Volltext (Manuskript) - Dr. Corinna Erckenbrecht
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Kritik der Forschungsansätze und Terminologien<br />
Wie schon in der themenspezifischen Quellenanalyse angeklungen, muß die wissenschaftliche<br />
Terminologie und die Widersprüchlichkeiten, die sie produziert hat, einer kritischen<br />
Diskussion unterzogen werden. Dies betrifft auch die bisherige Art der Forschungsmethodik<br />
und der Themenwahl, die uns einseitig gewichtetes und teilweise ausschnitthaftes Material<br />
erbrachten. Einer kritischen Prüfung muß insbesondere die Anwendung der Terminologie bei<br />
David Schneider unterzogen werden, der in problematischer Weise verwandtschaftsethnologische<br />
Begriffe und Kategorien verwendet, ohne sie exakt geklärt zu haben. Dies<br />
betrifft hauptsächlich die Verwendung der Begriffe „Lineage“ und „Clan“, die bei ihm in<br />
unterschiedlicher Art und Weise benutzt werden. Diese Begriffe sind in der<br />
Wissenschaftsgeschichte, wie allgemein bekannt, immer wieder neu diskutiert und definiert<br />
worden und haben in den wissenschaftlichen Diskursen der einzelnen Länder wie den USA<br />
oder Großbritannien ganz andere Bedeutungen erhalten wie etwa in Deutschland oder<br />
Australien. So schreibt E.W. Müller ganz richtig, daß die verwandtschaftsethnologischen<br />
Begrifflichkeiten immer aus dem Kontext, aus dem heraus sie benutzt wurden, erklärt werden<br />
müssen (vgl. in Hirschberg 1999: 205). Während „Clan“ in der älteren US-amerikanischen<br />
Literatur traditionell eher für matrilineare Gruppenzusammenschlüsse benutzt wurde (im<br />
Gegensatz zum patrilinearen Gens), so ist der Begriff „Clan“ bspw. in Australien in<br />
Anwendung auf die Sozialstruktur der australischen Aborigines eher mit einer patrilinearen<br />
Einheit verknüpft. Hier hat der patrilineare, patrilokale Clan darüber hinaus oft totemistische<br />
oder religiös-mythische Bezüge und schließt neben den konsanguinalen auch die affinalen<br />
Verwandten mit ein (vgl. <strong>Erckenbrecht</strong> 1988).<br />
Auch die Ansicht, daß ein Clan meist eine größere Einheit darstelle als eine Lineage, in<br />
der die Abstammung von realen Vorfahren immer klar bekannt sei, findet in der Literatur<br />
meist allgemeingültige Anwendung. Daß gegenüber einer Lineage die Obereinheit eines<br />
Clans etwas diffuser und weniger scharf umrissen sei, stimmt bspw. für Schneiders<br />
Ausführungen über die yapesische Verwandtschaftsorganisation nicht, da er die<br />
Mitgliedschaft im Matriclan eindeutig durch Blutsverwandtschaft belegt sieht. Auch erblickt<br />
er im Zentrum einer Lineage genauso wie beim Matriclan eine sakrale Macht und definiert,<br />
im Falle Yaps, die Patrilineage zunächst als nicht-biologische Verwandtschaftsgruppe, da der<br />
mythische Bezug zu den Vorfahren ausschlaggebend sei. Schneider hat in seinen allgemeinen<br />
theoretischen Arbeiten zur Verwandtschaftsethnologie (1968, 1984) herausgearbeitet, daß<br />
Verwandtschaft nicht unbedingt etwas mit Biologie – oder genauer gesagt: mit Blut – zu tun<br />
haben muß, sondern daß blutsverwandtschaftliche Kriterien oft ethnozentrische Konstrukte<br />
sind, die anderen Gesellschaften und Kulturen übergestülpt werden (vgl. auch Hauser-<br />
Schäublin 1991, 1996). Insofern hat Schneider zu einer wesentlichen Erweiterung des vormals<br />
enger gefaßten Forschungsansatzes in der internationalen Kinship-Debatte beigetragen.<br />
Dennoch schießt er bei der Definition der yapesischen Lineage zu weit über sein Ziel hinaus,<br />
indem er behauptet, die Patrilineage sei in keinster Weise als eine biologische<br />
Abstammungsgruppe zu verstehen, während er im Gegenzug den Clan ausschließlich über die<br />
Biologie definiert. Und das, obwohl Schneider selbst auch erwähnt, daß sich der Matriclan auf<br />
eine Kulturheroin und ein mythisches Schöpfungszentrum beruft. Diese Vermischung<br />
verschiedener Begriffe und ihrer nicht mehr differenzierbarer Definitionen, die am Ende<br />
austauschbar erscheinen, trägt letztlich mehr zur Verwirrung als zur Klärung einer möglichen<br />
doppelten Deszendenz und ihrer Charakteristika auf Yap bei.<br />
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