber auch zu der Mutter. Und die<br />
Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, äh, Anerkennungspraktikant, dass war zu Anfang ein<br />
Herr W.. Der war Anerkennungspraktikant. Der ist dann nachher wieder weggegangen <strong>und</strong><br />
dann hat es Frau Q. übernommen. Das war’ ne gute Zusammenarbeit, kann man anders<br />
nicht sagen. Es gab immer wieder Hilfeplangespräche, so wie das sein muss. Und<br />
irgendwann haben wir nachher die Hilfe beendet im gegenseitigen Einvernehmen, äh, ja.<br />
Also es ist für alle OK., dass es denn jetzt erst Mal zu Ende ist.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Herr X.: „Ich soll ja über meine Sicht reden, ja. Also ich denke, dass, äh, dass es schon,<br />
äh, äh, ein paar Ziele gab, die sich auch erfüllt haben. Also das einfach Beide; Mutter,<br />
sowie auch der Sohn, äh, gelernt haben, sich auch gegenseitig zu akzeptieren. Es gab<br />
immer Mal wieder Einbrüche. Also Hans ist ja da irgendwann mal abgehauen von zu<br />
Hause <strong>und</strong> war kurzfristig im Kinder- <strong>und</strong> Jugendnotdienst <strong>und</strong> in einer WG untergebracht.<br />
Und ist dann aber wieder, äh, zurückgegangen. Und sie haben sich immer irgendwie<br />
arrangiert. Ich denke, es wird nie, so lange die zusammenleben, Beide, wird es nie, äh,<br />
konfliktfrei, äh, zugehen können, denk ich mal. Es wird sich vielleicht alles regeln, wenn<br />
er, wenn er aus dem Haus geht. Das wird jetzt im September so sein. Er hat eine Lehrstelle<br />
in Hamburg bei Airbus, äh, <strong>und</strong> er muss nach Hamburg ziehen, weil er dann gar nichts von<br />
hier aus machen kann. Und ich denke, dass sich dann, äh, wahrscheinlich, äh, ziemlich viel<br />
entkrampfen wird <strong>und</strong> der Mutter auch noch mal deutlich wird, wie alleine sie dann<br />
eigentlich ist. Sie hat ja auch keinen anderen gehabt außer ihren Sohn. Und deswegen hat<br />
sie auch so das Problem gehabt, äh, diese Ebenen, äh, auseinanderzukriegen. Dass das eben
45<br />
nicht ihr Partner ist sondern ihr Sohn. Die Mutter wird es vielleicht ein bisschen anders<br />
sehen. Von meiner Zielerreichungsskala würde ich die Ergebnisse bei einer vier<br />
einordnen.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
Herr X.: „Während der Hilfe, was ich ganz wichtig finde, äh, ich hab ihn auch immer mal<br />
nach seinen Vater gefragt, äh. Und was er für ’ne Rolle spielt, <strong>und</strong> er spielte nie ’ne Rolle.<br />
Also außer dass er ihn 1 Mal gesehen hat als er 8 Jahre alt war, oder so. Allerdings zu der<br />
Großmutter väterlicherseits hat er Kontakt gehabt, <strong>und</strong> ich hab ihn da einfach Mut<br />
gemacht, äh, dann mit 15/16 Jahren, äh, einfach mal zu überlegen, ne, willst Du nicht mal<br />
gucken? Was ist das denn eigentlich für ein Typ? Kannst du ja gar nicht mehr so richtig<br />
sagen. Du hast ihn ja mit 8 Jahren das letzte Mal gesehen. Und das fand ich also total<br />
Klasse, dass er, äh, dass er das dann irgendwann mal gemacht hat. Und vorher noch mal zu<br />
mir gekommen ist <strong>und</strong>, <strong>und</strong> im Gespräch üben wollte wie fang ich denn da an <strong>und</strong> weiß ich<br />
<strong>und</strong> so. Und ich hab ihm gut zugeredet, <strong>und</strong> er ist da einfach hingefahren. Er wohnt auch<br />
nicht in Schwerin, sondern außerhalb, äh. Er musste da mit dem Zug hinfahren. Und es war<br />
ein total gutes Gespräch. Und der hat, also er hat ihn jetzt ein paar Mal gesehen, ähm. Der<br />
will ihn auch unterstützen, weil, weil, bei seiner Ausbildungsgeschichte in Hamburg <strong>und</strong><br />
so, äh, also das find ich auf jeden Fall erfolgreich, so. Weil ich denke, das es für jeden<br />
Menschen wichtig ist, nach seinen Wurzeln zu fragen. Und wenn da ein Elternteil nicht<br />
vorhanden ist, ist es schon mal interessant mal rauszukriegen, was ist denn das für ein Typ.<br />
Und es hätte auch ganz anders ausgehen können. Wer bist denn du? Hau ab, oder so, ne,<br />
aber da gibt’s ja eben auch noch Geschwister; also Halbgeschwister die er da kennen<br />
gelernt hat. Und das war also für Hans ne große Bereicherung. Das find ich schon wichtig,<br />
dass das erreicht worden ist. Das war vorher zwar nicht so extrem benannt worden, aber<br />
das war mir wichtig.“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Herr X.: „Na erstens, äh, war’s ja ’ne ganze Zeit gelaufen. Ich weiß jetzt gar nicht genau,<br />
wann es jetzt beendet worden ist. Aber es ging ja deutlich länger als 1 Jahr. Äh, <strong>und</strong> also<br />
war ja einmal dann sowieso beendet als dann, äh, untergebracht war. Oh, ne. Es war glaub
46<br />
ich schon vorher beendet. Weiß ich gar nicht mehr so genau. Also jedenfalls sind wir an<br />
einem Punkt gekommen, wo wir immer uns im Kreis gedreht haben im Gr<strong>und</strong>e. Also wo,<br />
wo sie, äh, die Mutter, äh, Frau A., also nicht bereit war, sich zu bewegen in eine andere<br />
Richtung, sondern ihren Stil weiter gefahren ist, äh, <strong>und</strong>, äh, Hans genauso, ne. Und sie<br />
haben sich dann irgendwann, äh, eben arrangiert <strong>und</strong> haben gewisse Themen außen vor<br />
gelassen. Es gab gewisse Regeln, an die hat er sich dann gehalten. Und es gab gewisse<br />
andere Sachen, die sind dann geöffnet worden, aber unwesentlich <strong>und</strong>, äh. Hans hat zu mir<br />
gesagt, er, äh, hat sich jetzt arrangiert, er zieht das jetzt durch bis er in seine Lehre geht <strong>und</strong><br />
dann ist gut. Also ich hab in sofern, äh, nicht so'n schlechtes Gefühl, weil ich ja nach wie<br />
vor noch Kontakt zu denen habe, beide, wobei also zur Mutter weniger. Aber da er<br />
manchmal also E-Mail mäßig was schreibt oder mal anruft. Aber Hans kommt ja<br />
regelmäßig von der Schule, oder wenn er mal Pause hat <strong>und</strong> erzählt mir was Sache ist.“<br />
4.1.4 Jugendamt Frau Q.<br />
4.1.4.1 Kontaktaufnahme mit Frau Q.<br />
Auch Frau Q. sagte mir gleich telefonisch für das Interview zu, allerdings mit der<br />
Befürchtung, gar nicht so viel sagen zu können. Sie hat den Fall erst später von einem<br />
Kollegen übernommen. Der steht aber nicht mehr zur Verfügung. Frau Q. kam zum Interview<br />
zu mir in den Beratungsraum der Evangelischen Jugend. Ich bot ihr einen Kaffee an,<br />
<strong>und</strong> auch sie unterschrieb mir die Einverständniserklärung. Frau Q. hatte die Akte mitgebracht,<br />
um auch Aussagen machen zu können, die noch ihr Kollege getroffen hatte.<br />
4.1.4.2 Interview mit Frau Q.<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Frau Q.: „Begonnen hat es damit, dass der Jugendliche Hans eingeladen wurde ins Amt zu<br />
einem Gespräch, <strong>und</strong> auch die Mutter wurde eingeladen. Und Hans kam dann am<br />
25.11.2004 zum Gespräch ins Jugendamt <strong>und</strong>, ja. So die Kernpunkte des Anlasses waren,<br />
dass er berichtet hat, dass er bereits eine Psychotherapie gemacht hat, wegen Lügen,
47<br />
falschen Fre<strong>und</strong>en. Weil seine Mutter so bedenken hatte, dass er so ins kriminelle<br />
abrutschen würde. Ähm.<br />
Dann ein Problem ist das mit dem Vater <strong>und</strong> zwar weil sein Vater zurückgegangen ist zu<br />
seiner früheren Frau vor langer Zeit <strong>und</strong> er mit seiner Mutter praktisch alleine lebt. Äh, er<br />
raucht <strong>und</strong> wurde auch von der Mutter beschuldigt, dass er seine jüngeren Cousinen zum<br />
Rauchen verführen würde. Und daraus hat die Mutter ein bisschen geschlussfolgert, dass es<br />
gut wäre für ihn. Und ich glaube, dass es damals auch durch die Klinik empfohlen wurde,<br />
dass er einen Betreuer für sich alleine hat, der also mit ihm am Nachmittag so, äh,<br />
verschiedene Dinge organisiert. Er selbst spielt im Verein Badminton <strong>und</strong> ging jobben, äh.<br />
Hans hat angegeben, dass in der Schule alles in Ordnung wäre. Dass er zwar so<br />
mittelmäßig ist, aber er sieht da keine Gefahr, dass er die Klasse nicht schaffen könnte.<br />
Seine Lieblingsfächer sind Physik <strong>und</strong> Geschichte. Seine Hobbys so Elektrobasteln,<br />
Archäologie <strong>und</strong> Sport. In seiner Freizeit ja, so richtig Hobbys hat er nicht benannt, aber er<br />
würde mit seine Clique viel in der Garage abhängen. Am 07.Mai hat er Jugendweihe, hat<br />
er erzählt <strong>und</strong> dort war er sehr stolz, hat sich gefreut <strong>und</strong> dann hat er gesagt, er kann sich<br />
das vorstellen mit einem Betreuer. Der müsste jung sein. Der dürfte nicht so viel meckern.<br />
Der müsste auch mal mit ihm Eis essen gehen, einmal so wöchentlich. Und er würde gerne<br />
mit ihm die Freizeit gestalten. Und dann aber auch in diesem Rahmen mit ihm Probleme zu<br />
besprechen. Er selber hat angegeben, dass er Probleme mit seiner Mutter hat, dass er viel<br />
Stress mit ihr hat <strong>und</strong> sie auch viel Stress hat, die Mutter. Weil sie ein eigenes Geschäft<br />
hat. Es gibt Ärger immer mit der Mutter, wenn er die Hausarbeiten nicht erledigt hat, ähm.<br />
Dann braust die Mutter eben auch sehr schnell auf <strong>und</strong> dann enden diese Gespräche oft in<br />
Eskalation.<br />
Hans hat signalisiert, dass er Verständnis für seine Mutter hat, aber er wünscht sich auch,<br />
dass die mehr auf ihn eingehen sollte. Also er hat zumindest das Gefühl, dass sie vieles viel<br />
zu eng sieht. Er sieht auch Probleme darin, dass die Mutter eben diesen Laden hat, weil sie<br />
da eben viel zu tun hat <strong>und</strong> wenig zu Hause ist. Und er also gar nicht so richtig einen<br />
Ansprechpartner hat. Und er hat noch mal also auch gesagt, dass sie so ne engen Regeln<br />
für ihn aufstellt, also, dass er das gar nicht einhalten kann. So Ausgangsregelungen oder so<br />
verschiedene andere Sachen.<br />
Am 26.11.2004 war dann die Mutter Frau A. zum Gespräch im Jugendamt <strong>und</strong> hat also<br />
auch noch mal zum Ausdruck gebracht, dass sie die Hilfe befürwortet. Das sie sehr dafür<br />
ist. Und sie ist der Meinung, Hans braucht Halt. Obwohl er sehr selbständig ist, ähm, denkt<br />
sie, dass er jetzt manchmal über die Strenge schlägt. So bisschen ausgebremst wurde sie
48<br />
auch. Und zwar hatte sie erzählt davon, das Hans ja Badminton trainiert <strong>und</strong> er dort<br />
Umgang mit 'nem 60 jährigen Trainer hatte. Und das es da auch so die Befürchtung gab,<br />
dass er sich den Jungs eben mehr nähert, als es gut wäre. Und da hatte sie sich auch schon<br />
eingeschaltet. Und dann wurde der Umgang gerichtlich verboten. Also der Mann durfte<br />
sich den Kindern auch nicht mehr nähren, wurde dann auch als Trainer entlassen. Hatte<br />
sich also auch Sorgen gemacht <strong>und</strong> meinte eben aus dem Zusammenhang heraus, dass er<br />
da ein bisschen Hilfe braucht. Sie möchte für ihn eine männliche Bezugsperson, da die in<br />
ihrem Haushalt fehlt für Hans. Und sie hat auch noch mal davon berichtet, dass sie selber<br />
früher sehr streng erzogen worden ist. Dass sie das auch gerne weiter durchziehen möchte<br />
mit ihrem Sohn. Sie sprach von starken finanziellen Problemen <strong>und</strong> auch ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Problemen, die sie selbst hat. Und, äh, sie hat auch noch Mal zum Ausdruck gebracht, dass<br />
Hans ihr gegenüber immer äußert, dass er denkt, dass andere Kinder mehr dürfen. Dass er<br />
also benachteiligt ist so im Umgang mit seiner Mutter. Dabei betonte die Mutter noch mal,<br />
dass sie auch wirklich alles versucht, auch finanziell Hans das recht zu machen. Die Mutter<br />
selbst weiß oft nicht, wann Grenzen gezogen werden müssen. Ist da sehr unsicher <strong>und</strong><br />
Hans versucht natürlich in allen möglichen Richtungen die Aufmerksamkeit zu bekommen.<br />
Aber sie ist trotzdem der Meinung, dass der Draht zu ihm noch besteht, aber sie<br />
gehen immer weiter auseinander. Sie hat noch mal davon berichtet, dass ja auch Hans ne<br />
ambulante Therapie bereits hinter sich hat mit der sie sehr unzufrieden war. Und aus ihrer<br />
Sicht da sehr viel bagatellisiert wurde.<br />
Die Kindesmutter hat also absolut das Gefühl, dass Hans so der Herr im Haus ist. Sie hat<br />
so, sie denkt so, also sie hat so das Gefühl, dass mehr oder weniger Hans ihr Vorschriften<br />
macht <strong>und</strong> nicht, dass sie ihn erziehen würde.<br />
Und sie hat aber auch noch mal betont, dass sie nur Hilfe für Hans möchte. Sie selber<br />
bräuchte keine Hilfe, äh.<br />
Die Ziele aus der Sicht der Mutter waren, dass Hans mehr Eigenverantwortlichkeit erlernt,<br />
dass er selbstbewusster wird <strong>und</strong> auch sein Selbstbewusstsein richtig einschätzen kann.<br />
Und, äh, sie würde sich wünschen, dass er Hilfe auch annehmen kann. Weil sie zweifelt<br />
das ein bisschen an, dass Hans wirklich ernsthaft Hilfe annehmen wird. Sie wünscht sich<br />
auch, dass es Versuche gibt, Kontakt zum Vater aufzubauen, weil das in der Vergangenheit<br />
so gescheitert war. Und es gab dann die Absprache mit dem zuständigen Sozialarbeiter,<br />
dass Frau A. Hilfe zur Erziehung beantragen wird, <strong>und</strong> dass sie auch diesen Erhebungsbogen<br />
ausfüllt <strong>und</strong>, ja. Dass sie dann in einer Woche wieder vorspricht <strong>und</strong> dass wir dann<br />
über die Hilfe konkret sprechen.“
49<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Frau Q.: „Ja, am 04.Mai 2006 hab’ also ich im Rahmen des Hilfeplangespräches, weil der<br />
Herr W. sozusagen sein Praktikum bei uns beendet hatte <strong>und</strong> damit ja ausgeschieden war.<br />
Das heißt, in dem Hilfeplangespräch, äh, haben Hans, die Mutter <strong>und</strong> Herr X. teilgenommen.<br />
Und in diesem Hilfeplangespräch hab ich also schon gemerkt, also zum einen,<br />
dass Hans eine andere Sicht auf die Hilfe hatte als die Mutter. Hans hat also deutlich mehrt<br />
positive Dinge geäußert, die durch die Hilfe möglich waren, während die Mutter die Hilfe<br />
nach wie vor etwas skeptisch gegenüberstand <strong>und</strong> offensichtlich andere Erwartungen an<br />
die Hilfe hatte. Es war nicht zu übersehen, dass zwischen Hans <strong>und</strong> Herrn X., das es dort<br />
also eine gute Arbeitsbeziehung gab. Dass die sich regelmäßig treffen <strong>und</strong> dass Hans auch<br />
in Notsituationen, oder wenn er Fragen hat oder wenn etwas schief gelaufen ist, sich<br />
wirklich direkt auch an Herrn X. wendet. Schon alleine dadurch, dass die Schule <strong>und</strong>, äh,<br />
die Adresse des Trägers also sehr nah beieinander liegen, so dass es auch immer kurze<br />
Wege waren. Und man schon das Gefühl kriegen konnte, dass die Mutter so'n Stück außen<br />
vor war. Oder so nicht außen vor, sondern, na ja, dass Herr X. immer eher von den<br />
Problemen durch Hans wusste, als sie es denn so mitbekam. Also Hans denk ich, hat auch<br />
nicht alle Dinge mit der Mutter besprochen. Aber dadurch, dass ich da neu rein gekommen<br />
bin, musste ich ja zunächst erst einmal erfassen, wie so die Situation ist. Und ich hab schon<br />
gemerkt, dass es also schwierig war den Kontakt zu der Mutter aufzubauen, weil sie ja<br />
insgesamt der Hilfe etwas skeptisch gegenüberstand. Und auch schon so zu dem Zeitpunkt<br />
so geäußert hätte, dass sie eigentlich nicht mehr so wirklich weiß, woran noch gearbeitet<br />
werden soll. Sie aus ihrer Sicht lässt Hans gar keine Veränderung zu. Während Hans noch<br />
mal deutlich geäußert hat, dass er die Hilfe gerne fortsetzen möchte.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Frau Q.: „So in dem Hilfeplangespräch hat Hans also sehr deutlich benannt, dass er, äh,<br />
Erfolge in der Hilfe für sich sieht. Er fühlt sich insgesamt viel besser, konnte einige Dinge<br />
für sich klären, was wiederum positiv auf das Zusammenleben mit der Kindesmutter<br />
gewirkt hat. Er hat also auch davon gesprochen, dass er überhaupt nicht mehr klaut, dass er<br />
sich das Rauchen abgewöhnt hat, dass er sich auch an die vereinbarten Computerzeiten <strong>und</strong><br />
Ausgehzeiten halten würde <strong>und</strong> dass auch die Kommunikationsstruktur in der Familie sich
50<br />
verändert hat, äh. Aus seiner Sicht wurden die Probleme jetzt also mehr auf der Sachebene<br />
ausdiskutiert. Er geht sehr viel motivierter in die Schule, denn er hat ein Ziel vor Augen. Er<br />
möchte Flugzeugbau studieren <strong>und</strong> auch ein entsprechendes Praktikum in den Ferien ist<br />
geplant, ähm. Und Hans hat auch noch mal davon gesprochen, dass er zu vielen Alltagsthemen<br />
seine Einstellung überprüft hat <strong>und</strong> sie auch verändert hat. So wie zum Beispiel<br />
auch der Umgang mit Geld. In den Gesprächen fand ich Hans auch, dass er sehr offen <strong>und</strong><br />
ehrlich seine Meinung sagte. Dass ihn das also irgendwie nicht gestört hat, dass seine<br />
Mutter mit dabei war. Das er sehr selbstbewusst auch aufgetreten ist. Und er hat also sehr<br />
viel Wert darauf gelegt, weiterhin gemeinsame Termine mit Herrn X. nutzen zu können.<br />
Weil aus seiner Sicht die Zusammenarbeit sich sehr positiv gestaltet hat <strong>und</strong> sie auch sehr<br />
viel im Freizeitbereich zusammen gemacht haben.<br />
Bei der Mutter war das eher so, dass sie die Dinge deutlich anders sah. Dass sie weniger<br />
das Gefühl hatte, das sich da was verändert hat. Sie hat viele Dinge angezweifelt. Und ich<br />
hatte auch so das Gefühl, dass sie das nur zu Kenntnis nimmt, oder auch akzeptiert, wenn<br />
sie es denn selber auch überprüft hat, ob’s denn auch wirklich stimmt. Also sie war der<br />
Meinung, dass es nach wie vor nicht so das Vertrauensverhältnis zwischen ihr <strong>und</strong> Hans<br />
ist. Und dass das Vertrauensverhältnis zwischen Hans <strong>und</strong> Herrn X. deutlich besser ist.<br />
Und sie sich dadurch auch so`n Stück außen vor fühlt.<br />
Ich hatte auch das Gefühl, dass sie das irgendwie unterbrechen wollte, so, diese<br />
Verbindung. Weil sie wie gesagt da schon so`n bisschen geäußert hat, dass sie eigentlich<br />
gar nicht mehr weiß, warum die Hilfe fortgesetzt werden sollte, ähm. Weil aus ihrer Sicht<br />
jetzt so’n Punkt erreicht war, so jetzt mehr, mehr geht nicht. Ich hatte schon das Gefühl,<br />
äh, dass es wichtig ist, die Hilfe für den Jungen noch fortzuführen. Und dass was zum<br />
Beispiel schon teilweise erreicht wurde, eben die Verbesserung seines Sozialverhaltens,<br />
was er ja auch selber beschrieben hat, oder so die Ehrlichkeit, oder die Verantwortung für<br />
sein eigens Handeln zu übernehmen, äh. Dass das wohl auch angelaufen ist, dass es aber<br />
auch ein längerer Prozess ist <strong>und</strong> es noch ein bisschen Festigung bedurfte. Die<br />
Kommunikation so im Familienverband also denk ich schon, dass die Mutter deutlich<br />
signalisiert hat, dass sie gar nicht mehr so bereit ist, daran noch zu arbeiten. Und deswegen<br />
ja auch so ihre Bemühungen. Wozu brauchen wir noch die Hilfe?<br />
Also die Erreichung der Ziele denk ich, äh, also für Hans glaub ich schon, würde ich sagen,<br />
die Fünf, aber bei der Mutter, aus der Sicht der Mutter hat ich eher das Gefühl, das sie<br />
zwischen Drei <strong>und</strong> Vier so pendelt.
51<br />
Also das Arbeiten mit der Mutter, äh, hat einerseits ja auch Spaß gemacht, weil sie ja auch<br />
’ne sehr taffe Frau war, die also auch wusste was sie wollte. Aber man hat bei ihr so vermisst,<br />
dass sie manchmal auch so in ihrer ganzen Fürsorge auch für ihren Sohn, dass sie<br />
einfach mal inne hält <strong>und</strong> auch manchmal guckt. Was ist so mein Ziel? Was will ich<br />
erreichen? Was hab ich bisher gemacht <strong>und</strong> zu welchem Ergebnis hat das geführt <strong>und</strong><br />
gegebenenfalls auch mal zu sagen, hm. Ich müsste vielleicht auch mal einen anderen Weg<br />
wählen. Dazu war sie eigentlich nicht bereit. Sie war der Meinung, das ist so ihr Weg. So<br />
ist sie erzogen worden. Das hat bei ihr viel gebracht <strong>und</strong> so will sie das bei ihrem Sohn<br />
auch machen. Sie hatte nicht wirklich das Anliegen an die Hilfe bei sich selbst was zu verändern.<br />
Sondern sie wollte eigentlich, dass die Hilfe sich so, äh, auf ihren Weg begibt. Und<br />
dass wir dann gemeinsam, ich sag jetzt mal ein bisschen sarkastisch über Hans herfallen.<br />
Sie wollte also verstanden werden.<br />
Also ich hab mir auch eingebildet, Defizite bei der Mutter zu sehen. Die brauchte<br />
eigentlich auch ganz viel Aufmerksamkeit <strong>und</strong> ganz viel Zuspruch. Denn sie hat auch<br />
unheimlich immer viel geredet, so. Man hat bei ihr also auch gemerkt, dass sie Therapie<br />
Erfahrung hat.<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
Frau Q.: „Am Beginn der Hilfe war es ja so, dass Hans deutlich signalisiert hat, dass er<br />
gerne die Hilfe möchte, dass er gerne einen männlichen Ansprechpartner haben möchte.<br />
Diesen Wunsch ist die Mutter auch nachgekommen. Ich hatte auch das Gefühl, dass es<br />
bereits der Familie empfohlen wurde während des Klinikaufenthaltes. Während der<br />
Therapie hat die Familie glaube ich den Hinweis bekommen <strong>und</strong> dem ist sie auch gefolgt.<br />
Die Mutter hat die Hilfe auch beantragt, war aber sehr skeptisch, also ob Hans die<br />
überhaupt annehmen würde <strong>und</strong> was das so unterm Strich bringen würde. Da war sie von<br />
Anfang an sehr skeptisch, äh.<br />
Im Verlauf der Hilfe denk ich so, hat die Mutter aber mitgewirkt <strong>und</strong> hat also auch oft<br />
signalisiert, dass sie eine andere Erwartung daran hatte, also das wir eher so auf ihrer Seite<br />
sind <strong>und</strong> so gemeinsam mit ihr ihre Ziele gegenüber Hans umsetzen. Und wir ihr natürlich<br />
dann auch gesagt haben, also ganz so geht das ja nicht. Das muss ja schon eine verabredete<br />
Hilfe sein.
52<br />
Hans denk ich, hat sehr davon profitiert <strong>und</strong> konnte sich dann punktuell auch mehr gegen<br />
die Mutter manchmal durchsetzen <strong>und</strong> ihr auch Sachen benennen, was die Mutter allerdings<br />
für sich nicht so positiv gewertet hat.<br />
Am Ende der Hilfe ist es so gewesen, dass Hans, hätte die Hilfe glaub ich noch, ach, hätte<br />
die wahrscheinlich noch ausgedehnt, der hätte die noch ewig behalten sozusagen, aber die<br />
Mutter, äh, war der Meinung, jetzt ist mal Schluss. Wir können hier kein Geld<br />
verschleudern, also auch andere Familien brauchen mal diese Hilfe. Und wir schaffen das<br />
schon.<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Frau Q.: Äh, mein Gefühl war in dem Moment, war es so, dass man es akzeptieren<br />
konnte, dass die Hilfe beendet wird, weil es gab jetzt keinen Gr<strong>und</strong> ihr zu sagen, aus den<br />
<strong>und</strong> den Gründen muss die Hilfe weitergeführt werden. Es gab auch keine gefährdeten<br />
Situationen, so wo man hätte einschreiten müssen.<br />
Aber ich hab’ mir schon gedacht, das gibt noch mal was zwischen den Beiden. Das ist<br />
noch nicht wirklich so an dem Punkt, wo man sich das gewünscht hätte. Aber wir sind da<br />
auch an Grenzen gestoßen, weil die Mutter ganz klar gesagt hat, <strong>und</strong> ich ändere mich jetzt<br />
hier nicht mehr. Und damit war der Auftrag für Herrn X. auch erledigt, erfüllt, weil, das<br />
war ja ’ne deutliche Ansage der Mutter.<br />
4.2 Fallstudie Christian<br />
Im zweiten Fall Christian handelt es sich um eine Familie, Vater, Mutter mit ihrem<br />
leiblichen Kind Christian, der zu Beginn der Hilfe 12 Jahre alt ist. Das Einkommen der<br />
Familie setzt sich aus dem Gehalt der Mutter <strong>und</strong> des Vaters, sowie Kindergeld<br />
zusammen. Die Familie lebt in einem ruhigen Plattenbaustadtteil von Schwerin. Die Hilfe<br />
dauert bereits 1 Jahr <strong>und</strong> 7 Monate <strong>und</strong> setzt sich aus durchschnittlich dreieinhalb Wochenst<strong>und</strong>en<br />
zusammen, in denen die Familie von dem Familienhelfer betreut wird. Die<br />
Gespräche des Jugendamtes <strong>und</strong> des Helfers wurden in den Beratungsräumen der<br />
Evangelischen Jugend geführt.<br />
Insgesamt wurden fünf Interviews durchgeführt:<br />
- Interview mit Christian,
53<br />
- Interview mit der Mutter,<br />
- Interview mit dem Vater,<br />
- Interview mit dem Familienhelfer Herrn Y.,<br />
- Interview mit der fallverantwortlichen Fachkraft im Jugendamt Frau R.<br />
Die Familie ist bereits in der Ablösephase, wo sich der Helfer aus dem Familiensystem<br />
langsam wieder zurückzieht. Die Interviews wurden im Mai 2008 in der Wohnung der<br />
Eltern durchgeführt.<br />
Kontaktaufnahme mit der Familie von Christian<br />
Mein Kollege Herr H., der die SPFH weiter durchführt, brachte mir für die nächste Woche<br />
einen Termin mit. Darauf hin besuchte ich die Familie auf ihrem Wochenendgr<strong>und</strong>stück<br />
außerhalb der Stadt zusammen mit meinem Kollegen.<br />
Nach einer herzlichen Begrüßung stellte ich mich vor <strong>und</strong> tranken im Garten der Familie<br />
eine Tasse Kaffee Ich erklärte mein Anliegen <strong>und</strong> ließ mir von den Eltern <strong>und</strong> von<br />
Christian die Einverständniserklärung unterschreiben.<br />
Da in diesem Fall die SPFH noch nicht ganz abgeschlossen ist, kann die Frage nach dem<br />
Beendigungsgr<strong>und</strong> nur in der Zeitform Future gestellt werden.<br />
4.2.1 Christian<br />
4.2.1.1 Kontaktaufnahme mit Christian<br />
Zum Interviewgespräch ging ich als erstes mit Christian ins Haus. Während alle anderen<br />
draußen blieben, waren wir ungestört <strong>und</strong> hatten eine ruhige Atmosphäre.<br />
Christian erklärte ich mein Anliegen noch einmal mit einfachen Worten <strong>und</strong> fragte ihn, ob<br />
er sich das zutraut auf mein Tonbandgerät zu sprechen. Er bejahte dies.<br />
Von meinen eigentlichen Interviewfragen musste ich bei Christian abweichen. Diese<br />
Veränderung wurde notwendig, um sicherzustellen, dass Christian die Fragen auch<br />
versteht.
4.2.1.2 Interview Christian<br />
Ursprungsfrage: Was war der Anlass der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
veränderte Fragen:<br />
Frage: Weißt du noch, warum ihr euch Hilfe gesucht habt?<br />
Christian: „Wegen meiner Austicker <strong>und</strong> Ausraster.“<br />
Frage: Wo hast du die bekommen?<br />
Christian: „In der Schule meistens.“<br />
Frage: Wie hast du dich dabei gefühlt, wenn du die Ausraster hattest?<br />
Christian: „Schiete. Wollte ich eigentlich gar nicht.“<br />
54<br />
Ursprungsfrage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
veränderte Fragen:<br />
Frage: Als Herr Y. bei euch war, was habt ihr so unternommen?<br />
Christian: „Zweimal sind wir Eis essen gegangen <strong>und</strong> die meiste Zeit waren wir im<br />
Jugendclub <strong>und</strong> haben dort Fußball gespielt an der Playstation.“<br />
Frage: Und über was habt ihr euch unterhalten?<br />
Christian: „Über Probleme aus der Schule.“<br />
Frage: Wie war das für dich?<br />
Christian: „Die Treffen fand ich cool.“<br />
Frage: Was machst du jetzt mit Herrn H.?<br />
Christian: „Eigentlich auch mal was unternehmen <strong>und</strong> erzählen auch über meine<br />
Probleme.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs. Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
veränderte Fragen:<br />
Frage: Was wurde in der Hilfe mit Herrn H. <strong>und</strong> vorher Herrn Y. anders?<br />
Christian: „Die Schule war besser <strong>und</strong> mein Verhalten war besser.“
55<br />
Frage: Wenn Du Punkte verteilen könntest, zwischen eins bis sechs. Wie viel Punkte hast<br />
Du als Ziel erreicht?<br />
Christian: „So fünf Punkte.“<br />
Ursprungsfrage: Wie war die Einstellung zu Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich<br />
Ihre Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
veränderte Fragen:<br />
Frage: Wie war denn das für Dich als jemand Fremdes zu dir kam <strong>und</strong> mit dir Sachen<br />
bespricht?<br />
Christian: „Komisch, weil den kannt ich noch nicht <strong>und</strong> das war komisch.“<br />
Frage: Und in der Mitte, als das so einige Zeit lief?<br />
Christian: „Da war es viel besser. Es hat mir geholfen.“<br />
Ursprungsfrage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
veränderte Fragen:<br />
Frage: Die Hilfe ist ja jetzt nun fast beendet. Wie findest du das?<br />
Christian: „Ich find das schade, dass die Hilfe jetzt beendet ist.“<br />
Frage: Wenn keine Hilfe mehr da ist, hast du da Hoffnungen oder Befürchtungen?<br />
Christian: „Ich hoffe, dass alles wieder besser wird, dass es so weiterläuft wie es jetzt ist.“<br />
4.2.2 Mutter von Christian<br />
4.2.2.1 Kontaktaufnahme mit der Mutter<br />
Ich bedankte mich bei Christian <strong>und</strong> holte mir die Mutter zum Interview. Sie zeigte mir ein<br />
Fotoalbum über den Erwerb <strong>und</strong> den Umbau dieses Wochenendbesitzes. Sie war sichtlich<br />
stolz darauf. Nachdem ich noch einmal darauf hinwies, dass mir in diesem Interview<br />
besonders die Gedanken, Überlegungen <strong>und</strong> Gefühle wichtig sind, begann das Interview.
4.2.2.2 Interview mit der Mutter<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
56<br />
Mutter: „Der Anlass war, dass es Schwierigkeiten in der Schule, Verhaltensauffälligkeiten<br />
von Christian, Aggressivität, die er in der Schule an den Tag gelegt hat, ähm, ja. Gründe<br />
dafür kannten wir nicht. Also es war unbegreiflich für uns, für die Lehrer. Obwohl ich jetzt<br />
der Meinung bin, die hätten wissen müssen, warum das so war. Denn zu Hause hat er es<br />
auch teilweise gehabt. Ich red’ mal so wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ja, zu Hause<br />
hat er sich auch ab <strong>und</strong> an gehabt. Äh, vor allem dann, wenn, äh, schnell die Situationen<br />
gewechselt sind. Auf der einen Seite war das <strong>und</strong> wir wollten das <strong>und</strong> das machen <strong>und</strong><br />
plötzlich war das nicht mehr so. War was anders. Und damit kam er meistens nicht klar,<br />
ne. Und in der Schule war es so Leistungs-, also Leistungsdruck. Der Leistungsdruck, das<br />
war ihm zu viel. Er war überfordert. Aber das rauszukriegen, hat ’ne Weile gedauert, ne,<br />
das war also… Er hat ne lange Schullaufbahn hinter sich. Die Situation in der Schule ist<br />
dann ganz einfach eskaliert, ist hoch gegangen, ist explodiert. Und zwar war das wieder so<br />
eine Situation, ähm, wie soll ich sagen. Also wie gesagt. Christian ist dann auf einmal<br />
plötzlich so hoch, ist explodiert, aggressiv. Ist teilweise auf die Lehrer losgegangen, kann<br />
man fast so sagen. Weil er das ja nicht durfte, oder wollte losgehen, weil er das ja nicht<br />
durfte, hat er sich selbst angegriffen, mit dem Zirkel die Pulsadern, mit dem Katermesser.<br />
Na jedenfalls hatten wir dann mit dem Schulpsychologen <strong>und</strong> mit den Lehrern. Wir haben<br />
abgemacht, dass wenn er sich so aufregt, dass er sich zurückziehen darf. Er darf einfach<br />
sich umdrehen <strong>und</strong> gehen. Im Unterricht kann er woanders hingehen, so dass er wieder<br />
runterkommt. Dann war wieder so’ ne Situation, ach ja. Auf Gr<strong>und</strong> seiner Epilepsie darf er<br />
ja nicht, keinen Kopfsprung machen in’ s Wasser. Und dann hat er Schwimmunterricht<br />
gehabt. Und, äh, die Schwimmlehrerin sagte dann, alle Kinder springen jetzt. Und<br />
Christian ist mit gesprungen. Und da hat sie hinterher gesagt: Christian du sollst doch nicht<br />
springen. Und da hat er gesagt, sie haben doch gesagt alle Kinder, ne. Und da hat sie<br />
gesagt, ja <strong>und</strong> trotzdem, <strong>und</strong> dann fing er an zu schimpfen, sie blöde Kuh, blöde Tussi. Soll<br />
er nicht. Ist klar, ne. Und dann ist er aus dem Wasser raus gekommen. Und dann hat die<br />
Schwimmlehrerin es noch mal versucht, ihm zu erklären, warum das so ist <strong>und</strong> so. Und<br />
darauf hat er sich dann nicht mehr eingelassen <strong>und</strong> merkte dann wohl, dass er wütend wird.<br />
Und ist dann in die Umkleidekabine gegangen <strong>und</strong> hat sich umgezogen. Hat also den Weg<br />
des Zurückziehens gesucht. Und dann ist die Erzieherin von ihm hinterher <strong>und</strong> hat ihn<br />
weiter beschimpft. Und hat gesagt, ich ruf’ jetzt deinen Papa an. Und dann hat er gesagt.
57<br />
Nein sie rufen meinen Papa nicht an. Papa ist krank. Weil er lag hier <strong>und</strong> hatte Fieber. So,<br />
<strong>und</strong> ich hatte das Auto an dem Tag. Und dann, ja <strong>und</strong> dann, hat Christian sich hingesetzt,<br />
da Stand noch so’ n Stuhl, ja bockig, geweint. So. Dann ging die Erzieherin an ihm vorbei<br />
<strong>und</strong> hat dann gesagt, so, <strong>und</strong> jetzt ruf ich deinen Papa doch an, so. Na jedenfalls ist<br />
Christian dann aufgesprungen. Er hatte eine leere PET-Flasche in der Hand <strong>und</strong> hat gesagt<br />
nein, du rufst meinen Papa nicht an. Und hat ihr so gegen den Arm gehauen. Anruf bei der<br />
Polizei, Amoklauf. Da sind die mit 4 großen Einsatzwagen in der Schule aufgetaucht. Ja<br />
<strong>und</strong> da haben die gesagt: der da? Und er saß ja da wieder. Es war ja nichts. So. Und dann<br />
sind die wieder abgezogen. Aber Frau G., die Erzieherin, musste ja noch eine Anzeige<br />
machen, wegen Körperverletzung. Das war ganz doll wichtig für sie. Ja, <strong>und</strong> dann hieß es<br />
Christian wäre verzogen. Wir würden ihm nicht gerecht werden <strong>und</strong>, äh, wir verwöhnen<br />
ihn zu sehr. Kann sein, dass er verwöhnt ist. Er ist ja nun mal mein einziges Kind. Aber<br />
verzogen ist er ganz bestimmt nicht, ne. Ja <strong>und</strong>, hm, <strong>und</strong> dann schalten wir das Jugendamt<br />
ein <strong>und</strong> so. Und dann haben wir uns überlegt, bevor die das machen <strong>und</strong> hier irgendwas<br />
schief läuft, machen wir. Und dann hat er ja Schulverbot gehabt. Dann ging das erst zum<br />
Schulrat. Der Schulrat hat gesagt, dass das so ist, dass er Schulverbot bekommen darf. Für<br />
3 Monate wenn so gravierende Dinge passieren. Dann darf das Schulverbot angewandt<br />
werden. Danach sind wir zum Jugendamt <strong>und</strong> haben Hilfe zur Erziehung beantragt. Erst<br />
hatte ich ein bisschen Angst davor. Aber, äh, unsere Nachbarn hier, die Schwiegertochter<br />
arbeitet in Berlin im Jugendamt. Die hat mir auseinandergesetzt, was Hilfe zur Erziehung<br />
eigentlich ist. Von daher war ich dann beruhigt, hatte dann auch Hoffnung. Dass wir auch<br />
mit unseren Problemen, die wir durch die Schule hatten, nicht mehr alleine dastehen. Dann<br />
haben wir dass gemacht <strong>und</strong> dann nahm alles so seine Wege, ne.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Mutter: „Also, zum Anfang kam ja Herr Y. in die Hilfe. Der Kontakt kam ja zustande<br />
durch das Jugendamt. Und die haben dann den Herrn Y. für uns eingesetzt. Und kennen<br />
gelernt haben wir uns das erste Mal, beim ersten r<strong>und</strong>en Tisch. Und zwar saßen da Herr<br />
W., Frau R., dann wir <strong>und</strong> die Direktorin der Schule <strong>und</strong> Herr Y. Na jedenfalls <strong>und</strong> dann,<br />
ähm, hat Herr Y. sich die Sache angehört. Und wir haben also mehr oder weniger Frau R.<br />
für uns reden lassen, ne. Und was schlimm war für uns, also die Direktorin der Körperbehindertenschule,<br />
die hat gesagt: Ja sie müssen sich mal vorstellen, bei uns sterben jedes<br />
Jahr zwei bis drei Kinder an ihren Erkrankungen, ne <strong>und</strong> die Schüler müssen wir in Schutz<br />
nehmen. Da wollte ich schon sagen, was kann Christian dafür? Uns wurde auferlegt, ’ne
58<br />
Diagnose zu erstellen, warum ist das so bei ihm, warum regt er sich ständig auf, warum ist<br />
er so aggressiv? Wir sollten ihn in Schwerin in die Klinik stecken. Das wollten wir nicht.<br />
Das haben wir abgelehnt. Wir haben von der Schwiegermutter, die Lehrerin ist, gehört,<br />
bloß nicht dahin. Und dann kamen wir auf das Kinder- <strong>und</strong> Jugendzentrum in Pelzerhagen,<br />
äh, sozialpädiatrische Fachklinik. Und dann hatten wir da einen Termin. Wir brauchten<br />
eine Überweisung für das Krankenhaus von der Kinderärztin. Wir haben dann einen<br />
Antrag gestellt auf Diagnostik. Ja. Im Oktober haben wir das gestellt <strong>und</strong> im Januar sind<br />
wir dann rangekommen.<br />
In der Zusammenarbeit mit Herrn Y. haben wir uns verstanden gefühlt. Als er Christian<br />
kennen gelernt hat, hat er gesagt, er glaubt nicht, dass das allein Christians Schuld ist, dass<br />
die Situation so eskaliert ist. Dass er ein netter, wohlerzogener Junge ist. Der irgendwo<br />
Probleme hat, aber nicht weiß, wie er die lösen soll. Herr Y. hatte immer ein offenes Ohr<br />
für uns. Wir konnten, wenn’ s wieder Probleme gab, jederzeit anrufen <strong>und</strong> uns auch<br />
Ratschläge holen. Manchmal reicht das ja. Oder auch an Problemen, die man selber auch<br />
an sich hat. Man zweifelt ja auch an sich selbst, wenn ganz viel schief läuft mit dem Kind.<br />
Wir zumindest. Oder ich zumindest. Ich hab immer gesagt, was machst du falsch. Aber es<br />
lag nicht an mir. Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt hab ich als positiv empf<strong>und</strong>en.<br />
Ich hatte erst etwas Angst davor. Aber Frau R. hat für uns auch sofort ein offenes Ohr<br />
gehabt. Das war so’ n Brückentag zwischen Feiertag <strong>und</strong> Wochenende. Hoffentlich ist<br />
überhaupt jemand da. Und hat überhaupt jetzt jemand Zeit, ne, für dich. Oh, ne. Und sie<br />
war ja da. Und man hat dann auch alles aufgenommen. Hat sich das alles aufgeschrieben<br />
<strong>und</strong> dann ging das los.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Mutter: „Vereinbartes Ziel. Ich bin der Meinung, wir haben das Ziel noch nicht ganz<br />
erreicht. Auch wenn es super läuft, im Moment alles toll ist, nach außen, hm aussieht…. So<br />
mitten drinnen hab ich noch das Gefühl, wir sind noch nicht ganz da, wo wir hin sollten.<br />
Also es ist immer noch so, dass wir noch ein bisschen Hilfe gebrauchen könnten. Vor allen<br />
Dingen das offene Ohr. Vor allem, weil ja jetzt die Pubertät. Jetzt kommst du immer mal<br />
wieder an Grenzsituationen. Hängt das jetzt mit der Situation zusammen oder ist es jetzt
59<br />
einfach nur die Pubertät, die dahinter steckt. Es ist halt so. Und das Loslassen. Es<br />
akzeptieren, dass es so ist wie es ist.<br />
Der Wechsel zwischen dem Helfer war erst mit großer Skepsis behaftet. So. Aber mittlerweile.<br />
Es hat keinen großen Einbruch gegeben. Auch mit Christian nicht, obwohl ich das ja<br />
erst befürchtet hatte. Bei der Skala würde ich eine 5 geben.“<br />
Frage: Wie war die Einstellung zu Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihre Einstellung geändert?<br />
Mutter: „Na wie ich schon sagte. Also zu Anfang hatte ich ein bisschen Angst davor.<br />
Aber ich habe gehofft, dass ich Hilfe erfahre. Ja, vor allem auch mit der Gewissheit, dass<br />
mit unserer Erziehung nichts falsch läuft. Der Helfer steht außen vor, er ist nicht<br />
emotionsgeb<strong>und</strong>en. Es wird alles ein bisschen klarer. Er kann mir sagen, mach dass mal<br />
lieber so, oder so, <strong>und</strong> dann geht ihr mal weg <strong>und</strong> kann zu Christian auch mal sagen, pass<br />
mal auf was du da machst geht nicht. Weil er darauf hört <strong>und</strong> er darüber nachdenkt, was<br />
Herr H. oder Herr Y. gesagt haben, als die Eltern. Er ist jemand, der nicht zu Familie<br />
gehört.“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Mutter: „Ich bin ein bisschen traurig, dass das nachher zu Ende geht. Ich hoffe dass es<br />
trotzdem gut weiter läuft auch mit Christian.“<br />
4.2.3 Vater von Christian<br />
4.2.3.1 Kontaktaufnahme mit dem Vater<br />
Nachdem ich mich auch bei der Mutter für das Interview bedankte, kam der Vater zu mir.<br />
Ich erklärte ihm noch einmal, dass es mir vor allem in diesem Interview auf die subjektive<br />
Sichtweise ankommt <strong>und</strong> er von seinen Gedanken, Überlegungen <strong>und</strong> Gefühlen sprechen<br />
soll.
4.2.3.2 Interview mit dem Vater<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
60<br />
Vater: „Ist lange her, weiß nicht mehr. Na wegen Christian. Das ging, wir kamen nicht<br />
mehr klar damit was in der Schule passiert ist <strong>und</strong> auch zu Hause. Und da haben wir<br />
gesagt, erst wollten wir auch gar nicht, dass wir zum Jugendamt hingehen. Aber dann<br />
haben wir gedacht, bevor andere hingehen <strong>und</strong> sagen wir können es nicht, sind wir<br />
hingegangen. Da haben wir uns dann Hilfe geholt.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Vater: „Zum Helfer, dass war ja Herr Y., also das war gut. Wir konnten ihn zu jeder Zeit<br />
anrufen. Er war immer da, auch Herr H., auch immer da gewesen. Eigentlich ’ne gute<br />
Zusammenarbeit mit ihm. Er hat uns gesagt, wie wir es machen sollen, wenn wir alleine<br />
sind. Und wenn wir doch nicht klar kommen, können wir ihn anrufen. Mein Gefühl war<br />
dabei, dass ich mir keine Vorwürfe mache, dass ich was falsch mache. Also das Gefühl<br />
war gut. Der Herr Y. war ja auch so wie ein Fre<strong>und</strong>. Herr H. jetzt auch. Wie ein guter<br />
Fre<strong>und</strong>. Und wenn wir doch Probleme hatten, jetzt mit Krischi, konnten wir anrufen, dann<br />
kamen sie <strong>und</strong> haben dann das geregelt. Und wir brauchten uns da nicht rein zustecken.<br />
Nicht dass wir jetzt sagen jetzt, dass geht uns nichts an, wir haben nur dabeigestanden <strong>und</strong><br />
haben gedacht, ja dass wussten wir. Weil, uns hat er dann nicht mehr wahrgenommen. So<br />
fand ich das immer, ne.<br />
Die Frau R. die ist gut, die ist nett, kann das verstehen was wir haben <strong>und</strong> so. Doch. Nicht<br />
das was sie im Fernsehen gebracht haben. Jugendamt ist scheiße, also Jugendamt ist gut.<br />
Also nach meiner Sicht. Also nach meiner Sicht ist das Jugendamt da <strong>und</strong> die machen auch<br />
was. Also in meiner Hilfe haben die mir geholfen.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Vater: „Ich weiß nicht, ob wir genau schon am Ende sind, oder noch so in der Hälfte<br />
drinnen sind. Natürlich ist es besser geworden, so mit Christian. Auf der Skala sagen wir<br />
die Drei, in der Mitte. Schule ist ideal erfüllt. Gut, da hat das Jugendamt versucht, noch
61<br />
mitzuhelfen. Wir haben selber die Initiative genommen, <strong>und</strong> die andere Schule hat dann<br />
noch ein bisschen geholfen.<br />
Offen ist noch seine Umgangsart, dass ist noch nicht so wie ich das gerne möchte. Ich habe<br />
Angst, dass er im Leben nicht weiter kommt. Solche Angst hab ich, dass er, er nimmt das<br />
so auf die leichte Schulter. Das Leben aber ist hart. So, <strong>und</strong> er muss das auswiegen können.<br />
Das kann er noch nicht, ne. Da braucht er noch Hilfe. Das er im Leben klarkommt. Dann<br />
fängt er an zu stottern <strong>und</strong> die anderen verstehen das denn falsch.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihrer Einstellung geändert?<br />
Vater: „Anfangs beschissen. Ich geh nicht zum Jugendamt. Angst gehabt. Ne das mach’<br />
ich nicht. Und weil wir dann ja nicht mehr wussten, was vorne <strong>und</strong> was hinten war, weil<br />
Schule <strong>und</strong> zu Hause, ne, sind wir zum Jugendamt hingegangen. Erst ein ganz scheiß<br />
Gefühl gehabt wo wir den Termin gehabt haben. Was sagen die uns jetzt? Sind wir die<br />
Beschissenen? Können wir kein Kind erziehen? Also wo wir drinnen waren <strong>und</strong> dann Frau<br />
R., die hat gesagt, alles tutipaletti. Die hat uns die Angst genommen. Also das find ich ja<br />
gut dabei. Wenn was ist oder so, Jugendamt hilft. In der Mitte war das auch super. Wir<br />
brauchten ja nur anzurufen oder so. Zu sagen, was für Probleme wir haben, die haben uns<br />
verstanden.“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Vater: „Schade, dass es bald zu Ende ist. Das ist dann Mist. Aber da hätte ich länger, aber<br />
die zahlen ja nichts. Ich sage mal, der Vater Staat zahlt ja nichts. Ich hätte mir gewünscht,<br />
dass es vielleicht doch ein bisschen länger geht. Wo er auch, <strong>und</strong> sagen wir auch, hingehen<br />
können <strong>und</strong> sagen, können sie uns dabei helfen wir haben ein Problem. Auch wenn da<br />
nichts mehr ist. Und wenn er nicht mehr täglich hingeht, aber einmal in der Woche, wenn<br />
sie sich treffen, oder mal kommt. Hallo hier bin ich, alles klar oder mal anruft, das würde<br />
ich mit wünschen.“
4.2.4 Familienhelfer Herr Y.<br />
62<br />
4.2.4.1 Kontaktaufnahme mit Herrn Y.<br />
Da Herr Y. seit dem 01.01.2008 nicht mehr als Familienhelfer arbeitet, sondern eine Stelle<br />
bei der Jugendgerichtshilfe angetreten hat, besuchte ich ihn nach einer telefonischen<br />
Terminvereinbarung in seinem Büro. Herr Y. hat die Familie bis dahin begleitet <strong>und</strong> ist für<br />
mich am aussagekräftigsten, weil er die konfliktreiche Zeit mit dieser Familie erlebt hat.<br />
Demzufolge werde ich den Nachfolger Herrn H. nicht interviewen, da er die Ablösephase<br />
begleitet.<br />
Nach einem kurzen allgemeinen Gespräch, erklärte ich Herrn Y. mein Anliegen, lies mir<br />
die Einverständniserklärung unterschreiben <strong>und</strong> betonte noch mal, dass mir bei diesem<br />
Interview besonders die Gedanken, Überlegungen <strong>und</strong> Gefühle besonders wichtig sind.<br />
4.2.4.2 Interview mit Herrn Y.<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Herr Y.: „Anlass für die Hilfe war, dass sich die Schule, die damalige Schule von<br />
Christian, der ging ja auf die Körperbehindertenschule in Lankow, ähm, dass die Schule<br />
sich an’ s Jugendamt gewandt hat <strong>und</strong> zwar die Direktorin persönlich, hat sich an’ s<br />
Jugendamt gewandt. Und hat gesagt, Christian ist sehr verhaltensauffällig, er einen<br />
Ausraster hatte, die Lehrerin angegriffen hat <strong>und</strong>, ähm, jetzt von der Schule suspendiert ist.<br />
Zurzeit <strong>und</strong>, äh, sie haben den Eltern geraten, sie sollen sich mit dem Jugendamt in<br />
Verbindung setzen <strong>und</strong> sich Hilfe holen. Das haben die Eltern auch getan. Es gab ein erstes<br />
Gespräch, da Frau Q. dabei, Herr W., die Direktorin, die beiden Eltern <strong>und</strong> ich. Und da<br />
kam raus, dass es diesen Vorfall in der Schule gab, dass er die Lehrerin angegriffen hat, in<br />
Anführungsstrichen. Es stellte sich nachher raus, dass Christian sie mit 'ner leeren PET-<br />
Flasche, mit der Pfandflasche sie auf den Arm gehauen hat, weil sie ihn angefasst hat,<br />
festhalten wollte. Und das kann er gar nicht gut ertragen. Und dann hat er mit dieser<br />
Flasche geschlagen, hat sie aber nicht wirklich verletzt. Und hat sich dann aber krankschreiben<br />
lassen <strong>und</strong> hat dann eine Anzeige gemacht wegen Körperverletzung. Die Eltern<br />
haben dann eine Gegenanzeige <strong>und</strong> allen Kram gemacht. Jedenfalls, ähm, hat Herr W. oder<br />
damals Frau Q. noch ’ne, ähm, Hilfe verfügt. ’Ne Hilfe verfügt, um das aufzuklären <strong>und</strong>,
63<br />
äh, ne Lösung herbeizuführen. Also im Endeffekt ging es darum, ähm, die Eltern zu<br />
begleiten, in diesem Streit, in Anführungsstrichen, mit der Schule. Weil die Direktorin<br />
gesagt hat, sie will ihn da nicht mehr beschulen. Weil die Lehrerin sich weigert, ihn<br />
weiterhin zu unterrichten <strong>und</strong>, äh, aus ihrer Sicht nur in Frage kommt, dass Christian die<br />
Schule verlässt. Das wollten die Eltern aber nicht. Und dann war sozusagen ein Ziel<br />
damals, ähm, ja ’ne Klärung herbeizuschaffen. Also ein bisschen auch Vermittlung<br />
zwischen Schule <strong>und</strong> den Eltern. Es gab dann Anzeigen <strong>und</strong> Beschwerden an das Schulamt<br />
von Seiten der Eltern. Die Lehrerin hat in Elternversammlungen gegen die Familie gehetzt.<br />
Jedenfalls war dann die Diagnostik in Pelzerhagen. Ähm, wo, äh, festgestellt wurde, dass<br />
er schon, äh, ’ne Intelligenzminderung hat. Dass er schon Agressionsschübe hat, hin <strong>und</strong><br />
wieder, aber immer nur, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt, <strong>und</strong> immer wenn er sich<br />
selber hilflos erlebt. Und, ähm, er kam dann wieder. Er war sozusagen ’ne Weile vom<br />
Unterricht suspendiert. Ist dann in eine andere Klasse, die er eigentlich zwei Klassen höher<br />
ist als in der er vorher war. In die eigentlich auch gehören würde. Ist dann quasi einzeln<br />
beschult worden, äh, hat immer Extraaufgaben gekriegt usw. <strong>und</strong> war da sehr unglücklich,<br />
weil da er keinen kannte. Und weil er gemerkt hat, dass die in seiner jetzigen Klasse viele<br />
weiter sind im Stoff, ähm. Er das alles im Stoff nicht versteht <strong>und</strong> immer Extraaufgaben<br />
kriegt. Und, ähm, dass eskalierte dann später noch mal, nach dem Christian noch mal so’<br />
nen Ausraster gekriegt hat. Weil es zum Streit kam mit 'nem anderen Kind, auf dem Flur in<br />
der Pause <strong>und</strong> er wieder der gewesen sein soll, der angefangen hat. Aus seiner Sicht stellte<br />
sich das anders dar. Er hätte wieder so ’nen Ausraster <strong>und</strong> musste um sich treten, <strong>und</strong>, ähm,<br />
wurde dann wieder suspendiert. Und es kam zu Anfeindungen von Eltern gegenüber den<br />
Eltern von Christian. Also wo ’ne Mutter, äh, zwei Mütter zu ihr in den Laden kamen, die<br />
arbeitet im Schlecker. Da kamen zwei Mütter zu ihr in den Laden mittags, vor versammelter<br />
K<strong>und</strong>schaft, wurde sie da zusammengeschissen, wegen ihrem scheiß Sohn, äh,<br />
macht jetzt Frau M. oder weiß ich wie die Lehrerin da hieß, äh, will die nicht mehr unsere<br />
Klasse unterrichten. Und daraufhin hab ich mit den Eltern gesprochen, ob es nicht sinnvoll<br />
wäre, doch über einen Schulwechsel nachzudenken. Weil an der Schule, wird Christian<br />
nicht mehr froh. Und, ähm, wir haben dann versucht, mit der „Weinbergschule“ Kontakt<br />
aufzunehmen. Und dann gab’s dann ein Gespräch mit der Schulleiterin. Und die hat dann<br />
gesagt, dass er nicht zum Klientel dieser Schule gehört, weil er einfach zu schlau ist für<br />
diese Schule <strong>und</strong> nicht den Behinderungsgrad hat, den er haben müsste, um dort beschult<br />
zu werden. Äh, daraufhin haben wir dann Kontakt mit der „Schweizer“ Schule aufgenommen.<br />
Ähm, <strong>und</strong> hatten auf einmal von der Schulleiterin der Körperbehindertenschule, äh,
64<br />
ganz viel Unterstützung. Weil die wohl die Direktorin der „Schweizer“ Schule ganz gut<br />
kennt, auch privat. Und innerhalb von drei Tagen war klar, dass Christian auf die<br />
„Schweizer“ Schule geht. Unser Eindruck war damals, also der Eindruck der Eltern <strong>und</strong><br />
auch meiner, die waren froh, dass sie den los waren <strong>und</strong> die Direktorin der „Körperbehindertenschule“,<br />
dass das Problem aus der Welt war <strong>und</strong> alles war gut.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Herr Y.: „Also damals als die Hilfe anfing, hat Herr W. mich ja eingeladen zum Fachteam<br />
<strong>und</strong> dann nachher zum Hilfeplangespräch. Die Zusammenarbeit war, äh, sehr gut. Also ich<br />
hatte so den Eindruck, er sofort erfasst hatte worum es geht. Die wollten den Jungen<br />
loswerden, <strong>und</strong> da macht die Schule keinen Hehl draus. Wir waren uns im Endeffekt sofort<br />
einig, auch mit den Eltern, den Jungen von der Schule zu nehmen <strong>und</strong> ihn woanders unterzubringen.<br />
Ähm, die Zusammenarbeit mit den Eltern war sehr positiv. Also ich hab selten Eltern<br />
erlebt, die so engagiert sind für ihr Kind. Die so Mitwirkungsbereit sind <strong>und</strong> die so bereitwillig<br />
Vorschläge <strong>und</strong> Ratschläge annehmen <strong>und</strong> versuchen umzusetzen. Die waren<br />
dankbar über jeden Hinweis, über jeden Tipp <strong>und</strong>, ähm, froh, dass sie endlich mal mit<br />
jemandem darüber reden können. Natürlich gab es im Endeffekt auch zu Hause Punkte, die<br />
nicht immer so funktioniert hatten. Es lag in erster Linie daran, dass sie ihren eigenen Sohn<br />
nicht wie ihr Kind behandelt haben, sondern eher wie einen Kumpel. Also das war nicht so<br />
’ne Eltern- Kind-Beziehung, sondern eine so auf Kumpelebene, ne. Und das weicht<br />
natürlich auch viele Grenzsetzungsprozesse auf. Und, äh, da kommt es natürlich auch<br />
automatisch zu Schwierigkeiten, wenn das Kind das Gefühl hat, es steht mit den Eltern so<br />
auf einer Ebene <strong>und</strong> so das Gefühl hat, da muss ich mich ja jetzt nicht an Ausgehzeiten<br />
oder so was halten. Und, ähm, dass ist das, was in den Gutachten von der Klinik auch<br />
drinsteht. Das haben die da auch schon festgestellt gehabt. Und, ähm, dahingehend haben<br />
wir nachher so die Zielsetzung des Hilfeplan’ s so’ n bisschen verändert, dass wir gesagt<br />
haben, wir müssen gucken, dass sie ihre Erziehungskompetenz auch wieder erlangen. Also<br />
nicht so Kumpelbasis, wo man Sachen aushandeln kann, sondern auch mal klipp <strong>und</strong> klar<br />
sagt, so läuft’ s <strong>und</strong> so nicht. Ähm, <strong>und</strong> da waren sie auch sehr mitwirkungsbereit <strong>und</strong><br />
haben das dankend angenommen als sie gemerkt haben, dass es etwas bringt. Also dann<br />
mal auch einfach mal ’ne klare Ansage zu machen <strong>und</strong> die dann auch durchsetzen muss.<br />
Und wenn man Sanktionen ankündigt, die dann auch durchsetzen muss, haben sie gemerkt<br />
dass er damit viel besser umgehen kann, als mit diesem Wischiwaschi, äh, Aushandlungs-
65<br />
geschichten, so. Mein Gefühl war dabei sehr positiv, weil das eben anders war als man das<br />
sonst erlebt. Man fühlt sich bestätigt.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Herr Y.: „Ja auf jeden Fall. Also solange wie ich in der Familie drin war, ähm, also mein<br />
ordinärer Auftrag war ja, die Schulsituation zu klären <strong>und</strong> so weiter. Ähm, das hat sich ja<br />
dann durch die Umschulung auf die „Schweizer“ Schule, wo es am Anfang natürlich auch<br />
ein paar Schwierigkeiten gab, ganz klar. Er kommt in eine neue Klasse. Kennt da keinen.<br />
Muss sich erst eingewöhnen, ähm, Kinder sind ja denn auch fies gegenüber Neuen. Äh,<br />
aber nach so 'ner Phase, nach einem viertel Jahr, lief das denn w<strong>und</strong>erbar. Er fühlt sich<br />
jetzt sauwohl da. Die, äh, Klassenlehrerin war total zufrieden mit ihm. Also es war nachher<br />
auch erstaunlich wie schnell er sich da, denn am Anfang hatte er so Phasen wo er denn<br />
weggelaufen ist. Ähm, wenn ihn jemand geärgert hat ist er raus <strong>und</strong> hat geweint <strong>und</strong> hat<br />
sich irgendwo versteckt <strong>und</strong> ist dann irgendwie eine halbe St<strong>und</strong>e später wieder rein<br />
gekommen. Ihm klar zu machen, dass das nicht geht, das war so’ n Prozess, dass er sich<br />
innerhalb der Schule sich dann einen Raum suchen kann, wo er sich dann zurückziehen<br />
kann. Das ist im Prinzip genau die Schule, die für ihn das Richtige ist. Auf der Skala zur<br />
Zielerreichung würde ich eine Sechs geben.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich ihre Einstellung geändert?<br />
Herr Y. „Am Anfang war es so, dass ich gedacht hab, ach du Scheiße, was wird das jetzt.<br />
Weil es für mich am Anfang so aussah, dass ist so’ ne verfahrene Kiste, so’ ne verzwickte<br />
Situation ist, ’ne resolute Schulleiterin, die auf ihrem Standpunkt beharrt, äh. Auf der<br />
anderen Seite ein Elternpaar, dass wirklich wie die Löwen für ihr Kind kämpft. Zwei<br />
Gegenpole, die sehr, die sehr starrsinnig sind, sag ich jetzt mal. Wo es nicht möglich ist,<br />
von ihrem Standpunkt abzuweichen. Die Direktorin wollte, dass er die Schule verlässt. Die<br />
Eltern wollten, dass er auf der Schule bleibt. Und da jetzt sozusagen als Vermittler, sag ich<br />
mal jetzt, rein zu gehen, kannst du dir nur ne blutige Nase holen. Und, ähm, als ich dann<br />
gemerkt hab, dass, ähm, in dem Ganzen, in diesem ganzen Wirrwarr keiner daran gedacht
66<br />
hat, wie es Christian dabei geht. Also dass die Eltern auch auf ihre Art nur ihren, ihren<br />
Willen <strong>und</strong> ihr Recht durchsetzen wollten <strong>und</strong> die Schulleiterin genau das Gleiche. Und ich<br />
dann gesagt hab, wir müssen jetzt auch mal daran denken, wie es Christian geht. Und der<br />
fühlte sich total unwohl. Das er nicht in seiner Klasse unterrichtet wurde, dass er in eine<br />
andere Klasse musste, wo er sich überhaupt nicht wohl fühlte, ähm, das er, äh. Ja auch man<br />
merkte, er war zu Hause nicht glücklich. Er ist ein Einzelkind. Ähm, er muss sich ganz viel<br />
selbst beschäftigen. Er hat ’ne leichte Intelligenzminderung muss man dazu sagen, ähm.<br />
Vater hat nur Nachtschicht gearbeitet. Er hat den Vater kaum erlebt. Ähm, der ist morgens<br />
von der Arbeit gekommen, hat sich hingelegt <strong>und</strong> nachmittags ist er dann aufgestanden,<br />
wenn Christian von der Schule kam. Dann hatten sie zwei bis drei St<strong>und</strong>en hintereinander<br />
<strong>und</strong> dann musste er wieder zur Arbeit. Das war, äh, es war nicht einfach. Die einzige, die<br />
sich mal tagsüber drum kümmern konnte, war die Mutter. Wobei der Vater auch, äh, <strong>und</strong><br />
da dacht ich so am Anfang, na das kann ja was werden. Und als ich dann aber gemerkt hab,<br />
dass die Eltern so dankbar die Hilfe annehmen, ne, bereit sind auch an sich selbst zu<br />
arbeiten. Also die waren zum Beispiel, die wären bereit gewesen um den Sohn ’ne andere<br />
Schule zu suchen, umzuziehen nach Winsen beispielsweise. Da hatten die Verwandtschaft<br />
oder Bekanntschaft. Der Vater hät’ sofort 'ne Arbeit gehabt, die Mutter hätte Arbeit gehabt<br />
nur weil sie dort über das Internet recherchiert haben, dass es dort ’ne Schule gibt, die<br />
sozusagen genau richtig wäre. Die würden für ihn alles tun. Und als ich das festgestellt<br />
hab, da dacht ich, das könnt was werden. Und auf einmal platzte denn so dieser Knoten, als<br />
die, als die Schulleiterin der „Körperbehindertenschule“ auf einmal, äh, so hilfreich dabei<br />
war, uns zu helfen, ihn in die „Schweizer“ Schule zu kriegen. Und als das denn passiert<br />
war, da war das im Prinzip, da hätte man sagen können, OK. Jetzt machen wir noch ein<br />
Vierteljahr Nachbetreuung <strong>und</strong> dann können wir das Ganze hier beenden. Christian hat<br />
dann aber nein, ich will noch, <strong>und</strong> die Eltern auch. Ja, wir brauchen noch das Gespräch<br />
<strong>und</strong>, äh. Das war so. Die hatten sich einfach dran gewöhnt, dass da immer einmal in der<br />
Woche jemand kommt, mit dem man über seine Sachen reden kann, auch über Kleinigkeiten,<br />
die so im Alltag passieren, wo es Schwierigkeiten gibt, ich sag mal kleinere<br />
Schwierigkeiten. Das einfach jemand da ist mit dem man über so’ ne Sachen reden kann.<br />
Was den Fre<strong>und</strong>eskreis angeht, waren die auch eher isoliert. Die hatten niemanden, mit<br />
dem sie darüber reden konnten. Die Großeltern sind, die wohnen weit weg, ähm, so dass<br />
sie auch niemanden hatten, wo man mal hingeht. Also da mal ein Wochenende oder da mal<br />
zu Oma.“
67<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Herr Y.: „Eigentlich hätte man die Hilfe nach dem Vierteljahr Schulwechsel beenden<br />
können. Die Eltern kommen gut klar. Es gab nicht mehr diesen Konfliktherd. Die<br />
Direktorin <strong>und</strong> die schreckliche Klassenlehrerin, dass ist weggefallen. Und eigentlich<br />
kommen die super klar mit dem Kind. Er ist eigentlich ein total lieber Bengel, ein kleines<br />
bisschen begriffsstutzig. Hat so’ n bisschen Schwierigkeiten sich zu artikulieren, weil er<br />
so’ n bisschen stottert. Er ist ein ganz Lieber. Wenn du ihm sagst, mach mal da, macht er<br />
das. Wir hatten ihn ja auch mit auf der Insel zum Beispiel. Wir hatten ihn mit in Groß<br />
Trebbow. Das lief alles w<strong>und</strong>erbar, bis auf seine Weinkrämpfe, die er dann kriegt. Aber<br />
das hat einfach mit seinem Gemüt zu tun, das sich mit dem Alter geben wird.“<br />
4.2.5 Jugendamt Frau R.<br />
4.2.5.1 Kontaktaufnahme mit Fr. J.<br />
Frau R. war nicht sehr begeistert, dass ich sie über einen Fall interviewen möchte <strong>und</strong><br />
zeigte sich etwas unsicher <strong>und</strong> verlegen. Auch sie sagte mir, dass sie den Fall übernommen<br />
hat <strong>und</strong> zum Anfang nur wenig sagen könnte, aber sie würde es versuchen. Ich besuchte sie<br />
im Schweriner Jugendamt <strong>und</strong> wir suchten uns einen Raum. Dann ließ ich mir von ihr die<br />
Einverständniserklärung unterschreiben. Frau R. hatte die Akte dabei <strong>und</strong> konnte so<br />
wichtige Punkte wiedergeben, da gerade zum Anfang der <strong>Familienhilfe</strong> eine konflikthafte<br />
Situation mit der Schule auftrat.<br />
4.2.5.2 Interview mit Frau R.<br />
Frage: Was war der Anlass für die <strong>Sozialpädagogische</strong> <strong>Familienhilfe</strong>?<br />
Frau R.: „Anlass der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> war ein Wechsel der Hilfe, dass<br />
heißt eingestiegen sind wir in dieser Hilfe im Oktober 2006 mit einem Erziehungsbeistand<br />
mit dem Hintergr<strong>und</strong>, dass, äh, viele Themen, die den Jungen betrafen, äh, es eine<br />
Diagnostik noch ausstand <strong>und</strong>, äh, vielschichtige Probleme gab es dahin, dass die Schule,<br />
äh, die Beschulung auch so`n Stückchen untersagte. Dadurch dass der Junge den ganzen
68<br />
Klassenverband dort aufmischte. Dass heißt, der Wechsel fand dann im Sommer 2007 statt<br />
<strong>und</strong> zwar mit einem Schulwechsel, der dann vollzogen wurde zu den Sommerferien. Und<br />
mit dem Schulewechsel begann dann auch die sozialpädagogische <strong>Familienhilfe</strong>. Dass<br />
heißt Themen, die dann im Mittelpunkt standen, betrafen die ganze Familie. Mit dem<br />
Schulwechsel gab es eine deutliche Entlastung in der Familie <strong>und</strong>, äh, die Familie konnte<br />
dadurch mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Der Schulwechsel wurde begleitet. Das<br />
Ankommen dort in der Schule wurde begleitet <strong>und</strong>, äh,…ja. Themen, die den Jungen<br />
betrafen im Zusammenleben mit seiner Familie wie Grenzsetzung, Aushalten aber auch<br />
Loslassen sind Themen gewesen.“<br />
Frage: Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?<br />
Frau R.: „Äh, die Familie selbst hatte also Rat gesucht <strong>und</strong> hat die Hilfe auch, äh, für sich<br />
in Anspruch genommen. Sie sind von sich aus gekommen. Konnten somit insgesamt die<br />
Hilfe gut annehmen. Ob nun die zuerst verfügte Hilfe, den Erziehungsbeistand <strong>und</strong> dann<br />
auch im Nachhinein die sozialpädagogische <strong>Familienhilfe</strong>. Es gab innerhalb des Jugendamtes<br />
einen Wechsel des Mitarbeiters. Das hat die Familie gut angenommen, aber auch<br />
innerhalb des Helfersystems kam es zu einem Wechsel, äh, was inhaltlich nicht, äh,<br />
schadete. Also die Familie konnte auch das gut aushalten. Und auch der Junge konnte den<br />
Helferwechsel gut annehmen. Äh, die Familie ist kooperationsbereit, hat also alle Termine<br />
eingehalten, die Vereinbarungen, die getroffen worden sind oder die Zielvereinbarung des<br />
Hilfeplanes gut umsetzen. Sie haben sich dort aktiv mit eingebracht in der Zielsetzung <strong>und</strong><br />
konnten, äh, Vorschläge gut annehmen. Die Hilfe, die unterbreitet wurde in der Vergangenheit,<br />
die waren immer daran interessiert, dass das Ganze auch zielführend <strong>und</strong><br />
zielorientiert ist, ne. Beide Helfer wurden gut angenommen von der Familie, als auch aus<br />
meiner Sicht gut angenommen, äh, <strong>und</strong>, ja.“<br />
Frage: Bitte geben Sie auch der Zielerreichung eine Punktzahl von Eins bis Sechs! Die<br />
Eins steht für Misserfolg, die Sechs für völligen Erfolg. Hat die Hilfe aus Ihrer Sicht zum<br />
vereinbarten Ziel geführt?<br />
Frau R.: „Ja, äh, auf der einen Seite ist es auf Gr<strong>und</strong> dieses Schulwechsels <strong>und</strong> auch der<br />
durchgeführten Diagnostik, äh, zu einer erheblichen Entlastung in der Familie gekommen.<br />
Also auch das Gefühl für den Jungen, äh, wieder in die Schule gehen zu dürfen ohne dass<br />
es Stress im Hintergr<strong>und</strong> gibt, ohne dass stets <strong>und</strong> ständig Telefonate nach Hause geführt
69<br />
wurden, durch die Lehrer, äh, dort auch willkommen zu sein in der Schule, äh, war also<br />
das Thema in der Hilfe <strong>und</strong> nicht nur immer mit der Schule überschattet sondern man<br />
konnte auch auf andere Themen gucken, die auch wichtig waren. Also Themen im<br />
Zusammenleben <strong>und</strong> mit den Auffälligkeiten des Jungen umzugehen, Grenzen auszutesten<br />
<strong>und</strong> auch durchzuhalten <strong>und</strong> auch so ein Stückchen auf Gr<strong>und</strong> des Alters, äh, auch<br />
loslassen zu können. Einstieg der Hilfe, wenn wir auf die Skala gucken: 1 denk ich mal.<br />
Völlig unklar wo die Perspektive hingeht, bis dahin, dass die Familie überlegt hat, aus<br />
Schwerin wegzuziehen, um eine geeignete Schulform für dieses Kind zu finden <strong>und</strong> an<br />
dem Punkt wo wir jetzt sind innerhalb der sozialpädagogischen <strong>Familienhilfe</strong>, äh, geht es<br />
eher darum, also auch eine Ablösung hinzubekommen, den Helfer aus diesem System<br />
wieder lösen zu können, äh, Punkt Fünf der Skala.“<br />
Frage: Wie war Ihre Einstellung zum Beginn <strong>und</strong> zum Ende der Hilfe? Wenn sich Ihre<br />
Einstellung geändert hat, wann <strong>und</strong> warum hat sich Ihrer Einstellung geändert?<br />
Frau R.: „Äh, Einstellung zu Beginn der Hilfe, kann ich nichts zu sagen, weil die Hilfe<br />
hab ich übernommen. Mein Einstieg ist die sozialpädagogische <strong>Familienhilfe</strong> gewesen im<br />
Sommer 2007, äh. Mit dem Schulwechsel mit einer erneuten Hilfeplanung <strong>und</strong> äh, ja.<br />
Insgesamt ist diese Hilfe positiv besetzt gewesen. Dadurch das, also, die Familie daran<br />
interessiert war, eine Veränderung hierbei zu führen, Angebote gut annehmen zu können,<br />
äh. Und es ging in dieser Hilfe nie darum, in irgendeiner Art <strong>und</strong> Weise intervenieren zu<br />
müssen seitens des Jugendamtes.“<br />
Frage: Warum <strong>und</strong> wie wurde die Hilfe beendet?<br />
Frau R.: „Die Hilfe ist noch nicht beendet. Der letzte Hilfeplan liegt 3 Wochen zurück, 2<br />
Wochen zurück, äh, wobei Thema in dem Hilfeplan ist so ein Stückchen, also die Stabilität<br />
die momentan vorhanden ist, weiter zu festigen <strong>und</strong> das was ich vorher schon sagte, eher<br />
das Helfersystem, also auch wieder zu lösen, äh. Wobei ich denke, dass die Familie so<br />
viele Ressourcen hat, dass sie mit Beendigung des Hilfeplanes, sprich in einem Zeitraum<br />
von einem halben Jahr gut <strong>und</strong> gerne wieder alleine klar kommen <strong>und</strong> sie Konflikte, die<br />
überall auftreten, denke ich auch positiv lösen können. Dass die soviel Potenzial mit dieser<br />
Hilfe sammeln konnten, dass die einfach Strategien entwickelt haben, damit umzugehen,<br />
äh, <strong>und</strong> den Jungen auch dabei gut begleiten können.“
5 Fallanalyse<br />
70<br />
Im Folgenden werden nun die einzelnen Perspektiven aus den einzelnen Fällen beschreiben.<br />
Die Interviews bezogen sich in den beiden Fällen nicht nur ausschließlich auf die<br />
SPFH, denn die Beteiligten brachten auch für sie angrenzende relevante Themen mit ein.<br />
In einer kurzen Nacherzählung, zusammen mit Aussagen der Betroffenen aus den<br />
Interviews, werden nun die einzelnen Perspektiven dargestellt. Dabei soll heraus gearbeitet<br />
werden, wie die einzelnen Gespräche verlaufen sind Bei der gekürzten Darstellung der<br />
einzelnen Interviews, werden von den Betroffenen Zitate verwendet. Die Füllwörter „äh“<br />
<strong>und</strong> „ähm“ wurden dabei nicht berücksichtigt.<br />
Begonnen wird mit meiner Wahrnehmung der jeweiligen Interviewsituation. Danach<br />
folgen die Kindperspektive, dann die Perspektive der Eltern <strong>und</strong> abschließend werden die<br />
Perspektiven des Helfers sowie die der Fachkraft des Jugendamtes beleuchtet. Zum<br />
Schluss werden die beiden Fallbeispiele gegenübergestellt <strong>und</strong> Gemeinsamkeiten <strong>und</strong><br />
Unterschiede herausgearbeitet.<br />
5.1 Fallanalyse Hans<br />
5.1.1 Hans<br />
5.1.1.1 Wahrnehmung der Interviewsituation von Hans<br />
Hans machte auf mich einen sehr angenehmen ersten Eindruck. Ich merkte, dass er sich<br />
sehr schnell an die Interviewsituation gewöhnte. Meine Befürchtung, Hans erzähle nicht so<br />
frei, wenn die Mutter dabei sitzt, hat sich nicht bestätigt. Er wirkte sehr selbstsicher <strong>und</strong><br />
klar in seinen Äußerungen.<br />
Hans hatten die Unternehmungen mit Herrn X. sehr viel Spaß gemacht. Das konnte ich<br />
deutlich spüren. Die regelmäßigen Gespräche gemeinsam mit der Mutter hätte er dabei am<br />
liebsten weg gelassen, konnte doch oft keine Einigung gef<strong>und</strong>en werden.
5.1.1.2 Perspektive von Hans<br />
71<br />
Hans berichtet, zum Anlass, dass er von der Therapie von der SPFH gehört hat <strong>und</strong> sich<br />
auch gerne einen Betreuer an seiner Seite wünschte. Hans war 13 Wochen lang auf<br />
Therapie, weil er nach seiner eigenen Aussage einige Unstimmigkeiten <strong>und</strong> einen falschen<br />
Umgang hatte. Mit dem Einverständnis der Mutter begann die Hilfe.<br />
Die Zusammenarbeit mit dem Helfer beschreibt Hans sehr positiv. „…ich fand das eigentlich<br />
immer total entspannend, <strong>und</strong> also ich konnt’ mit ihm über so ziemlich alles reden.<br />
Wir haben auch ziemlich viel zusammen erlebt <strong>und</strong> so.“ Es wird hier deutlich, dass Hans<br />
für sich persönlich sehr viel aus dieser Hilfe mitgenommen hat. Das eigentliche Thema, die<br />
Konflikte mit der Mutter zu klären, konnte nach Hans Aussagen nicht geklärt werden.<br />
Diese empfand Hans aber nicht als dramatisch. Er hat die Situation mittlerweile schon so<br />
hingenommen wie sie ist. Ein wirkliches Anliegen zur Klärung <strong>und</strong> zur Verbesserung der<br />
Situation gab es offensichtlich nicht. Hans reagiert darauf mit Gleichgültigkeit. „ Beispiele<br />
dafür waren, wenn meine Mutter <strong>und</strong> ich dann irgendein Problem hatten <strong>und</strong> das sollte<br />
ausdiskutiert werden <strong>und</strong> keiner wollte aber irgendwie auf ’nen Kompromiss zugehen,<br />
dann war Herr X. da also schon ziemlich hilflos <strong>und</strong> wusste dann auch nicht wie weiter.<br />
Ich war dann aber nicht irgendwie enttäuscht oder so, ich hab’ das denn halt so<br />
genommen wie es war.“<br />
Aus Hans Sicht wurden die Ziele teilweise erreicht. Dieses ist eine sehr positive Sichtweise<br />
auf die Zielerreichung, denn er sagt auch, dass die SPFH nichts gebracht hat bzw. sich<br />
verändert hat. „Also es haben sich Dinge verändert, es haben sich aber auch andere Dinge<br />
dazu gefügt, die sich dann verschlechtert haben <strong>und</strong> einige Dinge sind dann auch einfach<br />
so geblieben.“ Positiv hat sich nach seiner Meinung die Pünktlichkeit auf ihn ausgewirkt,<br />
während sich die Kommunikation zu seiner Mutter nicht verbessert hat.<br />
Den Hilfeverlauf beschreibt Hans folgendermaßen.<br />
Hans war anfänglich von der Hilfe begeistert. Diese Begeisterung machte sich deutlich<br />
indem es sagte. “Zu Beginn war die Einstellung eigentlich total genial….“<br />
Deutlich war heraus zu hören, dass Hans verstanden hat, worum es in dieser Hilfe geht. Er<br />
war auf der Suche nach einer Person, der er alles erzählen konnte, fast wie ein Vaterersatz.<br />
„…dass ist ne total tolle Sache <strong>und</strong> wenn man denn ein Vertrauensverhältnis mit
72<br />
demjenigen aufbaut <strong>und</strong> sich mit dem einfach mal frei unterhalten kann, was man vielleicht<br />
auch mal Mutti mal nicht erzählen würde, dann befreit das auch <strong>und</strong> das hilft auch.“ Diese<br />
Person schien er offensichtlich in Herrn X. gef<strong>und</strong>en zu haben. Diese Art von Hilfe reichte<br />
ihm da schon aus. Der Konflikt mit der Mutter wurde im Verlauf der Hilfe für ihn zur<br />
Nebensächlichkeit. Deshalb war die Hilfe für Hans auch bis zum Ende der Hilfe sehr<br />
positiv behaftet, „zum Ende kann ich eigentlich immer noch sagen, das war eigentlich ’ne<br />
positive Sache.“<br />
Den eigentlichen Beendigungsgr<strong>und</strong> hat Hans nicht wahrgenommen. Für ihn war die Zeit<br />
der Hilfe rum <strong>und</strong> dann muss das eben so auslaufen. Man konnte ihm anmerken, dass er<br />
traurig war über die Beendigung der Hilfe, weil für ihn war es doch „eigentlich ’ne positive<br />
Sache.“<br />
5.1.2 Mutter von Hans<br />
5.1.2.1 Wahrnehmung der Interviewsituation der Mutter<br />
Hans Mutter fragte mich im Vorhinein wie lange die Kassette von meinem Tonband läuft.<br />
Es könnte etwas dauern, wenn sie jetzt anfängt zu erzählen. Ich hatte bei der Mutter das<br />
Gefühl, dass sie schon lange mal alles frei weg erzählen wollte, was sie so gestört hat.<br />
Immer hatte die Mutter das Gefühl, nicht verstanden zu werden <strong>und</strong> dass alle ihre<br />
Probleme heruntergespielt werden. Ich denke, die Interviewsituation gab ihr das Gefühl,<br />
doch noch gehört zu werden <strong>und</strong> dass ihre Kritikpunkte doch noch etwas bewirken. Hans<br />
Mutter nahm ich als eine sehr aufgeschlossen <strong>und</strong> direkte Frau war, die sehr engagiert <strong>und</strong><br />
bemüht um Hans ist. Da die Familie bereits mehrere Hilfen hintereinander hatte, bekam ich<br />
den Eindruck, dass manchmal die Hilfen ineinander verschwimmen <strong>und</strong> sie keine direkte<br />
Zuordnung mehr hat, wann nun welches Ereignis in welcher Hilfe stattfand. Zwischenfragen<br />
brauchte ich keine zu stellen, da der Redefluss sich über die gesamte Zeit auf dem<br />
höchsten Level befand.<br />
Nach dem Interview erzählte mir die Mutter, dass Hans jetzt doch vor drei Tagen von der<br />
Schule geflogen ist. Die Situation meinte sie, wäre zu Hause eskaliert, hätte Hans letzte<br />
Woche nicht eine Lehrstellenzusage bei Airbus in Hamburg bekommen. Dadurch wirkt die<br />
gesamte Gesprächssituation sehr entspannend.
73<br />
Herrn X. als Mensch hat sie sehr sympathisch empf<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> sie ist ihm auch dankbar,<br />
dass Hans jetzt wieder Kontakt zu seinem leiblichen Vater hat, aber die anderen Dinge<br />
wirken eben immer noch nach. Sie erhofft sich mit Lehrstellenbeginn von Hans eine<br />
Entspannung zwischen sich <strong>und</strong> ihrem Sohn, muss sie doch jetzt wirklich loslassen. Sie<br />
sagte, das wird für sie noch ganz schön komisch werden.<br />
Hans wirkte dabei sehr motiviert <strong>und</strong> hatte die Zuversicht, dass er die Lehre schaffen wird.<br />
Ich bedankte mich noch einmal für ihre Bereitschaft des Interviews. Wir verabschiedeten<br />
uns <strong>und</strong> beide gingen aus dem Beratungsraum heraus.<br />
5.1.2.2 Perspektive der Mutter<br />
Die Mutter erzählt Folgendes über den Anlass der SPFH. Der Anlass der SPFH war der<br />
Klinikaufenthalt, wo Hans überprüft werden sollte, ob sein damaliger Badmintontrainer ihn<br />
sexuell missbraucht hat. „Das hat sich dann nicht bestätigt, Gott sei Dank.“ Allerdings<br />
machte sich die Mutter begründet Sorgen, denn der Trainer wurde von einem anderen Kind<br />
angezeigt. „Also ich hatte offensichtlich ein waches Auge. Der Anlass war begründet.“<br />
Aus der Sicht der Mutter wollte Hans mit seiner „kindlichen Sichtweise“ damals einen<br />
Betreuer haben, weil ihm in der Klinik gesagt wurde. „Och die fahrn mit dir Boot, gehen<br />
mit dir ins Kino <strong>und</strong> alles ganz toll.“<br />
Ganz zum Ende erwähnt die Mutter noch, dass sie den Betreuer auch befürwortet <strong>und</strong><br />
einen Sinn darin sieht. „…weil wir hatten zu Hause schon nicht unerhebliche Schwierigkeiten…“.<br />
Dieser eigentliche Anlass wird von der Mutter als Nebensächlichkeit gesehen,<br />
denn diesen Gr<strong>und</strong> erwähnt sie nur ganz kurz <strong>und</strong> führt ihn auch nicht weiter aus.<br />
Die Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt <strong>und</strong> dem Helfer wurde aus der Sicht der<br />
Mutter sehr unterschiedlich erlebt. Während sie zum ersten Fallverantwortlichen im<br />
Jugendamt eine gute Zusammenarbeit empfand, konnte sie sich auf die zweite Fachkraft<br />
nur schwer einlassen. „Da fühlte ich mich in gewisser Weise dominiert, besserte sich aber<br />
nachher. Also da hab ich so dass Gefühl gehabt, ich sollte eigentlich ihren Stil fahren, ne“.<br />
Die Mutter von Hans kritisierte, dass alle Experten, Therapeuten, Jugendamt <strong>und</strong><br />
Familienhelfer nicht genügend auf die individuelle Situation in ihrer Familie eingegangen<br />
sind. „Also ich hatte, an manchen Strecken wirklich das Gefühl, dass ist jetzt das<br />
Lehrbuchschema <strong>und</strong> was, was von meiner Seite aus nicht gepasst hat.“
74<br />
Die Zusammenarbeit mit Herrn X. beschreibt die Mutter folgendermaßen. „Und dann lief<br />
da vieles an mir vorbei, hab’ ich so dass Gefühl gehabt.“ Außerdem fühlte sich die Mutter<br />
in der gesamten Zusammenarbeit mit dem Helfer nicht gewertschätzt. „…hab ich mich in<br />
mancherlei Hinsicht auch nicht ernst, ähm, äh, genug genommen gefühlt.“ Dieses wird in<br />
einer zweiten Aussage der Mutter auch noch einmal sehr deutlich „…ja da kommt ’ne<br />
Bagatellisierung oder wie auch immer ins Spiel.“ Die Mutter beobachtete sehr kritisch die<br />
Aktivitäten während der SPFH von Hans <strong>und</strong> Herrn X. <strong>und</strong> sah nicht wirklich einen Sinn<br />
hinter diesem Handeln. „…<strong>und</strong> da hab ich so das Gefühl gehabt, das Hans als Klient bei<br />
Herrn X. auch eine angenehme erholsame St<strong>und</strong>e war.“ „Und dass ich dann das Gefühl<br />
hatte, mein Gott <strong>und</strong> bei all den Problemen <strong>und</strong> der manchmal fehlenden<br />
Individualisierung. Was machen die da?“<br />
Die Mutter hat die Überprüfung <strong>und</strong> Einhaltung der Kompromissregeln in den Familienkonferenzen<br />
als Angriffspunkt gesehen <strong>und</strong> fühlte sich dadurch im Zusammenleben mit<br />
Hans noch mehr bedrängt. Nach meiner Meinung kommt hier besonders zum Ausdruck,<br />
dass sie es nicht verstanden hat, sich auf die Mutter- Kind Beziehungsebene zu begeben<br />
<strong>und</strong> die Auseinandersetzungen mit ihrem Sohn nur als Machtkampf gesehen hat. Dies wird<br />
besonders an zwei Punkten deutlich. „Dann hätte Hans nicht so ’ne Angriffsfläche auf<br />
mich gehabt. Und das ist ein Punkt, mit dem wir heute noch kämpfen, muss ich ehrlich<br />
sagen.“ „Aber die Kritik an mir, die hat er durchgepeitscht, zu Hause bis zum …. Und ich<br />
fühlte mich dann erzogen von Hans. Das gab den nächsten zusätzlichen Aggressionsstau.“<br />
Für weitere Probleme zieht die Mutter äußere Umstände heran <strong>und</strong> sucht nicht nach<br />
Ursachen, die eventuell auch mit ihrer Person zu tun haben. “Andere Sachen kamen da<br />
noch hinzu. Probleme, die wir vorher überhaupt gar nicht hatten, ne.“<br />
Aus der Sicht der Mutter konnten nur wenige vereinbarte Ziele erreicht werden. Hier<br />
nimmt sie Hans Aussage als Bestätigung für ihre eigene Unzufriedenheit über die Zielerreichung.<br />
„Hans hat hinterher gesagt, er hat nie vorgehabt sich an die Kompromisse zu<br />
halten.“ Für Hans war das alles Dallerei. Für mich war es wertvolle Zeit. Ich hab<br />
geackert, krieg Frust von meinem Kind, <strong>und</strong> er sagt hinterher, ich hab das alles nie<br />
wirklich gewollt.“<br />
Danach erzählt die Mutter von einer stationären Unterbringung, die Hans unmittelbar nach<br />
Beendigung der Hilfe für fünf Wochen für sich in Anspruch genommen hatte. Die Mutter<br />
beschrieb, dass Hans sie mit Hilfe des Jugendamtes unter Druck setzte, sie sollte doch die<br />
Heimeinweisung unterschreiben, dass sogar mit dem Sorgerechtsentzug gedroht wurde.
75<br />
Nach Aussagen der Mutter war sich Hans über die Tragweite seines Handelns nicht<br />
bewusst <strong>und</strong> meinte, er instrumentalisiere das Jugendamt. Hans sagte zu ihr. “Wenn du so<br />
blöd bist <strong>und</strong> dass nicht unterschreibst.“ Die Mutter wirkt sehr fassungslos über die<br />
damalige Situation <strong>und</strong> schaltete auch gleich einen Anwalt ein. Für sie gab es keinen<br />
Gr<strong>und</strong> für eine Heimeinweisung <strong>und</strong> schon gar keine Kindeswohlgefährdung. Letztendlich<br />
unterschrieb sie auf Hans drängen hin die Heimeinweisung.<br />
Durch die Erzieher im Heim bekam die Mutter das erste Mal Bestätigung von den Helfern,<br />
weil Hans in seiner Art es ja nicht gelernt hatte, sich an Absprachen zu halten. „Klinik,<br />
ambulante Hilfe <strong>und</strong> Heim sind jetzt die Ersten, bei denen ich das Gefühl hatte <strong>und</strong> die<br />
sehen das, ne, was wirklich läuft.“ „Und dann hatten die da oben genau die gleichen<br />
Probleme wie ich zu Hause <strong>und</strong> da fühlte ich mich dann verstanden.“<br />
In diesem Teil des Interviews kommt die Verzweiflung der Mutter mit den Erziehungsproblemen<br />
von Hans zum Ausdruck. „Er kommt, ich teste meine Grenzen, ich komm zu<br />
spät, mal sehen wie weit du gehst. Und ich komm natürlich aus meiner allein erziehenden<br />
Angst dagegen, las ihn jetzt bloß nicht wegrutschen“. An dieser Textpassage kommt<br />
einmalig zum Ausdruck, dass die Mutter in der ambulanten Hilfe doch einen Sinn darin<br />
gesehen hat, die mit der Beziehung zu ihrem Sohn zu tun hat. Dass hätte auch ohne Herrn<br />
X. böse ins Auge gehen können, wenn das so weiter gegangen wäre. Auf der Stelle war das<br />
vielleicht gut, sag ich mal, dass Herr X. da eingegriffen hat <strong>und</strong> was gemacht hat.“ Dieses<br />
Ziel kann sie aber nicht anerkennen <strong>und</strong> nimmt schon im nächsten Satz diese Aussage<br />
wieder zurück. „Aber letzten Endes ein Ziel wirklich ist nicht dabei raus gekommen.“ Als<br />
nochmalige Bekräftigung zu dieser Aussage zieht sie Hans Worte noch einmal heran.<br />
„Alles, was hier mit Herrn X. war, außer Kanu fahren, hab ich wirklich nie gewollt, ne.“<br />
Ihre Vermutung, dass Hans wirklich Hilfe annehmen kann ist hiermit bestätigt worden. “<br />
Wirklich Hilfe hat Hans nie gewollt.“ Diese Vermutung wurde nach meiner Meinung nur<br />
auf Hans übertragen, denn sie war es, die nie Hilfe haben wollte. Hans dagegen war nach<br />
seiner Meinung im Interview, der Hilfe sehr aufgeschlossen.<br />
Die Mutter beschreibt die Einstellung zum Hilfeverlauf folgendermaßen. „Diese<br />
Enttäuschung führt dann sicherlich zu Absinken der Motivation, ne. Das waren nachher<br />
dann auch nur noch Termine.“ Während die Mutter nach eigenen Aussagen zu Beginn<br />
sehr motiviert war, sank die Motivation im Verlauf der Hilfe immer weiter ab. Gründe<br />
dafür waren, dass diese Hilfe nicht ihren Erwartungen entsprach. Sehr deutlich kommt dies<br />
zum Ausdruck, in dem sie sagt. „Hier, mein Kind nutzt unsere Hilfegespräche um mich zu
76<br />
Hause zu manipulieren <strong>und</strong> dass das dann wenig aufgegriffen wurde, das mit dem was ich<br />
gesagt hab nicht weitergearbeitet wurde, ne. Da war ich dann enttäuscht.“<br />
Die Gründe für die Beendigung der Hilfe waren aus Sicht der Mutter, dass die Hilfe schon<br />
mehrmals verlängert wurde, Herr X. auch nicht mehr wusste, was er noch machen sollte,<br />
Hans mit seinem Eingeständnis, er habe die Hilfe nicht gewollt <strong>und</strong> sie hatte keine<br />
Motivation mehr, die Hilfe noch fortzuführen. Der Mutter war in dieser Situation anzumerken,<br />
dass sie froh war, diese Hilfe beenden zu können.<br />
5.1.3 Familienhelfer Herr X.<br />
5.1.3.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Familienhelfers Herrn X.<br />
Herr X. hatte eine sehr kritische Haltung zu diesem Fall, obwohl er immer noch im<br />
Rahmen der Erziehungsberatungsstelle (der Evangelischen Jugend) Kontakt zu dieser<br />
Familie hat. Dadurch sind ihm ebenfalls einige Daten durcheinander geraten, was für mich<br />
aber darauf hinweist, dass zwischen Hans <strong>und</strong> ihm eine Bindung entstanden ist, die nicht<br />
mehr so einfach zu unterbrechen ist.<br />
5.1.3.2 Perspektive des Familienhelfers Herr X.<br />
Der Familienhelfer Herr X. berichtet Folgendes über den Anlass der SPFH. Die allein<br />
erziehende Mutter <strong>und</strong> der Sohn Hans lebten zusammen. Der Helfer schätzte die Situation<br />
so ein, dass die Mutter sich gegenüber ihrem Sohn sehr ambivalent verhielt. „Also auf der<br />
einen Seite hat sie ihn faktisch fast wie so`n Partnerersatz behandelt. Da hat sie ihn dann<br />
sehr ernst genommen <strong>und</strong> dagegen auf der anderen Seite hat sie ihn sehr wie ein Kleinkind<br />
zu Hause gehalten.“ Dann berichtete Herr X., dass Hans vor der Hilfe in der Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendpsychatrie gewesen ist. Hans hätte dort von der Möglichkeit einer Betreuung durch<br />
das Jugendamt erfahren. Die Mutter brach nach einiger Zeit aus irgendwelchen Gründen<br />
den Klinikaufenthalt für Hans ab. Auf Hans Wunsch hin beantragte sie die Hilfe zur<br />
Erziehung.
77<br />
Herr X. schätzte die Zusammenarbeit mit der Familie als „an sich gut“ ein.<br />
Herr X. berichtete zunächst von einem Betreuerwechsel im Helfersystem. Da es mit der<br />
Mutter immer wieder Konflikte gab, bin ich der Meinung, dass ihm die angesprochenen<br />
Familienkonferenzen nicht immer sehr angenehm waren. Seinen Schwerpunkt in der<br />
Arbeit sah Herr X. ganz klar bei Hans. „Und hatte dann also auch die Aufgabe, Familiengespräche<br />
zu führen. Hochtrabend vielleicht Familienkonferenzen kann man sagen, also<br />
hauptsächlich war ich für Hans zuständig.“ Herr X. wurde schließlich zum Spielball der<br />
beiden Parteien Mutter <strong>und</strong> Sohn. Er musste gegenüber Beiden immer wieder seine Rolle<br />
als Vermittler verteidigen. „Und es ging dann immer wieder darum, dass die Mutter<br />
versuchte, mich auf ihre Seite zu ziehen, so.“<br />
Eine klare Position bezieht die Mutter aus der Sicht des Helfers, als sie äußerte, dass sie<br />
sich nicht verändern will „…weil ich von meiner Erziehung <strong>und</strong> meinen Methoden überzeugt<br />
bin.“ An diesem Punkt ist von Seiten der Mutter keine Mitwirkungsbereitschaft mehr<br />
gegeben. Die Hilfe ist bereits hier zur Niederlage verurteilt. Danach berichtet Herr X., dass<br />
es heute noch lose Kontakte zur Familie gibt, besonders zu Hans.<br />
Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt schätzt Herr X. als gut ein, so wie er sich das<br />
vorstellt.<br />
Aus seiner Sicht gab es schon ein paar Ziele, die erfüllt wurden. “Also das einfach Beide;<br />
Mutter, sowie auch der Sohn, gelernt haben, sich auch gegenseitig zu akzeptieren.“<br />
Dann berichtet Herr X. von dem sich anschließenden Heimaufenthalt von Hans, kurz nach<br />
der Beendigung der SPFH <strong>und</strong> gibt für die Familie schließlich eine Prognose für die<br />
Zukunft ab. Dieses wird an zwei Gesprächsstellen besonders deutlich. „Ich denke, es wird<br />
nie, so lange die zusammenleben, Beide, wird es nie konfliktfrei zugehen können, denk ich<br />
mal. Es wird sich vielleicht alles regeln, wenn er, wenn er aus dem Haus geht. Das wird<br />
jetzt im September so sein.“ „Und ich denke, dass sich dann wahrscheinlich ziemlich viel<br />
entkrampfen wird“<br />
Herr X. schätzt ein, dass der eigentliche Gr<strong>und</strong> für die Beziehungsstörung die<br />
Vermischung der Mutter Kind Ebene von Seiten der Mutter ist. „Sie hat ja auch keinen<br />
anderen gehabt außer ihren Sohn. Und deswegen hat sie auch so das Problem gehabt,<br />
diese Ebenen auseinanderzukriegen.“
78<br />
Herr X. berichtet, dass im Verlauf der Hilfe sich der Schwerpunkt der Arbeit verlagert hat.<br />
Er berichtet, dass er Hans dabei geholfen hat, wieder zu seinem leiblichen Vater Kontakt<br />
aufzunehmen. Dieses Ziel ist auf jeden Fall erreicht worden.<br />
Es kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass dieses Ziel auch Herrn X. sehr wichtig war.<br />
„Das war vorher zwar nicht so extrem benannt worden, aber das war mir wichtig.“<br />
Herr X. beschreibt, dass die Hilfe beendet wurde, weil die Hilfe ja eine ganze Zeit gelaufen<br />
ist. Der Helfer signalisierte einen Punkt, an dem die Hilfe stark stagnierte <strong>und</strong> er keine<br />
Handlungsalternativen mehr gesehen hat. Die Mitwirkung der Familie war hier nicht mehr<br />
gegeben. „Also jedenfalls sind wir an einem Punkt gekommen wo wir immer uns im Kreis<br />
gedreht haben im Gr<strong>und</strong>e. Also wo, wo sie, die Mutter, Frau A., also nicht bereit war sich<br />
zu bewegen in eine andere Richtung, sondern ihren Stil weiter gefahren ist, <strong>und</strong>, Hans<br />
genauso, ne.“<br />
5.1.4 Jugendamt Frau Q.<br />
5.1.4.1 Wahrnehmung der Interviewsituation Frau Q.<br />
Frau Q. hatte auf mich einen sehr soliden <strong>und</strong> strukturierten Eindruck hinterlassen.<br />
Ihre Argumente waren für mich sehr klar <strong>und</strong> nachvollziehbar. Sie wirkt auf mich sehr<br />
sicher, obwohl sie den Fall ja erst später übernommen hat.<br />
Während die SPFH nach ihrer Meinung sehr ruhig ablief, kam die Eskalation der Familiensituation<br />
erst einige Zeit nach Beendigung der SPFH. Da hatte sie dann auch viel mit dem<br />
Fall Hans zu tun.<br />
Nach der Beendigung des Gespräches bedankte ich mich. Wir unterhielten uns noch<br />
allgemein über das Studium <strong>und</strong> verabschiedeten uns.<br />
5.1.4.2 Perspektive von Frau Q.<br />
Die Fallführende Fachkraft des Jugendamtes Frau Q. erzählte, dass sie den Fall erst nach<br />
einiger Zeit übernommen hatte, befürchtete nicht so aussagekräftig zu sein, möchte aber
79<br />
trotzdem gerne das Interview geben. Die erste Fachkraft stand mir leider nicht mehr zur<br />
Verfügung.<br />
Frau Q. berichtet, dass der Anlass der SPFH von Hans Familie war. „…das er bereits eine<br />
Psychotherapie gemacht hat, wegen Lügen, falschen Fre<strong>und</strong>en. Weil seine Mutter so<br />
bedenken hatte, dass er so ins kriminelle abrutschen würde.“ Sie beschrieb, dass Hans<br />
damals äußerte, wieder Kontakt zu seinem leiblichen Vater aufnehmen zu wollen. Hans<br />
wurde die Hilfe damals von der Klinik empfohlen. Hans hatte damals klare Vorstellungen<br />
dem Jugendamt gegenüber geäußert, wie der Betreuer sein sollte. “Der müsste jung sein.<br />
Der dürfte nicht so viel meckern. Der müsste auch mal mit ihm Eis essen gehen, einmal so<br />
wöchentlich. Und er würde gerne mit ihm die Freizeit gestalten. Und dann aber auch in<br />
diesem Rahmen mit ihm Probleme zu besprechen.“<br />
Des Weiteren benannte Hans damals die Probleme mit der Mutter <strong>und</strong> versuchte auch<br />
Gründe dafür zu finden. “Weil sie ein eigenes Geschäft hat. Es gibt Ärger immer mit der<br />
Mutter, wenn er die Hausarbeiten nicht erledigt hat. Dann braust die Mutter eben auch<br />
sehr schnell auf <strong>und</strong> dann enden diese Gespräche oft in Eskalation.“ „Er wünscht sich<br />
auch, dass die mehr auf ihn eingehen sollte. Also er hat zumindest das Gefühl, dass sie<br />
vieles viel zu eng sieht“.<br />
Besonders gut kommt hier zum Ausdruck, dass Hans sich oft allein überlassen ist <strong>und</strong><br />
keine Orientierungsperson in seinem Leben hat „Und er also gar nicht so richtig einen<br />
Ansprechpartner hat.“ Auf der anderen Seite schränkt die Mutter Hans, aus Hans Sicht<br />
sehr stark ein, was er dem Jugendamt schon damals mitteilte. „Und er hat noch mal also<br />
auch gesagt, dass sie so ’ne engen Regeln für ihn aufstellt, also, dass er das gar nicht<br />
einhalten kann.“ Auch die Mutter brachte ihre Beweggründe dem Jugendamt gegenüber<br />
zum Ausdruck <strong>und</strong> befürwortete die Hilfe sehr. „Und sie ist der Meinung, Hans braucht<br />
Halt.“<br />
Dann berichtet die Mutter über einen Missbrauchsvorfall, den sie vermutete, sich aber<br />
nicht bestätigte. Ihre Vorstellungen vom Betreuer konnte die Mutter klar benennen. Auch<br />
sie wünschte sich einen männlichen Ansprechpartner, weil der ja in ihrem Haushalt fehlt.<br />
Dem Jugendamt gegenüber äußerte Frau A., „dass sie selber früher sehr streng erzogen<br />
worden ist. Das sie das auch gerne weiter durchziehen möchte mit ihrem Sohn.“ Bereits<br />
hier wird deutlich, dass die Mitwirkungsbereitschaft der Mutter nicht gegeben ist, denn sie<br />
sagt, dass sie ihren Stil nicht ändern wird <strong>und</strong> auch keinen Gr<strong>und</strong> dafür erkennt. Dann<br />
beschreibt aber die Mutter, dass sie gar nicht weiß wie sie Hans erziehen soll. Hier ist<br />
bereits ein großer Widerspruch der Mutter erkennbar. „Die Mutter selbst weiß oft nicht,
80<br />
wann Grenzen gezogen werden müssen. Ist da sehr unsicher <strong>und</strong> Hans versucht natürlich<br />
in allen möglichen Richtungen die Aufmerksamkeit zu bekommen.“<br />
Die Mutter beschrieb eine andere vorausgegangene Hilfeform, wo sie aber aus ihrer Sicht<br />
nicht verstanden worden ist. „Und aus ihrer Sicht da sehr viel bagatellisiert wurde.“ Ein<br />
weiterer Widerspruch besteht in den Aussagen der Mutter, die sie gegenüber dem Jugendamt<br />
äußerte, dass ihr die Erziehung von Hans schon entglitten ist. „Die Kindesmutter hat<br />
also absolut das Gefühl, dass Hans so der Herr im Haus ist. Sie hat so, sie denkt so, also<br />
sie hat so das Gefühl, dass mehr oder weniger Hans ihr Vorschriften macht <strong>und</strong> nicht, dass<br />
sie ihn erziehen würde.“ Dennoch sieht sie keinerlei Handlungs- <strong>und</strong> Veränderungsbedarf<br />
für sich, sondern nur ihr Sohn soll sich ändern. „Und sie hat aber auch noch mal betont,<br />
dass sie nur Hilfe für Hans möchte. Sie selber bräuchte keine Hilfe.“<br />
Nachdem sie ein paar Ziele benannt hatte, wie Hans sich verändern soll, zweifelte sie den<br />
Erfolg der Hilfe bereits hier schon an. „Und sie würde sich wünschen, dass er Hilfe auch<br />
annehmen kann. Weil sie zweifelt das ein bisschen an, dass Hans wirklich ernsthaft Hilfe<br />
annehmen wird.“ Ein Wunsch der Mutter war es auch, dass Hans wieder einen Kontakt<br />
zum Vater findet.<br />
Frau Q. berichtet über die Zusammenarbeit, dass sie dann die Hilfe am 04.Mai 2006 übernommen<br />
hat <strong>und</strong> sich erst einmal ein Bild von der Familie machen musste. Ihre<br />
persönliche Sichtweise kam Folgendermaßen zum Ausdruck. „Hans hat also deutlich<br />
mehrt positive Dinge geäußert, die durch die Hilfe möglich waren, während die Mutter der<br />
Hilfe nach wie vor etwas skeptisch gegenüberstand <strong>und</strong> offensichtlich andere Erwartungen<br />
an die Hilfe hatte. Es war nicht zu übersehen, dass zwischen Hans <strong>und</strong> Herrn X., das dort<br />
also eine gute Arbeitsbeziehung gab.“ „Und man schon das Gefühl kriegen konnte, dass<br />
die Mutter so`n Stück außen vor war.“<br />
Auch hier signalisiert die Mutter nochmals, dass sie keinen Sinn in der Hilfe sieht.<br />
„Und auch schon so zu dem Zeitpunkt so geäußert hätte, dass sie eigentlich nicht mehr so<br />
wirklich weiß, woran noch gearbeitet werden soll.“<br />
Ihre persönliche Einstellung zur Hilfe schiebt sie auf ihren Sohn ab. Dies geht deutlich aus<br />
der Aussage hervor. „Aus ihrer Sicht lässt Hans gar keine Veränderung zu.“<br />
Frau Q. berichtete, dass Hans im Hilfeplan von Erfolgen erzählte, die sich positiv auf sein<br />
Leben auswirken. „Er fühlt sich insgesamt viel besser, konnte einige Dinge für sich klären,<br />
was wiederum positiv auf das Zusammenleben mit der Kindesmutter gewirkt hat. Er hat
81<br />
also auch davon gesprochen, dass er überhaupt nicht mehr klaut, dass er sich das Rauchen<br />
abgewöhnt hat, dass er sich auch an die vereinbarten Computerzeiten <strong>und</strong> Ausgehzeiten<br />
halten würde <strong>und</strong> dass auch die Kommunikationsstruktur in der Familie sich verändert<br />
hat.“ Außerdem berichtete Hans davon, dass er später Flugzeugbau studieren möchte <strong>und</strong><br />
in dieser Richtung auch schon ein Praktikum geplant ist. Dies zeigt, dass Hans sich sehr<br />
gut reflektieren kann. Er ist sich über sein Handeln bewusst. Frau Q. vom Jugendamt<br />
schätzt Hans folgendermaßen ein.“ In den Gesprächen fand ich Hans auch, dass er sehr<br />
offen <strong>und</strong> ehrlich seine Meinung sagte“ „Dass er sehr selbstbewusst auch aufgetreten ist.“<br />
Die Mutter konnte im Hilfeplan diese positiven Veränderungen nicht bestätigen. Frau Q.<br />
hatte dazu folgende Aussage getroffen. „Und ich hatte auch so das Gefühl, dass sie das<br />
nur zu Kenntnis nimmt, oder auch akzeptiert, wenn sie es denn selber auch überprüft hat,<br />
ob’s denn auch wirklich stimmt.“ Frau Q. wurde dabei das Gefühl nicht los, dass die<br />
Mutter diese Hilfe schnellstmöglich beenden möchte. Dieses kommt u.a. in folgender<br />
Textpassage zum Ausdruck, die Frau Q. aus dem Hilfeplan wahrgenommen hat. „Ich hatte<br />
auch das Gefühl, dass sie das irgendwie unterbrechen wollte, so, diese Verbindung. Weil<br />
sie wie gesagt da schon so`n bisschen geäußert hat, dass sie eigentlich gar nicht mehr<br />
weiß, warum die Hilfe fortgesetzt werden sollte. Weil aus ihrer Sicht jetzt so`n Punkt<br />
erreicht war, so jetzt mehr, mehr geht nicht.“<br />
Danach begründete Frau Q., warum sie noch aus ihrer Sicht die Hilfe weiter verfügt hat.<br />
Danach beschreibt Frau Q. aus ihrer Sicht, wie sie die Mutter gesehen hat <strong>und</strong> gibt eine<br />
Erklärung, warum die Hilfe nicht wie erwünscht zum Ziel geführt hat.<br />
„Also das Arbeiten mit der Mutter hat einerseits ja auch Spaß gemacht, weil sie ja auch<br />
’ne sehr taffe Frau war, die also auch wusste was sie wollte. Aber man hat bei ihr so<br />
vermisst, dass sie manchmal auch so in ihrer ganzen Fürsorge auch für ihren Sohn, dass<br />
sie einfach mal inne hält <strong>und</strong> auch manchmal guckt. Was ist so mein Ziel?<br />
Was will ich erreichen? Was hab ich bisher gemacht <strong>und</strong> zu welchem Ergebnis hat das<br />
geführt <strong>und</strong> gegebenenfalls auch mal zu sagen, hm. Ich müsste vielleicht auch mal einen<br />
anderen Weg wählen. Dazu war sie eigentlich, nicht bereit. Sie war der Meinung, das ist<br />
so ihr Weg. So ist sie erzogen worden. Das hat bei ihr viel gebracht <strong>und</strong> so will sie das bei<br />
ihren Sohn auch machen. Sie hatte nicht wirklich das Anliegen an die Hilfe, bei sich selbst<br />
was zu verändern. Sondern sie wollte eigentlich dass die Hilfe sich so auf ihren Weg<br />
begibt. Und dass wir dann gemeinsam, ich sag jetzt mal ein bisschen sarkastisch über<br />
Hans herfallen. Sie wollte also, verstanden werden.“ „Die brauchte eigentlich auch ganz<br />
viel Aufmerksamkeit <strong>und</strong> ganz viel Zuspruch.“
82<br />
Vom Beginn der Hilfe an wird immer wieder die Skepsis der Mutter deutlich, dass die<br />
Hilfe zum Erfolg führen könnte. Nochmals wird dieses in der Aussage des Jugendamtes<br />
deutlich. „Die Mutter hat die Hilfe auch beantragt, war aber sehr skeptisch, also ob Hans<br />
die überhaupt annehmen würde <strong>und</strong> was das so unterm Strich bringen würde. Da war sie<br />
von Anfang an sehr skeptisch.“<br />
Das Jugendamt bekam den Eindruck, dass Frau Q. sich nicht verstanden fühlt. Dabei ist zu<br />
klären, wann die betroffene Person mitwirkt. Ist es Mitwirkung, wenn dem Helfer die Tür<br />
aufgemacht wird, oder wenn jemand auf seinem Standpunkt beharrt, oder erst, wenn<br />
jemand ein Problembewusstsein erkennt <strong>und</strong> damit eine Veränderung herbeiführen will?<br />
„Im Verlauf der Hilfe denk ich so hat die Mutter aber mitgewirkt <strong>und</strong> hat also auch oft<br />
signalisiert, dass sie eine andere Erwartung daran hatte, also dass wir eher so auf ihrer<br />
Seite sind <strong>und</strong> so gemeinsam mit ihr ihre Ziele gegenüber Hans umsetzen. Und wir ihr<br />
natürlich dann auch gesagt haben, also ganz so geht das ja nicht. Das muss ja schon eine<br />
verabredete Hilfe sein.“<br />
Aus der Sicht des Jugendamtes hat die Mutter die Hilfe beendet, schiebt aber wieder<br />
andere Gründe vor, die die Mutter selber nicht betrafen. „Wir können hier kein Geld<br />
verschleudern, also auch andere Familien brauchen mal diese Hilfe.“<br />
Der Eindruck des Jugendamtes von Hans war, dass er sicherlich die Hilfe noch gerne<br />
länger in Anspruch genommen hätte <strong>und</strong> diese sich auch positiv auf ihn ausgewirkt hätte.<br />
Das Jugendamt akzeptierte die Entscheidung der Mutter, denn eine SPFH ist freiwillig,<br />
solange von keinen gefährdeten Situationen des Kindes ausgegangen wird.<br />
Das Jugendamt beendete somit die Hilfe, aber mit einem nicht so guten Gefühl.<br />
„Aber ich hab mir schon gedacht, das gibt noch mal was zwischen den Beiden. Das ist<br />
noch nicht wirklich so an dem Punkt, wie man sich das gewünscht hätte.“
5.2 Fallanalyse Christian<br />
5.2.1 Christian<br />
5.2.1.1 Wahrnehmung der Interviewsituation von Christoper<br />
83<br />
In der Interviewsituation mit Christian merkte ich schnell, dass er Schwierigkeiten hatte,<br />
meine Fragen zu verstehen <strong>und</strong> zu beantworten. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, dass ich<br />
mir vorher über den Intellekt meiner Befragten keine Gedanken gemacht hatte <strong>und</strong> nun<br />
spontane Fragen stellen musste. Trotzdem beantworte Christian die Fragen so gut er<br />
konnte, <strong>und</strong> ich lobte ihn anschließend dafür, dass er sich mir zur Verfügung gestellt hat.<br />
5.2.1.2 Perspektive von Christian<br />
Christians Gr<strong>und</strong>, warum die Eltern sich eine <strong>Familienhilfe</strong> geholt haben, waren seine<br />
Austicker. Dies zeigt, dass Christian es schon erkannt hat, warum die Eltern sich Hilfe<br />
holten. Er fand die konflikthafte Situationen in der Schule auch nicht gut. Ich merke, dass<br />
es ihm Leid tut. „Schiete. Wollte ich eigentlich gar nicht.“ Es ist ihm sogar ein bisschen<br />
peinlich das Thema anzusprechen.<br />
Die Treffen mit den Helfern beschreibt Christian als sehr positive Erlebnisse. Dadurch,<br />
dass er längere Sätze wählt bemerke ich, dass er sich immer sehr wohl <strong>und</strong> sicher in diesen<br />
Situationen gefühlt hat. „Zweimal sind wir Eis essen gegangen, <strong>und</strong> die meiste Zeit waren<br />
wir im Jugendclub <strong>und</strong> haben dort Fußball gespielt an der Playstation.“ „Die Treffen fand<br />
ich cool.“<br />
Aus Christians Sicht hat sich die Hilfe positiv ausgewirkt. Diese wird deutlich, indem er<br />
sagt: „Die Schule war besser <strong>und</strong> mein Verhalten war besser.“ Diese Verhaltensänderung<br />
macht er deutlich an der Hilfe fest. Er sieht sich dabei nicht als Auslöser seines Verhaltens.<br />
Bedeutsam ist dabei, dass Christian nur auf bestimmte Dinge reagiert, <strong>und</strong> er nicht bewusst<br />
plant jetzt mal die anderen zu ärgern.
84<br />
Christian beschreibt, dass die Situation mit einem Familienhelfer anfangs für ihn etwas<br />
ungewöhnlich war: „Komisch, weil den kannt ich noch nicht <strong>und</strong> das war komisch.“<br />
Nach einiger Zeit konnte er sich aber gut auf den Helfer einstellen <strong>und</strong> ihn akzeptieren.<br />
„Da war es viel besser. Es hat mir geholfen.“<br />
Seine Gefühle, Hoffnungen <strong>und</strong> Wünsche beschreibt Christian in Bezug auf die<br />
Beendigung der Hilfe folgendermaßen.<br />
„Ich find das schade, dass die Hilfe jetzt beendet ist.“ „Ich hoffe, dass alles wieder besser<br />
wird, dass es so weiterläuft wie es jetzt ist.“ Hier kommt zum Ausdruck, dass Christian<br />
sich trotz seiner Intelligenzminderung recht gut reflektieren kann. Das gibt Hoffnung <strong>und</strong><br />
das ist ihm zu wünschen, dass er seine Impulse eines Tages selbst steuern kann.<br />
5.2.2 Mutter von Christian<br />
5.2.2.1 Wahrnehmung der Interviewsituation der Mutter<br />
Zwischen der Mutter <strong>und</strong> mir war eine lockere Atmosphäre zu bemerken. Ich hatte das<br />
Gefühl, dass ich ihr sympathisch bin. Die lockere Art ließ das Tonbandgerät schnell<br />
vergessen. In der zweiten Frage lehnte sie sich entspannt zurück <strong>und</strong> erzählte weiter. Das<br />
Tonbandgerät stand auf dem Tisch <strong>und</strong> so hatte ich die Befürchtung, dass die Aufnahme zu<br />
leise wird. Tatsächlich hatte ich beim transkribieren meine Probleme, habe sie aber durch<br />
mehrmaliges Hören des Tonbandes doch verstanden. Die Mutter war so schön im Erzählen<br />
drin, dass ich sie nicht unterbrechen wollte.<br />
In dem Gespräch mit der Mutter wurde sehr deutlich, dass sie ihren Sohn liebt <strong>und</strong> alles für<br />
ihn tun würde, wenn es ihm nur helfen würde.<br />
5.2.2.2 Perspektive der Mutter<br />
Die Mutter schildert den Anlass der <strong>Familienhilfe</strong> folgendermaßen. Sie gibt an, dass es in<br />
der Schule Schwierigkeiten gab <strong>und</strong> dass Christian sich verhaltensauffällig zeigt indem er<br />
aggressiv ist. Keiner wusste warum. Die Mutter macht der Schule einen Vorwurf, indem<br />
sie sagt. „die hätten wissen müssen warum das so war.“ Zu Hause zeigt er diese
85<br />
Verhaltensweisen weniger, hat aber eine Erklärung für sein Verhalten. „vor allem dann,<br />
wenn schnell die Situationen gewechselt sind. Auf der einen Seite war das <strong>und</strong> wir wollten<br />
das <strong>und</strong> das machen <strong>und</strong> plötzlich war das nicht mehr so. War was anders. Und damit kam<br />
er meistens nicht klar, ne.“ Danach gibt die Mutter eine Begründung für Christians<br />
Verhalten in der Schule. „Der Leistungsdruck, das war ihm zu viel. Er war überfordert.“<br />
Damit Christian nicht immer so wütend werden muss, haben die Schule <strong>und</strong> die Eltern<br />
ausgemacht, dass er sich zurückziehen darf. Er darf einfach sich umdrehen <strong>und</strong> gehen. „Im<br />
Unterricht kann er woanders hingehen, so dass er wieder runterkommt. Wir haben<br />
abgemacht, dass wenn er sich so aufregt, dass er sich zurückziehen darf.“ Diese Variante<br />
schien für alle Beteiligten eine Lösung zu sein.<br />
Dann beschreibt die Mutter eine Situation in der Schule, die wieder eskaliert ist. Aus der<br />
Sicht der Mutter haben sich die Lehrer <strong>und</strong> Erzieher nicht an die Abmachung gehalten,<br />
Christian in Ruhe zu lassen, sondern haben ihn weiter bedrängt.<br />
„Hat also den Weg des Zurückziehens gesucht. Und dann ist die Erzieherin von ihm<br />
hinterher <strong>und</strong> hat ihn weiter beschimpft“. Die Situation eskalierte, als Christian so wütend<br />
wurde, dass er aufgesprungen ist <strong>und</strong> die Lehrerin mit einer leeren PET Flasche am Arm<br />
gehauen hat. Was dann passierte, war aus Sicht der Mutter völlig übertrieben. „Anruf bei<br />
der Polizei, Amoklauf. Da sind die mit 4 großen Einsatzwagen in der Schule aufgetaucht“.<br />
„Aber Frau G., die Erzieherin, musste ja noch eine Anzeige machen, wegen<br />
Körperverletzung. Das war ganz doll wichtig für sie.“ Aufgr<strong>und</strong> dieser Eskalationen ist die<br />
Familie dann zum Jugendamt gegangen, hat sich dort beraten lassen <strong>und</strong> hat eine Hilfe zur<br />
Erziehung beantragt. Zwischenzeitlich haben die Eltern beim Schulrat versucht, dass<br />
Schulverbot wieder aufzuheben, was aber nicht gelang.<br />
In diesem Teil des Textes wird deutlich, dass Aufklärung vorhandene Ängste <strong>und</strong><br />
Vorurteile abbauen kann. „Erst hatte ich ein bisschen Angst davor. Aber unsere Nachbarn<br />
hier, die Schwiegertochter arbeitet in Berlin im Jugendamt. Die hat mir auseinandergesetzt,<br />
was Hilfe zur Erziehung eigentlich ist. Von daher war ich dann beruhigt, hatte<br />
dann auch Hoffnung. Dass wir auch mit unseren Problemen, die wir durch die Schule<br />
hatten, nicht mehr alleine dastehen.“<br />
Anfangs beschreibt die Mutter in der Zusammenarbeit die Situation, mit dem ersten<br />
Kennen Lernen des Helfers. Dies deutet darauf hin, dass ihr der erste Eindruck des<br />
Menschen sehr wichtig ist. Sie haben sich vom Helfer gewertschätzt <strong>und</strong> in ihren<br />
Problemen verstanden gefühlt.“ Als Christian ihn kennen gelernt hat, hat er gesagt, er
86<br />
glaubt nicht, dass das allein Christians Schuld ist, dass die Situation so eskaliert ist. Dass<br />
er ein netter, wohlerzogener Junge ist, der irgendwo Probleme hat, aber nicht weiß, wie er<br />
die lösen soll. Herr Y. hatte immer ein offenes Ohr für uns.“ Die Mutter gab an, dass ihr<br />
der Zuspruch das Selbstbewusstsein steigert. „Oder auch an Problemen, die man selber<br />
auch an sich hat. Man zweifelt ja auch an sich selbst, wenn ganz viel schief läuft mit dem<br />
Kind. Wir zumindest, oder ich zumindest. Ich hab immer gesagt, was machst du falsch.“<br />
Auch beim Jugendamt hat sich die Mutter verstanden gefühlt, weil sie ernst genommen<br />
wurde <strong>und</strong> das Jugendamt Zeit für ihr Problem hatte. Das konnte ihre Ängste abbauen.<br />
Obwohl eine deutliche Verbesserung für die gesamte Familie eingetreten ist, ist die Mutter<br />
immer noch zu unsicher, um ohne die regelmäßige Rückmeldung auszukommen. „So in<br />
mir drinnen hab ich noch das Gefühl, wir sind noch nicht ganz da, wo wir hin sollten.“<br />
„Vor allen Dingen das offene Ohr.“<br />
Während zum Anfang der Hilfe die Unwissenheit <strong>und</strong> damit die Ängstlichkeit dominierte,<br />
konnten die Eltern schnell ein Vertrauen zum Helfer aufbauen <strong>und</strong> an ihren Zielen<br />
gemeinsam arbeiten. Vor allem die Eltern waren sehr motiviert, sich für ihren Sohn zu<br />
ändern. Trotzdem sehe ich in dieser Phase eine große Gefahr, von dem Helfer abhängig zu<br />
werden. „Er kann mir sagen, mach dass mal lieber so, oder so, <strong>und</strong> dann geht ihr mal weg<br />
<strong>und</strong> kann zu Christian auch mal sagen, pass mal auf, was du da machst geht nicht. Weil er<br />
darauf hört <strong>und</strong> er darüber nachdenkt, was Herr H. oder Herr Y. gesagt haben, als die<br />
Eltern. Er ist jemand, der nicht zu Familie gehört.“<br />
Natürlich ist Abschied auch immer mit Trauer verb<strong>und</strong>en. „Ich bin ein bisschen traurig,<br />
dass das nachher zu Ende geht. Ich hoffe, dass es trotzdem gut weiter läuft auch mit<br />
Christian.“ Ich bin der Meinung, dass die Eltern stolz auf sich sein können, dass sie aus<br />
der Hilfe so viel für die Erziehung mit ihrem Sohn gelernt haben. Davon kann die gesamte<br />
Familie auch für die Zukunft profitieren. Ich hoffe, dass ihnen die Hilfe das notwendige<br />
Selbstvertrauen gegeben hat, um in Zukunft die anstehenden Konflikte ohne Hilfe zu<br />
bewältigen. Schließlich ist es Ziel der Hilfen zur Erziehung „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu<br />
geben.
5.2.3 Vater von Christian<br />
5.2.3.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Vaters<br />
87<br />
Der Vater von Christian stellte sich meinem Interview. Ich merkte ihm aber an, dass er<br />
anfänglich nicht wirklich über die Hilfe nachdenken wollte. Dann kamen ihm aber die<br />
Erinnerungen wieder, <strong>und</strong> es wurde ein sehr interessantes Interview. Bemerkenswert dabei<br />
ist, mit welchem Arrangement der Vater auch in dieser Hilfe mitgewirkt hat. Dies war<br />
deutlich zu spüren. Mein Gefühl in dieser Familie war, dass sich die Eltern trotz aller<br />
Schwierigkeiten in ihrem Vorgehen sehr einig sind <strong>und</strong> dieses dem Sohn zugute kommt.<br />
Beim Vater war sehr deutlich zu spüren, dass er sein Kind liebt, egal welche Probleme es<br />
gibt. Der Vater hatte in diesem Gespräch einen sehr ehrlichen Eindruck auf mich gemacht.<br />
5.2.3.2 Perspektive des Vaters<br />
Der Vater sieht den Anlass der <strong>Familienhilfe</strong> folgendermaßen. Die Eltern haben erkannt,<br />
dass sich Dinge verändern müssen. Sie haben sich ihren Ängsten gestellt <strong>und</strong> haben sich<br />
im Interesse ihres Kindes Hilfe geholt. Dies weist auf ein gutes Reflexionsvermögen der<br />
Eltern hin, sowie eine hohe Bereitschaft, auch an sich zu arbeiten. „Das ging, wir kamen<br />
nicht mehr klar damit was in der Schule passiert ist <strong>und</strong> auch zu Hause. Und da haben wir<br />
gesagt, erst wollten wir auch gar nicht, dass wir zum Jugendamt hingehen. Aber dann<br />
haben wir gedacht, bevor andere hingehen <strong>und</strong> sagen wir können es nicht, sind wir<br />
hingegangen.“<br />
Der Vater beschreibt eine gute Zusammenarbeit mit den Helfern <strong>und</strong> begründet dies. Er hat<br />
uns gesagt, wie wir es machen sollen, wenn wir alleine sind. Und wenn wir doch nicht klar<br />
kommen, können wir ihn anrufen. Die Eltern haben eine konkrete Leistung erwartet <strong>und</strong><br />
die Helfer konnten diese konkreten Erwartungen gut umsetzten.<br />
Es wird deutlich, dass zwischen dem Vater <strong>und</strong> den Helfern eine positive Beziehung<br />
aufgebaut wurde. „Der Herr Y. war ja auch so wie ein Fre<strong>und</strong>. Herr H. jetzt auch. Wie ein<br />
guter Fre<strong>und</strong>.“ Jedoch ist zu diesem Zeitpunkt die Gefahr einer Abhängigkeit zum Helfer<br />
gegeben, sich ständig auf den Helfer verlassen zu können. „Und wenn wir doch Probleme
88<br />
hatten, jetzt mit Krischi, konnten wir anrufen, dann kamen sie <strong>und</strong> haben dann das<br />
geregelt. Und wir brauchten uns da nicht Reinzustecken.“<br />
Der Vater beschreibt, die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt so. „Die Frau R. die ist gut,<br />
die ist nett, kann das verstehen was wir haben <strong>und</strong> so. Doch. Nicht das was sie im<br />
Fernsehen gebracht haben. Jugendamt ist Scheiße, also Jugendamt ist gut. Also nach<br />
meiner Sicht. Also nach meiner Sicht ist das Jugendamt da <strong>und</strong> die machen auch was. Also<br />
in meiner Hilfe haben die mir geholfen.“ Dies bedeutet, dass er sich mit seinem Problemen<br />
ernst genommen gefühlt hat <strong>und</strong> sich nicht von Vorurteilen hat leiten lassen.<br />
Der Vater meint, dass es noch einige Dinge gibt, die besser laufen könnten <strong>und</strong> wünscht<br />
sich noch weitere Unterstützung. „Ich weiß nicht, ob wir genau schon am Ende sind, oder<br />
noch so in der Hälfte drinnen sind.“ „Offen ist noch seine Umgangsart, dass ist noch nicht<br />
so wie ich das gerne möchte.“<br />
Deutlich ist an dem Gespräch zu merken, dass der Vater Zukunftsängste hat <strong>und</strong> dass er<br />
Christian diese Unterstützung im Leben nicht bieten kann.<br />
„Ich habe Angst, dass er im Leben nicht weiter kommt. Solche Angst hab ich, dass er, er<br />
nimmt das so auf die leichte Schulter. Das Leben aber ist hart. So, <strong>und</strong> er muss das<br />
auswiegen können. Das kann er noch nicht, ne. Da braucht er noch Hilfe.“ In diesem<br />
Abschnitt kommt die Liebe zu seinem Sohn sehr gut zum Ausdruck.<br />
Die Probleme <strong>und</strong> der Leidensdruck der Eltern waren vor der Hilfe so groß, dass sie ihre<br />
Angst <strong>und</strong> ihren Stolz überw<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> sich Unterstützung von außen gesucht<br />
haben. „Anfangs beschissen. Ich geh nicht zum Jugendamt. Angst gehabt. Ne das mach’ ich<br />
nicht. Und weil wir dann ja nicht mehr wussten, was vorne <strong>und</strong> was hinten war, weil<br />
Schule <strong>und</strong> zu Hause, ne, sind wir zum Jugendamt hingegangen.“<br />
„Was sagen die uns jetzt? Sind wir die Beschissenen? Können wir kein Kind erziehen?“<br />
Und weil sie ihre Angst überw<strong>und</strong>en haben, konnten sie eine positive Erfahrung mit dem<br />
Jugendamt machen. „Die hat uns die Angst genommen. Also das find ich ja gut dabei.<br />
Wenn was ist oder so, Jugendamt hilft.“<br />
In der Mitte der Hilfe konnte die anfängliche Motivation durch Erfolge in der Hilfe<br />
erhalten bleiben.<br />
Die Eltern wünschen sich auch für die Zukunft einen Ansprechpartner, der ihnen<br />
Sicherheit gibt. Sie müssen es aber lernen, durch ihr neu erworbenes Selbstbewusstsein in
89<br />
Zukunft die Dinge selbst zu regeln. Die <strong>Familienhilfe</strong> ist eine Hilfe, die auf Zeit angelegt<br />
ist. „Schade, dass es bald zu Ende ist. Das ist dann Mist. Aber da hätte ich länger, aber die<br />
zahlen ja nichts.“<br />
5.2.4 Familienhelfer Herr Y.<br />
5.2.4.1 Wahrnehmung der Interviewsituation des Familienhelfers Herrn Y.<br />
Herrn Y. war anzumerken, dass er sich gerne an den Fall erinnert. Er sprach sehr positiv<br />
über die Familie. Ich merkte ihm an, dass er eine klare Position zu den Eltern bezog <strong>und</strong> zu<br />
ihnen hielt. Er hatte sich für diese Familie eingesetzt, <strong>und</strong> es hat sich gelohnt. Ihm war<br />
auch etwas Stolz anzumerken, da dieses Problem so gut gelöst werden konnte.<br />
Herr Y. machte auf mich einen entspannten Eindruck in dem Interview.<br />
5.2.4.2 Perspektive des Familienhelfers Herr Y.<br />
Herr Y. beschriebt den Anlass der SPFH sehr ausführlich. Dies zeigt, dass er sich noch gut<br />
an den Anlass der Hilfe erinnern kann. Er beschreibt die beteiligten Personen <strong>und</strong> den<br />
Vorfall, den es damals in der Schule gab.<br />
Nachträglich gab es eine medizinische Diagnostik von Christian, die ergab, „dass er schon<br />
’ne Intelligenzminderung hat. Dass er schon Aggressionsschübe hat, hin <strong>und</strong> wieder, aber<br />
immer nur, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt <strong>und</strong> immer wenn er sich selber hilflos<br />
erlebt.“ Dann beschreibt Herr Y. nun den Konflikt zwischen der Schule <strong>und</strong> den Eltern.<br />
„Und hat sich dann aber krankschreiben lassen <strong>und</strong> hat dann eine Anzeige gemacht wegen<br />
Körperverletzung. Die Eltern haben dann eine Gegenanzeige <strong>und</strong> allen Kram gemacht.“<br />
Herr Y. erzählt, wie er nun zu diesem Fall gekommen ist <strong>und</strong> welchen Auftrag er vom<br />
Jugendamt bekam. „Also im Endeffekt ging es darum, die Eltern zu begleiten, in diesen<br />
Streit, in Anführungsstrichen, mit der Schule, weil die Direktorin gesagt hat, sie will ihn da<br />
nicht mehr beschulen.“ „Und dann war sozusagen ein Ziel damals, ja ’ne Klärung herbeizuschaffen.“<br />
Danach geht Herr Y. darauf ein, wie Christian sich eigentlich in diesem<br />
ganzen Konflikt gefühlt haben muss. “Ist dann quasi einzeln beschult worden, hat immer<br />
Extraaufgaben gekriegt usw. <strong>und</strong> war da sehr unglücklich, weil er da keinen kannte.“
90<br />
Nach einem erneuten Ausraster von Christian kam es zu Anfeindungen zwischen Eltern<br />
der Klasse <strong>und</strong> Christians Mutter. „Da kamen zwei Mütter zu ihr in den Laden mittags, vor<br />
versammelter K<strong>und</strong>schaft, wurde sie da zusammengeschissen, wegen ihrem scheiß Sohn,<br />
macht jetzt Frau M. oder weiß ich wie die Lehrerin da hieß, will die nicht mehr unsere<br />
Klasse unterrichten.“ Nun konnten die Eltern sich für einen Schulwechsel entscheiden.<br />
Nach einer Ablehnung in der Weinbergschule hat die Familie Kontakt zu der Albert<br />
„Schweizer“ Schule (Schule für individuelle Lebensbewältigung) aufgenommen <strong>und</strong> hatten<br />
zum Erstaunen aller auf einmal die Unterstützung der Direktorin der Körperbehindertenschule.<br />
„Unser Eindruck war damals, also der Eindruck der Eltern <strong>und</strong> auch meiner, die<br />
waren froh, dass sie den los waren <strong>und</strong> die Direktorin der „Körperbehindertenschule“,<br />
dass das Problem aus der Welt war <strong>und</strong> alles war gut.“ Es kommt deutlich durch das Wort<br />
„wir“ zum Ausdruck, dass Herr Y. sich der Problematik der Familie ganz angenommen hat<br />
<strong>und</strong> er wirklich sehr engagiert ist, um eine Lösung zu finden. Seine Freude über die<br />
Lösung kommt hier sehr gut zum Ausdruck.<br />
Herr Y. beschreibt die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt folgendermaßen. „Also ich<br />
hatte so den Eindruck, dass er sofort erfasst worum es geht. Die wollten den Jungen<br />
loswerden, <strong>und</strong> da macht die Schule keinen Hehl draus. Wir waren uns im Endeffekt sofort<br />
einig, auch mit den Eltern, den Jungen von der Schule zu nehmen <strong>und</strong> ihn woanders unterzubringen.“<br />
In diesen Zeilen wird deutlich, dass Herr Y. das Hilfesystem <strong>und</strong> die Familie<br />
als Einheit sieht. Dies zeigt eine gute Basis, um Veränderungen nachhaltig herbeizuführen.<br />
Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern beschreibt Herr Y. als positiv. Deutlich zeigt sich<br />
das in dieser Aussage. „Also ich hab selten Eltern erlebt, die so engagiert sind für ihr<br />
Kind. Die so mitwirkungsbereit sind <strong>und</strong> die so bereitwillig Vorschläge <strong>und</strong> Ratschläge<br />
annehmen <strong>und</strong> versuchen umzusetzen. Die waren dankbar über jeden Hinweis, über jeden<br />
Tipp <strong>und</strong> froh, dass sie endlich mal mit jemandem darüber reden können.“ Dennoch hat<br />
der Helfer einen kritischen Blick auf die Eltern <strong>und</strong> macht nicht nur die Schule alleine für<br />
die Probleme verantwortlich. Die Defizite beschreibt Herr Y. so. „Es lag in erster Linie<br />
daran, dass sie ihren eigenen Sohn nicht wie ihr Kind behandelt haben, sondern eher wie<br />
einen Kumpel. Also das war nicht so ’ne Eltern- Kind-Beziehung, sondern eine so auf<br />
Kumpelebene, ne. Und das weicht natürlich auch viele Grenzsetzungsprozesse auf.“ Das<br />
konnte er sachlich bei den Eltern anbringen, <strong>und</strong> sie waren bereit, an sich zu arbeiten. „<strong>und</strong><br />
da waren sie auch sehr mitwirkungsbereit <strong>und</strong> haben das dankend angenommen als sie<br />
gemerkt haben, dass es etwas bringt. Also dann mal auch einfach mal ’ne klare Ansage zu
91<br />
machen <strong>und</strong> die dann auch durchsetzen muss. Und wenn man Sanktionen ankündigt, die<br />
dann auch durchsetzen muss, haben sie gemerkt dass er damit viel besser umgehen kann,<br />
als mit diesem Wischiwaschi Aushandlungsgeschichten, so.“ Dadurch, dass die Eltern das<br />
Vereinbarte so gut umsetzen konnten, hat es auch den Helfer in seiner Arbeit bestärkt.<br />
„Mein Gefühl war dabei sehr positiv, weil dass eben anders war als man das sonst erlebt.<br />
Man fühlt sich bestätigt.“<br />
Die Zielerreichung beschreibt Herr Y. folgendermaßen. “…aber nach so ’ner Phase, nach<br />
einem viertel Jahr, lief das denn w<strong>und</strong>erbar. „Er fühlt sich jetzt sauwohl da. Die Klassenlehrerin<br />
war total zufrieden mit ihm. Also es war nachher auch erstaunlich wie schnell er<br />
sich da, denn am Anfang hatte er so Phasen wo er denn weggelaufen ist.“ Herrn Y. war<br />
sichtlich anzumerken, dass er froh war mit dem Eltern so eine Lösung gef<strong>und</strong>en zu, haben,<br />
die Christian auch sehr gut annehmen konnte. „Das ist im Prinzip genau die Schule, die für<br />
ihn das Richtige ist.“<br />
Zu Beginn der Hilfe hatte Herr Y. nicht so viele Hoffnungen, dass sich dieser Fall eines<br />
Tages ins Positive wendet. Seine Gefühle beschreibt Herr Y. dabei so. „Am Anfang war es<br />
so, dass ich gedacht hab, ach du Scheiße, was wird das jetzt. Weil es für mich am Anfang<br />
so aussah, dass ist so’ ne verfahrene Kiste, so’ ne verzwickte Situation ist, ’ne resolute<br />
Schulleiterin, die auf ihrem Standpunkt beharrt. Auf der anderen Seite ein Elternpaar, dass<br />
wirklich wie die Löwen für ihr Kind kämpfen. Zwei Gegenpole, die sehr, starrsinnig sind,<br />
sag ich jetzt mal. Wo es nicht möglich ist von ihrem Standpunkt abzuweichen. Die<br />
Direktorin wollte, dass er die Schule verlässt. Die Eltern wollten, dass er auf der Schule<br />
bleibt. Und da jetzt sozusagen als Vermittler, sag ich mal jetzt, rein zu gehen, kannst du dir<br />
nur ne blutige Nase holen.“<br />
Herr Y. hatte dabei immer den Blick auf Christians Gefühle <strong>und</strong> konnte sich gut in den<br />
Jungen hineinversetzten. „Und als ich dann gemerkt hab, dass in dem Ganzen, in diesem<br />
ganzen Wirrwarr keiner daran gedacht hat, wie es Christian dabei geht.“ „Und der fühlte<br />
sich total unwohl.“<br />
Danach beschreibt Herr Y., wie bereit die Eltern waren für ihren Sohn alles zu tun, damit<br />
Christian nicht diesen Problemen ausgesetzt ist. Hier bemerke ich, dass Herr Y. eine große<br />
Akzeptanz gegenüber den Eltern zeigt <strong>und</strong> diese sich in ihren Problemen ernst genommen<br />
fühlen. „Also die waren zum Beispiel, die wären bereit gewesen, um den Sohn ’ne andere<br />
Schule zu suchen, umzuziehen nach Winsen beispielsweise.“ „Nur weil sie dort über das
92<br />
Internet recherchiert haben, dass es dort ’ne Schule gibt, die sozusagen genau richtig<br />
wäre. Die würden für ihn alles tun. Und als ich das festgestellt hab, da dacht ich, das<br />
könnt’ was werden.“<br />
Herr Y. beschreibt, dass die Hilfe von allen Familienmitgliedern sehr dankbar<br />
angenommen wurde <strong>und</strong> eine baldige Trennung vom Familienhelfer noch gar nicht in<br />
Frage kam. „Ja, wir brauchen noch das Gespräch. Die hatten sich einfach dran gewöhnt,<br />
dass da immer einmal in der Woche jemand kommt, mit dem man über seine Sachen reden<br />
kann, auch über Kleinigkeiten, die so im Alltag passieren, wo es Schwierigkeiten gibt, ich<br />
sag mal kleinere Schwierigkeiten. Das einfach jemand da ist, mit dem man über so’ ne<br />
Sachen reden kann.“ Ein Ziel musste es also noch sein, dass die Eltern im Selbstvertrauen<br />
so gestärkt werden, dass sie wieder ihre eigene Meinung als richtig ansehen <strong>und</strong> sich nicht<br />
nur auf die Ansage des Helfers verlassen.<br />
Zum Ende kann Herr Y. nichts sagen, weil die Hilfe noch läuft. Sein Gefühl war dabei.<br />
„Eigentlich hätte man die Hilfe nach dem Vierteljahr Schulwechsel beenden können. Die<br />
Eltern kommen gut klar. Es gab nicht mehr diesen Konfliktherd. Die Direktorin <strong>und</strong> die<br />
schreckliche Klassenlehrerin, dass ist weggefallen. Und eigentlich kommen die super klar<br />
mit dem Kind.“<br />
5.2.5 Jugendamt Frau R.<br />
5.2.5.1 Wahrnehmung der Interviewsituation Frau R.<br />
Frau R. beschreibt den Fall als sehr entlastend <strong>und</strong> freute sich darüber, auch „<strong>Erfolgs</strong>fälle“<br />
zu haben. Die gesamte Interviewsituation verlief sehr ruhig, auch wenn wir den Fall zwei<br />
Mal durchsprechen mussten, weil das Tonband beim ersten Mal nicht mitlief. Sie tat mir<br />
leid, weil sie alles noch mal erzählen musste.<br />
Anfangs merkte ich, dass sie beim zweiten Durchlauf etwas irritiert war, nicht so die<br />
richtigen Worte fand. Dies besserte sich aber schnell <strong>und</strong> dann empfand ich die Interviewsituation<br />
sehr entspannend. Es war ihr anzumerken, dass sie bemüht war, mir soviel<br />
Informationen wie möglich zu geben. Frau R. freute sich sehr, als das Interview endlich zu<br />
Ende <strong>und</strong> die Aufnahme zudem noch geglückt war.
93<br />
Mir ist aufgefallen, dass Frau R. wenig emotionale Dinge in das Interview mit einbringen<br />
konnte. Ich vermute, es liegt daran, dass die Quantität der Kontakte zwischen der Familie<br />
<strong>und</strong> dem Jugendamt doch deutlich weniger sind als die der Familienhelfer.<br />
5.2.5.2 Perspektive von Frau R.<br />
Frau R. berichtete, dass sie diesen Fall erst später übernommen hat <strong>und</strong> dadurch den Anlass<br />
aus den Akten heraus nehmen musste. Unter ihrer Fachaufsicht wandelte sie die<br />
anfängliche Beistandschaft für Christian in eine <strong>Familienhilfe</strong> um <strong>und</strong> der Schulwechsel<br />
zur „Schweitzer“ Schule wurde vollzogen. Diese Veränderungen beschreibt sie folgendermaßen.<br />
„Dass heißt Themen, die dann im Mittelpunkt standen, betrafen die ganze Familie.<br />
Mit dem Schulwechsel gab es eine deutliche Entlastung in der Familie <strong>und</strong> die Familie<br />
konnte dadurch mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.“ „Themen, die den Jungen<br />
betrafen im Zusammenleben mit seiner Familie wie Grenzsetzung, Aushalten aber auch<br />
Loslassen sind Themen gewesen.“<br />
Frau R. beschreibt weiterhin sehr sachlich, die positive Zusammenarbeit mit der Familie.<br />
„Die Familie selbst hatte also Rat gesucht <strong>und</strong> hat die Hilfe auch, für sich in Anspruch<br />
genommen“ „Die Familie ist kooperationsbereit, hat also alle Termine eingehalten, die<br />
Vereinbarungen, die getroffen worden sind oder die Zielvereinbarung des Hilfeplanes gut<br />
umsetzen. Sie haben sich dort aktiv mit eingebracht in der Zielsetzung <strong>und</strong> konnten<br />
Vorschläge gut annehmen. Die Hilfe, die unterbreitet wurde in der Vergangenheit, die<br />
waren immer daran interessiert, dass das Ganze auch zielführend <strong>und</strong> zielorientiert ist, ne.<br />
Beide Helfer wurden gut angenommen von der Familie, als auch aus meiner Sicht gut<br />
angenommen.“ Dennoch konnte ich bei Frau R. bemerken, dass sie froh ist, auch mal<br />
solchen entspannten Fall zu begleiten.<br />
Dann beschreibt Frau R. die Punkte in denen die Familie entlastet werden konnte <strong>und</strong><br />
macht darauf aufmerksam, dass sie es gut findet, jetzt an den Familienproblemen arbeiten<br />
zu können. “Sondern man konnte auch auf andere Themen gucken, die auch wichtig<br />
waren. Also Themen im Zusammenleben <strong>und</strong> mit den Auffälligkeiten des Jungen<br />
umzugehen, Grenzen auszutesten <strong>und</strong> auch durchzuhalten <strong>und</strong> auch so ein Stückchen auf<br />
Gr<strong>und</strong> des Alters auch loslassen zu können.
94<br />
Ein Punkt, wäre ihr jetzt noch wichtig, der bearbeitet werden soll. „Und an dem Punkt wo<br />
wir jetzt sind innerhalb der sozialpädagogischen <strong>Familienhilfe</strong> geht es eher darum, also<br />
auch eine Ablösung hinzubekommen, den Helfer aus diesem System wieder lösen zu<br />
können.“<br />
5.3 Gegenüberstellung der Fallbeispiele<br />
Um den Erfolg <strong>und</strong> die Wirkung der SPFH von beiden Fällen messen zu können, werden<br />
die Ergebnisse <strong>und</strong> die Beendigungsgründe gegenübergestellt, sowie deren jeweilige<br />
Rahmenbedingungen verglichen.<br />
Zur Zielerreichungsskala von eins bis sechs steht die eins für Misserfolg <strong>und</strong> die sechs für<br />
völligen Erfolg. Dies gilt für beide Fallanalysen.<br />
5.3.1 Fall Hans<br />
Hans<br />
Mutter von Hans<br />
Familienhelfer Herr X.<br />
Jugendamt Frau Q.<br />
Konnten die Ziele oder Teilziele erreicht werden?<br />
1 2 3 4 5 6<br />
würde ich jetzt mal eher sagen nicht<br />
es haben sich Dinge verändert<br />
es haben sich Dinge dazugefügt, die sich dann verschlechtert<br />
haben<br />
einige Dinge sind dann einfach so geblieben<br />
1<br />
nicht wirklich<br />
2 3 4 5 6<br />
Hans hat hinterher gesagt, er hat nie vorgehabt sich an die<br />
Kompromisse zu halten<br />
für ihn war das alles Dallerei<br />
Herr X. hat das nicht durchschaut<br />
1 2 3 4 5 6<br />
ich denke schon, dass es ein paar Ziele gab, die sich auch erfüllt<br />
haben<br />
haben gelernt, sich gegenseitig zu akzeptieren<br />
1 2 3 4 5 6<br />
im Hilfeplangespräch hat Hans ganz deutlich benannt, dass er,<br />
Erfolge in der Hilfe für sich sieht<br />
die Zusammenarbeit sich sehr positiv gestaltet hat <strong>und</strong> sie auch<br />
sehr viel im Freizeitbereich zusammen gemacht haben<br />
Hans bewertet seine Zielerreichung auf der Skala mit einer Vier. Das bedeutet im Sinne<br />
der Zielstellung ein Erfolg. Sprachlich beantwortet Hans die Frage allerdings so, dass er
95<br />
einen Misserfolg sieht. Es bleibt also festzustellen, dass es einen Widerspruch zwischen<br />
der Antwort der Skalenfrage <strong>und</strong> der eigenen Beschreibung gibt.<br />
Die Mutter antwortet auf die Frage mit der Erreichung der Ziele oder Teilziele auf der<br />
Skala mit einer Zwei. Zwei bedeutet in diesem Fall eher einen Misserfolg im Sinne der<br />
Erreichung der Zielsetzung. Diese Aussage bestätigt sie mit ihrer sprachlichen<br />
Beschreibung.<br />
Auf die Skalierungsfrage antwortet der Helfer Herr X. mit einer Vier. Die Vier bedeutet in<br />
diesem Fall, dass das Ziel überwiegend erreicht ist. Herr X. bestätigt diese Aussage in<br />
seiner Beschreibung.<br />
Das Jugendamt Frau Q. bewertet die Zielerreichung auf der Skala mit einer Fünf <strong>und</strong><br />
beschreibt dieses mit einer fast optimalen Zielerreichung. Frau Q. bestätigt diese<br />
Einschätzung in ihrer Beschreibung.<br />
Es bleibt festzustellen, dass das Jugendamt <strong>und</strong> der Familienhelfer die Zielerreichung<br />
deutlich positiver bewerten, als die Mutter <strong>und</strong> Hans.<br />
Welchen Beendigungsgr<strong>und</strong> gab es?<br />
Hans weil einfach die Zeit zu Ende war<br />
Mutter von Hans<br />
Familienhelfer Herr X.<br />
Jugendamt Frau Q.<br />
wir haben glaub ich drei Verlängerungen gehabt<br />
Und das Herr X. dieses Ohnmachtsgefühl entwickelt hat, <strong>und</strong> gesagt<br />
hat, wir haben alles 100 Mal durchgekaut<br />
Herr X. weiß nicht mehr, was er machen soll.<br />
Hans mit seinem Eingeständnis, hab ich ohnehin nicht gewollt<br />
ich mit meinem Motivationsknick<br />
erstens war es ja eine ganze Zeit gelaufen<br />
wir sind an einem Punkt gekommen, wo wir immer uns im Kreis<br />
gedreht haben<br />
Hans sagte, er habe sich jetzt arrangiert<br />
dass man es akzeptieren konnte, das die Hilfe beendet war, weil es<br />
gab jetzt keinen Gr<strong>und</strong> ihr zu sagen, aus den <strong>und</strong> den Gründen muss<br />
die Hilfe weitergeführt werden<br />
Es gab auch keine gefährdeten Situationen, so wo man hätte<br />
einschreiten müssen<br />
Die Frage, welchen Beendigungsgr<strong>und</strong> gab es, hat Hans insofern beantwortet, dass er der<br />
Auffassung ist, die Zeit für eine SPFH ist abgelaufen.<br />
Die Mutter beschreibt als Beendigungsgr<strong>und</strong> eindrucksvoll das Ohnmachtsgefühl <strong>und</strong> die<br />
Hilflosigkeit des Helfers. Weiterhin deutet sie auch auf die abgelaufene Zeit der SPFH hin,<br />
indem sie von drei Verlängerungen spricht.<br />
Herr X. gibt als Beendigungsgr<strong>und</strong> ebenfalls die abgelaufene Zeit an <strong>und</strong> beschreibt, dass<br />
es keine weitere Entwicklung in dieser Familie gegeben hat. Zudem deutet er an, dass bei
96<br />
Hans ein Teilerfolg zu verzeichnen war <strong>und</strong> dadurch die Beendigung der Hilfe zu<br />
rechtfertigen ist.<br />
Das Jugendamt Frau Q. beschreibt als Beendigungsgr<strong>und</strong> einerseits, dass es keinen Gr<strong>und</strong><br />
mehr gibt, die Hilfe weiterzuführen, <strong>und</strong> andererseits, dass keine gefährliche Situation<br />
vorliegt, indem das Kindeswohl gefährdet ist.<br />
Offensichtlich haben alle Beteiligten die abgelaufene Zeit als vordergründigen<br />
Beendigungsgr<strong>und</strong> gesehen <strong>und</strong> entschieden, dass die Hilfe nicht mehr notwendig ist.<br />
Familienhelfer Herr X.<br />
Jugendamt Frau Q.<br />
Welche Rahmenbedingungen lagen für die Hilfe vor?<br />
Herr X. hat eine Festanstellung beim freien Träger (40 Std.<br />
Arbeitswoche)<br />
Herr X. arbeitet in einem professionellen Team, wo eine<br />
wöchentliche Teamberatung, kollegiale Beratung <strong>und</strong> eine<br />
monatliche Supervision stattfinden.<br />
Herr X. ist Sozialarbeiter/-pädagoge mit einer Zusatzausbildung zur<br />
Klientenzentrierten Gesprächsführung<br />
Berufserfahrung<br />
Frau Q. hat eine Festanstellung bei der Stadt (30 Std. Arbeitswoche)<br />
Frau Q. arbeitet in einem professionellen Team, wo eine<br />
wöchentliche Teamberatung, kollegiale Beratung <strong>und</strong> eine<br />
monatliche Supervision stattfinden.<br />
Frau Q. ist Sozialarbeiter/-pädagoge<br />
Berufserfahrung<br />
halbjährlich wurden Hilfeplangespräche durchgeführt<br />
Für alle Beteiligten konnten optimale Rahmenbedingungen festgestellt werden. Das gilt<br />
insbesondere für Herrn X. <strong>und</strong> Frau Q.<br />
Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass die Hilfe für die Familie keinen deutlichen<br />
Gewinn einbrachte.
5.3.2 Fall Christian<br />
Christian<br />
Mutter von Christian<br />
Vater von Christian<br />
Familienhelfer Herr Y.<br />
Jugendamt Frau R.<br />
97<br />
Konnten die Ziele oder Teilziele erreicht werden?<br />
1 2 3 4 5 6<br />
die Schule war besser <strong>und</strong> mein Verhalten war besser<br />
es hat mir geholfen<br />
1 2 3 4 5 6<br />
ich bin der Meinung, wir haben das Ziel noch nicht ganz erreicht<br />
so innen drinnen hab ich noch das Gefühl, wir sind noch nicht<br />
ganz da, wo wir hin sollten<br />
also es ist immer noch so, dass wir noch ein bisschen Hilfe<br />
gebrauchen könnten, vor allem das offenen Ohr<br />
<strong>und</strong> das Loslassen, es akzeptieren, dass es so ist<br />
1 2 3 4 5 6<br />
ich weiß nicht, ob wir schon am Ende sind, oder noch so in der<br />
Hälfte drinnen<br />
natürlich ist es besser geworden<br />
Schule ist ideal erfüllt<br />
offen ist noch seine Umgangsart<br />
1 2 3 4 5 6<br />
ja, auf jeden Fall<br />
er fühlt sich jetzt sau wohl da<br />
das ist im Prinzip genau die Schule, die für ihn das Richtige ist<br />
1 2 3 4 5 6<br />
ist es aufgr<strong>und</strong> des Schulwechsels <strong>und</strong> auch der durchführenden<br />
Diagnostik, zu einer erheblichen Entlastung gekommen<br />
wieder in die Schule gehen zu dürfen, ohne dass es Stress im Hintergr<strong>und</strong><br />
gibt<br />
Zusammenleben mit den Auffälligkeiten des Jungen<br />
Bei der Frage, ob die Ziele oder Teilziele in der SPFH erreicht worden sind, antwortet<br />
Christian mit einer Fünf. Das bedeutet im Sinne der Zielerreichung ein fast optimales<br />
Ergebnis. Christian untermauert diese Aussage mit seinen Beschreibungen.<br />
Gleiches gilt für die Mutter von Christian. Auch sie bewertet die Ziel- oder Teilzielerreichung<br />
bei der Skalenfrage mit einer Fünf. In ihrer Begründung unterstreicht sie das plausibel.<br />
Der Vater bewertet auf der Skala die Zielerreichung mit einer Drei, deutet aber auch auf<br />
positive Veränderungen in der Familie hin. Auch er beschreibt seine Aussage plausibel <strong>und</strong><br />
macht deutlich, dass er diese Hilfe weiterhin gerne in Anspruch nehmen möchte, weil die<br />
„Umgangsart“ von Christian aus seiner Sicht offensichtlich noch entwicklungsfähig ist.<br />
Dazu wünscht sich der Vater noch Unterstützung.<br />
Herr Y. bewertet die Skalenfrage mit einer Sechs <strong>und</strong> beschreibt im Gespräch das optimale<br />
Erreichen der gestellten Ziele.
98<br />
Das Jugendamt Frau R. bewertet die Skalenfrage mit einer Fünf <strong>und</strong> beschreibt im<br />
Gespräch eine fast optimale Zielerreichung.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass alle Beteiligten eine positive Veränderung<br />
wahrgenommen haben <strong>und</strong> sich die Hilfe positiv gestaltet.<br />
Welchen Beendigungsgr<strong>und</strong> gab es?<br />
Christian ich finde es schade, dass die Hilfe jetzt beendet ist<br />
Mutter von Christian ich bin ein bisschen traurig, dass das nachher zu Ende ist.<br />
Vater von Christian ich hätte mir gewünscht, dass es noch ein bisschen länger geht<br />
Familienhelfer Herr Y.<br />
Jugendamt Frau R.<br />
die Eltern kommen gut klar<br />
es gab nicht mehr diesen Konfliktherd<br />
<strong>und</strong> eigentlich kommen die super klar mit dem Kind<br />
noch nicht beendet<br />
Stabilität, die momentan vorhanden ist, weiter zu festigen<br />
Familie so viele Ressourcen hat <strong>und</strong> gut <strong>und</strong> gerne wieder alleine<br />
klar kommt<br />
Konflikte, die überall auftreten, denke ich auch positiv lösen können<br />
dass sie viel Potenzial mit dieser Hilfe sammeln konnten<br />
Strategien entwickelt haben, damit umzugehen <strong>und</strong> den Jungen<br />
auch dabei gut zu begleiten<br />
Die Frage, welchen Beendigungsgr<strong>und</strong> gab es, hat Christian nicht beantwortet. Er hat<br />
jedoch sein bedauern ausgedrückt, dass die Hilfe in dieser Form beendet ist.<br />
Die Mutter teilt diese Meinung von Christian. Auch der Vater macht deutlich, dass er die<br />
Hilfe gerne noch länger in Anspruch genommen hätte.<br />
Der Helfer Herr Y. beschreibt als Beendigungsgr<strong>und</strong> die ausgeräumten Konfliktherde der<br />
Familie <strong>und</strong> das gute Auskommen mit Christian.<br />
Das Jugendamt Frau R. gibt als Beendigungsgr<strong>und</strong> an, dass die Familie viele Ressourcen<br />
hat, die sie jetzt nutzen kann. Ebenso ist die Familie demnächst so stabil, dass die Hilfe<br />
zeitnah beendet werden kann.<br />
Insgesamt kann gesagt werden, dass die Familie noch nicht bereit ist, die Hilfe so schnell<br />
zu beenden <strong>und</strong> sieht noch in der Unterstützung Handlungsbedarf. Das Jugendamt <strong>und</strong> der<br />
Helfer sehen die Hilfe allerdings schon als ausgeschöpft an.
Familienhelfer Herr Y<br />
Jugendamt Frau R.<br />
99<br />
Welche Rahmenbedingungen lagen für die Hilfe vor?<br />
Herr Y. hatte eine Festanstellung beim freien Träger (40 Std.<br />
Arbeitswoche)<br />
Herr Y. arbeitete in einem professionellen Team, wo eine wöchentliche<br />
Teamberatung, kollegiale Beratung <strong>und</strong> eine monatliche<br />
Supervision stattfand<br />
Herr Y. ist Sozialarbeiter/-pädagoge mit einer Zusatzausbildung als<br />
Mediator<br />
Berufserfahrung<br />
Frau R. hat eine Festanstellung bei der Stadt (30 Std. Arbeitswoche)<br />
Frau R. arbeitet in einem professionellen Team, wo eine wöchentliche<br />
Teamberatung, kollegiale Beratung <strong>und</strong> eine monatliche<br />
Supervision stattfindet<br />
Frau R. ist Sozialarbeiter/-pädagoge<br />
Berufserfahrung<br />
Für alle Beteiligten konnten optimale Rahmenbedingungen festgestellt werden. Das gilt<br />
insbesondere für Herrn Y. <strong>und</strong> Frau R.<br />
Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass sich die Hilfe positiv gestaltete.<br />
5.3.3 Vergleich Fall Hans mit Fall Christian<br />
Werden beide Fälle miteinander verglichen, so ist festzustellen, dass alle Beteiligten mit<br />
großer Offenheit die Fragen beantwortet haben. Zudem wurde deutlich, dass keiner, insbesondere<br />
die Fachkräfte Jugendamtsmitarbeiter <strong>und</strong> Familienhelfer, das Vokabular des SGB<br />
VIII benutzt hatten wie zum Beispiel aus dem §27 SGB VIII, „Personensorgeberechtigter“<br />
oder „notwendig <strong>und</strong> geeignet“. Des Weiteren ist auffallend, dass die eine Familie „Fall<br />
Christian“ die SPFH deutlich erfolgreicher bewertet, während die Familie „Fall Hans“ die<br />
SPFH als weniger erfolgreich bewertet. Das Jugendamt <strong>und</strong> die Familienhelfer bewerten in<br />
beiden Hilfen die SPFH als erfolgreich.<br />
Bei der Auswertung der Interviews ist mir aufgefallen, dass ich nicht konkret nach dem<br />
Ziel der Hilfe gefragt habe. Dennoch wurde die Frage des Ziels unter den anderen Fragestellungen<br />
von allen Beteiligten benannt.
6 Resümee <strong>und</strong> Hypothesen<br />
100<br />
In der Diplomarbeit habe ich den Schwerpunkt auf die SPFH gesetzt. Es ging mir darum,<br />
dieses Arbeitsfeld <strong>und</strong> seine Rahmenbedingungen zu beschreiben <strong>und</strong> anhand von zwei<br />
exemplarischen Fallbeispielen <strong>Erfolgs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Misserfolgskriterien</strong> zu erfassen.<br />
In der Analyse der Interviews wurde deutlich, dass die Anfangssituation, der Alltag der<br />
Hilfe <strong>und</strong> das Ende von allen Beteiligten ähnlich gesehen wurden. Die gute Beziehung<br />
zwischen den Klienten <strong>und</strong> den Helfern war in der Zusammenarbeit eine Chance <strong>und</strong> hat<br />
Ressourcen der Familienmitglieder freigesetzt.<br />
Als Risiko für eine erfolgreiche <strong>Familienhilfe</strong> ist ein unklarer Auftrag zu sehen <strong>und</strong> stellt<br />
eine offensichtliche Überforderung des Familienhelfers dar. Im „Fall Hans“ wird dieses<br />
durch fast alle Beteiligten eindrucksvoll mit der Ohnmacht des Helfers beschrieben. Es<br />
scheint ein weiteres Risiko zu sein, wenn der Familienhelfer seine Möglichkeiten der<br />
Supervision <strong>und</strong> der kollegialen Beratung nicht gewinnbringend nutzt <strong>und</strong> so beispielsweise<br />
eine Koalition mit der Person Hans aus der Familie eingeht.<br />
Auch zeigt sich, dass das Jugendamt scheinbar nicht alle Möglichkeiten der Steuerung im<br />
„Fall Hans“ genutzt hat. So hätte im Hilfeplangespräch immer wieder die Notwendigkeit<br />
<strong>und</strong> Eignung in diesem Hilfesetting geprüft werden müssen.<br />
Als Ergebnis meiner Untersuchung lassen sich folgende Hypothesen für Misserfolg <strong>und</strong><br />
Erfolg in der SPFH benennen:<br />
- Wenn eine Familie aus der Hilfe einen Gewinn ziehen kann, dann wertet sie diese<br />
als Erfolg.<br />
- Um eine erfolgreiche SPFH durchzuführen, muss die ganze Familie im Blick behalten<br />
werden. Es dürfen keine Familienmitglieder durch das Eingehen einer Koalition<br />
ausgeschlossen werden.<br />
- Jeder Sozialpädagoge/Sozialarbeiter (Familienhelfer <strong>und</strong> Jugendamtsmitarbeiter)<br />
muss die eigene Haltung, die eigene Rolle <strong>und</strong> sein Tun regelmäßig supervidieren.<br />
- Wenn für die Familienhelfer optimale Rahmenbedingungen vorliegen, heißt das<br />
nicht automatisch, dass die Hilfe erfolgreich ist.<br />
- Die Kritikpunkte von Familienmitgliedern an der Hilfe sollten den Familienhelfer<br />
zum Überdenken seiner derzeitigen Arbeitsstrategie anregen.<br />
- In einer erfolgreichen SPFH kann sich keiner der Beteiligten der Mitarbeit entziehen.
101<br />
- Eine zu enge emotionale Bindung zwischen Helfer <strong>und</strong> Familie erschwert die Ablösung<br />
im Sinne von „Selbsthilfe“, selbst wenn das Ziel der Hilfe schon lange<br />
erreicht ist.<br />
- Eine gute Beziehung zwischen allen Beteiligten erleichtert die Zusammenarbeit, ist<br />
aber nicht automatisch eine qualitative <strong>und</strong> zielführende Arbeit.<br />
- Ein langer Zeitraum, in dem SPFH stattfindet, ist nicht zwangsläufig mit einem<br />
Erfolg der Hilfe gleichzusetzen.<br />
- Die <strong>Familienhilfe</strong>n, die regelmäßig evaluiert werden, werden erfolgreicher sein,<br />
wenn sie die Ergebnisse der Auswertung in die weitere Arbeit integrieren.<br />
Die in der Fachliteratur beschriebenen Spannungsfelder wurden in den Befragungen durch<br />
alle Beteiligten untermauert. Für die Praxis bedeutet dies, regelmäßig die Arbeit zu reflektieren<br />
<strong>und</strong> wissenschaftliche Erkenntnisse sowie <strong>Sozialpädagogische</strong> Methoden nutzbringend<br />
in die eigene Arbeit zu integrieren.
Literaturverzeichnis<br />
102<br />
Allert, Tilmann u.a. (1994): Familie, Milieu <strong>und</strong> sozialpädagogische Intervention. In:<br />
Frindt, Anja: Prozesse in der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> aus<br />
Unterschiedlichen Perspektiven. Eine Einzelfallstudie. Siegen: 2006, S.12<br />
Allert, Tilman u.a. (1989): Strukturprobleme der sozialpädagogischen <strong>Familienhilfe</strong>. In:<br />
Frindt, Anja: Prozesse in der <strong>Sozialpädagogische</strong>n <strong>Familienhilfe</strong> aus<br />
Unterschiedlichen Perspektiven. Eine Einzelfallstudie. Siegen: 2006, S.12<br />
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Anhang
„Erklärung:<br />
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig <strong>und</strong> ohne Benutzung<br />
anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt<br />
<strong>und</strong> indirekt übernommenen Gedanken, sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit<br />
wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.“<br />
Romy Witte